Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 29, 1915, Image 9

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    Nebraska
Staats-» Anfeiger und II set-old.
Grundqu -ebN »F1'km-ll
sen-thun
tx· « «
—
Tsnmotecste von Reinhold Drinnen-L
Jch war siebenundzwanzts Jahre
alt geworden und hatte eben das
Glück gehabt, eine sehr woblbabende
Tante zu beerben. Während sich bis
dahin eigentlich tein Mensch um mei
ne Herzensangelegenheiten und um
mein künftiges Lebensglück gekäm
ert hatte, tauchten jetzt plötzlich von
en Seiten liebreiche Seelen aus«
die mir durchaus dazu verhelfen
wollten, an der Seite eines reizen
den, jungen Weibchens einer der bes»
neidenswertesten Sterblichen zu wer-l
den. Ich gestehe. daß ich selber dazus
nicht übel Lust verspürte nnd bei derl
mir leider angeborenen Setnichternil
heit und Unbeholsenbeit in der Tat
wenig hoffnung hegte, durch eigene
Unternehmungstust an das loaende
Ziel zu gelangen. Mein bisheriges
Leben war nicht danach angetan ge
wesen« einen Salonlöwen und Her
zenestiirmer aus mir zu machen. Und
wenn ich iiberhaupt eine nennenswerte
Tugend besaß, so war es höchstens
die Tugend der Bescheidenheit. Nichts
war mir so schrecklich, als die Vor
stellung, daß ich bei irgend jemand
Anstoß erregen könnte. All mein Be
streben war daraus gerichtet, jedem
nur das Angenehmste zu sagen und
von dem schönen Geschlecht, das ich
noch so gut wie gar nicht tannte,
hatte ich die denkbar höchste Meinung.
Unter solchen Umständen war ich
begreiflicherweile sehe geneigt. einer
der erwähnten lief-reichen Seelen die
Mühe der ersten Auswahl zu über
lassen, nnd ich fühlte mich einem Ber
liner Vetter dritten Graden aus das
Jnnigste verpflichtet, als er mir eines
- Tage-«- drieflich mitteilte, es sei ihm
l
durch den glilcklichften Zufall von ver
Weli gelungen, gerade des Richtige
fiir mich zu finden. Es handelte sich
um die achtzednjiihrige Schwester ei
nes Gefchöftsfreundes, ein bezaubern
deg, junges Mädchen mit einer gera
dezu erdrückenden Jiille von Vorzu
gen. nach Anlage und Erziehung wie
fiir mich geschaffen. Auf eine groer
Mitgifi war dürfe ich nicht rechnen,
aber ich« ei ssr in der glücklichen Lage,
iiin des edlen Kernei willen auf die
goldene Schale verzichten zu können.
Die Familie sei natürlich höchst an
ständig und lebe in den angenehm
sten. bestgeordneten Verholtnilsen.
Er habe in meineianteresse schon ein
wenig sondieri und glaube mir eine
freundliche Aufnahme versprechen zu
dürfen, obwohl man begreiflicheri
ioeise sehr wählerisch sei und nicht
daran denle, ein so seltenes Kleinod
dein eriien Besien anzuvertrauem
Man kann sich deuten, wie mir·
auf eine solche Schilderung hin der
Mund wässerte. Es wurden noch ein
paar weitere Briese gewechselt; dann
fuhr ich zur Brnutfchau nach Ver-in.
Die Pröliminarien wirren in der
Weise geregelt worden, daß ich zu
nächst eine «zufiillige« Begegnung mit
dem Gefchiifiefteund meines Vetters-,
dem Bruder meiner Zuliinitigen, ha
ben und dann von ihm zu einein
Mittagessen eingeladen werden sollte,
isei dem auch Fräulein Gerda mit
ihrer Manier erscheinen sollte
»All« übrige," sagte mir mein
lieureicher Vetter beim Empfang aus
deni Bahnlsof, »wird dann eben ganz
von Deiner Gefchicllichleit abhängen,
dich bei der jungen Dame wie bei
ihren Angehörigen in das günstigste
Licht zu feseii.«
Jch erwiderte etwas benommen
daß ich zu meiner Geschicklichkeit in
diesen Dingen nicht eben allzu gra
fkei Vertrauen hätte; aber er beru
higte mich lächelnd.
inn paar Attigleiten, namentlich
fiir die Damen, wirst du doch toohl
aufbringen können. Und um ihnen
für geistreich und unter-haltend zu
gelten, hast du schließlich nichts wei
ter nötig, als hier und da eine bog
hafte Bemerkung iiber andere zu ma
chen. Das ist unter Umständen noch
wirtsamer als eine Schmeichelei.«
Das Rezept wollte mir zwar nicht
über die Maßen gefallen, aber ich
hatte ein so schranlenlvses Vertrau
en zu ver Weltgetpanbheit und Men
schenienntnis meines Vetter-, daß Ich
mir doch vernahm, wenigstens im
Rotfail davon nach besten Krä ten
Gebrauch zu machen. Die zufa· ige
Begegnung mit dem Geschäftsfreunde,
einem sehr an enehmen unb elegantrn
herrn Rogaen aum, fand, tvie verab
redet, in einer Weinftube stati, nahm
einen durchaus erfreulichen Verlauf
und endete damit,· daß er mich bat,
am nächsten Mittag »a la fortune
du bot« einen Löffel Subpe bei ihm
zu essen. Leiber war mein Vetter
durch unvermiilete geschäftliche Ab
niachungen verhindert,«mich zu beglei
teni und er konnte mir nicht einmal
den ersten Abend wir-wen Aber er
hatte die Liebenswiirdigteii gehabt,
mir ein Billet siir die Oper zu besass
gen. und da ich durch derartige tünstis
ierische Genüsse noch nicht allzusehr
verwöhnt war, unterhielt ich mich
ausgezeichnet —- abgesehen von eini
gen Verdrießlichteisen, die meine
Nachbarschaft mir bereitete.
Die Einladung für den nächsten
Mittag lautete aus drei Uhr. Weil
man mich aber in meiner Kindheit
strenge zur Punttlichteit erzogen
hatte, hielt ich es für besser, schon
eine Viertelstunde vorher zur Stelle
zu sein. Das Dienstmädchen empfing
mich mit einem —- ipie mir scheinen
wollte — etwas verwunderten Gesicht
und führte mich in den sehr hübsch
eingerichteten Salon mit dem Bemer
ten, die Herrschaften würden jeden
falls gleich lominenx Nichtsdestoweni
ger blieb ich volle siinsiindzwansig
Minuten-allein, und als dann endlich
herr Roggenbaum in tadellosem Ge
sellschastanzug erschien, erschöpste er
sich in Entschuldigungen, daß seine
Gattin, durch ihre Hausfrauenpslichs
ten bis zum lehten Augenblick in An
spruch genommen, sich bei der Toilette
etwas derspätet habe.
»Auszerdem,« siigte er mit einem
lleinen Lächeln hinzu, ,,hatten wir
Sie ja auch. osseii gestanden, so sriih
noch nicht eiidartet.'«
»Mein Gott," sagte ich erschrocken,
»ich hatte mich also verhärt, als ich
glaubte, aus drei ilhr eingeladen zu
sein?«
»Nein, durchaus nicht. Aber man
pflegt in Berlin immer erst eine
Stunde später zu erscheinen, als man
eingeladen ist. Aber das macht ja
nichts. Meine Frau fand es sogar
sehr nett, daß Sie es so eilig hatten«
Zehn Minuten später erschien Frau
Noggenhaum, eine recht hübsche und
sehr gut angezogene Dorne von un
gefähr sünsundztoanzig Jahren. «ie
lächelte mich äußerst liebendmrdig
an und gah ihrer Freude, mich ten
nen zu lernen, den lebhaftesten Aus
druck. Solange sie sich nur nach mir
junv meinen Lebensgewohnheiten er
kundigte, unterhielten wir uns sehr
gut. Dann aber tam das Gesprach
etwas in- Stoaem und ich sagte mir,
dasz es wohl an der Zeit sei, von
settogs anderem als von mir zu reden.
IUnd ich fand eine Anknüpfung
s »Sie sprechen einen so allerliebsten
»für-deutschen Dialekt, gnädtge Frau,«
lsagte ich. »Wahrscheinli sind Sie
laue Franlfurt am Main « ·
! «Nein,« lächelte sie, »meine Wiege
Island in Bruchsal.«
»Ah-« machte ich interessiert. »Ich
zlernte mal einen Herrn aus Bruchsal
stennen —- ein ultigeo, altes Hans.
Er hielt sich drei Lage in unserer
;Staot auf, und ich have nie eitlen
«Menschen gesehen der soviel trinken
ltonntr. Nachher hörte ich. daß der
larme Kerl zu Haufe einen- wahren
EDrachen von einer Tochter habe, die
Iihn sehr turz halte und ihm das
IHauS zur Hölle mache. Darum schlug
see denn auf der Reise so über die
sSiröngc Vielleicht haben ihn gnä
;viae Frau gelannt. Er hieß Bei-tel
Imunn und seine Tochter führte, toenn
sich mich recht besinne, den schönen
Namen Jrrttgard. ergaro Erblei
mann —- fehr drollig, nicht wahrt-«
Jch lachte aus Leibesträftenx Herr
silioggenvaum aber faßte mich um
lArm und sagte hastig: »Dars ich
Ihnen vielleicht etwas zeigent Jch
habe da im Nebenzimmer ein paar
sehr hübsche Bilder.«
Sobald toir aus dem Salon her
aus waren, raunte er mir zu: »Was
Sie da von dem guten Brölelmann
usw. erzählt haben, hat vollständig
seine Richti leit; aber es ist vielleicht
besser, das hema nicht weiter zu be
rühren. Er ist nämlich mein Schwie
gervater, und seine Tochter ergard
list meine liebe Frau.«
Jch hatte den sehnlichsten Wunsch,
dass ver Boden sich austun und mich
»verschlingen möge. Da er es aber
nicht tat, und doch etwas geschehen
mußte, um das Unglück wieder gut
zu machen, eilte ich spornstreichs in
den Solon zur-Im und trat mit er
heuchelter Unbefangenheit aus die et
was säuerlich breinschauende Frau
Noggenbaum zu:
»Glauben Sie mir eine tleine
Richtigkeit, gnädige Frau. Jch habe
ein so elendes tltamengediichtnis. Der
here von dein ich eben erzählte, hieß
natürlich nicht Bröielinann, sondern
Hut-en und seine Tochter siihrte den
Taufnamen Theresr. Jch weiß gar
nicht« wie mir die Verwechslung pas
sieren tonnte.« -
»Nun, es steut mich jedenfalls,
daß es eine Verwechslung war,« er
widerte die Dame. .«Uebrigens, um
von etwas anderem zu reden —- hat
mein Mann Ihnen das Porträt mei
ner-Schwester gezeigtt«
»Nein. Aber ei würde mich außer
ordentlich interessieren, es zu sehen.«
Das for-trat wurde herbeigeschasst
nnd ver ente mich in einen wahren
I -
Bausch des Gntziickens So lieb und
unschuldsvoll hatte ich mie meine Zu
liinstige selbst in den ausschweisendsi
sten Träumen nicht vorzustellen geil
wagt. Und ich hatte keine Veranlas-;
sung, mein Wohlgefallen zu verhehlen. l
»Das ist ein junges Mädchen. wie
ich mir immer gewünscht habe, eines«
lennen zu lernen· Diese süßen, ab-.
nungslosen Augen — dieser· reisende,
linderbaste Mund —- nnd diese ein-s
sache Schneckensrisur! Nichts Gemach-,
tes und Geziertes —- teine arrange-i
nehme Frübreise —- teitee Koletterie
und Gesallsuchtl Bezaubernd —
wirllich bezauberndi Jett kann-ich
Jhnen ossen gestehen, daß mich de
gestrige Abend ein bißchen ängstli
gemacht hatte. Jch war nämlich in
der Oper —- mein Vetter hatte mir
ein Billet besorgt —- und da hatte
ich das Mißgeschick, neben einer jun
gen Dame zu schen, wie sie ja wohl
hier in Berlin die Regel bilden. Sie
erinnerte sogar in ihrem Aussehen
ein bißchen nn Jhre holde Schwäges
kin, niidige Frau. Aber welch ein
Unter chiedl Ausgedonnert und zu
rechtgemacht, daß ich immer ein Be
dürsnis sühlte, idc die dicke Schmtnte
von den Wangen zu wischen. Und
dies Augenspiel — diese Asseltiert
heit ins jedem Wort, das sie mit ih
rer Begleiterin wechselte. Der Acr
ger über dies Geschöpf hat mich um
die Hälste des tünstlerischen Genusses
gebracht Und ich mußte im Stillen
den Unglücklichen bedauern, dem es
mal beschieden sein wird, diese stül)
derdokbene Modepuppe zur Frau zu
kriegen. Jch siir meine Person hätte
sie übrigens schon wegen der Mutter
nicht genommen, der sie sicherlich tral
sehr ähnlich werden wird. Eine sol
che Schwiegermutter —- brrr! —
Ein Scheusal, sage ich Ihnen, me: ne
Herrschasten -- einsach ein Scheu
sal!«
Gemäß dem Rezept meines lieb
reichen Schwagers hätte ich sicherlich
noch eine Menge weitere Bot-betten
losgelassen; aber in diesem Augenblick
öffnete sich die Tür, Herr Noggens
baunt ries: »Ah, da sind ja endlich
die liebe Mama und unsere kleine
Gerda!« und ich erhob mich, um die
Damen zu begrüßen. Aber im näch
chen Augenblick wurde-es mir schwarz
oor den Augen. Die liebe-Martia und
die tleine Gerda traten ja meine
Nachbarinnen von gestern in leibhas
tiger Person, und zu alle-n Ueber
slusse mußte die Matrone auch noch
sagen:
»Ach wie reizend! Sind Sie nicht
der Herr, der gestern in oer Oper
neben uns gesessen l)at?"
»Nein, durchaus nicht,"« stotterte
ich, »das muß ein Irrtum sein —
eine Verwechslung —- ich habe ein
so schlechtes Gedächtnis —- das heißt
ich meine — Herrgott, da sällt mir
»eben ein, daß ich ja eigentlich eine
andere Verabredung hatte — etwas
ungeheuer Wichtiges. Es handelt sich
um zehntausend —- nein um fünfzig
tausend Mart. Sie müssen mich wirt
lich entschuldigen, meine Herrschaften
— es tut mir sehr leid —- aber viel
leicht ein andermal —- wenn ich wie
der nach Berlin tomme — -«
Herr und Frau tlraggenbauni mach
ten leinen Versuch, mich zu halten,
und der Hausherr berzichtete sogar
darauf, mich hinaus zu begleiten.
Eine Stunde später saß ich aus
der Bahn. Und dies war »die erste,wie
die letzte Brautschau meines Ledeiio.
kapitiiu Lan-r.
Mobiltuastmngs - Eplsodc von Paul
Zelt-indi
Der Fördedampfer »He-Meiji« lag
unter Volldampf an der Barbarossa
brücke im inneren Kielerhafem
Kapitän Lange wirft einen Blick
auf seine Uhr und sieht, er hat noch
über zehn Minuten Zeit bis zum
Ablegen. Er hat den Dampfer voll
Reiervilteu . und Seewehrmänner,
welche er nach der Werit brinqu
muß, wo sie die Reserve Geschwader
besehen tollen.
Mit ein paar Sätzen iit er wieder
mitten unter ihnen, er kannte sie alle,
die nun als behiibige Männer wieder
kamen, um dem Flaggeneide getreu:
»Mit Gott für Kaiser und Reich«,
zu siegen oder zu sterben.
Jeder will ihm die hand reichen.
Alle, alle tannten Kapitiin Lange,
manchen hat er die ersten Seemannsi
tnoten machen gelehrt auf den alten
Segeltorvetten und mit ihnen in
mancher Sturmesnacht, auf den Naai
en, Segel gereift und geborgen.
Mit anderen wieder auf dem alten
Artillerielchiss »Notw« Pulver und
Granaten bei Tag und Nacht zum
Schießen geschleift, bis sie endlich so
weit ausgebildet weit-en, daß sie als
Gefchiihfiihter entlassen werden konn
ten.
Und dort die Jüngeren, auch die
kannten ihn, hat er ihnen doch so oft
den Kompagniebefehl und öfters noch
die Kriegsaktiiel vorlesen müssen.
Das war of- ungefähr fünfzehn
Jahren, als er zum Feldwebel er
nannt wurde
Wie diese Erinnerungen doch so
wohl taten, wie das Blut schneller
ittulierte, wie der Puls tlopftesEr
iihlte sich heute selbst um vierzig
Jahre jünger.
Seine drei Jungens waren ja«
schon gegangen, um für das Vater
land zu streiten.
X Der Aelteste hat erst gestern den
Postassisientenroct ausgezogen und
Lfing schon heute morgen an, Freiwils
lige auczubildew
Der Zweite war da drüben aus
dem Flaggschiff der heimischen Flotte
und brannte daraus, an den Feind
»Ja kommen, um ihm zu zeigen, wie
ein deutscher Stückmeister zielt und
trifft.
Der Jüngste war draußen auf ei
nein der lleinen Kreuzer und wird
auch sein bestes tun um den Feind
schlagen zu helfen
Er ging gesenkten Hauptes auf die
Brücke zurück, verstört sah er nach der
Uhr,.steckte ssin die Tasche und
rief mit seiner Baßstimme »Los«
fund gleich daraus »Kla: Deck«. Die
kalten Ellerbeeier Fischer die nach der
Kriegs- Erklärung den Dienst als
sMatrosen aus dem Danpser versa
hen dachten, sie seien auch aus einein
Kriegsschiff denn der Kapitän de
nahtn sich wenigstens so. -
Schnell brachte Kapitän Lange den
Dampser nach der anderen Seite, wo
er die Reservisten am Werfttore ans
fteigen ließ.
Aus Wiedersehn, riefen manche;
andere wieder sagten: Besten Dank,
here Kapitän. Während dir alten
riefen: Hein, ict sah de morgen obend.
Diese Nacht konnte er nicht zur
Ruhe kommen, es fehlte ihm etwas,
nach langem Grübeln wußte er, was
los war.
Am nächsten Morgen ging er nicht
zum Dampser, wie er er seit Jahren
regelmässig getdn hatte. Kapitän
Lange ging diesen Morgen die Hol
tenaner Straße hinaus und wandte
sich direkt nach der Kommnndantur.
Der Possten hält ihn aus« erinnert
sich aber» osort, daß der ælte Kapi
tän stets ohne Anmeldung oder Weg
weisee das richtige Zimmer zu sin
den weiß.
heute suchte er aber doch ein we
nig, denn das Zimmer, das er haben
wollte, gab es in Friedenszeiten nicht
und er spähte den langen Korridor
hinunter, da sah er endlich am ande
ren Ende ein tleineg Plalah ,,Kriegs
freiwilligen-Vlnnr1niiie«.
Die innere Tiir ist ossen und er
sieht ObersLentnnnt z. See S...
am Schreibtisch sitzen. Ohne weiteres
geht er hinein nnd sagt zu dem ihm
die band reichenden Ofsiziert Herr
Oberieutnnnt, ich möchte gerne als
Freitvilliger eingestellt werden.
Aber Herr siapitam sie sind schon
lange iiber die Llltersgrenze hinauf-:
sie sind zu alt, es tut mir leid, atet
ich kann nicht anders.
Der Kapitijn senkt betrübt sein
Haupt, zu alt nnd doch nimmt er es
mit jedem Jüngeren aus. ,
Da geht die Türe auf »und Admi
ral K... fragt, den Kopf hinein
steckend: Haben sie viele Anstagens
Zu Befehl, Erzellenkn iiber fünf
zig Prozent« mus-, ich aus spater ver
triisten und sehr viele wegen der
überschrittenen Vilterggtenze anweisen
Exzellenz ti. lächelte und sagte:
Jn, ja, die wollen alle mithelfen, es
ist erhebend.
Kapitän Lange tritt militärisch an
und sagt: tsxzelteng ich lvill auch
gerne mithelfen.
Admiral R. dreht sich um und er
kennt den alten niederen Dampsertns
pitän, er reicht ihm die Hand und
sagt: Aber Ranitiin Lange, wer wird
denn unsere Scheiben nach dem Krie
ge schlepme
Nach dein ltriege?- Exzellenz:
lomtnt Zeit, tommt Rat. Meine Jun
gens lämpsen gegen den Feind und
ich will auch nntstreiten und in erster
Linie gegen die Engländer.
Admiral R. nimmt seinen Vollbcri
zwischen die Finger und sieht ins
Weite. Endlich dreht er sich um und
sagt: Jch hab es, ich lann sie gut
gebrauchen. Sie legen mit ihrem
Dampser Minen, soviel sie nur neh
men tönnen, alle selbstverständlich
im großen Belt. Wenn sie fertig sind,
bleiben sie dort auf Station und
werden Kriegolotse bis zum Frie
densschluss. Dieses ist einer der ver
’antwortlichsten Plätze, sie wissen ja
selbst, daß der Feind Tag und Nacht
versuchen wird, sich durchzuschlängelm
sie müssen«dao verhindernehelsem
Danke, ExzelleM Je größer die
Verantwortung um so gewissenhafter
der Dienst oon meiner Seite aus,
ich denke, die Herren Söhne von Ex
zellenz kennen den alten Lange.
Jch sollte meinen, lächelte Admiral
IK., die haben mir oft genug erzählt, ’
Idaß sie manchen Griff und Tritt
tausendmal machen mußten, ehe Sie
Izusrieden gestellt waren Jedesmal
habe ich mich innerlich gefreut, wenn
Sie so handelten. Sehen Sie, alle
sind sie nun etwas geworden und
werden mir und Jhnen teine Schande
machen, alle sind schon auf ihren
Kriegsstationen,
Admiral K. wendet sich an Ober
leutnant S. mit den Worten: Tra
gen Sie Kapitiin Lange in die Deck-»
ossizierliste ein und veranlassen Sie
das weitere mit dem Dampfer. Wenn
Sie die Papiere fertig haben, senden
Sie sie zur Unterschrift. Damit dreht
er sich um und sagt: Nun, Lange,
ich hasse, daß wir unsere Feinde dort
hinsenden, wo sie hingehören. ;
Der alte Kapitiin lachelt und et
roidert: Ai, Exzellenz, dat will be
tou de Devel.
zonueuticht
Ein triiber Herbstmorgen, noch vor
Tau und Tag. Auf der Landstraße,
die hinaus zum langgestrectten Gü
terbahnhos fahrt, glotzten die Later
nen mit rötlichem Schein durch den
stin herabrieselnden Nebelregen. Die
weiten Blatter tanzten lautlos herab,
ein Reigen des Todes und des Ster
dens.
Marschtritt ertönt, weiße Mützen
leuchten durch die trübe Dämmerung-:
eine Sanitätgtolonne riiat an. Uns
sechs Uhr ist ein Lazarettzug gemel
det, der zu entladen ist. Schnelter
wird der Tritt, die Kolonne mus
eilen. Jin Gliede marschiert, mit
gesenktem Blick, der junge Ludwig
Ansorge, in seine Gedanken verloren.
Jtn Laternenlicht blitzt ein Ring an
seinem Finger, der Verlobungsring,
der erst seit kurzem seine Linie
schmückt. Ludwigs Stirn zog sitt
leicht zusammen. Er hätte sieh den
Brautstand glücklicher gedacht, er
hatte ihn siir den Höhepunkt der Se
ligkeit gehalten, aber die menschliche
Unzulänglichkeit und Unzusrtedenheit
hing sich verileinernd und belästigend
auch an diese Maienzeit des Lebens.
Seine Braut war nicht so zu ihm,
wie er erwartet. Scheu, zurückhal
tend, erschien sie ihm ost talt und ah
lehnend. Mein Gott! ckie war
jung, sie bebte vor der männlichen
Zärtlichkeit zurück, das war zu ver
stehen, aber er konnte das Geiiihl
nicht loswerden, era hätte, als sie
seine Werbung annahm, wohl mehr
aus den Rat ihrer Eltern, als auf
die Stimme ihres Herzens gehört.
Ein peinliche3, ein bedrückendes Ge
fiihl!
Die Kolonne hatte indes auf dem
Bahnhos Aufstellung genommen; das
erste Tageggmuen diimtnerte heraus,
die Laternen erloschen. Unendlich
triibe, in einem stumpsen Zwielicht
lagen die vielen Geleise, die Lade
hallen, die langen Fronten der Güs
tertvagen nnd Loren. Zuweilen gellte
der Psisf einer Rangierrnaschinr. Im
tner noch rieselte der Regen, und der
Wind strich tijhl ber, bis ins Mark
durchfröstelnd Jetzt rasselte die Wa
gentolonne heran: Lilan Kranken-,
Post nnd Möbel-nagen welch letztere
zum Verwundetentrangport besonders
hergerichtet waren. An jedem wehte
die weiße Fahne mit dem roten
Kreuz.
Da tauchten in der Ferne in dun:
stiger Ebene die glühenden Augen
der Lotomotive aut. Langsam ta
men sie näher, ganz langsam lief der
erwartete Zug ein. Wagen ans Wa
gen glitt vorüber in unheimlichein
Schweigen, tein Gesicht zeigte sich an
einem der Fenster; also Schimmer
wundete.
Der Zug hielt, beinahe lautlos
An die Arbeits Der erste Wagen,
den Ludwig betrat, ein Wagen vier
ter Klasse, besörderte Ossizierr.
Uebereinander hingen auch hier die
Tragen, in sedernden Gestellen; rote
Gardinen vor den einzelnen Betten
gaben dem Raum etwas Kabinenar
tigesx die nbgeblendete Lampe warf
ein bliiuliches Licht.
Jn der vordersten Trage lag ein
junger Ostizier, marmorbleich; man
sah nur die sein geschnittenen Lip
pen, die aristotratische Nase. Der
Fibrige Kopf war verbunden. »Au
genschuß!« sagte der Begleiter.
Der junge Ofsizier lag regungslos,
er schien zu schlafen;
Ludwig wandte sich mit seinen
Kameraden zunächst den anderen Ver
wundeten zu· Einer nach dem an
dern wurde aufgehoben, Truge um
Truge mit größter Schwierigkeit
durch die engen Gänge, von der
Plattsorm hinab in das Auto ge
schafft. Eine Arbeit von mehr als
einer Stunde.
« Schließlich blieb nur noch der eine,
der junge Ossizier übrig. Er schien
jetzt wach zu sein.
»Diirsen wir Sie ein bißchen stö
ren?« fragte Ludwig, an das Bett
tretend.
Ein seines, liebenswürdiges Lä
cheln zog iiber die Züge des Kranken.
»Sie können mich ruhig ansassen,«
erwiderte er. »Alles heil, nur der
Kopf, der Kon tut so weh.«
»Gewiß,« murmelte Ludwig trö
stend.
,,Ob ich je wieder werde sehen tön
nen?" sagte der junge Osfizier, wär
rend die Truge zurecht gemacht wur
de. »Ich war so stolz aus mein
Auge! Jch sah wie ein Falle. —
Jch war Fliegerossizier,'« fügte er
hinzu.
Ludwig zog sich das Herz zusam
men. Ein Fliegerosfizier! Hoch
durch die Lust war er gezogen, tief
unter ihm die Welt in leuchtenden
Sonnenschein getaucht, uno jetzt!
Vielleicht blind!
-,,Die Kunst unserer Aerzte ist ja
groß,« versetzte er. »Wir haben hier
eine hochberühmte Augentlinit."
,,.hofsen wir das Beste!« erwiderte
der Verwundete.
Mit leichten und geschickten Grif
fcn hatten Ludwig und seine Kame
raden ihn indes aufgehoben, und die
Truge schwankte fort.
»Ach, meine Brieftasche!« rief der
junge Ossizier, als er schon im Auto
lag, ,,sie liegt unter dein Kopslissen.
Seien Sie so sreundlich.«
Ludwig sprang noch einmal in den
Wagen und nahm die Brieftasche an
sich. Ein Brief fiel heraus; Ludwig
bückte sich, sah unwillkürlich auf das
Schreiben, L- tvie? das war doch die
Handschrift seiner Braut? »Deine
Jema,« las er als Unterschrift. Je
der Zweifel mußte fchtviidem ·Er
wollte nichts sehen, aber die letzten
Zeilen sprangen ihm förmlich ins
Auge: »Wenn auch unsere Wege sich
trennen, Du weißt, wie unbeugsam
mein Vater ist, wie überempsindlich
stolz bei dem bloßen Gedanken, man
könnte ihm oder mir ein Eindriingen
in gesellschaftlich höher gestellte Kreise
"vorwerfen, wenn ich apch so einem
Manne folgen muß, den ich nicht
liebe,,Dich Konrad, werde ich nie
J vergessen l«
Ludtvig war zumut, als habe er
einen Schlag betomnien, als gehorch
ten ihm die Glieder nicht mehr. Er
sprang aus dem Wagen, taumelte,
daß einer seiner Kameraden stützend
zugrisf, dann reichte er die Tasche
dem jungen Offizier, der sie auf
seine Decke legte. Ludwig schloß
leise die Tiir des Autos.
« .,,An den nächsten Wagens« rief er
mit einer fieberhaften, ganz unge
wohnten Lebendigkeit.
Standenlang ging die Arbeit.
Ludwig war überall, er strengte sich
bis zum äußersten an, nur um das
bohrende Gefühl in seinem Herzen
zu betäuben- Umsonst.
" Endlich war die Arbeit getan, es
ging— schon auf Mittag. Ludwig
setzte sich, um auszuruhen, auf das
Trittbrett eines Wagens-, todmüde,
noch mehr seelisch erschöpft als kör
Perlich.
Wie der Nuß niederschlug, wie der
Regen von den Wagendächern tropstel
Ein poesieloses Stückchen Welt, solch
Gilterbahnhof Und doch nicht ganz
ohne Poesie. Seine Gedanken
sprangen ab. Was- wollte er eigent
lich, was verlangte er anderes-, alH
diese triste Umgebung ihm bot, Ar
beit, Ungemach und Entsagens
Warum fühlte er sich so unsäglich
elend? Was hcttte er verloren-X
Nichts-. Denn die Liebe seiner Braut
hatte er nie besessen. Ein feineH
Gefühl sagte ihm das von Anfang
an. Er mußte erröten, daß er da
gegen taub gewesen oder sich taub
gestellt hatte
Es war eine große Zeit jetzt, voll
Erhebung, voll Aufopferung Jener
junge Ofsizier hatte das Opser sei
nes Augenlichtes bringen müssen,
er, der Fliegen gewohnt, sich im gol
denen Sonuenlicht zu wiegen, mit
unendliche-m Blick iu die Weiten!
Und trug es mit Fassung. Und er«
er tiimniette sich hier und verzagt-«
konnte nicht den Entschluß finden,
zu saaeuJ Sei frei! Ein anderer
bedarf deiner ivirtlich und mehr als
ich!
Die Kolonne riiclte ob, in sestem
Tritt. Ludlvig wurde bei dein siche
ren Mai-schicken ruhiger und ruhiger.
Zu Hans angetoininen, setzte er
sich vor seinen Schreibtisch, es lvak
in ihm ganz still geworden, ganz
llar. Er schrieb ein paar kurze Zei
len: »Liebe Jrina, Deinen Vater lei
tete, als er unsere Verlobung gut
hieß, kein richtiger Gedanke. Jch
siihle, dasz Dein Herz einem ande
ren gehört. Ein Zufall hat niir die
Gewißheit gegeben. Dei-, dein du
gehörst, ist hier, iin Laznrett Fort
an bist Du sein Sonnenlicht, das ich
ihm nicht nehmen noch neiden will.
Vielleicht leuchtet auch mir noch ein
mal die Sonne. Leb’ wohl, sei
glücklich Denie meiner freundlich-«