Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 27, 1913, Image 7

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    So heschiistigte sich das Personal
von Rodenhorst ohne Unterlan mit
der durchgebrannten Herrin, und ob
gleich die Wege von einem Nachbarn
zum andern ziemlich lang war-n, so
drang die Kunde von der Flucht der
- Baronin von Lüderitz doch mit Win
deseile in die Umgegend.
Herr vrn Siemens kam ganz atem
los ins kleine idyllische Schweizer
höuschen zu den Geschwistern Boh
stedt angesetzt.
.Erharmt euch, wißt ihr schon?!«
Gott im Himmel, das war ja
schrecklich. Und Liselotte Ollenschläs
ger, hesand die sich denn jetzt ganz
allein mit dem Baron? Sie hatte
sich vor einiger Zeit schriftlich hei
ihnen entschuldigt. Sie könne nicht
kommen, weil man den Umgang mit
der Baronin meide. Es wäre ihr
peinlich, in Kreisen zugelassen zu
werden, die ihrer her-tin verschlossen
wären.
Damals war Frau von Bohstedt
im höchsten Grade empört gewesen;
heute war sie geneigt, dem jungen,
irregesiihrten Mädchen auch diese Ex
travaganz, des Bruders wegen, zu
verzeihen.
»Ich werde mich morgen mal nach
der kleinen Ollenschläger umsehen,
Guido,« sagte sie wie tröstend zu
diesem. »Ich dringe sie mit, verlaß
Dich daraus. Sie weiß sonst so ge
nau, was sich schickt, hier wird ihr
Begrisssvermögen sie hossentlich nicht
im Stiche regens
Die also Betrtttelte erwog verweis
len start den Tag ihrer Abreise. Es
war selbstverständlich dasz sie nicht
liinger bleiben konnte. Doch hatte
sie durchaus leinen Grund, gleich
der Baronin, Rodenhorst in fliegen
der Eile zu verlassen. Sie befand
sich unter dem Dache eines Edelman
nes von vornehmer Gesinnung. Wo
zu also fliehen?
Sie beschloß, an Onkel Max zu
schreiben, ihm alles llarzulegen und
um seinen Rat zu bitten. Sie war
gewiß, er würde keinen Augenblick
säumen, sie zu holen.
Sie wollte jedoch mit der Ab
sendung ihres Briefes noch einen Tag
warten, da Baron von Lüderitz sei
ner Frau gerne einen Vorsprung las
sen wollte. Er zweifelte ja natür
lich fest nicht mehr an der Schuld
Giselas. Bei einem abermaligen Ber
hör der Jungfer, welches der Baron
am Nachmittag mit dieser vornahm,
stellte sich voraus, daß die Baronin
tatsächlich am sechsten Oktober ver
reist gewesen«
Da der Gutsherr derzeit gerade
siir einige Tage zu einer landwirt
schaftlichen Sitzung in Flensburg
weilte, hatte er natürlich teine Kennt
nis von der Abwesenheit seiner Frau
gehabt
Binzenz von Litderitz billigte das
Vorgehen Liselottens, am folgenden
Tage ihrem Ontel, dem Regierungs
rat, den Fall vorzutragen; er selber
beschloß, ihrem Schreiben ein paar
Worte beizufügen Es konnte ihm
nur angenehm sein, sich mit einem
an der Sache Beteiligten, und zwar
mit einem ersahrenen Manne zu ver
binden, um die erforderlichen Schrit
te gemeinsam zu unternehmen.
Der Brief an den Regierungsrat
wurde länger, als Liselotte beabsich
tigt. Gab es doch so manchen Punkt,
der der Erörterung bedurfte.
Bei Tisch tms sie mit dem Baron
zusammen, dem sie erklärte, daß ihr
Brief fertig sei und nur seiner Ein
lage bedürfe.
Diese lag zur Verfügung, so konnte
der Brief geschlossen werden. Der
Gutsherr wollte ihn am Nachmittag
selbst besorgen, da er in die Stadt
zu reiten gedachte. Noch aber war
er nicht fort, als die helrnhausener
Eauipage vorrollte.
Der Gutsherr hatte Herrn von
Siemens darin vermutet, toar also
erstaunt, als eine Dame dem Ge
sährt entstieg.
Lilelotte, die sich allein im Salon
befand, wechselte die Farbe.
»Frau von Bohstedt«, murmelte sie,
unangenebm berührt.
Diese hatte dem Diener ihre Karte
übergeben Jbr Besuch galt Fräu
lein Lllenlchlägee
Liselotte trat der Bekannten
sreundlich gemessen entgegen. Sie
hatte nichts gegen die Dame, doch
empfand sie deren Kommen gerade
zu dieser Zeit als eine Ausdtinglich
keit.
»Ja, ja,« sagte Frau von Boh
stedt, Liselotte freundlich aus die
Wangen klopsend, »wenn Madam
med nicht zum Berge kommt, kommt
der Berg zu ihm. Jbr Schreiben
bat mich befremdet. liebes Kind.
Weshalb kamen Sie nicht zu mir?
Daß diese Frau, die Sie Jhre her
rin zu nennen beliebten, keinen Zu
tritt zu der Gesellschaft hatte, stimmt
wohl nicht ganz. Man ist ihr, so
viel ich hörte, des Baronl wegen
freundlich, wenn auch reseroiert ent
egengekommen. Daß sie sich nicht
gebaupten konnte, ist eine Sache sür
sich. Und die Aissre mit meinem
Bruder, —- na, meine Liebe, so nach
träglich sind wir nicht. Ich balte
es siir meine Pflicht, die Hände ein
wenig schlißend liber Ihr hanpt zu
breiten; Sie waren hier schlecht un
iergebracht.«
«Gniibige Frau, ich danke anen
siir Jbr Jnteresse,« sagte Liselotte,
nnd ohne das sie es beabsichtigte,
klang ei kiibl und ablehnend. ,
»Na und nun, kleine Unschuld,
fällt ja auch die Rücksicht auf vie
Baronin weg,« fuhr Frau Von Boh
stedt fort. »Dieser Sman Mein
liebes Kind, hier können Sie nicht
bleiben, was würde Jbre Frau Mut
ter sagen. Oh, oh, es wäre zu
schrecklich wenn Sie erführe, daß
ihre Tochter die Untergebene einer
ehemaligen obskuren Sängerin gewe
sen ist. Ich nehme Sie mit, liebe
Liselottr. Siebeln Sie wenigstens
für die ersten Tage dieses schotierens
den Ereignissed zu uns über; bei
uns läßt sich Jhre Zukunft leichter
chauen.«'
«Gniidige Frau, ich sagte Jhnen
schon, wie sehr ich Ihnen für Jhr
Interesse dankbar bin. Das Recht.
iiber mich zu versitgen, behalte ich
mir aber unter allen Umständen
selber vor. Natürlich kann ich hier
nicht bleiben, da man meiner Dienste
nicht mehr bedarf. Onkel Max wird
in den nächsten Tagen herkommen
und mich holen.«
Das sagte Likselotte ruhig, aber
dennoch merkte Frau von Bohstedt,
daß sie erregt war. Natürlich war
Guido der Grund ihrer Weigerung.
Das Mädel war einfach nicht klein
zu kriegen. Könnte eine so bevor
zugte Stellung in der Welt einneh
men und butnmelte nun wieder vo
gelfrei umher, jeder Unbill des Le
bens preisgegeben.
Das Gespräch berührte nur ober
fliichlich die Flucht der Baronin.
Frau von Bohstedt nahm in begreif
licher Neugier ein reges Interesse an
dem Falle während Liselotte zurück
haltend antwortete.
» Die Baronin sah ein, daß ihr Be
Isuch erfolglos blieb, und da sie auch
onst keineswegs aus ihre Rechnung
kommen würde, was ihren übergro
szen Wissensdurst betraf, so empfahl
sie sich bald, ohne jedoch den Unmut
zu zeigen, den sie durch die ableh
nenre Haltung der verarmten hoch
tniitigen Kaufmannstochter empfand-.
Am folgenden Tage befand sich
Liselottenö Brief in Max Lllenscbla
gers Händen. Der Regierungsrat
konnte sich nicht erinnern, je in sei
nem Leben so lonsteruiert gewesen zu
sein« als beim Lesen dieses seltsamen
Briefes. Er wäre unfehlbar sofort
zum Kriminaltommissar geeilt, ihn
von der Wendung der Dinge in
Kenntnis zu setzen, wenn nicht der
Gutsherr von Rodenhbrst um seinen
sofortigen Besuch gebeten. Auch Li
selotte legte ihrem Onkel besonders
ans Herz, leine Schritte zu unter
nehmen, bevor er nicht mit ihr und
dem Baron Rücksprache genommen,
und sich selber überzeugt habe, daf;
betreffs des Briefbeschwerero teinerlei
Zweifel obwalten konnte.
Das leuchtete dem Regierungsrat
ein. Natürlich bevor in der Mord
sache abermals Staub aufgewirbelt
wurde, mußte man sich über die
Jdentität der Vriefbeschwerers voll
ständig klar sein.
Sechzehntes Kapitel.
Es mochten eben fiinf Tage seit
dem ersten Besuche Philipp Scheu
rers bei dem Kunstmaler Hugo
Litfrentz vergangen sein, als- der er
stere mit Betrübnis inne- ward, daf
die zwanzig Mart bis auf ein weni
ges zusammengeschmolzen waren. Er
hatte nicht geschlemmt, Gott bewahre,
dazu war er zu vernünftig, über
haupt auch nicht in der richtigen
Stimmung gewesen. Sein Manne
saf, da eingekerlert hinter den schiert
lichen vergitterten Fenstern, ach, Phi
lipp Scheurer konnte sich sehr wohl
in die Qual seines Sohnes hinein
dersetzem gerade weil ihn bereits ein
gleiches Schicksal getroffen hatte.
Rein, geschlemmt hatte er nicht·
Es war dennoch kein Wunder, daß
das elende Goldstück nicht länger ge
reicht. Da war die rückständige Mo
natsmiete zu bezahlen gewesen. Wa
ren es auch nur lumpige zehn Mari,
die diese Miete aus-machte, sie ver
schlang doch schon die Hälfte des kost
baren Gewinnes Und Philipp
Scheurer sah bei aller Vernunft und
der Sorge um seinen Sohn nicht ein
warum er auf den Oungerpfoten
saugen und bei diesen greulichen
Stürmen da draußen auf der Bör
senbriicke den ganzen Tag stehen und
seine Ansichtslarten zum Verkauf
anbieten sollte. Er mußte sich ent
schieden ein wenig schonen, er war
ein alter Mann. der nicht mehr diel
Widerstandsfiihigkeit der Jugend beis
saß.
Er hätte sich auch nicht mit einer!
so kleinen Summe abspeisen lassenH
sollen. Wie lange reichten dennj
zwanzig Mark? Ader die besten Ge-?
danken kommen immer erst hinterher.!
Jetzt war Philipp Scheut-c kinl
wenig klüger geworden. Zu seiner-i
Entschuldigung mag dienen, daß er
sich, wenn auch in mancherlei Situa
tionen im Leben, so doch noch nicht
in der Rolle eines Erpresserö erprobt
hatte. Und da der erste Versuchl
einen günstigen Ersolg erzielt, sos
mußte er zu einer zweiten Attacke;
auf den Geldbeutel des Malert vor
sgehen Und zwar mußte hung
JLasrentz es möglich zu machen su-(
lessen, ihm mit einer anständigen
»Am-me unter die Arme zu·greisen.
Mit ein paar hunderten ließ sich
sen-as anfangen. Mit einigen Bar
mitteln könnte man ein profitableres
Geschiistchen machen, als mit leeren
Geschen. Das würd. Tit Maler be-»
greifen, und es lag natürlich in sei
nem eigenen Interesse, den Mahner
nicht so ost an der Tür zu haben.
Zwanzig Mart für die Wahrung
eines so eingreisenden Geheimnisses
es war geradezu lächerlich. Hugo
Lastentz hatte auch wahrscheinlich
nach seinem Fortgang den genügsa
men Alten ausgelacht.
Wenn sich aber heute so drei- bis
vierhundert Mark herausschlagen lie
ßen, dann würde er lachen, er, Phi
lipp Scheurer.
Also en avantl
Da stand er denn nun heute wie
der einmal vor der Tilr der Frau
Lambert, die Glocke mit weit berech
laiåzterem Gefühl ziehend als das erste
al.
Und wieder, wie vor süns Tagen,
öffnete die alte würdige Wirtin.
»Ich möchte Herrn Lastentz spre
chen,« erklärte er ohne viel Um
schweise. »Dars ich eintreten?«
»Herr Lastentz ist nicht mehr da,«
sagte daraus Frau Lambert, wäh
rend aus ihren Augen die reine Scha
densreude über das enttäuschte Ge
sicht des schädigen Alten leuchtete.
»Nicht mehr dal« wiederholte sce mit
innerer Genugtuung.
. »Wie ist das zu verstehen? Jst er
aus ezogen?« fragte Scheurer.
Äq, mein Herr! Er ist Knall und
Fall vor zwei Tagen abgereist.
»Abgereist? Wohin?«
»Meis; ich nicht! Geht mich auch
nichts an! Da er mir die Miete sür
diesen und den kommenden Monat
bezahlte, konnte er gehen, wohin er
Wollte.«
Philipp Scheut-r mußte also mit
einer langen Nase wieder abziehen.
Jrn Hinuntersteigen der Treppe
dachte er darüber nach, oh das ganze
wohl eine Finte sei. Tie Frau hatte
ga? zu vergnüglich aus-gesehen. Frei
lich, Schaden war ihr nicht aus dem
Wegzuge ihres Mietgherrn erwachsen,
Haber immerhin ist es doch tein plä
sierlieher Vorfall, wenn man aufs
Vermieten angewiesen ist.
Als er unten aus der Straße stand
und seinen Blick iiber die Front des
Hauses schweifen ließ. sah er jedoch,
daß die Aussage der Frau wkumr
heit beruhte; denn an dem Fenster
ihrer Wohnung war bereits die Fur
te: Hier ist ein Zimmer zu vermieten!
ausgehängt
Donner und Toria8 So wir er
hintere- Licht geführt worden. So
hatte ihm die Liliitwisserschast eines
großen Gebeimnisses nur zwanzig
Mark eingebracht
»Pbilipp, «t2bilipp!« saqte er sich,
»so ist Dir’s nun tatsächlich immer
im Leben gegangen. Du wolltest
das Fett von der Euppe abschdofen,
allein der Löffel entsiel Deinen Hän
den. Pechvogel!«
« Er war in sehr ungerniitlicher
Stimmung, als er mit leeren Ta
schen seiner Behausung wieder zu
schritt.
Knall und Fall abgereist. Schon
seit zwei Tagen. Der Kerl hatte sich
in Sicherheit gebracht; nichts desto
weniger beschloß Philipp Scheurer.
dass jetzt wertlos gewordene Schrift
stiick der Polizei in die Hände zu
spielen.
Anonym selbstverständlich Mit
einigen erläuternden Worten in ver
stellter Handschrift
Sofort nach seiner Rückkehr setzte
er sich hin und schriebt
»Einem hochwohllbblichen Peli
zeiamt die Mitteilung, daß bei
solgender Brief durch Zufall erst
heute in meine Hände gelangte
Ich stelle denselben zu Jhrer Ver
sügung.
Einer, der nicht in den Fall
Hunn vermittelt werden
rnijchte.«
So, das genügte.
Nun mochte die Polizei ihre Fühl
siiden gesälligst nach einer anderen
Richtung augstreclen Dann hatte
die plögliche Abreise des Malers doch
wenigstens das Gute, daß sein Män:
ne dadurch entlastet wurde.
—----——-—-----.
Kritninaltomrnissar Penl las ge
rade mit hochgezogenen Augenbrauen
den Bries mit der vielversprechenden
Einlage, als ihm zwei Herren ge
meldet wurden. Er gab Befehl, sie
hereinzusiihren, trotzdem ihm die Un
terbrechung leineswegö angenehm
wur.
Als er jedoch einen Blick aus die
Eintretenden geworsen, verschwand
die Unmutssalte aus seiner Stirn so
sort; er hatte den Regierungsrat er
tannt
Dieser stellte seinen Begleiter vor.
»Den Baron von Liideritz aus
Lindenhorst in holstein.'«
»Nun-M dachte Pent. Er be
trachtete, während er sich verbeugte,
den herrn schars, der sich in Beglei
tung des Regierungsrates im Art-!
minaltornrnissartat einstellte und je-;
densalls mit dein Falle Dann in
Verbindung zu bringen war.
—’
Diejenigen, welche oenj
»Am-san ä- dewlv« per Te-l
lephon nahm-uer wünsche-h
oder Drucatbeum zu thun
habet-, mögen dies unter ver
Telephonnummer »535« be
sorgen.
t
i
»Was verschafft mir die Ehre?"
fragte der Kriminittcmmissnt »Bit
te, nctxignen die -««J»-«::-c-ngefälligftPlntz.
Jch vermute. Ihr Kommen betrifft
den Homer Mordfnll.«
»Das tut e5,« erwiderte der Re
gierungsrat »Und ich muß geste
hen, es ist mit ungeheuer peinlich,
daß diese traurige Azsietegenheit noch
immer nicht auftritt-Tit ist. Gott
mag wissen, was uns noch fär»
Ueberraschungen bcvzrftehen Tscr
Fill wird immer verwickelter.«
»Da haben Sie recht,« bestätigte
der Kommissar. »Ich meinte, ich
hätte mit der Verhaftung des Die
ners Scheurer einen so guten Griff
getan, und nun erhalte ich soeben
ein Schreiben, das mich wieder wein-«
tend macht. Aber davon später. Erstt
zu Ihrer Angelegenheit, meine Her-J
ren.«
»Es ist ein sehr betrübende-: Vor-»
full,« nahm jetzt der Baron dasf
Wori, »der mich zu Ihnen führt und
möchte ich Sie dringend bitten, we-»
nigstens vorläufig, meine Mitteilung;
distret zu behandeln — soweit das!
«angaagig ist«
« »Sprechen Sie ungeniert, Herr
Baron. Die Polizei ist dislret.«
»Es betrifft meine Frau, Herr
Kommissar —«
» Der Kommissar horchte auf. Sein
Erstaunen war fo groß, daß es deut
lich auf feinem Gesicht ausgeprägt
Iroat obgleich der gewandte Krani
nalift sich sehr in der Gewalt zu ha
ben pflegte. (
»Jhre Frau Gemahlin, Herr Ba
ron?«
»Wie ich sagte. Und zwar befand
sich in ihrem Besitz ein Briefbefchwe
rer von seltsamer Ausführung, der
ider ermordeten Frau von Hunn ge
hört hit nach Aussage des Regie
Irunazrats und dessen Nichte die sich
,feit turzem als Gesellschafterin in
meinem Haufe befindet. s
»Aber Herr Baron,« unterbrach
der Kriminaliommissar den Spre
cher. »da wäre doch vorerst Jbre
IFrnu Gemahlin darüber zu verneh
men auf welche Weise sie in den
Beitz des Briefbeschwerers gebar-l
«
men.
i ,Das ift leider durch die plötzliche
Flucht meiner Frau unmöglich ge
hworden i
i .,Wis? Die Baronin hat Sie ver-i
lassenkl Darf ich fragen, ob der;
Grund dieser Flucht in ehelichen
Zwiitiateiten zu suchen ift?" i
i ,,.sieinesweas, Herr Kommissar Jch
swerde Ihnen den Heraana berichten« »
Ter Kriminaltommissar aufchte
mit unaeteiliem Interesse W.ihrlich,f
der Horner Fall lag kompliziert«
Diese wild durcheinander laufenden
Fäden zu entwirren, lohnte fich. Al
lein, würde es möglich sein?
»Das ist ja eine sehr merkwür
dige Geschichte, Herr Baron, die Sie
mir da soeben erzählt haben,« sagte
er« nachdem Baron von Liideritz ge
endet. ,,2el;r merlmiikfria, in der
Tat. Bedauerlich ift es ja aller
dings, daß die Varonin einen Vor
H
sspruna von mehreren zagen hat, ich
»tierde dennoch sofort alle Hebel in
Bemeguna letzen der Fliichtiaen liab
lixft zu werden Zu diesem Zwecke
itsiichie iih uin eine genaue Personal
Erschreihuna bitten«
Die wurde gegeben, der KriminaLH
tcsiiimisiar machte sich seine Notizenti
»Noch heute wird die Staatsamt
triilischast Don der Wende-net der;
Tinge in Kenntniss gesetzt werden,«s
s.-—1,te er. »Sie tdnnen uns mergein
iin Laufe des Taan erwarten: ichä
werde genötigt sein, in Ihrem Hauses
Iserhöre dominehnien.« s
»Das- h.ihe ich vor-.nisgesehen,«s
eisigegnete Vintenz von Liioeritz rusj
dri. »Da-J Recht mus; seinen Gang
ziehen. Man mufi da sein eigenes
Rinpfinden hintenan setzen«
»Wir werden so schonend wie mög
lich verfahren, Herr Baron,« sagte
der Beamte höflich. »Dort) vertenne
ich nicht das Peinliche das einem
gerichtlichen Verhör Jhnen gegen
iiber nnhafiet.«
»Ich muß es ertragen,« sagte der
Baron resignieri.
,,Befindet sich das Fräulein noch
in Jhrem Hause, Herr Baron?«
»Ja. Noch ist sie anwesend, sie
gedenkt jedoch nach meiner Rückkehr
mein Haus zu verlassen.«
»Sie darf nicht fort, Herr Baron,
bevor die Staatsanwaltschaft ihr
Verhör beendet. Wir bedürfen ihrer
lzlussagen.«
»Sie wird natürlich zur Verfü
gung stehen,« erklärte Lüoeritz.
Der Regierungsrat legte den
Briefbefchwerer vor dem Beamten
hin.
»Wir haben das Cur-pas etc-liess
gleich mitgebracht«, sagte er.
»Das ist gut«, rief der Kriminals
kommissiir Pent aus, und griff nach
dem sonderbaren Exemplar. »Ein ei
genes Ding. Jch sah nie so etwas.
Kein Wunder, daß dieser Briefbe
schwerer dem Fräulein sofort in die
Augen fiel. Um so mehr als er im
Nachlaß der Ermordeten bereits ver
mißt wurde. A propos,« unter
brach sich Pens, »da fällt mir ein, ha
ben Sie zufällig den Brief hier, der
Jhre Frau so eilig zu ihrer Abreise
zwang?«
»Allerdingö, ich wollte ihn Jhnen
sur Verfügung stellen. Leider kenne
eh weder den Namen des Schreibers,
noch den Ort, aus welchem der Brief
k-I.i«n-.t« da das- Kstvert v r’vren apum
net. nnd die Tslrx-eile1«fr-1.n. sur-N deren
Lande der Vrieizreiiiel ging, gleich
falle darüber keine Auskunft zu get-en
vertnag.«
,,Veilleicht könnten wir das sosort
feststellen. Hier, dieser Brief ist mir
soeben übersandt worden. Da nach
Aussage der Jungfer die Baronin
eine Reise an: sechsten Oktober un
ternommen hat, musz angenommen wer
den« daß sie sich hier am Orte be
funden. Aus welchen Gründen, tut
vorläufig nichts zur Sache. Daß sie
aber im Hause der Ermordeten gewe
sen« scheint gleichfalls Tatsache zu
sein, da sie im Besitz des der Dame
gehörenden Briesbeschrverers war.
Nun ist am sechsten Oktober, also an
dem Todestage der Frau von Hunn,
bei dieser ein Herr Namens Hugo
Lastentz zum Besuch gewesen, wie aus
der Einlage, welche dem annonymen
Schreiben beilag, zu ersehen ist. Da
seine vollständige Adresse in seinem
Schreiben an Frau von Hunn ange
geben, ist es uns möglich, dieser Sache
näher zu treten. Gleichen sich die
Handschristen der beiden Briefe. ich
meine den an Frau von Hunn und
denjenigen an Jhre Frau Gemählin
gerichteten, so liegt es aus der Hand.
daß wir es hier mit ein und derselben
Person zu tun haben, und somit nicht
nur der so lange in mysteriöses Dun
kel gehüllte und von uns so sehr ge
suchte Besuch in der Horner Villa sei
ne Aufklärung gefunden, sondern uns
noch weitere interessante Enthüllungen
bevorstehen.«
Ein Ah entrang sich den Lippen des
Negierungsrats, während der Baron
diister vor sich hinstarrte.
»Es wäre demnach anzunehmen,
daß auch Herr Lasteny nicht mehr
hier am Orte anzutreffen ist-J ve
merkte der Kriminaliommissar.
Er hielt die beiden Schriftstücke
nebeneinder· Die Aehnlichkeit der
Handschriften war so täuschend, daß
ein Jrrtum gänzlich ausgeschlossen
blieb und man nicht erst einen
Sachverständigen zu Rate zu ziehen
brauchte.
»Wir haben den Schuldigen!" rief
der Kriminalkommissar impulsiv aus·
,,Sehen Sie, meine Herren, überzeu
gen Sie sich selber.«
Die Herren nahmen das ihnen
überreichte Schreiben in die Hand.
Es lautete: »Seht geehrte Freun
din! Jch werde von Ihrer gütigen Er
laubnis am sechsten Oktober um sechs
Uhr Gebrauch machen, und nur, wenn
Tag und Stunde Jhnen nicht passen
sollte, bitte um gefl. Mitteilung. Jhr
tief ergebener
Hugo Lafrentz.«
Dann folgte die Adresse.
»Die Handschrift ift dieselbe«, er
klärten die Herren, nachdem sie die
beiden Schreiben verglichen, wie aus
einem Munde.
»Ist der Mann auf und davon, so
schwindet der letzte Zweifel, dasz Herr
Hugo Lastentz nicht nur der Verfüh
rer Ihrer Frau Gemahlin ist« son
dern auch mit der Mordtat in en
gerem Zusammenhange fteht«, konsta
tierte der Beamte-. ,,Wollen wir hof
sen, Herr Baron, daß Jhre Frau
keine Schuld trifft, und daß wenig
stens dieser Kelch an Jhnen vorüber
gehen wirr.«
,,Wa"5 auch immer kommen mag«,
entgegnete Baron von Liideritz, ,,bier
kann keine Rücksicht gelten. Sie haben
Jhre Pflicht zu tun, Herr Kommis
sar.« Der Vaan erhob sich.
»Ich glaube, wir sind hier sertisg«,
sagte er.
Vorläufig ja, Herr Baron«, be
stätigte der Beamte-. »Ich werde so
fort die erforderlichen Schritte vor
nehmen. Vlns Wiedersehcn in Moden
horst.«
Nachdem die Herren das Lichts-bu
reau verlassen, entfaltete Pent eine
rege Geschäftigkeit. Ein Geheimpoli
zist wurde nach der Wohnung des
Maler-S geschickt; man mußte, bevor
der Draht in Bewegung gesetzt wurde,
natürlich wissen, ob man nur gegen
die Baronin Lüderitz vorzugehen hat
te, oder ob der Schreiber des Briefes
an Frau von Hunn mit in Betracht
kam.
Mit dem Landrichter Bebensee be
schlon Pent persönlich Rücksprache zu
nehmen.
Ungeduldig harrte der Minimal
kommissar der Rückkehr des Boten.
Er blickte in nervöser Ungeduld auf
die Uhr; es war wirklich merkwürdig,
wie lange eine Minute dauern konnte.
Nur widerwillig schien der Zeiger vor:
wärts zu rücken.
Eigentlich hätte er den Geheimpo
lizisten noch gar nicht zurückerwarten
können, aber da war er schon wie
der. »
Wie vorauszusehen, —- hugo Las-s
rentz war weg. f
»Was ist das für ein Mensch,J
Timmi Jch meine, was betreith
eri« fragte Penk feinen Untergebe-?
nen. i
»Er ist Kunstmaler. Seine Wir-i
tin geriet in große Aufregung, als?
sie erfuhr, ich sei von der Polizei(
Sie versprach, mir die volle Wahrheits
zu sagen, doch war das, was sie wuß
te, gleich Null. Der herr hatte seit
un sähr neun Monaten bei ihr ge-.
wogent und war, als er zu ihr kam,;
gerade aus Amerika zugewandeet.« f
»Ein Auslönder'i« ;
»Nein, ein Deutscher, dersi eiiT
uige Zeit im Auslande ausgehal en.«I
»So! Mußte die Frau nichts iisek
den Bekanntentreis ihres Her-rni«
»Durchaus nichts! Es waren wes
Kollegen zu dem Maler gewme
lustige, heitere Gesellschaft Auch hi
und wieder ein Kunsthändler oder ir
gend ein Käufer seiner Bilder; jedoch
nicht allzu oft. Jm Grunde hatte
sich Herr Lastentz wohl einschränken
müssen.«
»Also das war alles, was Sie et
fahren konnten2«
»Doch nicht alles! Vor ungefähr
acht Tagen, — die Wirtin wußte
nicht mehr genau den Tag, war ein
älterer, würdig ausschauender Mann
mit großem, grauem Vollbart, im
übrigen in schädiger Kleidung, gekom
men und hatte den Maler zu sprechen
gewünscht.«
»Aha! Ra, und wag war mit die
fem?«
. »Der hatte wohl eine halbe Stunde
mit dem Maler hinter verschlossenen
iTüren verhandelt. Nach diesem Be
»such war Herr Lafrentz wie ausge
iwechselt gewesen.«
»Wieso?"
»Aufgeregt, unstiit, ganz geistesabi
»wesend.«
»Das ist ja interessantk
»Ja, und dann ist er nach einigen
Tagen abgereist.«
«Wohin?«
»Davon wußte die Wirtin nichts.·
»Timnr, Sie sagen ein älterer
Mann mit einem grauen Vollbart, in
schädiger Kleidung?«
Der Geheimpolizist lächelte ver
schmitzh
»Wissen Sie, wer das ist, herr
. Kommissar-P
! »Kan- brassc Ahnung.«
; »Philipp Scheurer!«
s »Was? Sie meinen den Vater des
Jnhaftierten?«
" »Eben den! Jch werde mich da
nicht irren. Die Beschreibung, die mir
die Frau gab, paßt auf den alten
Scheurer wie ein Steckbrief.«
»Nun, natürlich wird er es sein,
Timm«, bestätigte nach kurzem Nach
denken der Kriminalbeamte. »Natür
lich! Wer sonst denn hätte im Be
sitz des Briefes sein können. Jch
fange an, klarer zu sehen. Der Brief
ist in dem Kasten gewesen, und der
Alte hat, trotzdem Vater und Sohn
leugnen, dennoch von allem gewußt
und ist, wenn auch die Haussuchung
resultatlos verlies, doch im Besitze die
ses Briefes gewesen, den er zu seinem
Vorteil auszunutzen gedachte.«
»So wird es sein. Und da er
gestern das Goldnest leer fand, sandte
er den Brief, der ihm keinen Vor
teil mehr bringen konnte, der Polizei,
um wenigstens seinem Sohne zu nüt
zen.«
»Er war gestern wieder bei dem
Maler?«
»Ja, und soll äußerst verblüfft ge
wesen sein, als er von der Abreise des
Malers gehört.«
»Kann ich mir denken. Na, Philipp
Scheurer, Du wirst Dein blaues Wun
der erleben, wenn Du erfährst, daß
wir den Absender der anonymen Zu
schrift kennen. Vorläufig jedoch wol
len wir diese Sache aus sich beruhen
lassen, Timm, da wir keine Gewiß
heit haben, ob der Mann Ermessen
versuche angestellt hat. Der ist uns
sicher! Man muß die Flüchtigen
kriegen-· »
So flogen Telegramme nach allen
Richtungen, an alle größeren Städte
und Hafenvlätze. Penk begab sich nach
dem Gerichtggebäude, um mit dem
Landrichter zu verhandeln — —
Der Regierungsrat und Baron von
Liideritz hatten sich schnell aneinan
der angeschlossen Jhre Lebensan
schauungen stimmten harmonisch über
ein. Max Ollenschläger, ein durch
weg gefestigte-r Charakter, brachte dem
jüngeren Manne große Sympathie
entgegen.
Noch an demselben Tage, an wel
chem die Herren ihren Besuch im Kri
minalkornmissariate gemacht, fuhren
sie gemeinsam wieder nach Roderi
horst hinaus. Dem Gutsherrn war es
ein lieber Gedanke, den älterer» ersah
renen Mann in den schweren Stun
den des morgigen Tages an seiner
Seite zu haben.
Liselotte war hocherfreut, als der
Abend nicht nur den Baron, sondern
auch den lieben guten Onkel Max wie
der brachte. Jhr war das Herz zum
Zerspringen voll.
»Ach, wie gut, Lnkel Max, daß
Du mitgekomrnen bist«, so brachte sie
ihre Freude zum Ausdruck. »Vor
erst erzähle mir von Deinen Erlebnis
sen, hernach berichte ich von den mei
nen. Jch habe etwas sehr Frohes mit
zuteilen! Aber nach Dir, denn die
Nachricht, die Du heimbringst, ist von
weit größerer Wichtigkeit als die mei
ne, die schließlich nur meine eigene
Person betrifft.«
Der Regierungsrat erzählte kurz.
Vinzenz von Lüderitz war erblaßt.
Was konnte das junge Mädchen in
diesen wenigen Stunden für ein steu
diges Ereignis treffen, welches nur
ihre Person anging?
Sein erster Gedanke, überhaupt der
einzige, den er zu fassen vermochte,
war: »Sie hat sich verlobt!« Und
deutlich kam ihm der gestrige Besuch
Frau von Bohstedts in Erinnerung,
und besonders, daß Liselotte ihm ge
geniiber kein Wort darüber hatte ver
lauten lassen.
Entsetzung solgt)
De. C. A. Meter-, Heide Gebäude