Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 03, 1913, Zweiter Theil, Image 10

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    per Tag der ver
gelte-ag.
AUTOR-ex
(12. Iortsesungx
Ist-fees such.
Oberst Veering.
Einunddreißigstes Kapitel.
In Angst und Sorgen.
Bei seiner Heimtebr war es Stan
dopes erste Sorge, der Witwe seines
Vaters Mitteilung zu machen über
alles, was sein Herz in den letzten
Stunden so heftig bewegt hatte.
Flora stimmte ibm vollkommen bei,
baß es der unerwartete Anblick seines
Tobfeinbes gewesen sein müsse. der
thtem Gatten die Besonnenheit ge
raubt, seine hand. welche die Pistole
hielt, unsicher gemacht nnd so mittel
bar den unglücklichen Schuß veran
laßt habe.
»Ich werde Ihnen später alles noch
nauer berichten,« versicherte Stan
gkppy »aber jetzt muß ich Mary wie
versehen.«
»Sie haben recht, gehen Sie schnell
zu ihr,« rief Flora eifrig. »Das
arme Mädchen befindet sich in schreck
licher Aufregung-— aus welcher Ur
sache ahne ich nicht. Sie ist bleich
wie die Wand und schreckt bei jedem
Geräusch zusammen. Was sie quält,
will sie mir nicht anvertrauen, viel
leicht vermögen Sie ihr Gemüt zu
beruhigen.«
Aufs heftigste erschrocken eilte
Stanhope ins Bibliotetzimmer, wo er
Marh in unerllärlicher Angst seiner
harrend fand. «
»Welche Nachricht bringst du?« rief
sie ihm entgegen, »war jener Mann
ein Mörder oder nicht?«
»Er war meines Vaters Feind.
Der Schrecken, den er bei seinem;
vlößlichen Anblick empfand, hat ihnf
heftig erschüttert und so das Uns
gliick verursacht. Aber erfchofsen hat«
Oberst Deering meinen Vater nicht«
»Und war es das Zeugnis des ar-»
men alten Mannes, zu dem ich dich’
rief, welches Licht in das Dunkel
brachtei Hat ei den Obersten aus
dem Gesiingniö befreiti«
»Ja. einzig und allein; es war von
der höchsten Wichtigkeit.«
Sie schwieg einen Augenblick,
dann nahm sie alle Kraft zusammen.
»Hm sich der Oberst seinem Retter
dankbar erzeigt für den ihm geleiste
ten Diensif«
Stanhope fchiittelte den Kopf.
»Nein,« sagte er, »bei einer früheren
Gelegenheit hat sich der Oberst mit
dem alten Handwerker verfeindet,
und die beiden sind einander durch
aus nicht gewogen. Wir suchten ihr
Zusammentreffen zu verhindern, abers
es ifi uns nicht gelungen —- Marv,
Math, um Gotteswillen, was fehlt
dir? Du bist bleich —- einer Ohn
macht nahe — Flora, Flora!« —
»Still, still,«' flehte Marn, sich!
zusammenraffend. »Nufe niemand
— du allein tannft mir beistehen —
du mußt ihn retten. Länger darf
ich mein Geheimnis nicht bewahren.
Der alte Handwerker —- Stefan
Linse — ist mein Vater. Er
schwebt in furchtbarer Gefahr. denn
Oberst Deering ift sein Todfeind."
»Ist das möglich! Stefan Huse
s— dein Vater! So völlig unkennt
lich hat er sich gemacht! O, nun
weiß ich auch, Geliebte, warum ich
bei aller Freude so oft den Aus
druck stummen Entsetzens in deinen
Blicken las.«
Sie richtete sich mühsam auf und
plä»mechanisch Hut und Mantell
r.
l
»Wir müssen rasch hin zu ihm,«;
rief sie. »Er mag einwenden, was ers
will, aber ich lasse ihn nicht mehr;
allein, nun ihn fein Feind gefehenf
hat und weiß, wer er ist. Nichtf
wahr, er hat ihn wiedererlannt?« 4
»Ich fürchte es, Mart-. Die BH
deutung feiner Blicke und Worte war
mir nicht llat, aber jetzt verstehe ich
sie. Komm, Geliebte, laß uns zum?
Marsham-Platz eilen. Oberst Dee-»
ring foll deinem Vater kein Leid an-i
tun, fo lange mein Arm ihn be
fchiiten lann.«
i
——-——— i
Zweiunddreißigstee Kapitel !
Auge in Auge. i
Es war fchon Spätherbst, aber an
jenem Tage lag eine drückendex
Schwiile in der Luft. Ein Gewit-.
ter mußte im Anzug fein, bat ter-i
Iiindete auch das dumpfe Grollen am;
Mel und die düstere Beleuchtungs
die bereits in S an hufei Werk-»
tt schte. e abgezehrte Ge-.
t b sich nur wie ein gespensti
, iten von dein Dämmerlicht
der Umgebung ab.
Das Itab am Fenster drehte sich
heute nicht, aber doch vernahm man
äu lautes Sehn-irren in dein Raums
tun Thomas Daltons Maschine
M in vollem Sange auf einem
Seitenth « .
· sit dem Schlage drei Uhr trat
W in das Zimmer, finfter und;
— s« . Der jahrelang gefürchsx
by iia Mis« Sten- ist
. - ZU e » c
· - M ex. ais-W wie
angewendet hätten. um mir zu ent
fliehen-«
Bei dieer Worten fchien Stefan
Hase — oder follen rote ihn Thomas
Dalton nennen-plötzlich alle Furcht
zza vergessen. Mutia erwiderte er:
»Als vor fiinfzehn Jahren Ihr
»Auf an mich erging. Robert Deering,
Iwar ich zur festgefehten Stunde an
Idem bestimmten Orte. Der Betrug.
den Sie damals für gut fanden aus
Izuiiben, hat mich jeder Verpflichtung
enthoben, Ihrem Wink auch ferner
izn gehorchen. Sie ließen uns sagen,
Jdaß Sie im Sterben lägen. Die
IToten haben lein Recht mehr an die
Lebenden. Auch gaben Sie uns
durch Ihre damalige Botschaft deut
lich zu verstehen, daß wir ungehin
dert von dannen ziehen dürften.«
»Ihr Gefährte hat meine Worte
anders ausgelegt. Sobald er fah,
daß ich noch am Leben fei, gehorchte
er dem Befehl und zahlte die schuldi
ge Buße ohne Wider-rede —- oben
drein an feinem Hochzeitstage-«
»Samuel Whites Begriffe von
Mut nnd Ehre sind nicht die meinen.
Jch bin nur ein fchwacher, alter
Mann, der fein Leben liebt und feft
daran hängt.«
»Auch Sie selbst haben den Sinn
jener Botschaft wohl begriffen,« suhr
der Oberst unbeirrt fort. .Sie hät
ten sich sonst nicht in der ganzen
Zwischenzeit die jämmerlichsten Aus
sliichte erdacht, um der Strafe zu
entgehen, die Ihnen, wie Sie selbst
anerkannt haben, von Rechts wegen.
gebührtef
»Ich tat das, weil ich Ihren ver-«
ruchten Plan durchschaute weil ichs
Sie in Ihrem Versteck erspäht hattei
und wußte, Sie waren heil und ge
sund. Wenn sie uns an jenem Tage
gestatteten,das Haus lebendig zu ver
lassen, so war es, weil Sie sich noch
serner an unserm Jammer weiden
und ihr Spiel treiben wollten mit
unserm Elend· Sie bereiteten Jhrer
Rache nur einen volleren, glänzende
ren Triumph, wenn die Zeit anen
gekommen schien und Sie des War
tens miide wurden. Es war ein höl
lischer Gedanke, der mich mit Abscheu
ersiilltr. Einem ehrlichen Widersa
cher hätte ich mein Leben hingegeben
mit allem, was ihm Reiz verlieh;
einem Teusel in Menschengestalt, der
sich mühte, neue hossnung in unser
herz zu pflanzen. damit er
uns desto grausamer zerschmet
tern könne, wollte ich Troh bie
ten biö zum Aeußersten.. White
ahnte nichts von Jhrer Hinterlist und
sreute sich des neugescheniten Lebens,
das ich ihm nicht verbittern wollte.
So ließ ich ihn bei dem Glauben.
daß Sie tot seien; ich selbst aber
dachte aus Mittel und Wege zu mei
ner Rettung. Zum zweitenmal ber
änderte ich meinen Namen und suchte
mir einen neuen Wohnort in neuen
Berhältissen, wo ich hossen durfte,
mit meinem Kinde einsam und ab
geschlossen oon aller Welt leben zu
können. Aber Sie haben mich den
noch ausgespiirt und jetzt srohlocken
Sie über meine Niederlage; denn Sie
sind ein has-haften unbarmherziger
Mensch —- das wußte ich längst."
Die Arme über der Brust gekreuzt
stand der Oberst unbeweglich da.
»Ist es Jhnen gelungen. die Nar
be in Ihrer Hand zu zerstören oder
sind die Linien noch erkennbar?«
fragte er mit eiserner Ruhe. »Sie
wissen, was Sie gelobt haben, und
elende Feigheit ist es. wenn Sie auch
nur einen Augenblick zögern, den
Schwur zu erfüllen, sobald ich Ih
nen sage, daß Jhre letzte Stunde
gekommen ist· Reichen Sie mir Ihre
Hand, ob ich das Zeichen noch sehe.«
Allein Thomas Daltons Linie blieb
sest geschlossen.
»Dochten Sie etwa mich zu et
weichen und Jhrer gerechten Strafe
zu entgehen, als Sie mich durch Jhr
Zeugnis aus dem Gefängnis befrei
ten?" fuhr Deering fort. »Wie ta
men Sie gerade damals in die Nähe
des Whiteschen hauses?«
»Ich hatte Sie tags zuvor unter
der Menge gesehen; ich ahnte Jhre
Absicht und wollte meinen Schicksals
gefährten warnen. Es war jedoch zu
spät —- der Rächer hatte sein Opfer
bereits gesunden."
«Glaubten Sie, ich würde aus
Dantbarteit für Jhre hilse verges
sen, Gerechtigkeit zu über?«
»Nein; ich folgte nur der Stimme
meines Gewissens.«
»Jhtes Gewissensk hohnlachte
Deering. .Sind Sie im Lauf der
Jahre so tugenddoft gewordeni«
Sein Spott stachelte Dalton, zu
grimmiger Wut.
»Was-den Sie, in meiner Brust
sei jeder bessere Funken erloschen,
weil ich einmal, von hunger und
Verzweiflung getrieben, eine unselige
Tat begingi Auf hrer Seele lastet
lein Verbrechen, un doch würde ich
schwören, im Angesichte Gottes, des
fen Donner iider uns grollt, daß
heute in meiner Brust mehr Liede
für alles Gute nnd heilige wohnt,
als in der Ihrigen. Wer 25 Jahre
lang nur fürchterliche Rachegedanken
ini setzen hegt, weiß nichts mehr
den Tugend und Edelmui.'
»Sie sollten die Milde preisen,
mit der ich Sie die langen Jahre
hindurch straflos aussehen ließ fiir
das Verbrechen durch das Sie mir
alles eaubtzm spat ich aus Orden ne
HSÆdmmenmmip
Ibiißt es wäre tausendmal besser ge
wesen.'
«Miiglich; aber ich ließ Jhnen die
IWahl und Sie wollten leben utn
Ihre Reichtümer zu genießenf
I »Das ist mir nie gelungen.«
:EI lag auch nicht in meiner Ub
sicht«
»Aber meiner Tochter fallen sie
zugute kommen. Samuel Whites
Sohn und Marh lieben einander.
pöierin hat sich mir die Vorsehung
Jgnädig erwiesen. Werden Sie ihr
Glück ungestört lassen, wenn ich in
mein Verhängnis gehe —- oder er
streckt sich Jhre Rache auch aus mein
Kind?«
»Mit Weibern fechte ich nicht. —
Doch nun zur Sache: Sie haben Zeit
gehabt, Jhre Waffe zu wählen. Wol
len Sie auch zur Pistole greiseniP
»Wie gerne hätte ich Marh nach
einmal wiedergesehen,' sliisterte er
mit einem schmerzlichen Seufzer.
Da tönte ein Schrei hinter dem
Obersten und Mach erschien atemlos
aus der Schwelle ihres früheren Zim
mers, die Hände sleheno zu ihrem
Vater erhoben. Sie eilte an Der
ring vorbei und stellte sich lühn zwi
schen die beiden Männer.
»Meinem Vater dars kein Leid
geschehen, das nicht zuvor mich
trifft, Oberst Deering,« ries sie.
«Lange genug hat er Daß und Ver
folgung durch Sie erdulden müssen.«
»Sie irren,« entgegnete Deering.
»Von meiner hand droht Jhrem
Vater teine Gefahr. Geschieht ihrn
ein« Schaden, so hat er ganz allein
«Ebenso wie mein Vater in seiner
Todesstunde,« unterbrach ihn eine
andere Stimme.
Der Oberst wandte sich rasch und
sah Stanhope mit drohender Miene
ihm gegenüber stehen. »Man hat mich
in eine Falle gelockt, meinethalben —»
ich sürchte nichts,« ries Deering tin-sl
erschüttert. »Aber Sie, junger Mann,j
fragen Sie zuvor, welches Verbre
chen Jhr Vater begangen hatte und«
welche Schuld aus der Seele dieses
Mannes hier lastet, bevor Sie set
ner meine Wege treuzen und michs
hindern, unschuldig dergossenes Bluts
zu rächen.«
.Ein Verbrechen!« riesen Mary
und Stanhope wie aus einem Mun
de
»Ja, ein todwürdiges Verbrean
wiederholte der Oberst, unerbittlichi
wie das Schicksal. .
»Ich habe dich getäuscht, Mary,'
stammelte jegt Thomas Dalton in
bangem Weh. «Jch bin nicht derj
schuldlose Mann, sür den du michi
hältst. Der Gedanke an die Misse-.
tat, die ich beging — in alter Zeit,
vor deiner Geburt — hat mir all
mein Lebtag Schrecken und Grauen
bereitet. Jn blinder Wut tötete ichl
»halt,« ries der Oberst mit furcht
barem Ernst. «Laßt mich die Ge
schichte erzählen. Jch hege seinen
Groll gegen euch, ihr Kinder der
beiden Schuldigen. Hättet ihr nichtl
selbst gesucht, den Schleier zu lüs
ten, ich würde das Geheimnis langer
Jahre nicht enthüllen, um euch Din
ge zu berichten, deren Kenntnis euer
Glück nicht siirdern wird. Ihr beharrt
jedoch daraus, weiter zu sorichen und
zwingt mich, mein Schweigen zu
brechen. So will ich denn reden im
Namen der Gerechtigkeit, die ich ver
trete, und euch nichts vorenthalten.«
Verwirrt und bestürzt starrte Ma
rh ihren Vater an; Stanhope war
einen Schritt näher etreten und
blickte dem Obersten se ins Auge,
während dieser seine Erzählung be
gonn.
Trkiunddreizkgstes Kapitel
Jn der Sierra.
»Siebenundzwanzig Jahre sind es
her," hob der Oberst an, »du herrsch
te Schrecken in dem Lager, das eine
Gesellschaft Goldgräber am Fuß der
Sierra aufgeschlagen hatte. Jn der
Nacht war Schnee gefallen nnd die
iahlen BerggipseL deren Riesenmau
er sich gegen Westen erhob, ileideten
sich allmählich in ein weißes Gewand.
Es drohte sum Leichentuch zu wer
den für die elenden Menschen, die
in ihrer Not der Verzweiflung nahe
waren. Schon zwei Wochen zuvor
hatte ein Schreckensgespenft Einzag
gehalten im Lager —- der Man el
an Nahrungsmittelm Jmmer fe er
nisiete es sich ein und ließ sich nicht
mehr vertreiben.
»Die Gesellschaft bestand aus
zwölf Männern, von denen zwei ießt
vor euch stehen — und einem tleinen
Knaben von Zwölf Jahren —- inei
nem Sohn. E n gwiilfjähriges Kind
an diesem Ort des Grauens, der
beherzte Männer zittern machte! Er
hieß Bernhard und war ein schöner
Knabe. Alle Beschwerden, die wir
ertragen mußten, hatten ihm seinen
Frohsinn nicht getrübt, seinen Mut
nicht gebrochen. Auch der neuen Ge
fahr, die nnd sämtlich bedrohte, sah
er tiihn ins Angesicht und befchämte,
ohne es selbst zu wissen, die entmu
tigten Männer-.
Jch liebte den Knaben mehr als
mein Leben und wenn ich daran
dachte, daß ich. ihn selbst hierherge
siihrt in den gewissen Tod, so fluchte
ich dem Goldsieber, das mich betört
hatte, und gelobte, wenn er mir er
halten bliebe, keine nd mehr ant
iuM nach den g ßenden Schät
en nnd wenn rnir die Goldtinknpen
auch dicht vor den Füßen lägen.
Noch ein anderer Feind bedrohte
an jenem Tage unser Lager: die
Seuche. Vor einer Woche war unser
Führer gestorben; wir hatten nicht
gewagt, den Namen seiner Krankheit
aus die Lippen zu nehmen, aber wir
entstehen, sobald sein Atem stillftand.
jWir .lannten den Weg nicht, gerieten
In eine falsche Schlucht und verloren
:fechs kostbare Tage in der Jrre, sonst
iwaren wir schon jenseits der Berge
gewesen, ehe der Schneefall eintrat.
I »An jenem Morgen ward aber
mals ein Mann vom Fieber befallen;
wir sahen es mit Schaudern, aber es
war nicht das größte Uebel, vor dem
uns bangte. Die brennendste Frage
für den Augenblick war, ob wir den
Uebergang des Gebirges wagen oder
in der Schlucht warten sollten. bis
man uns Entsah und Hilfe schickte.
»Ich stimmte dafür. vorwärts zu
dringen, White ebenfalls und auch
— dieser Mann hier; aber andere
von den Gefährten schraien zurück
vor der Gefahr, denn der Schnee fiel
in dichten Massen. allmählich füllten
sich die Schluchten nnd Weg und
Steg ward verweist. Wer geben
wollte, mußte sofort ausbrechen, sonst
war leine Möglichkeit des Gelingens
für das Unternehmen.
»Die Gesellschaft beschloß. sich zU
teilen. Sechs Männer sollten über
das Gebirge gehen, die andern sechs,
unter ihnen der Kranke, in dem La
ger zurückbleiben. Zwischen den bei
den Gruppen bogen-» verhungerter
Gestalten stand mein tleiner Sohn
in der Mitte. Mit hellem Lachen, alg
gelte es ein fffröhliches Spiel, lief er
bald nach der einen, bald nach der an
dern Seite: »Welches ist meine Partei,
soll ich gehen oder bleiben«, fragte er
lustig. Als ich in vorwurfsvolletn
Ton seinen Namen ries, flog er wie
ein Pfeil auf mich zu und warf sich
mir an den hals. »Glaubteft du,
ich würde dich verlassen, Vaterli«
sagte er; »ich machte ja nur Span,
das tue ich so gern'.
»Von den kärglichen Lebensmit
teln, die vorhanden waren. gaben die
Zurückbleibenden für jeden von uns
einen tleinen Vorrat ab. Der Knabe
erhielt weniger, als ihm zukom, al
lein ich überging das mit Stillschwei
gen. Wenn wir nicht durch einen
besonderen Glückzzufall den richtigen
Weg fanden, waren wir doch alle dem
Tode geweiht, bevor wir noch die
Brotrationen aufgezehrt hatten. Vom
langen Fasten waren unsere Körper
triifte ohnehi-. dermaßen geschwächt,
daß die zitternden Füße uns laum
zu tragen vermochten.
.So nahmen wir denn Abschied
von unseren Gefährten und brachen
auf, White und der Mann hier, Dick
Vogt-ex ztoei Brüder aus Kentuckn,
ich selbst und mein tleiner Bernhard.
Kaum aber hatte ich einige Schritte
getan, da ward es mir duntel vor
den Augen, als sei die Nacht plötzlich
hereingebrochen, ich vermochte die
bleischweren Füße nicht mehr vom
Boden zu heben. Hilflos streckte Ich
die Arme aus, es war, als stürzte ich
in eine unergründliche Tiefe, und die
Sinne schwanden mir. Die Seuche
hatte auch mich ergriffen, und die
andern mußten ohne mich weiterzie
ben.
»Noch heute trage ich die Spuren
der furchtbaren Krankheit im Gesicht.
Sie raste mit dämonischer Gewalt
in meinen Gliedern. Neun Tage
lang lag ich in Fieberglut in der
kleinen Bretterhiitte, die man für
mich aufgeschlagen hatte. Als tch
endlich zum Bewußtsein erwachte und
die Augen öffnete, fiel mein erster
Blick aus meinen kleinen Sohn, der
bald jubelte, bald weinte vor Freu
de, daß ich ihn wiedererkannte.
»Er ließ nicht ab, mir die Hände
zu küssen und die Decke, welche mich
umhüllte; ich aber hätte vor Ent
sehen ausschreien mögen, denn ich
kannte seht meine Krankheit und die
schreckliche Gefahr der Ansteckung.
.Jch Mk jedoch Iwch ZU schwach
um einen Laut von mir zu geben,
und als er allmählich ruhig ward,
lag ich still da und suchte in seinen
geliebten Zügen zu lesen, was sich
während der Zeit meiner Bewußtlos
sigleit zugetragen haben mochte. Et
was Gutes schwerlich,·denn seine sonst
so runden, blühenden Wangen wa
ren eingefallen, und in den lachenden
Augen lauerte jener hungrige Blick,
den ich sriiher nur bei den darben
den Männern gesehen hatte.
»Ist kein Entsah gelommen·i« stieß
ich mühsam heraus.
»Er schüttelte den Kopf, sah sich
mit scheuer Miene in der kleinen
hiiite um, beugte sich dann iiber mich
und sliisterte mir ins Ohr: »Nein,
aber sei nur ohne Sorge, ich habe
Rahru genug sitt dich.«
«Bo ichti mit leisem Tritt schlich
er in einen inlel der hätte, tauerte
sich nieder und begann die Erde aus
zugraben, wobei er sich von Zeit zu
Zeit ängstlich umsah. Jch verstand
sein seltsames Gebahren nicht« bis er
plöhlich aussprang und mit seligem
Lächeln etwas in die Höhe hielt, das
mir ein Stück Brot zu sein schien.
heiße Tränen stiir ten mir aus den
Augen bei dem rii renden Anblick.
»Aber mein hunger regte sich
mächti und mit Gier verschlang i
die tiickchen, tpewe er siir tm
abbrach. Bei jedem Bissen, den ich
as. strahlte er vor Freude, und als
Hnein hefkiafirs Verlangen gestillt
war und ich das müde Haupt nach
der Wand kehrte. hörte ich nach vor
dem Einfchlafen das kleine Gebet,
das er aus dankbareni setzen zum
Himmel emporfandkr.
»Ich schlief lange nnd feskz als ich
die Augen wieder ausschlng und mich
nach meinem kleinen Sohn umfchaute,
kam er eben von draußen zur Härten
tiir herein. Er hatte irn Lager die
Nachricht veriiindek, daß ich in der
Genesung sei.
»O. Valer." rief er, »wir dürfen
wieder hoffen! Ein fremder Jäger
ist heute früh angelangt, er fagk, daß
Leute von der Ebene herangezogen
kommen, mit vielen Wagen und gru
ßen Vorräken an Leben-Brannan
»Dann mufz ich rasch wieder ge
sund werden« erwiderte ich. »Sie
dürfen keine gefährliche Krankheit
hier irn Lager finden, die sie ver
scheuchen würde. Jst der andere
Kranke gestorben, Bernhard?«
»Der Knabe ließ den Kopf hängen«
dann schaute er fröhlich auf. »Ja.
aber er hakke auch keinen kleinen
Sohn, der ihn pflegen konnte.«
»Und die Leute, die in das Ge
birge zogen? Hat man etwas Jan
ihnen gehörki«
»Wer einer Woche sind sie zurück
gekommen, Vater. Sie haben den
Paß nicht finden können. Jetzt wün
schen sie, daß sie nicht zurückgelehrt
wören.«
»Weshalb denn, mein Kindi Sieht
es hier im Lager so schrecklich aus?
Sind noch mehr Leute lrani oder
nahe am Verhungern?« srug ich.
»Es steht schlecht, Vater, so schlecht,
daß sie sich vor nichts mehr fürchten,
sie fürchten sich nicht einmal hier in
die hätte zu iommen,«« gab er mir
zur Antwort.
»Und du, Bernhard, siihlst du dich
ganz wohl?" fragte ich besorgt.
»O ja!« antwortete er, so zuver
sichtlich er konnte
»Ich sah, daß, wenn der Entsatz
nicht bald kam. ich den Knaben, der
meine ganze Freude und hoffnung
war, nicht lange mehr behalten wiirs
de. Bald darauf muß ich wieder
eingeschlummert sein, denn ich hatte
einen Traum. Der alte Mann hier
—- er ist in Wirklichkeit mehrere
Jahre iiinger als ich, wie unglaublich
das auch seint —- lann sagen, oh es
aus Wahrheit beruht.
»Ja einer Schlucht, zwischen him
melhohen Felsen, sah ich fünf Män
ner mit oerzweiselter Anstrengung
vorwärts dringen durch den sich im
mer höher tiirmenden Schnee. Wie
scharfe Nadeln schmerzten die eisigen
Krustalle, die ihnen der Sturm ins
Gesicht wirbelte; miihsam nur hooen
sie die Füße und ich sah, daß ihre
schwachen Kräfte hald erliegen müß
ten, wenn die Wut der Elemente
nicht nachließ oder irgend ein Fels
vorsprung ihnen ein schützendes Oh
dach gewährte. Der vorderite Mann,
der Führer der kleinen Schar, war
groß, kräftig gebaut, mutig und ent
schlossen. Er trotzte dem Sturm mit
erhobenem haupt und rief seinen Ge
nossen mehr als einmal ermunternde
Worte zu. Jhnen zunächst schritt
ein schmächtiger Mann, aber ziih an
Muskeln und Sehnen; er glitt häung
aus« erhob sich aber von jedem Fall
und hielt sich dicht an seinem Gefähr
ten. Sie waren ausgezogen um
Gold zu finden, wonach ihre Seele
dürstete, und nur der Tod konnte ih
rem Trachten ein Ziel setzen. Die
drei andern schleppten sich langsamer
hinterdrein, nach wenigen Schritten
stürzten sie immer wieder in den
Schnee und alle Versuche der beiden
vordersten Männer, sie zu stützen und
auszurichten, blieben erfolglos. Bald
erhoben sich auf dem öden Pfade drei
Schneehügei, wo vorher alles eben
gewesen war; nur die zwei mutigsten
Wanderer arbeiteten sich noch weiter
fort durch Schnee und Sturm. Pliss
lich stieß der vorderste einen lauten
Schrei des Entzückens aug. Sie wa
ren gerettet. Zu ihrer Linien tat
sich in der schroffen Steinwand eine
Zuflucht auf; schon in der nächsten
Selunde kauerten sie in der engen
Höhle, wo sie, vor Wind und Schnee
gestöber gesichert, die Augen wieder
frei dem Licht zu öffnen vermochten.
»Der gierige Goldgriiber kennt
nichts Obdach als seine Leiden
schaft. Statt auf die Knie zu sinten,
um dern himmel fiir ihre wunderba
re Rettung zu danien, ftierten die
beiden Männer mit beißhungrigen
Blicken auf das Felsgestein zu beiden
Seiten der höblr. »Gold!« lallte der
eine mit schwerer Zunge, »Gold!«
stammelte der andere rnit bebenden
Lippen.
»Mit-read sie rnit dern Brot, das
sie bei sich trugen, den nagenden hun
ger stillen, schauen sie unablässig bald
nach dein Gestein über ihren haup
ten, bald auf den Boden der höbik
Jth stürzte der eine nach einer Fel
senspalte bin, in der er etwas glihern
siebt. Als er suriickiomnit, zittert er
an allen Gliedern vor Aufregung
und verbirgt die Band in der Tasche.
»Dein her,« ruft ian der stärkere
Gefährte zu. Zögernd tut jener ihm
den Willen; in der langsam sich öff
nenden hand liegt ein Klilmpchen
Gold, das sie beide unverwandt an
starren.
«Dicht aneinander gedrängt, um
it d .
M Pein-; ist« MI »g- Ist
le Plas. .Wir dürfen nicht unter
iliegen; unser Leben bat ietzt noch
hWert wir müssen suchen es zu er
balten,« das itt ibr einziger Ge
danke. indem tie berechnen, wie lange
ibr Brotvorrat noch reichen lann. Un
terdessen fiillt der Schnee dichter nnd
idichten er bäuit iich immer biiber
auf vor dem Eingang der Hist-lex
laum bleibt ihnen noch Licht gesag
einander zu erkennen.
.Die Flocken werden größer und
fallen langsamer,« iaate der eine.
«beute Nacht wird sich der Himmel
aufbellen und moraen können wir
zurückkehren. Was meinsi.du——-iol
len wir unsern Fund aebeim italieni·
»Ja, ia,« erwiederte der andere.
»außer uns beiden darf niemand
darum willen. Haben wir den Schatz
gäb mit Gefahr unseres Lebens ent
i.«
»Das Laaer ist ein elender Ort,
aber wir sind dort sicherer. als in
den Beraen. Soll unter Reichtum
uns ie Genuß und Ehre brinaen. To
müssen wir alles daran i’eden, bei
Kräften zu bleiben. big Hilfe lommt.
Wollen wir Kameraden lein?« So
sprach der eine wieder eifrig.
»Ja, las; uns beide zusammenstes
ben. Gebt uns die Nahrung aus«
so sättigen wir uns am Golde. hur
ra, burra!« war die schnell folgende
Antwort des andern.
»Der Freudenruf hatte einen mat
ten Klang, denn der einst so starke
Mann war nabe daran zu erliegen
Sein Kopf sant aus die Brust herab
und er schlummerte ein. neben dem
Gefährten Draußen hatte sich der
Sturm gelegt. es herrschte Toten
stille und immer langsamer fielen
idie schweren Schneeflocken zur Erde.
«Drei Tage später erschienen ote
Ibeiden wieder im Lager, weit schwä
Icher. als da sie es verließen; in ihren
Augen aber iunlelte eine unnatiirlts
che, wilde Gier. denn ein Dämon
war seit jener Stunde in ihre Brust
eingezogen, als sie den Goldschah in
der Felsenhöhle entdeckt hatten.
(Schtuß solgt.)
cte angesehte Nish
s Einem italienischen Arzte soll es
gelungen sein, einer jungen Dame,
Ider man bei einem Streit in einem
Kasseehause die Nasensvitze abgebissen
«hatte. nicht nur die Fleischteile der
jNase zu ersetzen, sondern auch den
»stiitzenden Knorpel durch ein Stiick
des Rippentnorpelg zu ergänzen. Der
Bericht erinnert an die Schilderun
gen des alten bavelliindischen Wund
arztes Louis Magerstedx in Nauen
ibei Berlin. Der liebenswürdige Herr.
Tdurch seine gesellschaftlichen Talente
in demselben Maße ausgezeichnet wie
durch die praktischen Ersolge als
Heiltiinstler, tam zuweilen am Bier
"tisch im Freundeskreiie auf seine Er
lebnisse im Krimtriege zurück, den et
als Wundarzt initgemackzi hatte. Be
sonders galt es damals, wie er sagte.
den Soldaten die von den Türken
abgeschnittenen Nasen anzuheilew
Hatte der Verftiimmelte dem Feinde
die gestohlene Nasenspitze wieder ab
gefagt, so war die Sache sehr einfach;
man tlebte sie fest; sie wuchs dann
vitichtschuldigst an und paßte stets.
War aber das Kleinod in den hän
den der Unglaubtgen geblieben, so
mußte eine Wundstelle im Oberarm
erzeugt, der Nasenstumpt daran ge
heilt uni die Spitze nach einigen
Wochen kunstgerecht her-ausgeschnitten
werden.
Hatte jemand jedoch eine besonders
große Nase terloren, so mußte das
Material siir die neue der Mustutas
tur eines zweiten Soldaten entnom
men werden, und man wählte hierbei
die Körperstellr. die von der Natur
am reichsten mit Mustelsleisch ausge
stattet ist. Dort wurde der Patient
zunächst »angeheilt«, und wochenlang
blieb er der ständige Begleiter seines
Leidensgenossen Die Situation war
ost siir beide wenig erfreulich. »So
unangenehm sind«, so schlos; der alte
Doktor einst, »die heute ron den Be
hörden erteilten Nasen längst nicht.
Man saliet das Attenstiick zusammen
und legt es in ein besonderes Fach zu
den übrigen; dann ist der Fall ge
wöhnlich schmerzlos erledigt.«
f
Die beiden Useissatttätem
Jn Vatein dem schön gelegenen,
vielen Alpenreisenden wohlbekannten
dayertschen Forst- und Gasthause,
siten am langen Tisch im inter
grunde der Gaststube die o stiller
beim AbendtrunL Das Ge präch i
hochpolitilch- es dreht sich um
Unterschiede der öffentlichen Zustände
in Deutschland und Oesterreich. Der
Wortsithrer ist ein von der nahen
Gren e zur Arbeit herübergetotnmei
ner Ziroler. »Dös timmt aber alles
beher« —- so schließt er eine längere
Auseinandersetzung —, »weil wir in
Oestreich die vtillen Nationalitäten
haben. Do is der Daitsche und der
Welsche, der Behm und des Pol, der
Slowen, der Kroat, der Ungar und
sc weiter. hingegen bei eich in
Daitschland it die Sach ganz einsach.
Da gist bloß zwei Nationalitäten,
da is halt bloß der Bayer und dee
Meiji«