Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 20, 1912, Zweiter Theil, Image 12

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    osüe Heidorns cfidresle
Glis-se von Charlokte Riese.
Ei war einige Tage vor Weihnach
ten, nnd Geert Fehlers fing an,
secetlich zu werden Was zu arg
iß- das ist zu arg, und Weihnachten
koml man immer die Hand im Beutel .
» bin und seine Groschen ausgeben.
eter einem her laufen die Kinder und s
wollen Hampelmänner vertausen, und I
jeder Junge hat eine lranle Mutter «
Idee einen toten Vater, und wenn man l
eben nein gesagt und dazu tüchtig ge
sehitnpst hat. dann schiebt sich wieder
eine Hand vor die Augen des Angek
licheen und eine jämmerliche Stimme
statt-Tini zu Weihnachten!
Geert verstand mit den Leuten fer
tigznwerden Er hatte grobe Fäuste »
und eine Stimme wie sieben Donner
mtierr wer einmal in seine Nähe ge
lomnien war-. der entfloh meistens l
Imkich schleunig, aber am Hamburger ;
Besen gibt es um Weihnachten herum s
hielt Menschen, die etwas geschenlt ha— s
den Möchten und Geert war schont
Usnrpt um die Augen herum, als et(
IN Claas Avenslat kam
Das war eine tleine Destillation !
wo man gemütlich auf dem blanten l
Roßhaarsofa sitzen. auf den Hafen und J
auf die ganze langweilige Welt mu- (
sen blicken lonnte,wo mnn seinen Grog
bekam und vielleicht auch noch eine
Unterhaltung Denn bei Cletus Aven
stak verkehrten die See- und Schauer
sente. die Kohlenzieher und alle Men
schen, die etwas erlebt hatten und auch
davon erzählen konnten. Das
hatte Geert Wohlers gern. Er
selbst mochte nickst viel sprechen und
hatte auch nicht viel zu erzählen; we
nigstens meinte er das-: aber trenn an
dre sprachen, dann schmeckte ihm das
heiße Getränt noch einmnl to gut, und
. er kam auf andere Gedanken.
« Alter heute war es leer in der De
·llqtion. Nicht einmal Clnas Aven
nl saß hinter dem Schenltisch und
rechnete, wie es sonst seine Gewohnheit
wur, und nur ein kleiner Junge mit
·' mädem Gesicht lam und fragte, Itas
der Herr haben wollte.
Geett bestellte feinen Grog. »W«)
ist Clnnsip setzte er dann hinzu. «
»Auf Fintenwerder. Seine Schwe
ßer ist zu Schaden gekommen« Der
Kleine antwortete schon im Der-ange
hen, und Geert sah ihm verdrießlich (
sach. Er hatte sich grade auf Claaz .
gefreut, weil der immer to gemiitlich ;
war-. nnd weil er ihm versprochen hat- ?
te, die Geschichte von dem Fliegenden !
holländer zu erzählen, die so lanq ;
ur, daß man eine Stunde daran hö-. ·
ten lonntr. Nun saß Claas auf Fin
kenwetder.
»Bist du der neue Aufwärter-» ers »
kundiate er sich verdrießlich Da hatte s
der Junge ihm das heiße Getränt ge
bracht.
»Ich bin Fritz,« lautete die Antwort.
Geert wollte weiter sraaen, als Mut
ter Avenstat eilia eintrat.
»Ach, Herr Wohlerg, entschuldian .
Sie man, daß mein Elaas nich hier is. i
Aber-s seine Schwester is gestern mitn
Torsewer gesunken. Js es nich schreck
lich. und denn grade zu Weihnachten-?
Mein Claas is ganzen elendig aetrci
sen. und ich mit ihm· Denn er hatt
sieh ja mit sein Schwester tüchtig ver
zürnt. Von wegen die Erbschaft von l
Onlel Thieß, der in Alienwerder tot-—
hlieh, und der .noch in seine letzte
Stunde nesaat hatt, das-, mein Elaas s
dem Kleiderschrant hohen sollt, und s
sein Schwester-, Magrete hieß sie, sagte i
sie könnt einen Eid schwören, daß siet
dem Kleiderschrank geschenkt gekriegt i
hatt. Nu, mein Claag is ein von die
Nobelnr er saat zu Margrete, behalt s
du dein Schrank, abers tomm mich s
nich wieder in meine Destillatschon un i
glaube nich, daß ich dir noch lennen tu·
Er war well ein biischen sorsch, und
Claas hatt von den Notwein in Alten
werder getrunken, der so zu Kopp
steigt. Und er hat es natürlich nich so
meint, und er sagt mich grade ge
ern, daß er sein Schwester zwanzig
Mark zu Weihnachten schenken will,
weil sie es nötig hat. und er hat es gut,
weil das Geschäft was abwirft trotz
die schlechten Zeitens, und nn tann er
ihr gar nix mehr schenken und muß ihr
begraben« «
Mutter Avenstak weinte und wischte
ch mit ver Schürze die Augen. Dann
ah sie Geert an, weil sie ans ein Wort l
der Teilnahme rechnete, dieser aber
iösselie verdrossen an seinem Grog.
»Ist es nicht schrecklich?« fragte sie.
» Da brnmmelte er vor sich hin. »Tai
bleiben müssen wir alle, und ich bin
auch zweimal von die Rettungöstat
schon ausn Mast geholt worden«
«Js die Möglichkeit!« Mutter Aven
siak sagte es höflich, aber ohne Teil
nahme. und als ein neuer Gast das
Zimmer betrat, mußte er die ganzeGei
schichte wieder hören. Das war der
Kohlenzteher Detles mit einem schwar
zen Gesicht aber mit freundlichen Au
. Jhm tat Claai Ave-Malt
äwester Magrete ganz schncklich leid
und auch die Geschichte mit der Erb
schaft nnd mit dein Erzürneu til-er den
Kleiderschrant In seiner Familie
« var mal ganz etwas Aehnlichei vorge
kommen. and wenn seine Mutter keine
W eau gewesen M die Sa
FZEI II I sen-essen hätte, dann
Wiss - dabei heraussehen
sm alles noch gut gegan,
-- ·.-«H.T.
e
Insekten mußte inan besonders an sie
denken. Alles lenkte man Viel-erstie
gen, bloß keine Mutter. Der Kohlen
ziehee tänspsekie sich. unt-Mutter spen
P siai seufzte giesse-ils Aber ihre Mai
» tet iebiie nsockn wie sie stolz des-richtete
nnd wenn sie auch nahe an die achtzig
war« so wußte sie noch von allem Be
!cbkid, nnd zu Weihnachten kriegte sie
ein feines Geschenk
Da schob Geett fein halbgeleetless
Glcs zurück und ging chne Gruß aus
dem Zimmer.
»Was hat der alieDiimelfach frag-—
ie der TtimmeL aber Mutter Avenital
stieß ihn freundschaftlich in die Seite.
»Sag man nix gegen dem, Deilefi
Das is ein gute Knntsfchnii von uns:
nimmt jedweden Tag feinen Grog
und kriegt hier sein Mittagbtoi. IS
viele Jahren-E zur See gefahren, nnd
denn hat er in Schina noch ein Sire
mel Geld verdient, so daß er nich notia
hat zu arbeiten. So alt is et auch
nich-. kaum an die fufzig; abers brum
melig is et, was bei die Hagestolzens
ganz natürlich is. Darum, Detlei,
mein Jung, such dich bald ne Frank«
In zwischen ging Geert am Vase n
bellwert entlang und sah In das grau
grünliche Wasser der Elbe. Es war
nott- vor Mittag; die Sonne schob sich
aus den Welten hervor und sah neu
gierig ans die grossen Dampf- undSe
aelschitie. aus bie Schreien und Leich
ter. aus all das Gewimmel, das den
Hamburger Hasen so lustig macht.
Zwei Schuten batten Tinnenbiiunie
get-: !«,en und aus der Straße schrie ein
Maan gleichfalls Tannenbaume aus
und sab Geert so aussorbernd an, daß
dieser sich kurz umkrebte und grimmig
ins Wasser spuette. Obaleich die Elbe
sa eigentlich nicht schuld hatte, dass
Weihnachten war. Aber Geert war aus
die ganze Welt böse und besonders aus
Mutter Avenstat. Was hatte die so
dumme Geschichten zu erzählen? Ta
siir trank er nicht bei ihr seinen Grog
und asz sein Mittagbrot, daß er hören
mußt-, wie es Claas seiner Familie
aina, und das-, er sich mal mit seiner
Schtvester erzürnt hatte. Zornig steckte
sich Geert einen Priem in den Mund.
Das war ja auch dummes Zeug, sich
mit seiner Schwester wegen eines Klei
berschrantes zu erzürnen; spie er selbst
sich mit seiner Schwester erzürnt hatte,
da war es wegen Lite Heirvrn gerne
ten oder vielmehr wegen Lite Heiborns
Bruder. Damals-. wo Geert sich chacht
Tage vorher mit Lite Hei-Zorn verlobt
hatte mit einem Ring und allem was
dazu gehört Und Lite war wirklich ei
ne kleine niidliche Deern gewesen, mit
einem frischen Gesicht, blonden haa
ren und treuen Augen. Und er hatte rn
Altengamrne sorsch mit ihr getrunken
Denn tiir Grog und Bier war Geert
immer gewesen, und seine Schwester
Anna hatte schon zu Lite gesagt.
von der Gewohnheit sollte sie ihn man
abkriegen. Darüber hatte er nur ar
lacht. Die Weiber verstehn da nichts
von, was einem besahrenen Mann aut
ist. und seine Lite mußte sich in alles
finden. So redete er auch in Alten
gamme, bis er ein wenig schwindlig
wurde und nicht mehr klar denten
konnte. Er tam aus der «Schentstube
und sah, wie Lite mit einem andern
jungen Mann tanzte. Da lies er hin
ter den beiden her« zog sein Messer
und wußte nicht mehr ganz genau, was
er tat. Seine Kameraden wußten es
aber, die ihn aus dem Saal gebracht
und rasch in einer Scheune versteckt
hatten, damit die Polizei ihn nicht in
die Finger betont Er hatte Lite Hei
dorns Bruder gestochen, der eben von
langer Fahrt tam und seine Schwester
überraschen wollte. Geert wußte, daß
Lite einen Bruder hatte, und daß sie
viel von ihm hielt; wenn er ganz klar
gewesen wäre, würde er nicht so böse
geworden sein; aber nun war es zu
spät, darüber zu grübeln. Mit dem
ersten besten Schiff ging Geert nach
England, und als er hier von einem
Kameraden hörte, daß seine Schwester
gesagt hatte, so was hätte sie nicht von
ihrem Bruder gedacht, da schrieb er
ihr einen groben Brief und sagte, daß
er nichts mehr von ibr wissen wollte
und natürlich auch nichts von Lite
Heidorn Und damit war es mit ihm
und seiner Schwester aus gewesen.
Später hatte er gehört, daß sie einen
Mann geheiratet hatte, der Paysen
hieß, aber weiter nichts, nnd es war
ihm sehr recht gewesen. Obgleich er im
Lause der Zeiten doch gelegentlich an
Anna denken mußte, und daß sie und
er immer so nett zusammen gespielt
hatten. Damals, als sie noch zusam
men bei ihrer Mutter wohnten, die
so gut siir sie sorgte. Aber seine Mut
ter war leider sriih gestorben, und dei
wegen hatte Geert immer getan, was
er wollte.
Schrill gellten die Damvsvseisen
über den hasem und Geert fuhr zu
sammen. Da hatte er wahrhastig län
ger als eine Stunde aus einem Fleck
jgestanden und ins Wasser geguat
sGut, daß es Mitta vsiss: da konnte
er zu Mutter Aven at gehen und sich
sein Mittag holen. Es gab Bratwurst
und Sauertohl, er hatte den ttel im
IMW esehen. Und wenn er nn sei
sse Tabat tauchte, Kassee trant
nnd nachher noch einen heißen Gros,
dann kam Elsas am Ende bald von
sinke-werdet wieder nnd erghltedie
Geschichte vom Flieget-den lländer
Ende oder die von der Seeschias
die auch sehr gruselig war. Und dantxi
vergaß sta- die alten dummen se
WIMMMW
mMMatisttethsschss
»so-(
reinen guten Plaf arn ster gedeckt
und beachte Mich das
Essen Sie inan ordentlich here
Wohin-sc sagte sie aussordernd. «Soi
lang man es kann, soll man ei tun;
mit einem Mal kann es vorbeiseint
Ach, wenn ich an meine Swiegerin
Magtete denlek Heute rot, morgen tot!
Was haben die Kinders sotn Weih
nachtssestt Da lann man sich die Au
gens aus-weinen! Und der Mann is
ion bitschen langsam von Gemüt und
kann sich natürlich nich helfen. Hei
raten muß er aus jeden Fall wieder,
und wenn ich man eine wüßte« die ich
gleich hinschiclen tönnt —-« Mutter
Avenstal hielt mit Sprechen inne und
hob den Kopf.
F »Ist-in Jung, wo bist all wieder!
k kltz
Der oerdrieszliche Junge schob sich
langsam durch die Tür.
»Fritz tannsi mich nich die Adresse
von Lite Heidorn sagen?«
Nee!« Fris war schon wieder ver
schwunden,und Mutter Avenstat schalt
hinter ihm her.
»So is er nu! Nix weiß er, und nix
kann er, und das will ein Aufwärter
werden. Wenn es nich um seine Mut
ter wäre, denn behielte ich ihm auch
nich. Abers Frau Paysen tut mich leid.
Jhr Mann is letztes Jahr heim Bau
Nun ifi er wohl lange tot. Mutter weiß
gar nichts von ihne«
»Und was ist dein Mutter ihr Bo
ternanie?«
»Sie Pest Anna Wohlers gebießen.«
Hieran erwiderte Geert tein Wort.
Schweigend ging er neben dein Jungen
ber, der immer wieder oni die Schiffe
blickte nnd ieine Eile zeigte, zu seiner
Mutter u tomrnen. Bis ihn Geert
rauh anfaßtr.
»Na lauf zu dein Mutter und hol
Fritz lachte listig. »Die weiß ich
schon immer, bloß doß ich es der Alten
nicht gleich soge. Sonst iowme ich
nicht aus ihrer alten Küche heraus,
und ich mag doch so gern an den Hei
sen!"
Und in fein lleines blasses Gesicht
kam es wie ein Schein. Langia-n
lehrte Geert sich um und ging bis zum
Dunlelwerden mn Hafen spazieren und
dann noch lange durch die beleuchteten
Straßen der Stadt, wo so viele Leiden
einen Weihnachtsbnum hatten, und
wo sehnsiichtige Kinderaugen die Herr
lichleiten betrachteten und von Weib
nnchten sprachen·
Aber Geert dachte nicht an Weih
nachten; er dachte an Lite Heidorn und
daran, ob sie wohl nach Flinienwerder
zu dem Witwee mit feinen vier Kin
dern gehen würde. Und weil es an
j
I l »Ah-ice Weihnachiccscheu II versucme l l
zu Schaden gekommen, und sie siyt da
mit die dier Kinder! Geht aus zu Wa
schen und Reinmachen. Na, sie kann·
mich Lite heidorns Adresse sagen. Das x
is ein furchtbar nettes Madam, und(
das wär was sor mein Schwagerl JIJ
zu komisch, daß die kein Mann geil
kriegt hat; aber sie hat ja woll nich ge- (
wollt. Manche Mädgens wolln jas
nich! Js auch gut sor die Witmänner,
daß noch sor ihnen iibrig bleibt-«
Ein anderer Ga kam, und Mutter .
Avenstat mußte i m Bratwurst undl
Kohl dringen und ihm berichten, wol
ihr Mann war. Und Fris-, setzte eine L
Tasse Kaisee vor Geert hin. !
«Js nun auch schon der Grog gefal- (
lig?« erkundigte er sich mit seiner ver
sdrossenen Stimme.
.Wart noch ein büschen!« erwiderte
Geeri und wollte noch etwas sagen.
Aber der Kleine war schon wieder ver- i
schwanden. Verdrießlich sah ihm dekl
andere nach und erhob sich, um ihm
nachzugehen; da lies Mutter Avenstal
schon in die Küche.
»Flink, Fritz, lauf zu dein Mutters
und frag ihr nach Lite Heidorns l
Adresse!«
Der Junge war wie ei-! Blitz aus
dem Zimmer und dem Haus-»und Geert l
mußte lange Beine machen, um ihm «
nachzukommen
Er hatte feinen Kaffee stehen lassen
und die Pfeife noch nicht anaeziindet,
aber er wollte Fritz etwas fragen. Der
war übrigens nicht weit gelaufen« er
saß am Bollwerk und fah hinter den
ausgehenden Schiffen her. und fein
verbroffenes Gesicht war etwas heiterer I
geworden. Er erschrak aber. als ihm -
Geert die Hand auf bie Schulter legte.
»Ich meint, bu follteft fiir Frau
Avenftak wag besorgen, und nu sitzt du
hier?«
Fritz wurde rot, ftand auf und ging »
langsam neben Geert her. E
»Du magft woll nich mifwartechI
fragte der ältere Mann, und ber Jun
ge fchiittelte den Kopf.
»Ich will zur See. Herr; aber meine
Mutter gibt keine Erlaubnis.«
.Warum nicht, Seemann werben ist
der beste Berqu«
»Nicht wahrs« Fritzenö triibe Au
en ftrahlten auf einmal, und er fchob
ich zutraulich an Geert heran. »Ach,
herr, jagen Sie das mal an meine
Mutter. Sie meint, weil ihr Bruder
auf See nichts Gutes geworden ift,
darum komme ich auch zu Schaden,
aber ich will mich in acht nehmen.«
»Beste denn ii dein Muttetbruber
in Schaden gekomng« fragte Geert
angfam. .
»Ich weis nicht, herr, Mutter fagt
es blos immer, und fast, er hätte
ein Inte- M bi, bat
Leisten bitte er nicht lassen own.
sing, zu regnen, wie es das so gern in
Hamburg vor Weihnacht tut, so wurde
er gründlich naß und hatte am anderen
Morgen Fieber und Gliederschmerzen
Jnsulenzia nannte seine Wirtin die
Kranlheit und gab ihm Kamillentee
mit Rum darin zu trinten. Das Ge
tränt schläserte Geert ein, und er hörte
halb im Traum die Kinder im Hause
Weihnachtslieder singen und dabei mit
Gepolter die steilen Treppen hinunter
sallen. Früher hatte er auch Weih
nachtslieder gesungen; aber das war
lange her, auf See und in China hatte
er taum an sie gedacht. Grade wie er
Lite Heidorn vergessen hatte und nun
doch so genau wußte, wie sie aussah,
und daß sie ihn liebgehabt hatte. Aber
er hatte ihren Bruder gestochen und
war dann weggelaufen, ohne ihr ein
Abschiedswort zu gönnen. Und nun
triegte sie den Wittmann in Fintens
werdet.
Geert blieb nur einen Tag im Bett.
Am andern Morgen ging er mit
schwantenden Schritten zu Claae
Avenstal und bestellte sich einen Grog.
Mutter Avenstat brachte ihn gleich. «
.Trinten Sie ihm man warm,
Verr Wohlers, Sie sehen man schlecht-»
aug. Mein Claas is auch noch nichj
wieder hies. Jg es nich gräßlich-e Nutz
sitz ich allein sor den Nest, denn Fritz.
is gestern nich wiedergetommen. Jst
in den Smutz gefallen und hat sich einl
Arm ausgesetzt. Wird wohl nicht so!
schlimm sein; er war man arbeitsscheu
und zu nir zu gebrauchen, abers mich
deucht, Frau Paysen hätt man selbst
kommen können, um mich ein biischen
zur hand zu gehen, anstatt der Brot
stau, die gleich wieder weiter muß. Und
Frau Pausen hat es doch nötig, wo sie
ne Witsrau is und so viel Kinders.
gch «·tt es doch auch mitn tlein
wenebraten sorö Fest gutgemacht.
Und Claaz hat telephoniert, ob ich nich
ne gute Frauen-person rausschicken
könnt: und nu weiß ich noch immer nich
Lite Heidorn ihre Adresse.«
Mutter Avenstat wischte sich ihr hei
sses Gesi t, sah aus dem Fenster in den
Nebel un sprach noch einmal von der
gewünschten Adresse. »Mit Litt hei
dotn nich ein Bruder?« sragte Geert,
Rädern er sich zweimal geriiuspert
c.
»Ein Bruders Nu natürlich, der
it Leise und ein seinen Mann. hat
ne ziemlich Froßsnauzige Frau, und»
darum mag ite nich bei ihn sein« x
«Js der nich trank geweseni« Denn
Schiffer zitterten die Bände, aber!
Mutter Avenstat dachte an ihre Ange
legenheiten.
«Krank? Da weiß ich nix von. Ru,
da Sie es sagen, fällt es mich ein; ich
glaub, er hat was bei ne Prügelei weg
getriegt. Das is abere ewig lange
her, nnd er denlt da woll nich mehr an.
hu geht es sehr gut, und er hat sein
» chwesier immer bei sich wohnen haben
wollen. Aber-s, sie will lieber frei sein.
Hätt ich man doch nur ihre Adresse!
Und ich lann nich ausn Haust«
Anssordernd sah sie Geert an: aber
der rührte in seinem Grog herum. Ei
gentlich war es ja einerlei, ob Lites
Bruder tot war oder lebendig: Lite
wollte doch natürlich nach Finlenwer
der, und er saß hier allein und lonnte
allein tot bleiben.
»Och, Herr Wohlets, Sie sollten es
man tun! Js ein großen Gefallen, ich
weiß es woll, und ich loch Sie Weih
nachtstag auch Ihr Lieblingsgerichtk
Und ein kleiner Gang durch der Lust
is gesund. und es is in den Barschen
der dritte Gang rechts. Nummer drei,
zweite Etaje. Sie tun mich worrastig
einen Gefallen. denn das is heut doch
Weihnachtsabend, und ich lann nich
ablommen!"
»Was soll ich denn eigentlich?"
Geert stand langsam auf. X
»Man bloß nach Lite Heidorns
Adresse fragen!« bat Mutter Avenftai.
Da ging er denn halb irn Traum
iiier die Straße. Sie war voll von
Menschen, die sich hasteten und dräng
ten. Die meisten trugen Patete, und
alle sprachen sie von Weihnachten. An
der Straßenecte standen die Musikan
ten und spielten »Stille Nacht, heilige
Nacht«, und wie der eine Bläser zu
Geert lam, gab ihm dieser fünfzig
Pfennig, was ihn selbst so wunderte,
daß er stehen blieb, um sich die Augen
zu mischen
llnd dann stand er im dritten Gang
rechts von den Vorseyen und ging zwei
tleine armselige Treppen hinaus, und
dann rief eine helle Stimme: »Mutter.
da tomrnt einl«
Jn einem tleinen Zimmer stand eine
blasse Frau und schmückte einen win
zigen Tannenbaum, und neben ihr
saß eine andere Frau und nähte an ei
nem Kinderröckchen Der Glanz der
Jugend lag nicht mehr aus ihrem Ge
sicht, und ihre blonden Haare waren
duriel geworden: aber ihre Augen
hatten den gleichen Ausdruck wie vor
zwanzig Jahren, und ein feines Rot
laa auf ihren Wangen.
Um Geert drehte sich zuerst alles im
Kreise, und dann wurde er ganz ruhig.
»Tag, Anna, nu bin ich wieder hier,
und nu brauchst nich so grösig viel for
andre Leute zu waschen. lind was
Fritz is, so lasz ihm doch zur See
gehn, beis Aufctwarten is er wirttich
nie zu gebrauchen. Und denn, Anna,
tan man ordentlich ein, daß wir heute
abend feiern können: ich dezahl alleno,
und Mutter Avenstat braucht dir iein
Schweines-raten zu schenken, weil mich
das nich paßt. Und denn zeig mich
mal deine Kinders. und denn —- —
ee hielt inne und wischte sich die Trop
fen von der Stirn.
Da hing auch schon seine Schwester
an seinem Hals, weinte und lachte in
einem Atem, und die andere. die bis
dahin still dabei gestanden hatte,
wollte leise aus der Tiir gehen.
Doch Geert faßte nach ihrem Arm.
»Ne, Lite, lauf man nich weg! Jch
bin ja ein ganz griisigen Kerl gewesen«
und ich hab mir schlecht benommen.
Abers ich dacht ja, dein Bruder wär
tot, und ich hätt da schuld an, und da
bin ich ausgetnisfen Und nachher, in
Schina, da hab ich das Wiederkommen
ein biischen vergessen. Nu abers weiß
ich, daß dein Breuder aut zuwege is.
und daß du den Wittmann auf Zinken
werdet haben kannst. Jch soll dein
Adresse holen for Mutter Avenstat,
und wenn du dahin willst« denn hab
ich ei nich besser verdient. Vielleicht
aber kannst du mich auch dein Adresse
geben!«
Am dritten Weihnachstage iam der
Kohlenziehee ans-«- Land; Mutter Aven
stat zündete site ihn noch einmal den
kleinen Weihnachtsbaum an und gab
ihm ausgemärmten Gänsebraten. Denn
für Detles hatte sie was übrig, und er
vergalt es ihr, indem er alles ausaß,
was sie ihm var-setzte, und dabei berich
tete, wie es Weihnachten in ver Nord
see gewesen war. Und dann sah er sich
in dem stillen Gastzimmer um.
»Wir ist der alte Brummelpott, der
immer im Sosa si ti« erkundigte er
sich, und Mutter venstat griss nach
ihrem Strielzeug.
»Der is lran , Detles, und läßt sich
von Frau Pavsen wieder zurechte-fle
gen. Frau Paysen soll ja sein leibliche
Schwester sein, wo ich keine hlasse
Ahnuåg von gehabt have, weil er hoch
sechs onat hier hei mich gegessen und
etrunken und kein Waret davon gesagt
sat. Ganz verstehen lann ich der Ge
chichte überhaupt nich; abers es is nix
so sein gespannen, ei kommt ans
der Sonnen. Und so krieg ich
leicht auch einmal set wissen, worum
ihr nicht gekriegt habe und woll
nich kriegen werde. Nämlich das, wo
raus ich all diese Tage gelattert hab: ich
mein, Lite Heidorn ihre Adresse.'
WeihnachtS-leanb
Stizze von I. von Oel-thei
——.
Wenige Wochen vor Weihnachten
war der Oberst wie ausgewechselt.
Niemand machte es ihm mehr
recht« die Bataillons - Kommun
deure zitterten bei seinem Erschei
nen, der Regimento : Adjutant wagte
kaum noch die wichtigsten Unterschrif
ten vorzulegen, und in seiner Familie
war des Wetterns kein Ende. Und
daran trug folgendes die Schuld:
Der Oberst hatte spät geheiratet.
Zwei prächtige Jungen entsprossen die
ser Ehe, von denen der älteste. «Hans«,
in Untertertia im Kadetten-Korps, der
zweite Sextaner eines Gymnasntmi
war. Hans war ein ehrliebender Jun
ge, gehörte aber zum sogenannten gei
stigen Mittelschlag und gab besonders
im »Franziisischen« zu oielsachen Aus
stellungen Veranlassung. Dem Ober
sten war dieses um so nnverstiindlicher,
als Hans aus Sonntagsurlaub der
Schnabel vor lauter Französisch gar
nicht stille stand, und da er selbst nicht
über das Feldzugssranzöstsch hinaus
getommen war, also eine regelrechte
Kritik nicht ausüben konnte, so tränk
ten ihn diese Tadel erst recht. Als nun
kurz hintereinander zwei solch unange
nehmer Briese bei ihm einliesen, setzte
er sich hin und schrieb in seiner kerni
gen Weise lurz und bündig, Hans dür
se vor Weihnachten nicht mehr aus Ur
laub kommen, nnd sollte noch ein Ta
del eintressen, »werde er ihn während
der Feiertage nicht bei steh ausnehmen«.
Das spielte sich etwa sechs Wochen
vor Weihnachten ab. Nach acht Tagen
tras wieder einTadel ein, hanc Weih
nachtsschielsal besiegelnd. Die arme
Mutter lebte jeden Sonntag in der
bangen Erwartung, ihr Hans käme
doch mal eines Sonntags unverhosst,
sein Zion-Wörtchen hing am warmen
Ofen, und ans manche knusperigeGani
siel beim Braten eine stille Träne.
DieWeihnachtsiFerien kamen, Hans
tatn nicht.
Wie alle Jahre, schmückte die Mut
ter den Weihnachtobaum, machte fur
alle, auch für ihren Hans, das Tisch
chen mit den Geschenken, auf denen zu
oberfi »felbftgeftriette« Strümpfe
thronten, zurecht und legte auch fiir
den Obersten den erften Schlafrock und
Pult-wärmet für das Manöver hin.
Am heutigen Abend erwartete der
Oberft im Vorzimmer das Glocken ei
chen. Er ftand lerzengerade aufgerich
tet, zog ab und zu, wie er in erregten
Momenten feine Gewohnheit war, den
Waffenroet tiefer herab, räufperte sich
gewaltig und drückte die hand des
Kleinsten derartig feft in der feinen,
daß es denr Jungen himmelangft
wurde.
Hatte er recht getan? Tat er nicht
auch dem Mutterherzen weh?
Unter dem ftrahlenden Baume warf
sich feine Frau an feine Btuft. Mir
übermenfchlicher Anstrengung gelang
es ihm, Freude über den-Schlafrock und
iiber die Pulswärtner zu heucheln, und
dann besichtigte er auch die Geschenke
der Kinder. Als sich aber feine Frau
tnit den Worten an ihn anfchniiegte:
»Nicht wahr, Alter, die Gefchente fchits
ten wir hanc gleich ins- Korpsi Die
»warrnen Strümpfe« werden ihm bei
der Kälte gut tun«, da vergrub der
große, ftarte Mann fein Gesicht inr
Haare feinerFrau, und sie glaubte ver
haltenez Schluchzen zu hören. Plötz
lich reißt es an der KlingeL und band
fiiirzt rnit einem Briefe in der band in
die Stube.
Der Oberst richtet sich straff aus mit
den Worten:·,,Was soll denn das hei
ßen?« hans nimmt eine dienstliche
Haltung an, zieht seinllniformrörtchen,
wie er es so oft von seinem Vater ge
sehen, tiefer herab und meldet: ,,Iiadett
N. N. für die Weihnachtsferien zu sei
nen Eltern beurlaubt.« Dann liest der
Oberst den Brief folgender Inhalts:
«hochgeehrter herr Oberst! Selbst
aus die Gefahr hin, von Jhnen getadelt
zu werden« schicke ich Jhnen Ihren
hans als Weihnachtsgefchent. Er hat
sich im Laufe der letzten Wochen »mu
sterhast« geführt, und wenn es auch im
F anzösischen hapert, so wird er, ge
nezu dem Beispiele seines Vaters sol
gend, im nächsten Feldzuge mit den
Franzosen eben»Deutsch« reden. Nichts
fiir ungut, Herr Oberst, und oergniigte
Feiertage wtinschend, N. N» haupt
mann und Kompagnie-Chef.«
Nachdem der Oberst diesen Brief ge
lesen, stürzten ihm die lang zurückge
haltenen Tränen aus den Augen. Er
legte wie segnend die band aus das
haupt seines Kinder nnd führte es der
vor Glück zitternden und sprachlos aus
einen Stuhl aesuntenen Mutter za.