Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 01, 1912, Zweiter Theil, Image 11

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    denner selt.
Von T. v. Solln-it.
Pa- rnir das Leben Scksveres schon
. Ach mhm
Sieh —- eine Seligkeit hats ’tnir gege
ben.
Es hat ein liebes Kindlein rnir ge
brachti . ,
Nun iii io über-reich und voll mein
Leben.
sein Leid, lein Kummer iit mir nun
u schwer-.
Weil mir zwei leu nendblaue Augen«
lachen
Und keine Stunde ist zu lang nnd leer-—
Mein Bübchen kann iie Iur Minute
machent
Wir leben still in uns rer eignen Welt.
Mein Kind und ich, ino nheimlich süßer
Auf unsres stillen Gartenns reicheg Feld
Lcheint immer leuchtend lielle Früh
lingssonnr.
Tag Lebe-, das weit idlmußen lärinendz
t
Darf nicht hinein in unsres GarteniI
T"r
Beil Selinleit darin und Frieden weilt
Und alle Wege licht durch Sonne führen
tin heißes Beten klingtt durch unsres
Un jedem Lug fleht li:ibll die Mutter:
e:
Daß nur der Frieden timmer Wache
ä
Und unler Glück uns nur erhalten
bliebe. .
For Beter-am
Von Kurt Meyer-Leiden
Ganz am Ausgang des Weilers,
dort, wo der Hohlweg sich in den
Wald fchlängelt, der braun und kraus
die sanften Höhen bebartet, steht eine
verlassene Lehmhütte an seinen alten
Malbaum gelehnt, wie ein anz alter
Mann sich auf feinen Knotenstock
ftiibt —- windschief, mit tleinen ver
bleiten Fensterchen, deren Quadrate
zerstoben und hier und da mit Lum
pen, bergilbtem Papier und derglei
chen verstopft und verllebt sind. Das
geflochtene Geripp der Wände schaut
an einigen Stellen durch die zer
splifsene Lehmlrufte; das beknooste
Dach sitzt auf der Hütte auf einem
Ohr und fchlappt halb über die Fen
sier wie eine griinsamtene Kapuze. —
Das war vor nicht febr langer Zeit
noch das heim des Veteranen Lenz
Jm Weiter hieß es bei gelegentli
cher Frage nach der jämmerlichen
Paradie, deren einfaches Elend un
willkürlich ang Herz griff — nach
den Bewohnern. dem Greise vor al
lem. dessen weißer Kopf von Zeit zu
Zeit an einer Oeffnung erfchien, wie
lauschend, aus dessen runzelverrilltem
Gesicht zwei junggebliebene Blauam
gen in fanatifchem Feuer beinahe den
Fremden anbliyten und ihm dann
doch nachtrauerten -—- wie —- wie
Enoch Ardens Augen —- im Weiter
bieß es: »Ihr wißt doch ——— der
Stinrich Lenz — unser Heinrich —
jn, der bei Sedan eine ganze Vatierie
nahm, fast allein, mit ein paar Mann
nur —- den rechten Arm haben sie
ihm ganz kaput geschossen — er ist
doch dransgeaangen —- bei dem könnt
ihr aber auch das Eisekne Kreuz se
hen und die noch geladene Pistole von
dem Franzosenhauptmann, den er ge
sanaen nahm —- ja, unser Veteran
wohnt da, das war einer!" Sie sag
ten: der Veteran Lenz, und nicht
der Korbslechter Lenz. Mit dem All
tag geben sich die Leute nicht ab; es
kommt ganz von selbst, daß man seine
Helden aus ein Postament stellt und
nicht etwa mitten aus die Landstraße,
unter das Fußvolt der hungerleider.
Uebrigens: der Lenz gehörte ja
keineswegs zu den hungerleiderm
wenn er auch kein Vieh halten tonnte
und nur ganz selten mal ins Wirts
haus tam, arn Kaisersgeburtstag
oder am Z. September —- zur Feier;
der Stunde, da er weit, weit da drüil
den in Feindesland die Batterie nahm, l
mit zerschossenem Arm, vor so vielen’
Jahren
Nein, eigentlich war das noch gar
solange nicht her. Denn wenn der
Lenz, dessen Haare freilich mittler
weile geblichen waren, vom 2. Sep
tember 70 anfing —- seine Augen
glühten so unheimlich, und in seiner
Stimme bebte es ties und dumpf wie
im Schwange der Sturmglocte —
dann wurde alles toiede so lebendig,
die Hörer wurden in begeisteeungs
lohendem Schauer mit fortgerissen —
dann war es, als stürrne man dicht
hinter dem Lenz die Batteriez alles
sprang mit ihm auf, das Glas in der
Hand, den Vollstrom des Blutes jäh
linas im Herzen, und man fchrie
harra, als gelte es, Feindesmut nie
derzubrüllen Und hernach schlich
man lleinlaut nach Hause, neidete
man dem Veteranen die große Zeit,
der man nicht hatte angehören dür
fen, die große Tat, die man nicht
Watte mittun dürfen. Aber eine Zu
versicht trug man mit sich: was der
Lenz vollbracht —- lelber würde man
eö vollbringen, ganz bestimmt, wenn
der Kaiser rief, herrgott noch mal,
ja! Was hatte da ein zerschossenet
Arm, ein Leber in einer Lehmhiitte,
das Korbflechterhandwerl zu bedeu
ten —-— die Zeit, die Tat, das Kreuz
—- tvöre man doch der Lenz!
Freilich, freilich, es gab Tage, wo
nicht Kaisersgeburtötag oder Sedan
war, wo dle Augen nüchterner zufa
hen: da hatte die hänsltchlett am
Malbaum etwas Dürftiges an sich,
da lam manch einem die Ueberlegung
und auch wohl das Erbarmen, wenn
er des Weges ging und den Veteran
und sein Weib bei der Arbeit sah.
Ganz allein hätte es der Lenz ja na
tiirlich nicht schassen können mit ei
nem Arm. Und eine andere, als die
mittellose, von Dienst zu Dienst ge
stoßene Waise hätte sich seiner am
Ende nicht angenommen. Denn eine
gute Partie hatte man den Lenz nun
doch nicht mehr nennen liinnen —
ohne Vermögen —- mit dem taputen
Arm — trog des Kreuzes; das eigene
Kind hätte man ihm nicht geben mö
gen, nein. Je nun, alles im Leben
hatte eben seine zwei Seiten. Aber
stolz war man darum nicht weniger
auf den Lenz, und unbeteiligt, wie
man war, war es im Grunde auch
eine rechte Freude, anzusehen, wie
solch ganzer Kerl sich durchs Leben
schlug.
Denn das tat der Lenz in einer
Art, die über jedes Lob erhaben war.
Er war sparsam, hatte teinr Schul
den stehen, borgte nicht, bettelte nie.
Und seinen Jungen erzog er zu einem
stramnien, pslichttreuen Burschen. Jn
den schulsreien Stunden mußte der
den Eltern wacker mithelfen und,
schulentlassen, tam er gleich zum
Großbauer in Dienst. Da war den
Lenzen nun übers schlimmste hin
weggeholfen, dachte mancher. Wer
sollte auch wissen, daß der Vater ie
iden selbstverdienten Groschen des
YSohnes aus die hohe Kante legte,
jdamit der Bub sich seiner Armut
Ieinstmals nicht zu schämen brauche
Hund in des Königs Rock schmucker
austreten könne, als es der Vater ge
säonui. Niemand im Weiler ahnte
I as. ·
« Eines Tages aber verwirklichten
sich die Pläne und hossnungen des
sLenz und kamen so ans Licht. Und
zda geschah etwas Seltsames: der Ve
)teran, der held enttiiuschte — ent
tiiuschte zum ersten Male. War es,
daß die Leute sich geirrt hatten (und
Menschen, die sich geirrt haben, wer
den leicht irre und ärgerlich und Un
gerecht) —- war es, daß der ökonomi
sche Verstand eines Zeitgeschlechtes,
sdas keine anderen als ökonomische Be
diirsnisse und Jdeale kannte, sich in
Iihnen auslehnte ——: sie konnten es
nicht fassen, nicht zurückhalten mit
jdem Vorwurf, daß der Lenz, der ge
swiß ja ein ausgezeichneter und lebens
tiichiiger Mann von jeher gewesen,
der aber doch sein seinem ,,Kriegsma
tör« gestrichen gewesen von der Liste
»der Zukunftsmiinner und ein Kum
merdasein gesristet — daß ausgerech
net der hingegangen war und seinen
Einzigen hatte Soldat werden lassen,
wo doch alle Voraussetzungen einer
aussichtsreichen Reklamation siir ihn
so günstig wie möglich gelegen.
Bald ward er ihnen zum Angek
nis: der Mann war ja verrückt, ein
Streber, einer, der in seinem über
schwenglichen Pairiotiömus ihnen mit
einem Präzedenziall ins gute Recht
»psuschte, der nicht genug hatte an sei
nem Kreuz, der noch mehr wollte, sich
anschustern, lieb Kind machen irgend
wo da oben, wo man so was natürlich
Jgern sah und gierig ausgriss.
I Dann ließen sie ihn ganz fallen.
Geholsen hatte ihm— jaunie jemand,
nun aber begannen sie, ihn zu verach
ten. Seit jener Zeit hies; es im
Weilen »Der? Ach, dai ist der Korb
siechter Lenz«, und sie wiesen mit dem
Finger nach der Stirn, um anzudeu
ten: dem ist nicht ganz richtig im
Lberitiibchen. Und als der Alte am
Sedantag ins Wirtshaus trat, stan
den sie lnttrrend auf, maßen ihn von;
der Seite und ließen ihn stehen.
Ta hatte der Veteran erkannt, daß»
nichts unbeständiger
schenneiqung, nichts hohler als Men
schenruhm, nichts gleichgültiger als
Vergessenwerden Er war nicht mehr
unter die Leute gegangen, aber am 2.
September des folgenden Jahres har
te er sein Weib bei der band genom
men, war zur Höhe gestiegen, hatte
Reisia qeiammelt, einen mächtigen
Scheiterhaufen voll, hatte ihn ent
zündet. Und als die helle Flamme
zum nächtigen Himmel geleckt, hatte
er die nervige Linie gereclt und ein
dreimalig Hurral geschmettert liber
das Tal und die armen Menschen
hinweg-. die da unten blutleeren her
zens lauerten, seines Höhern fähig,
und ihr alles setzten an den Meißen
den gepräqten Kaiser und kein Ge
iiihl mehr hatten fiir den Kaiser von
Fleisch und Blut, der das Teuerste
verlörperte,
Wider-fand
isi als Men- ’
was sie besaßen — das.
i
Der Sohn war dazu gelonimen«
mit Urlaub, gerade noch recht. Siolzl
sah der aus im prallen Ertrarocl
seiner Arlillerieuniform, männlich,
würdig. Den rüttelte der Vater an
der Schulter: »Jung, daß du mir
nicht mirsi, wie die da. Wenn du
anders denkst, als wir Alten, freier
—- dann aut, sag’ö offen heraus. Die
Zeilen ändern sich, das weiß ich.
Aber lein Lauer sollst du mir sein,
sondern ein ganzer Mann. Bin's
auch gewesen« Und er schlug sich
an die linle Brustseite, wo aus dem
verspecklen, sadenscheinigen Schwarz
des Bralenrocles das Eisetne Kreuz
zitterte.
Die unten hatten das Feuer gese
hen und die blinkende Unisorm des
jungen Soldaten. »Der Korbslechler
hat den Größenwahn«, meinten sie
unddann entschieden sie voller Un
mut: Es geht nin mehr so, die Al
len dilrsen sich nicht so autdrängem
müssen schweigen, wir Jungen haben
Idas Recht! Mir müssen ihnen ei
gen, daß sie ausgespielt haben. Eifer
ne Kreuze — schön und gut, heut im
Frieden gilt was anderes.'« Und sie
vergaßen, daß es die Kreuze gewesen.
die ihnen das geschossen, was ihnen
ketwas galt — Kreuze, an· denen
Ischwen eisenschwer getragen wurde
Aber es bedurfte nicht ihres Zu
tuns. Es kam wer, der den beschei
Idenen Helden von Sedan stiller many
te, als er je gewesen, ganz still: —
das Schicksal, die Not.
Den nächsten Sednntng sollte der
Sohn nicht mehr mitseiern. Bei einer
Uebung in schwierigem Gelände war
eins der Stangenpserde gestürzt, hatte
seinen Reiter mit sich gerissen, beide
waren zermalmt worden.
I »Geschah dem Alten recht,« sagten
die Härtesten im Weiter; »was
brauchte der arme Schlucker den Jun
gen auch Soldat spielen zu lassen«
—- andere: »bätte reklamieren sollen,
dann wär der Bursch steigekommen
und er hätte statt der Leiche ’nen Er
nährer« —- dritte.
Lenz aber saß mit seinem notvers
dorrten, arbeitvertriimmten Weibe vor
seiner Hütte und schaute ins Weite
»’s ist eigen, ’s paßt alles zusammen
Zeit und Mensch,« meinte er nur und
schüttelte ein iibers andere Mal den
weißen Kopf. »Ich geb’ in den Krieg,
hör wohl tausend Kugeln pfeisen,
renn mitten ins feindliche Feuer und
krieg nichts ab als das bißchen kapu
ten Arm. Und der Jung macht sei
nen Dienst mitten im Frieden und
gebt zuschanden. ’s ist nichts mehr,
alles ist lau. Wär der Jung vorm
Feind gesallen, so mitten drin —
ja, das wär noch was! —- aber so
— —- ’s ist nichts mehr.« Und das
Wasser lief ihm aus den Augen übers
Gesicht.
Noch schlimmer kam s Das Weib
erlag dem Gram, wurde bettläaerig,
schwand zusehends bin. Nun wars
auch mit dem Handwerk nichts mehr,
mit einem Arm waren keine Körbe
Izu flechten, beim besten Willen nicht.
Das Brot wurde knapp und knapper,
Idie kleinen» Ersparnisse neigten ihrem
fEnde zu.
Da ging, mitleidaetrieben, der
Ortsvorsteher zum Lenz. »Macht
seine Eingabe Lenz, ich befiirworte fie,
Ieinen Mann, wie Euch, läßt der
Staat nicht im Stich.«
Der Alte schiittelte das Haupt:
.Betteln? —- nein, Herr Ortsvor
stand, das tut der Lenz nicht«
Aber der Großbauer. der sich noch
der guten Dienste des jungen Lenz
erinnerte. gab die Hoffnung nicht
auf. »Wenn nun Eure Sache im
Reichstag durchlommti Wißt Jhr
frische von man beschließen win, site
alle bedürstigen Veteranen zu sor
Igen'i«
s Des Alten Augen bekamen einen
iseltenen Glanz: »Das wollen sie?!
jMein deutsches Voll will das?! —
,Ja, Herr Ortsvorstand, wenn es so
stommt dann ist es was anderes;
»wenn mein deutsches Voll das frei
willig beschließt, dann darf ich es
annehmen.« »
, Am Sedantaae besuchte der Orts
Ivorsteber den Lenz abermals. Dies
Hisrau lag im Sterben. Er selbst;
sagte nur« und es war das Beben inl
seiner Stimme, das friiher bei seinen
tsrzählunaeri mitgetlungen, aber «·n«
seinem Blick war das Feuer erlo-(
schen! »Ich weiß schon, es ist nichts
Mein deutsches Voll will nicht. GsI
ist aut, Herr Ortsvorstand.« s
»Nein, Lenz, ich hab hier was tiirs
Euch« —- der Großbauer zählte stian
Goldstücke aus den Tisch — »das.
haben deutsche Frauen fiir Euch ge-I
sammelt.«
Der Alte tat einen Schritt zurück,
als sei man ihm zu nahe getreten:
»Ein Mann nimmt nichts von
Frauen. Mein deutsches Volt will
nicht — es ift gut, here Ortsvor
stand, ich danke.'«
Der andere mußte das Geld wieder
einstecken und zog unverrichteter Din
ge ab. Der Lenz hatte wirklich den
fGröszenniahm dem war nicht zu hel
en.
Am anderen Tag aber, als man
den Ortsvorsteher zur Lehrnhiitte rief,
und er sah, begann er zu begreifen,
und es erschütterte ihn tief. Vor der
offenen Titr qualmte ein Häuflein
Reisig; das war dem Lenz sein Se
danfeuer gewesen. Drinnen aber lag
vor der zerlumpten Matratzr. auf der«
die Leiche der Frau ruhte, der tote
Beteran Lenz· Er hatte sich mit der
Pistole desA Franzosenhauvtmannes
erschossen
Oin stets-er Zorne-.
In der Nacht fängt das Kind an
heftig zu schreien. Da es nicht auf
hört, steht der biedete bangt-nich der
vor kurzem aus der Knetpe heimge
kommen, wieder aus dem Bettte aus«
nimmt den Kinderwagen und fährt:
damit im Zimmer herum. Um dass
Kind zu beruhigen, singt er mit et
was schwerfälliger Stimme:· ,hulla.
Hulla ha —- Hulla hulia hat« Das!
seht so eine halbe Stunde eintönth
ori. s
Endlich ruft seine Ehehtiifte aus
ihrem Bett: »Aber Männeten, bös
doch nu auf und leg’ Dich ins Bett!«
»Cch muß doch den Balg eischläs
fern«, tust der Ehegatte zurück.
»Btummochfe! Das Kind liegt doch
bei mich im Bette!«
sie Hrruzstter.
Von Jven situsr.
Ueber das Dorfmoor kam, heiser
trächzend ein ganzes Geschwader
lohlschwarzer Rrähen geflogen. Es
war Tun Spätnachmittag, und sie
lwollten in der Schonung, die sich auf
dem im schrägen Sonnenlicht flim
mernden fandigen Hang erhob, zu
Neste ziehen. Viel Scheu hatten die
Vögel nicht, denn hier war sozusa
gen noch Wildnis. Der Hang war
mit rotbliihender Heide und mit
würzig duftendem Thymian überwu
chert, und die Schonung, die wohl
den ersten Vorstoß der Zivilisation
darstellte, bestand aus gespenstig
mißwachsenen, ruppigen Kiefern.So
weit man sich auch umblicken mochte,
nur ein Häuschen war rundum zu
erblicken. Es stand wie ein verlore
ner Posten dicht am Rande des
Mooreg, vorsichtig und ängstlich ge
duckt, geborgen unter einer Pappel
gruppe« deren blanke Blätter trotz der
Windstille fortwährend leicht säusel
ten, und der einige Apfels und Birn
bäume als Hilssdeckung zur Seite ge
treten waren. Die weißgekallten
Fachwerlwände blinlten lichtrosig
überhaucht in der sich neigenden Son
ne, und die kleinen Fenster, die
freundlich unter dem tief herabgesp
genen und griin bemoosten Stroh
dach bervorblinzelten. glichen vorsich
tia lugenden Aeuglein. Aber in dag
Moor —- das die weit entfernt wob
nenden Bauern nicht mit Unrecht
»die Walachei'« getauft hatten —
schienen sie nicht gern zu blicken. Des
halb war nah vor ihnen von den Be
wohnern ein dichtes Gitter von Stock-—
Irosen angepflanzt worden, die fast
lbis zur Firsibiibe reichten und zahl
«reich mit hübschen, weiß, gelb und
irot schimmernden Blüten besetzt wa
iren. Die anderen Seiten des Han
!ses umgab ein Görtlein mit Blumen.
«Gerniile, Beerenstriiuchern und jungen
Obstbiiumen.
! Die Krähen überflogen das Anwe
fen, äugend und zöaernd Vielleicht
war hier noch ein delikater Abfallb O-·
fen vorn Kehrichthaufen mitzuneh
men? Aber nein. Seit man im
EFriihinhr den vom Zehrfsieber hin
wquernfften Besitzer des Hauses in
jdern lanaen fchwanen Kasten nach
Zdern Friedhof des fernen und reichen
FKirchdorfes gefahren hatte, waren die
sBiffen immer rarer aeworden. Und
mit mißacbtendem Geschrei iiber den
Geiz der hinterbliebenen eFrau stieqcn
isie wieder höher in den blanken Hun
mel empor und verschwanden in den
;Wipfeln der Kiefern, die sie mit in
Hren Nestern punktiert hatten.
I i III s
Die grün gestrichene, in der Mitte
tgeteilte ,,Vlangen« - Tür der Katz
stand auf. Der Oberteil war ganz
Jan die Wand zurückgeschlagem der
»untere Teil war durch einen vorge
sschobenen Ziegel auf den Trittsteinen
festgehalten. Vor ihr auf dem brei-?
ten Gartensteige zwischen den Sta
chelbeerbiischen spielte im Sande ein.
etwa vierjähriges sahlhaariges Biib !
lein mit ein paar Halzllötzchen Dies
Pforte, die den Ausgang zum Moor’
hinab verschloß, war sorgfältig einen-!
klinkt, und das war wohl nötig, denn’
das Kind schien ganz allein zu seins
Nur in der Oeffnung der Dachlulhs
in dem Giebelvorbau über der Tür,
war noch ein lebendes Wesen zu he
merlen; dort hockte, von der Sonne
beschienen. in nachdenklicher Stellungi
ein mächtigen gelb und grau gestreif
ter Kater mit glänzendem Fell, der
behaglich spann und iiber die Zufrie
denheit als Grundlage des Weltw
seins zu philosophieren schien. Zuwid
len hörte man auch das ewig besorg
te Gackern einiger Hennem die sich an
der Brettereinfassung des Schwengel
brunnens unter den Pappeln ein
Sandbett zurechtgemacht hatten und
ein lombiniertes Sand- und Son
nenbad nahmen. Aber über diese bor
niert - pessimistischen Stimmen hörte
der Kater mit vornehmer Gelassen
heit hinweg.
Vom Moor her näherte sich -— die
Vesperzeit war herangekommen —
eine Frau. Trotz ihrer Jugend ging
sie, von Arbeit und Sorgen gedrückt.
vorniibergebeugi. Torsstaub lag auf
ihrem Konsiuch und aus ihren Lin-l
nenärmeln. Sie hatte augenscheinlich
draußen im Moor Torsstiicke zum
Trocknen in Ninghausen gesetzt, denn
in ihrer blauleinenen Schürze sah
man auch zwei dunkle Kniefleckr. Noch
einmal, ehe sie die Pforte aufklinkte.
blickte sie ins Moor zurück, das braun
und slach und unendlich, mit vielen
großen nnd noch mehr lleinen Toki
hausen bedeckt, in der Spätsonne lag.
Nur vereinzelte Wiesenstiicke leuchteten
griin aus dem Torsbraun heraus:
hier und da blinkten vor den Tots
stichiviinden kleinere und größere
Wassertiimpel mit verstecktem Glanze
aus, aus denen Binsen und fleischige
Rohrkolben herwrwuckfen Die Frau
legte die Hand über die Augen. Moch
te im übrigen Moor geschehen, wa
da wollte, das ging sie nichts an, es
gehörte den gro en Bauern; sie
schaute nur nach i rem Stückchen und
aus die Wiese daneben, aus der ihre
einzige Kuh weidete. Und diese Kuh,
»Brunella« geheißen. war ein tempe
ramentvolleö und äußerst neugieriges
Wesen; sie brachte es unbedenklich
sertig, iiber den Wiese und Moor
stiick trennendin Hbftgraben zu sprin
gen und die mühsam gesetzten Tars
ringe zum Zeitvertreib mit ihren Hist
nern auseinandetzubringen. Doch
nein. noch graste Brunella ganz fried
fertig und schien keinerlei Schelmen
stücke im Kopf zu haben.
I Nun hob die Frau das sie ver
jgniigt anträhende Bübchen auf den
IArm und liebkoste es mit wortlarger
LJnnigkeiL bis der Junge ungeduldig
wieder zu seinem Spielzeug strebte.
Sie ließ ihn und holte aus der Kit
che einen Napf mit Milch, setzte sich
aus das Bänkchen unter den schwer
Ifällig nickenden Sonnenblumen und
brockte eifrig einige Zwieback und
Kringel hinein. Der Kater droben
machte ebenso gierig wie vorsichtig
einen langen Hals; aber er wusztc
)wohl, daß dieser Napf nicht für ihn
xbestimmt sei, und tauerte sich wieder
thin. Er schnurrte nicht mehr, und
»in das würdige Gesicht war ein miß
vergniigter und ungehaltener Zug
gekommen, der anzudeuten schien, daß
seine Philosophie einen argen Knarr
belommen habe. Die Speise war
fertig, und die Mutter lockte den
Jungen mit gemachsamer und zuver
sichtlicher Zärtlichkeit herbei. Er hör
te das Wort »Melk«, warf vergnügt
seine Holzllötzchen beiseite und tain
eilends herbei·
»Brunella,« sagte er verständnis
innig.
»Ja, ja, Brunella; Brunella itt, ät
Du ock!« mahnte si.
Der Kleine s lürfte behaglich
ungeschickt aus dem vorgehaltene-u
Löffel, aber die Kringelstücke schienen
ihm noch zu hart zu sein, und er
suchte sie zu umgehen, ja er schob sie
zuletzt mit den Fingerchen zurück.
Die Mutter war jedoch mit diesem
Manöver nicht einverstanden, und
unnachsichtig schalt sie:
,«,Du Leckertänl Ni de Melk allern,
uck Brot äten!«
»Uck Brot äten... Leckertiin....«
suchte der kleine Asmus belustigend
diese Mahnworte zu wiederholen, als
ob er sie sich einprägen müsse.
Etwas angehalten nahm die Mut
ter das Bittschchen, das selbst das
Essen noch nicht ernst nahm, auf
den Schoß; aber auch jetzt fand sie
noch nicht das erwartete Entgegen
kommen. Asmus guckte vielmehr aus
merlsam ins Moor und sagte dann:
«Brunella —- buh, buh!«
»Ja, ja, itt man to,« erwiderte die
Mutter abgespannt; als aber der
Junge mit dem »Buh. buh!« fon
fuhr und sie seinem Blick folgte, be
merkte sie zu ihrem Entsetzen, daß die
revolutionäre Brunella in Oder Tat
über den Gruben gesprungen war
»und die Torfringe, das Werk eines
mühevollen LlrbeitsOges, dem Erdbo
den gleich zu machen strebte.
Rasch setzte sie den kleinen Aswud
in den Sand, gab ihm den Nan
zwischen die Beinchen, den Löffel in
die Rechte, und sagte zu ihm:
»Jtt sülben, Du Leckertän —- awet
dat Brot uck!«
Dann lief sie wie ein Tütvog.-l
ins Moor hinab.
.- .4.
svs
Ebenso selbstzusrieden wie tappt-i
lösselte der Junge weiter.
Dem beschaulichen Kater droben
schien jetzt wohl der Augenblick gün
stig, den Knncks in seiner Philosophie
zu reparieren und zum mindesten mit
Asmus Halbpart zu machen; er hob
sich aus die Pfoten und schien die
Höhe des Sprungs zu bemessen, die
ihn von dem Milchnaps trennte. Aber
eine andere Kreatur kam ihm zuvor.
Aus dem Heidelraut am Rande des
Gärtchens hob sich ein Kreuzotterlopf
mit tückisch Und gierig funkelnden
Aeuglein und lüstern spielender Ga
belzunge, und bald wandte sich der
kupsrig schillernde Wurm geräuschlos
näher. Der schwer enttäuschte Karer
droben machte einen krummen Buckel,
sein Pelz sträubte sich, seine gelben
Augen sprühten knisternde Neid-,
Wut- und Angstfunlen und er wuch
te was hast du, was kannst du. Aber
die Otter sochi das nicht weiter an;
geschmeidig schlängelte sie sich näher
und näher, ringelte sich am Rand des
Napses empor und begann dann die
Milch zu schlecken
Dem Jungen war so eine Frech
heit noch nicht vorgekommen. Der Ka
ter —- das tvär’ mag anders gewefem
der war Spiellamerad und Hausge
nosse. Er starrte das fremde und
widertvärtige Tier zuerst maßlog ver
dsszt an; den Löffel hatte er zuriick
gezogen und hielt ibn wie eine prä
fentierte Waffe in der Rechten Dmn
wich feine Betroffenheit einem leb
haftem mit Erheiterung gepaarten
Interesse. Als er aber merkte. daß
auch der Wurm die Seminelftücke lie
gen ließ, hufchte es wie ein Schatten
über fein freundliches Gesicht: er
schlug mit dem Löffel an den Rand
des Napfes und rief befehlendt
»Du Leckertän — Brot uck, Brot
uel!«
Der durftigen Kreuzotter war die
Erfchiitterrmg des Milchbehiilters au
genscheinlich unangenehm; nervös
glitt sie von dem Topf herab und hob
dann zifchend den falschen, wutsprü
henden Kopf...
Da klang die Pforte; der Ruf ,.’n
Adder! ’n Adder!« wurde hörbar;
die Mutter war zurückgekommen nnd
hatte mit einem Blick die Gefahr
übersehen, in der ihr Junge schweb
te -— totenbloß riß sie ihn empor und
starrte der verfcheuchten Viper, die
eilig im Heidenlrcmt verschwand, wie
gebannt nach. De: Junge aber sagte
mit der ruhigsten Entriistung des Ge
rechten: ,,De Leckertönt Fi, fi! Blut
de Mell eet he, b!ot de Melk!«
»Ja, ja,« stammelte die Mutter
mit stockendem Herzschlag »ja, ja—.«
und ihn stürmisch an sich pressend,
verschwand sie mit demBiibchen in
der Haustür.
sc· se .
Der Kater droben, der ein höchst
selbstgerechtes Gesicht schnitt, war mit
dieser Entwickelung der Dinge im
Grunde ganz einverstanden. Es kam
nur darauf an, ob man zu warten
vermochte — mit dieser Erkenntnis
schob er seine Philosyphie wieder ins
Gleichgewicht Noch einmal blickte :
abschätzend herab; dann wagte , er
den Sprung und machtesich über den
ansehnlichen Rest der Mahlzeit her;
wie durch ein Wunder war nur we
nig verschüttet worden. Niemand
störte ihn bei seinem Schmaus-. Aber
um der Vollständigkeit willen sei
hinzugefügt: er machte reinen Tisch
und verschmähte auch die Samuel
stiicke nicht.
Brahms Streiche.
Von dem berühmten Hamburger
Komponisten erzählt man sich folgende
hübsche Aneldoten:
Brahms war als echter Norddeut
scher sehr zurückhaltend Dennoch
hatte er den Schelm im Nacken, wie
folgende Streiche beweisen: Einmal
ruhte Brahms in seinem Garten un
ter einem Baume aus-, als sich ihm
ein Fremder näherte- und ihm in
wohlgesetzter Rede seine Bewunde
rung fiir die Erzeugnisse der Brahms
schen Muse zum Ausdruck brachte.
Der berufsmäßige Jnterviewer war
gar zu erkenntlich, und Brahms konn
te der Versuchung nicht widerstehen,
ihm einen Streich zu spielen. Er un
terbrach den Redeslusz mit den Wor
ten: ,,Lieber Herr, hier muß ein
Irrtum vorliegen. Wahrscheinlich su
chen Sie meinen Bruder, dem Kom
Ponistem Der ist leider gerade ausge
gangen. Wenn Sie sich aber beeilen
und den Pfad entlang durch den
Wald auf den Hiigel laufen, können
Sie ihn vielleicht noch einholen.«
Komplimente von Leuten, die ihm
leine zu machen hatten, wußte Brams
auf merlwiirdiger Weise abzulehnen.
Einmal saß Brahms zum Beispiel in
heiterer Gesellschaft an der Tafel ei
nes Wirtshauses. Er bestellte den
besten Wein, den der Wirt hätte.
»Hier ist ein Wein,« sagte der Wirt,
»der alle anderen ebenso übertrifft
wie Brahmssche Musik alle andere·«
— »Na, dann nehmen Sie ihn nur
wieder zuriicl«, sagte Brahms trot
ken, »und bringen Sie uns eine Fla
sche Bach.«
Eine Geschichte von Brahms ist zu
bezeichnend fiir seine Geistesari. als
daß sie hier weggelassen werden dürf
te, obwohl sie die Bezeichnung Streich
ganz und gar nicht verdient.
Brahms war bei seinen Eltern zu Be
such gewesen und sagte beim Abschied
zu seinem Vater: »Tu, Vater, wenn
es Dir einmal schlecht gehen sollte,
der beste Trost ist immer die Musik.
Lies nur fleißig in meinem alten
,«Zaul«, da wirst Du finden, was
Du brauchen lannst.« Brahms hatte
nämlich heimlich zwischen die Seiten
von Handels »Saul« ein Bündel
Banlnoten verteilt!
——— qf
teiqinelle alte Theater-seiten
Französische Theaterzettel aus dem
Anfang des vorigen Jahrhunderts be
weisen, wie schon damals findige Di
rektoren die Neugierde und Schaulust
des Publikums anzulocken suchten.
Einige verlieren auch in der Ueberset
zung nicht völlig ihren Reiz, wie
z. B. »Der lebendige Tote oder die
geprellten Erben« , »Das salomonische
HUrteil oder das von Justiz wegen
in Stücke geschnittene Kind«, »Robert
der Teufel oder der zwischen Tu
gend und Laster taumelnde Jüng
ling.« Allem aber setzte im Jahre
1824 ein Theaterdireltor in St Ome
die Krone aus« indem er vor seiner
Abreise eine Extra-Gala-Vorstellung
antiindigt, in der er dem hochverehr
ten Publikum vorsiihren wird: »Die
Einbildungen der Frau Pornelle oder
die an dem Busen einer anständigen
Familie gewärmte Schlange, Lustspiel
in siinf Akten und sehr schönen Ver
sen von weiland Poquelin Moli(«sre«,
und zweitens-: »Die galantenf Aben
teuer eines Leutnants der leichten Jn
santerie, lomische Oper in drei At
ten von Eugen Scribe und dem fran
zösischen Komponisten Boildieu«
Unter diesen Titeln sind dann auch
,,Tartiisse« und »Die weiße Dame«
über die Bühne gegangen.
tte Vater-pfe.
Eine deutsche Mutter erzählt:
Meine kleine Dreijährige ist in
dem beneidenswerten Stadium, wo
sie nach allem fragt, ganz gleich, ob
man es beantworten kann, oder nicht.
Neulich mittags zeigte sie aus die Zah
len am Rücken ihrer neuen Bade
puppe und fragte wieder einmal:
»Was ist das, Mutti?« »Das ist der
Preis des Püppchens.« »Was -ist
das?« »Es heißt wie teuer sie war.«
»Wie teuer war sie denn?« »Dreiszig
Cents.« Das Kind schwieg. Abends
im Bett strampelte es sich bloß, legte
sich aus sen Bauch und ries: ,,Mutti!«
»Was denn, mein Liebling?" »Guck
doch mal, wie teuer ich wart«