Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 05, 1912, Zweiter Theil, Image 9

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    Uebraika
Staats- Anzetger und Eifer-old
Jahrg« 03
Tuns« (Zwei kTyä L)
Nummer
v
III III-o
Von conrad Ierdinand
Meyer.
WO—
«Jch bin das Lied åind fahr hoch und
Durch alles Land, der Lenz ist meini
Gesell. l
Jch bin der Lerchentriller lief intl
Blau II.1
Jch bin der Gloglenschlag iin Abend
grau n
Ich wand re mit dem Herdgeläut vor
bei
Langsam. Ich bin das Echo der
Schalmei.
Jch bin das Klingen, das die Nacht
durchzieht.
Die Seele der Natur, ich bin das
Lied!
Mir ungeboren ist der Freude Laut,
Auch dunkle Sehnsucht ist rnir wohl
vertraut, »
Und bin ich schweren Mute-s, bin ich
bang.
Jst-i wieder nur des Lebens Ueber
drang.
ch bin ein tapfer underziirtelt Kind.
« n meinen haaren spielt der Berges
wind,
Mein Unbedncht und voll empfindend
. .. HM .
Ertrögt die hochite Luft. den tiefsten
Schmux
Doch bin ich nicht der Laut der Seele
nur,
Und nicht allein die Sprache der
Natur,
Ich bin der Ton. der Beide sie der
bindei,
Jn Altn und Firn das Vaterland
empiindetx
Jch bin das heimweh - das die hei
mal mißt,
Auch wenn sie nicht ein Land der
Freien ist:
Doch iii sie durch das Blut der Väter
frei,
Bin ich ein hell gejudelt Feldgeichreil«
k—-».,«.-— -
purnorejle von R o b a N o b a.
Alt ich noch ein kleines Möbel war
»- an die zwölf Jahre alt — da
wohnte Papa, und ich natürlich mit
ibm, auf Pußta Jlinyi. - - Das war
ein großer Besin. Von Jlintzi allein
waren breitauienb ilawoniiche Joch
unter dem Pflugr, und dazu kamen
noch zwei Vorwertr. -- So hatte
Papa viel, sehr viel zu tun unb mußte
meine Erziehung wohl oder übel
Fräulein Camilla Wagernunb über:
lassen, die damals eben Gouvernante
bei uns wurde.
Jm Verlaufe von fünf Jahren hat
ten mich bie verschiedensten hänbe zu
zügeln versucht. Da war zunächsti
Fräulein Irida Knappke, eine Nord
deutsche, bie eine Joche nach ihrer
Die alte Geige
1
Ankunft auf Pußta lintzi bei Nachtz
und Nebel entfloln n einem zurück
gelassenen Briefe schrieb sie, Angst vor
mir hätte sie vertrieben. Da war
Fräulein Antoinette Duvernois, eine
Französim bie ging, weil sie, wie
Wallenitein, Nellon und der Löwe «
den Schrei der Häbne nicht ertrug.
Anette Caro. ebenfalls Französim die
eines Abends einen Brief in Versen
an Papa schrieb und am Morgen bar-,
aui spurlos verschwunden war.
MIC- Miller, die Englänberin. deren
Zir ich in den Brunnen warf -
v « sie aus Krönlunq.
M lsnnte ich sie alle aufziiblem
Zwei Dunend nicht eine weniger.
Keine blieb iiber ein Vierteljahr -
eine ausgenommen die Miß Ferauson
hieß und fehr firena gegen mich war.
Sie blieb fechg Monate und wäre
wohl noch lönaer geblieben, wenn
Papa nicht zufällig erfahren hätte.
daß sie früher in einer wandernden
Menagerie Tvmpteufe gewesen. Da
mußte auch sie gehen -- fo zufrieden
Papa fonft mit ihren Unterrichtsa
folgen war. - Die vierundzwanzigfle
Gouvernanie hieß Fräulein Camilla
Waneniund
Ra, daß ins mir irn Laufe der Zeit
eine gewisse Kenntnis irn Gouvernem
tentpefen erworben hatte, wird mir bei
meinen Erfahrungen wohl Niemand
iireitin machen wollen· Wenn ich
nun sage: Fräulein Camilla war ein
Unilum von einer Gouvernante, fo
war fie’s auch. Jede andere Lehrerin
neht an das Klavier widerwillig oder
doch wenigstens nleichgiiltig herun.
Diefe fehreeiliche Person aber liebte
das Klavier, und die abgedruckten wi
derlichen Töne einer Unterricht-Hunde
die ieden rafend machen. waren ihr
eine Quelle melodischen Grause-. ———(
Rein. ich bin niehi fo engherziq und
Unterweist nicht zu begreifen. wie
sieh eilienotifehe Schleckerniäuler am
-..-.. —
Lebertran iitlich tun können. JchT
versteh die ototuden, die sich KorteT
in die Nase stecken und das itr nettl
und prctttisitfv erklären. —- Nur die’
Eurapiin F e ich nicht, die Freude
an der Mu it haben. Musitrnachen ist
von allen denlbaren Geräuschen das
weitaus unangenebmstr.
So viel ich auch Papa ansiehte, er
möge mir das Klavier-spielen erlassen
;—- er blieb unerbittlich. —-— »Mein
vSohn muß das tönnen«, sagte er.
»Alle jungen Leute von Schliss und
Bildung spielen wenigstens ein Jn
strument.« —-- Papa bedandelte mich
nämlich. weil ich seine Einzige war,
’als wäre ich ein Sahn.
; »Aber Du « Papa — warum
Ilannst Das nicht?« sragte ich beschei
den«
; »Weil mein Vater aus sein Kind
snicht so bedacht war, wie Deiner.«
Da ries Fräulein Camilla, und ich
Imuszte zur Stunde
i Wie immer, wenn mich etwas recht
tief bedrückte. ritt ich aus die bestockte
Heide zu meinem Freunde, Schweine
birtå kleinem Stephan, um mein Leid
an seiner treuen Brust auszuweinen
- Ich tras ibn gerade beim Hut
ausbessern Er spannte seinen schad
hasten Filz über einen halben Fla
scheniiirbis und niihte ibn am Rande
iest. Er lud mich in eine hoble
Weide ein« die er als Van hergerichtet
hatte, und gab mir gebratene Amei
seneier u essen. Was aber das Kla
vierspieien angeht, da wußte er mir
keinen Rat. — Betrübt - um eine
hassnung ärmer - wandte ich mei
nen lleinen Rappen nach Hause. »Er
ging in träumerischswiegendern Paß
die Linie entlang vorbei am Ziegel
schlag.
»Von giotno, bon giorno, signo
rina - come ita?« rief Giuieppe, der
Partieiiibrer der Ziegellchläger, aus
und deutete nach hinten. » Da er
tönte in der Lehmgrube eine Mari
nette, dazwischen eine Trommel, eine
Geige, ein Schellenbaum und Cinel
len.
Giuiedpe hielt galant und lachend
imein Pierdchen - ich sprang ab und
lief an den Rand der theslardr. --—
Unten stand ein Jtaliener mit einer
Messingllite auf dem Kopie und einer
Trommel auf dem Rücken. die er mit
dem Unterarme schlug. Er blies die
Klarinette, und wenn er mit dem
Fuße ausstampfte· rasselten oben auf
der Trommel die Cinellen. Zu alledem
spielte David, der alte sit-rennen die
Violine. und die anderen fangen mit
hellen Stimmen.
Jch lonnte mich iiber den Jtaliener
nicht genug wundern. Wie dieser
geniale Mensch machte mit hönden
und Füßen Musik auf vier Instru
menten aus einmal, und ich - ich
tonnte nicht ein einziges erlernen?
.David«, bat ich den Zigeuner, der
fiir die Ziegellchlsger kochte und von
ihnen italienilch erlernt hatte »Da
oid, frag’ doch diesen Deren, wie er
das alles erlernt hat. - Ich möchte
das auch gern lönnen.'·
»Eh, Junker Marias-« - - das war
mein Sviynnme, aber eigentlich hieß
ich Maria »das lannit Du nie
erlernen. Und es was Dir-auch nicht
nütze. denn sieht wenn Dur- auch
tannit, wo niminit Du die Sachen
alle her, die man dazu braucht-? Hast
Du Geld aenuq, Dir iolch eine gol
dene Mütze zu laufen die goldenen
Teller die große silberne Trom
mel? Von der Pfeife spreche ich nicht,
die könnte ich dir ichnitien —«
»Ach, David. Du hast recht. Ich
tann nicht einmal Klavierspielen kr
lernen, wo man doch nur zwei Hände
dazu braucht - - geschweige denn das
»Kiavierioielen iit ichwer«. begann
David fachmännisch. »Ich ienn’ das.
Da lob’ ich mir die Geige. Jeder,
der iie anfaßt, tann see schon halb.«
»Wie das, Oniel David?« fragte
ich interessiert und zärtlich.
»Je nun, Junker, was die rechte
Hand tut - io — mit dein
Bogen din- und herfahren, das trittst
Du qleich, wenn Du das Ding nur
in die band zu nehmen geruhft. sEI
iit aerade wie mit einer Baumiiigr.
Bleibt Dir nur noch eine Meinigteit
mit der Linien zu lernen, und Du bist
ein iertiaer Primaeiger --- ——«
Am nächsten Sonntag saß ich vom
Morgen bis zum Abend auf dem
warteten siegelt-ten und iidelte unver
drossen: «hiir’ mich, Du s- Du,
»Miidel mit ’in kurzen Röck’l.« Neben
mir richtete Onkel David eine Geige
her. die ieit Menichenaedenten unbe
nust in Panos Spiegelichrant ekele
aen. capa soll sie einit von einem
Großes-eint geerbt baden. Gestern
datte ich mich ihrer erinnert und fte
deimlich mit hinaus in den Ziegel
»ichlaa genommen.
» Ich wollte durchaus aeiaen lernen.
isiit ichiens leichter, viel leichter, als
das Klavierspielen hatte es doch
sogar der dumme Jlia begriffen. —
Papa, dachte ich mir, würde mir
dann das Klavier erlassen.
Am Abend des zweiten Sonntags
sagte David: »Junter, Du hast nun
gründlich ausgelernt Jch will noch
etwas dazu tun und schenke Dir die
schöne. gelde Violine, die Du in der
gand hältst. Das alte, schwor e
ing aber. das Du mitgebracht ha ,
will ich behalten. Für den armen
Zigeuner wirds gut genug sein.«
Als er so sprach, standen ihm die
Tränen in den Augen. -- - Auch ich
war gerührt von so viel Güte, dankte
ihm tausendmal und fuhr nach Haufe.
Papa saß aus der Veranda. » Jch
blieb außerhalb des Gartens, langte
meine Geige vor und sing an: «Hiir’
mich, Du — - Du, Möbel mit’m lut
zen NZTU « Jch wollte sehen, wel
ches Almosen mir wohl Papa geben
würde.
Kaum hatte ich begonnen, da ries
Papa nach dein haustnechi.
»Hier-, gnädiger Herr«, antwortete
Matt-.
,.Maio«', schrie Papa, »gei) hinaus
und spnlt dem Kerl, der da draußen
spielt, aus meine Kosten den Scha
del!« :
»Ich bina, Papa«, ries ich nun«
»ich, Marius!« f
Er wollte es zuerst nicht glauben,j
und lam« sich persönlich zu überzeu-»
.gen. — Dann hieß er mich noch ein
mal spielen. Jch tat’ö. «
Da legte Papa ernst und schwer
seine hand aus meinen Scheitel Herd
sagte: »Mein Sohn ich entheoe Dich
hiermit des Musizirens auf ewigev
Zeiten. Wirf alte Noten und diefe
Violine ins Feuer. Aus dem Klavier
werde ich eine hiihnerfteige machen
lassen.«
Am nächften Tage tam die Sprache
zufällig auf Papas alte Geige. s- Jch
erwähnte des guten Taufche6, den ich
mit Ontel David abgefchloffen. s—
Papa feste sich fofort aufs Pferd
und jagte nach dem Zieaelfchlag. —
Ader vom Dntel David fand er
keine Spur mehr.
Yajestäten als Geiste
Ein Bierteljahrhundert lang hatte
Monsieur Xaoer Paoli ein heit
lei Amt zu versehen, das alle
möglichen, an sich und befonders in ih
rer Vereinigung seltenen Tugenden er
fordert: ausgezeichnete Erziehung und
die durch sie erlangten tadelloer Um
gangsformen, Klugheit, Schlagfertig
teit in der Unterhaltung, Tatt,3uriia
haltung, Verfchtoiegenheit, Geister-ge
genwart, Umsicht und Mut, dazu tör
perliche und geiftige Unertniidlichteit.
Er war nämlich der Sonderiomrniffär,
den die französifche Regierung zur per
fönlichen Dienftleiftuna bei den gr
lrönten Häuptern befahl, die in ihrer
amtlichen Herrlichteit oder in einen-.
immer fehr durchsichtigen Jntognito in
Frantreich keiften oder Aufenthalt nah
Ein folcher Kommissar hat fiir die
men.
Sicherheit der erlauchten Gäfte der Ne
publit zu forgen und fie mit einer un
avliifsigen und wachfamen Aufsicht zu
umgeben, die gleichwohl unbemertbar
gering bleiben muß, um ihnen den
Wahn einer jeden Zwanges ledigen
Freiheit zu lassen. Sowie die Herr
schaften in ihrem Gasthof oder ans e:
ner Botschaft untergebrncht sind, ein-.
fängt er täglich DrahtIXIeldUngen der
Sicherheitstommissäre in der Provinz
die bald das Austauchen eines gefäh
lichen Anarchisten in ihrem Departe
ment, der drohende Reden gegen den
tdniglichen Gast gesiihrt, bnld das
plöslicheVerschwinden eines überwndl
ten verdächtigen Ausländers anzeigen.
Er selbst sendet täglich einen chifsnex
ten Bericht an das Ministerium de
Jnnern« der alle, auch die geringsüch
sten Zwischenfälle des Tages verzeich
nei. Dem getröntenn Haupte dient er
ferner zugleich als lebendiger Baedectek
nnd tundiger Führer zu allen Sehen-:
wiirdigteiten, den zugänglichen und
manchen anderen, und als Berater fiik
das tägliche Unterhaltungsprogramin.
Ei ist verständlich, daß sich aus einer
derartigen Vertrauensstellung vielsei
tige Beziehungen zwischen dem Beam
ten uni- seinem Schuybeiohlenen erge
ben, die beide tro des Abstandeö zwi
schen ihnen einan er, manchmal bis
zur Vertraulichteit, nahebringen.
Monsieur.Paoli hat Gelegenheit ge
habt, die Großen dieser Welt aus der
Nähe u beobachten, und was er ge
sehen set, das erzählt er jetzt, da er in
den wohlverdienten Ruhestand getreten
ist, in einem ungemein lurztveiligen
Buche, »Nun Majestös« betiteit.
Mr. noli ist nicht der Grstbestr.
Väterli rseits stammt er in gerader
Linie von dem torsischen seiden ab,
der mit den Waffen die Unabhängig
teit feiner heimatinfel von demFrani
reich Ludwigö XV. erliimpfen wollte
und für den der junge Napoleon als
fiir fein politisches und militörifches
Jdeat fchwiirmte. Durch feine Mutter
ift er ein Nachkomme des torsifchen
FeldmarfchallsNapoleons, Sebastiani.
Als Korfe, als Paoli. als Sebastiani,
hat er einen dreifachen Grund, ein ein
gefleiichter Bonapartift und in folge
richtiger Erweiterung dieserGefmnung
ein überzeugter Monarchift zu fein,
was-« ihm indes bei der republitauifchen
Regierung nicht gefchadet hat, ein Be
wei.«-, daß sie nicht fo unduldsam ifi,
wie ihre Feinde aussprengem Er
spricht von allen Kaifern unt-Königen
mir denen er in Berührung gekommen
ift s-- es find ihrer nicht weniger als i
fünfzehn —- im Tone tiefster Ehrer-:
bietung und bemüht sich augenschein-!
lich, fie fo vorteilhaft wie möglich dar: T
szustellen Doch merkwürdig: das Bild:
nis gerät trog feines Höflings:, um
nirtn zu sagen, Schranzenbemiiheng
der Verfchönerung, immer recht klein
iich und unbedeutend. Man erhält von
fast allen feinen Modellen denEindrnct
fehr gewöhnlicher, nicht selten kindi
schen lebensuntundiger und weltfreni
der Menschen die ganz inNichtigteiten
aufgehen, vie Kleinigkeiten eine drei
lig iibertriebene Bedeutung beimessen,
sich aus Vlasiertheit tödlich langweilen
sund sich nach dem ihnen verfagtenGliick
ffehnery unbeachtet wie gewöhnliche
Menfchenlinber leben zu können. Eins
jscheinen sie alle miteinander gemein zu
haben: sie können seinen Augenblick
ruhig bleiben; sie müsfen immer in Bes
wegung sein, immer toie die Wiesel
laufen, immer Meilen bewältigen, und
diese leidenschaftliche Fußgiingerei. bei
der sie sich an kein Programm halten,
sondern nach Einfall und Laune um-·
herschweifen, erschwert die Polizeiauf
siebt derart, daß sie den Sonderlom
missär oft zur Verzweiflung gebracht
hat.
Die unglückliche Kaiserin Elisabeth
von Oesterreich, die von der Hand eines
feigen Mordgesellen den Tod finden
sollte, war 58 Jahre alt, als sie im
August 1895 zum erftenMal unter den
Mr. Paoli gestellt wurde. Sie schien
ihm ein junges Mädchen« so schlank,
leicht, aefchmeidig und anmutig fand
er sie. Er verzeichnet ihr-e immer getö
teten Wangen, ihre dunkeln, tiefen.
außerordentlich ftrahlenden Augen, die
Fülle ihres üppigen braunen Haares.
Jbre Lebensweise war überaus tätig.
Sie ftand jeden Morgen, Sommer und
Winter, um fünf llhr auf, nahm ein
laues Bad von destilliertem Wasser,
ließ sich eleltrisch mafsieren und ging
dann in einem ganz einfachen schmar
zen Kleid aus Wollenstoff aus. um in
raschester Gangarl durch die Laubens
günge des Gartens. oder bei Regenwet
ter unter den Bogengiingen des Gast
bofs hin und berzulanfen. Sie eilte
wohl auch auf die Straße hinaus und
suchte sich einen schönen Aussichcs:
punkt, am liebsten eine Fels-spitze, auf,
um den Sonnenaufgang zu bewun
dern.l Um sieben Uhr war sie wieder
zurück, frübftüelte mit einer Tasse Tec
und einem einzigen Zwiebael nnd ver
schwand in ihren Gemächern, um sich
itvei Stunden lanq der Toilette zu
ividmen. Um elf Uhr nahm sie das
zioeite Friihstiid: eine Tasse Fleisch
briihe, ein Ei, einen oder zwei Becher
Fleischsafi, der von einer immer mitge
siihrten Maschine aus mehreren Pfund
Lendenstiicl vom Rinde ausaepreszt
wurde. Dazu naschte sie einige Sil
ßigleiten und leichtes Baetivert, das sie
sehr liebte. Nach dieser Mahlieit ging ;
sie mit ihrem griechischen Vorleser ausz, I
der sie immer begleiten mußte. Es war i
tein leichter Dienst, denn die Kaiserin s
lief bis zur Abenddämmeruna und i
machte an einem Nachmittag leicht gute i
20 Meilen. Jn den Gasthof zurückre
lehri, aß sie sehr dürftig zu Abend,
manchmal nur eine Schale ausgetiihlte
Milch und ein rohes Ei mit einein
Gläschen Tolaier. Sie nährte sich so
spärlich, um lein Fett anzusehen. Auf
ihre Schlanlheit hielt tie iiber Alleg.
Sie schlief auch nie auf einer Matratze.
Ein Sprungsederunterbett war alles,
was sie sich aestattete.
Sie war von einer unerschöpflichen
Wohltätigkeit Wenn sie aus ihren
Spaziergängen ein ärmliches Häuschen
sah, trat sie ein, fragte die Bewohner
über ihre Verhältnisse aus, nahm die
kleinen Kinder aus ihren Schoß, nm sie
zu herzen, und verteilte reiche Gaben.
Um jedoch die Leute nicht zu träntern
wählte sie die Form, daf- sie etwas
Obst, Milch oder Eier verlangte. die
man später nach ihrem Gasthof brin
aen ollte und die sie auf der Stelle tö
nigl bezahlte. -
Während ihres Ausenthaltes ani
Kap Martin bat sie einmal plöhlich
Mr. Paoli, sie nach Monte Carlo Zu
führen. Sie wollte einmal in ihreni
Leben auch einen Spielsaal sehen. Un
erlannt trat sie in Begleitung desSons
derlommissars in das asino ein, sah
eine kurze Weile der « oulette zu, zog
dann plötzlich aus ihrer Handtasche ein
silbernes Fünfsranlenitück hervor und
setzte es mit den Worten aus die Num
mer 5331 »Wir wollen mal sehen, ob ich
Glück habe. Jch glaube an die 333
Zweimal nach einander verlor sie. Das
dritte Mal gewann die Nummer 33
und der Crvupier schob 175 Fr. in
Gold und Silber vor die Kaiserin, di-:
alles rasch einsteckte und vergnügt aus
ries: »Jetzt aber schnell weg! Nie im
Leben habe habe ich so viel Geld ge
wonnen." «
Während eines lurzeanlognitvaiif- E
enthaltes in Paris äußerte die Kaise
rin, der jemand aus ihrem Gefolge von
einer Zwiebelsupve, die er in einem
Nachtlvlal des Hallenviertels gegessen,
Wunder erzählt hatte,ge·aen Mr. Pavli
den Wunsch, auch einmal diese franzö
sische Nationalspeise zu kosten. »Nichts
leichter als das,« erwiderte Mr. Paoli,
»ich werde eine hier im GJstbof bestel
len.« »Was stillt Jhnen ein!« rief die
Kaiserin; «man würde mir ein kunst
voll bereiteteLZeug vorsetzen, das sicher
nicht so gut schmecken würde wie Jhre
Zwiebelsuppe. Jch will etwas Echtes,
das mir auch im echten Wirtshaus-ge
schirr aufgetragen wird. Ich besteh
auf der Lolalsarbe.«
Was tatMr.Paoli? Er ließ im
erstbesten Pfenniqbazar eine Gruppen
! schüsiel und einen Teller von grobem
Hund billing Steingut einlaufen und
t die Zwiebelsuppe nom vornehmen
« Obertoch des Gasthoses bereiten. Die
I Kaiserin sand die Suvve köstlich uud
»das Geschirr, dessen Rand sogar zur
Erhöhung der Täuschung künstlich
. ausgebrochen worden war, entzückend
,,lolalfarbig«. Arme Kaiserin! Wie
sagte doch Jacobh in der berühmten
sAudienz bei Friedrich Wilhelm IV.?
»Es ist das Unglück der Könige. daß
sie nicht die Wahrheit hören wollen«
O doch-, sie wollen schon, aber nie
mand sagt sie ihnen; alles verschwört
sich. urn sie ilsnen zu verbergen
» Die Kaiserin Friedrich hatte Mr
J Paoli 1897 zu begleiten, als sie dem
TRegierungsjubiliium ihrer Mutter bei-«
iwohnte Sie richtete bei jener Gele
l genheit tausend Fragen über französi«
tsche Verhältnisse und namentlich über
s die französischen Künstler an ihn »Ich
bewundere die Werte von Monsieur
t Detaille sehr,« sagte sie; und nach ei
i ner kleinen Pause: ,,;’5inden Sie nicht,
i daß er meinem Sohne, dein Kaiser,
x ähnlich sieht?« Mr. Paoli tonnte nur
lerwiderm »Da ich Kaiser Wilhelm
« nie gesehen habe, ist es mir unmöglich,
»Eure Majeitiit Bescheid zu geben« Er
sah die Kaiserin 18951 wieder, als- sie
durch Frankreich sulkr, um sich von
London nach Italien zu beqeben Sie
war etwas unruhig, denn sie fürchtete »
unsreundliche Kundaebnnaen wenn sie .
erlannt werden würde tir versicherte :
ihr, daß sie nichts zu besoraen habe ;
und in der Tat, es lvidersuhr ihr nichts
Unanaenehiiies, obschon sie an jeder
Haltestelle aus- dein Zua stieg und
inöalichit lange ans dein Bahniteia auf
und ab aina, beim Bahnhofsbuchhänds
let Zeitung-n und Monatgschristen
taufteund sich unter die Reisenden
mischte.
Der Zar Nikolaus ll. machte im
mer der französischen Regierung und
natürlich auch dem Sondertommisfar
die größte Sorge. Die Behörden
empfunden ihre furchtbare Verant
wortlichkeit für die Sicherheit feines
Leben-«- erdriictend schwer, und eine
Berges-last wälzte sich von ihrer Brust,
wenn er glücklich wieder iiber die
Grenze war. Was sie aber tief be-»
unruhigte, das waren nicht die Tetro
risten, das war —— die russische Ge
heimpolizei Mr. Paoli verwendete
denn auch die weitaus größte Zahl sei
net Geheimagenten nicht etwa zur Be
aufsichtigung der Revolutionäre, son
dern zur Ueberwachung der russischen
Polizisten, die in unheimlichen
Schwärmen mit dem Kaiserpaar er
schienen. Sein Mißtrauen war wohl
begriindet. Der Zar und feine Gattin s
wollten ——— 1901 —- die Krönung5
tathedrale von Reims besuchen. Die
riifsifchen Kollegen des Mr. Paoli leg
ten eine außerordentliche Nervosität an
den Tag. »Nichts ist leichter,« sagten
sie ihm einige Tage vor dem Besuche,.
»als irn Halbduntel der Kirche eine
Bombe zu legen. Man muß schon jetzt
die Kirche und ihre Befucher unter Be
wachung stellen.« Sie beauftragten
damit einen »Angeber«, das heißt einen
SpiheL in ihren Diensten. Henniom
jetzt Vorsteher der öffentlichen Sicher
heitsabteilung im französischen Mini
sterium des Innern, damals Mr. Pac
lis Beigeordneter, beeilte sich, seiner
seits den russischen Spiheh dem er
nicht traute, unter Bewachung zu stel
len. 24 Stunden· später erschien ein
französischer Geheimpolizist bei herrn
Hennion und sagte ihm aus eregt:
»Ich habe den Beweis-, daß der pisel
zu einer Terroristenbande gehört, die
ein Bombenderbrechen in der Rathe
drale plant.« Herr Hennion nahm so
fort eine Haussuchnng bei dem ruft
schen Polizeibeamten vor, entde te
Briefe, die über seine Schuld keinen
Zweifel ließen, verhaftete ihn und er
langte von ihm ein volles Geständnis.
Dem Zarenpaar wurde kein Haar ge
krümmt, aber die französischen Beam
ten erkrankten beinahe vor Angst.
König Leopold Il. schildert Mr.
Paoli als den tliigsten, gebildetsterh
tätigsten, willensstärtsten, aber auch
verschlossensien und selbstsüchtigsten
Menschen, dem er se begegnet wäre.
Er gab sich den Anschein äußerster
versassungsmößiger Korrettheit, tat
aber nur, was ihm selbst angenehm
war. »Meine Minister,« äußerte er
einmal mit dem ihm eigenen spöttischen
Lächeln, ,,sind oft Schwachköpfe; das
ist ein Luxus-, den sie sich genehmigen
tönnenx sie haben nur zu tun, was ich
ihnen sage.« Wenige Monate vor sei
nem Tode hörte er im Beisein des
Thronsolgers, jetzigen Königs Albert,
den Vortrag eines Ministers bei offe
nen-. Fenster an. Ein Windstoß wehte
ein Schriftenbündel vom Schreibtisch
des Königs aus den Teppich hinab.
Der Minister stürzte vorwärts, um es
aufzulesen, der König hielt ihn jedoch
’am Aerrnel zurück und sagte zu seinem
Neffen ,,Hebe Du die: Papiere auf.'«
Da der Minister dies nicht zulassen
wollte, flüsterte der König ihm ins
Obr: ,,Lassen Sie nur, ein künftiger
verfassungsmäßiger König muß ler
nen, sich geschmeidig zu ducken.«
Zahlreiche Anekdoten, die Mr.Paoli
von der Königin Viktoria, dem König
Eduard Vli» der Königin Wilhelmine
von Holland, dem König Georg von
Griechenland, dem König Alsonso von
Spanien, dein Königspaar von Ita
lien erzählt, sind an sich recht unbedeu
tend, ja kindisch, wenngleich mitunter
malerisch, geben jedoch eine gute, näm
lich beklemrnende Vorstellung von der
entseylichen Oede Und dem unerträg
lichen Zwange des Daseins eines Herr
schets großer Staaten. Die asiatischen
Monnrchen, die Mr. Paoli dienstlich
kennen gelernt hat, der Schuh Musas
fer ed Din und der König Sisowath
von Kambodscha, leben barbarischer,
»aber entschieden sorgloser und unge
bundener als ihre erlauchten europiii
schen Kollegen· Ungemein turzweilig.
wenn auch mit sehr melancholischem
Hintergrunde, sind auch die Proben der
Bettel- nnd Erpresserbriefe, die zu
Hunderten an die reisenden Herrscher
gelangen und nur ——- von der Polizei
sicker nicht gewollte Moral seines zur
Verherrlichung der Monat-eben ge
schriebenen Buches ist, daß wohl jeder
natürlichfiihlende Leser am Schlusse
ans-rufen wird: »Gott sei Dant, daß
id) kein König bin!«
Der liebenswürdigeSchwer-mörde
Er hat seine Fehler, jawohl, wer
hätte die nicht? Aber er ist immer so
guter Laune! Jn den dreißig Jahren,
in denen feine Witze und sein Cham
pagner alle Nacht —- Reftaurantg von
Montmartre erfreuen, hat er sich dort
keinen einzigen Feind gemacht! Und
das will viel sagen! Sowie er er
scheint, lacht man, und sogar seine
Frau ist entwaffnet, wenn et mit dem
Morgengrauen heiter und zerzauft
ins Schlafzimmer tritt.
Neulich Nachts kommt nun der ver
gniigte B . . » ein Liedchen auf den
Lippen und eine verweltte Blume im
Knopfloch, wieder ziemlich spät nach
Hause. Seine Frau wacht auf und
fragt ihn ironisch.
»Wiirdest Du vielleicht so gut sein
und mir sagen, wie spät es ist?"
»Ein Uhr, Liebling, Punkt einst«
Aber in demselben Augenblicke
schlägt die große Wanduht fünf
Schläge. Verächtlich wendet sich B.
zu der Jndisireten und meint achsel
zuckend:
»Da ich eben sage, daß es Eins ist,
ist es vollkommen unnötig, dies fünf
mal zu wiederholen! . . .«
Wie soll man einem solchen Manne
böse sein?! . . .
Saul-en Leute.
»Nein, diese liederliche Wirtschaft
bei Meierst Mein Mann hat sich da
mal an den Schrank gelehnt — acht
Tage ist et mit ’nem staubigen Aermel
» ’rumgelaufen!«
i In der schalt-.
Lehrer: »Du weißt, was dies Wort
bedeutet?«
Schüler: »Nein.«
Lehrer: »Am-aus ist deine Jacke ge
macht?"
Schüler: »Aus Vaters alter Wenz