Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, April 12, 1912, Zweiter Theil, Image 13

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Ein Perle-it
Von B. Berqmanm
.Schnee.... Schnee... Schnee....
Den ganzen Tag das gleiche. Es
iii zum Eriiickem Ach war vermiii
iags aus« es lag mr roie Blei auf
den Schultern. Jch liaiie das Ge
Mhb wenn ich nun stehen bliebe.
dann wiirde es nur weiter ichneien,
immer weiser, bis die Knie mir ein
knickien und ich niederiiinle und da
iZAe und zu nichie würde rinier all
des-.- Weifi... Und dieie Stille. Es
iii. als wäre man bei ieinern eigenen
Beariibnis. . .«
Das Zunge Mädchen ließ das Ro
ieau herab nnd iehie sich wieder zu
ihrer Arbeit. Die Lampe brannie
aeib und iiikl und ließ Las halbe
Gesicht im Schatten — ein Kind-erge
sirbi noch. aber mii allen Augen. Es
gibt Kinder. die solche Augen haben
nrxb deren Seele aussieht als wäre
sie viele Jahre aller als der Körper
«Eg wird schon wieder Friibling
werden«, erklang eine Baßiiimmc
vkm Soia ber.
,.Wirilich?««
Stimme, Blick, alles war nur ein
großer Zweifel.
»Ja, so pslegt es wenigstens zu
sein.«
Der Mann. der sprach. hatte
lchwarzes haar und einen schwarzen
Bart. und im Lampenschein sahen
die Aus-en auch lchwarz aus· Eine
lustige Röubermasle obne alles
Schreckbaste. Bei ihm war die Seele
viel iiinger als der Körper. Er aii
eben einen aroßen Gravensieiner, das
lröstiae Gebiß war im Ariel zu ie
h:n. Daneben. aus dem Sola, isil
ein anderer Mann, zusammengeboelL
die Hände aus den Knien. und
streiste die aliibende Asche seiner Ki
gar-re ab. Sein Aviel war ausne
gessem und die Schale laa in einer
zierlichen Spirale aus den-. Teller.
Jetzt lah er auf, der Blick hatte
die Farbe des Rauches, die Schlä
sen waren einaesunlen, das Haar
trat von der Stirn zurück Er war
alatt rasiert. wie ein Geistlicher oder
ein Schausvieler. Er sah das Mäd
chen am Fenster lanae an und ließ
dann den Kopf wieder siuten.
»Ich sinde, es isi etwas Schönes
uns die Stille«. laate er endlich, sa.
als hätten seine Gedanlen inrivischen
gegen ihre Worte anaetiimpiL
»Jmmer und immer nur sich selbst
zu hören, iit das ein Virgniiaen?"
»Nicht immer, Liebste. aber es
lann manchmal notwendia sein.«
»Ach —- ich will Menschen -baben.
Menschen« die zu mir sprechen, mich
nicht nur ansehen. Und die lachen
—- hier lacht ia niemand.'«
Der Mann mit den Rauchaugen
erhob sich sachte und ging aus sie zu.
Mit einer diinnen Hand strich er ibr
über den Scheitel. Sie hatte eine-i
leinsdruet im Gesicht, als müßte iie
sich Gewalt antun, um den Raps
nicht sortzubiegen
»Du bist müde. Willst du dich
nicht niederleqen? Es ist mehr als
eli Uhr.«
«Habe ich schon wieder zuviel ge
sagt? Nie dars ich sagen, was ich
will. Dann bin ich immer mijde und
ioll zu Bett geben, qanz wie man
den kleinen Kindern sagt: Wenn du
nicht artig bist, darfst du nicht aus
bleiben.«
Sie legte ihre Arbeit zusammen,
und in dem plöylichen Wunsch. wie
der gut zu machen, was sie inWort u.
Tonfall verletzt haben mochte. erhob
sie die Hände zu seinen Schultern
und bot ihn-. die Lippen. Aber e:
liißte sie aus die Wange, hastig, ia
daß er sie laum berührte. Sein Ge
sicht war weiß und starr.
»Gute Nacht, Bengt...« Sie nidte
dem schwarzen Mann auf dem Sosa
zu. »Ihr bleibt doch nicht mehr
lange sitzen?«
»Nein. Gute veamir
Die beiden Herren blieben allein.
Sie schenkten die Gläser wieder voll
und tauchten eine Weile schweigend.
Der Kuckuck iam aus dem Uhrge
höuse, rief die halbe Stunde, und
das Türchen siei wieder hinter ihm
zu. Nachher schien es nach viel stil
ier. Es war, als strömte die Stille
aus den Wänden iind der Decke, aus
den Möbeln, den verblichenen Da
giierratvven in ihren Muschel- nnd
Pavvrahmem aus dem Schnee un)
der Dunkelheit draußen
Schnee rutschte iiber die Schein
aber man hörte teine Schritte dran-i
gen. keinen Schlitten. lelles schliei.’
,,Na«, sagte endlich der blasse·
Mann mit den starren Augen. Er·
saß da nnd laute an seiner Zigarrej
und seine Lippen zogen sich hinan-s
wie bei eineni tnurrenden hund.
Ater ei lvnnte auch Schmerz in der
Grimasse sein.
»Ja, sie iit trank... aber iv sind
dte Frauenzi«n:ner.« —
«Krani?«
»Ja«.
»Ja diesem Fall ireiß man wenig
stens, wo die Krankheit sitzt«
«Wo denn?"
«hier«, sagte der Blasse und wies
auf sich selbst.
»Daß sie in dich verliebt ist, mein
Gott«-«
»Das-, sie es nicht ist. Nicht iiiehr.«
«Unsinii.« Der Schwarze blies
denRaiich durch die Nase.
»Weder Bengt«', sagte der andere.
Dritt-er verstehen ihre Schwestern
H
nie. Sie sehen nichts. Aber ich sebe
und höre -— ohne Worte. Jch hätte
übrigens einsehen müssen, daß es
nicht gehen würde. daß Leben mit
geben bezahlt werden muß, nicht mit»
jenen armseligen Gedanken- und Gesi
fiihlssubsiratem die die Biicher in’
einem Schulmeisterhirn hinterlassen
jDeine Schwester liebt oder liebte mit
Ihr-M ganzen Wesen. Wenn ich liebe,
bin das ja nicht ich, wenigstens nicht«
mein ganzes Ich, nur eine Miste-s
ein Drittel... nun ja, diesem Drittel
geht es jetzt augenblicklich nicht zum
v.sten.«
»Das sind Grillen, lieber Freund.«
»Ja, Grillen, die sich nicht ver
scheuchen lassen. Die immer wieder
tommen.«
»Aber, wag zum Teusel... hat sie
denn etwas gesagt«
»Ja, wie man eben solche Dinge
sagt... Als iie im Herbst zurücktam,
nach diesem Jahr, da war sie nicht
mehr dieselbe Judith. Jn einer bal
ben Stunde wußte ich alles. ohne
etwas zu wissen. Was sich zugesta
gen hatte, war schon da; was eö
war, bedeutete weniger. Sie kannte
mich nicht mehr. Jch war ihr ent
fallen, wie ein Name einem entfallen
kann, und man ist nicht imstande«
ihn ·wiederzusiiiden. . .«
- a s L .
frinan iomnii ichiiekziich was Wi
au .'«
»Zutveüen, ja. Aber es kann auch
geschehen, daß man einen ähnlichen
findet, den man für den richtigen
hält, obwohl man bei sich sühlt, daß
er es nicht isi.«
Er maß den Teppich mit langen
Schritten, zählte bis sieben und
machte dann lehrt. Die Hände auf
feinem Rücken zitterten, wie immer,
wenn er sich erregte. Der andere ver
trslgte ihn mit eingeknisfeiien blin
zelnden Augen. Aber es war eine
Dosiö Verachtung darin.
»Du bist verrückt, Paul. Mit den
Frauenzimmern muß man es machen
wie ich mit meinem Apfel: gleich an
veißem Essen und schweigen. Aber
du mußt deine Aepsel immer erst
schälen...«
Der Kuckuck rief zwö!f, und der
Schwarze, der seinen dritten Toddh
hinter sich hatte, begann eine Som
mergeschichte von grünen Wiesen und
jungen Mädchen zu erzählen. Paul
setzte seinen Marsch fort, ohne aus
ihn zu hören. Er ging nur und
wälzte einen Gedanken in seinem
Kopf herum: er mußte brechen, ihr
ihr Wort zurückgeben, so bald als
möglich. Jede Stunde Aufenthait
war für sie eine ebensolange Tor
tur. Eigentlich begriff er nicht«
warum er ez nicht schon längst ge
tan; aber so wie er sich selbst die
Worte vorsagte, tranipfte sich etwas
in ihm zufammen. Jch liebe sie also,
,dachie er. Es war Lüge, was ich
leben sagte; nicht ein Teil, eine Seite
von mir liebt sie, ich selbst. alles an
mir. Alles, was mein ist. begehrt
ai.es, was ihres ist. Welcher Un
sinn, ein paar alte Schmäler sollten
einen Menschen vergiften tbniienl Jch
will sie haben, und ich werde sie ha
Ebern Jch und kein anderer.
i Ein anderer? Er blieb plötzlich
jstehem Gab es einen andern? Und
linit einer Art von ueugieriger Ver
iwunderung konstatierte er, daß die
iser Gedanke keinen Schrecken in ihm
sheroorries eher etwas wie Erleichte
Hrung. Wenn es wirklich jemanden
lgab, der zwischen ihn und Judith
getreten war, so lag die Ursache ihrer
Veränderung außerhalb von ihr, und
er, Paul, hatte etwas-, worauf er
i«.it neballter Faust losaehen konnte.
Die Gefahr hatte Gestalt angenom
men, war sichtbar geworden und di
durch in gewisser Weise geringen
Aber wenn es keinen gab? WennJ
ihre Liebe von selbst hingesiecht war-J
Dann war nicht viel zu machen, inanl
tchlug gewissermaßen in die leere;
unsi. z
Er sont wieder aus das Sofa und«
zündete eine,neue Zigarre an. Der
Schwarze hielt jetzt bei seiner dritten
Weibergeschichte und seinem vierten
Toddn. Von der griineu Wiese war
e: längst in den Berliner Straßen
gelandet. Aus dem trausen Bart
leuchtete sein Mund feucht, mit wei
ßer: Zähnen.
»Ich ging also zu Dressei. Da
saß ein Paar und tauchte tsrdbeeren
in Champagner-. Er mager wie die
Brandenburger Heide und dürr, dürr
Blaublutsidiot Aber sie ich
jage nur... na, ich sah. wie sie nur
zunictte unter dem Tisch mit dem
Fuß...«
Und er lachte, ein breites Kinder
tachen, so dasz ihm die Tränen in
die Augen lamen. Er fand das
Ganze so ungeheuer tornifch und war
eigentlich verletzt, daß Paul nicht den
D und verzog und dasaß, als hätte
er tein Wort gehört.
» t!«
Paul saß plötzlich terzengerade da
»Eg geht jemand durchs Eßzim
mer.«
Jtn tetben Augenblick öffnete sich
die Tür, und in dem dunklen Hin
tergrund erschien etwas Weißes, dass
die beiden Herren zuerst wie ein Ge
spean anstarrten.
In ihrem langen schleppenden
Itachtgemand trat sie anc Licht, ins
«eine Mädchen, das Paul liebte. Die
Augen waren weder geöffnet noch
aetchiossen, und ne bewegte die Ae
me ungelenk, tastend. Das Gesicht
hatte einen angespannter-, gequälten
Ausdruck
«Still! Sie schläft.«
Einen Augenblick blieb sie sskhkll
vor dem Lichtschein zurückichtkckkkl0«
erfchaudernd, so als wollte sie erwa
essen. aber tonnte es nicht: dann gingt
iie weiter. Das Knie stieß an denl
Stuhl; sie schob ihn langsam und
vorsichtig beiseite, dann ging sie rasch
auf das Fenstertilcbchen zu. Paul
betrachtete sie. Sie war ja klein
wie ein Kind. Er hatte nie aedachi.
daß sie si- klein fei. Was wollte sie?
Was aualie sie? Wenn er doch alls
das Weiße in ieine Arme nehmen«
es wieder ins Bett tragen und zu
decken lönnte! Er fühlte eines
schwere Last auf der Brust, nnd die:
Atmen wurden ihm feucht. l
Sie war vor dem Näbkorb itehens
geblieben. Jth begann sie darin zu»
wühlen. Sie riß heraus und packte:
ein und riß wieder heraus. Offens
bar suchte sie etwas. Aber während
die Hände arbeiteten, sah sie nicht
hin. Das Gesicht war dem Zimmer
zugewendet, nnd nm den Mund
zickte es, wie von einem unterdrück
ten Wort oder Schrei. Dann warf
sie plötzlich alles hin. Knäuel-Stiele
rei und Strähnefwendete nch um
und ging hinaus-. Der Ausdruck
ihres Gesichtes machte Paul weh
ums Herz.
,,Gib acht! Werk iie nicht ansi«
»Wenn es nnk gut geht.«
Der Bruder folgte ihr auf den
sehenspitzen und sah sie in ihr Zim
mer verschwunden.
»Gott sei Danl!«
Sie hörten eine Tiir zufallen, und
es war wieder still. Das Ganze
hatte nur wenige Minuten gedauert,
und als die beiden Herren wieder
wie früher vor ihren Gläsern saßen,
wußten sie sich zuerst nichts zu sagen·
Aber schließlich kam es von Paul
»Jst deine Schwester sonst je im
Schlaf gewandelt?«
»Me, soviel ich ioeiß.«
»Es heißt, daß das vorkommen
kann, wenn irgend etwas einen be
sonders bedrückt...«
Der Feine Schwarze schien ganz
die Sprache verloren zu haben. Er
saß nur da und fah ganz unglück
lich aus seinen nmflorten Aeuglein
vor sich hin. Aber plötzlich sprang
er auf.
»Sie hat etwas gesucht. Wir müs
sen fehcn...«
»Daß das."
Paul packte ihn bei den Schultern,
aber er riß sich los nnd bemächtigte
sich des Nählorbes.
Ganz unten, in eine Garnwinde
geschoben, lag —- ein Portrait. Er
stand da und drehte es hin nnd her.
Dann warf er es dem andern zu.
»Bitte«'.
Paul zuckte zusammen. Er ver
tuchte, wegzugehen, er sagte sich, daß
das ein Unrecht war, eine Gemein
heit, aber er war gezwungen, dac
Portrait anzusehen. Seine Blicke
trallten sich hinein· Das Blut stieg
ihm zu Kopf.
»Wer ist das?« fragte er endlich.
Seine Kehle war trocken, die Zunae
liebte ihm am Gaumen· »Weißt du;
es?« i
»Nein. ich habe es nie gesehen.'« i
Es war ein junger Mann. der?
gar nichts Ausfallendes an sich hatt-J
Ein offenes, etwas gewöhnliches like-l
sicht, das Haar tief in die Stirn ac-!
wachsen, ein klarer. hartnäckiaerl
Blick ans ein paar Augen, die sein«
blank nnd sehr leicht erwärmt fein
mußten. Kinn und Hals warens
start, der Mund gleichgültig —- dass
Ganze ein Herr Jraendwer. I
«,’.)llfo, das ist er.« «
Pauls Augen tonnten sich nichts
von dem Portrait losreißen, das aufs
dem Tische lag Was barg sich hin
ter dieser glatten Stirn, diesem lee
ren Blick. Nichts vermutlich -—- nnd
davor sollte er tapitulierene Qui-J
war doch viel verlangt. Er wußte
jetzt, was Judith für ihn bedeutetH
und er wollte sie behalten. Es snhl
nicht danach aus, daß diese Kinder-I
trantheit zu den tödlichen gehörte —
er schlug eine tleine Lache auf, Witz
lich ganz ruhig... f
»Du gestottrst, dasz ich das list-!
morgen behalte?« sagte er nnd steche
den jungen Mann ein. »Und setztj
gute Nachts«
Draußen schneite es noch, schnskre
dichte Flocken. Es war die Stille
selbst, die zu Boden siel. Währan
er durch die Schneehaufen wettet-,
dachte Paul on die Worte seinerk
Braut: Es ist, als sähe man seini
eigenes Begräbnis mit on. Aber er
war noch nicht tot, nicht richtig, die
Leiche hatte noch die Augen offen.
Der Schnee hing wie weiße Nacht-s
nsiinen auf den Laternen, und auf
Pfählen und Staketen türmte er sich
zu hohen Torten auf. Begräbnis
tcnsett — nein, war er schon wieder
dabei. Es sah übrigens gar nicht
lvie Begräbnistonsett aus, sondern
wie irgend etwas ganz anderes-,
gleichviel was... .
Er kam heim und zog das Por
troit heraus. Er tonnte nicht zu
Bett gehen. Aber je länger er so
si·ß, desto leerer und schwebend-er
trurde es in seinem Innern. Be
ts.rsfen, sasziniert starrte er diese
Augen an, die nichts sagten, die tein
Näthfel boten, lein Ich, keinen An
griisspunit. Schließlich ergriff ihn
eine obergliiubische Angst. Das war
ja tein Mensch- den er da vor sich
auf dein Ttsrhe hatte, tein besonderer
P:tensckz es war die Jugend selbst.
blank nnd groß. Er sollte den
Kampf mit der Jugend aufnehmen,
er mit seinen dreiundvieizig Jahre-n
eDas hieß in die leere Luft schlagen«
Er gab sich preis und gewann nichts»
Fünfundzwanzig Jahre haben imss
mer recht gegen dreiundbierzig. ’
Jn ein Paar Stunden war Pauli
besiegt geschlagen —- oon einer Pho-j
tographie über die er zuerst gelacht
hatte.1
Er wußte nun was er zn tun
ha. te Zeitig am nächsten Morgen
während Judith noch schlief, war er
wieder in ibrer Wohnung und steckte.
kaå Portrait in die Garnwinde zu
.»«
Sie trasen sieh am Vormittag. Siej
ith rniide ans als sie ilnn die
Wange bot, und ihr Blick war ver-;
litleiert Aber sie schien ruhig und
ein klein wenig heiterer als seit lan-;
act Zeit, lanr es Paul kor. Derj
Jablorb war vom Fenstertischchen
verschwunden.
»Und du hast« gut geschlasen2'«
sagte er nach einer Liebtofnna, die
etwas matter war als gewöhnlich.
»Ich weiß nicht. Jch glaube. ich
babe eine ganze Menge geträumt.
Ich hatte etwas verloren und suchte
es- im Traume, da wird man immer
so unruhig...«
»Nun, und hast du es gesundem-"
»Erst als ich auftvachte«, sagte sie,
und Paul glaubte zu merken. daß ein
Lächeln in ihren Auaen ausblitzte.
»Um so besser. Gewöhnlich pflegt
es umgekehrt zu sein: man verliert
etwas. wenn man erwacht...
Er stand da und sah in ihr Ge
sicht, in dem kein Muskel sich be
-treate, und eine Sekunde fühlte er
einen unerträglichen Schmerz in feis
nem Innern. Es war, als drehte
iemand eine Messerklinae in einer
Wunde um. Aber dann kam er dar
iiber hinweg, mit einem leichten
Schwindel, und rettete sich heim
und schrieb sein begonnenes Gesuch
um eine freigeworden Lein-stelle in
einer nördlichen Stadt fertia. Er
bauchte Luftveriinderuna. Und die
Kälte. die erhält den Menschen doch
auf die Dauer am besteu.
—
Der cieseswsseu des Holentöutsi
Wunderbnr ist oft das Schicksal
non Sieaestronhöen einenartia deren
spätere Vestimmuna. Wo blieb der
aoldene Sieaesrvaaen. den einstmals
die Kaiserstadt Wien dem Polenkönia
Johann Sobieskn aus Dankbarkeit
iiir die Beireiuna aus der Hand rer
Türken am 11. September 1683
schenkte: Er steht heute als Kanzel
in einer kleinen vommerschen Dorf
tirche. Jn feierlichem Zuge wurde
der Sieger Johann Sobieskn von den
Bewohnern Wiens eingeholt. Aus
Dankbarleit schenkten die Wiener dem
Polentönia einen vriichtiaen Sieaes
wagen, auf dem dieser auch seinen
Einzug aehalteu haben soll. Herstel
luna und Ausfchmiickuna dieses Wa
gens-, der nach Art der römischen
Triumvhwagen gebaut worden ist« ha
ben eine bedeutende Summe — man
spricht von Tausenden von Dukaten
—- verschlungen. Heute ist nun die
fer kostbare Siegeswagen die Kan
zel in dem zwischen Neuftettin und
Bärtvalde aeleaenen kleinen wonner
schen Dörfchen Raddatz. — Nach Be
endigung des Ersten Echtes-schen Krie
ges wurde der von den Rädern gelö
ste Wagen in der Raddatzer Kirche als
Kanzel aufgestellt Auf toenia Stufen
steigt rnan von hinten in diese einen
artige Kanzel l;erein. Der Walda
chin ist an der Ajrchendeae befestigt
und trägt die Inschrift »Um-rup
trinmpstmlig Juli-innig sitt-icssti·v,
des-is l’ul(-r«·srtirrs.« Auf dem Val
dachin steht der ztveikövfiae weier
Adler mit der Inschrift -l. s. lt. l’.
Die dankbaren Wiener haben den«
Wagen überaus reich verzieren nnd«
vergolden lassen, und nichts hat man
an diesem historischen Wagen achtu
dert, nur an der Vorderseite findet
sich das Wappen des preußischen Ge- «
nerals Hennina von Kleist und dieJ
Jahreszahl 1742. Diese Abänderung (
gibt uns Antwort ans die Frage aus !
welche Weise dieses immerhin dochs
historisch wertvolle Stiict einmal nach »
hinterpommern nnd vor allen Bin-i
gen als Kanzel in eine Kirche aelom- l
men ist. Der Lehnsherr von Rad-(
dan, General Henning von Aleist,1
kämpfte unter Friedrich dem Großen
im Ersten Schlesischen tirieae Jn
einem schlesischen Dorfe, das einstmals
Johann Sobieslhs besessen hatten, er
beuteten Kleists Grenadiere diese Sie
gesirophäe siir das Berliner Zeug
haus, änderte jedoch seinen Befehl,
als der General Kleist, den Friedrich
schon nach der Schlacht bei Mollivitz
seht auszeichnete, den König bat, den
Wagen seiner neuer-bauten Kirche in
Raddatz als Kanzel zu schenken. Die
Räder des Wagens, die der General
an der Kirchenwand hinter dieser ei
genartigen Kanzel ansstellen ließ, sind
spurlos verschwunden. Sie waren
gleichfalls reich vergoldet, und ans
diesem Grunde hießen die Franzosen
sie in den« llngliicksjahren ausNimnier
wiedersehen mitgehen.
—Beim Graphologen.
»Was soll der Zettel mit den drei
Kreuzen?«
»Ja, wissen c5’ —- ich ivollt’ mir
halt von Jhnen mei’ Handschrift deu
ten lassen!'«
Jus Schnee.
Sliqze von Leuelottc Winirld -
Ueber der weiten, öden Schnee
fläche das Rund des stumpfgrauen
Himmels. Nichts in Näh« und Ferne
als dies harte, unerbittliche Weiß, das
den Augen weh tut. Sonst bringen
die Ziegeldiicher der hier nnd dort ver
legen hinter niederen Sträuchern ver
iiectten Landhäufer mildernde Unter
brechungen in die Langeweile des
Landichaftsbildeå Heute lieat ankle
ihr fröhliches Rot im weis-en Schlafe
Eine Schar hungriqer Krjilsen
schwingt sich schwarz und frhweriöilin
iiber das Feld. Ihr heiteres Hirsch-:
zen tinat in der iriiumenden Stille in
melancholiiche Seufzer aus. Wie der
Schnee unter ihren Schnabethieben in
Silberfunten reritiebH Wie ihre glit
lienden. scharfen Augen nach Futter
spähen! —
Jn der Ferne, wo sich der scheinbar
steinerne Himmel mit der weißen Erde
vermählt, fteiat gelblicher Rauch auf.
Er malt auf den aranen Grund aller
hand aignntifche Formen. die warn
haiten tingehenren gleichen, nnd
schnell, wie eine Fata Morgana, wie
der im Leeren verschwinden. —- —
ikine Fran. mit einem Traglorb
auf dem Rücken, wandert an » unbe-l
wohnten Sommergiirtem deren Ziinne
in ihren Malchen dicke. weiße Tuvten
tragen. vorbei. Sie läuft durch den
Schnee wie beflügelt, denn ihr Trag
lorb ift leer. Das Tuch, das ihren
Kopf verhüllen foll, ift ihr in den
Nacken geglitten. Sie iiihlt die Kälte
nicht. Ihre Armen. die ausgehöhlt
von vielen Tränen scheinen, glänzen
nnqewohnt freudig nnd ihre eingefal
lenen Wangen haben einen Anitug
von Nöte.
Eine giitige Dame in der Stadt hat
ihr den ganzen Jnhalt ihres Korbes
abgelauft. Nun hat sie Geld fiir ihre
Kinder. —
. Die Frau reckt ihre gekrümmte,
J tleine Gestalt, soweit ek- der Tragtorb
sgestattet Sie sieht purpurne Son
inenfreude iiber der weißen Weite.
’Goldene Märchen steigen ihr aus dem
Schnee auf, ziehen mit ihr Seit’ an
Seite dahin. Ein rosiges Wunder
land scheint ihr die grau-weiße Lede.
Klingt es nicht in der Luft von silber
nen Gläckehen? Verzauberte Prinzes
sinnen sind die weißen Sträucher in
ihrem Filigransehmuet Oeffnet sich
nicht das überzuckerte Gitter der Gär
ten« um einen smaragdenen Schlitten
heraiisziilassen?
Die Frau lächelt. Sie will ihren
Kindern heut abend von der Eisiung
frau, der Königin des Winters, er
zählen. — Jhre Kinder! — Blumen
sprießen aus dem Schnee auf. Hoff
nungen! — Anständige Menschen
wird sie aus ihren Kindern machen.
Sie sollen einmal im Weltlauf nicht
snur Not und Verzweiflung, sondern
iauch ernste Schönheit sehen.
f Die Frau bleibt am Ende des Zau
Jnes, der sich —-- im Begriff, zu fallen
z-—— ängstlich zur Seite neigt, stehen.
iEin graurotes Fleckchen im Schnee —
iein halberstarrtes Vägelchent Die
Frau birgt es unter ihrem Umschlage
tuch. Sie fühlt, wie in der Umfchlie
ßung ihrer Hände langsam Wärme
und Leben in den kleiner-« gefiederten
Körper kommt. Jhre Augen strahlen
heller. Das Vögelchen will sie auch
ihren Kindern bringen. —
Die griinen Lauben der verlasseneu
Gärten griifzen mit ihren Schneehau
ben zum letzten Male herüber-. Freies
Feld öffnet sich. Die Frau muß erst
den Pfad suchen. Die weiße Decke
verhiillt ihn ganz. Endlich findet sie
Fußtapfen im Schnee, zwei große
und zwei tleinere. »Ein Paar ging
hier iiberg Feld« dentt sie mit leisem
Neid. Sie vertraut fiel) der Fiihrung
der Spuren nn.
Dass Stapfen im Schnee ist jetzt
schwer. Unter der täuschend glatten
Decke sind gefrorene Radfduren. Der
taftende Fuß trifft bald scharfe Erd
riicken wie Felsgrate, die in die Stuh
le schneiden. bald gleitet er in ausge
höhlte Gleise.
Die Schuhe der Frau find rällig
durchnäsz Die Kälte kriecht ihren
Körper hinauf und erinnert fie Plötz
lich daran, daf-, sie sehr miide ift.
Seit Tagesanbruch ift fie unterwegs.
Jbre Augen verlieren den strahlen-«
den Glanz, ihre Wangen färben sich
grüntich bleich. Jhr fällt ein, dan
sie heut noch nichts gegessen hat. Dass
mitgenonimene Brot liegt itn Korb.
Vor Freude vergaß sie es. Soll sie
jetzt das Versäumte nachholen? Aber
das Vögelchen in ihrer Hand! Es
wiirde entslattern.
Die Frau tappt weiter. Bei jedem
Ausrutschen aus dem schlechten Wege
läuft es ihr lalt und heiß durch die
Glieder. Jhre Schritte werden schwe
rer, langsamer-. Die Märchengestnk
ten, die mit ihr wandelten, sind ver
schwanden. Kein Wesen toeit und
breit!
Die ersten Schatten der frühen
Dämmerung klettern zum niedrig
hängenden Himmel empor, nrnhiillen
sein ehernes Grau mit spinnwebfor
benem Flor. Weicher als vorher er
scheint es, nnd plötzlich taumeln Flot
ten herab. Zuerst zaghaft, dann slot
ter und lustiger. Dick und weiß stil
len sie die Lust. Die Frau vermag
kaum die Augen zu iissnen, so tanzen
die Leichten, Neckenden ihr auf der
Nase herum. —- Die Grenze zwi
schen Himmel und Erde ist vermischt.
Die Welt ertrintt in Weiß.
—-——————·,- --——--- -s f
Die Frau späht mit erwachsnder
Sorge nach einem Licht in der Fer
ne, das ihr den Weg seinen tos.
Nichts als die monotone Reihe der
in Weiß getieideten Chausseebäume
zeichnet sich verschwommen am Hort
zont ab
Die Fußspuren im Schnee hören
plötzlich auf. Haben die Flocken sie
jneåwifchtit —- Natlog steht die kran
ti
»Ich habe noch mindestens eine hal
be Stunde Wens'«, denlt sie.
Schwindel nnd Zugleich entsetzliche
Angst kommt iiber sie. Schweiz tritt
csui ihre Stirn. Mit Anftrenmmn
zieht iie einen Fuß ans dem Schnee
und setzt ihn vor den andern. Tiefe
Löcher groben ihre Schritte in die
unentweiht weiße, ieidiue Fläche.
Seltsam betäubt fiihlt sich die
Fran. Wie im Nanirb taumelt lie
querfeldein Dir liinlelnien Flecken
sind wie ein Wienenlied Die Missio
leit in ihrem Kopie-. ihren Glis-dem
wird immer Ftninoender — anh ein
mal rafft sie sich m klarem Denken,
zu eiligerem Schreiten auf.
»Wenn ich nur erst die Lichter ic
be!« Aber die Sitberfchleier ringsum
ziehen sich dichter und dunller entom
men.
»Jetzt wird der Junge mit rein
Schneefiua mir entneaenaeben«. rsrnit
fie, »Aber bin ich denn überhaupt auf
dem rechten Wege?«
Der Schreiten tht fi- mit Wien
hand. Sie beainnt m laufen sind
los dehnt sich die Ebene. Kein Meg
kein Stra.
Die Frau macht einen groben nee
Iweiselten Satz nnd steiit Miit-lich in
einer Erdsenkunaen, die nen den Wes
Gleichmachern deu Flocken, bis iiisier
den Rand ansaefiitlt worden.
Sie will iisli heraus-arbeiten Aber
an ihren Fiißen hängen « scheints-er
Nieiaewichtr. Schweer nnd tekund-r
hänan die Zipfel ihres Tuch-Z im
Schnee. Sie betrat. in beifien Nenn
ben, vorwärts m los-einen den Cis-r
körver hor. — Da ist’8. ots iiioe eine
Land sie rnr Ode. Die Kiere ver
hindert ein Versinlem
Die Schneedecke ist weich wie ein
Daunenksett und die Flocken fallen
ptönlich so leise nnd linde. —
Die Frau denkt em das Geld in
ibrer Tasche nnd an das Vörelchem
das ibre band noch immer nmseixlieieh
Lin die wartenden Kinder daheim nnd
die große Freude. die sie heute —.-kmlst.
Aber sie denlt an alles mit der Pin
teresselnsialeit, die man kurz vor dem
Einschlafen anch fiir die allem-E Ha
sten Dinge des Lebens bat. Giiße
Miidialeit nimmt sie aane gesonnen
Und dann kommt iraendwober ein
Schlitten mit weißen. samtenen Kis
sen —- die Glocken sind angehängt —
nnd nimmt sie ans. Sanft und glei
tend aebt es hincin in ein unbe
stiinmtes weich - graues Damit-en —
Zwischen den riesetnden Flocten die
geschäftig den umgetippten Traatorb
auf der Erde zudecken, flattert mit
ängstlichem ,,Piep« ein rot - graues
Vögelchen.
JOv
Derr Lebt-en
Von drolliger Wirksamkeit ist der
folgende Witz, dessen Held der be
rühmte Professor Rudolf Virchow
ist.
Der Herr Professor hält Kolleg
nnd spricht iiber die inneren Oraane
des Menschen wobei er seinen Hör-ern
einzelne Prsjivarase zeinL Er gibt ei
nes dieser Prävmnte dem Etudioius
NawratiL einein edlen Böhmen, nnd
fräat ihn:
»Ich habe Ihnen nun die einzelnen
Organe erklärt, wollen Sie mir ia
gen, was dieer Piatmrnt ists-"
»Das ifk sich derr Leichen Herr
Professor«
»So, sc. . . sind Sie auch nein-z
sicher?«
»Jawol.-i, Herr Professor-, ek- iß
derr Lebber.«
»So?! Na erstens is es nistrt »der-r
Lebber«, sondern ,derr Leber«: einei
tens iit es nicht ,,derr Lebe-»O sondern
»die Leber« und drittens-I Sie höhni
der Onadrotschadel, ist ek« aarni.tit
»die Leber«, sondern »der Maaen« —
nnd vierten-Z können Ese Medtzin tm
dieren bei wein Sie lockten, aber
nicht bei inir.«
» — -.-.-——
Faun-e Jüngste-seh
Ein Arzt hatte es sich in den Kot-s
gesetzt, nlle Krankheiten seiner Aktien
ten nach bestimmten Merkmalen ter
Augen zu diagnosieren. Eines Jn
ges kam ein Patient, um lieb untersu
chen zu lassen, nnd der Arzt nrnste
zuerst die Auaen
»Aus dein Aug-denkt Jhresz rett ten
Auges ist mir die Natur Jhreo Lei
dens bereits volltonnnen tlnr".
»Meine-Z rechten AnaeLzZsp
,,Jatvcl)l -der Ausdruck ist charak
teristisch in Ihrem speziellen Falle
Sie sind leberleidettk.·«
»Entschuldigen Eie, Herr Dotter,
aber mein rechtes tslune ist ein Glas
auge.«
—
—— Nettex Zustand. Dame:
»Ist mein Mann vielleicht noch bei
Jhnen?«
Wirt: »Jntvok«-l. gnädige Frau er
bat mit einiger-. Freunden ein bißchen
Geburtstag gefeiert; wollen Sie ihn
gleich mitnehmen, oder soll ich ihn
Ihnen zttschicken2«