Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 24, 1911, Zweiter Theil, Image 9

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    Nebraska
Staats· Anzetger und J set-old
Ja » am 32 ovemver 1911 Zwe iter rathen .)
Wie ferne Tritte hörst du s schalten,
Doch weit umher ist nichts zu seh n,
Als wie die Blätter träumend fallen
Und rauschend mit dem Wind ver
weh n.
CI dringt hervor wie leise Klagen,
Die immer neuem Schmerz entstehn
Wie Wehruf aus entfchwundenen Ta
gen,
Wie ftetes Kommen und Vergeh n.
Du hörst wie durch der Baume Gipfel
Die Stunden unaufhaltsam gehn
Der Nebel regnet in die Wipfel,
Du weinft und laränft es nicht ver
eh n.
Die alte Mauer.
Eine Geschichte von Pieere Loti
Ganz hinten im Hof bewohnten sie
eine lleine, bescheidene Wohnung:
Mutter, Tochter und eine betagte Ver
wandte mütterlicherseits Sie hatten
diese Verwandte, welche die Tante der
einen und die Großtonte der anderen
war noch nicht lange bei sich aufge
nomine-i
Die Tochter war noch sehr jung —
sie stand aus der vergänglichen Blüthe
ihrer achtzehn Jahre als mißliche
Vermögensverhältnisse sie gezwungen
hatten, sich in den äußersten Winkel
ihres Familienhauses zurückzuziehen
Der andere Theil des lieben, alten Be
sihthutns die dem Leben zugewandte
Seite. die aus die Straße schaute.
hatte an prosane Fremde vermiethet
werden müssen, die all’ den alten Sa
chen ein verändertes Gepräge gaben
und alle Erinnerungen zerstörten.
« Sie sinaen schon an, den Luxus, die
Bequemlichkeit früherer Zeiten zu der
gessen, so glücklich fühlten sie sich in
ihrem anspruchslosen heim, als eine
Mittheilung sie eines Tages in tiefe
Bestiirzung versehen der Nachher
weinte den hinteren Flügel seines
Wohnhausesum zwei Stockwerte er
höhen, dort vor ihren Fenstern sollt-e
sich eine Mauer erheben, die ihnen die
Lust rauben, die Sonne verdunleln
wiirdr.
Und es gab iein Mittel, dieses Un
heil abzuwenden, das ihr Gemüth
schwerer bedrückte, als all' die seithe
ren Schicksalsschlägr. Zur Zeit ihres
Wohlstandes wäre es ihnen ein Leich
tes gewesen, das haus des Nachbars
zu tausen, jeht war nicht daran zu
deuten Jn ihrer Armuth blieb ihnen
nichts iibrig — nichts s — als sich zu
beugen! ,
Schicht um Schjcht singen die
Steine an sich zu thiirmen, voll Her
zensangst versolgten sli diese immer
mehr anwachsenden Steinmassen: ein
sinsteres Schweigen lastete aus ihnen
irntner diisterer wurde es in dem klei
nen Satan, se höher dieses alles ver
dunkelnde Schreekgespenst stieg.
Nr Wochen später hatten die
Maurer ihr Wert vollendet, das seht
eine glatte, aus Bausteinen herge
stellte Außensläche zeiatn die mit ei
nem weißlich grauen Anstrich versehen
wurde.
Wohl schlichen sich die Strahlen der
heißen Juni- und lJulisonne noch in
den Solan, dochTe kamen später am
Morgen und huschten seither hinweg
des Abends; im Spätherbst stellte sich
die Dämmerung eine Stunde seither
ein und hlillte alles sogleich in ein dil
ster graues Gewand? j
So· verstrich die Zeit, Tage, Mo
nale, Jahreszeiten flogen dahin.
Jn dem zweifelhaften Licht der
Ahenddiirnmerung, ehe die Lampe an
gezündet wurde, wenn die drei
Frauen, eine nach der anderen, ihre
Näh- oder Stickarbeit zusammenlegs
ten, dann suchten die Blicke des jun
gen Mädchens — die bald nicht mehr
jung sein würde —- diese Mauer, die
sich dort statt ihres früheren Himmels
austhiirmte. Ostinals in einer An
wandlung melancholischen Matt-wil
lens, wie eine Gefangene, die unab
lässig von einer Mante verfolgt wird,
vertrieb sie sich die Zeit, von einer be
stimmten Stelle die Zweige der Ro
sen, die Spihen der Sträucher zu be
trachten, die sich von den graut-mal
ten Mauersteinen abhobem Dann
suchte sie sich der Täuschung hinzuge
ben: dieser hintergrund sei ein Dim
mel, der, wenngleich höher und tiefer
oslö der wirkliche, doch an diejenigen
gewohnte, die oft Nachts auf den un
geheuerlichen Pisionen unserer Träume
lasten.
Ost sprachen sie arn Arbeitstlsch.
bei-n Schein der Lampe von einer
Erbschaft, die fix erhofften, doch im
mer nur wie von einem Traun-, wie
von einem schönen Märchen, in so un
sichere. nebelgraue Ferne schien dieses
Bermächtniß entrückt. Aber sollte diese
amerilanische Crbs st doch noch kom
men, dann würden e um jeden Preis
das Haus des Nachbars kaufen, den«
neuen Flügel wiirden sie niederreißen
und alles wiederherstellen, wie es einftz
gewesen! Ungehindert wiirde dass
Sonnenlicht dann wieder den hof und s
die lieben, an der Mauer emporllet- ;
ternden Rosen treffen. ’ s
»Meine lieben Kinder«, fagte dies
alte Tante wieder und immer wieder, ;
»gebe Pottfchtäaß its-Länge genug lebe, ?
um die en ’nen. zu fe n!« i
Die Erbschaft ließ lange,he trofilos
lange aus sich warten. Aus der glat-»
ten Außensliiche der Mauer hatte der]
Regen schließlich fchtviirzliche Streifen s
gemalt, deren Anblick traurig stimmte· l
Eines Tages es war im Früh
ling, in einem sonnendurchgllihten
Frühling, der, trotz der schattenwer
senden Mauer. die Rosen früher und
iippiger hatte erblühen lassen, als in
den anderen Jahren -—-- erschien in der
bescheidenen hofwohnung ein junger
Mann. Einige Abende hindurch lei
stete er den drei oermiigenölosen
Frauen Gesellschaft. Nur vorüber
gehend hielt er sich in der Stadt auf,
gemeinsame Freunde hatten ihn an
die Damen gewiesen, vielleicht mit
dem Hintergedanlen einer heirath. Er 4
tvar schön.« kräftige Seewinde hatten s
sein stolzes Gesicht gebrannt. Doch die ’
Erbschaft erschien ihm zu unsicher, das ;
junge Mädchen, deren Wangen, auss
Mangel an Licht bleich geworden was
ren, zu arm. So schied er fiir immer
er, der dort eine Zeitlang die Sonne
die Kraft, das Leben verlörpert hatte.
Wie bange Todesahnung beschlich es
sie, die sich schon seine Braut gewähnt
hatte. · !
.Gleichsörmig schlichen die Jahre da- ?
hin, gleichsiirmig, wie sithllos dahin-l
stießende Ströme. So vergingen siins, ;
echt-. fünfzehn in zwanzig Jahre-i
Die Frische des jungen. mitgifnpseuj
Mädchens schwand dahin « derge-;
dens und unbegehrt hatte sie gebliiht,j
»- die haare der Mutter wurdens
weiß, die alte Tante wurde siech· Sie T
sasz jetzt unentwegt an demselben
Plane, an dem verdunkelten Fenster
in ihrem verblichenen Sessel. Jhr ar
mer achtzigjähriger Kopf wackelte un
aushiirlich hin und her, ihr ehrwürdi
ges Prosil hob sich don dem Grün, das
den unteren Theil der Mauer deckte
ab. jener Mauer, aus der die schwärz
lichen Linien, die langsam niederrin
nender Regen gezogen, sich derstärtten.
Angesichts der Mauer, der uner
bittlichen Mauer, wurden sie .1lle Drei
alt. Auch die Rosen und Sträucher
älterten.
Sie war schon seit zehn Monaten
todt ihr Scheiben hatte eine ent
setzliche Leere in dem kleinen Salon
der Vereinsamten zurückgelassen wie
eine inniggeliebte Großmutter war sie
beweint worden, — als endlich die
überwältigende Nachricht von dem
Eintressen der längst nicht mehr er
warteten Erbschast kom.
Die Freude, wieder reich zu sein,
schien dass alte Mädchen —-- sie war
jetzt vierzig Jahre alt « zu verjün
gen. Natiirlich jetzt miiszten die Mie
ther aus dem Vorderhause weichen,
alles sollte werden, wie es einst gewe
sen« und dann wenn nur erst diese
Mauer niedergelegt war --—, dann
würde ihr Leben auch wieder voll la
chenden Sonnenscheins sein·
Und endlich fiel sie, sie, deren Fall
seit zwanzig langen, glanzlofen Jah
ren herbeigefehnt worden war. Und
als die Arbeiter weggegangen waren,
alles vollendet und die Stille wieder
geiehrt war, staunten Mutter und
Tochter über die helligteit, denn am
Tisch-e sitzend, bedurften sie zum ersten
Male nicht mehr der Lampe fiir ihr
Abendessen· Wie in früheren Zeiten
ruhten ihre Blicke auf den Roer des
Hofes, die sich wie einst leuchtend vom
himmel abhoben. Aber statt der er
hofften Freude beschlich sie ein uner
lliirliches Unhehagen: zuviel Licht
ftröinte in den lleinen Solon, eine
grausame helle durchfluthete ihn, und
das Gefühl der unaewohnten Leere
draußen, der großen Veränderung . ..
Die Erfüllung ihres Wunsches ließ sie
verstummen, schweigend verharrten
Beide in Gedanken versunken ließen
sie das aufgetranene Mahl unberührt.
Eine stetig wachsende Schwermuth er
fiillte sie ganz· Jhre derzen lrarnpften
sich zusamt-en, ihr Schmerz steigerte
lsieh bis zur höchsten herzensangst, bis
i zu jener trostlos düsteren Empfin
!dung. die uns bei dem Bermissen
theurer Todten übertomsmt.
Als die Mutter gewahrte, daß
Thriinen die Augen der Tochter ver
schleierten, errieth sie die unausges
sprochenen Gedanken, die wohl den
ihren glichen. »
»Man könnte sie vieder ausbsauen«,
sagte sie. ,,Meinst Du nicht, daß man
es versuchen lönnte, sie genau wieder
so herzustellen. wie sie gewesen isl?"
»Ich habe auch schon daran gedacht«,
antwortete die Tochter. »Aber weißt
Du, es würde doch nicht mehr das
selbe sein.«
Ach, wie war es nur möglich, sie, ja
sie und kein Anderer, war es gewesen
die das Wieder-reißen dieses Hinter
grundes befohlen, von dem soviel ihr
vertraute Bilder sich abgehoben hatten
damals, im Lenz, war es ein schö
ner Männerlops gewesen und viele
Winter hindurch das liebe Prosil der
greifen, verstorbenen Tante.
Ein herbes Web durchzuckte ihr
Herz und um die unwiderruflich zer
störte Mauer weinte sie die bittersten
Thränen ihres Lebens.
Die Seele des Ostens-.
Um "nrit dem Anfang zu be
ginnen, ist die Geburt eines japani
schen Kindes von höchster Wichtigkeit
fiit den Haushalt, von dem jeder ein
zelne an der Freude theilnirnnit, mit
Ausnahme des Neuankiimmlings
selbst: er weint. Diese allgemeine
Freude ist sedrch einigermaßen von
dem Geschlecht des Neugeborenen ab
hängig Jst das Kind zufällig ein
Knabe, herrscht allgemeines Entziiclenx
ist es ein Mädchen, äussert sich der
Enthusiasmus weit gemäßigter. Jm
letzteren Falle sind die impulsiven Ber
wandten unverkennbar verstimmt,
während die philosophischeren unter
ihnen siir das nächste Mal eine günsti
gere Fügung erhossen. Beide Theile
ergehen sich in hiibschen Redensarten«
die sie aber selbst nicht ernst nehmen,
denn es ist eine ausgemachte Sache,
daß die Familie in der Baby-Lotterie
eine Niete gezogen hat. Eine so sehr
vcn dem Geschlecht abhängige Freude
beweist, wie gering die Rolle ist, die·
das Persönliche, selbst in der Betst-et
trvr, spielt. Der Grund dieser ausge
sprochenen Parteinahme für das
männliche Geschlecht liegt natürlich in
dem allbeherrschenden Wunsch nach
Erhaltung des Familienstammes. Der
beklagenswertheSäugling wird nur in
dem Lichte eines möglichen Stammhal
ters angesehen. Ein Knabe ist boten
tkell schon ein Vater, wohingegen ein
Mädchen, wenn es sich überhaupt ver
mählt, aus seiner Familie in eine an
dere hinein heirathet, und von vorn
herein so gut wie verloren ist« Dieser
Uebelstand wird jedoch bis zu einem
gewissen Grade durch die fast unend
lickcn Möglichkeiten der Adoption ge
mildert. Aus diesem Grunde sind
also Töchter nicht ganz so verzweifelte
Fälle.
Aus der Abgeschlossenheit des häus
lichen Kreises wird der Säugling, an
die Schultern einer kaum älteren
Schwester festgebunden, huckeparl in
die Welt geführt. Der Obhut eines
Wesens anvertraut, das selbst tautn
ruht als ein zartes Babh ist, erblirlt
es zuerst die Welt. Die Winzigteit
dieser Kinderwärterinnrn ist dabei das
erftaunlichste. Man kann das gebrech
lichstc Püppchen, mit einem Wesen be
laden, das halb so groß ist wie es
selbst in den Straßen herumwacleln
sehen. Wie das Pünktchen aus dem
»i« scheint das-Köpfchen des Babhs ein
natürlicherTheil der tindlichen Warte
rin zu sein.
Eine derartige Oelonomie in der
Kinderwartung gibt uns viel zu den
tcn; daß es überhaupt ausführbat ist«
so ein Kind dem anderen anzuveri
trauen, beweist die rühkeife der japa
nischen Kinder. ber diese verblüf
fende Reife der Jugend bedingt einem
Gesetz zufolge, das zu bekannt ist, um
eine-. Erläuterung zu bedürfen, die
spätere Unreife der Rasse. Je tiefer
die Wachsthumsgrenze, desto früher
wird sie naturgemäß erreicht. Ja, es
mag sogar fraglich sein, ob dieg sich
nicht noch rascher vollzieht, nach dem
Prinzip, daß ein Rennen der eine ge
ringere Distanz zu bewältigen hat,
nicht nur seinen Lauf rascher zurück
legi« sondern sich auch mit relativ grö
ßerer Schnelligleit fortbewegt oder
wie ein kleiner Planet nicht nur früher
altert als ein größerer,"sondern ver
hältnismäßig auch schneller. Jupiter
befindet sich noch in seiner feurigen
Jugend, während der Mond von de
repiter Alteröschwiiche ift, und dennoch
begann das Sonderda ein dei ersteren
lange vor dem des ondeö. Dieses
Gesetz erklärt die abnorm frühe Ent
wicklung der chinesischen Rasse und die
daraus folgende Periode ihrer Jnaiti
jbitiit.
Unterdessen geht die jugendliche
Würterin in glücklicherUntenntniß des
Beweises, den ihre geistige Frühreife
gegen ihre zukünftigen Möglichkeiten
erlsringt, ihrem Vergnügen nach,wobei
sie ab und zu ihrem Pslegling, dessen
«tleines armes Köpfchen in höchst be
:triiblicher, lockerer Weise bald auf
diese, bald auf jene Seite wackelt, ihre
Aufmerksamkeit zuwendet.
Sobald das Kindchen etwas größer
geworden, hat es mit aller Wartung
ein Ende, und nun beginnt für es
selbst die Pflicht, auf andere Acht zu
geben. Sein Leben daheim besteht
ans unablässiger Subordination. Das
Verhältniß, in dem sein Gehorsam zu
dem der Kinder anderer Länder steht,
erhellt vielleicht genügend aus der
Wichtigkeit, mit der diese Vorschriften
in den verschiedenen Gesetzbüchern be
handelt find. Das Gebot: »Ehre Va
ter und Mutter« bildet ein Zehntel des
mosaischen Gesetzes, wankend dasselbe
Gebot wenigstens die Hälfte der ton
fiszianischen Vorschriften ausmacht.
Für das chinesische Kind sind alle el
terlichen Befehle nicht einfach geschrie
bene Gesetze, sondern sie müssen im
Geiste noch übertroffen werden. Zu
thun, was man ihm sagt, ist nur der
minimalste Bruchtheil seiner Pflichten.
Theoretisch soll sich fein ganzes Sin
nen und Trachten einzig darauf rich
ten, wie es feinem Familien - Ober
haupt dienen kann. Aeneas folgte bei
seiner Flucht aus Troja demselben Ko
dex des Betragens1 wie bekannt, galt
seine erste Sorge seinem Vater, die
nächste seinem Sohne und die letzte sei
ner Frau, die er, nebenbei gesagt, ver
lor. Bei dem Chinesen ist die kind
licise Pietät die hehrste Tugend. Ein
pflichtloser Sohn ist ein Monstrum,
e: n Fall moralischer Mißbildung
Auch könnte es kaum anders sein.
Denn ein Vater vertörpert »in propria
Persona« einen ganzen Patriarchew
stamm, dessen angehäuste Autoritäts
alt thatsiichlich gottlich ist. Diesem
Obrigkeit-Zustand entwächst das Jn
diriduum nie ebenso wie ihm die
Rasse nie entwachsen ist.
i Unser Knabe beginnt nun zur
Schule zu gehen, in eine Tagsschule
natürlich, denn ein Jnternat wäre mit
der-s Familienleben nicht im Einklan
ge. hier gibt man ihm zur Eröffnung
des Unterrichts die trimetrischen Klas
siter, damit er die Schriftzeichen aus
wendig lerne und gelegentlich dabei ei
nige Jdeen aufschnappe. Diesem Buch
folgt: Das Jahrhundert der Ge
schlechtsnamen, ein Katalog allerClan:
Namen in China, wie das erstere
hauptsächlich wegen der Schriftzeichen
studiert wird, obgleich die darin ent
haltenen Hinweise auf die Bedeutung
tder Familien gewiß nicht verfehlen,
jauf den jugendlichen Geist Eindruck zu
zuu chen. Dann kommen die Tausend
Schriftzeichen - Klassiker, ein wunder
volles Kunststück der Mnemo - Tech
nit, denn von den tausend Schriftzei
chen dieses Buches wiederholt sich kein
einziges auch nur einmal, ein Mangel
an Tautologie, der von dem unfreiwil
ligea Leser laum nach Gebilhr gewür
digt werden kann. Durch Erinnerung
an unsere eigene Schulzeit können wir
uns den Widerwillen lebhaft vorstellen,
den der Knabe empfindet,statt der Be
wunderung, die er empfinden sollte.
Drei weitere Bücher folgen diesen
ersten Bänden in der Form von ein
ander abweichend, aber dem Jnhalt
nacb merkwürdig gleich, da sie alle
Geschichte verbunden mit Moral, be
handeln. Denn das fromme Alterthum
verknüpfte Geschichte unzertrennlich
mit Moral· Ja, es ist. als hätte die
Vergangenheit einzig mit Rücksicht auf
die Erbauung der Zukunft gelebt. Die
Chinesen waren in jenem goldenen
Zeitalter geradezu anormal tugendhaft
und setzten die wenigen Unglücklichen,
die die folgendenZeitalter als warnen
des Beispiel der Entartung brauchten,
unter Schloß und Riegel. Wenn man
davon absieht, daß der Unterricht keine
Belehrung iiber das künftige Leben
enthält, kann man sagen, daß die
fernitstliche Erziehung aus einer fort
laufenden Sonntagsschule besteht.
Denn von den gelehrten Autoren wird
keine Gelegenheit verabsiiumt, selbst in
die weltlichsten Partien ihrer Bücher
iMorallehren einzuflechten «
! Der Ausspruch des Dionysius ron
Halitarnaß, Geschichte sei an Beispie
len gelehrte Philosophie, tännte hier so
modifiziert werden: Geschichte ist in
Beispielen vorgetragene Philosophie
Denn in den belehrenden Anetdoten
snuszsede andere Art des Verdienstes
der kindlichen Pietiit nachstehen. Der
Bethiitigung dieser hehrsten Tugend
werden alle anderen Rücksichten geop
fert. Das Streben des Schülers wird
so ausschließlich auf diesen einenPunkt
gerichtet. So oft er ein Blatt umwen
det, stößt er auf Beispiele kindlicher
Selbst-Verleugnung, die den jugendli
chen Leser zum höchsten Ehrgeiz an-·
spornm Bilder aus der Vergangen
heit, zuweilen loloriette, zeigen diese
gepriesene Eigenschaft in einem lo hoch
gesteigerten Typus, daß sie bei jedem
anderen weniger kindlich Veranlagten
Voll einfach detiWettbewerb anmuthi
gen würden. Aber der Knabe hier
glaubt alles aufs Wort. wird davon
zur Nacheifernng angefeuert, ja be
schließt, das Gelesene noch zu übertref
sen.
Ein oder zwei Beispiele werden ge
nügen: Jn einer Erzählung wird der
Held der Nachwelt als leuchtendes
Vorbild gepriesen, weil er in einem
außerordentlichem Fall von Familien- »
noth seinenSohn verhungern läßt« um
Nahrung fiir seinen alten Vater zu be- «
schaffen. Jn einer anderen Geschichte i
reißt ck sich unbedenklich von seiner s
Frau scheiden, weil diese sich irgend s
einen harmlosen Scherz niit den höl- !
zernen Abbildern seiner Eltern er- :
laubte, die er zur täglichen Anbetnng j
und Betrachtung in seinem Hause auf
gestellt hatte. Schließlich verkaufte !
sich irgend ein andererMuiiersohn that
siichlich in ewige Sklaverei, um die nö- l
thigen Mittel herbeizuschaffen, seinen
würdigen Erzeuger, der zuerst seine
Nachbarn betrog und dann sein un-«
recht erworbene-Z Gut in einein üppigen
Leben vers-reihte mit gebührenden Eh
ren begraben zu lassen· Bei diesenErs
zähinngen musz ebenso wie bei gewis
sen fragwiirdigen Romanen die lon- (
ventirnelle Moral fiir die allgemeine
Jnitnoralität der Handlung entschädi-— !
gen.
So ist die Studien-Laufbahn be- I
schaffen, die man den junaen Chinesen l
zurücklegen läßt« Ein ähnliches Sy- i
stem herrscht in Japan, und die Ver-— I
ichiedenheit zwischen beiden ist mehr
quantitativ als qualitativ. Die Vit
cher find in beiden Fällen so ziemlich
dieselben, und der Lesestoff unterschei- «
det sich erstaunlich wenig, wenn wir »
bedenken, daß in dem einen Falle der "
Schüler die eigenen Klassiter liest» in
anderem Falle die einer fremden Na
tion.
? Gehört der Schüler detnMittelstand
an, wird er, wenn seine Schulzeit vor
bei ist, dazu angehalten, seines Va
ters Gewerbe zu erlernen. Sich irgend
einem anderen Gewerbe als dem des
Vaters zuzuwenden, wiirde der Fami
» lie einfach als ein Unding erscheinen.
IUnd trarum sollte er auch einen ande
ren Geichiistszweig erwählen? Und
wenn, welcher sollte das sein7 Jst sei
nes Vaters Berschiiftiguna nicht schon
da, ein Theil der bestehendenOrdnung
der Dinge, und ist er nicht der Sohn
seines Vaters und deshalb Erbe der
väterlichen Geschicklichkeit-E Nicht als
ob die Vererbung einer solchen Befähi
gung wissenschaftlich festgestellt wäre
man nimmt sie einfach instinktiv als
Thatsache an.
Tie Möglichkeit der Vererbung von
seiten der Mutter kommt nicht in Fra
ge, so, als ob ihre Abtrennung von ih
rer eigenen Familie eine solche Wir
luug aus-schalten würde Was die in
dividuelle Vorliebe des jungen Mens
schen siir die Sache betrifft, so hat die
Natur steh der Sitte riicksichtsvoll an
gehaßt, indem sie ihm überhaupt keine
gab. So wird er z. B. ein Tischler,
weil seine Vorfahren immer Tischler
waren. Er erbt das Familien-Gewer
be als einen iiothtvendigen Theil des
Familiennainens, er wirk- siir sein
Handwerk geboren, nicht nach seiner
Veranlagung dazu bestimmt. Aber
aewöhnlich ist er genügend dasiir qua
lisizieit, denn mehrere Generationen
der Praxis. wenn auch nur in einem
Zweig der Familie, attumulieren ein-e
große technische Geschicklichkeit Die
Folge dieses Systems vonFamiliengil
den in allen Zweigen der Industrie ist
sehr bemerienstverth. Die fast uner
reichbare Ueberlegenheit der japani
scken Handwerker über ihre euroväi
sehen Genossen ist ja wohlbctatint. An
dererseits ist die abstralte Tendenz der
Beschäftigung das konkrete Indivi
duum zu verschlingen, ebenso durch die
Theorie anerkannt wie in der Praxis
erwiesen. Der Mensch geht in seiner
Besehästiguna ganz aus. Schon die
Namen der verschiedenen Handwerie
bringen dies zum Ausdruck- Bei-«
stsieleioeise bedeutet das japanische
Wort Tischler wörtlich: »Schneide
Ding-Haus« und bezieht sich jeßt
ebenso sehr auf den Mann wie aus sei
ue Werkstatt.
Wenn unser tupischer Jüngling,
statt ter niederen Klasse inzugehörem
von blauerem Blut ist oder, wenn ihn
auch nur der Wunsch beseelt, von einer
solchen Abstammung zu sein. wird er
Student. Hat er nun nicht schon in
der Schulstnbe die Nichtigleit des von
seiner Nation so hoch gepriesenen Wiss
—
fens erkannt. fo wird er diesen Stu
dien fein Leben weihen. Mit einem
Eifer, der einer besseren Sache würdig
wäre. stürzt er sich in das Studium
der Klassiker, bis er fiir nichts anderes
mehr Sinn hat. Wie man sich denken
lann, legt er schließlich in die Ansprü- -
che der Vergangenheit mehr hinein. als
diese sich in ihrer Einfalt jemals träu
men ließ, htneinznlegen. Er wird kon
fnzianischer als Konsuzius. Und es ist
ein wahres Gliick für den Ruf des
Weisen. daß er nicht zur Erde zurück
kehren kann, denn zu seinem größten
Schaden müßte er mit seinen eigenen
Kosnmentatoren in Widerspruch gera
ten.
Unser Jüngling hat jetzt die Blüthe
zeit seines Lebens erreicht. jenen lut
zen Lenz, wo die ganze Welt einen ro
sigen Schimmer annimmt, wo er sich
nach allen dramatischen Gesetzen ver
lieben müßte. Er thut aber nichts der
gleichen. Es ist traurig, aher diese Ge
fühle sind ihm aanz fremd. Diese
Liebe, wic wir das Wort verstehen, ist
im fernen Osten etwas Unheianntes
Glücklicherweise, denn diese zarte Lei
denschaft wäre mehr als unangelsrachi.
Sich ihr hinzugeben, wiirde endlose
Störungen in dem Gemeinwesen her
vorrnfen, abgesehen von dem Jammer
fiir das Opfer selbst· Wahrscheinlich
würde sie einer Art Kleptomanie oder
sonst irgend einer Ausfchreitung rück
fichtslosenEgoisinns gleichgestellt wer
den. Die Gesellschaft könnte so etwas
niemals dulden, da dies die Wurzeln
ihres ganzen sozialen Systems unter
graben würde-.
Percival Lorrell
Ein Berliner Original.
Die nivellirende Großstadt ist lein
richtig-er Boden, auf welchem Origi
nale gedeihen, während es vor fünfzig
Jahren in Berlin noch eine ganze An
zahl gab. Jm vorigen Jahre starb viel
leicht das letzte Berliner Original, der
,,Katzendottor« B, in der Oberwasser
strasze, Doktor der Philosophie und
der Rechte, sowie im Besitz der Er
laubniß, an der Universität zu lesen.
Seinen Spitznamen führte er daher,
daß er dreißig bis vierzig Katzen hielt,
und wenn jemand eine Katze los sein
wollte, dann versetzte er sie dorthin.
Die Katzen erhielten täglich zwei Liter
Milch und Futter im Abonnement aus
dem Rathe-stellen Als Legerstelle dien
ten ihnen ein alter Schlitten und eine
alte Kalesche Früher ritt und fuhr
der Doktor mit einem Schimmel aus,
bis das Thier zu alt geworden war
und nun das Gnadenjbrot erhielt. Es
war ein großes Haus, welches ihm ge
hörte, mit vielen kleinen Miethern
und mäßigen Miethpreisen. Konnte
einergnicht rechtzeitig bezahlen, so war
er nachsichtig; versuchte jedoch jemand
zu rücken, so war er hart. Den Katzen
geruch im Hause mußten die Miether
allerdings für die mäßige Miethe hin:
nehmen. Dr. B. war ein sehr ge
scheidter Jurist; er bereitete junge Ju
risten siir die Prüfung vor und bear
beitete den juristischen Theil desBries
ikastens einer Zeitung so gründlich,
rdaß junge Juristen denselben emsig
studirten. Früh, wenn noch alles im
Pause schlief, ging er an die Arbeit:
tun 3, 4 Uhr mußte sein Diener ihn
7weclen. Um 11 Uhr speiste er zu sMit
tag, und Nachmittags wanderte er mit
seiner Wirthschafterin nach dseniilhths
teller. Aber man konnte mit dem
Manne lange verkehrt haben, ohne zu
wissen, woran er eigentlich glaubte;
·er war verschlossen. Etwas transzen
dental war er jedenfalls veranljgt;
denn Abends hielt er häufig spiritisti
sche Sitzungen ab wobei ein Däne
ihm assistirte. « Das Katzen -Dorado
ist abgebrochen; an seiner Stelle ist be
reits ein moderner Neubau unter
Dach.
Jetzt heißt es gar, daß J. Pierpont
Morgan auch das Putzmachergeschäft
des- ganzcn Landes konkrolliert. Dass
würde dem Faß den Boden ausschla
gen. Wenn die Hüte der Frauen noch
mehr verteuert werden sollen, dann ist
es Zeit, daß den Frauen das
Stimmrecht erteilt wird. Was können
unerschwinglich hohe Lebensmittel
preise gegen Verteuerung von Damen
hüten bedeuten? —— Frauen können
wohl hungern, aber keinen nmnoderi
nen Hut tragen.
si- sk «
Gliicklich jene, die sich sekbsi genü
gen, denn ihnen ist es gleichgtltig, was
andere von ihnen denken oder sagen.
III II O
Der Dampfer Sikh traf in New
gork mit 744,000 Chinesenzöpen ein.
ie Sendung kommt reichlich spät, kmh
Nachfrage nach falschem Haar hat er
freuliche-erie bedeutend nachgelassen