Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, September 08, 1911, Zweiter Theil, Image 9

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2
tgkz
Nebraska
Staats-» Anzetger und J cerold
September Imvl Zw eitc Odde l.) ,
U ummer »t.
III Sonne nnd das Schicksal.
Die Sonne achtet völlig gleich.
Was sie bescheint aus Erden,
Durch nichts vermag in ihrem Reich
Sie fe bewegt« zu werden.
Gewohnt an ihren alten Lauf
Von einem Tag zum andern,
Geht sie am Himmel leuchtend auf,
Um leuchtend zu entrinnt-ern
So legt sie ihre Bahn zurück,
links Schicksal unbekümmekt,
Das heute schafft ein Menschengliiei —
Und morgen es zertrümmert
Die Vioiine.
cktizze von Agathe Herrmann.
Der Herr Rechnungsrath war
schlechter Laune. Mißmuthig schritt
er in seiner Junggesellenstube umher,
und die dicken Rauchwoiken, mit de
nen er sich umgan, zeigten Frau Anne
marie Mater —- der braven Haushal
terin des gestrengen Herrn, die eben
den Abendtisch deckte —- seine starie
Erregung Es war aber auch wirt
lich zu toll. Da wohnte man wett:
draußen nur«-n Thor in einem ileinenJ
mit wildem Wein umsponnenen Gar-!
tenhaus —- wo die Utmen und Bittens
zum Fenster hereinnickten. Man ist.
voller Glückseligteit, so ein stilles
Heinr, abseits vorn lauten Weltge
triebe, gesunden zu haben. Man
sreut sich der abendlichen Stillet
ringsum. der letzten schmelzenden
Strovben des Amselliedes in den ba
hen Bäumen, all der Blüthenpracht,
die iiber den Gärten umher ausge
gossen liegt, als habe sie der- liebe
Herrgott eigens nur siir ihn, den
Herrn Rechnungsrath, geschassen Da
iiiitt diesem Nentier Haber plötzlich
ein, daß er in besagtem stillen Gar
'renhaus, seinem Eigenthum, ja noch
ein Mansardenzimmer zu vermiethen
habe. Und richtig, als der Herr Rath
eines schönen Tages vom Bureau
heimiommt, erblickt er voll Schrecken
oben am Mansardenertee weiße Gar
dinen, dahinter ein blasses Frauenge
sicht -— die neue Miethspartei ist ein
gezogen
.,Lebt sie ganz allein? Wie sieht sie
denn aus, Maiern?« fragte der Herr
Rath und deutete mit der Pseisens
spitze nach oben. Seit zwei Tagen
tam er aus der Angst vor etwaigen
nnliebsamen Ueberraschungen nicht
heraus; es war zu unbehaglich, nicht
mehr Alleinherrscher im Haus zu
sein! »Macht sie Radau, wenn ich nicht
daheim bin?« « »Nein, Gott be
wahre, Herr Rath! Das is ja so’n
stilles. alleiniges Frauenzimmer; die
muckst sich nicht und geht immer so
Mise, daß man ’nen Schrecken kriegt,
wenn sie plöhlich vor einem steht, man
weih'nicht wieso, woher, mit ihrem
weißen Gesicht und den schwarzen
Kleidern. Dünn is sie, herr Rath,
unheimlich. wie ’ne Latie, ja!« Und
Frau Mater sah bestiedigt an ihrer
rundlichen Figur herab. Tagsüber
is sie ja gar nicht zu Haus-; was sie
draußen treibt, weiß ich nicht, es is
’ne aanz Verschlossene, die!« Ein lei
ier Groll regte sich in der Maiern
beim Gedanken an die wiederholten
vergeblichen Versuche zur Befriedi
gung ihrer, wie sie wähnte, berechtig
ten Neugierde. »Und was ich noch sa
aen wollte, Herr Rath ——" —- »Oui,
was denn?« —— »Ja, sie läßt fragen,
das Fräulein da droben, ob Sies
wohl aenieren that, wenn sie Abendsl
n Stündchen Vigeline, ich wollt’ sa
gen, Violine, spielen thiite . . «
»Was?« Der Herr Rath glaubte nicht
recht zu hören. Ein Frauenzimmer·
und Violinel Verriicltl —- Er schill- i
telte den Kopf Rein, so etwas wart
noch nicht da! Aber er hat’s doch ge- l
ahnt! ---- »Das brauchts nicht das
oulde ich nicht!'· Sagen Sie das der
alten Schraube!« schrie er zornig
»So ein Geiiedel bei der Nacht fehlt
mit gerade noch; da wird nichts
drausl" —- Ei pafste wie ein Schlot
vor Autteaung. —- »Aber, here
Rath«, wagte die Maierin eineni
schüchternen Einwand, »ein Stündchent
will sie doch nur spielen, und eigentil
lich« —- sie nahm vorsichtig die Thür
tlinle in die Hand — »eigentlich tön-,
nen Sie s ihr gar nicht verbieten . . .
»Oho! Warum nichti« schrie er. —
,,Weil jeder Miether spielen darf
bis-halber elfel«— »Nein, hinausl«
tobte der etwas polterische here Rath
Aber die Masern war schon draußen
und lachte vor sich hin: »Er neide
schon dulden miilsen!«——
Das Fräulein da oben hatte wirt
lich die Keckheit, allabendllch Violine
tu spielen. Der Rath war außer
sich. «Grad zum Troh thut sie'i,«
grollte er. Doch darin hatte er un
recht. Er wußte ja nicht, daß die
gutmüthige Maiern auf die erneute
ichiichterne Antrage der Mietherin die
Befugnisse eigenmächtig überschritt.
Das blasse, dünne Ding dauerte sie
so, und mit Staunen fah es die
Maiern, alt war sie noch gar nicht;
nur weiß und leidend sah sie aus zum
Guttat-armen »Die gute Frau Maier
war gerührt, und das gab den Aus
schlag. »Dein sperrn Rath ists ganz
recht, Fröulein,« stotterte sie, »spie
len’nur getrost!« Sie bereute auch —
sontt die Ehrlichkeit selbst —- die kleine
Lüge nicht, als sie die dankbaren
Blicke in dem milden Gesicht aufleuch-.
ten sah. »Spielen’s nur« Fräulein.«I
wiederholte ste. —- »Jch danke, o ichs
danke!« antwortete die schwache
Frauenftirnr. »Aber bitte, das ist ein;
Jerthum von Ihnen, ich bin lein
FrauleinX Leise, stockend fügte sie(
thei: »Ich hin Wutka — l
! »Den Rath, vie von vroven is "ne
sWitttvh teine alte Jungfer,« sagte die
»Maiern eines Mittags beim Abram
men zu ihrem Herrn, »und -—« «
»Zum Kuckuck, laß mich in Frieden
mit ver albernen Person!« schrie der
sRath erbost — »Na na! . .
»Nicht einmal richtig spielen iann sie, «
grollte er. »Es wimmelt ja von lan
ter Fehlern —- aanz groben Schni
trernl Das verstehen Sie eben nicht.
Maiern! Durch und durch unmusiia
lisch ist sie. sag ich Ihnen; und so et
was hat vie Kühnheit, Violine spielen
zu wollen und mir vie wundervolle
Amnbruhe zu stehlen. Aber lange
geht es nicht so weiter, lang nim
mer!« —
Tag siir Tag spielte die einsame
Mansardenbewohnerin des Abends
eine Zeitlang aus ver Biviine schlecht,
das muß man zugeben; darin hatte
ver Herr Rath recht. Dieser wurde
natürlich von Tag zu Tag witthender,
unv eines Tages hielt er vie »Qu«ale
rei« wirklich nicht mehr aus »Das
muß ein Ende nehmen!'· stöhnte er.
»Na meine beschauliche Ruhe ist hin.
Die insame Dudeiei muß sie lassen
oder eins vo uns zieht aus, entwe
ver ssie oder äst«
Der Herr Rath zog den Bratenrock
an und legte die Pseise weg. Die
Maiern tvar starr. »Der Herr Rath
gehen so spät noch aus?« »s— Miit
grimmer Miene deutete der Rath anl
die Decke »Ja der Wittwe oben 7«——
Jhre Lüge siel der Guten ein; sie
tvurve talttveisz im Gesicht und packte
ihren herrn am Arm »Lassen5
mich gehn, herr Rath, Sie sind so
ungestüm.« -—— Der Rath riesi sich los
»Nichts dat« —- Und schön stieg er
wuchtigen Schrittes vie tnarrende
Stiege empor. —
Aus dem Mansatdenzimmek tönten
die grausam verstiiinmelten Klänge ei
nes einfachen Vollsliedeja hervor.
Nicht einmal: »Es ist bestimmt in
Gottes Rath« kann sie richtig fpietenl
Hastig klopfte er an. Drinnen brach
die Musik jäh ab und hastige Schritte
näherten sich gleich darauf der Thüre
Zum erstenmal stand der Herr Rath
nun der Frau, der er grollte, gegen
iiher. Mit leichter Handbewegnng
lud sie ihn ein, näherzutreten. Zu
gleich srug sie leise« sast ängstlich:
»Was sührt Sie zu mir heraus, Herr
Rechnirngsrath?« «—— Ob sie ahnte?
»Sie lennen mich also schon?« hub er
an, sich käuspernd — »Ich begegnete
Ihnen schon verschiedentlich im Haus
slui, der Herr Rechnungsrath sahen
mich, glaube ich, nicht«, erwiderte sie
leise. — «Hören, wollen Sie sageu,'«
brummte er, ,,rnan hört Sie ja nicht,
Jhre Schritte, Jhre Stimme, alles ist
leise, nur« « hier hob er energisch
den Ton « »Ihr Violinspiel, Sie
.verstehen. das ist laut, aufdringlich
laut!« —- Er wich den ängstlichen
Augen vor ihm aus; das blasse Ge
sicht schien noch uui einen Schein
bliisser zu werden: aber —- es mußte
gesagt werden! »Das geht nicht so
weiter, Ihr falsches Violinspielen, hö
ren Sie. Was war das eben wieder
siir eine Dudeleit Das macht einen
verriieltt« schrie er förmlich.
Jetzt war es gesagt. was er zu sa
aen hatte —- nierlwtirdig —- Triumph
spiirte er gar keinen; im Gegentheil,
wie Beschämuna itbersiel es ihn beim
Anblick dieser traurigen Augen, der
miid aebeuaten, Harten Gestalt. »Ich
bin eben sehr nerviis," sioiterte et
»u"nd abgesponnt, wenn ich Abends
vom Bureou komme; diese allabend
ltche Ruhestörung« -— »Sie« haben
annz recht.« lchlua die leise Stimme,
wie von Thriinen erstickt, an sein
tOlm ,.ganz recht. Find ich werde nicht
Einehe spielt-« Jltr Blick flog zu der
Bioline dort aus dein Tisch unter der
kleinen Lampe. »Ich werde sie von
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(
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W ab nur noch streicheln, streichelns
und betrachten —- ——« Ein wehes
Zacken flog um den blassen Mund
nnd Thrönen blintten in den trauri
aen Augen. Das konnte der Rath
nicht mit ansehen. Er wat zwar nach;
außen etwas poltekig, sonft jedoch einj
weich veranlagtek Mensch; jeden Groll
fühlte er schwinden. So stammelte
er jetzt etwas tonsus: »Aber —- soI
weinen Sie doch nicht, Wenn-es Ih
nen so ata ist und —- so vermeinte ich
es nicht, spielen sollen Sie schon ja!
Nur eine andere Zeit —- tagsiibek —
wenn ich im Geschäft bin, wiirde es
mir eben lieber sein bitte!« — Sie
seufzte schwer. »Ich bessere Spitzen
aus in einer chemischen Reinigungss
anstatt, wo ich auch mein weniges
Essen verzehre. Ich bin nur Abends
zn Hause. Das war alles anders, als
mein Mann noch lebte und mein
süßer Knabe," subr sie leise, wie um
sich, halb unbewußt, zu vertheidigen.
fort. »Es-Zehen Sie, Herr Rath, daß
ich schlecht spiele, ich weiß es. Oft
lachte mich mein Mann, der Theater
niufitus war und mir zum Zeitver
treib Unterricht auf der Violine gab,
tüchtig aus wegen meines schlechten,
musikalischen Gehors. Und ich lachte
mit —- ich war ja so glücklich damals,
so glücklich! Jch gab es auch bald auf,
das Spiel, hatte keine Zeit mehr, als
dann mein Kind zur Welt gekommen
war. Später, als dieses heranwuchs,
lehrte es der Vater nun auch das-ge
liebte Jnstrument spielen. DerJunge
war hervorragend musikalisch begabt;
das war nun freilich etwas anderes
als mein Spiel; mit 5 Jahren schon
lonnte er einfache Lieder und Volks
weisen fehlerlos und mit innigem Ge
fühl vortragen. . Oh, es lautete so
schin. das Spiel des lieben Jungenl
«Und sehen Sie, Herr Rath —
wenn ich nun, nach all den entsetzlich
trüben Zeiten, in all der Verzweif
lung des jähen Verlustes der beiden
mir so theuren Menschen das Instru
ment hier ergreife, da kommt ein mil
der Trost in mein wundes Her-n
Wenn ich mit dem Bogen über die
Saiten streiche, da lehrt in der Erin
nerung mein einftig Glück auf kurze
Zeit zurück. Jch bin dann im Lande
der Glückseligkeit bei dem Kleinen.
Darum suchte ich die Töne, dik ich
einst so oft und gern gehört-" ---— Leise
weinte sie. »Und das Lied von vor
hin, welches ich so oft spiele: »Es ist
bestimmt in Gottes Rath, daß man
vom liebsten, wag man hat, muß
scheiden««, das, Herr Rath," sagte sie
zuckenden Mundes, .die in Thriinen
schwimmenden Augen zu ihm ausae
schlagen, »das hat mein armer, schon
dem Tod geweihter, tleiner Rudi an
seinem Sterbetag gespielt —— vielleicht
ebenso schlecht, ebenso zitterig wie icti
—— mir klingt es, ach, wie Trost aus
Himmelshöhem wenn ich heut ver
suche. es nach.iuspielen!« Ganz math
los fügte sie leise bei: »Nun ist auch
dieser Trost vorbei!« «- «Nicht doai!«
——s Erschiittert strich der Rath iiber den
leicht ergrauten Scheitel des armen,
gebeugten Weibes, daß das Gesicht
mit den blassen blinden deckte. Mit
vor Rührung heiser-er Stimme bat er
sie: »Spielen Sie getrost jeden Abend«
liebe Frau! Mich wird es nimmer
stören! Spielen Sie nur und -——- ver
geben Sie mir!«
Dann schlich er hinab in sein ein
samea Junggesellenheim
Und wenn er des Abends tmoeilen
noch die Violine hörte, dann freute er
sich und —- dafz sie falsch, zuweilen
sehr falsch aesdielt wurde, das -—
hörte er nicht mehr.
—
Morgengranen in Berlin IV.
Sinnspriiche über das Recht der
Persönlichkeit schreiben sich schon
unsere Backsische ins Stammbuch.
Persönlichkeit wünschen sie später
bei jedem Stück der Aussteuer.
Die ruhige Linie und Eichenhol.s
Schwere des Büsetts sollen Den
slatternden Geist sanft hinabzielsen in
behaglicheni Genuß; leichte, artige
Planderstimmuna soll sich im Muster
des Salonteppichs spiegeln. Acri-net
wegenmag sede Teigrolle sich durch
individuelle Züge über die schnöde
Dutzendwaare erheben; einemDing nur
bestreite ich das Recht der Persönlich
keit: der Anlomobilbrtppe. Wenn der
Tag liirmt, siört die Verschiedenheit
des Klanges laum. in der stillen Nacht
aber wird das Ohr des Schlasloien,
Schlasersebnenden peinlich hellhörig
siir alle Modulationen. Jeyt schallt
ein breiter-, heiserer Baß heraus, gleich
der Stimme eines Großvaters, der
aus der Tiefe des Lehnstuhls gutmü
thig polternd ungebärdige Enkel zu-.
»rechtweist, jetzt ein Ruf kurz, klar, me- i
,tallen scharf wie ein mililärischesl
Mommandm dein Quälen einer übel
qunnigen Xantippe ähnelt die War
nung der nächsten Happe, und dann
ertönt die Straße wie von den hasti
gen Angstschreien einer Seele, die von
bösen Geistern windschnell durch die
Häuserzeile gehegt wird. Jm Halb
tchlas bedrängen Uns wollenartig auf
gequollene, wogende Phantome eines
brüllenden Stier-T eines trompeten
den Elephantem eines verschnupften
Riesen, der sich in ein Riesensacktuch
schnäuzt; vorn Kissen aufschrecteiid,
werden wir uns bewußt, daß nur die
permaledeiten Huppen den Alpdrucl
erzeugt haben. Es gibt Hut-pen, hie
·hlegmnttsch tröten, Huppen, die cho
risch barsch den Fußgönger beiseite
scheuchen, sanguinische Hut-pen, denen
es wie einem sidelen Nachtschrvärmer
Spaß bereitet, mit hellem Juchzer
friedlich schlununernde Philister zu
Decken, nnd auch melancholische, kla
gende anpm
Da ist das einförmige Geräusch der «
elektrischen Straßknbahnen noch er- ;
irr-glichen wenn er- auch nicht gerade;
wieMorphium oder Veronal toirtt.s
Schon in weiter Entfernung ahnt man i
den mächtigen Kasten aus Eisen undi
Glas mehr, als daß man ihn deutlich !
hörte; plötzlich verstummt das leise j
Grollen und eine dnge Hoffnung, daß l
trir uns getäuscht, zuckt durch unser
gequältes Hirn. 5Liber die unbestech
kiche Stimme der Wahrheit erklärt
das Ver-stummen durch eine Haltestelle
und richtig: im nächsten Augenblicke
Ietzt das Dröhnen wieder ein und
schwillt an. bis endlich schmetternd die
Fluth der Töne sich durch die Straße
ergießt und das letzte Restchen Schlaf,
das ins unseren Wimpern hing, un
barmherzig mit sich hinwegspiilt. Wir
alten uns die Nase zu beim Gedanken,
daß unsere Vorfahren in schmalen,
dumpfen Gassen Unrathhausen und l
saulige Tümpel duldeten: wie werden
unsere Nachsahren über den Sinndab
urtheilen, der das arme Trommelselll
der Gegenwart erschüttert? Wann !
werden dem iosseinsreien Rassen-, der
ititotinsreien Zigarre, dem alkohol
fteieg Wein liirmsreie Vertehrsenittel ’
EIN
i· - iner uhet Jn- den Spalten
der Jalousien schimmert nicht mehr der
Schein der Bogenlampen, sondern
biäuliches Dämmerlicht; ein tiihler
Windhauch zwängt sich durch und
spielt mit der Gardine. Jch schiebe die
Schlasversrtche aus, ziehe dieJalousie in
die Höhe und seße mich ans osseneFeni
ster. Die Straße hat ein ganz ande
res Gesicht als bei Tage. Die Häuser
mit ihren inodischen Ziegeldächern, den
iiblichen GeraniensBalions und scha
blonenhasten Stuckornamenten sehen
jeßt nicht aus wie gleichgültige Kupi
talsnnlagen irgendeines Grundstücks
speiulanten, die mit Zentralheizung
und Müllschluaeru ausgerüstet und
höchstens ein halber-Jahrzehnt alt sind-,
ihre Miene ist so geheimnißvoll, als
wüßten sie lange Geschichten zu be-«
richten.
Wie sie still, fahl, mit geschlossenen
Lidern im leichenhasteu Licht deg sriis
hen Morgens stehen, gemahnen sie an
Menschen, derenAntlitz zeitlebens recht
alltäglich und Platt vergnügt war, aber
wenn die Hand des Todes darüber
strich, einen seltsamen Ausdruck herbe:
Hoheit, eines unnahbar-en Räthsels er
halten. Durch die jungen Platanen,
die den breiten Kiespfad und nie Ra
sensireisxn in der Mitte der Straße
ieiumens geht ein Wispern und Sum
men, das man iagsiiber, wenn die
Stimmen der Spaziergänger und spie
lenden Rinder" herausbringen, nicht
vernimmt; triumphierend schwingt sich
als Bote des Lebens iiber die bleichen
Hausgespenster eine Amsel, die in der
Steinwiiste nicht die ländlicheGewohni
heii des Frühaufsteheng verlernt hat.
Sie setzt sich ans eine sezessionisiischc
Wetterfahne, die das ganze Jahr hin-:
durch unentwegt südwestlichen Wind
anzeigt, und schmettert ihr knrzsirophi:
ges, lautes, frohes, ein wenig schmal
«5iges Morgenlied. Hinter Fenster
scheiden antworiet ihr in der Nachbar
schast ein KanarienvogeL seine Triller
klingen wie in Watte eingepackt. Die
Amsel und der gesungene Vogel musi
zieren schon; noch musizieri die Zigeu
nerlapelle des Cases an der nächsten
Ecke. Zuweilen erhasche ich einen ver
iehwommenen Geigenton oder ein
Fengmeni harten Klaviergehäminerg.
Vor dem Cafe blinzeln gelbe eletirische
Lampen übernächtig und nmtt in den
werdenden Tag; die Vorhänge sind
heruntergelassen, als suche man drin
nen die Nacht mit ihrem künstlichen
Glanz, ihrer künstlichen Lust festzu
halten.
Wieder ein paar Automobile. Jm
ersten zwei männliche Strohhüte, im
zweiten ein ebensolcher Strohhui und
ein schwarzes Riesenead, an dessen«
hellblauer Pleureuse heim rnschenFah
;ren der Wind zupft, im dritten ein Zy
linder, der zärtlich gegen einen knall
grünenTutban mit Reihersedern lehnt.
Ja die Leute im Westen, in Chor
lotienburg, in Schöneberg sind leine»
Hinterwäldler. Sie brauchen nicht 3
mehr zum eigentlichen Berlin zu wal
len, wenn sie sich nächtlicherweile amti
sicren wollen« Mancher Fremde, viel
leicht auch mancher Berliner, denen die
Friedrichstndt noch immer als gelobtes
HLnnd der Burnmelseligkeii gilt, wür
’ den bei einem späten Ausflug nach dem
»Westen erstaunt wahrnehmen, wie heil
auch hie die liebe, lange Nacht funkelt,
wie weit in Groß-Berlin die Dezen
«tralisation des Vergnügen-Z vorge
schrieben ist.
Wo vor verhältnismäßig iurzerZeil
noch Familien unter grünen Bäumen
ihren unschuldigen Kassee kochten,
braut jetzt in eleganten Sälen ein er
sahrener Spezicilist echten schwarzen
Mokkux wo in der bohnenumkaniten
Veranda ihrer winzigen Sommervil
len Gevatter Schneider und Hand
schuhmnchek sich an einer soliden Wei
szen labten, schlürfen jetzt Herren im
Smoting stivolen Selt. Jn einzelnen
Gegenden« z. B. beim Eispalast, ha
ben sich Mittelpunkte desNachtbetriebs
herausgebildet Manchmal find im
Erdgeschoß von Miethäusern die-alten
Außenmauern durch Eisenträger. po
lierte Marmorplatten und Spiegel
scheiben ersetzt, die Binnenwände ans
gebrochen und die ehemaligen Zimmer
zu einem geräumigen Saal zusammen
gezogen, in dem große Wandspiegel,
weiße Täselung, Gold-leisten und die
Lichtfluth aus hochmodernen Kristall
gehängen jede Erinnerung an die gut
bürgerliche Vergangenheit des,Hauses
verwischen. Ueber derThür leuchtet das
Wort: Bar, vor der Thür steht ein
tattliche Portier in langem, mit Gold
litzen besetztem Rock, der vor den ein
tretenden Herrschaften dieSchirmmütze
lüstet. Von dern Publikum, das ähn
liche Lotale der innern Stadt bevöl
ke1t, unterscheiden sich die Nachtfalter
des Westens hauptsächlich durch den
geringen Prozentsatz an Provinzialen.
Seltener treten hier die auserlorenen
iLieblinge der Possensabritanten aus«
Ldie lebenslustigen cältern Herren, bereit
Glatzen daheim höchst würdig am Ho
noratiorenstanimtisch oder gar im Rat
der Stadtväter leuchten.»
.
Das dunkle, eigenthumltch scharfe
Blau djs Himmels ist durch Weiß und
eine geringe Beimifchung von leichtem
Otet nnd Krapplack erhellt nnd gemil
dert. Vom Bürgersteig ballt der lang
same Schritt eines Privat-Wachman
nes. der mit Schlüsselbund nnd ausge
löfchter Laterne seine letzte Runde
macht und gähnend die schutzbefohlenen
Thüren sy. Fenster prüft. Ein Dienst
mädchen mit hellem Wafchtleid und ei
nem Kranz rather Mohnblumen auf
dem Hut schlüpft, eilig und leise ins
Hang. Wieder ein Huppenrnf nnd
gleich daran eine Autodroschle mit
zwei Herren, die die Beine auf dem
Bordersitz ausgestreckt haben, mit den
Spazierftöcken fuchteln und ein Raha
retelied johlen. Es müssen sehr ju
gendliche Herren sein oder keine richti
ges-, Berliner Westender, denn diesen
verbietet der Lebemann - Komment
barschitose AusgelassenheiL Sie ist
nicht vlornehtn Bornehnt ist, recht
hübsch zugelnöpft und abgelebt vor der
Var die Nacht zn verbriiten, der Um
welt kalte, starre Blicke durchs Einglas
zu gönnen und Sett zu trinken, als
gäbe es außerdem tein menschentniirdi
es Getränk.
Zum letzten Male Verkoeilie iaz in
einem westlichen Nachtresteurcnt an
dem Morgen, der denBeginn desWetti
flugs deutscher Luftfalirer brachte.
Das Lokal war noch voller als sonst,
der Zigarettenranch noch dichter; auf
der Straße wartete eine lange Reihe
von Automobilen. Herren und Das
men hörte man selten iiber die Schau
reden, die sie erwartete: die Gespräche
drehten sich wie iiblich in engen und
fveitern Zieleln nin einen Punkt: aber
eine gewisse Aufregung und Erwar
tung lag doch iiber dem Publikum.
Ein-unerquicklicherGeaensatz5 die Flie
get-, die mit äußerster Anspannung ih
rer Nervenlrast die tückischen Schwin
gen meistern, uin den gefahrvollen Er
oberungslrieg des Mensrhengeistes ge
gen die leere Luft loeiterzulämpsen.
und die Zuschauer aus dem Nachtcase,
die nach einer neuen Sensation giercn
u. sich aus sicherm Rasen von dem Ge
danten litzetn lassen, dafk der Mensch.
der hoch oben dabinslieat, vielleicht im
nächsten Augenblick als ein blutiges
Bündel Von Fleisch und Knochen am
Boden liegt.
: Gegen drei Uhr aing eine Bewegung
durch dieGäste; man rüstete zum Auf
bruch. Die Herren —- Ellenreiter,
Millionärstiihne oder Schieber s— zo
aen lange, sportmiißigellekerziehet an.
siulpten eine tarierte Sportmiitze auf
den Kopf und srtxoben den Feldstecher
fim Lederfntteral unter-nehmend vor
’ den Rauch: die Damen hiillten sich in
Staubmäntel und banden sim die Hit
Ie und falschen Locken mit Schleiern
seit. Und dann quollen sie hinaus in
Haaren and Kleidern den Geruch von
Tabakraucls Schlummerwinschen nnd
süßlichen Parsün!s, quollen hinaus in
die kühle, keusche Frische des Morgens.
Jetzt ist der Himmel ganz licht. Aus
das helle seidene Blau tnpft Aurora
mit ihrer Puderqncste ein paar zarte.
tosige Flecken. Ji nner nocb rasen von
Zeit zu Zeit Aulomobile durch die
Straße. Ein Mann, der einen Hand
tofser trägt, eilt voibei. vergleicht seine
Taschenuhr mit der Uhx am Laden ei
nes llhtmacheris nnd setzt sich darauf
in Trab. Die Amsel singt bald hier,
bald dort eine Stkephe; in den Pla
tanen zanken sich Spatzen Von fern
böte ich schwere Karten rninpeln. An
einem Hause gegenüber steigt ein
Schmuckausbau aus weißem Stint
über den Mansardensenstern auf Ein
schmalen röthlich goldener Streier
zeigt sich an der höchsten Zacke des
Aufbaus, erbteitert sich langsam und
bietet den Anblick eines Miniatut-Al
penglübens. Einen theoretischen Hym
nus auf die Sonne, die strahlende Kö
nigin, im Herzen, treffe ich praktisch
Vorkehrungen, um ihr Licht aus-Dem
Zimmer zu verbannen nnd, wenn
möglich, etwas von dem versäumten
Schlaf nachzuholen
Ctn Dreavmmsm der Mußt
Die Erobetung dec- täglichen Lebens
durch die Musik, die mit Charpentiekg
Louise eingesetzt hat, und durch die
Symphonia domestica von Richard
Strauß sottgefiihrt wurde, hat nun ei
nen neuen Erfolg gezeitigt: Ein Eng
ländet hat ein ganz riesiges Wert in
Musik gesetzt. Bruce Stean, der
Schöpfer der Dreadnought- Saite, ist
Organist des St Bartholemew- Ho
spitals und hat bisher nur Kirchen-:
tompositionen geschaffen. Nun aber
hat er sich ein Thema gewählt, das ie
dcn echten Engländer begeistern muß;
den thhm der englischen Flotte, darge
stellt in einem ihrer riesigsten Vertre
»tq,, , . » ..,». .
Ein Londoner Blatt macht seine Le
ser doll Stolz mit diesem Musikstück
bekannt und erläutert die vier DIE-thei
lungen der Suite durch Notenbeifpiele.
Jm ersten Theil, dem Stapellauf des
Dreadnought, wird uns zunächst in ei-«
nent rythmifch kraftvollen Leitmotiv
das mächtige Schiff selbst vorgefi.ihrt;
ein feierliches Andante mit einem
mächtig anfchwellenden Crescendo fol!
uns den großen Moment vergegenwär
tigen, da dasSchiff in die heimathlichen
Wellen derMeersluth eintaucht und sich
in stolzer Majestät zum ersten Male
auf den Wogen fchautelt·
Jm zweiten Theil, der den Titel
trägt, Bei vollem Wind, wird uns das
Leben an Bord in heiteren, bunten
Farben ausgemalt. Wohl heult der
Sturm und rasen die Wellen, aber die
Natur kann dem Riesenschiff nichts
anhaben, das in dem gleichmäßigen
Stampfen seiner Maschinen ruhig das
herbrauft. So schwillt denn der Ortan,
den in einem Fortissimo das Orchester
virtuoxi dargestellt hat, allmählich ab,
und macht der Meeresftille Platz-» de
ren lieblich - idnllifche Reize im dritten
Teil der Suite vorgefijhrt werden.
Eine sanfte Melodie ptäludiert
und geht in die feierlich gehaltenen
Töne über, die einen Sonntag-Zenos
gen an Bord der Dreadnought schil
dern. Jn feiertäglichem Staat und
festlicher Ruhe gleitet der Dreadnought
durch das strahlende Himmelblau des
Mittelländische-n Meeres und wirft
seine Anker aus in ruhiger Majeftät.
Der Schlußsatz beginnt mit einem Ge
bet; durch die langsam verhallenden
Klänge tönen die Schreie der Seevögel,
die rund um das Schiff flatternd ihre
Nahrung suchen. Dann setzt plötzlich
eine Fugenform ein, die im tiefen Bafz
mit Cellos und Bratfchen beginnt und
zu deren Begleitung bald das Blech
einsetzt. Dann ertönt gewaltig das
Kommandm Volldampf voraus nach
der Heimatht
Dac- Leitniotiv des Anfang-T das
den Dtendnought verlörvert, und das
bisher schon in der Suite immer wie
der verwaben war, erhebt sich nun zu
einer letzten Steigerung. In einem
Unisono des ganzen Orchesters bran
sen der Jubel über die HeimsahrL der
Triumph über das Gelingen der ersten
Fahrt des Schiffes, der Stolz ans die
Macht bei britischen Flotte zusammen,
nnd diese mächtige Tonentfaltung, die
alle Motive noch einmal zusammen
faßt, beschließt die musikalische Ver
herrlichung des Dreadnouqht.
Jn Deutschland scheint die Zeit nicht
mehr sern zu sein, da man auch als
einjährigsreiwilliget Lustschisser sei
ner militärischen Dienstpflicht wird
genügen können·