Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, September 08, 1911, Zweiter Theil, Image 11

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    Text-u-tm " isktxkkwkbkikfdou
kizztk Immmgti.
Ro. 583. Wenn mer so die Kids
von die pressente Zeit mit die wo’s
gewwe hat, wie mir jung ware — o
well, das is ja noch gar nit so lang
her —- ich will also sage, toenn mer
die Kids mit dene von dreißig Jahr
zurück tompehre duht, dann kann mer
en Differenz nohtisse, wo mer ganze
Bücher voll von schreitoe kann Zu
selle Zeit da ware die Kids noch keh
geller Kinner un heitzudag. da sie se
hardlie Kinner bis se sechs Jahr alt
fin. Jn die sriihste Kindheit da ge
wöhne se sich schon Männers an, wo
mer als Mutter un Ma botchaus nit
gieiche dnht. Wenn mer früher en
kleine Izu-b e Bäck mit Marbels geivwe
gelter Kinner un heitzudag, da sin se
glictlich und sättisseit gewese un se
hen von Morgens bis in die Nacht mit
spieie könne niitaus daß se teiert von
geworoe sin Wenn se später noch e
Pehr Schiehis kriegt ken, tvei das hat
se gedahn bis se sich verheiraih hen.
heutzudag is das different. Do hen
se Wischeö, wei das deht en Milljio
nebr nenime sie zu bezahle. Was hen
unsere for Jnstenz gebaitert bis se
WiehiH gehabt hen! Jch hen oss KohrsJ
runden-en ressiuhst, awrver da geht der
Philipp, was mein Hosband is, in
seine Dummheit her Un geht hin un
lauft jedes von die Butve e Wiehi;
seit hat e schmale-z Fortschen gekost.
Awtoer er hat gesagt. das wär auch
das letzte, was er sie in die Lein taufe
acht un er könnt iiviverhanpt nit
sehn« was se sonst noch verlange behie.
Ich hen awtver besser gewißt. Ich
ben mich an meine siins Fingersch ab
llasiere könne, daß se doch nit sättig
seit wäre, blos ben ich nit aus-mache
könne, was se neckst verlange bebte.
So ebant vier Woche zurück, da bat
ver Bennie gestart von Motorseilels
zu tal)ke. Er bat gesagt, Wiehls sin
ja gut genug, awwer der einzige Weg
sor oiesent zu trätvwele is e Motor
seitel. Jch hen ihn gefragt, was denn
so e Motorseitel tverth wär un da hat
er gesagt, mer deht schon e ganz gutes
sor zwei Ounnett un suszig Dahler
kriege-. Well. da ben ich ihn osf Koer
gleich Bescheid gesagt. Ich hen gesagt:
»Wenn du emal selbst Geld oerdiene
duhst, un du bist dein eigener Buhl-,
dann kannst du mit dein Geld mache
was du willst. Solang ou awtoer un
ner meine Kontrohl bist un so lang
als ich zu Dich zu tende un for dich zu
sorge den« da werd aus so e Mäschien
nie-IX Wisse Se, was der nicksnuyige
Bub gesagt bat? Er hat gesagt, wenn
ich ihn keins tause deht, dann deht er
sich selbst an den Jnstahltnent Plän
eins lause un wenn er leine Pebments
nit mache könnt, dann müßt ich doch
ansponie, bitahs ich wär rispannsibbel
sor seine Dem-, solang er noch nit
von Ehtsch wär! Well, was sage Se
iba herzu? Well, meine Ennser war,
daß ich ihn iwwer mei Nies gelegt un
so verhaznmatscht ben, baß er nit mehr
gewist hat« ob ·er e Motorseilel odder
e Einschipp batvtve bat wolle. Jch hen
dann gedenkt, daß ich alle Gedanke an
so en Nonsens bei ihn beseitigt gehabt
hätt, awwer da sin ich schief gewickelt
gewese«
«le nächste Abend, der Philipp war
mit den Wem-Zweiter an e wenig Biß
neß -- driniende Geschäfte, deni ich— s
auggangr. da macht es auf einmal
pufspufspuff an die Sieiit. Jch gucke
un da is doch der Bennie mii so e
Moiokzeitel angefahre komme! Well,
ich hen puiiienier die Fitz triegt wie ich
das gesehn hen. Seelevetgniegi is der
Bennie zu mich komme un hat gesagt:
»Ma, du mußt nii denke, daß ich die
Mäschien getauft hen, ich wer’n doch
so ebdes nii duhn, wenn du es nit
hawwe willst, ich hen die Möschien
blos getenni un kann se e ganze Stand
for zwei Biiis juhse.« Welt wie er den
Weg gespeoche hat, do hen ich doch nit
mehr mäd an ihn sein tiinnez ich sin
hingange un hen mich die Mäschien
beitachi· «Luctehier Ma, hai er ge
sagi, die Miischien is so etrehnschi,
daß auch noch e Lehdie dean teiie
kanns komm an, ich geb dich emai en
Reii.'« Jch heii oss Hohes eeffjuhsi wie
alles. awwee det Bennie hai nii nach
gelasse, bis ich dann feinellie gesagt
ben, ahirechi, awwet nur foe e Min
nii oddee zwei. Jch hen mich dann
hinne drauf geleist, denn aivivee zu
echt gegucki, ob mich auch niemand
n dehi. Der Bennie hat sich vorne
fhin gesetzt. hat en Krönl gedreht un
»dann hats widder pusfpussvuss ge
macht un mer sin drauf los gefahre.
Jch muß sage, ich henses ganz gut ge
gliche, wenn ich auch zuerscht e wenig
zdissie geworde sin. Jch hen mich aw
itver fest gehalte un da hat ja nicks
’höppene könne. Mit einem mal hat
san-wer der Bennie den Spied ge
ischehnschn For Guttneß Sehts, mer
sin blos so gefloge. Ich hen gesagt,
Bennie stapp, ich lann es nit stende.
Ach. hat er gesagt, sei emal en Sport
un is noch schneller gefahre. Well,
da is es mich atower so fonnie geworde
daß ich es Jhne gar nit sage kann.
Alles is mit mich erurn gange, ich hen
e Milljen Stahrs in Front von meine
Auge gesehn un e Minnit später is
das Unansbleibliche gehäppend. Jch
hen meine Händs losgelasse un mit
drei odder vier Sommersetz sin ich von
die Maschien erunner gesloge un sin
in e Ditsch netvig die Rohd gefalle,
too wenigstens siwwezehn Jnsches
Wasser drin gar. Der Bennie hat nit
emal genohtißt, daß er» mich verlore
gehabt hat un is«ruhia weiter gefahre.
Wie ich selle Nacht heim sin komme,
das muß ich Jhne das nächste mal
verziihle, hilahs zu die pressente Zeit
sin ich mich selbst noch nit ganz klar
drin-wer.
Mit beste Riegards
Lizzie Hansstengel.
Eingesansem
Jch holte heute meinen Freund
Spottin den BUchhändler, zum Es
sen ab. Wie wir aus die Straße tre
ten, packt er mich am Arm und fragt
lebhaft: »Sehen Sie den Mann da?
Der hat eine äußerst interessante Ge
schichte!«
Jch schaue mich neugierig um und
sage ungemein gespannt: »Ach was-?
Lisåirden Sie mir nicht sagen, was es
it.-"
»Sybeis Geschichte des Deutschen
Reiches-", erwiderte er ernsthaft. »Die
bat er nämlich soeben bei rnir ge
faust!«
Die Ursache.
»Wie tann man nur so viel trin
ten?«
»Aus Langeweile, —- die Menschen
sind hier so nüchtern.«
Technik-.
»Dieser Autor wurde erst auf seine
alten Taae betiihmt.«
»Wohrscheinlich waren inzwischen
seine guten Freunde gestorben.«
Die rette-· de Hand
«Nur dem Zugreifen meiner Frau
habe ich’s zu danken, daß ich gestern
nicht das Opfer einer Räubers gewor
den bin! Der Kerl hätte mich total
ausgepliindert; er hatte schon meine
Börse in der Hand, da . . .«
»Da sprang Jshre Frau dazwi
schen?«
»Ach nein: sie war aar nicht dabei.«
»Aber Sie sagten doch, dasz durch
das Eingreifen Ihrer Frau . ..«
»Ja; sie hatte mir dir Börse schon·
vorher ausgeleert «
Zur Trunknbemsunp
Reniier Lehmann liest in seiner Zei
tung und bemerkt zu seiner Frau, daß
»die Bildungsanspriiche sich doch von
Tag zu Tag steigern, Raum sind ein
paar Mädchengymnasien eröffnet«,
meinte er, »du wird schon in unserer
Zeitung eine Köchin mit Prima-Zeug
nissen gesucht.«
—-— »Wat lrahte dir man bloß immer.
Oliv-? De ioäfchst dir Ivoll nich ordent
lich, weil de so ville Flöhe hast?«
-—— »Na halt man bloß die Luft anl Du
merkst ct ja üwahqum nich mehr, wem
et juckt, weil et durch denen Dreck nich
mehr durchschri«
Jung eiablierter Arzt (leiie): »Seid
wie viele Patienten sind da?« .
Dirne-: «Wieder gar trinkt«
Arzt: «caft du auch genau qezäblt2" i
Römische Kneipen.
Rom ist die an Brunnen und Was
set reichste Stadt der Welt. Trotzdem
hält sich der Rhmer lieber zum Wein
und auch dem Fremden rann dies
durchaus gerathen sein. Die herrlichen
Weine ,,dei castelli romant« —- von der-.
rdmischen Burgen »- sind dem besten
Trintwasser vorzuziehen, selbst wenn
man nicht einmal berufsmäßigerZecher
ist. Die Frascati, Genzano, Albano
können mit den kostbarsten Rheinwei
nen wetteifern. Süß oder herb, je
nach Geschmack — man trinkt sie frisch
vom Faß und zählt nicht nachGliisern,
sondern nach thiarts. Der einsachste
Römer trinkt in Rom besseren Wein
als der die teuersten Preise zahlende
Fremde; denn der vortrefflichste Wein
— das Quart zu 70 Centesnni letw.:
15 Cents) wird gerade in den beschei
densten Osterie verschäntt, zu deren
Besuch der Fremde selten denMut sin
det. An die nichtssagendem sauberen
Hotelsäle gewöhnt, schreckt er ängstlich
zurück vor den verräucherten Räumen,
wo zwischen großen Fässern glatte
Holzbiinte vor ungedecltrn Marmorti
schen stehen. Es scheint ihm unmög
- lich, daß die Künstler aller Länder hier
fröhlich zu Hause sein sollen, daß in
einer solchen Kneipe Goethe allabend
lich seine Faustan erwartete und dass
König Ludwig l. von Bayern, damals
der Herr der Rosenvilla Malta -—— des
jetzigenBesitzthums des Fürsten Bitlow
-— als Freund und Mäzen der deut
schen Künstler in Rom von Osteria zu
. Osteria zog.
i
l
s
l
» Und doch war es so und ist es bis
s heute nicht anders geworden. Das rö
»inische Kunstleben ist mit den römi
i schen Osterien fest verknüpft Hier las
Goethe den Entwan zum Tafso vor
hier deklamierte Scheffel seinen Trom
peter von Säckingen zum ersten Male
»vor seinen Freunden, hier vergaßen
-Viicklin, Marees und Feuerbach über
’Wein und Kunstgefvrächen Sorge und
scinttiiuschnng fanden Hartleben Und
Bierbaum manch guten Reim. Und
DehmeL Halbe, Suderrnann, Titan
lon« Volkrnann, Hildebrandt und noch
; viele andere, deren Namen einen hellen
Klang haben, fühlten sich, so oft ihr
; Weg sie nachRom führt, hier am wohl
« sten.
Am meisten beliebt und am schönsten
gelegen ist von diesen Kneipen anstrei
tig die zum Fedelinaro benannte, dicht
»in der rauschenden Fontana Trevi.
I Hier gibt es die berühmten Butteran
i dein zum fiiffigsten Wein. Das ganze
j Lokal ist nur ein langer Gang, an def
i sen Wänden sich schmale Bänke vor
« kleinen Tischen hinziehen, fo daß die
üppigeWirthin hinter dem marmornen
Schenitifch taum Platz hat. Doch mag
ec- noch so voll sein, es findet doch jeder
l ein Plähchen Man rückt eben immer
wieder ein kleines Stückchen enger zu
sammen. Man glaubt gar nicht, wie
eng man nach einigen Quartg Wein
zusammenriicten tann! Aber Mitter
nacht ist vorüber uno ans den Straßen
ist es still geworden, und nun nimmt
alles Glas und Flasche in die Dank-,
I wandert hinaus und auf den Stufen
Idee rauschenden Riesenbruiinen5, zci
sFiiszen der verwitterten Neptun-J nnd
l seiner ewig jungen Nymphen, wird
Zweiter gekneipt. Manche Frühling-J
i nacht hat hier Hartlcben mit seinem
I Freunde Krügen dem Modell des klto:
T mischen Malere, durchzechi nnd ver
fungen. Manch anderer Romfalirer
kostete den Zauber weinfroher, römi
scher Nächte hier —- an der Quelle der
Wiederkehr. Römifcher Aberglanbe
sagt nämlich, daß man vor dem Ver
lassen Roms einen Trunk aus aer
» Fortuna Trevi nehmen und schauer
riirks einen Saldo dem Wasser opiern
muß, will man sich die Rückkehr in die
ewige Stadt sichern.
Jst der Fedelinaro ganz mit Gram
ivart und Zukunft verbunden, so Linn
» man sich in der Basilita lllpia - auch
ohne den ausgezeichneten Wein, der
dort kredenzt wird —-- einen wahrhaft
aniiken Rausch holen. Die lllpia ist
» tser Rest einer herrlichen Basiliia Jus
der Zeit des Kaisers Trajan. Den
Schwung - ihrer hohen, prachtvnlen
Wölbung betrachtet man immer toirder
mit Staunen undBewuuverung. Lilin
zig nehmen sich darunter die tlrmen
Biinte und Tische, sogar die großen
Weinsässer aus. An einer der Nie
senmände hängt als einziger Sdnnuct
(rnit buntem Band befestigt) eine Gi
tarre, die schon mehr als ein bekannter
Meister, so Humperdinck undSieairied
Wagner, im Arme hielt. Man denkt
an Mephistos Worte: »Gewiß, Gesang
muß trefslich hier von dieser Wölbung
widerklingen«
Hier könnte man sich schon eher
Goethe, auf Faustinen wartend, dich-—
tend und dentend vorstellen. Aber
die Goethe - Ofteria liegt weit ab,
neben dem Marcellus - Theater, an
der Via Monte Savelli. Jbre Auf
« findung verdanken wir König Ludwia
; l. von Bayern, der auch eine marmor
; ne Erinnerungstafel in dem kleinen
fchrnutzigen Raum einbringen ließ,
der Plättftube, Polizeiwache und
iSchmiedeweristatt war, bis er vor
iwenigen Jahren feiner alten Bestim—
; nnmg zurückgegeben wurde. Doch
! kommt nur selten ein Fremder in diese
i entlegene Trinkstubr. Jetzt trifft man
J sich abends oder noch besser nachts in
»der Via Condottm dicht neben der
« panischen Treppe, in der Gott-weine
l mischen Riefenfässerm neben denen
sich das Heidelberger Faß verstecken
tann, sitzt die lustigste Gesellschaft
aus allen Ländern der Welt trinkend,
streitend und singend beisammen. Je
der spricht eine andere Sprache, und
doch versteht man sich —- am vorzüg
lichsien, wenn der Wein mitzureden
beginnt.
Wies die Goldkneipe die internatio
nale Osterta, so ist die zum ltiemlu
l·»m», zum Kleinen Mann die deut
scheste Kneipe Roms-. Ihrem Schilde
nach nennt sie sich Kuma- spnriiu —
Verschwundenes Rom, und ihren ganz
Rom bekannten Spißnamen verdankt
sie der Gestalt des Wirthes, die im
Laufe der Jahre zur kleinen Kugel
wurde. Freundlich ist der kleine
Mann, der Böcklin und Feuerbach un
ter seinem Dache sah, geblieben. Von
dem berühmten Stammtisehe von da
zumal ist nur noch der neunzigjährige
Bildhauer Gebhardt da, der jeden
Abend pünktlich erscheint, unermüdlich
dem neugierig fragenden jungen
Künstlexnachwuchs von Böctlin und
den anderen längst Dahingegangenen
zu erzählen weiß und zu einein guten
Tropfen die ,,Spezialität des Hauses-«
verzehrt, den berühmten Eiertuchen
mit Apfelschnitten, den ein süddeut
scher Maler einst den kleinen Mann zu
braten lehrte. Und noch eine andere
Spezialität gibt es hier: man macht
die Rechnung ohne den Wirth. Ehe
man geht, legt der alte schristenuntun
dige Ercole seinen Rechenblocl vor den
Gast, der dann sekbst ausschreibt und
;1ifaniiiienzählt, was er gegessen und
getrunken hat.
Uebermiithiger geht es beim Arti
schocken - Abraham zu, —- in einer
Osteria des alten Ghettoviertels, dicht
Neben dem Renaifsancebalafte der schö
nen Beatrice Cenci. Dort kehrt man
aern nach Mitternacht ein, um außer
dem vortrefflichen Weine die berühm
ten ,,jiidischen« Artifchocken — tnufp
rig hart am Rost gebraten —— zu ver
suchen. Besonders in den Artischockens
Monaten April und Mai ist diefe
ttneipe ein Wallfahrtsort der Römer,
Hund die ganzen Frühlingsniichte hin
iriurch·, hört man von dort über
den Tiber hinüber unaeiibte und
neiibte Stimmen im Chorus sin
gen. So wenig man die Kunst
ischätze Roms erschöpfen kann, fo we- i
Pippu tOnkel Pippo), der andere den
Zi (’·-«·lino CiOniel Karlchen), ein
dritter rühmt Maria-nun (Mariann
chen) draußen an der Via Appia, wie
denn überhaupt vor den vielen Toren
der Stadt, am Rande der Campagna,
;ahllofe Ofterien liegen, die im Som
mer bis zum hellen Morgen voll von
Gästen sind. Was niemand wundern
wird, der da weiß, dafr in der heißen
Jahreszeit das tägliche Durchschnitts
maß des arbeitenden römischen Man
nes —- zehn Liter sind.
. Da begreift man, weshalb in so
idieien römischen Kneipen Tafeln zu
sehen find mit der Auffchrift: »Heute
lwird leider nicht geborgt, erst mor
gen.«
qu den Nenn-Inseln
Ein erdriicteno heißer Tag hat
linit tropischer Hitze auf die Dächer
Peterburgg geschienen. Nirgend ist
an diesen zum Glück nicht allzu häu
figen Gluthtagen auch nur die ge
ringste Kühlung zu finden. Die von
einer athembetlemmenden Feuchtigteit
und von Staub geschwängerte Luft
macht mir fast das Vlthinen unmöglich.
Jch glaube in einem ungeheuern,iiber
heizten Treibhause zn sein« nnd be
neide im stillen die Jnsassen des neuen
Militärluftschiffeg ParsevaL dessen
Bratwurst ratternd iiber dem Newsti
prospett fährt. Da oben ist doch sicher
wenigstens etwas Lust. Das einzige
Entrinnen, das es aus diesem großen
Wursttessel in der Nähe gibt, ist eine
Fahrt nach den Inseln.
Die kleinen, flinken Damvfboote der
finnländifchen Dampfergesellschaft
haschen mit verbliiffender Sicherheit
durch da Getriebe aus dem stahlblau
schimmernden Strom. Die Newa ist
jetzt mit unzähligen Holztähnen von
100 bis 150 Schritt Länge und mäch
tig ausbauchendeni Vor-der- und Hin
tertheil bedeckt. Stellenweise liegen bis
zu 20 solcher Dreadnoughtg zusam
men. Bis zur Hohe des ersten Stock
werts der am Ufer stehenden Häuser
sind sie mitBirtenscheiten, die im Win
ter als Brennholz dienen sollen, oder
mit Rundhölzern, die für Bauten be
stimmt find, bestapelt.
Auf Karten schieben »Schfvarzar
beiter«, wie man hier die Hafentulis
nennt, in endloser Reihe den Hei-wor
rath fiir den kommenden Winter in die
Keller. Jst der Dreadnought leer, so
ist auch sein Dasein am Ende· Ham
mer unb Beil läuten ihm die Sterbe
glocken, er wird zerschlagen, ausein
andergenommen und, wie seine La
dung, als Brennholz verwandt. Zur
Konstruktion des ganzen Schifer ist
kein Nagel nnd leine Schraube, nicht
ein einziger Eisentheil, verwandt, so
daß es ganz und gar seiner Bestim
mung, dem Feuertode, zugeführt wer
den kann. Jn langen Zügen, zu meh
reren hintereinand:r gebunden, ziehen
diese Holzriesen majestätisch die Newa
zu Thal, ihnen entgegen gehen stabiler
gebaute Transportschiffe für Ziegel
steine und Sand stromauf. Die Mann
schaft des Schiffes-, das seine Ladung
erft in Schlüsselburg empfangen soll,
sitzt am Steuerruder, schwarz heben
sich die bärtigen Silhouetten von noch
immer heiß schimmernden Abendhim
mel ab. Zwei von ihnen haben Balai 1
lailen auf den Knien, zu deren zittern
dem Klang sie ein lustiges Schiffer
lied improvisieren.
Mein lleinerDarnpfer ist pfeilschnell
und schautelnd um die lustige Gesell
schaft herumgeschossen, da taucht ein
ganz sonderbares Fahrzeug vor uns
auf. ein langer Eisenlahn, dessen
Bord nur wenig aus dem Wasser her
ausragt. Erist mit Raphtha gefiillt
und kann deshalb so tief im Wasser
liegen, weil die Ladung das Schiff
trägt. Immer-grünet und reicher an
Büschen und Bäumen sind die Ufer
des Flußarmes, in den mein Schiff
chen eingebogen ift, geworden. Noch
mals taucht es unter einer Brücke, die
auf dicken Bündeln von Holzpfeilern
ruht, hindurch. Dann sind wir an
der letzten Haltestelle der von dem Pe
tersbnrger so geiiebten und mit Recht
gelchiitzten Inseln. Denn ohne sie
wäre Petersburg im Sommer ein
HexenlesfeL dessen Eingangsthor die
Worte zieren müßten: »Ihr, die ihr
eingeht, laßt nun alles Hoffen«
Die Perle der Jnseln ist die dem
Kaiser gehörende Jnsel Jeljagin.
Katharina hatte die Jnsel ihrem
Günsiling, Grafen Orlow geschenkt,
der hier ein Landbaus errichten ließ.
Wie alle anderen Inseln, die dem
Fiirsien Bjelosersli gehörige Jnsel
Kreotowsli. die Kammenii und die
Apotheterinsel, erhebt sich auch Jelja
ain nur wenige Fuß über den Wasser
spiegel. Langfarn gleiten die Wellen
dein nahen heirnifchen Meerbussrn zu,
nur wenn der Wind landeinwiirts
steht, stürzen sie geschäftig schnatternd
das Flußbett hinauf. Schwillt im
Herbst oder Frühling aber der Wind
zum Sturm an und verliinden die
Wcirnungssrtriisfe der Kanonen des
Hafens dasNahen einer Fluthwelle, so
branden sie nicht selten iiber die Ufer
dörnme hinüber und verwandeln das
werte Newadelta in ein großes bro
delndes Meer.
Jcljaain hat glänzende Tage ge
sehen. So lesen wir in alten Chroni
ten, daß es Katharina nicht selten zum
Zielpunkt ihrer Schlittenfahrten
machte. Das Volk fuhrte den Kava
lieren in Puderperiicte und Kuiehofen
heimische Belustigungen und Tänze
vor, wofiir es von der Kaiserin und
dem allmiichiiaen Potemkin mit Back
rvert und Kupfermünzen belohnt wur- »
de. Dann kommen stille Zeiten für
das Jtiselparadie5, bis Alexander l.
es nach den Freiheitskriegen zu
neuern Leben erweckte. Er kaufte die
Insel dem Grafen Orlolv fiir eine «j
Viertel Million Dollarg ab und schuf (
der Witwe Paulg l. hier ihren Ruhe:
sit-»
Das kleine Schlößchen Jeljagin,
dessen blendend weiße Mauern von ei
ner hellgriinen Kuppel überdsacht wer
den« wurde im Jahre 1817 nach den
Plänen eines italienischen Meisters er
baut, die verwahrloste nnd verwilderte
Jnsel in einen der schönsten Paris
un aewandelt Mächtige Eichen senken
ihr Gezweig tief aus den Wasserspiegel
herab mit lorinthischen Säulen ver
iierte Lauheit und Tempelchen luaen
hier und da die-tret wie das verführeri:
sche Lächeln einer Rolokodanie aus
dem Buschwerl hervor, und tiefer
Friede scheint in dieser von Fluß und
Wald umrauschien Einsamkeit zu herr
schen. Durch den Wald, der bis zur
nur wenige hundert Fuß entfernten
Spitze der Insel diese bedeckt, ist eine
Aus-ficht geschaffen, durch die hindurch
man von der Terrasse des Schlosses
auf den finnischen Meerbusen nach
Westen hinausblicken kann
Seit Jahren dient Jeljaain dem
Ajlinisterpräfidenten Stolnpin alsJ
Sommertvohnung Der Sicherheits-v
dienst kann hier auf den Armen des
Flusses besonders bequem ausgeübt
werden. Freilich, eine schrillr Disso
nanz trägt dies Gemahnen an die un
schönsten Zeiten des russischen Lebens
in dies dell natürlichen Friedens.
Ring-z um den Pakt zieht sich am Ufer
entlang ein Siacheldraht, der über
eine Reihe von Pfählen gefuhrt ist.
Aus der Svitze jedes Pfahleg thront
eine elettrische Lampe, und naht sich
ein harmloser Ruderer dem Jnselge-s
lände mehr, als erlaubt ist, so taucht
ein bisher nngeschenesz Boot unter ei
nein Gebüsch hervor, und die barsche
Stimme eines wachthabenden Maiw
sen klärt den leichtsinnigen Gondler
auf, daß man sich vom Ministerpalais
in respektvoller Entfernung zu halten
hat. Jst man weniger verschwende
risch veranlagt nnd geht zu Fuß auf
dem Ufer, dag dem Jnselschloß gegen
über liegt, spazieren, so wird man eine
anffallende Menge Schutzleute zu Fuss
und zu Pferde, zuweilen wohl auch
Gendarmen, bemerken, die freundlich
von schiibig getleideten Zivilisten ge
grüßt werden. Wer hieran noch nicht
den Geheimpolizisten erkannt hat,
wird es spätestens merken, was der
Herr im verschossenen Paletot ist,
wenn dieser ihm eine halbe Stunde
lang das Geleit gegeben hat. Wenn
diese Herren auch nicht gerade zur Er
höhung des Naturgenusses beitragen,
so gewöhnt man sich doch anderseits
hier so schnell an das Unvermeidliche,
daß man sie ebenso zum Landschafts
bilde rechnet, wie die alten Eichen, die
fchirmend ihr Laubdach über verstoh
lene Winkel breiten.
Kühl weht Erfrischung von der See
herein. Segklboote wiegen sich auf
dein Wellenspiel in die blaue Ferne
hinaus, langsam folgen ihnen Ruder
boote, die sich ängstlich vor dem spart-«
lich blinden Eifer der nach Schnellig
leitsrelorden lüsternen Motorsaehten ,
hüten Auch hier umhüllt uns lieb
licher Benzingeruch, der diesen Rasern
des Wassers entstriimt, während chre
Herren Kollegen zu Lande in der
dunklen Allee dicht an der Spitze der
Insel aufgebaut stehen und ihr auto
mobiles Gefchnatter in das leise Rau
schen des Wellensehlages mischen. Jch
gehe eine herrliche Allee uralter Lin
denbiiume entlang. Tief im Grün
versteckt und von Blumen in allen
Farben nmrantt schimmert ein bräun
liches Landbaus zur Seite des Weges.
Es ist die« Datsche Des Finanzmini
sters, dem diese laiserlichen Landhäu
ser zur Verfügung stehen. Ob es
Herrn Kokowzew wohl aus seinem
zwar weniger pruntvollen, dafür aber
auch nicht mit endlos viel Wachen, die
an die Gefährlichkeit des Amtes ge
maljnem umgebenen Landfttz hinüber
aeliiftet nach dem schimmernden Jelja
ginschloßI Die Stimmen wollen
nicht verftmnmen, die behaupten, daß
Herr Stolvpin den letzten Sommer
drer drüben residiert. Und wer anders
smlte sein Nachfolger sein als der
glitctliche Finanzminister, der Nuß
lands Staatshaushalt so erfolgreieh
zu ordnen verstand? Noch wenige
Schritte von dem Landbause Komo
zemg nnd eine wohlgepflegte Rundung
öffnet sieb- Elegante Verlaufsbuden
liegen unter den letzten Bäumen, wo
man Süßigkeiten und aus Nizza bezo
gene Blumen erstehen kann. Wagen
und Autos hat die meist elegante Welt,
die hier den Abend genießt, zurückge
lassen nur ab und zu sauft wie eine ra
sende Sternschnnppe ein Motorfahrer
mit Etaubbrille auf der Nase vorbei.
Gegen 10 Uhr Abends ist die
Sonne unter der Wassersläche Ver
schwunden, doch sie beherrscht weiter
das Firmament, und auch in der
zwölften Nachtstunde schlingt sich das
Purpurband der Abendröthe um den
Horizont Die Natur ist leise ent
schlunnnert, tein Vogel schmettert
mehr sein Abendlied, und auch die
rastlosen Frösche im nahen Schloß
teich von Jeljagin haben ihr Konzert
eingestellt Nur wenn der Athern des
Meeres leicht hereimveht, geht ein
sanfte-Z Flüstern durch die alten Lin
den, die mit dem kalten Gruß der Wo
gen ihre Balsamdiiste mischen. Nacht
wird es nicht, ein hellgelber Streif
Ledenisfackel des Tages die ganze
Nacht hindurch. Der Himmel ist von
zartem Silberhauch durchsluthet, und
nur schwach und matt schimmert hier
und da ein Sternlein. Ein eigenarti
ges Fluidum füllt die Lust, das die
Gegenstände wie bei Tages-helle erken
nen läßt, ihnen aber doch die Plastik
nimmt und etwas gespenstisch Sche
nkenhastes gibt. Nur Flächen und
Umrisse glaubt man zu sehen, auch bei
den leise lustwandelndenMenschen,
« die uns umgeben. Doch nur eine halbe
Stunde dauert dieser schauerlich schöne
Dämmer der vielbesunaenen weißen
Nächte, dann steigt die Königin des
Tag-CH, die Schwinger-arme aus dem
TSpiel der Wellen empor und gießt
lihre noch sanften Strahlen über die
qunkelnden Ruppeln Petergbltrgg, das
jnioraen wieder unter ihrer Allgewalt
s stöhnen und seufzen wird.
l - . W-·. »h» .. ,
Agadiy Agadi’r und Egedeietn
iA
i Ein Mitarbeiter berichtet der
,,zyrantf. Ztek.« folgendes charakteristi
sches Ei senbahnerl ebniszt Sie wundern
sicts Herr Redattenr, daß der Marokko
baien Agadir ein Zantapfel zwischen
Deutschland, Frankreich und England
geworden ist ? Ich wundere mich nicht.
Wenigstens seit gestern nicht mehr.
Gestern saß ich in einem Schweizer
Zug-. Sie wissen, die Schweiz hat im
Sommer ein internationales Gepräge.
Was Wunder also, daß in meinem
Finpee ein Deutscher, ein Franzose und
ein Engländer zusanimenfaßen. Mit
ten im Gotjhardtnnnel sing es an.
Der politische Diskurs nämlich zwi
schen den Dreien. Ueber Agadier na
türlich Es liegt ja in der Luft in
diesen Tagen. Und die Aussprache
der drei war sehr frei. Auf dein neu
tralen Schweizer Boden kann man sich
ja gehen lassen, wissen Sie. Scharf
platzten die Meinungen auseinander.
Der Deutsche sprach von A’gadir und
legte den Akzent nach vorne. Der
Franzose sprach von Aaadi’r nnd
leate den Atzent nach hinten. Der
Engländer sprach von Eaedeier und
leate den Alzent iiberallhin Da sah
ich freilich ein, daß die Drei nicht zu
smnmentommen tonntent Der Deut
sche nicht mit dem Atzent nach vorn,
also nach Norden, wo doch gerade die
Franzosen sich sestsetzen wollen, der
Franzose nicht mit dem Atzent nach
hinten, also nach Süden, wo doch ge
rade die Deutschen sich festsetzen wol
len, und der Engländer nicht mit dem
Atzent iiberall da, wo ein anderer was
will
-—-.—.—.--—
Hobsons Schweigen wird nachge
rade Unheiinlich Der Mann inusz ja
bis zum Platzen geladen sein.
-l: si- si
Jn vielen Eben ist heutzutage die
Gleichberechtigung zwischen Frau und
Mann so streng durchgeführt — daß
dieser überhaupt nichts mehr zu sagen
hat.
sit t- A
Ein Richter in San Franciciro hat
in einem Prozeß, bei dem es sich um
die Obhnk eines Kindes handelte, eine
Jury von Frauen berufen Jede hatte
aber ihre eigene Meinun,1, nnd an eine
Einigung war gar nicht zu denken.