Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 21, 1911, Zweiter Theil, Image 9

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    Nebraska
Staats-» Anzeiger und J set-old
Japkgmgz. Gr« pas-Jst Im- 1.Jm ist Im Zwiter QTIZZU .) «
Die Wellen
Hermn von Sie-du«
Wie tauschen die Wellen so eilend da
·hin!
Und wie sie murmelnd die Häupter
heben
Und ichillernd in regellofeni Bestreben
Dem fernen Ziele entgegenziehn.
Sie glauben, es treibt sie ihr kühner
Muth —
lind doch nach tefiinnnten Gesesen sie
gleiten
Jn die Meeres-arme, die offenen« wel
ten,
Wie ins dunile Nichts des Lebens
Fluthk
---—s—.—
Es war ein Traum.
Eine Hofgeschichie von Eufemia
Grä"linv.Adiersfeld
’ Balleftrem.
Jrn Herzenslchlosse zu Rauhenburg
blihten die hell erleuchteten Fenster
hinaus in die laue Mitten-tacht
Es war Frühling geworden tm
Lande, und zu der Frühlingswonne
draußen in der Natur paßte das Fest
drinnen im Herzogsfchloß gar treff
lich, denn die leidenrauschende, dia
manten-, gold- und silberftäahlendg
sporentiirrende Menge, die ii in den
Nococosälen auf dem spiegelt-lauten
Parlett hin und heg bewegte wie die
raufchende Fluth, feierte die. Verlo
bung des Erbprinzen von standen
burg mit der jungen, kaum den Kin
der-fahren entwachsenen Fürstentochter
von Liebenstein.
Eil war natiirlich eine Konvenienz
heirath. Der Fürst von Liebensieinj
hatte nur diese eine Tochter. deren:
Gemahl dereinft das kleine Fürsten-s
thnm erben sollte. Seine Schwester;
war die regierende Dersogin vonf
Nauhenhurg und diese, beflissen das.
Ländchen nicht in sremde Hände über- I
gehen zu lassen. hatte die heirath ih-l
res Sohnes mit ihrer Nichte arran-«
girt. Die Liedensieiner herrschasterl«.
die mit ihrem definitiven »Ja« im
mer noch ein wenig geziigert hatten,
waren nach Rauhenburg eingeladen
worden und dort hatten die münd
lichen ileberredungen das übrige ge
than — die Verlobung wurde ge
feiert. T
Und während drinnen im Herzogss
schloß das hohe Brautpaar die Cour
des Rauhenburger Adels ahnahm, zog
draußen der Frühling durch die laue
Maiennacht, und da er ja am liebnen
weilt, wo sich die Liebe zu Liebe sin
det, so strich er auch durch das hohe,
geöffnete Fenster des Ceremoniensaa
les und hauchte einen sansten Kuß aus
die Schulter der dein Fenster zunächst-—
stehenden jungen und schönen Hos
dame, welche neben der purpurrothen
« Sammetschleppe der Herzogin stehend,
leeren, dunklen Blickes zusah, wie
eines nach dem andern sich vor dein
Brautpaare tief verneigte. —- Sie
fuhr beinahe zusammen, als der Kuß
des Frühlings ihren weißen Nacken
und ihr dunkles Haar streifte, dann
seufzte sie ties aus.
« Die herzogin wendete ihr Haupt.
»Sie sind wohl unwohl, liebe Fals
lenau?« sragte sie gütig. »Sie sind
sehr blas-, heute — —«
Die hosdame össnete die Lippen,
aber iein Laut kam iiher sie.
»Ich deurlaube Sie iiir heute.«
suhr die herzogin sort. »Gehen Sie
und erholen Sie sich. mein liebes
Kindif
- «« « s sc
Sitsclnlic Voll jfcillcllml beugte nur
über die ihr gütig dargereichte fürst
liche Hand und drückte einen Kuß
darauf — dann glitt sie leise hinaus,
in der Meinung, Niemand habe ihre
Entfernung bemerkt. Und doch folg
ten ihr zwei Augen bis zur Thiir —
die des Erdprinzent
Die Hosdame schritt durch die lee
ren, hellerleuchteten Korridore, durch
deren dssene Fenster der Frühling
draußen wundersam lockte — und sie
folgte dem lieblichen Rufe, indem sie
durch eine Seitenpiorte das Schloß
verlieh und den Port betrat. Es war
ja so warm, daß sie seines Schuhei
für ihre entdldßten Schultern de
durite und lo in Sinnen verloren wan
delte lie durch die dunklen Landgiinge.
daß sie es nicht achtete, wie ihre W
tiae. rolenrothe Courlchledpe von
schimmernde-n Atlas rauschend nnd
lnifternd den Kiestveg setzte.
Und im zweelloien Dahinwandein
tam sie an eine Stelle. wo eine imiichs
tiae Linde fis-IT wo ein strinerner
Neptun einen hellen Wasser-strebt aus
einer qrdßen Mal-bei rieleln ließ, und
eine leltsam qelchweifte Marterort-unt
einlud zum Träumen. hier lani Su
lanne von Fallenan mit leisem »Bish
nen in die Knie und barg ihr blumen;
gefchntitcktei. schsneg bleiches Haupt
un dec Lehne der Bank in ihren hän
den wie in namenlosem Schmerze.
Ihre Couefchleppe legte sich dopei in
schimmernden Falten auf den- jungen,
frischgrünen Rasen nnd der volle, gol
dene Maimond trat hinter der Linde
hervor und-warf sein mildes Licht
auf das schöne, kniende Weib. i—
Da J urplötzlich hob sie lauschend
das Haupt s-— duniie Röthe wechselte
mit fahler Blässe auf ihren Wangen
— sie hob abwehrend die band —
zu spät! Die von ihr vernommenen
nahenden Schritte waren näher und
näher gekommen und nun stand die
hohe, gebietende Männergeftald der sie
gehörten, an der Bank und beugte sich
zu der Knieenden herab. —
Dem Mond droben am Himmel
aber flog vor Schrecken ein weißes
Federwölkehen über das Unre, leuch
tende Angesicht — denn unter der
Linde dort ruhte die Hofdome Su
fnnne von Fatienau in den Armen des
Erbprinzeu von Nnuhendurg.
»Ich wußte, daß ich dich hier fin
den würde Susannr. « flüsterte er ihr
ins Ohr. ,,hier wo unsere Herzen sich
fanden!«
»O, ich bin namenlos elend,"
hauchte sie mit iiberseligem Lächeln
aus den bleichen Lipven.
»Du sollst es nicht länger sein,"
sagte der Erbprinz innig.
»Sie haben mich heute überrascht
mit der Verlobung drinnen —- es
blieb mir kein Wort zu entgegnen und
sie hatten es fein eingeiiidelt. Sei
ruhig, Susanne —- morgen schon
werde ichses sprechen, das erlösende
Wort, morgen schon werde ich die nn
wiirdigen Fesseln von mir weisen,
morgen schon werde ich Menschenrechte
sitt den Fürsten fordern. Und dann
wirst du mein Weib sein, mein ge
liebtes Weib! Susanne, ich schwöre es
dir in dieser heiligen. Stunde, dosz ich
alle hindernisse besiegen will, um dich
zu gewinnen — und bei Gott« ich
werde meinen Schwur halten! Willst
du mir treu bleilienim
» »Ist-en bis in den Tod« sagte sie
jauchzend, ties bewegt.
Wie wunderbar der Born rauschte
—- war’s Spott, wand Trauer-i —
Zwei Stunden spätek pochte es an
die Thiir Susannes von Falkenau im
berzoglichen Schlosse und zum großen
Erstaunen der fdame betraten die
Heezogin und de Prinzessin s Braut
das reizende Stäbchen, in welchem
Susanne noch am ofsenen Fenster
träumte.
L «Die Cour ist vorüber,« ries die
herzogin, «und ich wollte noch einmal
selbst sehen, wie es Jhnen geht, mein
Liebling! O. nicht doch, lassen Sie
-mich Jhre Stirne kiissen! Sie sehen
jmich verwundert an-—o, ich bin heute
geneigt, Glück und Gnade mit vollen
l Oänden auszustreuen, da so viel Glück
smit der Braut meines Sohnes unter
mein Dach eingezogen ist!«
! »Und denken Sie nur, Fräulein-von
;Faslkenau,« vlauderte Prinzeß Beatrix
)mit ihrem stoben Kinderlachem »den
ken Sie, ich habe mir Sie von meiner
gnädigen Schwiegermama als Ge
schenk zur Vochzeit ausgebeten Jch
bin Ihnen so gut —- Sie sollen meine
Freundin werden und zugleich meine
erste Hosdarnel Das mußte ich Ihnen
heute noch mittheilen. Sie willigen
. doch ein J « ,
;Dukch..4ucht sind allzu gnadtg,"
murmelte Sulanne erbleichend.
»Ich habe Beatrix’ Wunsch gern er
füllt«, fuhr die Herzogin fort, »denn
obwohl ich Sie schwer vermissen
werde. liebes Kind, so hoffe ich doch
viel von Jheem schönen, veredelnden
Einfluß auf den noeh zu formenden
Charakter meines geliebten Töchter
cheng. Und mein Sohn, der Erb
ptinz, spricht auch mit soviel Bekeh
rung und Achtung von Jhnen —«
«,,-Q, und ieh will gern Ihrem Rathe
folgen!« rief die Peinzeisin und fal
tete dabei ihre händchen wie ein
Kind, das artig zu sein verspricht,
»ich möchte ja alles, alles thun, um
Edgar zu gefallen, damit er mich
liebt, wie ich ihn: so recht aus vollem
Herzen —«
»Gott ieane dicht« sagte die Her
zogtn gerührt. »Gottlob, daß die
hohe politische Wichtigkeit, welche die
let Ehebund liir uns und das Land
hat, getriint wird durch die Liebes
Ein Jehlfchlaaen der hoffnunaem
dte M an diese Veemählunq knltplen,
hätte uns nicht nut tief gebeugt» —
es Ette uns zur Erde geworfen. Doch
nun weilt eitel Sonnenschein über
uns Ind- dem Lande, Gott let gelobt
dalttet Komm' ieht, Beatrix!«
Mit gittigem Lächeln wandte lich
die deezoain zum Gehen. Da endlich
littte sich Sulanneö ltaeee Ruhe.
,.Eine Gnade, hoheitt« bat sie.
»Sie ist im Voraus gewährt!
Was ist’S?«
»Ich fühle mich leidend und soll
Landluft schöpfen, Hoheit! Darf ich
mich aus ein paar Wochen aus das
Gut meines Oheitns, des Grafen
Sausenburg zurückziehen? Er ist, wie
Hoheit wissen, mein Vormund —«'
»Gewiß. liebes Kind, reisen Sie
morgen und bringen Sie dann wieder
rosige Wangen mit! Gute Nacht!«
Noch ein freundliches Lächeln und
die Herzogin rauschte, gefolgt von
der Prinzessin, welche Susannen eine
Kußhand zuwarf, hinaus. Sie hat
ien es so verabredet, Prinx Edgar und
Susanne. draußen unter der Linde
am Born — sie sollte zu ihrem Oheim,
indeß er den Sturm entfesselte. Und
von Taubenburg wollte er sie abholen
—- als seine Gemahlin.
Die ganze Nacht durch und all die
Stunden lang während ihrer Reise
flogen und jagten die Gedanlen durch
Susannens Hirn, und ohne Unterlaß
hörte sie das rührende Liebesbekennt
niß von deni Munde des bräutlichen
Fiitsteniindes, klangen ihr im Ohr die
Worte der Herzogin wie Glockenklang.
Endlich, endlich hatte die Reise ihr
Ziel erreicht und sie betrat die schöne
italienische Villa, in welcher Graf
Taubenburg in ländlichet Stille sei
nen Studien lebte. —
Der vornehm und stattlich aus
sehende here mit dem weißen vollen
Haar und den seinen durchaeistigten
Rügen empfina feine Nichte mit
freundlichem Willkomm. Und als sie
am Abend feinen Thee bereitete und
lauteres Behagen um ihn schuf, da
sagte er:
»Ich wollte, Susanne, du bliehefi
immer bei mir!«
Sie preßte die Hand aufs Herz und
lniete dann neben dem Sessel des
Grafen nieder.
»Ich möchte wohl, Oheim,« sltifterte
sie mit blossen Wangen, »aber ich
lann nur bleiben. wenn — wenn ich
deine Frau sein sdarf!«
«Sufanne —- was verlangst du von
entri« rief der Graf tief bewegt, er
staunt.
»Ich verlange nichts. Oheim, ich
bitte nur! Erhalte unserem Vaterlan
s de seinen künftigen Fürsten, einer hol
den unschuldigen Braut den Glauben
und mir —- mir ——« Ihre Stimme
brach, leise fchluchzend legte sie ihr
Haupt an des treuen Freundes Brust
wie ein müdes Kind. Er aber sagte
leise: »Ich verstehe dichl«
Es tvar etwa vierzehn Tage später.
Jm Kabinett des Herzogs von Rau
henhura stand der Erhvranz vor sei
nen Eltern. welche tief bekümmert
und gebeugt nach der dem Sohne zu
diltirten zweiwöchentlichen Bedenkzeit
von diesem aufs Neue vernehmen
mußten, daß sein Entschluß unabän
derlich sei, daß er seine Würden dem
jüngeren Bruder übertrage, der Krone
entfage und Susanne von Fallenau
zu seiner Gemahlin machen wolle.
Da, in der elften Stunde, in der
Prinzeß Beatrix den Tod ihres jun
gen Glückes erfahren sollte, da traf
ein Schreiben des Grafen von Tau
henburg an den Herzog ein, in wel
chem ihm derselbe feine Vermähluna
mit seiner Nichte anzeigte.
L —————————————
Wenige Monate . später fand die
feiertiche Vermiihlung des Erdprimen
von Rauhenbutg mit der Prinzefz
Beatrix von Liebenftein statt, und
was in feinem betrübten Herzen vonl
Liede noch übrig geblieben war, das-i
schenkte der Bräutigam am AttarT
der Braut und hat es ihr nimmer ae j
klommen. Sie hat es nie erfahren;
und ahnt es heute noch nicht« daß derj
Kaufpreis fiir ihr hohes, reines.
Glück, das fte an des geliebten Gatten «
Seite fand, Sufanne von Faltenankr
unerhörtes Liebesopfer war. I
Der Graf von Taubenburg ftand
nach wenig Jahren am Grabe feines
vfttchtgetreuen, schönen Weibes mit
herdern Schmerz. Er hatte ja nim
mer ihre Liebe besessen, aber als fie
endlich am gebrochenen Versen ftarb,
da trauerte er tief um die freundliche
Gefährten feiner fchiinften Lebens«
tage. Dem Erbvrinzen sandte er
aus ihrem Nach-laß den Ring, den er
ihr in jener holden Maiennacht gege
ben, und auf defer Papierhiille ihre
Hand die Worte geschrieben hatte:
»Es war ein See-um«
Dienstuntan
Lehrer-: »Mir Einer hat ans Erden
gelebt, der ohne jeden Fehler, der ftets
fein Muster war, wer war dass«
t Der kleine Fett-: »Mutters erfter
LMannX
i
-T-———M—
F Das französische condon.
Das Leben und Treiben des fran
ziejxischen Biertels in London ist ei
n - der fehenswerthesten Stücke der
Wunsch-n Hauptstadt Zunächst an
nnd fiir sich, und dann, weil es einen
Maßstab gibt fiir das gegenseitige
Verhältniss der beiden großen Kultur
nntionen Westeuropcrs. Dies Verhält-v
niß hat sich ja eigentlich trotz allen
Kriegcn bis in die Gegenwart hinein
nie geändert. England und Frankreich
sind die beiden Länder Europas-, die
m- stärksten gegenseitigen Verkehr von
Gütern aller Art stehen. Sie tauschen
ihren Whiskey und ihren Champagner-,
ihre Seide nnd ihr Bier, ihre Maschi
nen und ihre Autos aus und verdienen
riet Geld damit. Sie tauschen auch
ihre Gedanken ans, und auch das ist
für bei-den Theile von großem Nutzen
Wean sie aber anfangen, ihre Gefühle
augzutauschem dann fängt die Ge
schichte stark an zu hupern, und nach
einiger Zeit merkt man die Wahrheit,
daß nämlich jede «Entente Eordiale«
zwischen den beiden Ländern nur ein
Geschäft ist, das die Polititer machen,
an der das Volk aber selten Antheil
nimmt. Diese Entente ist.sozusagen
eine Ehe mit vertraglich ausbedunge
neit«112iszverftiindnissen, die gewöhnlich
bald die fatale Form von politischen
Rechenfehlern annehmen.
Man braucht einen Fremden in
London nur lurze Zeit sich selbst zu
überlassen, dann findet er schon her
aus, wo das französische London liegt.
Die Gegend zwischen Leicester Square
und Soho Square mit-ten im Westen,
kaum zehn Minuten vom Bahnhos
Charing Croß entfernt, ift der Mittel
puntt des gallifchen Einflusses an der
Themse. Das ernsteLondon fängt hier
auf einmal an, ein toiettes, frivales
und vergnügungssitchtiges Gesicht auf
zusetzen, und da die Straßen auch ent
sprechend schmutzig sind, so kann man
mit einiger Einbildungslrast glauben,
auf einmal in einen Stadttheil von
Paris versetzt zu sein.
Das glaubt«man zunächst in Lei
qitek Square selbst, dessen Ränder
ringsum mit Variestsspalästen besetzt
sind, und in dessen Mitte sich sinnig
eine Statue Shaiespeares erhebt, da
mit hier doch etwas ist, was nachKunst
aussieht. Das Rachtleben von London
steht hier auf der Hähe, und aus dem
Bürgersteig schiebt sich jeden Abend
eine nach Tausenden zählende Menge
aneinander vorbei, die allen Nationen
angehört. Besonders aber hören wir
Französisch, und die hübschen Töchter
Frankreichs flanieren hier zu Dutzen
den und lachen unter ihren breiten Hü
ten ihr tolettestes Lachen hervor-, wie
es das griesgrämige London sonst sel
ten hört. Die Zeitungsjungen reden
uns an mit Monsieur (Enalisch zu
sprechen!). die Bierhäuser heißen hier
»Brasserien«, und die hartiiäctigsten
Engländer ahnien hier tontinentale
Sitten nach, ja sie wissen sich sogar zu
betbeugen, wenn sie mit einer Dame
reden. Leicester Square ist der Tal-ni
chlevard von London. Es wird nicht
anders, wenn wir uns in die nach
Norden führenden tleinen Nebenstu
ßen begeben. Da sind im besonderen
Watdour Street, Lisle Street, Ger
rard Street und andere alte Straßen,
die zwar von der Kultur der Reuzeit
Gasgltthlicht und Aspalt angenommen
haben. die aber ziemlich eng und ver
tehrreich sind. Die Hälfte der Firmen
schilder zeigt hier sranzösische Namen.
An den Straßenecten sehen wir stan
zösssche Zeitungsagenturen und Buch
handlungen, die gelben Romanbände
von Paris-, dte ltcvenstourdrgen Lau
genichtse der Weltliteratur, drängen
sitt zwischen die ernsthaftesten engli
schen Zeitschriften, Fieepsakes und
»Guides«, und die neuesten Zeitungen
von Paris sind hier zehn Stunden
nach Erscheinen zu haben. Photogra
phien von Pariser Künstlern und be
sonder-s Künstlerinnen locken die lern
isegietige Londoner Jugend, und mit
Ierselben sentirnentalen Unbeholsen
lzeit und derselben Tolpatschigteit wie
in gewissen Berliner Geschäften wer
den die Freuden des Pariser Vergnü
gungjlebenö angewiesen Nicht als ob
Photographien und Bücher sich äußer
lich hier auch nur im geringsten diesel
ben Freiheiten erlauben könnten, die
etwa im Palais Royal, oder in der
Rue Montnrartre üblich sind. Jn die- »
fer Beziehung Paßt die Londaner Pa
ltzei heiser auf und beweist, daß Alt
Englands Moral kein leeresGerede ist.
Jn allen Straßen ringsum sehen wir
scanziisische Vvtelö mit französischen
Preisangaben im Eingang. Jn den
Reftaurants gibt es keinen ,,Lunch«
mehr, sondern ein »D(««jeuner", der
»Mutter« verwandelt sich wieder in den
,,Gar(;on«, und tn den Bars erfreut
,,echter« Absmth (zu 3 Pence« jedes
biedere Franzosenherz. Die Namen
uot allen diesen Restaurants täuschen »
berühmte gastronomische Stätten in
Paris vor, da gibts ein Restautant
Maxim, Monte Carlo, Riche, Richt
lieu u. s. w. -
Diese gallische Kulturquelle geht bis
in die Gegend des malerischen alten
Soho Squares, wo das Viertel Sohn
beginnt. hier fängt ein anderer Ein
stuß, der italienische an, denn Sobo ist
ein altes Quartier von Jtalienern.
Das stanzösische Quartier ist nicht
etwa eine Errungenschaft der Neuzeit.
Es ist nicht etwa ein babylonischer
Garten, den sich das üppige London so
ganz im Stillen angelegt hätte, un
dort die verbotenen Früchte zu kosten,
Edie bekanntlich immer am besten
lschmecken Das war schon ein altes
Emigranten - Viertel. Es mag solche
Viertel sriiher auch in Berlin gegeben
haben, als dies seine Hugenottenslut
erlebte, aber sie sind dort infolge der
Entwicklung der Stadt längst ver-·
schwanden
t
Jn London erhält sich alles länger. l
Jn der Nähe von Leirester Square sie
delten sich nach dem Edikt von Nantes
eine Menge Franzosen an, die über den
Kanal geflüchtet waren. Noch fünfzig
Jahre später schrieb ein englischer
Chronist, es seien in diesem Viertel so
;biele Franzosen, daß es siir einen
Fremden leicht sei, sich in Frankreich
zu glauben. Drei französische Eigen
schaften, die Galanterie, die Fein
Tschmeclerei und die Händelsucht, schei
nen sich dauernd in Leirester Square
» behauptet zu haben. Bis zu Beginn des
19. Jahrhunderts fanden hier die da
mals noch in London iiblichen Zwei
tänipse zwischen Gentlemen stati. Auf
der einen Seite und im Zentrum des
Platzes standen zwei Paläste von gro
ßen Herren, die einst eine Rolle spiel
ten, Leicester-Haus und Savile-Haus.
Das Leicester-Haus, etwa da, wo
heute die Alhambra steht, war ur
sprünglich fiir Robert Sydneh Earl of
Leicefter gebaut, dessen Rolle am Hofe
Elisabeihs bekannt ist. Später starb
hier eine tragische Figur der Weltge
schichte, die WuteriänigiM Elisw
lseth von Böhmen, die Tochter Jakobs
i. Jm Savile-Haus daneben ver
kehrte viel die literarische und künstle
rische Welt des 18. Jahrhunderts-.
Dort logierte man auch Peter denGro
ßen während seines Londoner Aufent
halts ein, wobei er allerdings einige
Sittenbilder lieferte, die weder litera
risch noch kiinstlerifch, sondern nur
rusfisch waren. Beide Häuser sind jetzt
längst verschwunden Aber Leicester
Square hat auch sonst in seiner Nähe
manchen berühmten Gast gesehen. Die
Maler Hogarth und Reynolds wohn
ten hier, Jfaac Newton hauste in der
nahen St. Martins-Straße. Jetzt hat
das Bari-if- sie alle beerbt, worüber
man sich in unserer Zeit nicht zu wun
dern braucht.
Wie wir im Leben oft die Beobach
tung machen, daß gerade ernste und
reife Männer für das Lächeln eines
liebenswijrdigen Triuaenichtses -——
brauchen wir einmal das sehr nialeris
sche Fremdwort: eines ,,Charmeurs«
--—« sehr viel mehr Nachsicht zeigen als
für ihresgleichen, so zeigt London in
seinem ganzen Berhältnifz zu Paris
viel mehr Instinkt als Urtheil. Jrnmer
wehte es hier von Süden herauf über
den Kanal wie eine heiße berauschende
Welle, lockerte die Steifheit und
Strenge puritanifcher Lebensgewohn
heiten und brachte die Phantasie der
niichternsten Whiskeytrinker zu dem
halb neidischen, halb zärtlichen Aus
frust »Ach fa, Paris!« lTon auf der
s ersten Silbe!)
; Man muß das allerdings in dem be
s scheidenen Maße verstehen, in dein der
; Engländer überhaupt fremde Einstijssx
sannimmr Der Grund für den franzö
lsifchen Einfluß liegt eben auch nicht
’nur darin, daß die sranzösische Kalb
nie verhältnismäßig start ist (12,00()
Köpfe) sondern auch in jahrhunderte
langer Gewohnheit und Ueberliefe
rang. Jm Mittelalter bildeten ja ei
gentlich drei Jahrhunderte lang beide
Länder sast eine politische Einheit; die
Hälfte Frankreichs gehörte den Eng
ländern, und der Hos von London
sprach Normännisch-Französisch und
lernte erst nach und nach Englisch.;
Später verbreiteten sich die eigentlich
französischen Industrien, Spiegel- und
Möbelsabritation, Wagenbau nnd
Uhrmacherei nach London und sind
zuin Theil noch französisch. Wie das
aber immer geht, neben den guten und
tüchtigen Eigenschaften des französi
schen Geistes -nahrn man vor allem
seine leichtsertigen an und wußte dann
in diesen-viel weniger Maß zu halten,
als es im Lande Boltaires selbst üb
lich ist. .
Die Puritaner konnten schon- sur
Zeit König Karls ll. nicht genu don
I
nern gegen den Einfluß des französi
schen Theaters, des Komödianten, noch
mehr den der Komödiantin. Und mits
der französischen Komödiantin kam der
sranzösische Tanzmeister, der französi
sche Fechtmeister, der Friseur und der
Koch, sie alle wußten Englands ernst
haften Gentlernen das Geld für ihre
»lächelndenThorheiten aus der Tasche zu
Tziehen. Jn diesem Lande bezahlt man
das Lächeln so theilen es steht hoch im
PreisU Dieser Austausch zwischen
den beiden Ländern wurde auch durch
Kriege immer nur ganz kurze Zeit un
terbrochen, und unmittelbar nach den
Friedensschlüssen trat regelmäßig
eine Ueberfluthung Frankreichs durch
englische Vergnügungsreisende ein.
Zu Ende des 19. Jahrhunderte-»
nach 1870, verlor Frankreich an seinen
nördlichen Nachbar einen wichtigen
Kulturpostem die Herrenmode, deren
Zepter endgültig in Britannias Hände
überging. Vielleicht eine Art Ent
schädigung dasiir verschafften ihm die
letzten zehn Jahre durch den Drachen
flieger und das Auto. Nach wie vor
ist aber fiir die weibliche Konseltion
i
das Wort »Modes de Paris« die beste
Empfehlung in London, und im Fe
bruar wimmelt es aus den Dampfboo
ten Dover-Calais und Folkestone
Boulogne von kleinen Pariser Modi
Binnen, die mit großen Schachteln nach
ondan reisen und mit kleinen Schecks,
zufrieden, wenn auch seetrank, denWeg
über den Kanal wieder zurücksuchen.
Von seinem geistigen Einfluß auf
das Londoner Literaturleben hat
Frankreich äußerlich noch nicht viel
eingebüßt. Noch immer findet jede
neue Richtung der Pariser Literatur
oder Malerei ihren Weg nach London.
Das Londoner Theater insbesondere
ist geradezu angewiesen auf Pariser
Erzeugnisse. Aber dafür wird der fri
vole gallische Hahn auf den Londoner
Bühnen zuweilen arg gerupr Man
richtet ihn für die englische Sittlichteit
in einer derartigen Tunke her und ent
fernt alles, was- irgendwie »shocling"
sein könnte, daß von seiner fröhlichen
Laune nicht viel übrig bleibt.
Uebrigens nimmt jetzt unzweifelhaft
der Einfluß deutscher Kunstanschau
ungen, besonders in der Kritik und
Aesthetik zu, nur kann man sagen, daß
die mächtigste Stütze des Pariser Ein
flusses immer die räumliche Nähe
bleibt. Auch Jdeen müssen sich ein biß
chen nach den Eisenbahnstunden rich
ten. Wird die englische Vorliebe für
viele Seiten der Pariser Kultur nun
auch auf der andern Seite des Kanals
erwidert? Wenn man einer bestimm
ten Oberschicht des Pariser Lebens-«
glauben tvollte, unbedingt. Für einen
Pariser dieser Schichten gibt es nichts
Höheres als das Wort ,,Englisch«. Er
übertrumpft den etwa gallisiertenEng
länder dreifach. Die Anglomanie in
Paris ist ja überhaupt eine geistige
Erscheinung, das ein eigenes Buch ver-—
diknt. Sie schlägt um Pferdeliingen
alles, wag man je dem Deutschen an
Fremdthümelei vorgeworfen hat. Sie
ist ohne alle Kritik ohne alle Zurück
kialtung und hat etwas rührend Kind
ticheszz Sie folgt blind den armen
mißleiteten Jnstinlten des halbenSüd
länderg, der in der PariserNatur steckt·
Dieser Südländer sieht in der kalten
und berechneten Ruhe des Engländerg
vornehme Zurückhaltungyf in feinen
materiellen Jnstinlten gesunde Lebens
kraft, in seiner künstlerischen Unbil
dung anziehende Naivitiii. Er versteht
alles falsch, zieht aus allem falsche
Schlüsse und vergißt, daß er mit einein
der verwickeltsten Charaktere zu tun
hat, die Rassenmischung und alte Kul
tur hervorgebracht haben. Der Eng
länder seinerseits dentt nicht daran,
die sanften Jllusionen seiner Pariser
Freunde dieses Schlages zu stdrenn.
Welch ein Narr wäre er, wenn er es
täte!
» Verlassen wir diese Obersclncht, fu
treffen wir bei den Volksmassen beider
Länder eine starke Abneigung, vor
allem aber ein unausrottbareg Miß
trauen gegeneinander, für das die
jahrhundertelangen Kriege keine ganz
ausreichende Erklärung sind. Es er
klärt sich jedoch aus der völligen sozia
len und CharaHer-Verschiedenheit bei
der Volkstypen Der Aufbau des-«
ganzen englischen Lebens ist noch heute
artstotratisch, der des französischen
demokratisch. Jn nichts stimmt dass
seelische Konto der beiden Völker über
ein. Höchstens daß in neuerer Zeit der
Sport eine gemeinsame breitete Basis
geschaffen hat. Frankreich und Eng
land werden immer nur eine Diskurs
liaison miteinander haben, Liebe, die
auf Entfernungen angewiesen ist. Man
sngt sich die schönsten Dinge, fltrtet
und toastet bei schäumenden Kelchen.
Sowie man aber acht Tage zusammen
ist, geht die Geschichte nicht mehr.