Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 14, 1911, Zweiter Theil, Image 14

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    DersKunstreiter
Erzählung
von Friedrich Gerstäcker
!
14444444541
(7. Fortsetzung-) -
, »Meine Güte!« die Comtefse reißt
die Klingelschaur ab!« rief in diesem
Augenblick Annette, erschreckt zusam
« Fortfahrend Unten liingelte es in der
That heftig, und sie wollte sich von
rang frei machen. Ohne den ber
ptochenen Lohn kam sie aber nicht da
von, Herr Franz nahm sie im Nu
beim Kopf, und: »Sie böser Menfch!«
sagte die Schöne» als sie sich endlich
glücklich von ihm befreit und, ihre Fri
ur wieder in Ordnung dringend, die
Treppe, so rasch sie konnte. hinabeiltr.
Herr Franz aber blieb noch eine Weile
dort, wo sie ihn verlassen, sieben und
schaute ihr, sich vergnügt dabei die»
Hände reißend, nach, bis sie im Gange»
unten verschwunden war. Dann stiegs
er selber, langsam nnd behaglich, die
Stufen hinaus, den ihm gegebenen
Auftng nach seiner Bequemlichkeit
cuixufiibrem
sreitete, herumzureichen. Comtesse Me
l gen Manne so herzlich entgegentrat
- te. Graf Generstein selber spielte nicht
Ei schlug Acht; einzelne Equipagen
fuhren dor: die Familie des Kriege
rninisters war unten im Salon der
sammelt, die nach und nach eintreffen
den Gäste zu empfangen, und die
Dienerschaft lam herbei, um den Thre«
den die alte Excellenz eigenhändig be
lanie stand neben ihrer Mutter und
unterhielt sich mit dem eben eingetre
tenen Grasen Selitoff: aber sie sah
bleich und angegriffen aus« und nur
einmal färbte ein leichtes Noth ihre
Wangen, als ihr Blick, neben dem jun
gen Mann hinstreisend, aus den ein
tretenden Grafen Geherstein traf. Aber
es schwand, so rasch wie es gekommen,
und kalt und förmlich dankte sie der
Verbeugung des sonst so willkomme
nen, ja ost heimlich ersehnten Gaste-.
Dem jungen Grafen tonnte diese
Veränderung in dem Betragen» dem
ganzen Wesen Melanie’s nicht ent
gehen, aber die Gesellschaft selber ge
stattete ihm auch nicht, sie darum zu
befragen. Der alte freundliche Herr d.
Ralphen, der dem gern gesehenen jun
tvie früher, nahm ihn dor allen Din
gen in Beschlag um ihn mit einigen
anderen fremden Ossicieren bekannt
zu machen, und er kam nicht eher wie
der von ihm los. als-bis der alte Herr
seine Aufmertsamkeit auf die zu ar
rangirenden Spieltische wenden muß
und hatte dadurch die beste Entschul
digung, sich von ihm zurückzuziehen
Ehe er aber seinen Vorsch, Melanie
unter jeder Bedingng anzureden, zur
iausführng bringen tonnte. lief er
Ihrer Errellenz, der Frau d. Ralphen,
in den Weg, die freundlich ihre ring
bedeckte Hand aus seinen Arm legte.
»Aber· lieber Gehersiein. wo in al
ler Welt haben Sie nur die ganze
Woche gesteckt? Man sieht Sie ja gar
nicht mehr und muß Sie ordentlich
mit Gewalt herbeiriehern wenn man
Sie wirklich einmal haben will.«
»Ernan sind zu gnädig, mich
glauben zu machen daß Sie mich ver
mißt haben«, sagte der junge Mann
leicht erröthend »Sie mögen aber sel
ber beurtheilen wie streng in dieser
Woche unser Dienst gewesen sein muß.
da ich genöthigt war die liebsten Men
schen zu meiden.« »
lqAber Abends hätten Sie doch geJ
wrfz einmal Zeit gehabt. Sogar aus;
der gewöhnlichen Vorlesung sind SieI
uns neulich weggeblieben, und Gras J
Selikoff hat an Jhrer Stelle lesen;
müssen, den-n unsern Rarine durftenj
. wir doch nicht im Stiche lassen.« .
»Es würde mir unendlich leid thun,
«tvenn ich die Ursache einer Störung
d
gewesen wäre·« s
»Das ist das Wenigste darübers
beruhigt-r Sie sich. Rasalie hat Siei
aber am meisten vermißt, denn sie
brennt var Begierde, Jhnen ihre neuen s
I- nnan vorzulegen.« (
« rs rchsie holen, Mama?« slii-j
— rie ihr die junge Comtesse. die neben i
getreten war, rasch in’O Ohr. s
»Jeht nicht, mein Kind«, lächelte
die Excellenz; »der Herr Graf hat jetzt «
tnehr zu thun, als sich mit Deinen
Kunstprodulten abzugeben aber,
Fräulein«, unterbrach sie sich plötzlich,
· mit einem strengen Blick nich einer
jungen Dame hinübersehend, die un- l
fern von ihnen, den Blick fest auf die
Gruppe geheftet, stand - »Sie verges
fen Jhr Amt dürfte ich Sie bitten J
darauf zu achten, daß die herrschaften ;
Thee bekommen?« Und Init einer»
heimlichen ,nicht ganz leidenschaftslo-?
än Bewegung deutete sie dabei aus den
its-missen der sich indeß zu Rdsalien
Ywandt hatte und mit freundlichem
rnß zu dem jungen Mädchen sagte:
Lassen Sie sich nicht ahfchrecken, «
comteffe, bringen Sie mir getrost
Ihre Studien. Die Gesellschaft soll
ch nicht abhalten mich recht herzlich
Idee Jhre Fortschritte zu freuen.«
»Das ist fehr freundlich von Ihnen,
lieber Staf« sagte das junge Mäd
che- deten Antlih hohes Noth liber
und ihte lebendigen Augen noch
die lieblicher erhellt-, »M- werde Sie
nicht lange plagen --— ich habe
abetf fo darauf fgefreut« —«- und
» JÆI Schritten huschte sie dur
sen Cs n, dem nächsten achstenAusgangcki
L tm die Blätter selber schnell her
« « K Its-sey hörte diese kleine Un
N
terredung nicht, denn ihr Blick haftete»
noch, und zwar lange nicht mit der(
Freundlichteit, mit der sie vorher den«
Rittmeister angeredet, aus der jungen
Dame. die schon bei ihren ersten mah
nenden Worten tief erröthensd zusam
mengesahren war und sich rasch abge
wandt hatte, ihre siir den Augenblick
versäumte Pflicht zu erfüllen.
Louise o. Mechan, aus einem alt
adeligen Geschlecht stammend, war
durch die Empfehlung des VII-schen
Gesandten nach «- und in das
Ralphen’sche haus gekommen, wo sie
die Stelle einer Gouvernante bei Ro
salien und ihrer jüngsten erst sieben
jöhrigen Schwester ausfüllte und zu
gleich mit musterhafter Ordnung die
Wirthschast der nichts weniger als
wirthschastlichen Excellenz führte.
Louise d. Mechern war ein liebes, be
scheidenes und dabei höchst geistreiches,
gebildetez Wesen, das jede Stellung
im Leben vollkommen ausgefüllt ha
ben würde. Aber ihr Körper hatte mit
ihrem Geiste nicht Schritt gehalten,
und einer Unvorsichtigteit der Wörtc
rin in sriihester Jugendjahren ver
dantte sie ein Uebel, das sie seht durch
das ganze Leben tragen mußte. Jhr
Gesicht war bildschön. ein wahrhaft
griechisches Prosil mit großen. spre
chenden braunen Augen, dunklem vol
.
len haar und feinen, edler Zügen, aber
ihre rechte Schulter war verwachsen
und dadurch dem übrigen Körper nicht
die nöthige freie Entwickelung gewor
den« Wie bald vergaß man aber, so
bald man näher mit ihr bekannt wur
de, diesen körperlichen Fehler in all’
den geistigen Vorzügen, die ihr eigen
waren, und welchen wohlthätigen Ein
fluß iibte sie dabei auf die Erziehung
der ihr andertrauten Kinder, ja durch
ihren Umgang selbst auf Melanie aus!
Die Töchter des Kriegiministers hin
gen auch mit treuer Liebe an dem fun
gen Mädchen, und Melanie besonders
fühlte« welch ein wohlthätiger Geist der
Ordnung in ihr ganzes haui gekom
men sei, seit Louise d. Mechern mit
ihrem stillen, einfachen Wesen die Lei
tung desselben übernommen hatte, Nur
Frau d. Ralphen schien das nicht zu
bemerten, oder -- wenn sie es demut
te -- es allein der Ordnung gemäß zu
halten. Daß die angenommene Gou
vernante und Wirthschafterin ihre
Pflicht that, verstand sich don selbst;
eine weitere Anertennung blieb des
halb iiberfliissig. Frau d. Ralphen
war nicht etwa eine böse oder über
mäßig strenge Frau --— ihren Kindern
gegenüber hätte sie sogar noch bedeu
tend strenger sein diirfen. Aber sie
fühlte, daß sie in der Residenz eine sehr
bedeutende Rolle spiele; sie wußte und
war überzeugt, daß sie zu den »ersten
Damen« des Landes gehöre, und da
durch stolz s- rücksichtslos ftolz gegen
Alle geworden. die unter ihr standen.
Das gerade gab denn auch oft ihrens
Betragen und aan n Wesen eine
hätte und Schroffheit, die unter an
deren Umständen ihrem sonst wirklich
weichen und guten herzen fern geblie
ben wären.
Louise ertrug das aber mit einer
wahren Engelggeduld Still und
freundlich, mit der ihr eigenthümlichen
sanften und immer guten Laune. ver
mied sie jede Klippe, die zwischen ihr
und der Ereellenz hätte zu einem
Wortwechsel führen können, fügte sich
ihren tleinen Eigenheiten, ohne sich
selber ie das Geringste dabei zu ver
heben« und erwiderte zugleich von gan
zer Seele die Liebe, die ihr die Kinder
entgegenbrachten. Nur in Gesellschaft,
selbst bei einem einzelnen Besuche,
fühlte sie sich gedrückt. Sie mußte. wie
sehr sie mit ihrem Körper, dem raschen,
oberslächlichen Urtheil der Welt gegen
über, im Nachtheil war, und suchte es
soviel als möglich zu vermeiden, dem
zu begegnen. Darin unterstützte indes
sen die Excellenz sie nicht: denn ob sie
nun Louisen wirklich nicht entbehren
konnte, oder gar heimlich fühlte, daß
durch die Gegenwart der unscheinbaren
Gouvernante die Erscheinung ihrer
eigenen Töchter gehoben würde,
wer vermag im Jnnern eines mensch
lichen herzens zu lesen?- aber Louise
mußte stets unc in jeder Gesellschaft
erscheinen, und nur die dringendste
Abhaltung oder wirkliches Unwohlsein
konnte sie entschuldigen. Von den ge
wöhnlichen Gästen wurde sie aber sel
ten oder nie beachtet. Die Damen be
sonders nahmen nie Notiz von ihr
— - es war ja nur die Gouvernante,
wenn auch aus einer edlen, vielleicht
edleren Familie. als sie selber, spros
;send. Nur Gras Geherstein hatte sich
Pers und viel mit ihr unterhalten, in
; isheoen Zeiten sogar manche Partie
stehachxdas sie musterhaft spielte, mit
ihr gezogen, und an Mekanies Seite
Stunden lang ihrem seelenvollen Vor
trage aus dern Piano gelauscht. Das
Islles nahm sie still und dankbar hin,
szog sich nach solchen Abenden aber im
Ikmk um so vier scheu-: in sich seiest
ist-sue Desgleiche- Aoeuve was-u
sahe- quch m de; wen Zeit vier seite
kner geworden. Ia hatten sogar in der
zlesten Woche gan Lusgtthh und viel
ileicht dachte Lou e, als ihr Auge var
’hin so ernst nnd sast traurig auf dem
Grasen «ruhte, jener Zeit — war er ihr
doch indessen saß fremd geworden. «
Und Gras Wiss-—- er kam «
sich selber hier fast wie ein Fremder
vor· War es Melanie's verändertes
Betragen, iiber das er sich nicht täu
schen konnte? - war es des Bruders
Schicksal. das in der letzten Zeit feine
Seele so erfüllt, ihn fast die gan e
übrige Welt darüber vergessen zu las
sen? -s war es der junge fremde
Ausse, der, taum hier eingeführt. tich
mit einer Zuversicht und Sicherheit in
diesen Räumen bewegte, als ob er sel
ber schon seit Jahren des hauses in
timfter Freund gewesen? - Er wußte
es nicht s-» nur wie ein dunkler, un
heimlicher Schatten laa es auf seinem
Herzen, und die hell erleuchteten, men
schenbelebten Gemächer kamen ihm
todt» öde und einsam vor, als ob er
hier allein gestanden hätte. Da tönte
plönlich ein helles, reines Lachen an
sein Ohr. » Das war Melanie’s
Stimme; Unter Tausenden hätte er sie
ja herausgetanni. Er wandte rasch
den Kopf dorthin — der fremde Graf
mußte ihr getade etwas unendlich
Komisches erzählt haben, denn ihr
Antlih strahlte var Laune und Ueber
muth.
»Herr Graf«, flüsterie in diesem
Augenblick eine leise Stimme an seiner
Seite. und Louise v. Mechern suchte
ihn durch die Anrede aus den Lataien
aufmerksam zu machen, der mit dem
Ihn-Service auf dem silbernen Teller
bis jetzt vergebens bemüht war, dem
Rittmeisier die Erfrischung zu präsen
tiren. Der Graf sah aber nichts wei
ter, als Melanie’s halb vvn ihm abge
drehtes glückliches Gesicht. Nur einen
flüchtigen Blick warf er herum, der
Anrede zu. und wandte sich, ohne das
junge Mädchen ,das schüchtern neben
ihm stand, auch nur zu bemerken, mit
einem einfachen »Ich danke« wieder
ab
W
Der Latai halancirte feinen Prä
sentirteller nicht ohne Gefchictlichteit
weiter. zwischen den verschiedenen be
weglichen Gruppen durch, und Louise
selber schrat schüchtern zurück. Rosalie
aber tam seht mit ihrer Mappe herbei
gehiipst, und den Grafen am Arm
nehmend ,der sich ihr nicht entziehen
durfte, führte sie ihn in ein tleinej, et
was abgesondertes Seiten - Cabinet.
dort ungestört seinen Beifall über die
wirtlich mit vielem Talent und fast
nur unter der Leitung Louifenst aus
geführten Stizzen einzuernten. hier
sollten sie aber nicht lange ungestört
bleiben, denn Fräulein v. Zahbern
hatte den Grasen schon vorher nicht
aus den Augen verloren und folgte ih
nen bald, sich anscheinend den ausge
breiteten Feichnungen Rosaliens mit
größtem «-nteresse widmend. In der
That aber suchte sie nur die Durchsicht
derselben zu beschleunigen, und als die
Eorntesfe, von der Anwesenheit der
jungen Dame eben nicht erfreut, ihre
Arbeiten wieder zusammenlegte und
sorttrug, ergriff Fräulein v. Zahl-ern
des Grafen Arm und flüsterteI »Aber
sagen Sie mir nur um Gottes willen.
Herr Gras, wollen Sie denn den
Kampf ohne Schwertftreich aufgehen?«
»Den Kampf« mein gnädiges Fräu
lein?"
«Ah, stellen Sie sich nicht, als ob
Sie nicht verstanden, was ich meine«,
ries die Dame rasch, umir haben hier
auch teine Zeit durch Auftlärungen i
versäumen. Sie müssen doch sehen,
daß jener Rasse Sturm aus Melanie·s
herz läuft.«
»Und lauben Sie nicht, daß,die
Festung art genua sein wird, sich zu
halten?" sagte der Rittrneister lächelnd,
während aber doch ein ganz eigenes
Weh sein Herz durchzuckte.
»Nein!« rief das Fräulein rasch und
entschieden, wenn auch noch immer
mit unterdrückter Stimme. »Sie sind
entweder erschrecklich leichtsinnig oder
erschrecklich »s— gut-ersichtlich wenn Sie
die Gefahr nicht sehen wollen, die Ih
nen droht.«
,,Aber woher auf einmal diefe Theil
nahme fiir mich, mein gnädiges Fräu
lein?« sagte der junge Mann mit viel
größerer Ruhe· als Fräulein v. Zah
bern wohl erwartet haben mochte·
»Aus Patriotismug. Ich hasse die
Nufsen. und diesen Russen...«
»Vor allen anderen?"
»Nein ärgern Sie mich nicht —
diesem Rassen gönne ich eben Melanie
nicht. Die ganze Stadt weiß ja doch,
daß Sie siir sie schwärmen«
«Die ganze Stadt weiß oft mehr
von uns, als wir selber wissen«, sagte
der Graf trocken.
»Mehr wenigstens ,als uns oft lieb
ist«, eran te das gnädige Fräulein
mit einem zeichnenden Blick aus den
Rittmeister selber, der jedoch an die
sern machtlos ab litt s— »Sie aber,
rr Gras«, setzte se dann, als sie es
merkte, hinzu, »sind mir ein voll
lommenei Rothsel und entweder der
—- durchtriebenste oder der unschuldig
sie Mann, dem ich in meinem ganzen
Leben begegnet bin.«
«Lassen Sie uns das Letztere hof
fen, mein gnädigej Fräulein«, sagte
der Rittrnetfter, dem das Gespräch un
anæenebrn zu werden anfing. »Wir
so en von unseren Mitmenschen immer
nur das Beste denken«
.Also muß ich denken, daß Sie ier
Bewerbung utn Melanie aufgegeben
haben-T« sagte räulein v. Zahbeen
rnit kaum derbeitn ichteni Angek
l »Mein gnädigeo Iräulein«, erwider
te der Rittmeister, durch die unzarte
Frage verletzt, »meine Ansichten und
Wünsche können hier nicht gut in sol
cher Weise von uns Beiden verhandelt
werden. Comtesse Melanie ist jeden
sallö ihre eigene Gebieterin, und voll
ständig sähig und berechtigt, solche
Bewerbungen, die ihr nicht anstehen,
zurückzuweisen Bewirbt sich Gras
Selitoss wirklich um sie, so wird sie
auch entscheiden, ob sie das giinstig
oder ungünstig aufzunehmen hat. Ein
Drittes dabei wäre, meiner Meinung
nach - überflüssig.«
»Und wenn der Gras ältere Ber
pslichtungen hättet« sagte die Dante
gereizt,
.Gras Selitoss ist. so weit ich bis
seht iiber ihn urtheilen tann«, erwi
derte talt der Nittmeister. »ein Ehren
mann und deshalb einer unedlen That
unfähig. Wie dem aber auch sei, meine
Gnädige, die älteren Ansprüche wär
den in dem Falle weiter nichts zu thun
haben, als - - sich eltend zu machen.'·
Fast unwillkürlich tte er sich bei die
sen Wotten dem Eingange des Cahi
nets zugewandt, an dem gerade zwei
alte Geheimräthe eine sast leidenschaft
liche Debatte über Schnupstabal führ
ten. Andere Gruppen aus- und ab
wandelnder Gäste waren ebenfalls in
die Nähe gelommen, und Gras Gener
stein glaubte zu hören. dasz sein eige
ner Name genannt würde. Er drehte
sich danach um und sah unsern von
sich den alten General v. Schaden mit
seiner Tochter Eupbrosnne und Mela
nie, die mit dem Grasen Seliloss in
ein eifriges Gespräch verwickelt schie
nen.
»Ich lann Jhnen nicht helfen, Corn
tesse«, lachte der alte General, »aber
die Sache ist so, wie ich sage: Mon
sieur Bertrand giebt seine Truppe aus«
oder vertaust wenigstens seine Pferde,
denn ich weiß aus ganz sicherer Quelle.
daß er den Fall-en mit dem weissen
Hintersuß und den Fuchs mit der
schwarzen Mähne, die beiden Pracht
pserde. dem General Beuter zum Ver
taus angeboten hat-"
»Und ich berufe mich nochmals aus
Gras Geyerstein«, erwiderte Meianie,
jeht kaum zwei Schritt von dem Ritt
nieister entfernt. »Der Gras ist sehr
genau mit der Truppe bekannt und
hätte uns doch, wenn sich die Sache
wirklich so verhielte, gewiß schon ein
Wort davon gesagt, da er weiß, wie
großen Antheit wir daran nehmen«
»Es thut mir leid, Comtesse, in die
sen-i Streite nicht aus Ihrer Seite
kiinwsen zu tönnen«, siel hier Gras
Selitoss mit etwas gebrochenern
Deutsch ein, »aber der General hat
Recht, den Falbem wie den einen wei
ßen arabischen hengst habe ich sogar
selber getauft, urn beide nach Peters
burg zu schicken«
Melanie schien im Ansang die
Worte gar nicht zu hören, denn ihr
Blick hing sest und sorschend an «den
siigen des Rittrneistersz aber diesen
Moment des Selbstvergessens bezwang
sie rasch, und zu dem Aussen gewandt,
sagte sie: «Jn der That? das hätte
ich nicht geglaubt. Was rnag den
Mann dazu bewogen haben? here
Niitrneister. wissen Sie vielleicht etwas
Näheres über diesen überraschenden
Vertaus? Will sich vielleicht Monsieur
sVertraun ganz dem Seiltanz wid
men?«
»Ich bedauere unendlich, Comtesse«,
erwiderte ruhig Graf Gemkslklm »Ih
nen nichts Näher-es darüber mittheilen
zu können. Es ist sogar dies das erste
Wort, das ich von dem Verlauf höre,
ich muß also doch nicht so genau da
von unterrichtet sein."
Comtesse Melanie schwieg, und eine
fliegende Röthe färbte ihr für einen
Augenblick Wangen und Nacken, um
gleich darauf wieder, so rasch wie sie
gekommen, zu verschwinden. Fräulein
d« Zahbern aber, mit dem Interesse,
das sie an jeder Stadtneuigteit nahm«
rief erstaunt: »Ist es denn möglich,
Monsieur Bertrand will sein Geschäft
aufgeben? Aber das tann ja gar nicht
sein, oder er hat sich genug verdient,
um den Kunftreiter an den Nagel zu
hängen und en Rentier zu spielen. Da
freue ich mich nur, daf- wir ihn noch
hier zu guterletzt gehabt und gesehen
haben. Und seine Frau reitet nun also
auch nicht mehrt«
»Mir Bermuthungen von unserer
Seite, meine Gnädige«, sagte der alte
General v. Schaden. »Wir wissen sel
ber darüber nicht mehr, als Sie."
»Sitz finde ej auch so erstaunlich
unwei lich, zu reiten«, bemerkte Fräu
lein Euphrosyne v. Schoden, »ich muß
gestehe-« ich hätte die Vorstellungen
um einen Preis wieder besucht«
«Larifarit« lachte der alte General,
»wegen der kurzen Röcke? mit lan
en Reifröekn können sie aus keine-n
Pferde herdmtanzen.«
»Aber. Papa, ich bitte Dich um
Gottes willen . . .«
»Ich fragte Monsieur Bertrand«·
fiel hier Gras Selitosf ein, «ob er die
Absicht habe, seine Reitlunst aufzuge
ben. erhielt von ihm saber nur aus
weichende Antworten. Die Sache kann
übrigens tein Geheimnis bleiben, denn
seine Fruove wird uns bald darüber
austlaren wenn er ei selber nicht fiir
nöthig finden sollte.'
»Ja der Stadt erzählt man«, nahm
hier der hinzutretende Jntendant das
ort, »daß sich Monsieur Bertrand
schon wegen des unterlassenen Seiltan
zes zwischen den beiden Thiirmen fehr
heftig mit feiner Frau gezantt habe.
und die Beiden sich wollten scheiden
lassen-«
»Ja der ThaM rief Melanie schnell,
und ihr Blick streifte fast unwilltiirlich
den Rittmeifter.
»Ja, meine Gnädigste". versicherte
Herr v. Zithbig mit wichtiger Miene
indem sich seine Stirn in dichte Falten
zog, «Madame Berirand scheint etwas
heftiger, felbstständiger Natur zu sein,
wie alle diese Art Damen. und ei sollte
mich gar nicht wundern. wenn sie das
Geschäft ohne Deren Bertrnnd allein
fortsetzen wiitde.« «
»Ohne Pferde?« sagte der General.
»Ohne Pferde? ---- Pardon! nein.«
«Aber ihr Mann derlanft sie. alle.'«
»Da, dann dressirt sie vielleicht an
derei«
»Es kann ja auch sein«, nahm hier
Melanie das Wort, »daß sie sich selber
nach Ruhe sehnt, und vielleicht in stil
der Zurückgezogenheit ihr Leben nach
so vielen Gefahren und Aufregun
gen zu genießen acdentt.«
»Seht leicht möglickx meine Gna
digste, sehr leicht möglich!« rief herr
v. Ziihbig. »Man muntelt sogar in
der Stadt von einer Liaison, die ver
lockend genug sein sollte, selbst den
Lchönen Monsieur Berirand aufzuge
en."
»Sie sind boshaft, Baron", sagte
Melanie, indem sie fühlte, daß ihr das
herzhlut selbst zu Eis gerann. Aber
sie wagte nicht in diesem Augenblicke
zu dem Nittmeifter aufzuschauem
»Die Stadt wird nie müde«. sagte
da Graf Geherftein’s ruhige. ilangvolle
Stimme· »den-gleichen Erzählungen zu
erfinderi, und es giebt auch ftets gefäl
lige und gefchäftige Menschen, die sie
weiter tragen-«
»..Jch sage nur nach, was mir er
zahlt worden ist!« rief o. Zühbig rasch·
»Natürlich, herr Jntendant«. lachte
Fräulein v. 3ahbern, »mehr thun wir
tllle nicht. Wenn wir aber Alle so
finster und schweigsam wären. wie der
here Rittrneister, so hörte jede Unter
haltung auf, und man säße in stiller
Selbstbeschaiung neben einander. eine
Tasse Thee mit Würde zu trinken
Hahahaha — eine solche Damengesell
schast möchte ich einmal sehen!'
Gortseyung folgt.)
q
Wunderkinder.
Nicht von solchen ist hier die Rede,
die so häufig am musikalischen Hin:—
met auftauchen, von Eltern oder Ver
wandten des Getderwerbs halber von
Stadt zu Stadt durch die Konzert
iäte geichleppt werden, um nach kurzer
Zeit für die Deifentlichkeit spurlos zu
verschwinden, sondern don überaus
sruhreisen Individuen, die schon ins
Kindesalter durch allgemein hohe gei:
stige Veranlagung als eigenartig her
vortreten. Aus dem Alterthurn haben
sich hierüber keine sichern Nachrichten
erhalten, auch aus dem Mittelalter
wird darüber Glaubwiirdiaes kaum
berichtet, dagegen liegen Fälle dieser
Art aus den beiden lehten Jahrhun
derten vor. Die mertioiirdigste Er
scheinung ist die des Kindes Christian
heinrich Heineken aus Milde-, über
dae sein Lehrer Christian v.Schöneich
ein jetzt selten gewordene-T- Bueht »Le
ben, Thaten, Ruhm u. Tod eines sehr
klugen Kindes aus Lübeck« schrieb.
Dem Buch ist ein Bildnis des Kindes
oorgeseht mit den Versen
».slind, dessen Gleichen sue vorher ein Tag
qebarl
Die Ratt-welk wird-dich ztvar mit etogeni
cannuck unilanben
Toch anett mir ttementeils dein großes
Wissen glauben,
Tav dem, der dich gekannt, selbst unbe
greislich Ioar."
Dieses Kind wurde 1721 geboren
und starb bereit-z im fünften Lebens
jahre. Erst wenige Monate alt,
machte es sich durch sriihreifen Vers—
stand bemerkbar, und infolge dessen
erhielt es. taucn ein Jahr alt, bereits
einen Lehrer. Dieser scheint es dar
aus abgesehen zu haben, die intellek
tuellen Fähigkeiten des Söuglings
möglichst rasch zu entwickeln, denn wir
vernehmen, daß das kleine Wesen
schon in seinem 14. Monat vie Erzäh
lungen des Alten und des neuen Te
stamentei auswendig wußte, im näch
sten Jahre die Geschichte des Alter«-s
tunis kannte und im vierten Lebens
jahre Deutsch und Lateinisch las,
Französisch verstand und über die
erltoiirdigleiten zahlreiche-r Orte sich
zu verbreiten vermochte. Sein Körper
war aber so schwächlich,vasi er nicht zu
schreiben imstande war. Bis zu sei
nem Tode im Alter von vier Jahren
vier Monaten blieb ei Sänglina an
der Brust einer Amme. Ein ebensalls
im Jahre 1721 geboreneo Kind na
mens Baratui sprach mit siins Joh
ren drei Sprachen, las mit 8 Jahren
die hebriiische Bibel und zeichnete sich
auch in der Mathematil aus. Es ek
reichte aber nur einAlter von 20 ah
reu und war in der lehten seit seines
Lebens völlig areisenhast Eine an
dere hierhin zu zählende Persönlich
steil, der spätere Pros. Witte in Bres
lan. hatte ein glücklicherel Las gezo
gen. Geboten zu Anfang des vorigen
Jahrhuriderts,hestand der Knabe schon
mit 10 Jahren das-Abiturientenexa
men und verfaßte turz darauf eine
wichtige mathematische Arbeit zu Er
langung der philosophische-r Doktor
tviirde. Dann wandte er sich der Ju
risprudenz zu. Er starb 1888 in ho
hem Alter. Jn den letzten Jahren
sind wiederholt ausAmeriln Nachrichs
ten über sogenannte Wundertinder ge
lommen, das merkwürdigste darunter
ein systematiich herangeziichtetes Kind
dieser Art Namens Wm. James Si
disSohn eines Arztes. Aus welche
Weise der Vater die durchaus nicht
übernormalen Fähigkeiten des Kindes
still-zeitig entwickelte, soll hier nicht
im einzelnen dargelegt werden. Das
Kind war schon im zweiten Lebend
ialire imstande zu sprechen nnd zu
buchstabieren, im vierten Jahre konnte
es auf der Schreibmaschine schreiben
und begann Französisch und Latein
zu lernen. Etwa sechs Jahre alt, kam
der Knabe aus eine amerikanische hö
here Schule und studierte dann Ma
thematik, bei welcher Gelegenheit er
ein Logarithmensvstem siir die Basis
12 ansarbeitetr. In einer Untersu
chung »Zu: Ziichtung des Wunderkin
des«, die in den ,,Annalen der Natur
philosophie« erschienen ist, hebt Ewald
Wasmuth hervor, dafz bei den sog
Wunderlindern die Energien, die am
Anfang im Ueber-naß vorhanden wa
ren, früh verbraucht wurden, ohne
wirtlichen Nutzen zu haben. »Wenn
der Mensch.« sagt er, ,,eine gewisse
Summe edler Energie besitzt, so ift
dieie Summe tonstant, d. h. es tann
während des Lebens eine-«- Geschöpr
sich niemals gewöhnliche chemische
Energie in edle umwandeln, sie tann
diese nur ernähren oder bei Verfall
der Gehirntheilchen ersetzen, wie jeder
andere Theil des Körpers infolge des
Stoffwechsels erseht wird, dabei bleibt
aber der Zustand derselbe, in dem das
Theilchen sich befand.« Wasmuth weist
daran hin, dafk ein gewisser Zusam
menhang zwischen der geistigen Ener:
gie und der Lebenslänge besteht, fa,
das Leben des Baratus lehre direkt,
daf; selbst das Aeuszere sich nach dem
Vorrath an geistiger Energie zu rich
ten scheine, denn dieser sei schon mit
20 Jahre ein Greis gewesen. hier
bade man den deutlichen Beweis. daß
die Verschwendung der Lebendenergie
das Leben vertiirze. Er spricht sich
entschieden dahin auc,dass durchWuni
dertnaben einWerth fiir diesMenschheit
nicht geschaffen werde. Die tiinstlei
rische Heranbildung solcher Wunder
tinder in der Weise von Sidis let
nennt sie Wundertinder 1. Klasse) sei
unbtonomisch Eine andere Art von
Wundertindern, die wie Mozart, Beei
thoven u. a. die bedeutendsten Genie
getvorden sind und die Wasmuth als
Wundertinder 2. Klasse bezeichnet, lei
sten aus einem bestimmten Gebiet
Außerordentliches. Das Genie, he
haubtet er. besitzt die vor allem aus
zeichnenda Eigenschaft einer größern
Vertniipsung der Gedanken unterein
ander, es verfügt iiber einen stärlern
assoziativen Zusammenhang So ist
rz ihm möglich, durch kleine, aanz un
bedeutende Zufälle einen großeu Zu
sammenhang aufzudeaeir Man tann
bier beispielsweise viele grcsze Natur
forscher nennen. Jan-drin sbtobert
Mauer, auch Liebig und Lord Klevim
Wasmuth tommt schließlich zu denr
Ergebnis-, daß eine stärkere Ausnut
zung der geistigen Energie dann statt
findel, wenn sie aus ein gesondertrs
Gebiet tonzentriert werde. »Dieses.
sagt er, Jana erreicht werden durch
Eingehen auf die sich im friihen Nin-«
dedalter zeigenden Interessen , oder
aber. falls sich teine speziellen irgend
wie zeigen solltn, durch ein langsamec
Hinstreben aus ein Gebiet.« Als Fol
erung hieraus zieht er den Schluß,
se das Verfahren, wie es heute in
den Schulen geübt werde, siir jede Ta
lent- und Genieentroialung grund
schädlich sei und hierbei die geniale-e
Elemente gerade ihrer speziellen Begu
gabung wegen vernichtet würden.
Zu einer kräftigen Entwickelung ge
hören Schwierigkeiten und Schmerzen.
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Wann ein verheiratetee Mann zn
Extraoaganzen zu neigen beginne,
möchte eine Lesetin wissen. — Wenn
er vor dem Schlafengehen eine Zehn
dollaknote so in die Westentnsche steckt,
daß das Auge der Liebe sie mit Leich
tigleit entdecken kann.
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Das Genie zieht Schleusen ans,
Talente kegnlieken die Flüsse.
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Fünfzehn Ameettanee nne wohnten
der Krönungzseiet in London bei.
Das sind also fest die naschechten
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Zucker ist llebeig. Darum blieb so
viel Geld an den Händen der Zucker
ttnst-Mognaten hängen.
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Weklein Streben hat, ist immer
tatenlos. « «