Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, February 17, 1911, Zweiter Theil, Image 9

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    Nebraska
Staats- Anzeiger und J cerold
Jahrgang 31. Grund Island. Nebr. 17 . Februar lSIlI weiter (Thcil.) Nummer 26.
Bei der Großmuttee. ,
Wie teaulieh is« im stillen Zimmer!
Die Uhr tickt heimlich aus dem
Schrank.
Um Blumen spielt der Sonne Schim
mer,
Und Tisch und Bank sind spiegel
blank.
Jm weichen Lehnstuhl sin das alte,
Das achtzigjiiht’ge Mütteeiem
Aus weiter Stirne Fali’ an Falte,
Doch in den Augen Sonnenschein
Vertrauiich schmiegt sich ihrem Schoaße
Ein blühend Kindetpätchen an,
Dem sie das Bilderbuch, das große,
Aus vieles Bitten ausgethan.
Nun blühen Märchen aus dem
Munde,
Wie Rasen aus dein Dorn erblüh’n.
Die Kleinen tauschen still der Kunde,
Und ihre vollen Wangen glühtm
’5 ist mit ein Bild, doch süllt es im
mer
Die Augen mir mit Thränenthan
Mir ist« als tennt’ ich dieses Zimmer.
Die Kinder und die alte Frau.
Das inöblirte Fräulein.
Novelle von El : Correi.
Eine halbe Stunde lang hatte sie
die blasse, durch Sorge früh gealtekte
Vermietherin mit ihren Fragen, Um
herlchnijsselm abfälligen kritischem
Mustern und kleinlichen Feilschen ge
martert, dann miethete die große
Dame mit dem ausdrucksvollen
großen Gesicht unter grauen Stirn-s
locken, die so rieere war und absolute
Stille brauchte, das niedere Zimmer.
Jm Laufe der nächsten Tage stellte
sie dann fest« daß der Ofen in der
That weder raucht-e noch viel brauchte,
ferner, daß eg sehr still hier oben
war, und daß die Wintetlonne so lieb
und zutrnulich durch vie klaren Fen
ster lächelte.
Nichts störte die »geistige Arbeitm
des Fräuleins, ungenirt konnte sie
den ganzen Tag in ihrem Haufen
Bücher wühlen, die sie ihrem großen
Koffer entnommen harte.
Aber· die Stimmung zur »Arbeit«
tam nicht. War es zu ruhia hier
oben? Fehlte der Anreiz von außen?
Sie hatte bisher in einer Pension ge
lebt, konnte es aber auf die Dauer
nicht beftreiten, zumal ihre letzte,
große-, ethnographische Arbeit keinen
zahle-nickt Verleger fand -- s auch nicht
einen nichtzahlendein
Und es gab doch auf der ganzen
Welt nichts Jnteressanteres als ihr
Thema: »Die Lieblingsthiere tönigs
iicher Frauen deg- Alterthums, des
Mittelalters und der Neir,-«,eii«. Einige
Abfchnitte waren von Zeitschriften
gedruckt worden; zu dem Ganzen mit
der Fülle dazugehöriger Jlluftratio
nen fand niemand den Muth.
Und welche Arbeit fteckte doch
darin! Welche Studien! Wie viele
Bibliotheten, Archive, Mufeen hatte
sie durchstudirt und durchitöbertI Wie
viele Gelehrte. Bibliothetare, Buch
höndler und Aunfthändler hatte sie
zur Raserei gebracht! Und nun . . .?
Sie hatte nicht einmal jemanden.
dein sie den ideellen Werth ihres Wer
tes tlarmachen tonnte, und das war
ihr am empfindlichsten. Jn der Pen
sion hatte sie doch hin und wieder eine
Anfprache gehabt; man hatte sie be
achtet, aber hier « hier war fi: nur
das ,,möblirte Fräulein«.
Scheu und still waren die Dienst
leistungen der fchattenhaften Frau,
ohne menschliche Antheilriahme. ohne
verständnißvolles Jnterefsr. Sie wußte
wohl nicht einmal, was eine »Ethno.
login«' war . . . Und als sich das
Fräulein herabliefz, der Wirthin ei
nen Begriff von ihrer geistigen Arbeit,
die »Todte"o zu neuem Leben rief«, zu
geben, fah die stumpfsinnige Frau nur
mit einer Art Schrecken nach den vie
len aufgestapelten Büchern und Lexita
und sagte zerstreut: »Ja, das aniis
dige Fräulein lefen immer!«
Damit war sie hinausgegangen
nachdem sie allerdings noch den Sessel
mit der Mahagonilehne zurechigeriicki
liaiie mit jener sorgfältigen Ari, in
der es wie eine lchllchierne Lieblosung
lag. Diese Art war überhaupt all
ihren lautlofen Haniikungen eigen, die
ver Ordnung dieses Zimmets galten.
Das gelehrte Fräulein war feinfühligl
genug, um diese Sonderbarkeii bald
zu merken, und sie konnte es eines
Tages nicht unterlassen, die Manie
der Frau zu verspotten: »Gott, Sie
streicheln ja das Zeug richtig. Wie
kann man sein Herz an dergleicheni
hängen!« i
»Sie sind noch von meiner Mut-H
ter!" entschuldigte sich die Frau und;
zog die Hand von der Stuhllehne. T
»Sagen Sie,« das Fräulein nahm
den Kneifer ab und legte ihr Buch in
den Schoß. ,,hahen Sie eigentli ei
nen Mann? Jch betiimme mich onft
nicht um anderer Leute Angelegenhei-.
ten, prin—---·zi——piell nicht, miissen Sie
wissen, aber mir fällt eben ein . .
Sind Sie eigentlich Wittwe?« "
Die Frau stand da, tief erröthet.
Die Scham tleidete ihr. Sie sah aus,
als blühte sie. Ihre Augen wirkten
blau, ihr ergrautes Haar faft blond.
»Witttoe bin ich nicht!« sagte sie nun
leite. Und zuckenden Mundes vol
lendete sie: »Er hat mich verlassen!»
Wegen einer anderen!« :
»So sind Sie geschieden?« »
Sie schüttelte den Kopf. Sie
kämpfte mit schweren Thriinen.
Das Fräulein aber fing schon ans
ihre Zudringlichkeit zu bereuen. Wass
ging sie die Frau auch an? Betain
man nicht immer nur Misere zu l)ö-J
ren? !
»Es iit gut, daß Sie teine Rinderx
habeu!« versetzte sie tröstend und’
nahm ihr Buch wieder auf, um nochj
Einzelheiten iiber die Art der Lied-i
linasschlange einer assyrischen Köni--t
gin herauszuheben
Jhi entging dabei, daß die Frau
eine hastiae Antwort auf ihren wie
ver erblaßten Lippen festhielt . .
Ihren »Prinzipien« getreu, richtete sie
schnell wieder jene Schranke auf, die
sie zwischen sich und ihren Wirthinneu
stets auszurichen für gut befunden
hatte, denn eine Aversion empfand sie
gegen alles, was mit schmerzengreichem
Frauenschickial zuiaunnenhing . . . An
sie setbft waren weder die Seligkeiten
noch die Schmerzen des eigentlichen
Frauenlebens herangetreten Ihre
strenge Erziehung als Tochter eines
wissenschaftlich unfruchtbaren Gelehr
ten, ihre stolze Sinnesgrt und ihr
allzuhoher Wuchs hatten sie fiir ein
Dasein geprägt, dem das spezifisch
Weibliche ahgina
Jhre Mutter war früh gestorben,
der Vater verwies-· sie auf eine »deduk-:
tive Denktnethode« und die Verhält
nisse aus stolze Wunschlosiakeit, wobei
sich aber ihre Natur ganz wohl bei
sand.
Auch als der Vater starb, stand sie
geistig aufrecht da und ergriss mit
starker Hand ihren »Lebensinhalt«,
indem sie »Todte5« zu neuem Leben
ries« mittels eingehender Forschung
aus den Ablagerunagplätzen histori
scher Sammlungen und Schriften . . .
Sie hatte dabei ganz nette Funde aus
dem Staube gehoben, aber d:r Ehr
geiz trieb sie zu einem großen »Werle«
an. und so »schuf« sie ihre Rompila
tion iider die Liedlingsthiere könig
licher Frauen des ’Lllterthumg, des
Mittelalterg und der Neuzeit . . .
Sie hatte gehofft, mit dieser Ar
beit eine breitete Beachtung zu finden
Ja, ihre kühnen Träume oerstieaen
sich so weit, daß sie ihr Werk einer les
benden Herrscherin widmeu dürfe . . .
und jetzt saß sie hier, enttäufcht in all’
ihren Hoffnungen, tvie verlassen von
allen, verlassen wie jene da draußen«
die bei der Küchenkampe ein elendes
Leben siihrte und mit ihrem Hear
an den Mahagonimöbeln ihrer Mut
ter hing . . .
Mit den Händen die grauen Titus
locken durchwühlend saß das gelehrte
Fräulein. Es wurde ganz dunkel in
der niederen Stube; ein Windstoß
sauchte durch den Kantin, und die
Asche des verlöschenden Feuers, die
vorhin noch roth durch das Rost ge
glüht hatte, sank zusammen.
Plötzlich fuhr das Fräulein aus.
Was? Noch nicht die Lampe? Konn
ten diese Wirthinnen nie pünktlich
sein.
Mit drei langen Schritten war sie
bei der Thüre, stieß diese aus und
rief in das Rorkidorchen hinaus, wo
das Glaffeybrennchen inistertet
»Wo bleibt meine Lanive?« . ·.
Bringen Sie mir doch meine Lainpe!'«
Keine Antwort. Jn der Küche
schien es auch dunkel zu sein. War
die Frau ausgegangen? Ohne vor
her die Lampe gebracht zu haben?
Welche Nitckstchtslosigleitl
Empört nahm das Fräulein das
Glas mit dem Qellicht, um ihre Lam
pe zu suchen, die tagsiiber meist auf
dem Küchentisch stand, wo sie nicht
störte, da die Witthin anscheinend
weder etwas kochte noch etwas aß· Da
sie nun die Küche betrat, spürte fie,
die aus ihrem wohldurchwärmten
Zimmer tam, die starr-: Kälte des un-.
benußtem iibel nach der Wasseeleitung
riechenden Raumeg . . . Vor Schreck
wäre ihr aber jetzt fast das Nachtlicht
entfallen — da lag ja die Frau am
Boden, den Kopf auf dem Stuhlsitz
ssp regungslos.
»Mein Gott, was ist Jhnen denn?«
entfuhr es dem Fräulein, während sie
das Licht niedersetzte. Sie fiihlte ihr
eigenes Blut ins Hirn schießen· Jhre
Hand faßte nach der Liegenden:
»Sind Sie trant?«
Die Frau bewegte den Kopf, aber
gleichzeitig sank sie erfchanernd noch
tiefer zufammen.
»Aber fo reden Sie doch!« bat das
Fräulein verstört. Sie hätte am lieb
ften die Frau emporgehoben, wagte es
aber nicht, da sie stets Scheu davor
hatte, einen Menschentörper anzubri
sen.
,,Lnssen Sie wicht« kanns da teu:
chend. Und hinterher mit einem gel
tenden, rasenden Aufschrei: »Gebt mir
meine Tochter wieder! . . · Gebt mir
mein Kind!«
Dm Fräulein ftieg eg heiß in die
Kehle, heiß in die fchreckerftarrten
Augen·
»Kommen Sie!« ftotterte fie von
neuem. »Bitte, stehen Sie« auft«
Sie griff zu. Sie hob die diirftige
Gestalt empor, die sich fo eiskalt an
fühlte in dem armen Banmwolltleid.
Sie schob sie vor sich durch den kleinen
Flur und in ihr warmes Zimmer,
setzte sie in den Mahagonifefsel am
Ofen, schiirte das Feuer und machte
Licht. Holte auch ihre Weinflafche
herbei und ein wärmendes Tuch und
lief hin und her mit Schritten, die fie
behntfam llein machte, und kämpfte
heimlich mit Thränen, während ihre
Seele genießend von dem vernom
menen Schrei zehrte: Gebt mir mein
Kind!
Fort und fort hörte sie diesen
Schrei er war wie ein hinreiszem
des, gewaltiges Signal einer Ge
fühlstvelt, in der eg nur Erhabenhei
ten gab . . .
Und laut dann auch eine jammer
volle Alltagsgeschichte zum Vorschein.
eine Geschichte von Krankheit, Er
werbsnoth und Sterben -—— das Er
habene blieb. Es leuchtete durch die
strömenden Thränen der Mutter, de
ren Hoffnung und Trost todt war,
deren Kind fern ihrer Hand irn Aus-— »
land im Hospital die Augen für im t
mer schloß. Da lag der Brief -s und
da das Bild der jungen Sängerin.
Und es war, als gehe ein Klingen
durch die Lust, der Widerhall einer
fernen. fernen jungen Stimme, die
noch iiber dac- Grab zu trösten ver
mochte.
Das gelehrte Fräulein vernahm
dieses iiiserirdische siisze stlinaen Si:
sog es in ihre Seele ein und liest eg
wiedcr durch ihre Worte zuriicktönen
in das Herz der nun ganz Verartnten
Fast die ganze Nacht saßen sie bei
einander wie zwei Schheftern, die ge «
meinsam leiden. Und anderen Tages
friih holte das große Fräulein gleich
die Frau zu sich herein, that ihr wohl
und bereitete auch fiir sie das Friili
stück. Es war, als hätten sie die Rot
len getauscht. Die schwache Frau saß
in der Wintersonne, und dar- große,
starke Fräulein tvirthschastete herum.
Es machte ihr Spaß - - ja es gab
ihr ein neues LebensgesiihL der Fiir
sorge für ein hilfsbediirftiges Wesen
zu leben: und als die Fürsorge nicht
mehr in solchem Maße nöthig war. da
blieb doch die Gemeinschaft Und
gemeinsam gedachten sie später auch
der vielen anderen Einsamen . . . Da
gab es so viel zu thun, daß keine Zeit
blieb fiir die Schlange der assnrischen
Königin .
———.- i
Wie der-Natur durch die Technik
nachgeahmt wird. !
Tins Thema, das der Titel IJifereH
Studie nennt, ist ein so weites-, dass eg»
uns höchsten-J pelingepi kann, a i einigen
nusgewshlten Beispielin zu d mon
iträs .in, was ter Titel sagt.
Dink- Telephon pflcai man acrn mit
dem Ohr zu ingleichen Und man
tut recht darin-» Denn es gibt lsei bei- l
den Olirninfchelm Trominelfelle Ner
ven, und was-« man znrn Vergleich nochl
anführen will. Reic- lssat tsei feinem
ersten Teleleonmodell eine Arn Ohr
nxuscisel nug Hilz geschnitzt, »in die hin
einnelnwen wurde. Später hat man
diese Form ( nfgegeben, cnd die Schall
nsellen wurden in ein-n hübsch mathe
miitiseli regelmäßigen Trichter gesen
det. Mit Recht hat mnn sich hier von
der Null-r ioOpeliilL Die eigentliche
Form des äußeren Oft-eng dient jeden
falls nicht Isui zu alufkizclien Zwecken;
sie irill nsirnlieb der ««)i.fchel bei einer
qeivifse.1 Wechheit dekl; wieder Halt
nnd Fefiiiispii geben. Die Technik, die
mit anorqnnifchen EUiiileln arbeitet,
fteskt den Sclinllempiänger vie; ein
facher und fester aus Metall und Hart
»tt!iitsch:oinqe:i. Wiss diese dann aller
»di!m»g iveitetnibeiten, ist schwer zu ski
;itien, nnd diirct sie meran die Wellen
Hinin inneren Ohr geieiieL Das Ge
« iiijisirasser ndii lseiiGelkorstcinchen bringt
genxnni I)er. Beim Sprechen benutzenl
wir bekanntlich nicht eigentlich eins
»Telepbon«, sondern ein ,,Mitrophon«.j
Die Schnllsveslem welche dieMembranei
iis Schwingungen versetzen, drückenl
nehi oder weniger nus Kohlenkörner
ider der-Fischen Diese stellen se nach
ihrer Pressunq einen veränderlichen
Uelsergangswiderstand dnr, dessen
Zchaiantets ebenso viele Stronxivellen
uns-löst. Mit deni Mitrophon Jst man
gewissermaßen dem Bau des menschli
chen Ohres- wieder niiher getreten.
Beim Sitten versetzen oic Schsxillivellen
unser Team-meinst "n Schwinqungein
mit ilnn schwingen ki: Gehört-Sächel
Nnn jedenfalls die Geliörnerven zum
gei« nnd nsobl zienilins isnntel
Ter lieciiipmte Les-minde- d.i Vinci
ssfleate neben seiner Mailunst auch ent
sig das Studium der Technik. Er soll
Nei- lksriinder der Cnmera obscnra sein«
Die ja allgemein bekannt ist, nnd ohne
welche die heute so wichtige Photogra:
ist-ne nicht denlbar sein würde. Diese
diinlle Kummer besitzt als wichtigsten
Theil eineLinsi oder ein Linsensystem.
irr-mit ein hübsches, allerdings ans
fis-m Kot-s stehende-Z Bildchen der An
sennselt eingesnnaen wird. Nimmt
der Photogrnph einenGegenstand nnfs
stunk so entsteht nicht immer gleich
ein deutliches Bild: es muß erst das
Oriettiv weiter hinaus oder hinein
geschraubt werden, bis die Umrisse
scskarf herauskommen Jm Grunde
gencmmen ist das menschliche Auge
ebenfalls eine Camera obscura, bei
de: dieselben optischen Gesetze gelten
spie dort. Es ist darum auch nöthig,
daf; das Auge siir die Betrachtung
naber und ferner Gegenstände ver
ferieden eingestellt werde. Die orga
Iiiiclke Natur wendet hier aber ganz
andere Mittel an wie die Technik. Sie
sind so sein« daß unsere menschliche
Kunst sie bewundern muß. Ein nütz
lich-es Attomodationsverniögen erlaubt
uns nämlich, die Kristallinse mehr
oder weniger zu wölben und ihre
Brennweite dadurch zu ändern. Das
ist das organische Verfahren, dem ge
genüber die Technik mit ihren Schrau
ben auswartet. Uebrigens wurde die
Camera obscura gebaut, ehe man jene
eingehende Kenntniß des Auge-: hatte,
die man heute besitzt. Dieser Apparat
ist daher gewissermaßen ein tiinstliches
Vlikae, das die Technik aus eigene,
ask-nnd ersann, ohne sich von der Natur
den Weg weisen zu lassen.
Die Lsamera obscura alk- photogra
phischer Apparat ist jedensallLs bedeu
teud roher und gröber eingerichtet als
dac- Auge, das wir mit Recht alS das
vor:.ehiiiste Organ bezeichnen· Und
dort) sieht das Wert menschlicher Tech
nit manches, wag auch dem schärfsten
Gesicht entgeht Unser Auge ist eigent
lict: ein tinematographischer Apparat
Jn zahllos wechselnden Bildern lzie
hen die Dinge an uns voriiber, und
jede »Ausnahme« wird sosort von ei
ner neuen abgeliist, wenn wir nicht
stnnxpssinnig aus einen Buutt hinstar
ren. Darum miissen im Auge gewis
sern-aszen beständig neue Chemitalien
auf die Retzhaut gebracht werden, da:
mit sich neue Bilder gestalten können.
Gen-; anders arbeitet der photogra
phische Apparat. Hier ist ein und die
selbe lichtempfindliche Fläche vorhan
der-« auf der sich die Eindriiete sestle
gen. Der verdienstvolle Anschiitz hat
uns- die Kunst der Momentphotogra:
phie gelehrt. Lin sich ist das menschs
liche Auge gewiß auch imstande, Ein
drücke in sehr kurzen Zeitraumen ani
zunehinen. Aber sie haften nicht, weil
sie mit den vorhergehenden und nach
folgenden verschwinnnen. Die MO
mentaufnahme schneidet aus dem ra
schen Zuge der Bewegungen eine ein
zelne Phase heraus. die man bannn
nach gehörigem Entwickeln und Fixie
ren des Bilde-z in Ruhe studieren mag.
Mit Hilfe der Momentphotographie
hat man überhaupt erst erkannt, wie
ein Pferd läuft, wie ein Vogel fliegt,
und welche Bewegungen der Mensch
beim Gehen aussithrt.
Tag jüngste Austanchen des Hallen
schen Kometen ist mit Hilfe der Him
melgphotographie zuerst entdeckt wor
den« Blicken wir eine Weile den ge
stirnten Himmel an, so treten aus dem
Dunkel doch nicht wesentlich mehr Ge
stirne heraus-, als lvir gleich anfangs
sahen, es sei denn, daß die fortschrei
tende Dunkelheit zahlreichere Him:
melslichtek erkennbar mache. Anders
gestalten sich dagegen die Verhältnisse,
wem-. man die Camera des Photogra
phen qeqen den Himmel richtet. Frei
lich mird es dabei nöthia sein, das-,
der Apparat durch ein Uhrmert der
scheinbaren Bewegung der rastlos
wandernden Gestirne folge. Durch ge
duldiges, stundenlanges Exponiereni
siillx sich nämlich die Platte mit einer
solchen Unzahl von Sternen, daß
schließlich die Uebersicht fast ganz ver
loren geht. Und auf einer derartigen
Platte hat denn auch der Halleysche
Kome: seine Visitenkarte abgegeben,
olsscura sieht? Weil eine pohtogra
phische Platte dem Lichte lange genug
ausgesetzt werden kann, und weil die
chemische Wirkung der Zeitdauer pro
pritäonal ist. Beim Auge wechselt aber
die freilich in sehr zarter Schrift ge
schrieben war. Warum vermag unser
Auge nicht zu sehen, was die Camera
die Platte beständig, und was in ei
nein kurzen Moment nicht aufgefaßt
ist, wird auch innerhalb einer Stunde
niclst wahrgenommen
Der Radler, der stolz auf seinem
Stahlroß dahin saust, philosophiert
wchl darüber, warum ihm die Natur
nicht ein so schönes Bewegungsmittel
gratis mitgegeben habe. Wenn er
die Pedale tritt, so arbeitet er mit
den Beinen, und das thut er beim
Gehen ja auch. Deshalb erscheint
ihm das Radeln als ein verbessertes
Gehen, und er will nicht begreifen,
warum die Technik die Natur erst be
lelnen müsse, wie eigentlich Gehwerl
zcisge einzurichten wären. Hier tritt
der Unterschien zwischen Organischem
und Unorganischem so recht deutlich
zutage· Das Rad als solches —- wir
meinen jetzt nicht das ,,Fahrrad« —
ist ein Element, das in der Technik
vorzügliche Dienste leistet, das aber
nicht in die Welt des Organischen
gehört. Das Rad dreht sich mit sei
ner Achse in einem Lager. Hier sin
det wohl Berührung statt, aber es
ist teine organische Verbindung mög
lich. Diese würde sofort-zerrissen
und zerdreht werden. Man strecke
einmal den Arm wagerecht aus und
halte den Handteller nach unten. Nun
versuche man, ob sich der Arm in ei
ne-: leirlrecliten Ebene im Kreise dre
hen läßt: das ist absolut unmöglich.
Nur durch allerhand Künste und
durch verschiedentliches Nachgeben
kommt eine Bewegung zustande, die
allenfalls als eine kreisförmige ange
sproclxen werden dars. So ist über
haupt die ganze Konstruktion des
Fabrrades tein Muster für einen Or
willsan Und dann: sind unsere
Geliwertzeuae im Grunde nicht doch
besser, alsJ wenn sie die Eigenthüm
lichleiten eines Fahrrades besäßen?
Wir tomnien allerdings nicht so
schnell damit vorwärts-, aber wir
gehen sicherer! Unsere Beine verlan
aen keine ebene Straße: wir vermö
aea mit ihnen sogar aus die steilsten
Berge zu trarelm wir haben bei uns
scsem litehaoparat nicht so viel »Bau
ne« wie der Radler, und lrir rühmen
dantbar die Weisheit der Natur, die
unserem Laufe zwar nicht die Schnel
lialeit des Rosseg verlieh, die uns
aler den sicheren Gebrauch der Geh
triertzeuae möglich machte.
Ganz besondere- interessant ist ein
Veraleich zwischen Natur und Tech
nrt bei der Entwicklung der Lust
schissahrt. Der berühmte Roger
Baron schrieb seilier»;eit: »Man tann
Boote herstellen, die im Wasser ohne
Ruter sich bewegen, arosze Boote, ge
leitet durch einen einzelnen Mann,
die mit größerer Geschwindigkeit fah
sen als iene, die durch eine Schaar
von Mattosen geführt werden. End
lieb kann man Maschinen zum Flie
gen bauen, in denen Menschen, sitzend
oder suspendiert iuc Zentrum, indem
si-: irgend eine Kur-del drehen, die
Fliigel in Bewegung setzen, die dazu
dienen, die Lust zu schlugen an Stelle
der Vogelfliige1.« Der fliegende
Mensch mit Vogelfchwingen das
ist das alte Jlnrusprobleui, dessen
schwierige Lösung schon den Alten
klar wurde. Auch da Binci hat sich
mit der Theorie des Fliegens befaßi.
Er stellte fest, daß der Vogel, da er
schwerer als die Lust ist, sich in ihr
hält und vorwärts bewegt, indem er
»diese Fliissigteit dichter macht dort,
wo er passiert, als dort, wo er nicht
Passiert.« Da Vinci empfahl übri
gens die Nachbildung des Fleder
1nuugfliigels, er schlug ferner vor, die
Beimnusteln fiir ihre Bewegung in
Dienst zu stellen. Als die Moment
phsstogrnphie später die Geheimnisse
des Vogelsluges mehr enthüllte, hoffte
man wichtige Fingerzeige zu er
hk««ltcn, wie diese »Schwingeuslieger«
um besten einzurichten seien. Daß
mir derartigen Maschinen bisher kein
bedeutsamer Erfolg erzielt worden ist,
liegt sum großen Theile wohl daran,
dass, die hin-— und hergehende Bewe,
gnug der Flügel technisch schwierig zu
bewerlstelligen ist.
Indem die Technik später vom
Getwingensluge nbftaud, hnt sie sich
prinzipiell Von der Natur freige
mncht. Allerdings behielt sie sdie
Flügel bei. Aber sie wirken in der
Frrm einer Flügelschraube, die
gleich dem Rade ein Element ist,
des-J nur auf dem Gebiet des Unor
ganifchen möglich erscheint. Jn
technischer Beziehung ist die Flügel
schrnube allerdings ein geradezu
ideales Werkzeug, arbeitet sie doch
in jedem Moment ihrer Bewegung
mit Nutzen. Außerdem läßt sich eine
gleichförmige Drehung viel leichter
erreichen, als eine hin und her ge
"l)ende. Auch in der Schiffahrt be
nutz: man neben dem Rade vorwie
gend die Schraube. Die ältesten
Fahrzeuge wurden durch Ruder
fortbewegt, und diese Art hatte man
jedenfalls den fchwimmenden Thie
ren abgesehen. Als dann der Rad
dampfer entstand, war eine Anord
nung gefunden, bei der den einzel
nen Ruderflächen eine kreisförmige
Balni vorgezeichnet war-, und mit
der Schraube wurde das Prinzip des
Ruderns völlig verlassen.
Der Vogel ist schwerer als die
Luft. Füllte man also einen Bal
lon mit Gas, sodaß er leichter wur
de, so ging man damit wieder einen
Weg, der von demjenigen der Na
tur völlig abwich. Und Zeppelin
hat uns gezeigt, was man dabei er
reichen kann. Der dynamifche Flug
der Aviatiker, der den Auftrieb mit
meckanischen Mitteln erreicht, steht in
feiner Weise dem Bogelfluge wieder
näher; aber doch ift die Art verschie
den, wie Vogel und Aeroplan in die
Höhe lommen. Dort durch Flügel
sciilag, hier durch einen Gleitflug auf
ruhenden Trag-— und Steuerflächen,
die nach Bedarf vorn angehoben wer
den«
Die Reihe solcher Gegenüberstellun
gen ließe sich leicht noch weiter fortset
zen. Aber auch diese Ausführungen
werden schon erkennen lassen, daß Na
tur und Technik bei mancher Berüh- ·
rung doch auf verschiedene Wege ge
wiesen sinds Der Techniker wird al
lerdings die allgemeinen physikali
schen Gesetze studieren müssen, die sich
in rer Natur offenbaren; dann aber
soll er die Mittel benutzen, die ihm in
der anorganischen Welt zu Gebote
stehen, und die gerade seinen Zwecken
dienen. Und vor allem wird es ihm
daraus ankommen, die Geschichte des
Apparates zu studieren, den er ver
bessern will, die Geschichte, die ihm
oft zeigen wird, daß man hier längst
einen eigenen Weg hätte suchen sollen.
Von Hans Bourquin.
Die Zahl »W« tm Beben Tolstoxon
Aus seinem Krankenlager machte
Tolstoi seinen Freunden gegenüber sehr
interessante Ajiittheilungen iiber seinen
Glauben, den er iiber die Zusammen
lsiinge ·.-,n)ischen menschlichem Schicksal
und den Zeiten seiner Geburt nnd sei
ner Entwicklung hat. So empfand er
es- immer als-« äußerst bedeutungsvolL
welche Rolle die Zahl W in seinem Le
lsen gespielt hat. Sein låtebnrtsztag der
IX Vlnaiist enthält eine 28, nnd seist
Nehnrtgsahr, das Jahr 182R, desglei
chen tlm weitere Beweise fiir die Be
deutnna der Zahl 28 in seinem Le
hen zu gehen, führte Tolstoi folgende
Falle an: Eis war der BR. Mai, das
wisse er noch heute ganz genau, als er
siihlte das: sein Leben in der früheren
Art ihn nicht befriedige. An dieser
Tage machte er im Jahre 1852 feinen
ersten dichterischen Versuch. Eine-s
seiner Hauptwerke, das schon frühzei
tig seine Lehren zum Ausdruck bringt,
»Die lerenizersonate«, schloß er am
Is. November ab, am 28. April deg
nächsten Jahres erschien sie im Druck.
Sein Erstlinggwcrt »D-tstvo« erschien
am BL. November 185:Z. So konnte
er während seines ganzen Lebens ver
folgen, dsisz die Zahl 28 stets bei allen
wichtigeren Abschnitten seine-Z Lebens
in Erscheinung trat. Zum Theil han
delt es sieh dabei utn Ereiqnisse. die
mehr innerer Natur waren. ohne da
durch ihre große Bedeutung zu verlie
ren. Er erinnert daran, das- ek im
Alter von 28 Jahren eine ungeheure
Wandlung erlebte, deren JUhAU kk
nicht weiter beschreibt, die aber, wie et«
sagt. fiir sein nanxes Leben von größ
tem Einflnffe war. Das Charakteri
stische daran war, das; er dieses Er
lebnisz am Abend seines W. Geburts
taaeH hatte-. Schon damals wurde er
in der Ttlnfchauunq bestärkt, das; diese
Zahl fin ihn von geheitnniszvollens
Einfluß sein niiisse. Noch bis zum
Schlusse kann er diesen Einfluß ver
solgen, denn seine nothwendiqe Flucht
aus Jasnaijoljann erfolgte ain W.
Oktober russischen Stils. Er hält die
durchaus- nicht für einen Zufall- son
dern fiir einen inneren Zwang.
——--.—- b—
Vor-sorglich
A.: »Du hast nun so lnnqe gespart,
um Dir ein Automobil laufen zu kön
nen, und nun bestellst Du Dir doch
leins3.«
« B.: »Ja, ietzt spare ich vorerst noch
frir die Leute« die ich überfahren
toerde.«