Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 27, 1911, Zweiter Theil, Image 9

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    Nebraska
Staats-Anzeiger und Eifer-old
Jahrgang « ahciu Nummer 2:k.
Mutter erzählt —
Vpn Eit- neune
Habt ibr das auch als Kinder em
Wundern
Kennt ihr tvolil iene traulichen Stun
den«
Wo man recht nah an die Mutter
rückt,
Wo man in ihren Arm sich drückt
Ftindlich schmeichelnd ohn’ Unterlaß:
,,Miitterchen. bitte, erzöhk uns tvas?'«
Sie lacht, sie nickt, sie nimmt unsere
Hand,
Sie fiihrt uns hinein in ein Wunder
land.
Zie weis-, nnr das Beste von allem
Gutenr
Die Stunden, die werden uns zu Mi
miten.
Im Zimmer wird? dnnller der Tazi
" verrann
Nur Migtter«s Augen strahlen nnis an,
Als könnte das Gliicl nie untergetfn
Wenn diese zwei Sterne über uan
stehn
Selige Kindheit wo Taa und Nacht
Mutterltebe für uns gemacht.
Wo Dämmerftunden voll Märchen nnd
Sagen
Uns nali an des Mutterherz getragen,
lind jener Kinderalaube erwachte,
Der fromm Und ant uns- Kleine
machte!
Ob im Palast im holten samtn
Ob in der Hütte die Scheite gliih’n,
Ob das Kleidchen in Seide aestickt
Oder die Schürze ara fchon aeflidt.
Dem Kitlderherzen am Gliiei nichts
h
Wenn Mutter erzählt! «
Armuth
Von Deren-un san-.
l.
Tag Haus lag mitten in der Ein-—
ddr. Wir tamen vorbei, als wir zu
Anders am Fiord lNorwegen) gingen,
um Milch zu bestellen. Die Steine
der Einöde erhoben sich ein wenig und
bildeten einen Abhang. An seinem
Fuße hatten sie das hauö gebaut; der
gab wohl ein wenig Schutz vor dem
Hinde.
f Rings herum war nur der graue
Granit. Kein Gras und kein Busch.
Aus dem Jnselchen im Fiord bertleide:
ten Blaubeeren das Felsgestein. Doch
hier sproßte nichts. Da war nur ei
nige Schritte vom Hause unter dem
Abhang ein ,,Fiartosselactef’«. Ich
wußte nicht, woher sie die Erde zu
diesem vFeld zusammengescharrt hatten.
Das Haus selbst war ein Schuppen,
aus halb versaulten Brettern zusam
niengenagelt. Wo sie nicht schlossen,
liaite man mit Fetzen und Bettlerluni·
pen nachgeholsen, die überall hineinge
iwtrst waren, so dasz man beim Anblick
des Hauses an den Körper des Laza
rus voll von Beulen dachte.
Vor der Tür lagen aus dein Stein
ein paar Fische zum Trocknen. Die
Tiir stand halb geöffnet. Da war nur
tin Raum Der ganze Hausrath be
stsestks in einer Klappbant, einem Tisch
and einigen Scherben. Da, wo ein
Kesirl stand, war aus dem gepflasterten
Boden wohl die Feuerstellr. Ein
Schornstein war nicht vorhanden.
Denn zur Winterszeit wärmt auch der
Ratsch.
Ich sragte:
»Wo schlasen sie?«
Meine Genossen zuctten die Achseln.
»Wer weiß es.«
Jch sah den Kessel und die Seher
ben an. Aus denen mußten sie also
essen.
»Und wie viele wohnen hier?«
Sie antworteten:
»hier sind sieben Kinder.«
Jch sah die Filappbant an. Es stand
eine lange Kiste darunter. Da mußten
sie also schlafen.
Aus dem Tisch lagen die Neste eines
Brotes und aus dem Rand ein Psal
menbuch, das gelb und zerrissen war.
Das Fenster war dicht daneben mit
vier kleinen grauen Scheiben· Die ga
ben Licht.
Wir gingen wieder hinaus.
Es gab teinen Weg und leinenSteg.
Nur die nackten Steine führten zu dem
Haus. n
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(
Auf den Schärenbooten trifft man »
diese Männer - -— hoch, bartloi3, in lan
gen schwarzen. bis zum Boden reichen- »
den Mänteln, mit mageren Zügen, in »
denen alle Musteln zu sehen sind. Sie
halten sich nicht bei den andern aus«
hinter dem Tatelwert oder den auf- i
gestapelten Feuchten auf dem Vorder- !
deck ragen sie einsam empor, während;
sie das Andachtstch unbeweglich in ’
den fänden halten.
c e streben nicht der Wärme zu wie
die Bauerifrauem dte sich dicht an die
Maschine schmiegen, und sie halten die
nie-enden Köpfe tief über die Psalm- «
bitcher gebeugt, so daß man taum die
Gesichter sieht, die ausgetrocknet sind
von Arbeit und Gebeten.
t
Denn sie sind an jedes Wetter ge
wöhnt, on Herbststiirme und Nebel und
Wintertälte, und sie merken es gar
nicht mehr. Stundenlang sihen sie du,
die Augen aus ihr Buch geheftet, wäh
rend die Bauernburschen träge und
scheu und unaufhörlich lauend un der
Brüstung stehen
Nun sollen sie von Bord. Sie holen
die Trcrttatr. die in einer Tasche aus
schwarzem Wachstuch liegen, so wie
jene, in denen Richter oder Rechtsan
wältss die Anllngen der Gerechtigteit in
den Gerichtssanl tragen. Sie haben
lein anderes Gut als dieses, während
sie schweigend an der Fallreepstreppe
lot-nen.
Mitten in dem öden Fiord holt sie
ein Boot. Da ist kein Haus zu sehen,
nur die nackten Schären nnd der Re
gen beginnt heftig zu prasseln.
Der Laienvrediger geht zu den vier
Männern im Boot. Es wird lein Wort
zum Willkommensgruß gewechselt —
hier in diesen Gegenden spricht man
nur wenig, wenn es nicht zum Gebet
und zur täglichen Anrufung ist — - und
stumm schießr doc- Boot dahin.
Der Dunipfer setzt sich wieder in
Gilllg.
Das Boot rudert durch den Regen
fort. Der Laienprediger sitzt da allein
auf seiner Ruderbank, hoch emporge
reckt — die Gehetvücher unter dem
Arm
lll.
Es war ein Sonntag in September,
in einer westländischen Stadt. Der
Marltplatz lag in der Sonne wie eine
Wüste da. Kein lebendes Wesen war
zu sehen; jedes Tbor war verschlossen,
und in den Kauflöden waren die Rou
lraug herabgelassen wie in Trauer
bänsern, die verhüllt sind. Man
hörte teinen Laut, nur den Gesang
aus der Kirche; er lam schwer und
dumpf wie aus einer Krhpte.
Nun war der Gottesdienst beendet,
nnd dieKirchentbiiren wurden geöffnet.
Die Gemeinde zerstreute sich.
Aber die Stille wurde nicht gebro
chen. Kein Wort ertönte, und die
Schritte der Gehenden gaben leinen
Laut. Trauergelleidet waren sie wie
ein Leichengefolge.
Sie glitten durch-die Straßen und
warfen lange Schatten —-- ,lbst
Schatten, deren Seele von der Angst
ausgeblasen war.
Sie schlichen sich still, gebeugt, die
stillen Treppen hinaus nnd stahlen sich
nach Hause, furchtsam, in ihr eigenes
Heini.
Die Stadt lag wieder öde da.
lY.
Wir lamen nur langsam vorwärts-,
denn ers war Nebel. Bald lagen wir
ganz still, bald wagte die Maschine
wieder eine paar zögernde Schlage, so,
als- ob das mächtige Schiff selbst ängst
lich wäre wie ein lebende-i Wesen,
während die schrille Glocke des Ma
schinisten ging und dcsr Ton eines Ne
bellwrneg von einein Schiffe lam, das
wir nicht sahen, wie das Brüllen eine-Z
Thieres, das in Angst nach uns riei
Selbst die Maste verschwanden in
dein Grau.
leer das ganze Nahe ist sehr deut
»lich: die Passagiere, die einzeln auf
idem Verdert stehen, starrend wie Sta:
Hirten, und die kleinen Scharen, die
tschi-sammt- von Feuchtigkeit plötzlich
invit geltiiintem Riicken an der Bril
"stung anftanchten wie lauernde Be
stren.
Die Rajiitenglocte lautete zu Mit
tag, aber niemand rührte sich. Selbst
die Kellner blieben in der Kajiitentiir
stehen, regungsls und ängstlich
Und wir machten wieder halt.
Um die Mittags-fett sing es an zu«
regnen. Es war einff heftiger, lalteri
Regen, and er ergoß sich iiber Klippen
und Scharen. Es tröpfelte von der
Wacholeinwand Tag Wasser, das wir ;
durchsuhrein war eng, nnd der Nebel»
war grau.
Wir hielten m einer Halte neu e
Ein Bauernhof laq am Fuße eines
nackten Felsens Sonst war kein
Dinz zu sehen, nur dng Wasser und
die Sckiiren. An der Giebelseite des ’
Hauses war ein sznun aufgerichtet !
Der beschirmte zehn Schritt Erde, die!
man vielleicht den Garten nannte
Hinter dem Zaun standen vier Büsche, ;
deren skweige dünne Rippen waren.
Sie kamen gerade so doch wie bis zum i
Rund des Laune-L Der Sturm
rinnt-. sie wohl ab, wenn sie höheri
wollten. Sie tvare n der Baumwuchs
des Ortes. »
Zwei Kisten wurden ans Land ge-?
bracht und die Post m einem mager-en «
Casichem und nun wollte der Dampfer !
wieder fort. Da sah ein Vussagiee eine
Liste, die im Gieth geöffnet war Da
saßen die zwei F: auen, in Schatz aes !
wickeln Die eine mit gn: mein-entei
i» haar, das Kinn an den Fenster
fixäael gesiiith die andere schlan! und
ie« .g, mit eine-n Felditeshee vor deni
August Sie glich: r einander-. Zug nn
«Dtug, so, als wäre Das Gesicht der etl
t:«ren nur im Lauf-: der Zeiten unter
einer langsam entstandenen Staub
sancht verborgen nnd verdeckt.
Die junge hatte hundert flinte Be
tkegmtgem und sie sprach nnd lachte.
Die ältere rührte steh nicht, und sie
antwortete nicht, sie starrte nur unab
lässig aus das Schiff mit ein Paar
Anaen, die an langen Abenden unter
der Lampe matt geworden waren.
Jetzt glitten wir von der Brücke weg.
Da waren hundert Dinge, die die
Junge interessierten. Die Mutter blieb
nur still und zusammengesunlen in ih
rem Schal sitzen, während nnserSchiss
sortglitt. Jetzt bogen nur um den
Felsen und fuhren in den Regen und
das Meer hinaus.
Und Mutter und Tochter sahen
wieder, lange Tage, nur die nackten
Echören und das Wasser.
Das Schiff war wieder vorbeige
«;ogi·n. . . .
Wir waren aus ossener See, es ta
snen hohe Wellen und Sturm. V
l Durch das Chor Sibirien5.
Jn Verm hatte ich dant guter Pe
tcrgburger Empfehlungsschreiben zum
erstenmal Gelegenheit, auf meiner
Reise durch das ungeheure Most-Zwi
terreichd ns Gefängniß zu besuchen, in
dein vor wenigen Tagen ein großer
Trupp «adininiftrativ Verfchietter« an
gelingt war. Besonders reiche Ernte
liat dieses Jahr die russische Justiz ge
macht. Ueber-füllt waren Hof und
tierler der Permer Etappe —— trotz-—
dem auf dem Schiffe bis hierher über
200 Sträflinge dein Typhus- zum Op
fer fielen, waren noch über 700 Ver
baunte dem »Licht der siifzen Welt«
erhalten geblieben. Welche Gesichter
— s von der Verbrechertnpe des Mör
ders bis zum durchgeistigten Ausdruck
des politischen Märtyrers waren alle
Abarten vertreten. Frauen und Kin
der, meist freiwillig dein Gatten und
Vater in die Verbannung folgend,
lagen umher, die entsetzlichen Spuren»
von Krankheit und der verpesteteri
sterlerluft hatten ihr Antlitz vor der
Zeit veriviiftet und altern gemacht.
Alle Verbannten trugen ttetten nnd
das Kopfhaar zur Hälfte abrasiert.
lfin erstickender Geruch herrschte in
’de:n Raume, der vielleicht für 200
Menschen Platz bieten mochte -—- aber
iiber stu« dieser llngliicklichen enthielt.
Wie auf einein Schlachtfeld lagen die
tiörrer über- und nebeneinander. Da
nnd dort boten Männer, am Boden
taucrnd, sich gegenseitig ihren Rücken;
als Stütze und dienten wiederum
Frauen und Kindern alg Kissen.
Zwei Petergburger Studenten —-’
an den befchmutzten Fetzen ihre-:- Uni
frrnnnantelg als solche kenntlich »s»
lehnten wortlos an der Wand: ihren
Blut-. am Boden hatten sie einem blei H
cru, jungen Weibe init einein Säug i
lå ug abgetreten. Seltsam tontrastier ’
'ten ihre edlen Profite init dein halb ;
gesclorenen Schädel und den iiber und
über befudelten Sträflingglleidern !
»«.Itihiliften«. erklärte aleichniiithig der!
fiihrende Kosatr. Anschlag gegen dag
Leben des Zaren sie waren iiber
ruscht worden, als sie ini Begriffe
standen, Dynamit in einen Minengang
zu legen, der unter dem Newgty Pro
spett durch-führte, eine Straße, die der
Zur täglich passierte. Nach den Blei
bergwerten waren fie nun zur Strafe
verfchiclt worden. Die niordenden
Giftdiinfte werden sie bald dem irdi
schen Gericht entziehen.
Ali-Z einer Ecke desJ Saales ertönte
s.litrsermiithiger Gesang. Liliehreresiid
russen stimmten zum Klang einer Bal
lalaila Lieder aus«- der Fieimath an
Leise durchzitterten die llagenden Mr
lodien den indes-stillen Raum — alle-J
lauschte ,sell)st die tvacliehnbenden
Soldaten stützten sich geschlossenen
Anges- aus ihre Gewehrr. »
Aus dein Korridor schleiften einige
Soldaten den leblosen Körper eines
Verbannten herbei. Ein noch junger
Mann tvcir es; die entsetzlich abgema
gerte Knochengestalt zeigte alle Spu
ren des hochgradig Schwindsiichtigen.
Der Arzt hatte seine Ausnahme ins
Spitgl verweigert, dort war lein Platz
mehr srei --— »tvozu auch, sein Leben
zählt nur mehr nach Stunden!« Da
lag et nun aus dem Korridor; die ver
glasten. tveitgeössneten Augen blickten
aus dem Todtenschädel starr zur eBeete
empor. Ein alter Sträsling schlich
herzu, driictte ihm die Augen zu und
wie entschuldigend sprach er zum ne
benstehenden Kosalem »Auch er hat
eine Mutter gehabt!« Seltsam, welch
hohe Bedeutung das Wort Mutter
site den niederen Russen hat. Will
er seinen Feind tödlich beschimpfen, so
verunglimpst er seine Mutter — ein
Segeniwunsch sitt diese ist eine beson
dere Ehrung des Kindes.
Jm Hofe des Gesängnisses zeigte«
sich mir dasselbe Bild, nur war hier
wenigstens die Luft erträglich. Ein
miinmerndes Weib fiel mir aus; zwei
halbiviichsige Mädchen schmiegten sich.
san sie und verzehrten ziemlich theill
nahmslos eine schwarze Kruste Brot.
Aus dem halbentblößten Obertörper
sder Frau zeigten sich blutunterlauseneE
:St«-.iemen. Sie hatte ihr in Moskau;
ierlialtenes Krongeld (die Sträslingez
stock-den nicht belästigt» sondern erhal- z
Jtcn ,,Rrongeld«, um sich selbst zu ver- !
jpiiegem in der Hoffnung auf Gewinn s
lverspielt und mußte nun mit dein er-— »
lbetrnen Brot iiir ihre Kinder die üb
Jlichcn Schläge dnsiir einhandeln. Jch
lisriiclie ihr ein Geldstiick in die Hund«
.»We«;u, Herr,« verwies der Kosnle.1
,,sie wird es wieder verspielen und
morgen wieder Schläge siir Brot ein
tauschen.«
Aug dem Gebäude ertönten Hain
nierschlägr. Ein riesiger Schmied tout
dnncit beschäftigt, die Ketten von deni
Gestochenen zu lösen, die an ihm fest
s genietet waren, nnd während man den
znun ,,freien« Verbannten achtlos ver
« sitt-errie, wurden feine Fessel wohlregi:
«striert, denn sie sind ,,.Krongnt Sr.
Maiestät dcg Zaren«.
»Hm tlllllllch ciilf, titii PG Oclö Lock
des Kerkers hinter inir schloß.
Ein LiindSmiinii, ein biedererl
»Rbeiiilander, hatte seit einer ReiheJ
»den Jahren in Perm ein in hoheiiiT
Ansehen stehende-Z Silber-:- und Gold-i
sgesehäft Obwohl seit dreißig Jahren
siii Riißland lebend und in Spraches
sund Aeußerem tauni von einemRussen -
s zu unterscheiden, hatte er doch die mit
unter recht deutlich werdende Urwiich
siaieit seiner Heimath bewahrt Eben
isprach ich mit ihm in seinem Laden
s ser die erhaltenen Eindrücke im Ge
ungniß, als ein höherer Offizier ein
trat Dieser, augenscheinlich ein aus
der Durchreise zu seiner sibirischen
Garnison begriffener Oberst, rief in
barscheni Tone ohne jede weitere Ein
leitung deni Besitzer auf russisch zu:
»Zeige inir dieses Zigarrenetui!« Der
, ngrufene nahm schweigend und ge
tan n- das kostbare goldene Etiii aus
Hdem Glasschranl und reichte es dein
"LTffizier. ,.Zeige inir noch ein ande
"res5.« Es geschah, und weiter ver
langte er ein drittes und vierte«.-..
Ruhig willfahrte mein Landsmann
»Was kostet diese-J ?« dabei warf der
lijriiiiberockte ein reich mit Steinen ge
zierteö Prachtstiict roh auf den Ladeiii
tifcli. ,,Vierhundert Robel,« antwor
tete, noch immer ruhig, der Gefragtr.
»Was? Bist du verrückt, vierhun
dert kltubelZ Wosiir?«
»Ja nun, für dass Etui« Dabei
nichiii er alle ausgegebenen Stiicke iind
legte sie wieder ruhig iii den Glas
siljranl zuriict
Was fällt dir ein, Diirack was
nimmst du die Zachen wieder weg «
»Weil diio theiire i-tiiite sind, die eJ
ikicht vertragen toniieii, solcher Art
heriiiiigeworfen zu werden - schau sie
dir iiii Glagtafteii aii.«
Der Oberst schlug die Hände iiber
deni Kopf ziisainiiieii.
»Was uiiteistehit dii dick, iiiich zu
liizen Z«
»Was iiiiteritebfi dii dicti, iiiieh ziis
erst zu duzenx glaubst du, ich bin dein
Ound?«
Wiitheiid schrie der Offiiiert »Auf
der Stelle hole icti einen Nadsiradel
llltolizeioffiiierk iiiii dich abfuhren zu
I«
lassen, dii Hund.
»Lehren org du bersten -- icn laute
nicht vor dir,« entgegnete mein Lands
mann: sich zu mir wendend, sprach er
deutsch: »Was haben Sie fiir eine
Meinung von solch einem rusfischen
Lfiizier — ist dasJ ein Stabalierk
Wass«
Ter Lffizier stand schon in der ge
offneten Thur, um den Wadsiradel zu
holen, als er die deutsche Rede die
er wohl verstand--berm1tnu; er trat
nsieder näher und fragte überaus biss
lich aus Deutsch: »Ah, Sie sind ein
Deutscher?«
»Jawohl.« sagte mein Landsmann
»An-«- toelcher Gegende
,,Rheinpsälzer.«
»Ah, die Deutschen -—— die Deut
schen!« kam eg bewundernd von feinen
Lippen —— er zahlte 400 Rubel und
zog, höflich grüßend, ab.
Herzlich haben wir gelacht --— es
war fiir lange Zeit das letzte Mal,
das ich Ursache hierzu hatte, denn ich
stand hier an der Grenze thßlands,
nahe dem-Thore Sibiriens, und wer da
einzieht, der mag nur alle Hoffnung,
bald wieder fröhlich zu werden. hinter
sich lassen.
Mitte September war es, als wir
von Perm auszogen. Wolkenlog war
der Himmel, grün die Flur-, voll Blu
men und duftend das Feld, an dem
wir vorbeizugen,nnd doch lag es schwer
auf uns.
i
s Zwischen Perm und Thumen gibt
es einen Ruheplatz sür die Verbann
ten. Dieser liegt über Jekaterinburg
hinaus-, an jener Stelle der nach Thu
ineix sührenden Straße, wo die russi
snte Grenze aufhört und die Gewor
kuna Sibiriens beginnt. Hier ist das
Thor Siltirien5, des Riesensriedhofe
der Verbannten. Eine hohe, scharf ge
lantete Säule steht an der Stelle, wo
sich die beiden Grenzen vereinigen.
Eingesunten in den Boden ist der Fuß
de-« Säule, aber sie selbst ragt setzen
grade aus zum Himmel, ein erschüt
terndeg Menetetel dem Verschictten.
Dunkelgrün ist rings der Rasen, und
weiter in der Ferne entsproßt dem
stieg-hoben wild das dustige Friedhof
grc.—.-« das Memento Mori der Bege
tation.
Und eine Kirchhossruhe herrschte
ringsum ——- nichts schien hier zu ge
deihen « regungslos-, von teinem
Windhauch bewegt, standen das Gras,
die mattsarbenen Blumen zum Him
mel empor, wie ein endloseg Meer von
Sterbeterzen, die feierlich den ragen
den Stein-das russiscbe Golgathn -—
umlobten, das Thor SibiriensS Tan
seisd und aber tausend Unglücklicbe
traten hier schon gewandelt, zum letz
tenmal aus dem Heimntheboden haben
sie hier gernstet und Rückschein gehal
ten, mit einem Segenswunsch oder
Fluch der Mutter Erde gedacht, die sie
getragen. Wie viele Herzen mögen
hier gebrochen sein, als sie Abschied
nahmen von allem, was sie mit ihren
Lieben, mit ihrem Vaterlande, mit der
Welt Verband: sie wußten klar: ein
Schritt iiber die Grenze, durch das
Thor, und nn bist lebendig begraben.
Massen-m
Die schöne Jnsel wird seit einiger
Zeit von schwerem Mißgeschick ver
folgt· Vor wenigen Jahren hieß eg,
daß die Pest in Funchal ausgebrochen
sei. Die Nachricht wurde widerrufen,
that ader der Insel natürlich vielScha
den. Jm letzten Winter hauste dort
eine Thphusepidernie, und jetzt ist die
Cholera angeblich in solchem Unrfange
ausgetreten, daß die großen Dampser
linien ihren Schiffen das Anlaufen der
Insel untersagt haben. Der neue
Schlag trifft nicht allein die etwa
Wert-un Köpfe zählende Bewohner
schaft der durch ihr herrlicheg Ftlima
weit bekannten und viel besuchten Jn
sel, sondern auch Europa. Versorgt
doch Madeira unsere Märlte nicht all
ein niit gewaltigen Massen Junger Ge
n:iise und Früchte, sondern besitzt auch
auf dein Gebiete der Mode eine sehr
erhebliche Bedeutung. Hier werden
nämlich hauptsächlich jene in oer
Frauenwelt so hoch geschätzten prächti
gen und geschmaclvollen Stickereien,
besonders aus Leinen undBattist, aus«-—
gefiihrt, die heute in keinem großenGe
schäftghause mehr fehlen diirsen. Am
meisten betheiligt bei diesem Geschäft
sind deutsche Häuser. Ihre Vertreter
lassen die aus Europa eingefiihrten
Stoffe in Madeira an der Hand der
mitgeschickten Muster verarbeiten und
senden sie dann aus Grund besonderer
staatlicher Abmachungen zollsrei nach
Haus. Gegen City-tut Frauen und
Mädchen der Insel beschäftigen sich
mit dieser Stictereiarbeit und verdie
nen dabei ihren Unterhalt. Sie sind
so geschickt, daß es higher nicht gelun
gen ist, in Europa ähnlich gute Arbei
ten m aleichem Preise herzustellen.
Der Fremde, der in Funchal, drin
rinziaenHasen der fast das ganze Jahr
in Frühlinasariin prangenden Bera
insel, landet, gewinnt sofort ein Bild
ron der Bedeutung, welche die Stickei
rci Industrie siir die Insel besitzt. Jn
den .L)auptstrafzen drängen sich die Lä
den mit mehr oder weniger kostbaren
Leinenstidereien nnd -spit3,en. Beinahe
in jedem Hause und in jeder Hiitte sieht
man Frauen mit der miihseliaen Ar
beit beschäftigt Fliegende Handler
niitMadeira Arbeiten füllen die Stra
fzen und iiberflutlien die antommenden
Schiffe-. Die wunderlnibschen Flech
arbeiten ans Weiden undlltalmenfasey
die Blumen, Früchte nnd selbst der
Wein treten dagean in den Hinters»
mund. ----- Reben den erwähnten Ge:
schäftgztveigen spielt die Fremden
industrie die Hauptrolle in FunchaL
Die Dampfer fiir Afrita nnd Stir
cnnerita machen hier aus Hin: und
Heimreise Station. Dazu kommen
wöchentlich Vergnügungsfahrzeuge
aus England. Für die Kranken sind
verschiedene Sanatorien, fitr die Er
holungsuchenden eine Reihe stattlicher
Hotel5, theils unten acn lebenden
blauen Meere, theils hoch oben in den
waldigenBergen, die fast die aanze Jn
sel bedecken, angelegt. Ohne diesen star
ten Fremdenverkehr könnten tveder die
Ochsenschlitten, welche als Droschlen
dienen, die Höngematten, in denen sich
Leidende befördern lassen, die leichten
Kokbschlitten, in denen man die steilen
Straßen Hunderte von Meter-n im
Fluge herabgleitet. noch gar die Auto
movile oder die Zahnradbahn, welche
zum Monte hinauffiihrt, bestehen. Bot
einigen Jahren haben deutsche Unter
nehmer im Gebirge nahe dem End
punit der Zahnradbahn inmitten herr
licher Gärten ein großartiges Kurhaus
errichtet. Es war ihre Absicht, in gro
ßem Maßstabe die deutschen Winter
touristen nach dem schönen Madeira zu
ziehen und einen neuenAufschwung der
Insel, die noch immer den Zusammen
vruch der Rohrzuckerindustrie und die
Verwüstungen der Reblaus nicht ganz
isberwunden hat, herbeizuführen Ihre
Bestrebungen sind durch rücksichtslose
Hetzereien eifersijchtiger englischer-Kreis
se vereitelt worden· Das Kurhausge
lsäude steht verlassen inmitten seiner
verschlossenen Gärten. Die deutschen
Unternehmer haben ihreThötigieit auf
das nicht minder schöne Teneriffa ge
richtet. Von englischer Seite aber ist
sr wenig wie von portugiesischer ge
schehen, um den armen Jnsulanern aus
die Beine zu helfen. Hoffentlich ge
lingt eg, der Seuche in Madeirn recht
bald Herr zu werden und die sanitären
Verhältnisse von Funchal nunmehr
dauernd so zu bessern, daß die schöne,
höchst originelle Jnsel inZukunft jeder
zeit ohne Gefahr besucht werden kann.
D. A. Z.
pertngssifcheret in der Narr-seh
Von der Heringgfischerei in der
Nordsee erziiblt C· Lund in Heft 4 der
,,Natnr«: Wie alle Beobachter überein
stimmend verfichern, spotten die Laich
ziige der Heringe in Bezug auf die Jn
dividnenzahl oft jeder Schätzung. So
erschienen beispielsweise im April 1906
die Heringe im Kaiser-Wilhelm-Kanal
ei der Stadt Rendsburg in solchen
Massen, dasz auf einer Strecke von ei
ner Meile das Kanalbett buchstiiblich
mit Fischen angefüllt war, und daß die
Bewohner der Stadt die Heringe vom
Ufer aus — eine Befischung des Ka
nals mit Netzen ist verboten —- mit
Mitbesi, Eimerm Hüten, Schaufeln, ja
mit den bloßen Händen in beliebiger
Menge herausschöpsen konnten. Und
roch sind derartige Züge der Küsten
heringe verschwindend klein im Ver
hältnis: zu denen, die auf der hohen
See beobachtet werden. Diese Laichs
ziige sind es nun,denen dieFischer über
all nachstellen die der Heringsfischerei
die hohe voltgwirthsehastliche Bedeu
tung geden. Während der lHeringsfang
in der Ostsee überwiegend als Zweig
der seitstenfischerei betrieben wird, hat
er sich in der Nordsee längst zum Hoch
seebetrieb ausgestaltet. Bei uns liegt
rcr Fang in den Händen einer Reihe
von Fischereiiletiengesellschaftem die
its Finden, Leer, Nordenham, Brenta
hanen, ttjeestemiinde Bremen, Vegesael,
tilgfleth nnd Gliirtstadt ihren Sitz ha
tten. Ihre Entwicklung mag aus fol-·
acnden Vergleichgziffern erhellen. Es
betrieben den Fang deg- Salzherings
un Jahre HRR eine Gesellschaft mit
Ist Lostgerm litt-l sieben lstesellschaften
mit 131 Loggern, 1010 dreizehn Ge
sellschaften mit LIW Loggern. Unter
Loggern versteht man besonders stark
gebann, tnttemrtige Segclfahrzenge
ron 7:'- bis- W Jan Länge, die mit ei
nem hnm Niederlegen eingerichteten
Gron nnd Besanmast ausgestattet sind
imd eine Besatznng orin mindestens je
oreizelnt Mann führen. Die Fang
knisrununa der Logger besteht any W
bis W, diejenige der Dampfer aus 110
bis lZsI rechteckig gesormten Netzen von
denen jedes eine Länge von Its) und eine
Breite oder Tiefe non sieben bis acht
TIJietern besitzt. Beimttluzsetzen dass stets
Liebende-s geschieht, werden fännntlicbe
Wette miteinander verknüpft nnd durch
ein lange-:- Seil, das Reep, zusammen
gehalten Sie werden durch lange
Bojenleineu ,den Treideln und Zeisim
gen, im Wasser getragen, so das; sie wie
eine eine oder mehr Meilen lange
Wand etwa ZU Fus; unter der Mee
reioberfläche senkrecht schweben. Die
Maseben sind so bemessen, daß die ge
aen die Wand fcbwimmenden Fische
wohl mit dem Kopfe, nicht aber mit
dem ganzen Körper hindurch können.
Sie bleiben infolgedessen mit den Kie
:nendeckeln in dem Netze hängen, sodasz
sie weder vor- noch rückwärts zu
felnvimmen vermögen. Während der
Nacht bleibt die Netzwand im Wasser
stehen, woselbst sie sammt dem Logger,
mit dem sie durch das Reep verbunden
ist, vor dem Wind und Strom treibt.
Gegen Morgen beginnt man mit dem
lsinhieven und Anbordnehmen des
Netzeg. Dasselbe wird stückweise über
die Bordwand gehoben, wobei die He
ringe einzeln aus den Maschen gelöst
werden müssen. Jst der Fang sehr
reich so blinkt das austauchende Netz
wie flüssige-Z Silber, und vom Scheine
angelockt, pflegen Hunderte von Möven
das Schiff zu umkreisen.