Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 02, 1910, Zweiter Theil, Image 12

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Roman von W. Heimburg
UUUUUUUUIUUUU —-«-«-«-«-« '
micloster Wendhusen
(11. FortseyungJ
«Durchaus nicht, Ferra«, erwiderte
er ruhig. »Du hafi es nöthig gefun
den, eine Erzieherin für Deinen Klei
nen zu engagiren, ohne mich zu fra
gen — die Banne genügt Dir nicht
sehr — gleichwohl wirft Du bemerkt
haben. daß Manna angefangen hat«
sich bedeutend einzuschränken in ihrem
Haushalt: es dürfte Dir auch nicht
unbekannt sein, aus welchen Gründen?
Charlotte hat nie eine Jungfer für sich
allein gehabt. Deine Erzieherin, die
übrigens ihre Fähigkeiten und Lehrtai
lente völlig nutzlos hier liegen lassen
muß, denn der Junge ist noch zu
klein« bezieht eine Gage, die neben
dem fiindlich hohen Lohn, den diese
Anna erhält, eine zu große Ziffer er
giebt Ferner hätte Anna auch dessen
ungeachtet mein Haus verlassen müs
fin, weil ich unter der Dienerfchafi, die
ich stündlich fehe und höre, nur Leute
von befcheidenem Auftreten und arti
gern Wesen haben will, und da jene
Dame diefe Eigenschaften gerade nicht
kultivirt, so muß sie eben gehen.«
«Gerhardt!« ries Ferra, und ihre
Augen blihten unheimlich zu ihm
biniiber, »weißt Du auch, daß diese
Person mir unentbehrlich ist? Sie
kennt mich und meine nervösen Zu
fälle; ich kann nicht ohne sie fein!«
»Ich bedaure sehr, Ferra, nehme
aber kein Wort von dem zurück, was
ich gesagt habe.«
»Was verbrach sie denn? Gegen wen
war sie unartig«.a Jch werde sie schel
ten.« «
»Nicht doch - wozu? Sie hlervt
doch nicht, Ferra.«
»Ich will sie aber behalten!«
Jn Ferrcks Augen snnlelten Thra
nen und der Fuß stampste zornig aus
den Boden. — Gerhardt zuckte die
Achseln und nahm seinen grauen hat
vom Tische.
·Gerhnrdt, ich will der Gouver
nante abschreiben«, bat Ferra Und die
Thriinen liefen jetzt wirklich aus den
Wangen herunter.
.Doch nicht. Ferra. ich habe meine
bestimmten Gründe. Von Rechts wegen
hätte sie schon vor circa vier Wochen
ihre sofortige Entlassung haben müs
en, allein damals vergaß ich es über
Fersen traurigen Tagen; hitte nicht
mehr, es ist umsonst-« Er sagte das
tn freundlichem, aber sehr bestimmtem
Tone, grüßte noch einmal zu uns her
iiber und verliess das Zimmer.
«O, es ist empörend!« rief Ferra.
Dann verstummte sie, ihre Blicke
blieben plötzlich groß und voll an mir
hsn en und ein langgedehntes »Ah!«
Znt hr ihren Lippen. Sie tippte sich
rnit dem Finger an die Stirn. »Gott,
s war ich dumm!« ries sie, schritt
einige Male im Zimmer auf nnd ab,
Xb wieder vor mir and Charlotte ste
h bleibend, die theilnahmlos dem
räche gesol t war, faate sie mit
tot ichheits melzender Stimme:
»Gerhardt ist leidend, ich hätte ihm
nicht widersprechen sollen. man vergißt
es immer und immer wieder» wenn
man ihn so groß und traftia sieht.
Und erst aestern Mittag saateTJottor
Weber, seine Lungen seien m einer
traurigen Verfassung - — Anna maa
gehen, wenn er es durchaus wünscht;
mein Gott, wie war er doch aleich ge
reizt. Armer Gerhardt!«
»Wenn er Dich jetzt aehört hätte,
wäre er vielleicht gereizt worden,
Ferra«, bemerkte Charlotte: ich fand
ihn sehr ruhig eben; Du verwechselst
die Begriffe und meintest Tich!«
»Gewiß. ich war bestia«. gab Ferrn
zu und senkte den schönen Kopf; »ich
will es wieder aut machen und ihm
u Liebe meine beabsichtigte Reise nach
«. aufgeben, man weiß ja ohnehin
nicht« wie lange wir noch mit ihm zu
sammen sind; Joachim’5 Tod hat ihn
arg mitgenominen.«
»Nun, darauf hin könntest Du es
immer wagen, zu oerreisen, Du fän
dest ihn jedenfalls wohl und gesund
wieder, wenn ich auch nicht leugnen
will, das-, er augenblicklich etwas an
gegriffen ist.«
»Wie? Und das saast Du. Char
lotte?« rief Ferra. »Ich meine, wir
hätten gesehen, wie es geht; -—— wer
"tte wohl geglaubt, daß der arme
oachim — —«
Sie fuhr mit dem Tuche über die
Augen und schwieg. ——« Charlotte ant
wortete nicht, sie lockte Minta zu sich
und streichelte sie, und als sie sah, datk
das Thier noch das rothe half-baut
trug, nahm sie eine Scheere, zerschniti
es und warf es in den Kantin: dank
lenkte sie Peter und Murrchen und wi
die anderen hießen, um ihnen der
Schmuck abzunehmen, den sie ihnen s
lachend und lüellich umgehängt hatte
nnd als sie ertig war, blieb sie an
Kantin hocken nnd s nte nachdenklia
tu die rothe Bluth. - ann sa te sie:
«Lena, wir wollen Gerhar t helfei
bei der chtiftbefcheernng, nicht wahrtl
· »Me- Sie nicht einmal nach Hau
Zei« fragte Ferra ne darau. Si
aj jehttndeengro nSeel an
Min. P scharf-; e betkoffesn an
e rnt pann
te- Esset-Wes gez-Ia t.
hsie a kein hause ant
e ichl e use meine Äuga
ten sich mit Brauen Am vertan
hatte die arme, liebe Mut
ier M noch einmal den chriftbaue
»Er ist bei fremden Leuten in Pen
sion und -— Vetter Gerhar ——«
»Aber Jbr Vormund?«
»Der hat keine Frau, und feine
Haushäiterin ist so böse, wenn er Be
such bekommt; nein, das ge t nicht ---«
aber Vetter Gerhardt hat mir Verspra
chen, Genrqe diirfe herkommen «
»So! Da sind Sie ihm wohl recht
um den Bart gegangen, kleines
Schmeicheitätzchen?«
Sie bog sich zu mir herüber nnd
faßte mit ihrer feinen Hand in mein
Haar-.
»Die Locken, Kindchem stehen Ih
nen zum Bei-zweifeln ichiechtx warum
stecken Sie Jhr Haar nicht in ein Netz
oder flechten Zöpfe daraus-? Sehen
Sie, so!«
Und mit fester Hand nahm sie meine
Haare zusammen, flocht sie mit merk
würdiger Geschwindigkeit und ftectte
min die zwei dicken, aber noch tnrzen
prfe am Hinterton auf.
»So! Das ist doch wenigstens or
dentlich«, lobte sie ihr Wert. »Wissen
Sie, wie Sie aussehen, Kleine, wenn
Sie mit dem wirren Geioet da kom
nm? Wie so ein landfremdes Ritzen
nermiidchen; ich tann sagen, ich ichame
mich mitunter -s- so ists besser, viel
desseri«
Jch lief lIm Spiegel nnd erschrak
sie hatte a die transen Haare, die
sonst um mein Gesicht hinnen, straff
zuriictqezogem etwas Hößli es, Un
gewohntes schaute mich an. » i, pfui!'·
tief ich erschrocken, aber ich wagte nicht, »
etwas daran zu ändern, denn, das-, ich;
wie ein inndsremdes ZigeunerinädchenE
urteilt-ergehner sei, machte mich schont-!
ro .
»Was da, psuix Ich nnde leider,;
daß man sich nicht aenug nin diesej
Sachen bei Jhnen bekümmert hat«, er
tlärte Ferra, »ich meine auch, Sie«
sind zu alt. urn in dem kurzen Kleide
da umherzvlausem man sieht den Fuß
bis zum KnöcheL «shocking«! Wenn
wenigstens noch ein elegantes Stiesel
chen darüber saße. Morgen lasse
ich Ihnen ein Volant an das Kleid
setzen«
»Das isl nicht nöthig, Ferra«, siel
Charlotte ein, und um ihre blossen
Lippen guckte es sariastischx »in diesen
Tagen kommt eine Sendung von mei
nern Schuhmacher und dabei befindet
sich auch etwas siir Lena. Das Kleid
laß, bitte, ruhig so, denn die beiden
neuen Winterkleider habe ich expreß so
kurz für sie bestellt. Du siehst, es wird
für sie gesorgt.«
Einen Augenblick stand Ferra buch
stiiblich mit ossenem Munde.
»Wer ist denn so erstaunlich splen
did?« erkundigte sie sich.
»Welche Frage, Ferra! Wer denn
sonst, als Gerhardts Du weißt « "
»Ah, deshalb die Einschränkung!«
entsubr es den Lippen der schönen
Frau.
»Aber Ferra!« ries Charlotte uns
willig, »ich denke, das versteht sich
von selbst; Gerhardt hat sich natürlich
verpflichtet, siir die Geschwister zu
sorgen. Bitte. thue nicht, als ob Du
das nicht weißt.«
»Nein, das ist niir in der That neu.
himmel. wen Alles soll denn das
Wegdhusen beherbergen und ernäh
ren «
-.--v
III-CI
Wie schneidige Metier drangen oteie
Worte durch mein Herz· Noch nie in
meinem ganzen Leben hatte mir Je
mand so unberhoblen gesagt, daß ichs
ein überfliissiae5, nutzloses Ding sei.
welches nur aus Gnade existiren dürf«
te. Bis jetzt war es mir bei Tante
Edith so wohl aewesen, daß ich jeden
Abend meine Hände geialtet und ge
dantt hatte für alle die Liebe. die
man der Verwaisten entgegenbrachte.
Heute - jetzt eben dachte ich zum er
sten Male wieder an das Wort, das
Christiane zu Georg gesprochen:
l ,,:.siur ,au«H Gnade und Barmherzig
eit.«
Charloite sah unwillig ihre Schwe
ster an. Sei es nun, daß sie dieselbe
durch eine Antwort nicht noch zu wei
teren Aeußerungen veranlassen wollte,
oder war sie überhaupt zu miide
genug sie schwieg. Aber mir stieg das
heiße Blut rebellisch in den Kopf
,,Jch habe ja gar nicht herkommen
wollen!« stieß ich heraus, »ich wäre
zehnmal lieber in B. geblieben und
hätte eine Stelle angenommen. um bei
Georg sein zu können. Aber das sollte
ich ja nicht; man hat mich hierher ge
holt; ich weiß auch, warum? Damit ec
nicht heiße, ein Fräulein don Demo
Ffs sei Bonne oder Gesellschasterin.
, wenn ich könnte, noch heute möchte
ich fertgehen und nimmer wiederkom
kn
Behiikk Gott, diese Leidenschastiich
« um« kies Jena. »Ernst-sit Du Dich
noch, Lottchen, daß ich Dich gleich am
ersten Abend aus dieses trotzige Gesicht
aufmerksam machte? Puhl mein Kind,
nnr immer gemach, es geht nicht Io,
mir nichts dir nichts sort ulaufenz ich
meine, Sie bleiben gern ·"er·«
»Ja, weil ich Tante Edith nicht al
lein lassen tann jeht«, entge nete ich.
Der Gedanke des Fortmii end von
hier and mir plötzlich wie etwas Un
dent rez vor.
»Nun, sehen »Stei« sagte Ferke
leichthinz »nur nicht immer gleich aus
stiegen pollen. muß mich auch mit
aller möglichen iebenswiirdigieit und
Sanstmut sti en and eine mir sast
Punentbehriche rson entlassen. Ich
rathe Amen wohlmeinend, ewöhnen
Sie as m nich zm ist
bei durchaus nicht angebracht.«
hatte bei Men«
Mc
m u- mY M. iiiisc com-.
ze, kostbare Sdisenbiille wieder iiber
den Kopf ges lungen und das reizen
de, frische icht sah unendlich lieb
lich darunter hervor; dann tnöpste sie
die mit dunklem Pelz verbrämte Sam
metiaeke zu, ergriis ihre lange Schlep
pe, und in das Schneegesiöber hinaus
weisend, fragte sie etwas sehr heiter-.
.Jst das nicht kjöstlichi Jch muß
noch ein wenig hinaus, ehe ich Anna
ihren Abschied oerkiindige. Was meinst
Du, Lottchen, ich miethe sie im Dorse
ein« dann ist Gerhardt und mir gehol
fen, und sie kann dann ja immer noch
meine Garderobe prompt besorgen.«
»-O, Ferra. es ist mir ganz einerlei«,
erwiderte Lottchen tonlos.
,,Adieu! Adieu!« rief die schöne
Frau, und im Hinauggeben murmelie
sie etwas von »unausfteh1ichenTrauer
weiden.«
Jch aber bitte meinen Entschluß ge
faßt, und als Tante Edith wieder her
iibergekommen war und mit Charlotte
vor dem Kaminseuer saß, da aing ich
in meine Stube und schrieb einen lan
sgen Brief an Christiane. und als er
; sertig war, trug ibn Gottlieb zur Bost.
« Einige Tage später bekam ichz ern
Tgewichtiges Backen und nun sa ich
jeden Abend, bis es Mitternacht schlug,
an dem kleinen Tische vor meinem Beti
nnd zog den Faden durch die Arbeit
Jm Kachelofen knatterte und trachte
das Buchenholz und erfüllte das groge
Gemach mit behaglicher Wärme, wii
rend draußen Weg und Sie verschneit
lagen und der Nordwind eisig von den
Bergen herabwehte und sich ialt und
pseifend gegen die Fenster legte, als
wollte er sehen, wag da drinnen im
alten Kloster bei Lampenschein so spät
noch getrieben werde.
Mitunter iibertam es mich wie ein
Grauen, wenn ich daran dachte. daß
ich ganz allein noch wach sei in dem
großen. spukhaften Hause, und furcht
sam schaute ich umher, weinend. eine
der braunen geschnitzten Thüren thue
sich aus und eine schlanke Gestalt in
schwarzem Gewande, mit Kot-strich und
Rosentran3, müsse über das Parquet
gleiten und mich verwundert mit gei
sierhasten Augen ansehen. Zuweilen
dachte ich auch an Joachim und glaub
te da draußen wohl gar ein Käu chen
mit heiserem Geschrei gegen das ken
ster, so wars ich die Arbeit sort und
barg meinen Kopf in die Kissen des
Bettes. mich scheltend und doch zit
ternd vor lauter unnennbarer Furcht.
Am nächsten Abend aber saß ich
wieder da, und heimlich wanderten
die Packete hin und her zwischen
Christiane und mir, und als das
Weihnachtssest nahte, da hielt ich ei
nes Abends zwölf blante Thaler in
der hand, und diese geringe Summe
hat mir eine Freude gemacht, wie
später nichts Derartiges mehr, was
Geld oder Geldeswerth bedeutet.
Charlotte lam jeden Abend in die
ser traurigen Weihnachtszeih nnd
nachdem bei jeglichem Wind und Wet
ter ein Spaziergan oder eine Fahrt
gemacht worden« ser chnitt sie die eEos
fe, die uns Gerhardi so reichlich age
schickt und wir verarbeiteten te zu
Kleidern und Kleidchem Sie that dies
Ylles so genau«und gewissenhaft, saß
--...- III-to hi
fluttpcutung tun nur-« du«-» -------
Arbeit gebeugt, die gegen ihr sonst fr
frisches. lebhaftes Wesen erschreckend
nbftnch drei, vier Mal mußte ich sie
um irgend eine Anweisung fragen. und
wenn sie dann die Auan hob, sahen
iie mich völlia verständnifilos an, als
besinre sie sich. wo sie sei. Und un
mertlich yerfielen die schönen Ziiae, die
lante Gestalt beugte sich unter der
u ergroßen Last des Wehes: sie tlagte
nicht, sie weinte nicht, aber jeder ihrer
müden Bewegungen, jeder Blick. iedes
matte Lächeln sagten mehr als Worte
Jch fah dies mit wachsender Anast:
ich fah Gerbardt’s beforateg Gesicht,
wenn sie sich miide auf seinen Arm
stühte, und sein trauriges Kopfichüt:
teln, wenn er sie theilnehmend fragte,
ob sie trank fei? Jch hörte ihr tonlo
fes: »Nichts-, ich dante Dir!" Jch
wußte, weshalb sie litt, und tonnte
doch nicht helfen, durfte nicht einmal
davon sprechen, denn sie hatte mir
fchon arn Todestage Joachim’sSchwei
gen geboten; es sollte Niemand wissen,
wie nahe Robert ihr ie gestanden.
Tante Edith war doch zuletzt auf
merksam geworden, und von dem
Augenblick an, da sie erkannte, wie
furchtbar verändert ihr Lieblin» fei,
tam etnas Leben in sie. Sie sprach
wieder mit uns, sie nahm selbst eine
Arbeit nr Hand und fragte Charlotte
mehr a s nöthig war, nur um sie zum
Sprechen zu bringen« ihre Gedanken
abzulenten; und Charlotte antwortete·
weil sie sich freute, daß ’enes theil
nahrntnfe, beänfttgende Weien von der
alten Frau genommen fei. Und fc
stützten iie sich argenfeiti , und Eint
drängte der Anderen zu L ebe den i
ßen Schmerz tief in die Bruft zur C
Es war rtihrend, zu sehen, wie das
junge, fo schwer yPetri-steure Gefchz ;
dem ein einziger . u enblicl alle Ko i
nungsblrithen zertnckt hatte, si ar
die alte Frauen eftalt schmiegte, ibi
liebtttöend die ftälanten Hände tüßtt
nnd e mit einem Lächeln ansah, dat
Laute Cdttz die Thränen in die Au
gen trieb. ie dachten Beide dasselbe
Leider Gedanten fl en darüber ar
einem einsamen, vetf neiten Jäger-.
haufe im tiefen Forfte zu der finstern
enaen eftuna, wo der weite Wald dat
halbe ben war, der, überglücklich
t tauni begrtt hatte und nun fein
e e imath wieder verlas
jen Instr, tin namenloer Schiner-«
urn ein verloreties, unfagbar holdes
ltickl
Dann preßten sieh wohl Charlotte’z
feine Hände fest gegen die Brust, und
ihre Augen sahen so gros-. und finster
in das Leere hinaus, als erschaue sie
durch die Mauern in weiter Ferne der«
einsamen, unglücklichen Mann, wie er
ruhelos umherwandern mochte und
ohnmiichtig die Hände ballen gegen das
unerbittliche Schicksal.
»Er dentt herk« saate sie mitunter
halblaut. »ich tann es stählen, Tante,
ich weiß es.'«
Sie hatte wohl Recht; wohin anders
hätten feine Gedanken auch fliegen
sollen?
»Ja, er denlt herl«
msnapitkt
Und so saßen sie wieder einmal zu
sammen in gewohnter schweigsamer
Weise. Charlotte war vor Kurzem
herübrrgelommen, sie hatte sich ver
spötet; Iante Demphoff war verreist
gewesen und erst vor weniqu Stunden
zurückgekehrt: Charlotte aber schien
aufgeregt. nnd auf ihren Wangen
brannten zwei große rothe Flecke.
»Gerh·irdt geht gleich nach Weih
nachten nach dem Süden, der Arzt
wünscht e8«. sprach sie nach einem
Weilchen tiefen Stillschweigen6, wäh
rend sie hastig in dem aroszen Arbeits
lorbe herumwühlte, ohne ein Stück
zur Hand zu nehmen« »und ich soll
mit; o, mein Gott, ich lann nicht fort
Inn hier!«
Sie brach in Thriinen aus und
tauerte sich zu Tantes Füßen nieder.
»Doch, Kind, doch, geh’ mit; Du
bist noch so sehr jung. da kann die
Welt. die schöne, herrliche Welt noch
helfen.«
»Tante, ich kann nicht!" schrie sie
beinahe auf. »Denist Du denn, ich
veraiisze einen Moment, daß ich Ro
bert verloren habe? Glaubst Du denn
nicht, daß mich jedes Schöne, das mei
ne Augen sehen müssen, doppelt mahnt,
wie es siir mich tein Glück mehr aus
der Erde giebt? Ach, wenn ich doch
lanae, lange gestorben wäret Nun
soll ich leben, einen Tag nach dem an
dern, immer zu, immer zu, ohne « «
Sie schwieg.
Es war die erste leidenschaftliche
.lage, die ich von ihren Lippen hinte.
Die alte Frau hatte Charlotte’s hiinde
ergriisen, aber sie sah nicht zu ihr hin
unter; ihr Mund war sest auseinander
gepreßt und ein unsaglich bitterer Aus
druel lag aus dem seinen Gesicht.
»Wenn ich Euch helfen könnte, arme
Kinder, mein Herzblut gäbe ich ber«,
murmelle sie, »und sollte ich noch ein
mal all’ die Osahre voll Qual durchle
ben « - ich tsiitT wenn ich sie Euch
dadurch ersparte!« .
»Ju, Du hast Recht«. sagte Char
lotte leise, ,,e3 ist eine Qual dieses Le
ben. nach dem ich gewußt, wie unsa -
bat schön es sein kann; aber die e
Qual, Taute, sie lann nicht zu lange
dauern —— ich meine es muß bad
einmal ein Ende sein«
Die alte Dame lachte ironisch. »
»Es stirbt sich nicht so rasch, mein
Kind; ja das wäre wohl leicht und
schiinLaberso gut hat es m»ir Per
licbc OWU llichk gcmllclsL Dcll II( ucu
Gerechten nennen. Sieh mich an;
vor vierundzwanzig Jahren, da hätt’
ich auch schon sterben niöaen; es waren
Tage, wo ich mir an jedem einzelnen
den Tod herbeiwünschte: aber immer
weiter ging es, und nach jedem Tage
tam die Nacht, und dann wieder ein
Tag bis heute « nein, nein, mein
Kind, es ist noch lange nicht zu Ende,
und — - Du bist noch fungi«
Sie batte tief gereizt gesprochen;
jest hielt sie inne und legte ihre Hand
auf Charlotte’s Arm.
»Du bist noch jung, Charlotte, wie
derholte sie mit veriindertem. weichem
Tone, »und ich bin alt und bitter; Du
kannst noch tausend glückliche Stunden
erleben, nicht Jedem folgt das Unglück
io wie niir.'«
»Ich will iein Glück!« rief Charlotte
heftig. Sie stand plötzlich hoch aufge
richtet, der Kon war zurückgeboaen
und unheimlich spriihend fahren ihre
Augen unter den langen Wimpern her
vor; dann schlug sie die Hände vor das
Gesicht.
»Was sollte es mir denn allein?'«
stie sie hervor
ante Edith aber war aufgesprun
aen, ein unsiigliches Erbarmen la auf
ihrem alten Gesichte; es war, a s ob
die letzten Worte des Mädchens sie
aufgeriittelt hätten aus ihreniSchnierz.
ihr ein junges tief zerrissenes Gemüth
zeigend, das ohne einen eTrost, ohne
liebevolle StiiVe sich selbst verlieren
mußte.
»Charlottel«
Sie zog das Mädchen an sig aber
wie sie auch nach Worten su te, sie
wußte nichts zu sagen; ich sah nur, wie
ihre Lippen bebten und wie ihre zit
ternden hände über den blonden
Scheitel ftrichen. Unwilltürlich langte
sie dann nach ihrem Nähtischchen und
ergriff das Neue Testament, in dem
- sie sonst jeden Tage u lesen pflegte
s und das ie nicht au geschlagen seit
·ener Ung iicksituiide; und als ich diese
wegung sah, da wurde es mir Ieicht
; uni’s herz mit einemmale, denn das
das tief gottesfürchtige Gemütb Tanti
Edit ’s ich so ialt und seit gegen je
nen rost ver chlossen hatte, war inii
fast unheimli gewesen. Aber im sel
bigea Moment glitten ihre Iin er wie
der ab von dein kleinen, s warzen
Buche, nnd die Dände streckten si wii
abwehrend nach der Ihiir »aus. rei
lich, sie mochte wohl glauben eine Er
scheinung zu sehen, denn dort stand
düster, schwarz, gespensierhaft nn
heimlich - - Tante Dempfhoif l
Elsas wollte fie? Wie lam sie hier
Auch Charlotte, welche Tantes hef
tige Bewegung autgeschreckt hatte, sah
starr in die vergriimten Züge ihrer
Mutter; dann trat sie vor Tante
Edito, als molle sie diese den tu
den Blicken ver großen Frauengetalt
entziehen. Jene ging mit unsicher-en
Schritten an Charlotte voriiber Und
streckte Tante Edith die Hand entge
gen.
»Ich lamme, um in etwas meine
harten Worte gut zu machen die ich
zu Dir sprach, als Dein Sohn den
meinen erschossen hatte« begann sie
mit ihrer spröden, harten Stimme ohne
weitere Umschweife, und ließ die Hand
sinken, die nicht erfaßt wurde; »indet
sen, ich sollte meinen, in einer solchen
Schreckens-It nnde legt man die Worte
just nicht auf die Goldwage . Jch
weiß jetzt baß Dein Sohn nur ge
stounaen das Duell annahm, ich weit
ioie fern eH ihm laa mir dieses Leid
anzntbum weiß, daß nur ein nn
glürllicher Zufall L— link deshallz
iie iiieei inne iino ichopiie ne
thhein: »und deshalb«, begann sie
wieder, ,.war ich jetzt in V. und habe
Se. Maiestiit um Roberth Begnadi
giina aebeten: Robert ist bereits unter
weag nach Fölterode oder reist moraeis
aus E. ab. Ich hbsse, ich habe Dir be
wiesen, dasi ich ein Unrecht wohl ein
Zusehen im Stande bin, Edith ich
ich bitte Dich noch einmal wegen
jener hatten Worte um Verzeihung; es
soll nicht heißen, daß ich ungerecht ge
wesen bin "
Jante Cdith reate sich nicht.
»Ich baute Dir, Therese«, sagte sie
dann, und ihre Stimme klang beinahe
so hart als die, die eben verstummte.
»Es ist riihrend, dasi eine Mutter siir
’den Mörder ihres Sohnes bittet, und
sdaß Du hierher tommst, es mir u sa
igen, ist eine Ueberwindung Seiner
’Seibst - -'«
»Die Dii nicht erwartet hast«, vol
lendete Frau von Deinphoss und um
ihre-Libyen zuclte es.
Allerdings nicht« Therese, denn es
sind dreiundzwanzig «- ahre, seit Dein
Fuß nicht über diese schwelle gekom
; nen, und bis heute weiß ich noch nicht,
; wag ich Dir gethan, weshalb Du mich
«gemieden, als sei ich eine Ausgestoßes
ne? Ver.i,ieb mir, wenn ich Dir nicht
danken lann, wie ich es wohl sollte
; aber die Worte wollen nicht iiber meine
Wie-pen. Neulich, als Dein Lieblings
ssohn dort bleich und blutend lag, da
; waren alle diese Jahre wie aiisgelöschi
Haus meiner Seele, da war mein Heri
jiveich war ich noch fähig, Liebe zu ge
iben und Verzeihung heute ist ec
»i.-orbei, ich habe einen Stein in der
: Brust, und - und machtest Du mir
Theute noch einmal das herz iiieines
Kindes abwendig, wie vor Jahren, ich
wiirde es nicht inerlen, denn ich siihle
ni ts mehr!«
s war, als ob die alte Dame ge
wachsen sei bei diesen Worten, so im
ponirend stand sie vor der großen Ge
stalt der Saite-again
»O, wie mich das sreut. Therese«,
fuhr sie satt. »es Dir heute sagen zu
können; lange, lange habe ich mich da
nach gelehnt! Jch bin namenlos un
glücklich gewesen und Du warst Die
jenige, welche die meiste Schuld daran
trug; Dii hast mich aus meinem Va
terhaiise getrieben, bei Nacht und Nebel
habe ich es verlassen müssen wie eine
Ehrvergessenex Du hast mir die Reit
ineiner Wittweniahre ii der entsetz
lichsteii gemacht. Du hat es dahin ge
bracht, daß mein Bruder sich von mir
Eis-gewendet, Du, und immer nur
it ——«
»Tante! Taute!« rief Charlotte und
ergriff den ausgestreckten Arm der al
ten Dame. »Mama hat es gut ge
meint. liebe Tante!«
Frau von Demvhoff hatte mit ieis
ner Wimper gezuat, ihre grofse weiße
Hand lag ruhig auf der Lehne eines
Sesselz »Geh hinaus. Charlotte!«
gebot sie; ibre Augen fchwciften wie
suchend durch das Zimmer und blieben
an mir hangen. die ich angfterfiillt
hinter der Gardine des nächsten ; en
fters tauerte. »Nimm fie mitt« rie si«
hart und deutete auf mich hin. Jr
ftinttmäfzig erhob ich mich und s ritt
scheu an der großen Frauenaetalh
r-oriiber, deren finstere Blicke mir folg- ;
ten, bis sich die Thür hinter mir undl
Charlotte schloß.
Da saßen wir in Tantes Schlaf
zimmer und wagten kaum zu flüsiem
und Charlott« Blicke hafteten weit
geöffnet und angstvoll an der hohen,
braunen Thür, durch die wir eben ge
treten. Jin Anfang verstanden wir
nichts von dem, was drinnen gespro
chen wurde. Tante Edith’s arte Stim
me tlang wohl herüber, do die Worte
verhallten undeutlich. Aber dann feholl
ek- gewaltig und laut, ienes fpedde,
kalte Organ, das ich Prmlich iirchtete.
Eharlotte spran au und f ritt zur
Thur, aber die «nde fanten ihr hin
unter und blasser noch als fonft wand
te sie ihr Gesicht ab. Unwilltiirlich war
ich ihr näher getreten und nun drang
jedes Wort auch in mein Ohr.
»Ich habe ibn geliebt; —- wte fehr
-—- das weiß ieh nur allein; er überfal
enich Deinettoegen. Weißt Du wohl,
was Eiferfncht it? Du tann ei nicht
wissen, ich aber be sie dur koftet, ich
- kenne kene Qual, sie ist schlimmer als
: Wahn nn! Jch gehörte nie zu Drum,
die einen Mann lieben, um ihn iiber
den Reichsten zu vergessen, der uns Herz
nnd Hand bietet. und dann einen Eid
darauf zu schwören, dieser. und nur
dieser sei ihre einzige, erste Liebe en)e,
sen; ich war kein solches tiinde ndes
Gelchöph was ich einmal erfaßte, das
hielt ich fest. Betla hatte sich wenia
um mich bekümmert, aber ich tte ibn
nun einmal lieb, und diese iebe, je
weniger er mich beachtete, wuchs bis
ins Unendliche. Und trotzdem ver
lobte ich mich, trotzdem heirathete ich;
ich meinte start genug zu sein« es wa
acn zn tönnen« und stolz genun; es
sollte auch Niemand erfahren, daß ich
to lächerlich sei, ohne Gegenliebe. — --
- - Jch gab mir Mii , ich fing an zu
vergessen —--- bis ich · ich mit ihm zu
sammen fab. Da packte mich jene un
seliae Leidenschaft und sie bat mich
nicht verlassen, selbst nacb seinem Tode
nicht. Jch hätte Dich nicht sehen tän
nen, Editb, ohne meine Fassung zu
verlieren — ich weißt nicht, wer die
Bellanenswerthere aetvesen, ich oder
Du? Ja. wende Dich nur von mir.
Du warst ja stets- der-aneqr«isf aller
Tugenden, uno Du fant es- nian, oarz
die Frau, die das Herz des besten,
edelsten Menschen besaß. ihm untreu
war mit jedem Gedanken. Jch weifs
selbst nicht, wie es qeschahk wer heißt
ein solches Weh kommen? Jch habe
mit mir gerungen und gelämoft im
ewiaen Zwiespalt; ich habe gebetet,
Gott möae mir helfen, die unaliiclie
liae Neiguna zu überwinden um
sonst - umsonst; sie lief; mich nicht.
sie trieb mich ioaar, Dein Kind ans
Herz zu nehmen und es mit einer
Järtlichteit zu überschiitten. die meine
Kinder nicht tannten.«
Es war still geworden da drinnen:
man vernahm weiter nichts als das
leife, baitiae Ticken der kleinen Uhr
neben Tantes Vett
Ich sah, wie um Verftiindnift bit
tend, zu Charlotte empor war das
die kalte, herzlofe Frau, die jene Worte
sprach, aus- denen eS fo schwül her
über-wehte toie ein heißer, verfenaen
der hauch?
»Ich wollte Frieden haben, (7:sitb.
um jeden Preis«, fuhr sie fort, »ich
fing es verkehrt an: Dich nicht mehr
sehen und Robert nicht meist. und ich
wurde hart gegen alle Menschen.
Mutterhaft war Alles in meinem Hau
se, aber kalt, so kalt; mir iror am
meisten dabei, und mein Mann und
die Kinder sroren: und doch habe ich
teine Pflicht versäumt. habe sie lieb
gehabt - ich merlte es jetzt so recht,
da Joachim mir verloren gina."
Gortsetzung fol-1t)
Wann beginnt unfere Sklaverei?
Mit der Herrschaft unseres Eigen
sinns.
«- iik o- .
Der eigene Wert wird einem nicht
beider Geburt in die Wiege gelegt,
sondern man muß sich ihn erlämpfen.
I O If
Ein Vater in einem Landstädtchen
in Illinois hat sein sechste-Z Kind Ge
niigfamleit genannt; er ift offenbar
der Ansicht, daß fechse genug sind.
Grün-. Schuhe sind jetzt die neueste
Mode in Boston. Das ist gut für die
Augen; ob aber auch für die Hühner
augen, dag kommt mehr aus die Form
ais aus die Farbe an.
ti- c O
Jn New York sind in einem Jahre
gegen 500 Advotaten bei der Bat
Association wegen krummer Praltiten
angetlagt worden; und das nennt sich
»Rechts-Antvalt«!
si- e «
Der Taschendieb, der in New York
einem an seinem Pult eingeschlafenen
Polizei - Sergeanten die goldene Uhr
aus der Tasche zog, entwickelte einen
Humor, der eines Hauptmanneg von
Köpeniek wert ist.
I I O
Wenn eine Millionörin siir einige
Strümpfe 8115 bezahlen muß, dann
ist es die höchste Zeit. einen Verein
zur Unterstützung dieser Menschen
tlasse zu gründen; denn wenn die
Strümpfe schon so teuer sind, was
werden dann erst die Kleider, die
Hüte und die Assendinnerö toften!
O O
Wenn du die Gerüusche der Groß
stadt nicht mehr ertragen kannst, so
sei überzeugt, daß auch die grandio
feste Bergeinsamkeit dir aus die Dauer
Beklemmung weckt. Weshale Deine
Nerven beherrschen nicht mehr deine
Urnwelt, sie beherrscht deine Nerven.
s I I
i Das Darmstiidter Tageblatt ent
hielt die Anzeige: »Achtung! Laute
schlägerstrasze 32 sind noch verschie
dene Kleidertleidchen und Damenblu
sen zu und unter Fabrikvreisen abzu
geben. Die Kleidertleidchen sind für
Kinderkindchen bestimmt. Gibt ei
auch Blusenhlüschezit
König Georg von England ist zum
Ehrenmitglied der Aneient F- Doktor
able Artillery Eompanh von Boston
ernannt worden« hoffentlich kennt
er die «ruhrnreiche« Geschichte dieser
Güte-Truva die noch nie mit anderen
als tntt Limahohnen geschossen haben
soll, genau genug, tun die ihm wider
ishtmt Ehre würdigen zu ksnnerr.