Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 25, 1910, Zweiter Theil, Image 10

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    Kloster Wendhusen
Roman von W. Heimburg
(10. Fortsetzung)
herzzerschneidend klang diese wei
che, iiberzeugende Rede durch das
Iille Zimmer.
»Schon doch, Therese«, fuhr sie
hastig fort, »Du weißt ja gar nicht,
wie lieb Dich Robert hat, wie seine
Mutter! O, wie oft war ich eiser
iiehtig aus Dich, wie manchmal habe
geweint wenn er sich zu Dir
wandte --—«,! O, laß nach so langen
Jahren den alten Haß vergessen sein,
nebst steh’, meine Haare sind weiß ge-—
worden, seitdem wir uns nicht gesehen
es liegen harte, erbarmungslose Jahre
dazwischen; laß es genug sein! Gieb
mir die Hand, Therese, mein Robert
war es nicht, o nein, wie kannst Du so
etwas denken?«
»Mutter, schone sie«, hörte ich Ger
hardt leise sagen, »noch lebt Joa
chim; Du kannst sie tödten mit sol
chen Worten«
Jch ertrug es nicht mehr und lief
hinaus; als ich die Thür schließen
wollte, hörte ich einen gellenden
ret.
.Robert! Robert!" s-—
Tante Edijh rief es.
Wie gejagt floh ich den Korridor
entlang nach unserm Zimmer; unge
siiim öffnete ich die Thür. Mir war
es, als zerreiße das gewaltige Leid
meine Brust, wenn ich es nicht hinaus
schreien könnte: aber mein Mund blieb
stumm. Dort in der Mitte des großen
Gemaches stand Charlotte, nnd vor ihr
auf den Knieem das Gesicht in beiden
Händen geborgen, lag Robert.
Helles Sonnenlicht sluthete durch
die hohen Fenster nnd umwob die
schlanke Madchengestalt wie mit einem
Glorienscheinz da draußen zertheilten
sich eben die Wolken nnd goldener
Glanz flog über die herbstlich bunten
Wälder —- hier innen war es dunkle,
schaurige Nacht geworden.
»Rühre mich nicht an:« schrie
Charlotte jetzt unheimlich gellend auf
und wich zurück, als Robert ihr Kleid
ergreifen wollte. »Geh’! Geh’! ich
kann, ich darf Dich nicht sehen!"
Da sprang er heftig empor und
schritt wankend bis zur Thür. Noch
einmal wandte er sich um, unsagbar
traurig blickten seine Augen zurück.
«Chatlotte!« klang es flehend her
iiber·
«Geh’!« wiederholte sie tonlos und
ihre Hände streckten sich wie abwehrend
gären ihn aus. Da sloa die Thiir
"hnend hinter ihm ins Schloß und
lautlos sank Charlotte zu Boden.
«J»m nächsten Augenblick war ich
r .
«Cbarlotte, was thatest Tu?« rief
ich weinend. meine Arme um sie schlin
end. »Aus ihn zurück. laß ihn nicht
o fortgehen, sage ihm wenigstens ein
einzige-J gutes Wortl«
Aber sie stieß mich heftig zurück
und richtete sich empor:
»Er wird sterben, Joachim, und
ich bin seine Schwester!« —
Wie ein heiser-r Schmerzensschrei
klang dieses letzte Wort.
«Seine Schwester!« murmelte sie
noch einmal, die hände vor das
bleiche, gänzlich entstellte Gesicht le
gend.
Und als es Abend ward. da wehte
es unheimlich durch die dämmerigen
Gemächer des alten Klosters-Joachim
war gestorben.
Dann fuhr rasch ein Wagen in die
sinkende Nacht hinein; im Aebtis
sinnenhause aber slog llirrend ein
Fenster auf, ein blonder Mädchen
son bog sich hastig hinaus und schaute
mit brennenden. tbriinenlosen Augen
dem Gefährte nach. Der letzte rotlx
Schein der Abendsonne siel durch die
balbentlaubten Aeste der Bäume, so
tntenfiv roth und purpurn wie das
Blut. das zwischen ihnen geflossen
und das sie scheiden mußte für alle
seiten, die Beiden, die sich kaum ge
binden
10. K a p i l e l.
Das Beqräbniß war vorüber, der»
Dust strena riechender Blumen und
der Oranaerie, die um des Todten
Sarg gestanden, versloa durch die al
lerwiirts aeöfsneten Fenster, und ein
Wagen nach dem andern fuhr mit sei
nen schwarz gekleideten Jnsassen wie
der sort; es waren meist die Gutönach
barn gewesen, aber auch einige von des
Verstorbenen Kameraden; freilich bat
te man von dieser Seite nur eine sehr
geringe Theilnahme bezeigt.
Tante Cditb saß in ihrem Sessel
am Schreibtische noch genau sv ihrs
nrnlos und starr, wie an dem Un
giiickstnae selbst; Charlvtie und see
hatten sich noch nicht gesehen.
Gerhardt war öster bei unt ein
getreten in dieser schweren Zeit. aber
Tante hatte kaum Antwort gegeben
aus seine iheilnebmenden Fragen. sie
berührte weder Speise noch Trank:
es war ein jammervoller Zustand.
Ich wußte, daß die Damen aus der
Pisa bei den Trauerseierlichkeiten zu
aewesen waren, ich hatte aber
M bei Tante Editb gesessen. Nun
regte es mich, Eberlvtte zu sehen,
nnd da Tante unbeweglich mit ge
Mvsenen Augen retbarrte· und es
· traf aller möglichen Les-suche niyi
qui Mie, auch nnr nen Blick
- m be zu ers-alten, so stahl ich mich
Us- m dein Zimme- III vielleicht
ein paar Worte mit Charlotte sprechen
zu können; auch ich hatte sie seit jenem
Abend nicht wiedergesehen.
Als ich den Korridor hinunterschritt.
um nach dem Aebtissinnenhause zu ge
langen, stieg eben Ferra die beiden
Stufen empor. Sie war in einer tief
schwarzen, schleppenden Wollrobe, ein
schwarzer Spitzenschleier lag auf dem
üppigen Haar, das golden durch die
düstere Unthtillung leuchtete; an der
Hand führte sie ihr tleines Söhnchen
Es war zum ersten Male. das-, n
Mutter und Kind zusammen erblickte:
der reizende Junge mit dem blonden
Lockeniöpfchen trippelte zierlich neben
ihr her in seinem weißen. mit einer
mächtigen schwarzen Schleife detorir
ten Kleidchem am Arme trug er einen
Kranz von späten Rosen, die ihre
prachtvollen, mattgelben Kelche schwer
herniederbingen.
J.b trat zu Ferra und fragte nach
Charlotte. Sie hob den Kon und sah
mich an; auch nicht die leiseste Spuk
einer Thräne hatte die schönen Augen
geroihet; es lag in ihrem Gesichte ein
Anspruch der grell mit ihrem ver
ztveifelten Gebahren am Sterbenrge
logtrasiiriq sie sah völlig getriistet4
au . «
» ,.Charlotte istin der Bibliothei oder»
im. weißen Saal«, antwortete sie: »e«-;
toute sehr vernünftig, sie nähme sichs
ein wenta mehr zusammen, aber es ists
nicht möglich, ein aescheites Wort mirs
ihr zu sprechen. nicht einmal zur Gruft -
will sie mich begleiten; versuchen Eies
es. mit ihr. — Komm« mein iiiszerj
Liebling, nsir wollen Onkel Joachims
Blumen bringen« Sie nieste mir zu
und-gin3 weiter. ;
««-zu Unter Joachim qenenk- Jauchz
te der Kleine. während ich hinunter
schritt und die hohe braune Thiir öfi ;
nete zu dem Zimmer in welchem Joa
chim gestorben war Erst heute hatte;
ich einen Blick siir die Einrichtung des »
selben, es durchmaß die ganze Tiefe
des Aebtissinnenhausesx der grünes
Sommetvorhang schied es in zwei.
Theile; der vordere war zur Bibliothel
eingerichtet, rings an den Wänden:
Büchergeitelle von geschnitztern Eichen
holz, mit zahllosen Banden angefüllt;:
der Theil. in dem die Fenster sich be ?
sanden. bildete ein trauliches Herren
zimmer welches Möbel enthielt, wie
sie wohl zu Anfang dieses Jahrhun
detts Mode gewesen waren, mit Bronss
zederzierungem eingelegten Staatens
und gewaltigen, vergoldeten Löwen Z
llauen. die sich trotzig aus den weichen, «
grünen Teppich stemrnten. i
Ueber dem großen Schreibtilch
hing das Bild einer Frau es zeigte-;
die strengen Züge Tante Therese S, in;
nichts gemildert durch den Schmelz der?
Jugend, der iiber dem regelmäßigen
Antlitz lag: köstlich weiße Haut rosia
angehaucht wie Apfelblüibe glänzend
braunes Haar um das volle Otal aber
die Augen lalt und grau und die Lip
pen fest zusammengepreszt wie noch
heute.
Jch fah mich nach Charlotte um«
sand sie aber nicht. Die Flügelthijren
nach einem Nebenzimmer standen ge
öffnet, ich trat hinein; es war ein gro
ßer Saal, den ich überblickte, und hier
wa r die Leiche ausgebahrt gewesen:
Blumen laaen noch auf dem Parquet
und maisenbaste Kerzen flammten aus
Gruppen von Palmen und Lebensdau
men, in deren Mitte der Sarg gestan
den batte. Von der Decke hing ein
Kronleuchter herab; auch hier brann
ten die Kerzen und flatterten zu den
schwebenden Engelsgestalten der reich
krnamentirten Stuckdecke empor: eben
so waren die weißen Wände iiberreich
mit Stuelfiguren verziert; tanzende
Nymphen, filchlchwiinziae Undiner
und leichtaeschiirzte Bachantinnen
tauchten aus uppigen Blätterranten
und zierlichen Arabesken aus, safi zu
weltlich fiir den ehemaligen Gesell
lchaftzsaal einer oielsrommen, M
würdigen Achtisssm s
Jn der Fensternische stand unbe
weglich eine schlante schwarze Gestalt,
die Stirn an die Scheiben qepreszt - «
Charlotte. Ich trat leise zu ihr und
schlang den Arm um sie. Sie sah zu
mir herunter; ich erschrak ——- was hat
ten drei kurze Tage aus dem blühen
tsen, schönen Mädchengesicht aemachtt
kUm zehn Jahre schien sie aealtett, mit
dem wachsbleichen Teint den blassen
Lippen nnd den etloschenen Auges-.
Sie sehte sich aus eine der aepolsterten
divanartiaen Bänke, welche in den
Fenstern-sehe standen, zog mich an
sicki end behielt meine hand in det
itzt-en
,.Mama ist mit Gerbatdt neben
an«, sagte sie leise und deutete aus
eine nur angelehnte Thür, »un( Joa
chim’i Verhältnisse ordnen zu hel
senx es lam so ein ganzer Wust von
eiliaen Briesen. Es ist schrecklich, da
liegt er kalt und bleich, und die Ueber
lebenden müssen alle iene ———« Sie
schwieg, als hätte sie schon zu viel ge
sagt.
»Du solltest hinübergehen, Maine-"«
hörten wir Grtbnrdts tiefe Stimme,
,.es ist nichts siir Dich, in ienen Sachen
dermnzusuebenx laß es mich all-in be
soraen.« ·
«Nein!« erlliitte sie kurz, »ich mi
sehen, wiezweit es — gekommen war
»Mutter!« Es tlana so weich. «Das
isi vergeben und vergessen, fett deuten
« wir an das Gute, das ihm eigen war.
an sein frisches, fröhliches Wesen, an
die Verehrung, mit der er an seiner
lMutter hing· Nicht wahrt«
»Ich will nicht«, erwiderte sie, ohne
seine Worte zu brachten, daß Du Sor
gen hast seinetniegenz was mir sein
Leichtsinn noch gelassen hat von mei
nem Vermögen, steht Dir zu Gebote
Gieb mir die Briefe.«
»Ich danke Dir«. antwortete Ger
hardt, »aber es würde einen zu gro
ßen Theil Deiner Einkünfte hinweg
nehrnen, es ist mehr als Du denkst." .
Während mehrerer Minuten blieb
es still dort, nur das Knittern von
Papieren unterbrach das Schweigen,
kann ein turzes, heftiges:
»Was ist hast« j
Und gleich daraus ein besehlendesn
»Sieh mir die Briese zurück, ich!
will Klarheit haben! -- Wechsel mit
gefälschter --- - ?« .
Die Stimme hrach bei den paar
letzten Worten, daß es schreiend und
undeutlich von den Wänden wieder
hallte.
Eine lange Pause entstand.
«Weiß ein Mensch· Gerhardt. weiß
ein Mensch davonf« sragte fie nun
tonlos.
»Mein-int- liehe Mutter. Noch an
demieLben Morgen, als mir jener
enorm-ne Brief zuging - Du weisttf
ich aebe arundsiiylich nichts aus ans-s
name Anschaldiaungem aber hier ta
men Umstände hinzu. die mir leider
diese Angaben nur zu wahr erscheinenl
ließen. Jch nahm Joachim hierher sinds
s aber las; es doch. Mutter, die Wech
sel sind bereits in meinen Händen —-.«
..Weifit Du auch. Gethardt!« schriel
sie geltend auf, «tveißt Du auch. daßl
ich Gott danten muß auf den Knieen.«
daß Er ihn hinaenommen? Daß noch
teine Mutter so ungliictlich war wie
ich? Allmächtiger Gott. ich danle Dir
daß Du die Schande nicht hast offen
tundia werden lassen! Und der ist
mein Sohn netoesem den ich geliebt nnd
gepfleat, aus den ich fo stolz warf
Um den ich beinahe wahnsinnig wurde
vor Schmerz, alo " das Letzte er
starb in wimmerndem Schluchzen.
»Er war jung, Mutter. verwöhnt,
er hatte llngliick s- — es lornmt so
leicht, daß -- ——«
»Niemal5!« tief sie laut und
schmerzlich »Es darf nicht lommen
daß ein Mensch vergißt, was er sich
toas er dem ehrlichen Namen seiner
Eltern schuldig ist! Er ist ein Ent
arteter gewesen« der Erste in der lan
gen Reihe seiner Vorfahren, er hat
Schande auf sie alle gebracht, er -
O. Du glaubst es nicht, Gerhardt«,
fuhr sie leliser und hastiger fort, »was
ich fxir Llnast um ihn qehabtz meinst
Du, ich hatte seit Jahren eine Nacht
geschlafen vor Sorgen. wie ich seine
Forderungen befriedigen sollte? Meinst
Du, ich habe noch Steine in meinem
Schinuethrsten?« — -- Sie lachte laut
auf. »Nichts-! Und doch, und
doch - ! Wie lam es mit dem
Duell.20 fragte sie nach einer Pause·
Gerhardt schwieg einen Moment.
«Joachirn hat Robert befchnldigt«.
begann er darauf, »er sei der Schrei
ber eines anontnnen Briefes gewe
sen. Robert wies die grobe Unschul
digung zuritet und gab schließlich fein
Ehrenwort worauf Joachim die Ach
fein gezuckt hat. Die Folge war na
türlich: Robert nannte ihn einen elen
den Buben!«
»Und Joachim forderte ihn?« un
terbrach ihn Frau von Denn-hoff
»Ja! —-— Etwas ur Besinnung ge
kommen, versuchte obert. ganz gegen
seine Grundsätze die Sache giit ich
beizulegen, aber vergebens. Leider er
fuhr ich zu spät davon. ich hätte sonst
init Aufgebot aller Mittel das Duell
zu verhindern gesucht. An Ort und
Stelle haben Robert sowohl wie die
Sekundanten noch einmal Alles ge
than, um einen gütlichen Vergleich her
beizuführen. den Joachim aber in ei
ner Weise unmöglich machte, welche
unter Kavalieren teine Wahl mehr ge
stattet. Mit den Wortene «Gut denn.
ich that das Mögliche«, fügte lich Ro
bert und wurde im ersten Gange von
Joachim leicht am Arme verwundet,
nachdem er selbst absichtlich über deu»
Siovt seines Gegners hinweg gelchossenl
hatte. Jni zweiten Gange feuerte»
Joachim, erbittert iiber die ihm bewie-;
lene Schonung-, ohne das Kommando
» abzuwarten, aber auch ohne Robert u
» treffen, welcher lehr ruhig seine Waffe
lhob, in der Absicht, den gefährlichen
Gegner nur lo weit zu verwunden, um
ihn unschädlich zu machen. Robert
ist ein vortrefflicher Pistolenschsthe,
laber in demselben Augenblick, als
sein Schuß fiel, hatte Joachim einen
Schritt zur Seite gethan und faul
sofort zu Hoden-«
»Gott bat ihn zur rechten Zeit
hingenommen«, unterbrach di raueni
stimme kalt, fast grausam. »ch will
nun wissen, wie vie ich betzugeben
habe, um ihm wenigstens vor der Zelt
ein unbelcholtenes Andenken zu sichern.
Was ich bellte- iteht zur Vertilgt-un
Gerhardtx wir-werden uns einschrän
ken, Ferra, Eharlotte und ich-» heute
Abend erwarte ich Deinen Bericht.«
Sie ltand pliiflich in der Saaler
wieder hoch autzzerichtet und Stolz: sie
sah uns nicht« hre Augen hingen an
der Stelle, wo der Sarg gestanden;
dann schritt sie hiniiber und begann
eine Kerze nach der andern zu löschen; »
ein bitteres Lächeln spielte dabei um!
ihren Mund.
.Lorbeeren!« sagte sie ironisch, «es
ist Alles Liige im Leben, Alles «--«
Angstdoll barg ich mich hinter der
Gardine, während Charlotte regungs
los verharrte. nur ihre Augen solgten l
dein Thnn der Mutter· Aus einem
Stuhle lagen Heim und Säbel des
Verstorbenen; die duntle Fraumu
sialt betrachtete düster sinnend »jene
Ehrenzeistiem die den Sara des Ossiii
ziere geschmückt hatten, dann qina
plöhlich ein Wanken diirch die hohe
Gestalt, iie sanl in die Knie vor jenem
Stuhl und legte die Arme um den
glänzenden Helm; Ioie liebtosend
schmiegte sich ihre Lange an den tat
ten Stahl, nnd ein bitterliches Weinen
scholl durch das stille Gemach - er
eoar ihr zweifaeh aesiorbenl
Eharlotte zog mich leise und hastig
hinaus.
»Sie darf nicht wissen, dass Du sie
gesehen hast, Lena.«
Kommst Du nicht einmal zu
Tante Cdith?' hat ich slehentltch.
.Sobald ich mich start genna siihlex
seht lasz mich'. erwiderte sie und he
aann die Treppe in den unteren Stock
hinabzusteigen
.Willst Du in den Klostergarten?«
seagte ich: sie nicktr. nnd so wander
ten wir schweigend durch seine stil
len Gänge, aber wie anders als sonst.
Dann stand Charlotte plötzlich still
und griss hastig mit beiden händen
in das fast entlaubte Gebüsch. aus
dem aleidnvohl noch zahllose späte
Windenbliithen leuchteten, als müsse
sie sich festhalten. Von jenseits der
Mauer tlang eine frische Knabenstiw
me herüber:
Da flog ein wilder Falle
Hoch Tiber mir dahin;
Full. schaust Du meinen Liebsten,
Saa« ihm, treu wiir’ mein Sinn.
Wo Eichen steh’n und Vuchen,
Da bliiht Wildroslein roth,
Und soll ich Dich nicht lieben
So ariim’ ich mich zu Tod«
Da rollten auch über ihre War-gen
die ersten schweren Thriinen.
«Kornm’, bat sie, .ich will zn Tante
Edith.«
11. Kapitel.
Wochen waren vergangen und der
November hielt seinen Cinzuq mit
einem Mächtigen. großslockigenSchnee
gestöber. das lustig um die alten hohen
Bäume des Bartes wirbelte. Durch
die kahlen Zweige tonnte man die wei
ßen Mauern der Van schimmern se
hen, und hinter ihr erhoben sich, wie
ein unveränderlich-er grauer Hinter
grund, die Berge; man hätte meinen
tönnen, es steige hinter dem grauen
Hause ein schwarzes Gewitter empor.
Jm aiten Kloster sah es traurig
aus«-; Tante Edith blieb wie im
Schmerz erstarrt, und teine Liebto
sung, teine Schmeichelworte schien sie
zu bemerken; ich schmiegte mich zu
weilen an sie. wie damals das Mis
chen, als iie wähnte, am unglücklichsten
zu sein. aber heute vermochte nicht ein
mal ein Menschenkind ihr armes
lranies Herz zu rühren; sie strich
höchsten-i- einmal flüchtig iiber mein
Haar. Seit einiger Zeit hatte sie zwar
das Strickzeug wieder zur band ge
nommen, aber sie besuchte weder ihre
Armen und Kranken, noch mochte sie
einen fremden Menschen sehen, und so
tarn es denn, daß ich bei Wind und
Wetter durch das schm ge Dorf
schritt, in die iitten der rmen trat
und mich allm blich gewöhnte, mit
ihnen zu verkehren
Gottlieb war rnein treuer Begleiter
und fchiitzte rnich vor all u großer Un
verschämtheit, denn no verstand ich
es lange nicht, u beurtheilen, wie
viel und was hel en tonnte
Selbst ihren Kirchgang hatte Tante
Edith eingestellt.
»Gott tennt mich doch nicht!« sagte
fie diifter und ftrich mit der Hand ihre
weißen Haare zurück. Das war eine
traurige Zeit und wie oft habe ich
mich in mein Zimmer gefliichtet unds
geweint vor lengft und Herzweb ;
Von Gottlieb erfuhr ich erft nae j
vielen Tagen, wie es Robert ergehe.
und ein Entfesen ohne Gleichen packt
mich, als er mir erzählte, dafz Robert
ein-:e gerichtliche Strafe zu erdulden
ha .
j »O, nrein Gott!« rief ich, «er konnte
»ja nichts dafür, er hat es nicht ge
wollt.«
»Ja freilich! Aber das ifi e al'«,
erwiderte der alte Mann, »Den ta
ift ani Abend des Sterbetages iri die
Stadt gefahren Init Deren Gerhsrdt
und hat fi feldft anfezeigt und —
ja tvas wei ich es, tv e es da sugeht
-·—-. hetr Berla hat ein halbes Jahr
Festung betonte-um«
Jch schrie entfth auf —
,.Er fi t im Ge"ngnifz, in einem
kalten, d fieren erließ, ohne Licht,
bei Wasser und Beodt«
»Es ift nicht fo sfchlirnrm Fräulein
chen, es ist nicht o fchlitnm«, beru
ht te Gottiieh. »Er hat ein warmes
. rnmer und darf spazieren gösäen
und essen, toas er will; Gott be t,
a ist m- ais-i im Zucht-mi- -.«
»Weisk Tante und Clmklotte s W?
»Die Frau Tante gewiß undi
Fräulein Charlottchen wohl auch, sie
reden nur nicht davonf·
Arme Charlatiel Täglich nun frei
zu einer bestimmten Stunde durch
den Pakt und mit Ungeduld wartetei
ich dann ain Fenster, bis ihre schlank
schwarze Gestalt hinter der Bieaung
des Weges hetvottratx sie ging so
müde jetzt, und jedesmal. wenn ich sie
sah. war es mir, als sei das seine Ge
iicht noxti schmaler und durchsichtiger
geworden. Und wenn sie inni. dann
setzte sie sich zu Tantes Füßen und
sprich von gleichgültigen Dingen,
während ihr doch die leidenschiistlichste
Klage aus den dlassen Lippen
schwebte.
Gerhardt schien ties beliirninert iider
diese Veränderung; er theilte seine
Zeit zwischen dein Geschäfte und der
Schwester. Ost hielt sein leichter Wa
gen vor dem Gitterthor, um sie und
mich spazieren zu fahren; dann der
mied er sorasiiltig den Weg einzu
schlagen, dessen Wegweiser besagte:
iach Föllerode 4 Meilen. Denn
wußte er auch nicht genau, so ahnte
er doch, daß Charlotte’s Trauertleider
mehr einem süßen gestorbenen Glück
als dem Bruder ereilten, und riihrend
war der akasze, stattliche Mann in
seiner nimsnermiiden Anfmertsanleit
iiir das blasse, schöne Mädchen und
die greisende Frau irn alten Kloster
,,Jch dante Ihnen Cousinec sagte
er eines Tages zu mir; «Sie sind gut
und freundlich zu charlotte Sie
glauben nicht, wie glücklich es mich
macht, dies zu wissen.«
»O, ich lann ja gar nichts thun«.s
llagie ich.
»Sie thun schon genug; oder meinen
Sie, ich hätte lein Auge dasiir, zu be
merken, wie Sie Charlotte eine Blume
bringen. ihr Geschichten aus Ihrer
Heimatl) borplaudern, Tante jeden
Wunsch an den Augen ablauschen oder
ibr ein Liebling-geruht in der Mich
bereiten’«
»O. das iit doch selbstverständlich!«
sagte ich, roth werdend; er hatte se
warm gesprochen.
»Ganz gewiß, Cousine. aber eg
freut mich doch.«
Auch Ferra war einmal zur Tante
gekommen, um der »Unqliicllichen",
wie sie sieb ausdrückte, einige theil
nebmende Worte zu sagen. Sie er
schien dliislich wie ausgetauscht ge
gen früher, war don einer eleganten
Sicherheit und dabei die überziirts
liebste Mutter geworden, die man
sich deuten konnte. Während sie sriii
her sich in Klagen erging, waseaus
dem Jungen werden sollte ohne jeg
liches Vermögen, sprach sie jeyt mit
einer wahren Begeisterung davon, wie
gern der tleine Schelm Pserde habe
und Kübe. und dasz ganz qetvisz ein
tüchtiger Landtvirtb in ihm stecke. Und
als ibn Gerhardt eines Tages aus den
Arm hob und sragte:
»Was will der Junge werden?"
Da wurde des Kindes lachendes Ge
sicht ernsthaft und es sagte sast ans
dachtigt
.Outel Gerhardt!«
Ferra lachte überlaut ob aus Ver
legenheit oder reude iiber des Kindes
Antwort, war chwer zu unterscheiden;
Gerbardt aber seßte den Knaben auf
·oie Erde und ein eigenthiimliches
Lächeln spielte einen Moment über
seine Züge
Es war an einem schneeig-n No
vembertage, als sie diesen ersten Be
such im alten Kloster machte. Char
lotte saß wieder zu Tastei Füßen
Ispk Getbskdt Mk »Es-L Ists-chi
oceir sur eme weiqnnmrsorsazerrung
zu interessiren, die er zu veranstalten
beabsichtigte: aber sie wehrte iur ab.
»Nein, neik Gerhardt, lasz mich, ich
mag ieine tchter und leine Freude
schen, Magdalene iann Dir belien.«
Jch hatte mir eben ein paar Stiihie
in die Mitte des Zimmers gestellt.
Garn darum geichiunqen, und gingsp
es zu einem Knäuel auswiaelnd, nach
Kinderart immer im Kreise um diei
Stuhle berum. «
»Ich will Ihnen helfen, Cousine",
sagte Gerbardt, und im nächsten Au
genblick hielt er das Garn aus den
auseinanderqebreiteten Händen und
sasz vor mir in einem Sessel. Er
lächelte dabei, und selbst über Char
lotte’s blasses Gesicht slog ein freund
licher Schein, als ich, vor ihm stehend,
;tapser daraus los wickelte. Das ging
sreilich noch einmal so schön als vor
ber« aber dann war er nngeichickt und
liest ein« e Sttshne sallen, und nun
gab es e n Wirksal. »Ist saisen Sie
sich in Geduld, cetter«, bat ich und
beugte mich iiber das Garn; das
Knäuel mußte wohl hundertmal durch
gesteelt werden, und immer noch sass
der Faden sest. »Mit Geduld und Zeit
wird’s Maulbeerblatt zum Atlaitleid«,
bemerkte Vetter Oerbardt sehne-nd
als er mir ansah, daß ich ltib lich
wurde; er saß auch so gemiitblich da
bei. Ich siiblte, mir stieg das Blut zn
Kons; «Geduld ist ein edel Kraut,
wächst aber nicht in allen Gärten sagt
Ebriitine«, eriliirte ich und riß unge
duldig an dein Garn.
»Dann muß es gepslanzt werden«
bemerkte Gerbardt unerschiitterlich;
»nur nicht so bestig, daß der Faden
reißt!«
Jch bog mich beschämt noch tiefer
herunter, dabei hatte ich wohl den
Eintritt Ferra s überhörtz ich sah erit
aus als diese dicht neben Gerhardt
ltand und ihre blitzenden Augen über
rascht und befremdet von ihm zu mir
flogen.
»Das ist ja sehr allerliebsi und ge
miithlich!« sagte sie gedehnt, eine
Jdnlle a la Los Mama sitzt drüben
und wartet sehnlichst, daß Du ihr ei
nen Brief an ihren Rechtianpalt auf
setzen sollst, nnd Du — —-—
»Und ich habe das bereits besorgt!"
ergänzte er, »und Mutter hat ihn schon
langst zur Post geschickt. «
Sie drehte ihm unwillig den Rücken
Und wandte sich zu Tante Edith.
»Liebe Tante, ich sprach Dich noch
gar nicht seit jenem Unglückstage«,
begann sie und legte einen Augen
blick ihre schlanke, weiße hand auf den
Arm der alten Dame, die eifrig strick
te. Diese hielt mit der Arbeit inne
und sah die schöne Frau wie fragend
an.
»Du mußt Dich nicht so furchtbar
grämen, liebe Tante«. fuhr sie fort;
»es ift ia sehr traurig, wir Alle sind
ton dem Schlage noch ganz Fassungs
los, der arme Robert zumal —
Tante hatte schweigend ihr ctricks
Jena hingelegt und war aufgestan
den:
»Ich weise schon Kind ich weifz
schon nas Du willst, aber last mich,
ich tann nicht davon reden.«
ilnd im nächsten Augenblick war
sie in ihr Schlaszimmer gegangen und
der tleine Riegel schob sich vor die
Thür.
Himmel! Tante thut gerade, als
lage ihr Zahn da drübenC knurrte
Ferra e- nvfindlich. »Es ist ja, gelinde
gesagt fürchterlich ietzt in Wendhufem
tein Mensch redet ein vernünftiges
Wort, Mama ift noch fturnmer und
tölter wie je —— mein Gott es isi sa
geradezu sündhaft, sich so gehen gu
lassen als ob uns der Herr mit Joa
ehim Alles Allei, genommen hötte.«
Während dieses Vortrages wickelte
ich ehen das legte Garn von Ger
hardts Händen und sagte ihm ein
freundliches; »
»Dann samm
»llebrigens G rhardt, es ist gut,
dass ich Dich tressec sprach Ferra eis
rig weiter und hielt ihn arn Aermel
mit ihrer kleinen hand. .Da sagte mir
meine Anna eben, Du habest ihr ge
kündigt? Jch mußte laut lachen, aber
die alberne Person sitzt und weint und
betheuert, es sei doch so, der gnädiae
Herr habe ihr gesagt, zum nächsten
Termin sei sie entlassen. Was ist denn
das siir ein lächerliches Mißverständ
nisz?«
lFortsetzung solgt.)
-
Ein Wunderwerk.
Mit größerem Rechte als die «sieben
Wunderwerte« des itliterthurnsi kann
die neue hängebriicke über den Dud
sonstroin, welche den Staat New Jer
sey mit der Stadt New York verbin
den wird, als ein solches bezeichnet
werden. Jm Vergleich zu diesem
«achten Weltwunder« schrumpst selbst
jenes großartige Wert der Juge
nieurstunsi, die von allen Besuchern
der ostlichen Metropole angestaunte
Brootlyner Brücke, an Bedeutung zu
sammen. Seit Jahren ist die Dud
sonbriicke geplant, die Aussiihrung
aber immer wieder verschoben worden,
bis seht endlich der Bau in Angris
genommen wurde, um möglichst ras
vollendet Zu werden. Die Kosten der
neuen Brücke werden sich in runder
Summe aus zehn Millionen Dollars
belaufen, aber in ihrer Vollendung
wird sie einen glänzenden Triumph
des technischen Fortschrittes bilden.
Sie wird einen ganz neuen Typ des
Brückenbaues darstellen. Auf vier ge
waltigen Thürmem halb Stein und
halb Stahl, die sich vom Fundnment
gegen 800 Fuß hoch erheben und in
ihrem Aussehen an den berühmten
Eifselturm in Paris erinnern, wer
den die acht Riesentabel aus Stahl
draht ruhen, die sich in graziöser Kur
oe über den mächtigen Strom schwin
gen nnd die beiden, 140 Fuß breiten
Brückendecken mit stählernem Gitter
werl tragen.» Die Brücke wird in
Schienenwege für die eleltrischenStra
szenbahnem Fahritraszen und Fuß
piade eingetheilt sind, und hunderttau
send Personen werden sie stündlich
spassieren können, ohne das Gedränge
entsteht. Der Fnßgdnger muß stramnr
marschieren, wenn er in einer halben
Stunde hinüber gelangen will. Wa
gen mit Pserdegespnnn werden zwan
zig Minuten, Trollehwagen siinszehn
Minuten dazu gebrauchen. Bettle
vards und Knnststraßen aus vier geo
szen Counties in New Jersey und ans
New York werden auf der Beiicte ans
miinden. Jedes der Nabel vermag ein
Gewicht von 40.000 Tonnen »in tra
gen, wird zwei Fuß im Durchmesser
haben nnd aus Mnriaden parallel lie
gender (nicht zusammengewundener)
Drähte bestehen
-—· rasilien weist mindestens 22,
000 us feinem Boden einheimische
Psia narten aus.