Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 18, 1910, Zweiter Theil, Image 9

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    Nebraska
Staats— Anzeiger und J set-old
Zaum-Um 3·l Grund Island Rein-. 18 Jiovember l 9.I0 eZweiter (Theit.) Nummer 13.
TS
Wie so kalt und grait der
Morgen.
Von StineAndresen.
Wie so kalt und grau der Morgen!
Wolken zielfn am immelszeli,
Schwer als trügen die Sorgen
Mit sich fort der nanzin Welt.
Und die Sonne kann nicht siegen;
Trüb und bleiern liegt das Meer,
Dniber weiße Möwen fliegen
Gleich Gespenstern hin und her.
Nund erkling» wie feines Weinen,
Aus der Wolke bri « hervor;
Meer nnd Himmel ch vereinen
Unter diisset’m Trauerflor.
Leis beschlecht auch mich ein Trauern,
Mir vom Aufs vie Thräne tinni. -- -
Herz, was macht so bring dich Manch
Ahnsi du, daß dein Herbst beginnt?
W
Heimathbrot
Von KiitheDaan
»Ein Brief filt Sie, Frau Bach- .
mann. «
Die noch jugendliche Frau, die, aufl
der eleganten Marmortreppe tnieend,1
die Stufen blanl rieb und den Staub ’
von dem roten Länfet aufnahm, streck
te dem eilig eintretenden Briefträger
die abgeatbeitete Hand entgegen und
ließ den Brief feufzend in die Schür-l
zentafche gleiten. Wenn sie fertig war
—-— dann follte er gelesen werden --— als I
Frierabendgabr. Ader noch mußte sie
Waffen der Hauswirtb war ein drin-l
licher Mann, und sie mußte tüchtig(
schosstm sich die Stelle zu erhalten.
»Was das Liriseben wobl fchreibt
—- boffentlich Gutes.«
Sie wischte sich den Schweiß von
der Stirn und ftrich sich die dunllen
Haare zurück, dann arbeitete sie wei
ter, emsig und unverdrossen.
Nun war noch der Fußboden naß
zu wifchen, die Geländer und Winken
zu patien. Hin und wieder tanr je
mand mit einem Urtftrage -— auf die
Stine Bachmann Befcheid gab und l
nun — -— die Schatten des Abends be
gannen sich über die breite, neue Stra
ße zu legen, ftieg sie in ihre kleine, aus
einer schmalen Kammer und Küche be
stehende Wobnung hinab.
Nur erft ein wenig ruhen —-— diej
Leiden letzten großen Scheuertage derl
Woche ftrengten lehr an, Treppen,Hof,
Torwege, alles mufzte blitzfanber fein.
Stine ftellte eine Kanne mit Kaffee
über den kleinen Gaslocher, legte ein(
Butterbrot daneben und fanl einen
Augenblick auf einen Stuhl, der zwi
fchen dem elettrifchen Läutewert der
Hausthiir u. dern Haustelephon stand.
Sie legte die beiden abgezehrten Hän
de auf die schmale Brust, die feit Wo
chen lebe lchmerzte, und kämpfte mit
einem irampsartiaen Huftenansall s
Ein Schluck warmer Aassee brachte?
ihr etwas Linderung, dann holte sie;
den Bries aus der Tasche und entsai- i
tete einen Bogen schlechten Papiers.;
»Meine liebe Mutter. Ich freue mich, j
daß es Dir gut geht, aber ich mag es»
nicht« dasz Du nicht auch hier glücklichs
bist· Jch wiirde dann noch weit glück- ;
licher sein. Hier ist es wunderschöns
Ein Garten so voll Blumen. Tante «
Dore ist sehr gut zu mir. Jch dars
immer Milch trinken, sie hält Kühes
und drei Ziegen, Hühner und Schwei
ne. Es ist hier weit schöner als in
Berlin. Tante sagt, du solllt auch
hierherionnnen, sie hat die Ober-Gie
belstube leer, die Dorsnäherin ist ge
storben, Du würdest durch Schneidern
viel verdienen können und ich würde
Tante Dore in der Wirthschast helfen.
Alles tann man im Sonnenschein ma
chen. Tante Tore hat eine Laube.
Da setzen wir des Abens. Jch bin
aber immer traurig, rocil Du nun
alles alleine thun mußt. Liebe Mutter,
ich habe der Tante Dore gesagt, daß
ich sie bitten werde, Dir ein Stück
Landbrot aus der Heimat mitzubrin
gen, sie will den Tag, wo ich sott muß,
frisches Brot backen, und ich soll ein
ganz großes mitbeiommen. Alles
andere erzähle ich Dir, wenn ich wie
der bei Dir bin. und bleibe mit Grü
ßen von Tante Dore Dein liebes
Luischen.«
Die Tränen waren Sttne Bach
mann in die Augen getreten, brennen
de Tränen, trotzdem der Brief doch
nur gute Nachrichten brachte. So
tie sie auch geweint, ais vor vier
chen der turze Brief von Tante
Dort gekommen war; Stine holte ihn
aus der Kommode, wo er irn Gesang
bnch lag, und studierte die unbehol
sene Schrift noch einmal. »Liebe Nich
te stinkt Da der Feiseur Keller biet
ans been Ort ist und zu meinem
Lunis-regen Deine Adresse erzählt
hat, indem er in dem Geschäft neben
an beschäftigt ist« weifz ich endlich, wo
Du wohnst. Ich wollte Dir schon
lange schreiben, daß Onkel Christian
tot ist. Er war ja immer böse iiher
Dich, daß Du den Bachmann genom
men hast, hat er Dir nicht vergeben.
So lange er lebte, konnte ich nichts
dagegen saqen. es hätte nichts genaht.
Es hat mir oft wehe getan, daß ich
nichts von Dir wußte. Nun hat der
Keller erzählt, daß Luischen so fleißig
hilft nnd niemals Freude hat, da
wollte ich Dir sagen: schicke sie in den
Ferien her. Sie fährt bis Demmin.
Jvon da hole ich sie mit dem Fuhrwerk
»ab. Jeh selber hole sie. Jch lege hier
jeinen Fünfmarlschein bei zur Reise.
HSchreibt mir, wann sie kommt. Deine
alte Tante Dore Lenz.«
Luischen hatte gejauchzt vor Freu
de, als der Brief lam. Verreisen!
Zu Tante Dore, von der Mutter im
mer mit so viel Liebe sprach. Ja,
Tante Dore wäre nicht so hart gewe
sen wie der Ohm und Vormund, Heer
nichts mehr von Stine wissen wollte,
als sie den von den Verwandten bevor
zugten Beamten ausschlua, um Bach
mann zu heiraten. Bachmann hatte
einst, als die Demminer Ulanen im
Dorf einauarticrt gewesen, bei ihnen
Quartier gehabt, er war ein feiner,
netter Mensch, KasinvOrdonnanz und
wollte später sein Brot als Kellner
verdienen. Dieser Beruf aber war in
Onkel Christian-Z Auan nichts Siehe
res, und als er nicht darauf
eingehen wollte, sich als Ar
beiter in Demmin seßhast zu
machen. zoa Qntel Christian seine
Hand von Stine ab. die, da sie mündig
war, sich in Berlin eine Stellung
suchte und nachfcahressrist Bachmanns
Frau wurde. Nur drei Jahre war
innen ein bescheidenes Glück beschieden,
Bachmann erlaa einer schweren Jn
fluenza, noch ebe sie siir die Zulunst
ctwas hatten eriibeigen lönnen. Stint
nahm Näbarbeit ins Haus und litt
mit Luischen keine Roth, aber schließ
lich lonnte sie das angestrenate Sitzen
nicht aushalten So war sie M ge
wesen, eine Portierstelle zu finden.
Aber tief in ihrem Herzen lebte im
mer nnd unstillbar die Sehnsucht nach
der Heil-rath. Wie oft an stillen Sonn
taa-Nachmittaaen erzählte sie dem lan
schenden Kinde von der lleinen Wirth
schast des Onlels nnd der Tante, von
dem Garten mit den bunten Blumen
und dem Bienenschauer, von dem Zieh
hrnnnem von denLinden aus derDors
strasze, von dem Bartosen, der im
Obstaarten stand und den festlichen
Tagen des Brotbaclens. »Wie das
Brot dustet, Lnischen, das weißt du
anr nicht« Und dann driickte sie die
Hand aus die teuchende Brust: »Ach,
nur nmä einmal Heimatthrnt essen
wie gut müßte das sein.«
O I II
Der letzte Ferientaal
Der Personenzng aus Pommern
subr langsam aus deinStettiner Bahn
hos ein! Ein Gewirr von Tausenden
non Menschen, Heimtehrendem Abbo
lenden. Die antommenden Züge sola
ten sich in Abständen von wenigen Mi
nuten. aber noch ehe sich die Schaaren
der Reisenden verlaufen hatten, waren
schon wieder andere hundert da. Aus
der vierten Wagentlasse des Stralsuns
der Zuges schob sieh Luischen Bach
mann, ein schlantes, sauber gelleidetes
Kind mit blauen Augen und von Lust
und Sonne gebräunten Zügen. Jn
der einen Hand hielt sie den braunen
Papptartom der ihre bescheidene Habe
barg, in der anderen einen Strauß
lstinler Astern und Edeldahlien, und
unter dem Arm trug sie, in ein saube
res Leinentueh gepackt, ein großes, lan
aes, eckiges Brot im Arm s—— das war
der Mutter Heimathgbrot Und ein
genäht in ein Täschchen trug sie aus
ver Brust ein Zwanzigmartstiiek, das
Tante Dore ihr für die Mutter ge
geben. Sie hatte es die langen
Stunden kaum nusqehalten im Wagen
vor Freude! Was würde Mutter sa
gen!
Da stand sie nun, nachdem sie an
Der Sperre ihre Fahrlarte abgegeben
hatte und schaute und schaute!
Gewiß, Mutter rvar da oder —
reenn sie sich verspätet hatte, lo kam sie
artvisz noch. Mutter Pensert von
H drüben vertrat die Mutter gern siir ein
’t«;:ar Stunden an der Tür.
Sie setzte sich aus eine Bank und
versuchte ganz ruhig unter der Menge
Unitchau zu halten. Aber als nach u
ner Stunde noch niemand da war -—
tm tamen der Zwölsjiihrigen doch die
Thränen
Ein Bahnbearnter tam vorüber.
»Warum meinst du denn, wirst du
nicht abgeholt?«
»Nein, Mutter wollte hier sein.«
«Na, du wirst doch wohl mit der
Strahenbahn allein nach hause fin
dens«
---—-———--—
-..—....—- -. --»- - . -,-..—-.--.....—
Jn diesem Augenblick schrie Luizs
eben laut aus, nicht die Mutter war’ I
die da aus sie zukam, sondern zwei
hübsch und sorgfältig geputzte Haus
mädchen aus ihrem Hause.
»Na, Luischen —- da bist du ja —
Kind, du meinst ja, du weißt es wohl
schon?«
»Ich weine, weil ich schon eine
Stunde auf Mutter warte und was
—-— was soll ich denn wissen?" Jhr
wurde mit einem Male unsagbar ban
ge ums Herz, sie begann jetzt bitter-lich
zu weinen.
»Na « vielleicht ist’s gar nicht so
schlimm ,Alma, reden Sie doch nicht.«
tröstete das zweite Mädchen ebenso un
geschickt.
Der Bahnbeamte war neugierig ste
hen geblieben. »Na, was ist denn, sa
aen Sie dem Kinde doch endlich Be
scheid,« herrschte er die Mädchen an.
»Es ist nur,« Alma weinte jetzt
auch, ,,es ist nur« daß Frau Bachmann
seit einigen Tagen trant ist s- -sie sag
in größtem Fieber allein nnd da sie
keine » keine Pflege hatte, ist sie ge
stern ins Krankenhaus gekommen.
Und ich —— ich hab ibr versprechen
müssen, das Luischen abzuholen und
isseine Herrschaft hat erlaubt, daß
zwischen ein vaar Tage bei uns bleibt,
bir— sie« — —
Lene stieß Alma an, damit sie den
Satz nicht vollendete, bis nä:-·lich, wie
der Hauswirth beantragt hatte, Lins
chen vorläufig ins stiidtische Waisen
haug kam. «
»Na Luigchem nun toinm, morgen
iit Besuchgtag, dann gehen wir zusam
men zur Mutter,« versuchte Alma das
fassungglose stind zu trösten. Trotz
ilsrer cleaanten Blute und ihres Feder
liuteg nabm sie ihm gutmütig den
Aarton ab, während Lene nach dem
Strauß griff. Das Brot drückte Luis
chen tr..1mpfhast an sich.
»Was ist denn das?«
i
»U-·ch Vcol sllc Ullllch cuchycll
lonnte vor Schluchzen taum sprechen.
Und als sie in dem zweiten kleinen
Mädchenstiibchen in Amtggerichtsrats
Wohnung in dem souve- hergerichtet-at
Bett lag, weinte sie sich langsam in den
Schlaf.
»Also du bist Luischen Bachmann?«
sagte die Pslegeschwester mitleidig, als
das Kind vor ihr stand und nach seiner
Mutter fragte.
»Komm nur, sie ist zwar sehr
schwach, aber sie hat immer von dir
gesprochen, es ist besser-, sie sieht diai
« aber wag hast du da?" Ä Sie
zeigte aus ein sauber eingewicleltes
Päclchem das Luischen in der Hand
trug. --— »Sie darf nichts essen, als
trag sie hier belommt.«
»Sie wird’g auch nicht essenNIVenn
sie nicht dars, aber sie hat mich so ne
beten, daß ielfs mitbringe von Tante
Dore vom Lande: Heimatbbrot.«
»Na, lomm, aber weine nicht, dac
schadet deiner Mutter.«
Und dann stand Luizchen vor den.
Bett der Mutter am lsndc des großen
lzellen, lustigen Krankensaales und
tonnte nicht fassen, daß die dort Lie
acnde :nit den grausam veränderte-i
inaen tvirllich ihre Mutter dar.
Stint Bachmann konnte nicht spre
chen, nur ein angstvolleg Röcheln tant
aus der Brust fieberhaft glänzten dis:
"luaen in dem gerötheten abgelehrien
Gesicht
Sie sah Burschen nur an und emc
Frage lag in diesem Blick.
»Hier, Mutter, ist dagheitnatbrot«,
sagte das Kind mit tratnpshaster An
strengung, ihrer Tränen Herr zu wer
den, »ich l)ab’s mitgebracht --— essen
darsst du’s nicht, aber ich lasse dir-;
nur«
Da griff die avaezelirte Hand nack.
dem Piiclchen und Lnischen wickelte
das-— Stückchen Brot nug, das Lene iln
Von dem großen Brot abgeschnitten
hatte, nnd schob es in den kleinen
Isischiasteu Sie wollte noch etwa-·
sagen, aber die Schwester latn unt
siihrte das Kind hinaus.
V sf O
Tag waren schwere Tage fiir this
chen Bachmann. Zwar im Waisen
hause ging's ihr gut, sie fügte sich
.aern, aber die quälenoe Sorge um die
Mutter verließ sie keine Stunde. Und
in Krankenhause lämpste die ur
sprünglich gute Gesundheit der Mutter
einen harten Lands nsit der schweren
Lungenentziindung die die durch
mancherlei Zorne und Not abgebärmte
Frtu niedergeworsen lfattr. Ein Tag
und eine Nacht t«m, di die Pflege
schtvester jeden Aztaenklick glaubte,
dtß der Körper unterliegen müsse.
Jnsmet wilder tobte das Fieber in den
Adern — taum kam die Kranke einen
Augenblick zur Ruhe.
Fiel-send hefteten sich die Augen aus
die Schwester, die am Bette stand. »
»Ruhe —- schlafen —- schlasen —«!
ivimmerten die schmalen Lippen. Da
want der jungen Schwester, als- ob
Luischens Augen sie anbliaten, als sie .
ihr das Brot gezeigt hatte, sie zog den
kleinen Tischkdsten aus, nahm das
Stück trocken Brot heraus und drückte
is der Kranken in die Hand. Die um
schloß es fest und legte die Wange dar
auf: »Ach —- das Brot —- ach, wie
das duftet, Tante Dores Heimatbrot.«
Lange Zeit flüsterte Stine noch vor
sich hin, aber sie begann ruhiger zu
werden —- als nach einer kleinen Weile
die Schwester nach ihrer unruhigen
Kranken sehen wollte, fand sie sie in
ruhigem Schlaf —— die Atemzüge gin
gen regelmäßiger, das Pfeifen und
Röcheln war verschwunden « Stine
schlief der Genesung entgegen. die
schmal-: Wange aus die Hand gebettet,
die das Stück Heimathbrot hielt.
s- it- st
Mit behaglicher Selbstverständlich
teit betrat Dore Lenz den geräumigen
Flur des Krankenhauses. Sie wäre
aus Luischens Karte hin, in der sie der
Tante von ihrer trübseligen Heimtehr
erzählt.hatte,».aern gleich geto:nmen,
aber das war nicht möglich gewesen.
Nun stand sie da in ihrem schwarzen
Kirchentleide mit dem grauen Um
schlagtuch, über dem glatten, noch
ziemlich dunklen Scheitel ein dunkel
braunes Kattunkopftuch gebunden, die
Hände um eine schwarze Tasche und
einen tiiegenschirm gefaltet. Und ne
ben ihr stand Luischem die sich so ge
korgen vorkam, als sie fast stolz an der
stattlich-Im ländlichen Frau Seite über
die Korridore zum Saal schritt, um
Ilne genesende Mutter zu besuchen. Die
safk jetzt schon aufrecht im Bett und
streckte der treuen Tante Date die
Hände entgegen.
»Aber nicht aufregen,« hatte die
Schwester aemahnt.
»Tante Dore das- Heimatbrot
hat mich gesund gemacht,« sagte Stine
mit ihrer noch schwachen Stimme.
»das Brot hat mir Luischen gebracht.«
»Das Brot sollst du jetzt immer es
sen »—— ich rede morgen mit dem Pro
fessor, sobald du reisen kannst, geht’s
heim, deine Sachen stehen schon auf
der Bahn« —- — s—
»Aber — aber« —- .-— —
,,Aber gar nichts,« sagte Dore Lenz
in ihrem alten, das Befehlen gewohn
ten Ton, »die Stelle ist längst verge
l«en, Luigchen will in Luft und Sonne
arbeiten, mir zur Hilfe in Haus und
Garten, nun geht’g heim.«
»Ich bin noch zu schwach«
»Ach Stine ——- das schadet nichts-,
wozu gibt’s Droschten und Autoiva
gen —— du kommst mit, so lange noch
Herbst ist und du im Gatten sitzen
kannst --— du sollst dich ruhen, bis du
wieder arbeiten kanns ."
»Aber Onkel Christian« -----
»Still, Stim, laß ruhen, wag war,
wir sangen ein neues Leben an!« —-——
Acht Tage später führte ein unglei«
ches Paar, eine stattliche, ländliche, be:
iahrte Frau und ein zarte5, hochaufs
gelthosseneg Mädchen eine noch etwa-;
zitternd sich sortbewegende Frau über
den Bahnsteig. Dorc Lenz hatte einen
bequemen Korbstuhl in dem Frauen
ltlbteil der vierten Stlasfe aufstellen
lassen. Ta hinein betteten sie Stine,
die mit aliinzenden Augen und neu
erlvachter freudiger Lebensluft um sich
schaute.
Und Lcne und Anna fanden sich
zum Abschied mit großen Blumen
sträußen ein und ivinlten mit ihren
Tüchern den Scheidenden zu, bis
Ltuischens Taschentuch, das aus«- dem
Fenster wehte, nicht mehr zu sehen
war.
Die weite Stadt versank der
Zug eilte nordwärts durch Wald,
Haide und Flur.
Und Stine Bachmann und Luischen
fuhren an der Seite einer treuen Be
schützerin der neuen Heimat entgegen,
die dasti alte, geliebte Heimatbrot fiir
sie bereit hatte.
..---—--—
Der Retter meiner Ehre-.
Linn- Ncifectinnern-Hi nun Rudolf Ellbo
Auf dem Werte nach dem Lufttnrori
J» dem die Flierhnugverwpltunn um
seines Wildbndeg nnd seiner littoreg
ten Usinnebnnq willen den Beinamext
Klein-Gestein verlieben hat, wurde
mir vor Vielen Jahren eine denkt-nir
dige Veneqnunq zutbeii. Wer diecs
kleine Gestein von Norden her errei
chen will. mnfk noch glücklich überstan:
dener Zollvisitation im Städtchen F.
die Eisenbahn verlassen. Hier erhob
mein sonst arbeitsfrendiqer und nach-·
giebiger Magen eine Beschwerde gegen
tsie österreichische Zollbehörde.
Wie et dazu kenn?
Aus der Grenzstntion hatte ein ac
strenaer Zöslner in meinem Handtniser
kie Hälfte einer aus dem preußischen
Zollgebiet stammenden Zervelatwurst
vorgefunden; tsiese zu besteuern erach
tete der pilichtgetrene Beamte im Jn
teresse derKniserstaaten für unerläß
lich. Da ich aber befürchtete, daß der
Vollzug der Besteuerung ein umständ
licher sein wurde, so beschloß ich, den
,,murstigen« Stein des Anltoszes kur
zer Hand aus dem Wege zu räumen.
Mit Weib und Kind Von der österrei
chischen Grenze drei Schritte zuriiritres
tend, verzehrten wir mit gutem Appe
tit den zollpflichtigen Gegenstand
Trotidem uns bei dieser Vertilgungs
arbeit ein bergelausener Jagdhnnd
eifrig unterstützt hatte, mußte ich sel
ber wohl zu schneidig vorgegangen
sein, denn mein Magen ergrimmte
über diese ungewöhnliche Zollregulie
rung.
Beim Verlassen des Juan fanden
wir vor dem Bahnbof Wagen zur
Weiterbesörderung bereit stehen. Wir
einigten uns mit dem Besitzer eines
Einspänners iiber den Fabrpreis und
stiegen ein. Der Mann aus dems
Kutschkock war klein und behende; aus
seinem runden Gesicht lenchteten zwei
graue, psissiq in die Welt blickende
Augen unter einer Spessartmiitze her-·
vor.
Unsere kurze Fahrt nach dem Luft
turort wurde durch den Chansseegelds:
einnelnner unterbrochen
»Herr Baron!« ———— Der kleine Kut
scher wandte sich mit dieser Anrede
nach mir um und deutete mit der Peit
sche aus das Hindernis;. Da ich;
wus:ie, daß Reisende in Qesierreich den
ihnen ron trintgeldsiickxtigen Kellnern
und Kutschern zugefiigten Standes
erhöhungen gegenüber wehrlos sind, so l
ersparte ich mir den Protest und
drummeltet »Was-Z aibt’s?« !
»Bist schön, Euer Gnaden, fiinf
streizer Weg-rela«
Der Fuhrmann gab diese Erklärung !
in beruhiaendem Tone und mit einem
jede Verantwortung ablehnenden Ach
selzucken ab. Der Einnehmer streckte
mir, während der Wagen hielt, den an
langer Stanae befindlichen Beutel ent
gegen, in den ich einen Viertelgulden
bineinlegte. Beim Anblick des Sil
lserstackes suntelten die unter buschigen
Brauen lauernden Augen des Zollein
tiebmers aus. Der aus dem Fenster
eben hervorlugende Charakterion des
Mannes erweckte in mir die Vorstel
lung, als- habe sich ein emerierter See-—
räuber hier eingesponnen, um gefahr
los weitere Schätze einzusammeln
Hastig zog er die Mütze an sich, und«
da er niir 20 Kreuzer zurückgeben soll
te, so tlaubte er langsam einige Kup
ferstiicke aus seiner Blechbiichse heraus-.
. evor er damit zum Rande kam,
sck,—nellte unser Fuhrmann vom Siye
aus, erhob wie zum Schlage seine.
Peitsche und schrie ihm zur
»Daß du di nit unter-stehst. du
Trettel du, meinen gnä’gen Herrn zu
beleidigen! Glei steckst deine dreckian
Kreizer ein« du Lump, du! Meine
Fahrngst sind seheneröse Leit’ « keine
Schntutziang: verstanden, du Trottel,
du? Ah, so’n dalteter Nepomuk, da.
htskt sich sites auft« I
Dess Zollerhebers Gesicht verzog sickxi
zu einer Bestiirzung und Beschämunat
augdriickenden Grimasse und diet
Kupfermünzen fielen rasselnd in dies
essene Blechbiichse zurijck i
Unser lleiner Fuhrtnan aber tobte
weiter:
»Was faaen’g Euer Gnaden zu dem
Lump da! Er trsär’ meiner Six im
stand, Jhna seine drecketen streizer in
die Hand z« dritten Aber san’g nur
i-1-.l1ia: J leid’5 nit i leidg nit. Un
tersteh’ dich dann hast«-: mit den-.
Florian Schreinber z’ti1n. Verstan
den! -s Hü, Schimmel, hü! Lauf zu,
sanft veraess i mi und sctilaa dem
Liimmel die Peilfch um die langen
Ohren.«
Der Waan rollte weiter; der tliet
ter meiner Ehre aber wandte sich noch
einmal inn, drohte dem Einnehnicr
mit der Faust und brummte-: »Ach
bös geht mir ijl«er’n Spaß, fo ein
Trottel will meine anä’ae Herrschaft
lieleidjaenl Nimm di in Acht, sunst
aeht’s dir schleift!«
Um seiner tiefen moralischen lsnt
riistuna einen fühlbaren Ausdruck zu
neben, versetzte er dem aralosen
Schimmel einiae unverdiente Diebe-,
wandte sich dann nach mir nnd fuhr
in besänftiaendeni Tone sori:
»Ja, schauen’"g, Herr Graf, solche
Leit hal«-’n ja keine Jdee von der Sche
nerositiit vornehmer Herrschaften aus
dem Reich. Da muß denn Unserang
mal dreinfahren. Ja, ja, Lebensart
Schicklichkeitsaesühl und Biilduna
daran fehlt’g hierzuland. -——
Vor Verbliiffuna war ich aufier
stande, einen Laut von mir zu geben,
und muß wohl mit einem erzdmnmen
Gesicht den Rücken des svitzbiibischen
Fuhrmanns betrachtet haben, denn
meine Frau lachte hell auf.
Zehn Minuten später eilten aus ei
nem nahe bei der Straße aeleaenen
Mir-schen zwei dürftig bekleidete,
aber pausviickiae Kinder auf den Wa
aen zu, vor denen der Schimmel an
hielt.
——
,,Schauen’s, Euer Gnaden,« be
merkte der Fuhrmann, und seine
Stimme war von Rührung durch
triinkt, »du halen’g zwa arme Ha
schcrl, denen scheneröse Herrschaften
immer an paar Kreizer spenden.«
Die armen Hascherl erhoben wie
aus ihr Stichwort vier schmutzige
» Hände und gaben einige Jammerlaute
’ von fich.
»Stellen’s Jhna das Malhiir vor,
Herr Gras, gnädige Frau Gräfin, was
die zwa Unglückswürmer betroffen hat.
Jhr Butter -—— ein lreitzbraver Mann
—— iz blind, und ihre Mutter luntrnkt
loo:’n. O,wer das Elend gesehn hat,
der muß ein Herz von Stein hab’n,
Euer Gnaden, wann er nit tief in seine
Taschen langt und — ——«
Dem edlen Bittsteller versagte die
Stimme und seine Augen blinzelten
nach meiner das Portemonnaie bergen
den Tasche. Diegmal aber verfing
fein Trick nicht. Kaltlächelnd sagte
ich:
»Und das größte Malbeur dieser ar
men Hascherl verschweigen sie gar
noch: Es ist ihre Aehnlichkeit mit dem
wirklichen Vater, dem schlauen Flo
rian Schreihuber. Meine Hochachtung
vor Ihrem schauspielerischen Talent,
Sie unheiliger Florian, aber die Be
lohnung für meine ergötzliche Ehren
rettung hat der mit Jhnen verbündete
Wegegeldeinnehmer bereits eingestri
schen. Also schicken Sie Jbre armen
Hascherl zu dem blinden Vater und
der kuntrakten Mutter zurück und sah
ren Sie weiter.«
Nun riß der kleine Fuhrmann die
Aussen weit auf und ließ einen leisen
Piifs über die Lippen gehen; bald aber
gewann er seine Fassung wieder und
rirsk
»Ah, sickera, sachera —· dös muß i
sagen: der Herr Baron is lang nit so
dumm, wie er ausschaut.«
Tie Anerkennung wurde in so auf
richtiaem verbindlichen Tone ausge
sprochen, daß ich sie nicht ablehnen
durfte, obqleich mir derSchwernenöther
die eben verliehene Grasenkrone mit
der Freiherrntrone vertauschte. Als
wir aber im Luftkurort anlangten,ließ
ich meiner lang oerhaltenen Lachlust
die Ziiael schließen. Dies hatte die
toohlthätiae Folge, daß ich die auf der
Grenzstation oerspeiste Zervelatwurst
ohne weitere Beschwerden verdaute.
Die thchspmche.
Das Wörterbuch unserer gebräuch
lichften Redensarten bedarf entschieden
einer gründlichen Revision, wenn wir
nicht fortaesetzt Unsinn schwatzen sol
len. Täglich hört man behaupten, daß
der tiichtiqe Mensch »das Herz auf dem
»rechten Fleck hat«, und doch haben,
wie wir heute wissen, viele Leute das
Herz nicht aerade auf dem rechten
Fleck, ohne deshalb des Beiworts
»tijchti·q« unwerth zu sein. Das spöt
tisehe Wort vom »Ls.1ftschlösserbanen«
haben die Erfinder unserer ,,fliegenden
Paläste« Lüan gestraft. Und die
Wendunaen von der »duminen Gans«
nnd der »Schlangenkluaheit« wider
sprechen allem, wag die Zoologie iiber
die auffallende Klugheit der Gänse
nnd die Derblijffende Dummheit der
Echlanaen berichtet.
n- HL « 1...
Zu Diesen lugnerisujeu uuvuruucu
aehiirt, wie wir jeßt vernehmen, auch
Die Redensart »sturnrn wie ein Fisch«.
Nach einem Vortrag, den der enalische
Gelehrte Dr. Ward kürzlich in der
Augstelluna der Londoner »Gesellschaft
siir Photographie« gehalten hat, sind
die Fische nämlich durchaus nicht jedes
’Llitgdr11clgiiiittelg beraubt. Ward hat
beobachtet, daß Fische der gleichen
Gattung das gleiche Gefühl stets durch
ateiche Zeichen ausdrücken Der Ge
lehrte fithrte zum Beweis seiner Aug
fiihrunqen eine Menae Von photoara
r-l:ischen Aufnalmien nor, die in ihrer
issefamnitheit so etwas tote ein Tierilon
oer Fifchsprsiche darstellen. So gibt
der Hecht feiner Neunterde Ausdruck,
indem er die Riicteuflosse starr in die
Höhe richtet. Jst ilnn eine erliosfte
Beute entaanaen, so tritmmt er zum
Zeichen seiner Enttiiuschuna den Nüt
slern Andere Fische erblassen buchstäb
lieb vor Schreck; die Piqtnentzellen
nehmen plötzlich eine bellere Färbung
au.
Viel mehr als das hat Dr. Ward
bisher noch nicht festgestellt. Aber der
Anfang ist immerhin ermuthigend Und
wenn die Zeit auch noch recht fern
scheint, da tluae Menschen sich mit klu
gen Fischen in deren Sprache unterhal
ten können, so ist die Behauptung von
der absoluten »Stuntmheit« der Fische
jetzt doch ins Reich der Fabel zu ver
weisen.
« Man-bad.
»So ein Schlammbad thut einem
wirklich gut!«
»Na, wenn man aus dem Sumpf
der Großftadt kommt, ist das, find«
ich, Jacke wie hofe.«