Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, October 21, 1910, Zweiter Theil, Image 10

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    fäwivoster Wendhusen
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(5. Fortsetzung)
« 5
Einen Augenblick herrschte tiefes
Schweigen in dem großen Zimmer,
dann streckte Charlotte die-Hände nach
site aus.
,Lena, tomm’,« sagte sie flüsternd,
Feige mir Deinen Platz im Kloster
garten, ich könnte jetzt der Tante
nicht entgegentreten, ich käme mir
e zu schlecht vor, als hätte ich eine
finde begangen, daß ich so etwas
anhörte5 lomm’, tomm’!«
hastig zog sie mich hinaus durch
den dämmerigen Korridor, die ver
staubte Treppe hinunters; ihr Arm
hielt mich fest umschlungen. und so
traten wir unter den eisernen Rund
ipgen des Kreuzganges hervor in den
abendfrischen Garten hinaus. Purpur
rotbe Lichter fielen durch die hohen
Bäume auf unsern Weg und huschten
itber Charlotte? schönes Gesicht· das
plshlich einen so veränderten Aus
druck bekommen hatte. Auf den Ra
fenpliiyen war das Gras gemäht und
erfüllte den Garten mit löstlichem
Duft, nnd als wir endlich unter den
Linden neben dem alten Grabsteinsa
sen. fragte Charlotte:
«Lena, glaubst Du das, was meine
Schwester eben erzählte? Jch glaube
es nicht« oder es hängt anders zusam
mein'
Dann schwieg sie und sah nachden
kend in den Garten hinaus.
»Ich habe sie so lieb, so lieb wie
eine Mutter,« fuhr sie halblaut fort,
nnd eine zarte Röthe stieg bei diesen
Worten in ihr Gesicht. »Sieh, Lena.
Du kannst es Dir gar nicht denken,
was mir die Tante ist, und da soll
es nicht weh thun, wenn Ferra —«
Sie mußte es total vergessen ha
ben, daß sie fich erft vor wenigen Ta
gen über den Mangel eines kleinen
Familienstandals beklagt hatte.
»Nein, sage mir nichts," hat sie,
sali ich den Mund öffnete, um ihr zu
er ··hlen, daß Gottlieb Tanie Edith
a rdings eines Abends heimlich da
vongefahren; das Wie und Warum
war mir freilich auch verborgen. »Du
kennst sie noch viel zu wenig: laß
nur, ich werde schon allein fertia."
Und so saßen wir und hingenBeide
unseren Gedanken nach.
Charlotte pflückte von einem ne
ben· ·hr stehenden Malvenstock eine
pur rrothe Blüthe nach der andern
und begann einen Kranz zu ilechten
und ich saß münschenstill nnd flickte
in Gedanken Georng- Sammetkit:
telchen und setzte ihm die schönsten
Inst-schen daran.
Und als ich ihn dann qlücklicl
lächeln sah, gingen meine Gedanken
u Vetter Gerhardt und trugen ihm
Bitte dor, meinem Bruder für
die Herbfiferien im alten Kloster
Gastsreibeit zu gewähren. lind dann
sah ich uns Beide hier nmhertollen,
ah ihn auf Gottlieb’3 alten Pferden
sitzen und tausenderlei ungekannte und
unverhofite Freuden kosten; und als
ich dies Bild fertig ausgemalt nnd
mir, obgleich unter Herzllopfen, ge
lobt hatte, diese Bitte wirklich zu wa
gen, kniete ich mich auf den alten(
Gradstein und schaute träumend-wiss
schen den Bäumen hindurch in deni
Garten. j
Jch merkte kaum, wie mir Charlotte.
an den Haaren herumzupfte und dann
wieder den Malvenstock zu plündern
begann; Allerlei romantisches Zeug
schoß rnir durch den Sinn: ich dacht«
mir Tanie Edith als Nonne, die ein
Ritter lieb aehabt, wie in Christicne’s.
Kindermärchen und die hier im Klo
Ietgarten traurig umheraegangen sei,
bis er sie in dunkler Nacht geholt, um
, rnit ihr davonzureiten auf sein Schloß.
Es sind wohl hoch die Berge.
Es ifi wohl grün das Thal;
Mein Sbaiz, der ist ein Jäaen
Den fiel-X iriz tausend mal«
sung Charlotte mit ihrer leisen und
sehr lieblkchen Stimme.
Da flog ein wiider Falte
Hoch über mir dahin;
Fall, schaust Du meinen Liebsten,
Sei-I ihm, treu wär’ mein Sinn.
Wo Eichen steh’n und Buchen,
Da blüht Wildröslein roth,
Und soll ich Dich nicht lieben.
So tränk ich mich zu Tod.
Wenn Du mich dann begraben,
Schreib' auf den Stein dabei:
· r ruht mein feines Liebchen,
tm brach das Herz entzwei!
Ich wandie mich zu ihr hiniiber,
iie sic) einen dunleirothen Mal
— tu auf das haupt gesetzt und
»- U f fah mit einem fast
, »Meine M unter dem feurigen
W have-; die hände hielt sie
F die Knie « Aue-such N iåiegte
" W es t site
W
an mir vorüber, den Weg hinunter,
langsam. mit gesenktem Haupte. als
suche sie eetwas.
Jch folgte ihr mit den Augen-. wogt«
aber nicht nachzugehen; zulest ver
schwand ske gänzlich in dem dichten
Bostetä des Gartens; nur hin nnd
wieder tauchte ihr blonder Kon einen
Moment über dem gtiinen Wirrniß
der Zweige ans.
Da saß ich nun allein aus meinem
Lieblingsplatzcdem Bot mir lag der
warten in der rothgliihenden Apenn
beleuchtnngz selbst die grauen Mauern
des Hauses und die Säulen des Kreuz
gangec schimmerten rosig; tein Laut
tein hauch unterbrach die tiefe Ruhe
grabesstill und verlassen ringsum. Jch
feste mich recht bequem auf dem alten
Grabstein zurecht und schlang die
Arme um den Stamm einer Cypressez
Charlotte mußte ja bald wieder kom
men; und nun beschäftigten sich meine
Gedanken wieder mit dem Moment,
tro ich Vetter Gerhardt bitten wollte,
Geokg zu den Ferien herkommen zt
lassen —- . Jch wandelte im Geist die
Stufen der Van hinan und trat
schüchtern in sein Zimmer.
«Lieber Vetter«, würde ich sagen.
»ich habe eine so große Bitte an Sie;
—- bitte« bitte, erlauben Sie doch, daß
Georg in den Freien mich besuchen
bald ich habe Sehnsucht nach ihm
und ich muß ihm doch auch seine Sa
chen anzslicken.«
Jn diesem Augenblick fiel ein dient
ler Schatten iiber meine tleine Persön—
lichteit nnd im nächsten Augenblicke
streckte ich wie abwehrend die Hände
aus, denn vor mir, gerade dort unter
dem Lindenztveig, so hoch daß die
Blätter fein blondes hour berührten
standBetter Gerbardt und sah lächelnd
zu mir herunter.
»Nun, hinsichtlich des letzten Grun
des diirfte die Bitte doch schon jeden
falls genehmigt werden müssen«, sag
te er mit seiner wohlllingenden. tiefen
Stimme. »Als-) in den Herdstseriem
Cousine; aber wie bekommen wir ei
gentlich den tieinen Mann ber?«
Ich sah ibn noch immer betroffen
un; daß ich die Anrede an den Vetter
halblaut gehalten, iam mir nicht if
den Sinn, dann aber jubelte die
Freude, meinen allerliebsten Bruder
bald hier zu wisset-, laut auf
»O, Vetter, liebster Vetter, Sie
wollen erlauben, daß Georg kommt-Z«
Jch faßte seine Hand und hing mich
wie ein Kind an seinen Arm.
«O. das wird herrlich, das wird
eine Luft! Was sagt als-er Tante Eoitl
dazu? Wird sie ihn auch haben wol
len, und —- —«
.Gewiß. gewiß!« beruhigte er mich.
Aber nun erweisen-Sie mir einen
Gegendienst, Consinex ich suche Char
lotte, sie soll bei Tante lfditlz sein;
dort fand ich indessen alle Thüren ge- -
schlossen, das Mädchen aber sagte mir,
die Fräulein wären im stlosterqarien
und nun finde ich hier zwar im me
lancholichsten Winkel des Gortens die
Eine —- aber wo maq die Andere
sein?«
»Hier, Bruder. bierl« rief Char
lotte und hing im nächsten Atlaenblia
an seinem Halse »Sage rasch, wie
geht es Dir, was bringst Du, siehst
Du wohl aus?«
»Nun, Lottchen, eines-theils gut,
aber anderntheils s-—, doch lassen mir
das. Jch habe fiir Dich tausend
Grüße don Robert, und Du möchtest
Tante Editb die Nachricht bringen,
daß er woblbestallter Oberförfter ir·
IFölterode geworden ist« Jch sollte es
- ihr nicht sagen, er wollte es auch nicht
schreiben, sie soll es aus Deinem Mun
de erfabren, so wünscht er.«
; Charlotte’5 schone-:- wenwt ergtnyics
plötzlich so rosig wie die Strahlen der
untergehenden Sonne, und die blauer
Augen glänzten vor Freude: sie hol
Fcks auf die Fußfpitzen empor. drückte
einen Kuß in den blonden Bart ihres
Bruders, dann lief fie geschwind wi.
Iein Reh Tiber die Reisenplätze und
;We,1e, und bald verschwand ihre Ge
Tftnlt unter den Bogen deH Kreuzan
gei.
Gern-gebt snlk ihr lächelnd nach,
dann wandte er sich zu mir und ietzt-.
sich nnf die steinerne Bank, offer-ba
in der Absicht, der Schwester eine un
gestörte Minute mit der-Same zi
gönnen. »Ist dies Jlsr Liebling-plötz
chen?« fragte er.
Jch bejnhtr.
»Möqen Sie den Pakt nicht lieber
Eg- ist doch eiqentlich gar zu melancho
lisch hier für ein so junges Mäd
chen —-«
»Nein. Jch bin lieber hier, weil
ich hier Niemanden begegne; es ist
gerade, als gehöre dieser Garten mir
ganz allein.« .
«Also Hang zifr Einsamkeitk sagte
er scherzend »Wer hält denn dies
Mädchen hier so schön in Ordnung?
Auch Sie, Coufine?«
Jch nieste nnd sah scheu zu itm hin
tiber. weil ich zu bemerken glaubte, er
lächele über mich. Aber er blickte so
nachdenklich auf die graue Sandstetni
Mr unter dem Esther-. daß ich siihlte
ee denke ein etwas ganz Anderes als
gerade an das, W er sprach.
Nichtsan vmeinen Plas ans
das alten te wieder ein, und
saer- lpir stot; nur einmal
- ich M . als ob er mich
erstlich m als ich den Lsps traust-.
k- v v- v
sah ich seine Augen auf mich gerichtet
dann strich er sich hastig mit der Hand
über das Gesicht und begann mit ei
nem Stöckchen Figuren in den Sand
zu zeichnen.
»Nun wollen wir gehen, Cousine«,
sagte er, sieh plötzlich erhebend. »Kom
men Sie, es wird ohnehin spät wer
den, ehe ich heute zur Ruhe gelange
drüben in der Billa, und meine Mut
ter erwartet mich-«
Jch erhob mich und schritt neben
ihm durch die dunklen Gänge. Er
sprach nicht mehr, und stumm betraten
wir den Kreuzgang des alten Klosters.
»Nein-ten Sie sich in Acht an der
finstern Treppe, die Stufen sind hoch
s-« warnte er, als ich hastig vorwärts
eilte.
E E Ein Grauen hatte mich plötzlich er
faßt in dem verlassenen Haufe. in der
spukhaften Beleuchtung; es war mir.
als lautete hinter jedem Treppenpfeiler
ein entsetzliches Etwas. das mich packen
wollte; ich hätte ihn bitten mögen:
I »Sei-en Sie mir die harrt-P
Aber das wäre doch lächerlich gewe
sen. Und da, als ich eben zwei Stufen
hinausspringen wollte, um ihm nach
zukommen. da et vor mir hinausschritt,
empfand ich einen heftigen Schmerz
im Fußaelent und sank in die Kniee.
«Dacht' ich es doch!« sagte er, sich
umwendend, auf meinen Wehruf, nnd
die Stufen eilig wieder hinunter ei-·
lend. ,..Thut ej sehr weh? Können
Sie gehen? Nein? Nun, da muß icl
Sie eben tragen.«
Und wie eine Feder hob er mich em
por und schritt leichten Fuß-es die
Treppe mit mir hinaus.
»O, Vetter, und Sie sollen lrant
sein?« lachte ich plötzlich-, halb ans
Verlegenbeit iiber die eigentbiimliche
Situation, in der ich mich befand
halb belustigt iiber die Unwahrschein
lichteit jener Behauptung.
»Wer sagt denn basi« forschte er,
als wir eben den Korridor betraten.
.Nun. Ferra. Aber es ist nicht wahr,
gelt?«
.Nein!« erwiderte er einfach. »Ich
tente. ich bin es nicht mehr, aber ich
war ess. Wer bat Sie denn so ge
ichrniiat heute Nachmittag. Cousine?«
fragte er nach eine tleinen Pause, just
als toir vor Tante Edith«s Zimmer
tbiir anaelangt waren; nnd in dein
schwachen Lichte der altniodiichet
Hängelasnve unter der gewölbten Decle
sab ich seinen blonden Kopf zu mir
niedergebeugt, und seine Augen schau
ten mich aus allernächster Nähe an.
»Mich geichrniirlt?« wiederholte ich
fragend und strebte zugleich, von sei
nem Arme berabzutornrnen, was in
dessen nicht gelang.
»Neizend gefchmücktk« wiederholte
er und öffnete geschickt die Tbür zi
Tantes Wobnziminer. und im gleichen
Augenblick schallte mir schon Charlot
tex- sröbliches Lachen entgegen.
«F.)Cit Du ein Rälbchen zu verlau
fen. Gerhardt?« rirs sie vorn Sophis
aiistvrinxenb, too sie neben Tant
Editb gesessen, und niich an den haa
ren zur-send.
»Ich will hinunter!« rief ich fait
weinend. denn auch Tante lachte iibei
das ganze liebe Antlip
Aber Gerhardt hielt mich seft unt
trug mich dirett vor den qroßen Pfei
»lerspiea,el, und ein Blick in das try
stallhelle Glas zeigte rnir ein wohlbe
tanntes braunes, tleines Gesicht, bar
licht so fremdartig unter einein feurig
rotben Blumenlranz hervorsah. Cr
schrectt riß ich ihn aus meinem haai
und warf ihn zur Erde. »
»O, pfui, Charlotte!« rief ich arger
ticb und hintte zur Tante hinuber, or
mich lachend in die Arme nahm.
»Hast Du denn gar nicht Zernerlt
wie ich Dir den Kranz ansetzte?
ticherte Cbathr. »O, Du vertraurni
tes, kleine-«-U e«Itsclzenti-n·c-!««m «
i
H
»Ja-J Fraulein uvuiine in Hauen
tin'«, berichtete Gerhardt jetzt. .,fie ba«
sich, wie man so sagt, den Fuß ver
lnaslft -—- toll ich Jdnen den altes
Schäfer febickem Confinchen?« fragte
er lächelnd.
»Geb’ mir mit Deinem Schäfer«, er
liarte Tante Edith, «das können wi
allein, gelt meine Kleine? Aber nur
bab’ Dant, Gerhardt. für die Nach
richt, die Du mitgebracht; es ist heut«
der erste frobe Tag seit langen, langen
Jahren.« —
Sie hatte bei diesen Worten Ger
bardt’s Hand ergriffen nnd sah ihn
freudig bewegt an.
»Du glaubft nichkxfiiqte sie leise
hinzu, wie glücklich mich es macht,
ihn in Idllerode zu wissen, in Fäl
lerode! - , Aber nun ge t, Eure Mut-«
ter wird ebenfalls nach atfchaft vonf
Joachim verlangen. Es ist doch nichts-it
Schlimmes passirt, Gerhardt?« fragte
sie dann besorgt.
Seine Züge verfinsterten sich augen
blicklich.
»Sei-Hinweg gering, Sante, nrn gro
ße Sor e zu machen«, erwiderte er
und f ttelte lange die Hand der al
ten Dame, dann nahm er Eharlottcks
Inn in den feinen nnd indem er mir
nach einmal freundlich ernst zunickte,
verließ er mit ihr das « immer.
Nach einer kleinen lben Stunde
lag ich mit sorglich ver undeuen Fuße
aus dein Saphir und verfolgte ist-Uter
licie Gestalt der Dante mit nen
Blicken. spie sie heute so rieth auf
nnd ab wanderte. Das feine Gesicht
M-WW
nur von einer zarten Röthe wunder
bar verjüngt und die Augen leuchte-ten
wie sie es gewiß vor langen Jahren
gethan hatten.
Sie ging vom Schlnszimmer zum
Wohnztmmer, sie rissnete Kommt-den
schiibe und Schrönle und stand dann
sinnend davor. und wie im halben
Traume sah ich diei geschäftige und
anscheinend doch so zwecklose Treiben
mit an. Mir war selbst so sonderbar
zu Muthe. als sei ich nicht mehr die
selbe, die ich noch heui’ Moraen gewe
sen. als sei ich gewachsen und ein iro
szee. vernünftiges Mädchen geworden,
obgleich ich mich doch gerade recht tin
disch benommen hatte heute Abend.
Woher es lam, konnte ich mir nicht
ertlärenx ich drückte Minia, die ne
ben mir lan. an mein Herz und er
zählte ihr sliisternd: Vetter Gerhardt
habe mir verstirocherh daß Georg kom
men solle, nnd was siir ein lieber tlei
ner Junge er sei.
Tante Edith hatte heute keine Au
gen siir ihre Lieblingr. sie nahm eben
Nobel-R Bild von der Wand und
setzte sich damit neben mich in einen
Lehnstuhl; sie hielt es in den aesalteten
Blinden nnd schaute es zärtlich an.
»Sieb’, Lena«». begann sie, »bier
ist er noch ein halbes Kind. und nun
sollst Du sehen, was siir ein stattlicher
Bursche er geworden, der neue Herr
Qbersiirsier. Jn, ja, Lena, er hat die
selbe Stelle bekommen, die einst sein
Vater aehabt. er soll wieder in dein
Hause wohnen, wo er qeboren wurde
nnd wo seine Mutter die einzigen vaat
schönen Jahre ihres Lebens verbrachte
« sieh« Kind. das macht mich ia so
glücklich, ich tann es dir nicht sagen
Der liebe Gott ist gerecht. Kind. und
das-, was er rnir heute Abend gegeben,
das wiegt Alles aus, was ich je er
duldet."
Und als sie nun das Bild to zart- ’
lich an ihre Wangen driiclte in stolzer
Mutterireude, da erfaßte mich wieder
die bittere Sehnsucht nach jener
ibenren, treuen Liebe. die mein Georg
Hund ich nun verloren hatten.
Indessen trug Tante das Bild Hin
iwe·a, und als sie es eben an seinen
Platz gehangen, tlopfte es draußen
Und der alte Gottlieb trat herein.
» .Gnien Abend, gnädiae Franc sag
;te er, an der Thiir stehen bleiben
sund beaann mit seiner eigentbiiinlieL
;gedänwften Stimme von einer-ganzen
JReihe Aufträgen zu berichten. die ihm
lTante wohl ertheilt haben mochte
I Es betras fast nur Kranle und
sSvarlasfen - Angelegenheiten; einen
sStoß tleiner Bücher hielt er unter
idem Arme und in der hand drei oder
hier Medizinflaschen.
- «Die alte Neumann soll alle Jaqe
sein halbes Gläschen Wein haben, faat
tder herr Dottor«, schlon er endlich
seinen Bericht, »und do habe ich ge
dacht —"
»Oui, gut, Gottlieb«, unterbrach
ihn Tante, »das tann sie ia betont
men; wie macht sich denn das Wies
chen in der Stadt?«
Der alte Mann lraßte sich jetzt hir
ter den Ohren.
«Na, gnädige Frau, das ist nun
einmal so. huiL immer oben hinaus
seine Kleider und ’nen Strobhut wie
'ne grofie Dame; na, ich hab’ ihr aber
heimgelenchtetl" setzte er ausdrucksvoll
binzrn und seine weißen Augenbrauen
zogen lob in die Zithe.
«Das lann ich mir wohl denken«
lachte Tante Edith, »sehr höflich wer
det Jhr das arme Ding nicht behan
delt haben. Laßt sie nur, sie ift noch
jung und sie hat ein gutes Theil alter
halsstaariger Redlichleit von ihren
großeltern geerbt; Art läßt nicht von
rt —.«
»Hm, sol« murmelte der alte
Mann; »ich sieck nicht darin —- wer
tann’s wissen —- tvollen·i hoffen.«
E »Tec- toas, Gottlieb?« fragte Tanie
dit .
i
i
Heft-ein« Sieknhagelelement!«
»Nichts weiter gerade anadxss
Fenn«, entgennete t· »Aber Sie
nehmen es mit wohle nicht übel da
bat mir eben das Lottchen « Fräu
lein Charlotte —-« verbesserte er sich
eilig —--- »gefagk, daß der Herr Ro
bet Oksetfbritee in Fölketobe aewoes
den sind! Gnkidige Frau, ieb bin richt
einer von Denen, die sich was beraus
neknnen, weil sie lange bei einer bett
schait dienen, aber heute » ich kann
wohl lagen, so bat mich lange nichts
»Nu, gebt nur Ente band het,
Goktlieb, wir sind doch alte Freunde«,
sagte Tante Epith, und ibte feinen.
weißen Finger legten sich in die
fchwielize band des Alten. »Meine
Freund chast hat Euch genug gekostet,
Gottlie , nicht wahk?«
»J, gar keine Rede davon, gar keine
Rebe«. wehrte er ab, und iibee sein
etnsied, klnges Gesicht flog ein freund
licher Schimmer. »Wenn'z heute noch
einmal so käme und ich wüßte Alles,!
wiss werden that, ich machte-es bochi
noch einmal, weil Sie mich banettenzi
was eben lo sein sollt gnädige Fern-J
fag' ich inxmet!« . ;
»Ist-, alter Gottlieb, ich habe recht!
daran denken rniissen heute«, niekte
Tante nnd epr ein Glas Wein am
Rebentische e n. »Da, trinkt einmal
auf metnen Jungen —- bie Its t va
ntali vergesse ich inein btag
« nicht —t«
Ich auch nicht« gnsbige Inn-, ich
auch nichts Das tvar ein Wetter, him
meletementt Keine Hand tonnte man
nor Augen sehen und der Sturm seate
iiber die wendintser Chauisee, daß ich
dachte. Pferd und Wagen sollten den«
Abhang hinunteri -—-- und nun di«
Angst, daß ich pünktlich wieder heim
tam, eb« einer von der Herrschastans
den Beinen war; und wie ich mir
denke, es iii Alles am schönsten und
weiß Sie bei der alten Großmutter
gut ausgehoben, und wil! mein Ge
spann so recht heimlich und sachte ir
den Hof hineindringen. da führte der
Teufel --- ich weiß heute noch nicht
roie s-- in aller Frühe die Gnödiaste
daher: geradewegs quer iiber den
has tavn sie in einer großmiichtigen
Schürze, als wollte sie nach den-.
Milchieller gehen. Na, das musz man
sagen. sieiskia nnd thätia tvar die ansi
diae Frau immer. Jch sperre Mund
und Nase aus. als sie mich anruitJ
»Woher denn so früh, Gottliebs Wie
ieden die Pferde aus?«' s— ..-. Herr·
Jesus, wenn ich daran deutet«
»Ja, ja. Gottlietk ich weiß es. laßt
nur aut lein«. wehrte Tante Edittk«
nnd schritt erreat aui und ab. wad
rend der alte Mann einige Schritte
weiter ins Zimmer getreten toar
»Nichts siir unant, anädiae Frau«,
entschuldigte er sich »eS tam mir eben
so in den Sinn; denn schlimmer is
mir in meinem ganzen Leben nicht
zu Mutbe gewesen. selbst nicht, wie
meine Alte start-. ais darum-L wo ich
in dem Herrn seit-D Stube kommen
mußte und Angst-mit neben über meine
nächtliche Fuhre. Q, dn meine Güte!«
Noch lange setzte Iante ihre ruhe
tose Wanderunq sort. sethit dani
noch als die lcktnarrende Risikerultr
längst Mitternckcht nelchlnqen lnttr.
und ich schon ein tmnr Stunden in
meinem großen Himmettiette tue
Schlaien konnte ich nicht, mein Fuß
schmerzte empfindlich, nnd aufgerdem
wogte es in meinem Kovie von tm
scnderlei Dingen durcheinander; its-«
thit mir tausend Fragen. nnd konntet
doch leine einzige beantworten
Alles, wig ich bit- jeyt erlebt. zog t
lcunter Reihe an mir vorüber. und
dies Alles gruppirte sich um Tontej
Edith.
Sie war jeßt in ihrer Echlasltnbe
die Thiir zu dee meinen stand, tin-,
gewöhnlich, essen und ein breiter
Lichtstretsen siel nns den netoiiriettens
Fußboden meines Zimmer-J- Jn re
pelntafzigx Zwischenriiumen glitt ein
Schatten iiriider hin nnd der leiir
Tritt det alten Dame tönte linadliiiins
zu mir herüber. ·
Es hat etwas Aufreqendes, to ens
kuheloses Wandern eine-z andern. Zu »
letzt siel ich in einen Zustand zwiiime ;
Schlaf und Wachen, und da war ins
mir, als wandle dort nicht mehr di-,
öltliche, tleine Gestalt der Tante lo
dern ein junger-, dliihendes Mädtisenl
M so neseikiiitig nnd heimlich sich rjä i
stete, das Vaterhaus zu verlnitexii
Aber warum nur«-darum P- Und dank-I
erschien iie mir wieder, wie iie ie; o
war. blast und die Haare sitt-ern vol-s
vielem. vielem stummen 1fnnd Its-gen «
innte!« siiisterte ich leiir. »He-Jen
tante!«
Da bog sich jetzt da- alte, liebe »l
sicht iiber mein Bett
«Schliisit Du noch nicht. Lensi".’«
Ich schüttelte den Kopf nnd lehltinß
meinen Arm tun ihren Nattern
««,Tante fragte ich, »liebe T ntel
warum hat Dich Gottlieb damals lol
heimlich fortgefahren, und warum distj
Du denn wieder gelomnien und dsel
Katzentante geworden?« .
»Ei, Kind, Du dkst noch viel H
jung, um solch' traurige Geschichte-is
zn hören, am allerwenigsten heutrt
Abend. Schlafe nur« schlni«. ri
mahnte sie nnd drückte einen Kuß out
meine Stirn. I
Dann qlng sie und in ihrem .iq:
mer verlöschte bald das Licht
Um mein Bett drängten sich bunt
Träume und schlichen unter die ver
blichenen seidenen Vorhänge: dunkl
rotde Blumen blühten darin; Ges.
—7---’-—----ssf
hart-tit- Augen sahen so seltsam her
nieder in die meinen, und dazwischen
listie ich Charlotte? Singen:
Mein Schoß, der ist ein Jäger,
Jch lied’ ihn tausend malt
und irn selben Moment tvnr ich wie
der ganz nnd gsr wach geworden;
Tantes Robert war in auch ein
Jäger! Wie ein Blitzstrahl erlench
tete diese Thatsnche das Chaos mei
ner Gedanken. -
»O, liebe Charlotte. nun weiß ich
ettvas!« sagte ich beinahe laut. Und
dann schlief ich köstlich bis zum Mor
gen. .
s. Kapitel.
Wochen waren seit jenem Jldend
vergangen und sür mich hatten sie·
nur Freude gebracht. Geora war hier
und ich sah mit wahrer Seligkeit. wie
sein bleiches Gesicht in der seiten
LandSutt von einem Löstiichen Noth
der Gesundheit iiberzocten wurde Der
schöne Junge hatte Alter Herzen bei
nalpe im Sturm erobert selbst Zerre
dritckte mitunter sein bränettes Ge
sichtchen an ihre rosige Watte-e unt
nannte ihn ihren tleinen Pagen.
Charloite aber in ihrer allerliebit
bot-haften Weise beschnldipte Ferra
der Kotetterie, sie wisse sehr gut, die
della Ferra. dasz nelzen dein duntrls
farbigen Teint des Knaben ihre zart-.
blonde Schönheit erst recht zur Get—
ttmg gelange. »
Fett-a ertrug solche tteine Aus-säh
mit bewundernn Zwiirdiaer Sanft
math, das heißt, er lseaniiate sich da
mit, Charlotte entant terrible zu nen
nen nnd dann still zu schweiqem wob!
wissend, dass sie bei einem Wortaesechz
mit der jungen Schwester nur nistet
tieaen Niede.
Eli-anderes nute Laune war usk
vollsten Maße wiedergelelirt. Ihrer
älllichen Freier linlle Gerhcrbt eine
artige. nber entschieden verneinende
Antwort zu Theil werden lassen: »sie
sei noch gar so Lunis-; und dieser war
mit dein empfangenen Korbe siir ei
nige Zeit ans Reisen arg-engem aller
dinas mit der Versicherung. er werde
die hoffnnnez aus den Wes-it der inn
gen Dem-e noch nicht aus«-reinem
Indessen er war doch vorläniiii ab
gesanden und Charlottezdsachte nich
rnehr an vieles Schreetgeipenit. wie ts
ibn nannte. Ferra aber schien feine
hofsnnnnen zu theilen, denn He sprach
stets mit einer gewissen Versen-lichten
von ihm. als nehiire er bereits Jnr Ins
n:ilie.
Bei solchen lileleaenlkiten - war es;
geradezu loslbnr, Charlolte zu be
bsaxttem Zie hatte eine sehr gelten-Jene
Manier. von dem Gespräch scheinbar
nichts zn hören· die leis-»Mein lotpiscks
ir-irtle: neiviilsnlich inne-« ise sie-un leise
var sieh hin nnd fiel drei-Je in been
Moment wo Ferrn ais-i ex .; zsiksgssepnnlx
ihres Gespräch-z nnqelntscsx wer Ini
irgend einer sc weit beweist-n Frage
oder Bemerkten-i hager-selten daß lp
satt dri: anme- lignstreiilz anixebkule
Eespriåebztbeinn ibrer Estixciesier wie
ein Knetenlzans arti-J Stläigkichiie zn
snrnineniieL
« In jener Zeit war Zell öfter in die
Villa gebeten worden« fast immer zu
litmrlnlte Nur einmal sal; ich dik
Tante Dempboif, nlei ieb mit Geer-;
btngi a. um ibr den tseinen Kutscher-:
voran-Kissen Ich lysite Isliiihe ihn ists:
Fabeln-reinem deikn er san-«- in feiner
tiinberlogil ek- durckzaug nicht iiir ni
thin, der bösen Tantn die Marna nie-se
leiden lonnle Hinten Ter. zu sagen.
»Sie bat hier ja nnr reichte- iu ds:
fehlen, Lena«spbesiiirsete er mirs-. eit
exebiirl Alles Vetter Gernardt iet
will nicht zn ibr.«
»Du nie-set. ssnft Osiirbsesr Du den
Vetter betriiben«',- fasse ich; und bi
er mit einer wahre-ni Leidenschastlichss
teil erwidan hing nnd dieser den
Knaben beinahe nicht von sich lief-. so
baß ich seist eiferiiiebtin rot-ede, gelang
es inte, ihn binznsiihren
Fortsetzung solgt.)
Mistexiix »Wir, schon wieder gehst du nach Bier-? Du weissl. daß ich Pa:
nicht sehen aus« « »
Lehrjunge »Ich, liebe Frau Mceftek n, wollen Sie mcht die Augen ein bischen
statische-IF — s