Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, September 16, 1910, Zweiter Theil, Image 10

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    Kloster Wendhusen s
»Dir-K- s:
Roman von W. Heimburg
W
WW
1. K a p i i e l
«Run Adieu, Wasdalenel sagte
mein Vormund und tilgte mich etwas
Mt auf die Stirn. während es in
den tsleinen, gutmütlyigen Augen feucht
Wein «Adieu, Mast-gleichem
und wegen des Geists sei außer Sor
gen, ich wache über inn: Sonntags soll
er mich regelmäßig besuchen, uns dann
Iewe ich vaer halten« daß er alle
mal ein paar Worte an Dich schreibt;
nun —- nnd das Grab Deiner Mutter
das halten wir, die Christiane und ich.
in Ordnung, mein Kind; der Gevrg
geht oft einmal din, gelt, mein Jung«
So, pas wäre wohl Alle-. meine Klei
ne —- doch nein, Du nimmst es mir
nicht für ungut, daß ich nicht mit auf
den Mal-of gehe, ich hssde einen Ter
min um neun Ushtz die Christiane wird
Dir Alles besorgen, Billet und Sei-sich
and in Mdots mußt Du umsteigenz
frags lieb-er einmal zu Ziel als wenig.
ks lsl plsstts utw m Sen-Ursein tust-.
schon Jemand sein. der Dich abholt,
vielleicht Iante oder Cousine Jeman
de; und gen-ohne Dich bald an dir
fremden Verhältnisse aus Wendhusen,
und schreibe bald, recht bald!«
Noch einmal reichte er mir die Hand
nnd strich mir über die Wangen.
Wicht weinen, Kleine, nicht weis
nen!·' sagte er hinzu und ging rasch
iu- dem Zimmer.
»Adieu, Onlel!« hatte ich leise ge
sprochen. und trotz seiner Ermahnung
nicht zu weinen, drängten sich mir doch
wieder vie heißen Thränen in meine
Augen.
Drüben amFenftser lehnte ein schlan
Ier, achtjiihriger Tamgex er shatte die
Irme übereinander geschlagen und das
hübsche Gesicht schaute sinster und
troiig unter einer Fülle dunkler Locken
vor.
»Nicht wahr, Georg«, bat ich, »Du
toirst auch ganz gewiß ost an mich
schreiben?«
Er nickte und wandte sich um.
»Und asin Geburtstage unserer Ma
ma schicke ich Dir einen Kranz, den
wirst Du aus das Grab tragen, Georg,
ich — kann’s ja nun nicht mehr -—«
die Tbräinen erstickten sast das Letzte.
»Ja!« tam es kurz, aber gepreßt
aus dem Munde des Knaben. s
»Und Du schickst mir manchmal ein(
paar Blümchen von ihrem Grabe; dass
ist dann, als ob see mich grüßen läßt,
Gmg —« .
.Ach. Lena, Lein-l" rief er außer
sich und schlang ausschluchzenb in stür
Iischer Zärtlichkeit seine Arme um
seinen lt. »Geh doch nicht sortt
sannst u denn nicht hier bleiben?
Das willst Du bei der Dante, die
Man-a so gar nicht leiden konnte?«
»Ich muß doch, mein herzchen, ich
Mß!« sliisierte ich und preßte meinen
Mund aus seinen Lockentops. »Was
soll ich denn hier? Der Onkel sagt, ich
müsse sehr dank-bar sein. idaß Tante
mich ausnehmen will, sonst hätte ich
unter fremde Leute ——«
.Dsie Tante ist aber so stolz, sagt
Christiane«, unterbrach er mich. »Wenn
He nun häßlich zu Dir wäre, Lena?«
Er bog sich zurück und die großen,
dunklen Augen sthen mich mit leiden-s
schastlicher Angst an.
»Ach. Georg, warum sollte sie
wohlf· erwiderte ich scheinbar mu
tbig, obgleich es in meinem herzen
ganz und gar nicht so aussah
»Ja, Lem, weil sie von Martia gar
nichts wissen wollte«, erklärte er.
·Und als der Brief von der Tante
tam an lden Onkel Vormund, worin
sie schrieb, baß Du zu ihr kommen
solltest, da sagte Thristiane so vor sich
hin: Ra, ich wußte ei ja, und toenn
sie aus das arme Ding nicht aus Lie
Ie ausnimmt, so thut sie es doch, da
siit es nicht beißt, ein Fräulein vor
Deut-hoff hat eine Stellung anneh-s
men mässen!« siehst Du Lena, —
ich, wenn sie Dich nur deshalb kom
men lieh-l«
Jch schwieg und drückte den kleinen
Burschen fester an mich. Du lieber
Gott, die Worte, die er sprach. dran
gen mir schneidend in die Seele.
Die Schwiigerin meiner Mutter —
sie führte denselben Namen wie ich,
und sie hatte sich so gut wie gar nicht
rnit Manm gestanden; sie war stets
fo unfreundlich zu uns gewesen, hatte
uni, die armen Verwandten. nie be
achtet ——— ach ja, es war möglich, sogar
wahrscheinlich, daß sie aus diesem
Grunde die arme Nichte aufnahm
Und dahin sollte ich, noch heute!
- Stoßt Gott, es war lchon Dreivieri
tel auf neun Uhr« und um halb Zehn
ging der Zug. Trost-los blickte ich zu
seveg herab, ver mich noch immer fest
tpklammert hielt; den ·lleinen, lieben
Massen lollte ich nun auch entbehren
Des Einzigem ider mir auf der Welt
sich gehörte, seitdem vor vier Wochen
unsere Mutter gestorben war nat
jahrelanger-( Iräntlichfeim und der
sich lieb hatte, wirklich lieb! Jch san
t Erde herunter und lehnte meinen
spf gegen den feinen.
M Man-w Muse-, warum bitt
Du Ist unt Hang-F « kam es in
set-er statt m n Lippen: sch,
Mit eine-) lebtkzI dantäia Atti-Zeil
· I m eis, nn
Yes M unter Frei-drei
W ! « . we
Mist-: trennanin-Jesus
W, W, und et M Rie
L- - g
rnanid m M. ihm heiße Mich zu
reichen, Niemand« der ihn streichelte
und pflegte?
Eine namenlose Angst erfaßte mich,
ich meinte bestimmt, ich könnte nicht
fert, ich müßte bei ihm bleiben iind
wenn ich im ärmsten Mansardenstiibs
chen wohnen und für Geld nähen
sollt-e. —
«Christinne, ich kann nicht fort, ich
reife nichtm rief ich der alten Frau
entgegen, die fest ins Zimmer trat
nnd mir eine Tasse Bonillon zur
Reisezehrung brachte. »Ich bitte Dich, i
laß mich hier bleiben dec Dir wenn S
nicht anders geht, mir laß mich ni. t;
Geer-g zusamment« i
»Ich dachte inir s schon«, nieste die
ie ruhig. isnd die weiße Bande nickte
rnit auf dem Kopfe, Just wie die frl
lige Frau Mutter die ist deswegen
auch nie aus dem Hause gekommen; i
iaber diesmal kann s nichts helfen He
Ilsllllkll Illle Plck olcloclls Cagsllgkll
Sie sich nicht unt den Jungen, er i
bei guten Leuten in Pension, die Frau
Doktor hegt und pflegt ihn, das sollen
Sie sehen und ich guck auch nach ihm,
das wissen Sie, da müßte es ja nicht
meiner selisen Frau ihr Jungchen
sein. Aber das ärgert mich doch voi
khm«, fuhr sie sort, einen ganz ande
ren Ton annehmend, «daß er jesz
durch seine Heulerei. die sich ganz urt.
gar nicht siir einen Junker paßt, Itx:
nen den Abschied schwer macht. P ui,
Gesta, schämen Sie sich«. fügte sIs
binzu, sehte die Tasse aus den Tis
und sah scheinbar böse, den einen Arm
in »die Seite gestemmt, den Knaben an,
»der mich bei den lesten Worten rasch
losgela en hatte und, den Kopf zu
rii . end, kpstig die Thränen aus
den Augen wischte.
»Ich toeine ja gar nicht«, versicherte
er.
»Na, ich sollte auch meinen! Cou
rage müssen Jungen haben, geht
auch vorbei so 'ne Abschiedsstunde«,
erklärte die Alte. »Mein Mann, der
Bursche war bei Ihrem seligen Va
ter, der sagte immer: so einen schnei
digen, sorschen Herrn hätt’s aus der
Welt nicht mehr gegeben; es sollte
mich doch wundern, wenn sein Sohn
anders wäre?
»Nun kommen Sie aber, Lenachen«,
ermahnte sie sreundlich, »und trinken
Sie. denn mir müssen sort, es ist die
höchste Zeit, und Sie. Georg. gehen
Sie in die Klasse; die Stunde, die
Sie sich steigebeten haben, ist gleid
bit-üben sagen Sie rasch Adieu, aber
ra .«
«Udieu, Schwester Lena«, sliisterte
er an meinem Ohre, und wieder schlan
gen sich seine Arme so sest und stür
misch zärtlich um smeinen Nacken; »ich
schreibe bald und schicke Dir Blumen.
und nicht wahr, Lem, wenn Dein Ge
burtstag ist« dann wirst Du fiel-zehn
Jahr-t«
»Ja, Georg· leb’ wohl, leb’ wol-L
mein lieber, guter Georg!« sliisterte
ich; mein Widerstand brach in dem
Web des Tit-schieds. «tverde nicht trank,
sei hübsch vorsichtia beim Beiden u D
Tut-nen, Du weißt, Martia hat ich
immer so geängstigt, und gehe ost
zum Onkel Vormund und sei fleißig
in der Schule; die Eensur schickst Dus
mir immer. gelt? Und wenn es Tantes
erlaubt, dann kannst Du vielleicht in!
den herbstserien Kommen —- —'· ;
«Adieu, Letta, liebe Letta, ich wills
Alles thin, nur weine nicht so viel»
ich weine auch nicht, ganz gew. .
nicht.« «
Er stürmte hastig aus dem Zimmer
mit obgewandtern Gesichte; —- ich lie
ans Fenster und sah dem set-lauten
Jungen nach: er steckte eben sein Ta
schentuch wieder ein, als er aus den
hause trot. dann ging er, den Kopf
stolz zerriickgeworsem ohne sich umzu
sehen, davon. Was hätte ich doch ge
geben, hätte er mir noch ein einziges
Mal sein hiibsches Gesicht zuigewandt’
Sange schloß ich das Fenster.———
»Nun vorwärts! Reises-F ermahnte
Ehristiane, indem sie einen Blick anl
die Uhr wars, die über dem Schrei-b
tische meines Vorm-indes hing, in
dessen Wohnung wir uns befanden, da
unsere kleine höuzlichkeit sich tota:
ausgelöst hatte.
»Es ist ein weiter Weg bis naclz
dem Bohnhofe. die Droschke muß
gleich kommen. — Und. Fräule:
Lenachen, nun will ich Ihnen noch
etwas sagen: Ihre Frau Taute, di(
kenne ich schon von früher, von da
zumal, als ich noch bei Ihren Elter-.
diente; sie hatten erst eben getei
rot-het, da war ich einmal mit nai
Wendhusenz ej ist vornehm d
Fräulein Lenochenz lieber Gott, Sie
werden sich wundern — das Schloß
die Zins-mer und Säle, und der Parl
so etwas haben Sie noch nicht se
hen. In was i sagen wollte, e
Frau Sante, die rau von Der-w
ist eine merkwürdige Dame. kalt wie
Eis; deuten Sie also nicht, daß si
Ihnen so entgegentommen soll, kri
Mr selige Frau Man-a »e- toah wenn
von einem Spa rergonge non
hause kamen; daß sie «ch sreuen, Sie
M und tiissen wird! Erstens ist sie
Iee Mutter nicht, und zweitens-Tot
hist its- eiw M reis- ek
IM ht. Dosten-at waren du«
stehe aerchen der Arlteste tue
sireilich schon elf Jahre, na, und die
jMiidchkn so sieben nnd fünf Jahre,
ich half aber nicht gesehen. baß die
Mutter sie jemals geliebloft hätte;
ach, du meine Güte, wie anders nor
doch Ihre Mutter, Fräulein Luni
Die ging nor Angst lcnnn ans der
Kinderstube Lieber Gott« sie fah zu
niedlich ans wenn sie so an , er
Wiege laß, selbst noch wie ein nsd
grod’ so fein und tlein nnd schmäch
tig wie Sie« nnd just so duntle Lo
cken nnd Augen«
»Aber trinlen Sie, Lenachen, trin
len Sie. ich wollt’ Jshnen das nur sa
gen, damit Sie sich nicht wundern,
wenn das tein Frei-en nnd Fabeln
wird bei Ihrer Ankunft, und sich Kei
ner sonsderlich —- na, was sclnoehe ich
va. es wird sich ja finden. Kindes-en
der Kopf wird nicht gleich til-gekiffen
und man gewöhnt sich halt an Alles.
Es ist so immer noch besser. als miss
ten Sie fest unter fremde Leute und
Goeretnante spielen.«
» -L,.- .-,
»All. UlllI ckllthklh GI( any-»Ist
niir es wohl nicht übel. wenn ich
Ihnen so ein paar gute Lehren mit
gebe aus den Weg«. begann sie nach
einer Weile abermals. und das
sreundliche, kluge Gesicht wurde nun
dunlelroth unter »dem schneeweißen
Miihchem »Sehen Sie. sfriiulein Lena,
ich hab’ gute und schlechte Tage mit
Ihrer Mutter durchgemacht und. Gott
feig geklagt. es waren mehr böse als
gute! Nun, der here hat sie geschist,
er weiß wong es ain besten war. Ick
hab’ aus ihren: use sortgeheiratfxt
und ·bin, als der r Vater starb und
die gnädige Frau sich tein Mädchen
mehr halten tonnte, Aufwärter-in bei
Ihnen gewesen, bis jetzt, nnd hats es
immer gut gemeint, und -h:b’ gethan.
was ich gelonnt —- die selige Frau
weiß das auch; es waren manchmal
wunderliche Zeiten« die wir zusammen
durchgemacht haben.«
»Ach, Du mein Heiland!' unter
brach sie sich. »Rasch. Fräulein Lena,
den hut u. den Umschlagl DieDroschte
ist ba, wir wollen doch nicht zu spät
kommen; nur immer sir —- hier ist
die Tasche mit Butterbrot und Wein
und Wasser —- leieu sagen brauchen
Sie wohl Keinem mehrs Nein —- dem
herrn Ontel seine Haushalterin ist
aus den Marlt gegangen —- na, ich
schließe die Stube sherurn —- haben
Sie auch Jhr Portrnronnaie? Gott«
was das bei einein Wittmann unors
Tentlich aussieht! Fallen Sie auch
nicht aus der Treppe, Fräuleins-ern es
is: so dunkel dort; so, nun steigen Sie
nur ein — Kutscher, nach dem Cen
tralbahrrhose, so, fahren Sie nur zu,
aber rasch!«
Jch saß wie im schweren Traume
in dem Wagen, die wohlbekannten
Straßen solgen an mir vorüber und
aus ben Trottoirö drängten sich die
Menschen wie sonst: dort war das
große Mißwurengeschiist, skir wel
ches meine arme, fleißige Marna so
manchen Stich gethan. dort die Kir
che, in der ich die Ostern konsirmirt
worden, und seit tam die Straße.
in der wir gewohnt — ich bog den
Kopf aus dem Magst und erhaschte
im Fluge noch einen Blick; die brei
Fenster im dritten Stocke sahen so
unheimlich leer zu mir herunter; ach,
wie ost hatte da ein liebes, sreundli
ches Gesicht herausgeschaut und mir
zugenickt, wenn i aus der Schule
kam! Nun barg chen seit Wochen
der schwarze unheimliche Sarg die
lieben Züge und die Erbe lag so er
brüclerrd schwer aus ihm. — Und
;weiter ging ej, die Droschle rasselte
.sinnoerwirrenb aus dem Pslasier,
Fund Christiane hielt meine und
sprach zu mir, was? ich wei es nicht
: NUM- i
J Und dann dsiö Jogen auf den·
zBohrchcie, Gepäct besorgen, Billet
taufen, und da läutet es schen zumt
Einstrigern
’ »Sei-offnen Schafiner, Damen-:
coupe!« rief Christianr. «Sehen Sie.
es ist Pnz leer, Kind —- nun verlie-:
ren Sie nicht dai Billet, und Fräu
.lein Lenachem den Georg, den deg’
’un-d pfleg« ich, ais wör’s mein Auer
apfeh nur den Kopf immer oben, Le
nnchen, und nicht gleich sdurch alle
Wände wollen, immer hübsch ruhig
— Sie hoben ja ein tlupes Köpfchen,
grad’ wiie die Frau Meint-· Und Gott
ichith Sie, Lenachen, tommen Sie
bald einmal wieder und vergessen Sie
mich nicht und meinen Alten —- itt
denke schon immerfort an Sie —- und
mag ej Ihnen gut gehen. Jesus Chri
stus! Weinen Sie doch nicht«, feste fi
hinzu und hielt meines nd wie i!
einem Schrank-stocke, un sdabei rot1
ten ibr vie großen Tropfen über das
Gesicht, und die Lippen zitterten und
bebten in verhaltener Rührung.
Und noch ein "ndedruck, ein tei
tei Meu, ein le r Gruß an Georg
dann lchrillte ein reller Pfiff von
der hohen Balmhof lle euritc und
schmal-end feste sich der ug in Be
wesweg. Jch bog mich au dem Fen
iter und starrte hinüber zu .der großen
Gestalt, die regungslos an dein Per
ron stund und, die dan über di
susrn holt-nd, dem M schmiss
med dann konnte t ni t mehr
fes- und feste mich in das Polster
print-sit ein-n zenlit bange
W Ei es
»k, aiwsge ich »i- eiu tust-IT
Måsssvvvmfvvvv-— -s-f
Feder-den iin wirbelnden Binde urn
der ohne Schuh ohne Aal-alt allein.
gllein — chne heimatl- sblse Vater
aus
Es war die erste Reise, die ich un
ternahm bis sdaliin hatte ich non
nie die große Stadt verla en, in der
ich geboren und einigen-a
Ich heil-te neine Ali-seenn aufs die
Gegend-. die wir ichwindelnd chneli
tsurchflogenz die Thiirine der Stadt
verschwinden in eine-in Dunfiineere,
da s sich dsrliber breitete. und dann
Miste der Zug donnernd iiber die
große Eisendcrhnbrüäe er durch
schnitt grüne Wiesen und hier und da
machte ein weißes Segel auf in weiter
Ferne, nnd endlich verlor die Gegend
-das lehle Belannie für mich.
Da tam wieder das bange. bange
Gefühl, die aufschreiend-Sehnsucht
nach Georg; ich driictte meinen Kon
in die Kissen des Wagens und wein
te. Dann wurde ich ruhiger, etwas
wie Mattiateit übertam mich, und
resignirt seßte ich mich zurecht und
dachte. Die Kindheit stieg vor mir
auf; ich hatte sie wohl taum eigent
lich überschritten und doch kam ich
mir so alt vor seit den «leßten Wo
chen; ich erinnerte mich- an die schöan
Zeit, als Papa noch lebte, wenn ich
ihm entgegenlief bis oor die Thür,
um mich jubelnd oon ihm emporneh
men zu lassen.
Damals hatten wir noch nicht in
der engen Mansardenwobrmn ge
lebt —- elegante, trauliche iiume
tauchten vor mir auf, und »die kleine,
zierliche Gestalt meiner Mutter war
oft in tostbare Stoffe gehiillt gewe
sen; meine Mutter! Aus jener Zeit
schwebt sie mir wie ein Schatten« ein
reisender bunter Schatten vor. ich
tonnte mir später nie wieder dieses
e!fenzarte. gautelnde Geschöpfchen mit
der leidenden. gebrochenen Frau als
identisch vorstellen, deren große, dunk
le Augen so vergangen in »das Leben
schauten, so voll sunsagbaren Leides
und Web.
Später lieat ein Schleier iiber
meinen Erinnerungen; es ist mir.
als ob ein Etwas in unserm Pause
war. das lähmend und oersinternd
wirkte. Jch erinnere mich, daß Ma
ma oft weinte und daß mein Vater
laut und heftig zu ihr sprach und
dann oft Tage lang nicht nach hause
inm.
Nur Christiane blieb mir deutlich
erinnerlich, ich meinte, sie miisse noch
deute ebenso aussehen als damals,
wo sie mir Bonhons in den kleinen
Mund steckte und mich mitunter fast
heftig am Arme packte und mit in
die Küche nahm« wenn in dem Zim
mer meiner Mutter gar so laut ge
sprochen wurde.
Und dann tam ein Morgen, dessen
ich mich, so lange ich lebe. mit Selig
teit erinnern werde. Christiane nah-n
mich fchlastrunten aus meinem Bett
chen und trug mich in das Schlafzims
mer meiner Mutter, und meine ver
wundeten Augen fielen auf eine Wiege
neben ibrein Bette, und da lag er da
rin und schlief. mein herziges, liebes
Brüderchen — Wie die folgende Zeit
verstrich, das weiß ich taum noch; ich
sa beständig an der Wie e, das Ge
si chen auf den tleinen åchsliifer ge
richtet, und vergaß Essen und Trinken
iiber seinem Anblick. Einst trat mein
Vater in das stille Kinderzinnnerx er
tam an die Wiege und als zu dem
Kleinen hinunter, und als ich mich an
ihn schmiegen wollte, stieß er mich fast
heftig zurück. Er war ein großer,
stolzer Mann mit blondem haar und
Bart.·ich erinneeemich seiner deutlichi
in vielem klugem-nah als er sich tang- -
fam zu meiner Mutter umwand-te. bie
eben eingetreten war und ebenfalls
zur Wiege schritt. Dann entfpann
fich ein Gespräch zwilchen ihnen. zu
erft in ruhigem Tone. aber plsylich
zitterte ich vor Entfe en. denn mein
Beter riß vie zierli Gestalt mei
ner Mutter jäh in feine Arme und
mit leidenfchaftlicher Stimme rief er
die Worte:
»Elfe, meine arme Glie, hättest Du
mich doch nie gelehrnl Jch bin fchuld
an Deinem Unglücke, an dem der Kin
der ——!«
Sie legte wie befchrvtchtigend die
Hand auf feinen Mund und deutete
auf mich, und Ln demselben Augen
blicke tnin auch Chriftiane und führ
te mich binausz ich hörte nur nach
idas leise Schluchzen meiner Mutter.
« Dann tam ein Tauffeft. bei dem
unfere Wohnung m ledten Male i
allem Luxus ftsa te; ee waren viele
Gäste da. und ich ging als nrtiges
Kind im Kreife umlIr und ab ds
hönbchen. Meine Mutter f ich an
jenem Tone zum lesten Male in einem
farbigen Gewande; et war ein tief
rothj Seidenkleibx fie gefiel mir t
drin und per dunkle bereuton ah
lo minder-lieblich aus unter bern ro
then Fuchfisilranze.
Bald nachher zogen wir aus jeneri
Wohnung in eine kleinere: mich des
triibte es data-i fes-. Ei war ein »
stille Straße, in der wir nun wohn-«
ten, und viele Treppen mußten er
werben. — Dann verrel e
mein Vater; meine Mutter hielt i J
weinend umfangen in der M
des Mchlevh und er Kiste immer»
wieder with und den kleinen sendesz
"C-hrisiikme mahnte endlich zum Auf-T
bruch. und als er das Zimmer ver-?
lies, sagte er noch einmal die Worte,
die er oft nn jenem Tage gesprochen:
»Mfentlich komme ich bald· Euch
nacksndolenP
Und Abends fasltete die Mutter
meine hände und ließ mich beten für
den lieben Vater, der weit, weit übers
Meer reiste, ach, so sehr weit.
Wie viel hundert mal habe ich das
Geht gesprochen und mir das schau
telnde Schiff vor die Seele gezaubert;
ich schloß dann die Augen« um mir
ein Bild zu machen von einer Wasser
flöche, die am Horizonte sich mit dem
Himmel eint, wo man nichts sieht als
himmel und Wgsser, wie Christiane
las-te —- aber es schob sich immer wies
der ein Stückchen Land davor.
Wir lebten sehr still; Christianr
war auch nicht mehr immer bei uns,
sie hatte Papac Diener geheirnthet
und tam nur noch stundenweite des
Tages; Geprge lernte laufen, und im
Schirm-wem .erzä·hlte unsere Mut
ter, Riß Papa geschrieben habe, im
nächsten Frühjahre holte er uns, dann
sollten wir auch aus einem Schiffe
fahren iiter das weite Meer.
Ei tam anders. —
Vater starb au einer der furchtbaren
Krankheiten, denen Oder Eingewanderte
in jenen hiiiiinelsstrichen so ost er
liegt. —- Jch ahnte noch nicht, was es
bedeute, ihn zu verlieren, als ich mei
ne Mutter halb sinnlos nor Schmerz
durch die engen Riinme eilen sah und
ihr berzweiselndes Klagen hörte; aber
dann lernte ich es begreifen, denn die
Noth hielt Einlehr bei uns. die bit
terste Noth.
Meine Mutter hatte sich einem sin
stern Grnine hingegeben Sie arbei
tete seht iiir Geld und auch mir süati
sie die Kinderhiinde zur Arbeit; bleich
und still saß sie an ihrem Fenster, und
das Einzige, was sich an ihr regte.
waren die nussallend zierlichen. klei
iien hände die unablässig den Faden
durch die seine Stickerei zogen.
Nur zuweilen, wenn Georg sich an
sie schmiegte und sie mit den tiesen
Kinderarigen ansah, dann tonrite
sie, in Thriinen ausbrechend. die Ar
beit zur Seite werfen und ihn an sich
pressen.
.Meiii Kind. meine armen Kinderl«
ries sie, und stundenlang währte es.
ehe sie sich beruhigte.
Mit der Zeit wurde sie gefaßten is
dein zarten Körper wohnte eine fabel
baste Willenitrastz wenn ich Nachts
erwachte, sxih ich sie am Tisckz sisen
und nähen, iinb sobald der Mor en
graute. saß sie schon wieder bei r
Arbeit.
Dann wurde ich zur Schule ge
schickt. und bei dieser Gelegenheit er
fuhr ich, dah ich eine Tante habe; mein
Vormund hatte daraus gedrungen das:
Mutter sich wegen einer Unterstützung
on die Frau meines verstorbenen On
tels wenden mußte. Es tam auch eine
Antwort —- ich sehe es noch, wie meine
Mutter leichenblaß zurücksant, als sie
den Brief las.
»Ich soll schuld sein?« sagte sie
halblaut, »Wald sein an seinem Un
glücks«
Und dieses »Schuld sein« wieder
holte sie so ost, bie- endlich Christiane
erschien.
«Christinne, ich soll schuld sein an
unserem Unglück«, saqte sie tonlps.
.Christiane, ich bin schuld. daß mein
Mann todt ist!«
Christiane nahm den Ortes und las
ihn, dann steckte sie ihn in den Osen;
sie liebte vor Zorn und sagte nur:
«Weinen.Sle nicht, gnädige Frau,
es ist zu erbärmlich!«
An jenem Tage wurde meine Mut
ter sehr traut, und als sie genesen
war sie dle stille, gebrochene rau« die
sie bis zu ihre-n Ende blieb; sprach
mit und, sie lächelte auch. aber es war
ganz anders wie sonst. so bellngstl
send.
So wuchs ich aus unter steter Ar
beit, unter Entbehrungen aller Art,
und doch srllhlich wie nur je ein Kö
nig in den beglüuendsten Verhältnis
len. Es war zu schön in unserer Mas
sardenwohemng, in den epheuumspon
nenen Mudenx es war zu reizend.
wenn die Christiane Sonntags mit
uns spazieren ging und uns nein-litt
Brezeln von ihrem Gelde tautte. l
ö. diese Nachmittaglstsinden wenn
ich sleißig an meinem Mhtische gewe
sen. und dann vorn Johanniithurme
drüben die vierte Stunde schiugx wie
bog ich mich da aus dem Fenster, unt
eine liebe. tieine Gestalt w erblicken,
und da kam er in vollem Laufe um
die Ecke und stiirmte die Treppe hin
eius unser Liebling« unser Herzens
junge.
Das Schuttänszel flog aus den
nächsten Studi, die Kasseetanne
dampste aus dem Tische und unser
stilles Müttetchen sah mit ausleuch
tenden Augen zu, wie er mit den
festen Zähnen so miser in das Bes
perbrot biß, das Schwester Lena so
unvernnttvorttich mager gestrichen
hatte.
Sie waren schön, die langen Win
terabende in unserm Stäbchen, sie
Ivaren schön, die Sommer-Nachmit
tage, wenn wir spazieren gingen oder
mit der Arbeit im schettigen Stadt
pnrk saßen. —- .
»D. wie doppelt süß erschien mir
dieses Glüct fett, wo ich es verloren.
und nun in die Fremde gingt. Nach
nmr ich ja wie im Traume, der
schwarze Sarg, die fremden Leute,
die ihn wegtrugen, die weinende
Ehrisiiane, und dannf die unbew·
lia- Oiiuslichteit unsers lieben On
tels Vormund. —
Jch wußte nicht, wie Alles so rasch
gekommen, wie die Zeit vergangen
ich erwachte erst da wieder zur Wirt
lichteit, als man mir tagte, ich müsse
mich von Geer trennen, die Tant
cvvlle die Güte haben, mich in ihr
Haus zu nehmen. Das war ein
Schmerz. viel packender als der um
den Tod der Mutter! Sie fah so
friedlich aus im Tode. hatte ein so
feliges Lächeln um den blossen
Mund. —
»Ihr ist wohl«, hatte Christine ’gei
sagt, «i!)r ist wohl!«
Wir hatten ja nicht einmal Abschied
aenommen vvn ihr: sie war eines
Nachts ruhig entschiummert, aus dem
irdischen Schlaf unvermerkt ins Jen
seits hinüberaeaanaem ie. -— Ihr iii
wohl, aber wir -—— mein tleiner Bru
der! »
Wieder schüttelte mich der heiße
Schmerz, aber ich preßte die Lippen
aufeinander und schaute hinaus irr
die lachende Geaentn gelt- fchnmnt
ten die erniekder im Winde. hier
und da lag ein Dort im Schatten
alter Eichen, und darüber lachte ein
wolkenloier, blauer Himmel, als ob
es teine Anast, teinen Kummer in
der Welt gäbe
CIartsehuna iolgt.)
Die Briesiaubem die von einem
Lustschisser aus einer Strecke don
siinszig Meilen weit überholt wurden,
mögen sich trösten. Erstens tönnen
sie sagen, sie hätten nicht gewußt, daß
es sich überhaupt utn eine Schnellig
teitsprobe handle. und zweitens tön
nen sie ihre größere Ausdauer und
Zuverlässigkeit beweistriistig geltend
machen.
i I I
Merkwürdig ist es jedenfalls, daß
Rockeseller wegen zu schnellen Fah
rens mit seinem Automobil gerade
dann bestrast werden mußte, als er
die ersten Whistehbiider genommen
hatte. Sollte der alte herr am Ende
doch genippt haben?
Lehrer: »Wenn ein Stier oder
eine Kuh aus einer setten Weide stehen
und nicht fressen, was sind sie dann?««
—- .Ochsen«.
O f I
Die Gefahr einer Jnoasion wird
immer drohender: Jetzt stiegen sie
schon zwei Mann hoch über den Ita
nal nach England.
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Dem New Yorker Polizeirichter
Corrigan wurde ein Mann oorgesiihrt,
der sich als Zeitungsschreiber ausgab
und tausend Dcllare in der Tasche
trug. Unmöglich! Entweder war der
Ytungsschreiber oder das Geld un
e .
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Die Otlahomaee Rothäute werden
also auch zu den lhäuten gerechnet, von
denen man sagt. dasz aus ihnen gut
Riemen schneiden sei.
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:8:ieda Reich komm mal vor —- du sprichst ichs so leise and heiser, lau-m
In ni ander-»n
Its-da sein fieht lecie nnd ioichtiq). »Hei vers doch nich laut inw,
Vater schläft an Tag-. er is M beide Lach- und -·lkließgeiellfchaftl«