Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 05, 1910, Zweiter Theil, Image 9

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    Nebraska
Staats— Anzeiger und II set-old.
Jahrgang 30. Grund Island Nebr» ). August 1910. Zweiter (Theil.) Nummer 50f.«
Sommernacht.
Der heiße Sommertag verglomm so
chbn,
Fern hinter sonnenrothen Bergeshöhn
Epheuumrankt liegt dunkel schon mein
Haus,
Jn meinen Garten tret’ ich still hin
aus«
Der Lilien und der Lknden süßer
Dust
Durchwogt mit Wohlgeruch die toarme
Lust.
Sacht steigt empor der Mond in wei
— szer Pracht,
Sacht zieht der Strom nur durch die
Sommernacht.
Von einem Schiff erschallt Matrosen
fang
Zu der harmonika gedämpstem Klang.
Und mählich sinkt die Stadt in Schlaf
und Traum . . .
Die Sterne sunkeln licht im Welten
taum.
Max Kiesewetter.
—
Ueberslthrt.
Von Aktion-r Achteitnen
Eines Tages brachte mir die Post
einen dicken Brief, dessen Abstempelung
ertennen ließ, daß er in Steiermark
ausgegeben wurde. Vergilbte Blätter
fielen aus dem Umschlug, und ein Be
gleitzettel sagte mir,dasz ein alter Rich
ter mich, den Verfasser zahlreicher Al
penwerte, siir den richtigen Literaten
halte, die Remtniszenzen eines alten
Gerichtsheamten im hochland zu bear
beiten. Jch begann zu lesen. Die ver
gilbten Blätter enthielten ein hochinteri.
rsiantes Stück Kulturgeschichte des
deutschen Alpenvolkes,zugleich sesfelnde
Schilderungen aus dem Verkehr der
Gebirgler vor Gericht. Ein Geschicht
chen davon sei hier dem alten Richter
nack- erzählt.
Behauan der Geschichte tu das mir I
wohlbekannte« weitgedehnte Jagdrevier
Er. Königl. Hoheit degPrinzen August
von Koburg am rechten User der Enng
in der oberen Steiermart und die ties
ins Erzgebirge hineinreichendenThöler
der Söli und Walchen. Gneig, Gra
nit und Glinuner ist hier zu Hause,
mächtige grauschwarze Felgberge, viel
Wald und Wild, die richtige weltver
gessene Bergeinsanrieit, m welcher nur
spärlich Siedelungen verschlossenen
worttarger Bauern zu finden sind
Ende der 70er Jahre wurde speziell im
segen. Mathilden : Revier am Hirschect
« von der Bahnstation Oeblarn der
Linie Bischofslsosen - Selztal durch
das Walchental einige Stunden hin
auf ins Latschengebiet iLegsöhrenj —
scharf und frech. meist in Kompagnie
gemildert, daher der einzelne Jagdaus
lebet schier nichts ausrichten tonnte und
seines Lebens teine Stunde sicher war.
Dass Jagdschuyperionat war aus das
Betst-achten und Anzeigen angewiesen,
sofern die Gemsdiebe durch das Glas
erlcnnt werden konnten. Die Wilderer
des Diebstahl-z zu übersiihren, war
dann Sache des Richters
Jrn Gebiete der »Mathilden", einer
schaurig schönen, einsamen Landschaft,
wilderten siins Burschen aus Großfölt
mit einer Ungeniertheit sondergleichenH
sie jagten wie berechtigt aus wetnsen,"
bis plötzlich einSchuß trachte und einer
der Burschen zusammenbrach. Jetzt
wurde die Jagd abgebrochen, die vier
gesunden Solter schleppte-i den von
riictwärts angeschossenen Kameraden
zu Thal und brachten ihn heim. Aus
drrn Wege nach Hause liefen die vier
Burschen, von denen einer den erlegte-n
Gains im Schnerser trug, einem pu
trouillierenden Gendarm in die Hände,
weis die sofortige Verhastung zur Fol
g: hatte.
Nun erwuchs dein Bezirtsrichter zu
Gröbming die Pflicht, diesen Fall zu
untersuchen und tlarzustellen Die vier
Verhafteten sagten übereinstimmend
aus« daß sie allerdings gemildert hät
ten. daß aber während des einen Trie
bes ein Jagdgehilfe. der einen Hund bei
sich gehabt habe, aus den Naz und zwar
in ien Rücken schoß,woraus man flüch
tig gegangen sei.
Den Jagdgeliilsen wollte keiner ge
nau erkannt haben, doch den Hund als
Ekgentbum des Nevierjögers Schein
vogl.
Die ätztliche Untersuchung des Naz,
der im Elternbause zu Großsölt schwer
darniederlag, er nb Durchbohrung der
Lunge und Aus chuß unter der rechten
Brustwarze, eine höchst gesithrliche Ver
wundung, welche die Vernehmung sehr
erschwerte und aus die nothwendigsten
Momente beschränlen mußte, da beim
Sprechen die Lust stoßweise aus der
Mundsssnung mit Geräusch entwich.
Auch dieser Wilderer sagte übereinstim
mend mit den Kameraden aus« es lag
also offensichtliche Verabredung vor.
Der Richter, nach Grobming uriict
gekehrt, zitterte den Revierjliger eschan
vogl, der aus Diensteid erklärte, an je
nem Tage überhaurt nicht im Weilchen
graben, also auch nicht in den »Matl)il
den« gewesen zu sein.
Wer hatte nun jenen Naz angeschos
sen? DerBezirtsrichter verhörte das ge
sammte toburgische Jagdschutzpersonal
und konnte schließlich nur konstatieren,
daß am betreffenden Tage kein Jäger
im Walchengraben war.
Den Richter regte die mysteriöse
Schußangelegenbeit auf, er beschloß,
den sogen. Lotalaugenschein vorzuneh
men, wozu außer zwei Gent-armen auch
der eine Wilddieb, Franzh mitgenom
men wurde. Nach einem reichlich sieben
ftiindigen Marsch lam die Kommission
in die schneereichen ,,Mathilden«, den
Thatort. Ein großes Schneeseld zog
hin auf den Felstöpfen und zeigte tief
eingedrückte Menschensährten, die im
lalten Winde völlig verharrscht waren.
Franzl bezeichnete die »Spuren« als
die der siins Kameraden, schwieg sich
dann aber völlig ang. Der Richter
ziiblte siinf »Spuren«, die isach auf
wärts verfolgt wurden bis zur Stelle,
wo angeblich der Jäger Schrenvogl den
Naz angeschossen habe.
Der Richter wollte genau nachsuchen,
doch war gerade an dieser Stelle der
Schnee vom Winde aus einige Klaster
Entfernung weggeweht. Gleichwohl
suchte der Bezirtorichter. auf den
lKnien rutschend, den Boden ab und
fand Schnittliaare einer Gemsr. Un
gefähr drei Klaster von dieser Stelle
zeigte sich der Schnee arg von Fußtrit
ten zerstanipft und geröthet· Aus Vor
halt gab Franzl au, daß Naz nach dem
empfangenen Kugelschusz mit einem
Satze an diese Stelle gesprungen und
daselbst zu Boden gestürzt sei. hier
habe Naz viel Blut verloren und nach
dem Ver-binden sei er von den vier Ge
fährten hinab zu Thal getragen wor
den«
Schon das Augenmaß liefz diese An
gabe als Lüge erscheinen, denn so weit
vermag ein noch dazu angeschossener
Menfch nicht zu springen. Die Diftanz
ift eher ein mäßiger Gentsspriing. Der
Richter prüfte und suchte l
»Von der anqegebenen Stelle alfof
habt Jbr den Naz tveggetragen?« T
fragte der Bezirtsrichter. f
»Wohl, wohl! Von da weq haben»
wir ihn ’runter’tragen!« f
»Wie tommt es aber, daß von da
weg immer noch fünf Fußspuren hin
unterziehen?«
Franzl guckte auf die deutlich einge
drüdten fünf Fiihrten und schwieg. l
»Wo ftand denn der Jäger Schem
vogl bei der Abgabe des Schusses auf
Naz?«
Franzl deutete auf ein benachbarte-Z
Felswpr
»Also dort stand der Jiiaerk Und
fein Hund, den Jhr alle gesehen haben
wollt?«
»Seller war etwas weiter weg und
ift auf den Schuß hin zu feinem Herrn
gelaufen!«
Der Richter glaubte . davon lein
Wort, er schritt durch den Schnee jenem
Köpfl zu. Plötzlich hielt er inne, im
Schnee ist deutlich eine Spur zu sehen,
es muß ein«-Thier isnGalopp hinwegge
gangen fein. Fuchs oder Hund? So
fährtentundig ift der Beamte nicht, das
aus der gefrorenen Spur herauszu
lesen. Sollte nun doch etwas Wahres
an oer Hunde uno Ochungeschrchte
sein? Hastig strebt der Beamte zum
Köpsl hin, nnd sein Auge mustert vor
allem die Schneeoecle ringsum. Glatt,
ohne den geringsten Eindruck ist die
Schneedede, so rein wie eine neue.
Wäre ein Mensch hier gewesen, die
Fährte miifzte unfehlbar wahrzuneh
men sein. Also ist alles Lüge, was die
Wilderer vor Gericht ausgesaat haben,
und jene Schnur ist die eines Fiichses.
Es däintnerte· und Nebel begannen
die Hochregion zu umhiillen. Die Lo
talaugenscheinnahnie mußte abgebro
chen werden, denn gefährlich sind die
Steige des »Hirschects«, besonders im
je igen übereisten Zustande. und der
Richter möchte doch noch etwas Licht
siir diese Wanderung haben. Bis Oel
larn erreicht wurde, tvar ei- Nacht, und
nun mußte erst der Heimweg liber den
langezogenen Mitterberg nach Grob
ming eingetreten werden. Totciriide von
solcher gewaltigen Strapaze nnd
Dienstleistung kroch der Richter ins
Bett doch in seine Träume verwob sich
die ziemte- Wer hat auf den Naz ge
scha en?
Ein sonniger Wintermorgen ist et
was Schönes, er brinat auch meist gute
Gedanken. Der Bezirlsrichter guckte
eben durch das Fenster, dessen Ecken
schürltterne Ansäne der ersten Eis-rasen
zeigten« als ein semmelsarbener, lang
haariger Versteht-und Eigenthum des
Bezirlshmrptmanns, vorbeisprana und
angelegentlichst mit dem Brackenhund
lin Steierrnart Vieriiugel genannt) des
hinterdrein trrllenden Jägers Schrien
vogl scherzte. Ein Gedanke, ein Rus,
Schrenvogl sing seinen und des Häupt
lings Hund ein, gab beide in die Kop
pel, und so wenig leinensiihrig der
Seinnielfarbene auch war, herauf
mußte das Hundednett und hinein in
die Kanzlei des t. t. Bezirtsrichters.
Schreyvogl erhielt Auftrag, im Zeu
genzinnner zu warten und auf Aufruf
rnit dem Hunde des Bezirishauvti
mannssn der Leine zn erscheinen.
Seinen eigenen Hund solle er aber
fest anbinden nnd erst zum zweiten
Mal mitbringen.
Bald darauf wurde Franzl aus der
Untersuchungshaft voraesiihrt nnd
Schreyvcgl zitiert, der mit dem ,,Sem-s
nrelsarbenen« in die Amt-suche trat.
Ertvartnngsvoll fragte nun der
Rirtitert »Fran·zl, ist dir dieser Hund
bekannt?«
,,·-’freilich! Der gehört dem Jäaer
Schreyvogl, nnd g’rad den Hund hats
ich oben beim stödsl in der »Matl)il
I den« aeselnn!«
»So, so! Es wär aber möglich, daß
du dich oerscktant hast!« Die Hundchen
schauen sich alle so aleichk Jst es wirt
lich dieser Hund gewesen?« ;
! »Ganz gewiß. Herr taiserlicher;
; Scharfrichter! G’rad der Semrnelfar "
Hlsene ist es gewesen!« i
l Aus einen Winl entfernte sichi
Schreyvogl mit dem Häuptlingshundei
und lehrte aleich daraus mit seiner ei
aenen Dachsbracke m die Kanzlei zuss
riicl. !
Der Richter sraate den Franzi: ;
,,.siennst dn vielleicht diesen Vieriiugel l
hund?«
»No, Herr Rat, den kenn ich nöt!
Seller geht mich auch nir an und irtz
laß mich nöt siir’n Narren halten!« l
Dieses Experiment wurde bei den
iibrigen Verhafteten wiederholt und
ntit dem Resultat, daß jeder den ande
ren Hund als dem Jäger aehöria be
zeichnete. Es war also die Hundegess
schirbte ebenso erlogen wie die Abgabe«
eines Meuchelschnsses seitens des
Schrrydoal aus Naz dreist erdichtet
that; Wer aber hatte wirklich geschos:
kn
Wieder wurden dieJntulpanten vor
oesiihrt, diesmal alle vier gleichzeitig,
und der Richter hielt an sie eine An
sprache, worin er ihnen nahelegte, vor
der Verschiebunq ans Kreisgericht Leo
ben, die morgen ersolae, zu saJen ,ob
nicht etwa einer von ihnen den »Na-, aus
Unvorsichtiqteit angeschossen habe.
Während drei der Burschen die Fra
ae verneinten, sank Seppl, der vierte,
fast ohnmächtia nieder und mußte mits
Wasser gelobt werden.
»Bist etwa du. Seppl, derjeniar, der
den Naz aus Bersehen anaeschossen
hat?« fragte eindrinalich der Nichter.
Es dauerte eine Weile, bis sich der
bleich gewordene Bursche etwas- erholt
hatte, dann verneinte er sest und be
stimmt die Frage.
»Warum ist dir denn so iibel wor
Den, Sepvl?«
»Die Lust darinnen ist to viel
schlecht und die Kost aircl1!«
»So, so! Mochiest wohl lielser Fias
nocken als Gemiise nnd Fleisch Z«
»Ja, wenn ich bitten diirs1’, Herr
Gerichtshof !«
»Das wird wohl nur noch siir heute
abend möglich sein,denn nsoraen loinmt
Ihr ale vier nach Leolsem und dort
wird’S bavern mit der Konk«
»Rönnt’ ich nicht in Grobminq die
Straf absitzen?«
»Wenn ou alles etnaenemt, vielleicht»
iueniastens auf eine Weil’!«
»So? Und wird llnvorsiktvtiateit
scharf bestraft?«
»Wenn es nicht- als llikvorsidstiateii
war, nicht! Auf die Kost lnt es- auch
keinen (?ilisluß!«
»So?«1« ann will ichs ein.1esieben.
mir ist der cctnisi aach .’ius;erg riitscht
und ’ni Nur hinten hinein!«
»Na endlich!« rief der Richter indes
sen die anderen Burschen betroffen,
safsunaglocs den Sepvl anstarrten
Die mühsame aerietitliche ilelIersiib
runa ist also schließlich doch noch ar
lunaen
.-.-.--·--.-———
Das nratte Jtzelpoa
Aus der Fahrt nach Jtzehoe der
uralten Holstenstadt, die in die
sen Tagen die Feier ihres elf
hundertjahtiaen Bestehen-s beging —
erlebt man einen der jähesten Ueber
aange von der Marsch zur Gust. Noch
ist man ganz vom Jdnll der Kur-mer
marscb erfüllt, die einsamen dunkelbk
dachten Höfe mit den primitiven Dach
sirsten und grün bemalten Mel-einer
schalungen stehen einem noch lebhaft
vor Augen, das breite stille Lied der
grünen, dunstnmslarten Ebene mit den
zerstreuten Rinderherden isn saftstrot
zenden Gras summt noch immer nach,
als dunkel und unvermuthet, wie die er
sten Sätze einer Ballade, das sandige-,
tiefernbewachsene Hiiaelland der Geest
sich erhebt, wächst, aus braunen Heide
flächen starrt und am Rande seines
Waldzuges eine Stadt ins Leben ruft.
Will man jedoch diese Stadt, das alte
. Jtzehor. die holfteiniscbe Stadt, die ihre
jGeschichte am weitesten zurückveefolaen
; tann, ihrem wahrenCharalter nach er
’lennen, so genügt das etwas einseitig
industrielle Bild« das der dem Bahn
hos zugewandte Stadttheil bietet, nicht.
Jtzeboe ist nämlich in den letzten Jahr
zehnten eine recht hoffnungsvoll auf
bliihende Jndustriestadt geworden.
Oben auf den Hügeln mus; man ste
heu, wie einst die Krieger und Kauf
leute,die iiber das Geestland durch rau
schende Buchenwälder und schtksarzen
Fichtenforst gezoan kamen, als noch
die Marschnkederungen zum Theil init ;
iinzugänglichen Sümpfen, zum Theil
mit Wasser bedeckt waren, vor dessen
Anprall undllebersall noch keine webe
kiafteu Teiche schiitztem ist doch selbst
die ganze soaenannte Wildnis um
Glückstadt her-m erst seit kurzem vor
den Ueberarkffen der Sturmfluthen ge
sichert worden, nach dein sie Jahrhun
derte lana Raub und Beute der- Was-«
sers gewesen ist, ssp auf den Jtzehoher
Geesthiigeln Doch wo auch heute noch
die Buchenhallen rausebeu, wo die
Gräflich Rantzauschen Wälder, das
Stadtgehölz. der Klosternsald einen
prachtvollen Fächer um die Stadt ent
rollen in der Nähe des Kurhauseg Kai
serberq, das- die Anfänge von Jtzehoes
Berühmtheit als Luft-— und Höhenlurs
ort in sieh birgt, befindet sitt) ein Feld
weq, von dem aus die Störedene,
Marschweiten bis weit hinaus in
dunstblcriieFerneii und Jtzelkoe selbst in
einein hiiaeligen Aue-schnitt zu liber
blielen sind.
Von hier auS mußte manch einer die
ZBura auf der StörinseL die Kaiser
Karl der Große als nördlichsten Stütz
puntt gegen die Sachsen erbauen ließ,
gesichtet haben. Damals trat das
Bild der Landschaft allerdings ein an
ztxezrek Anstatt der ariinen idnllischen
Tiefen mußten noch zahlreiche Gewiisi
ser und ein imposantereg Strombild
dein Burabilde einen arofz,3iiiriaeren.
wenn auch vielleicht etwas düstereu
thuterqruno gegeoen harten Heute us
von der alten Zioinabura teine Spur
mehr vorhanden; nur ein kleiner Platz
auf der dichtbebauten Störinsel, die
Burg, der Burggang nnd die Burg:
straße erinnern an ihr ehemaliaee Da
sein. Dafür hat sich aber in den an
inuthigen Hügelsattel ein reizendeg
Städtlein hineingebettet mit vielen an
einandergedrkinaten Dächern, mit ei
nem Hausen fleißig qualinender Fa
brilschornsteine, die, in eine trete zns
riiclgeschoben, durchaus nicht aufdring
lich mitten, nnd nsit der schlanten
Sehnsucht eines reichaealiederten
Kirchthurme5, der, wenn auch nicht von
ehrwiirdiaem Alter. doch lssie ein Lied
aus qizten alten Zeiten ist.
Aber selbst an viel ältere Zeiten
noch, als an die Karls des Großen ge
mahnt der weite Ausblick. Von den
nahen Augsichtsthiirmen im Walde-,
von der Kaiser Wilhelnighöhe, von der
Bigtnarclsäule, vom Elbblick, über
blickt man die Marsch bis zur Elbe
hin. Einst war hier das Wasser das
herrschende Element, alg der Stör
strom noch als starker Rede an den
Userhiigeln der Jtzehoer und Heiligen
stedtener Geest entlang strich, als die
Sachsenschisse von ihren Beutesahrten
nach den römischen Provinzen West
europas ausruhten, der Feuerzeichen
aetvärtiq, die von den waldigen Höhen
loben sollten. Denn von hier aus
wurden die toaalsaltiaen ceezuge un
ternommen, von hier aug konnte man
nach dem ess« ».ie11aesetzten Ufer der
meerbusenbreiten Elbe gelangen, als
noch kein Hamburg stand, das Elb
telta unpassierbar war und das Vor
dringen der Sachsen nach Sübwcsten
euch nur iibcr die Geesthöhen bis We
del und Blankencse von der Stör aus
sitt bewerlsteltiaen ließ. Um diese
Zeit haben sich auch große Sachsen
fcharen von den Störusern ans nach
dem von ten Römern geräumten Bri
tannien einaeschifst.
Unten am Störufer hatten wir ein
wesentlich anderes Bild. Die An
l)"ohen, aus denen sich das Städtchen
lagert, sind nicht hoch. Die Perspetti
ver-. wären eher lieblich zu nennen, be
sonders ist der hügelige Vorsprung
zwischen Jtzehoe und Sude, dessen
Gartenhäuser und Anlagen über die
Klostermarsch nach der Stör zu grü
szen, recht idyllisch, aber die sich von
der anderen Seite herandrängenden
Fabtiten, der Bahntörper mit seinen
zahlreichen Bauten und Schuppen ver-«
leihen dein Stadtbild das Aussehen
eines modernen Jndustriestädtcheng.
Es gibt außerdem noch einen Beobach
tungspunkt, der die Stadt wieder in
einem anderen Licht zeigt. Dieser
befindet sich gleich hinter dem soge
nannten Delster. Nach einem Gang
durch die Stadt gelangt man, den
Hauptstraßenziigen folgend, über eine
Brücke aus die Störinsel, die soge
nannte Neustadt, die sich von der übri
gen Stadt nicht wesentlich unterschei
sdet. Am entgegengesetzten Ende der
jNeustadt ist die Delsterbriicke.
i Hier haben wir ein vollkommeneg
’Stadtidyll vor uns. Die Stiir windet
sich in muthwilligen Windungen über
eine liebliche Wiese, die von Waldhu
gcln begrenzt wird. Der Wald geht
allmählich in Gartenanlagen über;
Villen blitzen aus dein Grün hier und
da aus, dann drängen sich die röthlichen
Dächer der Stadt immer enger zu
sammen, so daß ein anmuthiges-, halb
rundes Stadtpanorama über einem
Flußthal entsteht. Da man die ganzen
Fabrikanlagen jenseits der Störinsel
im Rücken hat, wird das friedliche
Bild durch keinen Mißllang gestört.
Man glaubt eines jener verträumten
Städtchen vor·sich zu sehen, in denen
großväterliches Leben tagaus tagein
iiber Märkte und Straßen wandelt,
ohne sich viel uin die Gegenwart zu
kümmern Jm Grunde ist Jtzehoe
das eine ebenso wie das andere. EI
ist eine durchaus moderne, hoffnungs
voll ausbliihende Stadt, die sich sehr
gut den Forderungen der Neuzeit an
zupassen weiß, es hat Erinnerungen,
die in eine altersgraue Vergangenheit
zurückgreisen und es muthet hin und
wieder wie ein großväterliches dell
an.
Das Stadtviertel in der Nähe der
Bahn ist durchaus modern, wenn man
iiber die schöne Alleestraße auf den
St. Laurentiilirchturm zuschreitet.
Dann wird dieser erste Eindruck durch
ein dell unterbrochen. Der Prinzes
sinhos, der ländlich vornehme Wohnsitz
der jeweiligen Aebtissin des Klosters,
mit seinem alten schattigen Garten
hinter einer hohen Mauer, drängt sich
an die Straße heran. Man wird daran
erinnert, daß Jtzehoe bis aus den heu
tigen Tag eine sremde Gemeinde, den
sogenannten Klosterhos in sich birgt«
Von den vier Jurisdittionen, die die
Stadt einst in eine liibische, königliche,
Gräflich Rantzausche und kliisterliche
theilten, ist nur noch dieser Rest übria
geblieben und von besonders idhllischer
Schönheit ist der Klostergarten in der
Nähe der Laurentiitirche mit seinem
stillen Teich und den zerstreuten klei
nen Häuschen der Stistdamen. Der
Orden der Zisterzienserinnen, der hier
einst große Besitzungen hatte, ist längst
nicht mehr, doch ist sein Besitz in die
Hände eines adeligen Damenstists
übergegangen.
Die Straßenziige selbst erinnern
noch in mancher Hinsicht an uralte
Zeiten. Sehr alte Baudentmäler hat
daLs Straßenbild jedoch nicht mehr
aufzuweisen. Die ältesten Häuser
Jtzehoeg sind von 1657, aus der Zeit
nach dem großen Bombardement, mit
dem Karl X. Gustav von Schweden
die Stadt Völlig zerstört hatte. Ess
findet sich trotzdem ein gewisser Typus
von alten sahlgrauen Häuschen mit
dunklen steilen Dächern, der für ein
zeer Straßenwintel Jtzehoes charak-»
teristisch ist. -
Der Hasen von Jtzehoe, der sich um
die Stärinsel schmiegt, unterscheidet
scclt wesentlich von den meisten nieder- «
ethischen Häfen, er hat nichts von der -
iddllischen Stille der blanten, glatten
tianäle, in denen die Segelschisse und
Kutter aussehen, als ob sie sich von ilts
ren Fahrt-en ausruhten Schiffsleutin
an Schissszrumps Mast an Mast, dicht
an die Kairnauer gedrängt, an denen
entlang die Häuser nnd Schrivven der
Stadt eine ununterbrochene Reihe bil
oen, tanen sie ein Bild entstehen, das s
voll Geschäftigleit und reger Arbeit ist. :
Die alten stillen Häuser und Straßen s
züge tontrastieren oft ganz seltsam ;
mit diesem Hafenleben, da-; nach dem ’
ffabrikviertel zu selbst etwas- dnrchausJ ’
Modernes- erhält, während es anderer
seitg in ein friedliches Flußtlsalidnll
oberhalb der Jnsel mündet, das nichts
ron Handel und Industrie zu wissen «
scheint. So verbinden sich auch im
Strombilde die drei Elemente, die
Jtzehoe ein besonderes Gepräge geben:
Modernitiit, blasse Anlläuae an alte
Zeiten und stilles delL s
Wer diesen Zusanuuenllang am t
stärksten genießen mill, der muß einen ;
Gang oder eine Fahrt iiber die bracht-—- ’
volle Vreitenburger Chaussee nach dem ;
Schlos- der Grasen Rantzau in Brei«- s
tenlturg machen. Diese am Rande ei
nes hiigeligen Waldes qelegene Land
straße mit einer Menge komfortabler
schöner Landbiiuser und Willen, die sich
weit hinaus ziehen, mit Ausblick-:
ins lieblicheStörthal, wo dieStör bald
nah, bald sern aus dein Wiesenland
ausblitzt, das Rauschen der alten Bu
chen, mächtige Eichensilhouetten über'in .
Wiesengrund und weit am Runde des »
Thales, wie dunkle Nester, dieGeesthii-"
gel, mit Miinsterdors, dem alten Wel
na oder Welanao, dessen hohes Alter
als Siedelung Reste heidnischer Grä
ber beweisen, mit Nordoe und der
Ranyauschen Breitenburg schließen sich
zu einem würdigen, schönen Erlebnis
zusammen, in das die dunkle Stimme
der unsichtbaren Thurmglocle von St.
Laurentii wie eine verträumte Mah
nung hineinllingi.
Auf diesen Streifzügen, während
einen noch die Schicksale des tausend
jährigen Jtzehoe umspinnen, ein langes
Leidens-was voll ewiger Verheerungen, -
Heminungen,Gewaltthaten,Unsicherheit
und Schutzlosigleit.tommt man an dem ?
lieblichen Forfthaus Trotzeburg vorbei, «
einer Anhöhe, auf der die granitene
Bismarcksiiule raucharau zum Himmel
emporraat. Der Buchenwald ist zu- -
riiclgetreten und das Radelholz bildet
einenKreis sammtig dunklerWinel um
zdas ernste, großziigige Moument, das
wie das Wahrzeichen eines tausendjiih
« riqu Reiches in seiner herbe-n Einsam
keit dasteht, unverwüstlich dem Sturm JI
iund Wetter trotzend, wie ein ewiger I
Fels. Die Wendenziiae, die Ueberfälle
der Deinem der erbitterte, verzweifelte
Kampf der Sachsen, dann die langwie
rigen Dynastienlämpfe zwischen Däm
marl und Schweden, die Greuel des
dreißigjährigen Krieger-, die Verhee
runggs und Pliinderunasziige der
Schweden, Ruffen, Polen, Dänen,
Oesterreicher, Kaiserlichen, Franzosen,
— wag hat sich nicht alles iiber diese
Hügel gegen die Stadt gewälzt, was i
hat nicht alles nach ihrem Hab und ;
»Gut qetrachtet. Die Lifte der Brand
schatzunaen und driielenden Lasten ist
schier endlos-. Alles in allem, wenn ;
man die Geschichte Jtzehoes nachprüft«,
hat die Stadt im Laufe ihres Beste
issisp » «
Hm U .« « ;
heng nur unter den Schauenburgern f
sich eines längeren Friedens erfreut.
Diese Vergangenheit und die Gegen
wart. ——- freudig begreift man die-Mo
dernität des thatiräftigen Städtchens
und die Sympathie die diese Moderni
tät erweckt. Es ist darin wie ein fro
her Trotz. wie ein siegreiche-«- lleber- -
. -s-»«- -«««H-iiz-z-.«H .. a-. »W
winden des Gewesenen, wie ein erlö
sendes Auflachen nach grauen, drucken- ,
» dei! Jahrhunderten «
« Jean Paul d’»2lrdesck3ah.
i.
Eine Königin tm Exil. ,
Jn Paris lebt einsam, tränkelndI
und in traurigster Geiniithsoerfassung.
die Römgin Maria Sophia von
Neapel, die wenige Monate nach ihret;
Vermähtung, im Jahre 1860, mit ih
rem Gatten Franz ll. die Reapeleri
Königsburg verlassen und nach dem?
Kirchenstaate fliehen mußte; von hier
fliichtete dag vertriebene Königspaar -
1870 nach Frankreich. Der entthronte
König hoffte immer noch, daß er den
Thron einmal wiedererlangen würde;
er umgab sich deshalb in Frankreichs
Hauptstadt mit einer Art Hofstaat, der
sich aus recht zweifelhaften und wenig
vertrauengwerthen Elementen zusam
mensetzte. Nach und nach schmolz aber
auch die Schaar dieser wenigen Ge--«
treuen zusammen, und als der un
glückliche ErKönig vor zwölf Jahren
starb, blieb die Wrttwe allein mit ih
rem Beichtvater — dessen galante
Abenteuer demnächst die Gerichte be
schäftigen werden —- und mit zwei al
ten ,,Hofdamen«. Die französischen
Zeitungen behaupteten, daß die Köni
gin sozialistische Ansichten habe — das
ist aber zum Mindesten start übertrie
ben. Jn Wirklichkeit handelt es sich
um Folgendes-: Die Königin eröffnete
in Paris ein Geschäft, in dem von be
diirstigen Damen der Pariser italie
nischen stolonie angefertigte Handar
betten und Stictereien verkauft wet
den; der Ertrag wird oder wurde -—·
denn das Unternehmen hatte in Folge
betriigericher Machenschaften der Ad
mmistratoren nur kurze Zeit Bestand
zu gleichen Hyenen oerineiu.
Als vor etwa zwanzig Jahren in
Frankreich das Gesetz in Kraft trat,
dass die in der Republit lebenden Aus
länder verpflichten, um eine Aufent
lsaltgerlaiidniß nachzusuchein konnten
der W König und die Er Königin von
Neapel leinen Jdentitätgnachweis er
bringen: sie hatten, mit anderen Wor
ten keine Papiere und weigerten sich
entschieden, von der italienischen Ne
gierung, d. h. von den ,,Usurpatoren«, -
sich irgend welche Dolumente ausstellens
zu lassen. Der damalige sranzösische
Minister des Innern drückte ein Augel
zu und ließ die beiden unbehelligt, soI
daß sie ruhig in Paris bleiben durs
ten. Die til-Königin empfängt seit
dem Tode ihres Gatten keinen Men
schen und zeigt sich nie mehr in de;
Oesfentlichteit; sie ist soweit ihre be
scheidenen Mittel ihr das erlauben
sehr lvohlthätig, unterstützt besonder« .
junge italienische Mädchen und unter-«
hält ein Waisenhaus, in dem nur
Kinder armer italienischer Familien
Aufnahme finden. .
Nicht wer wenig hat, sondern wett
viel wünscht ist arm.