Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 29, 1910, Zweiter Theil, Image 10

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Roman aus dem
Volksleben
Rosen und Myrthen
Von O. Elfter
i:·-. FortfeyungJ
Die guten Gerhards sperrten An
sen nnd Mund anf. Maschinenfa
fpettor und Künstlerin an einem gro
ßen Theaters —- Das impanirte ih
nen gehaltig·» Die Wahrheit freilich
war, daß Heer Hänfeler ganz einfach
Heizer und Kohlenträger war. daß
Fräulein Margarettx Hönfeler als
Tänzerin und in kleinen Sprechrcllen
stritt-it, und daß das große Theater
eine Barftadtbiihne im fernen Osten
der Weltftadt war.
Meine Tochter wird wohl nächstens
an vie königliche Oper tatnmen",
prahlte Frau hänseler weiter. »Und»
auch meinem Mann is ’ne Stelle an;
die Oper versprochen. Man hat eben!
der Talent von meiner MargaretheI
nnd die Wissenschaft von meineml
Mann erkannt. Sie müssen uns mai»
n unsere Wohnung besuchen, Herr»
Der-hard, liebe Frau Gerhara Wir;
Fwahnen ietzt in vie Oranienftraße —i
eine sehr feine Jegend, dicht bei’n Mo
ritzlatz. Ich sage Ihnen. Frau Ger
hard, Sie werden sich wundern iiber
die Wohnung. Jotte doch, wenn ick
an det Häusten in Friedrichshiitte zu
rücke-ente, denn lönnt’ ich laut lachen.
Ren nee. über Berlin jeht nifcht, man
muß nur Talent un Wissenschaft da
zu haben —«
Der biedere Gtrhard und seine
Gattin lamen sich unendlich tlein vor.
diesen gebildeten Leuten gegenüber.
Ein Gefühl des Neides quoll in Frau
Gerhards herzen empor; sie verglich
im Stillen die frische, anmuthige Er
scheinung ihrer Stieftochter mit der
blendendem durch künstliche Mittel ge
hobenen Schönheit Grete Hänselerö
und tatn zu dem Schluß, daß ihrel
Anna auch wohl das «Talent« zu ei-(
ner Künstlerin haben dürfte. «
.Jch glaube. die Anna tönnte es
auf dem Theater auch zu etwas brin
gen«. meinte sie zögernd.
«Laß einmal sehen«. rief Grete
hänseler lachend, erfaßte Anna bei
den hönden und drehte sie einiae Male
im Kreise herum, ohne Rücksicht zu
nehmen auf das Lachen des Publi
Ums.
Anna erriitbete tief und machte sich
nrit sanfter Gewalt von der Künstle
rin frei.
«Die Gestalt paßt vortrefflich für
dies-ähne«. entschied Fräulein häufe
ler. »Schlant und voll —- und dann
das prächtige, goldblonde haar, die
gerufen. blauen Augen rnit den darei
len Wimpern und Brauen. —- Das
Gesicht ist etwas blaß. aber na, dage
gen giebt es Mittel —«
»Ich bitte Dich, Grete, laß —- ich
habe nicht die Absicht, zur Bühne zu
lieu-«
»Sei nicht so zirnperlich Wenn
Du Talent hast, so könntest Du Dein
Glück Inian —«
Ja das Talent! Dasz Grete hän
ieler das Talent besessen. das bewiesen
ihre seidenen Bänder, ihre bunten
Blumen, ihre spitzenbeietzten Kleider.
aber auch ihre gefchrnintten Wanqen
und ihre dunklen. mit Kohle nachgezo
genen Augenbrauen so wie die tirichq
rothen Lippen. Mit heimlicheni WH
derevillen beobachtete Anna das freie,?
ungenirte Benehmen der friiherenJ
Freundin Wenn ein here vorüber
ging und einen erstaunt lächelnden
slis auf die sonderbar zusammenge
feste Gesellschaft warf, erwiderte
Grete diesen Blick mit einem Lachen,
das man als frech hätte bezeichnen
können.
»Du mußt mich besuchen, Anna«,
flüsterte Greie ihr zu. »Aber ohne
Deine Eltern —- sie passen nicht zu
uns. Du sollst auch meinen Bräuti
gam kennen lernen. Ein keiner Vett,
soc ich Dir —- et spekulitt auf der
Börse.«
Ann wußte nicht, was das kost·
Aber etwas Feines mußte es schon
fein, denn Geeie wußte nicht genug
von dem Reichthum und der Bot
newheii ihres »Bköuiig-.ims« zu et
zählen
»Er ist übrigens hiet«, fuhr Grete
spei, »fvll ich Dich mit ihm bekannt
suchen? Dort kommt er —«
Ein schlanckey hager-et here von
Geisen dreißig Jahren in iadelloset"
dunkles Toilette getleidei, den schwat
- sen, glänzenden Cylindet auf dem
Wesen Von-L im rechten Auge
eis ersindettei Monokle, näher
te seh dein Tisch und blieb zögernd
sie-. als et bemerkte, is welcher Ge
, sw sich seine »Dami« befand.
« »so-nen, ich mache dick- tnie ihm-be
Wec fis-state Orete dee Freundin
»j- mkd Its die halb Widerstrebenpe
sm.
«Siegmund, meine Freundin möch
te Dich kennen lernen —« »
Mit einem leicht spötischen Lächekn
fettachdeie Herr Siegmund die verle
ces End etrötheud dastehende Anna.
haft Du denn diese Freun
sts ewiges-Weib Grete?« fragte et mit
IV lispelnd-et Stimme.
»«s eine Jugendstexendin von mir
—-— aus dem dan Sie ist mit ihren
Eltern hier erst zugezogen —- Anna,
Du mußt Siege-kund seine Worte nicht
iiber nehmen, er scherzt getnk
»Ich sah Sie vorhin mit meinem
Freunde Max Manßel«, fuhr Herr
Sieginund Faltenftein fort. »Sie
scheinen also schon Bekannts it ge
macht zu haben, Fräulein ratulire
zu der Bekanntschaft«
«Was—-Du kennst Max MantelNi
rief Grete Hänselen »Das trifft sich
ja herrlich, dann können wir uns zu
samtnen amiisiren Ter Max ist ein
ganz samoses Kerlchen —"
»Da kommt er« , sagte Siegmund,
mit seinem Stöckchen nach dem Tanz-E
saal weisend. (
»Ich möchte mit Herrn Mandel
nicht zusammen treffenc stammelte
Anna in großer Verwirrung i
»Ihr habt Euch gezankt? Da merk
ich Max einmal den Kopf zurecht
setzen«, rief Geete und eilte auf hektn
Mandel zu. der aus det Ferne ,die
kleine Gruppe beobachtet hatte.
Here Siegmund versuchte, mit An
na ein Gespräch nnzuslniipfenz da ihm
das aber nicht gelingen wollte. Tüfi
tete et, kühl und spöttisch lächelnd,
den Hut und entfernte sieh.
Anna lehrte zu ihren Eltern zurück.
Herr Hänieler und Frau empfohlen
sich unter vielen höflichen Worten und
luden Gerhards ein, sie einmal aus der
Oranienstraße, nahe am Moritzplah.
zu besuchen.
Schweigend saßen die Eltern An
na’s da. Friedrich Gerhgrd trank
einen Gilta nach dem anderen, Frau
Gerhard wars nachdenkliche Blicke aus
ihre Stieftochter. die still und in sich
gelehrt aus ihrem Platze saß und das
Auge nicht zu erheben wagte. Sie
fürchtete den Blick ihrer Stiefmut
ter, sie fürchtete die Beaehrlichleit, den
Neid, der in diesem Blick aufflackerte
und sie verstand den stummen Vor
wurf und die stumme Frage: »Wes
halb haft Du nicht auch das Talent,
wie Grete Hönseler?« —- und sie schau
derte leicht zusammen, wenn sie an den
kalten, spöttischen Blick des herrn
Siegmund Faltenstein. des »Beste«
gams« Gretens, dachte.
Inzwischen ging Grete mit Max
Manhel sprechend, aus und ab. Aus-·
merksam hörte sie der Erzählung des
n Manhel zu, der mit einem är
gerlichen Ausruf schloß: .Jch habe die
Geschichte seht satt. Das Mädchen
ist ja so dumm wie ’ne Gans. Ich be
liimmere mich nicht mehr um sie —«
»Wissen Sie, herr Max«, entgeg
nete Grete hönseler. »daß Sie es ganz
falsch angefangen haben? Sie sind
viel zu stürmifch vorgegangen.«
Herr Max lachte spöttisch.
»Ihr-n Sie nur nicht so, Grete, Sie
sind ein lluges, oerstiindiges Mädchen,
dehalb bringen Sie es auch zu was-«
»Ja, ich habe einmal das Talent
dazu', meinte Grete stolz. als die ge
lehrige Tochter ihrer Eltern. ,Aber,
Herr Max, was ich sagen wollte. Wir
müssen der armen Anna helfen, dass sie
ans der Noth und Sorge heraus
tommt. ’s ist doch schade um das
schöne Mödchen.« —
»Was ist da weiter zu machen?
Zum 1. Oktober tiinlsige ich Ger
hard.«
«Dos würd’ ich auch thun. Die
Gewaer müssen in ’ne ganz andere
Umgebung« und ich werde die Anna
nicht aus dem Auge verlieren. Jch
werde sie öfter zu uns einiaden —- na,
und wenn Sie dann zufällig mit
Siegmund kommen, dann wird sich ja«
das weitere finden.«
»Gute. Sie sind ein Prachtmiidels
Daraufhin müssen wir ein Glas Seit
trinlen —«
«Aber nur mit meinem Sieg
mund.«
Lache-ed schob Max feinen Arm un
ter den ihrigen und führte fie in das
Jnnere des ertanranti.
Jn einem Nebenzimmer des gro
ßen Hauptfaalei ging eö iiberluftig
s her. hier saßen die Radiahrey welche
mit Max Mandel gelten-meet waren
und tranken eine Erdbeer - Bewie.
Mehrere Damen, die in der ausfallen
den Kleidung mit Greie hönseler
wetteiferten, begrüßten die lestere mit
lauten Zumfen.
«Wo ift denn Dein Sigitmnnd,
Grete?« fragte eine große, rothblonde
«Dame«. Jsr hat mir neulich ver
sprochen. mich zu einer Flasche Cham
pagner einzuladen«
»Hier ist der Gewünschte«, sagte die
lifpelude Stimme des Herrn Falten
ssein. »Und die Einladung. von det;
Fräulein heim gesprochen, halte ich
aufrecht. —- Kellner, ’ne Pulle Sekt!«
»Damit-! Jeßt wird's erst lusiig!«
Die Pfropfen wallten und Grete
schicken das Mädchen mit Talente-L
begann den neuesten Walzer zu sm
gesh iu den die übrigen lachend und
jubelnd einstimmtev
10. K up itel.
- Frau »BaumeiKek« Eugenie Man
gel ruhte auf einem amerikanischen
Scheutelftuhl hingegossen in ihrem
Boudoit, das mit vertchwenderischem
Luxus ausgestattet war. Jn schweren
Falten hingen die feidenen W
an den Fenstern und Thüren nieder.
Dichte, persische Teppiche verschlungen
jedes Geräusch eines noch so leiten
Trittes, nnd die schwatzen Ebenholz
niiibel glänzten von mattgeiben Eisen
bein- und Perlmuttereinlagen.
Zu dern gewaltigen Körperurnfcng
der Frau Baumeister wollten diese
zierlichen Rotlotomöbel eigentlich nicht
recht passen.
Man fürchtete, daß sie zusammen
brechen würdet-» wollte sich vie gewich
iige Dame auf einen der zierlichen
Stuhle oder das kleine Puppenspphn
niederlassen. Nur der amerikanische
Schanieisiuhl machte einen iciiden
Eindruck und in der That vertraute
Frau Mandel auch nur diesem Stuhl;
ihren Körper an. Fast den ganzenf
Tag lag sie in diesem bequemen Stuhl,
las die neuesten Romnne und empfingj
in ihm auch die Besucher welche sich!
nach dem Beiinden der Frau Baumeisj
ster eriundigen wollten H
Vor ihr aus einem niedrigen Ta
bouret saß ihr hoffnungsvoller Soth
Herr Max Mangel, und blickte lä
chelnd auf den goldenen Kneifer nie
der, mit dem seine hände unaufhör
lich spielten.
Auf dem runden Gesicht der Frau
Mandel machte sich ein mißmuthiger
Zug bemerkbar.
»Also. Du meinst wirklich, Mar,
daß es mit den Partiersleuten nicht
mehr geist?u fragte sie aufseuszend, als
laste das eben mit unerträglicher
Wucht auf ihr.
»Ich bin zur Ueberzeugung gekom
men. Mama', entgegnete der hoff
nungsvolle Svriißling, »daß der
Mann trinkt. Er orrnachliiisigt seine
Pflichten —- und seitdem sich Die TM
ter einen Schatz angeschafft hat, geht
in der Familie alles drunter und
drüber.«
»Die Person hat sich einen Schuh
angeschafft? Das dulde ich nicht in
meinem hause. —- Wer ist denn dieser
Mensch?«
»Du wirst nicht verlangen, Martia,
daß ich rnich eingehend mit den Perso
nalien dieser Art Leute deschiistige.«
»Du haft recht, mein Sonn', erwi
derte Frau Mangel, stolz uf die Vor
nehrnheit ihres Sohnes. »Aber-, Du
weißt, daß es mir entsetzlich ist, mich
um solche Dinge zu detiimmern. Schi
ete die Leute fort, wenn Du die
Uebergeugung gewonnen hast. daß sie
nichts tougen. Einen Portier be
kommt rnan so alle Tage wieder.«
»Du giebst mir also die Erlaubniß
den Leuten zum nächsten Ersten zu
tiitedigen7«
«Rati"trlich —- las mickz nur iegt in
Ruhc ich mußv mich er elen, Deine
ErzähluM hat mich angegriffen ——«
here anhel erhob sich. küßte der
Mutter die fleischige Hand und ent
fernte sich mit einem schlauen- trium
phirenden Lächeln. «
Jn der Portierroobnung des Kel
lergeschosses sah es bei Weitem nicht
mehr so nnbeimelnd und ordentlich
aus« wie in der ersten Zeit, nachdem
die Familie Gerhard eingezogen war.
Es hatte sich sehr bald her-ausgestellt
daß die große Familie von dem gerin
gen Portiergehalt nicht zu leben ver
mochte, es mußte von den Kindern
noch zuverdient werden« wollte man
sich redlich durchs Leben schlagen.
Anna hatte in der heilnath das Weiß
nähen gelernt, auch Frau Gerbard
war lehr geschickt mit der RadeL und
so suchten denn die beiden Frauen
verschiedene Geschäfte aus, um Neben
verdienst zu finden. Das bescheidene,
sittsame Wesen Annai machte aus diej
Geschäftiinbaber überall einen guten
Eindruck. Aber die meisten hatten die
Arbeit schon vergeben, nur in einem
großen Ausstattungimagazin erhielt
Anna Arbeit — versuchen-eile, wie der
..Geschsitisiibrer sagte. Ei war ein
erbärmlicher Lohn, den Anna siir ihre
Arbeit erhielt. Tag und Nacht mußte
sie mit der Mutter sisen und nähen
stellte sie nur die M einige Mart
eicfrisen Dazu tam baß sie sich
eure III-ist« Wer mußten,
siir die sie jede Woche drei Mart ab
zuhlten. Aber selbst die wenigen
Mart, welche die Frauen verdienten,
tonnten in dem haust-alt nicht ent
behrt werden. Friedrich Gerhard tam
tin-mer mehr aus Abwese; fast den
ganzen Tag saß er nebenan in der
Wirthschust oder er schlief in seinem
Sessel an dem Portiersenster, wenn er
aus einige Stunden nach hause tam.
Eine innere Unruhe trieb ilyn umher;
ei schien, als ob er stets aus der
Flucht vor einer drohen-den Gefahr
lebte.
I Daß unter diesen Verhältnissen der
Deus-halt litt, daß Ordnung und
Reinlichieii nicht mehr in dein Maßes
Iroie früher herrschen tonnien, war na
tüelich Die beiden Frauen saßen
und nahten. Berge von Seinen, fee-·
tigen und anfertigen Wäscheftiickem
thürmien sich in dem einzigen Zimmer
ani; die Kinder durften sich in dein
Wohnzimniet nicht mehr aufhalten,
da sie sonst an den Wäschestiicken et
was verderben konnten; sie trieben sich
auf der Straße umher, da sie sich im
hofe nicht aufhalien durften. Ihr
lärmendes Spiel, has laufe, rohe Ge
schrei der Kinderfchaar auf der Straße
schnitt Anna oft durchs Herz mit
schmerzlichem Empfinden. Sie hätte
die jüngeren Geschwister so gern be
aufsichtigt, mit ikimen gespielt, aber sie
mußte nähen, nähen and immer wie
der nähen.
Frau Gerhard evard mürrisch und
zäntisch Sie zanlte mit dein Mann.
wenn er nicht rechtzeitig heimlam, sie
zantte mit den Kindern, wenn sie Be
ichmnht und rnit zerrissenen Kleidern
ron ihren wilden Spielen zurückkehr
ten, sie zanttr vor allem mit Anna
über die geringste Kleinigteit
»Wenn Du den Bartels heirathen
wolltest, wäre alles anders«. sagte sieJ
mißmuthig. »Der wird ein wohlha-;
tender Mann und lönnte uns unter-i
stühen.« I
Anna schwieg und neigte sich tiesers
aus die Arbeit nieder. ’
»Aber Du scheinst große Pläne zu
haben«, suhr die Stiefmutter in är
gerlichent Tone fort. «Hossst trohl
gar auf den jungen Herrn Neapel-«
»Mutter, ich bitte Dich —«
»No, ich hätte auch nichts dagegen«,
sagte die Frau, »wenn Du ein wenig
freundlicher zu Deren Manhel wärest
Man weis doch nicht —«
Jn diesem Augenblick wurde die
Thiir heftig ausgestoßen und Ger
hard stolperte -herein. Jn seinem Ge
sicht machte sich eine ärgerliche Erre
gung geltend. Jn seinen Augen sta
cterte es- unheimlich,—drol)end aus. Er
hatte wieder einmal getrun!en.
Heftig schleuderte er einen Brief aus
den Tisch. .
»Da haben wir vie Geschichte«. rief
er rauf- lachend. »Jeht geht das Ver
gnügen erst recht an —«
«Was ist geschehen?« fragte Frau
Gerhard erschrocken
.Da sies — soeben habe ich den
eingeschriebenen Bries erhalten. Raus
geschmissen sind wir-aus die Straße
gesest —- Dns ist ja leicht und ein
sach —- hier steht’i·«
Und den Bries wieder aufnehmend,
las er: «Laut Anweisung meiner
Mutter, der Frau Baumeister Man
tel. tiinsige ich Ihnen hiermit die
Wohnung in unserem hause. Zu
gleich erlischt von diesem Tage an Jdre
Verslichtung als Partien Jch macht
Sie daraus ausmertsam. daß laut ge
seylicher Bestimmung die Wohnung
bis zum Abend» bei 1. Oktober ge
räumt sein musi. — Max ManIeU
«Unmiiglich!« ries Frau Guts-ari
osus und entriß den Bries den hän
den des Mannes.
»Ja, unmöglich«, spottete dieser.
»Bei solchen vornehmen Leuten ist al
les möglich —- rvenn sie einen nicht
mehr brauchen, werfen sie einen einsach
aus die Straße!«
Er sont nus einen Stahl und blickte
sinster briitend vor sich nieder.
Anna gab es einen Stich durch das
her-, Also das war die Rache des
qbgewiesenen Liebhaber» So hntte
er es gemeint, als er ihr drehte: Sie
werden ej noch bereuen! — Ach, wie
schlecht waren doch die Menschen!
Sie näherte sich ihrem Vater nnd
legte sanft den Arm um seine
Schulter.
»Stei- es gut sein, lieber Vater«,
sagte sie tröstend. »Wir sinden eine
andere Woynnng und werben fleißig
arbeiten, dann werden wir schon
durchconimen —«
; «Denn wir nicht verhungern«,
; stöhnte Gerhard.
’ Irr-: Gerhard starrte noch immer
ans den Unglück-pries Dann oth
nrete sie heftig aus.
»Wenn man Herrn Mandel recht
schön bäte, die Kündigung wieder zu
rücksank-um's flüsterte sie, «et hat
doch ein Auge auf unsere Anna ge
worfen, vielleicht tsnnte Anna mit ihm
sprechen«
»Un- Gotteswictem nein — um tei
nen Peeiit Lieber verhungernk tief
Anna entieit dazwischen.
Auch in dem alten Gethstd regte»
sich etwas wie von Ehegesiihl unvs
Stolz.
Anna hat ganz recht!« brüllte er.
»Hu haft mich zum hehley zum Trun
tenbpld, zum Faullensee gemacht —
nun sieh nur Du zu wie Du uns
wieder aus der Patfche hetauishilsst!«
—- Dabei hatte et sich so tn Muth gere
det. daß er die Frau packte und sie to
heftig schüttelte, daß sie laut auf
teeifchtr.
»Vater, ich bitte Dich —« legte sich
Anna ins Mittel.
Er ließ seine Frau los. schlug sich
mit der Faust vor die Stirn und sant
schwer aus einen Stuhl nieder.
Frau Gerhard wollte schelten-d aus
ihn lossahrem aber Anna« hielt die
Zurnige zurück
l »Geh, Mutter«. sagte sie bittend.
k«Lasz mich mit dem Vater allein —
Ees tann zu nichts Gutes sühren, wenn
s Du ihm seht Vorwürfe machst —«
; Sie schob die Mutter mit sanster
»Gut-alt in das Nebenzimmer. Eine
-Weile blieb sie hestig athmend neben
der Thür stehen; mit sunssglichem
Mitleid hingen ihre Augen an der ge
brochenen Gestalt des Vaters.
«Vater —-« sliisterte sie mit bei-en
der Stimme.
Er blickte empor, wie ans einem
Traum erwachend. Dann streckte er
nach ihr die Arme aus und ries
schluchzend: »Mein Kind —- mein ar
met Kind -« und Anna eilte aus ihn
zu, stürzte vor ihm nieder aus die
Knie und umschlang ihn mit den Ar(
men, das Haupt an seinem setzen
verbergend. Auch er schlug die Arme
um ste, beugte die Stirn aus ihren
Dlonden Scheitel und weinte leise.
So lagen sie schweigend eine Weile.
bis sich Gerhard ausrasste. Sein
Rausch war verschwunden, ein Zug
der sriiheren Energie durchzuckte sein
Gesicht.
«Anna«, sagte er mit unsicherer
Stimme, »tnnnst Du mir vergeben.
was ich an Dir Böses gethan —?"
«D-u hast mir nichts Böses ge
than, Vatet.«
»Ja, ja, ich »weiß· Wenn ich nicht
in der Nacht —- doch lassen wir alte
Geschichten ruhen, sie sind nicht unge
schehen zu machen. Du hast recht.
Anna, wir müssen seht arbeiten —- ar
beiten—arbeiten! Und auch ich will
arbeiten —- ach, ich tann noch arbeiten«
wenn ich mill!"
Er teckte die ital-ten Arme empor
und schüttelte die Iiiuitr.
»Aber Du. Anna: Du sollst nicht
arbeiten, Du sollst es gut haben -—
weshaib heimtheft Du den Batteiö
nichts Dann hat alle Noth ein
Ende.«
«Vatet, ich tann ei nicht — Du
weißt selbst, weshalb ich es nicht
kann —« ,
.Ja, ja, ich weiß es«, murmelte et.
Ell-er geichedene Geschick-ten sind nicht
ungeschan zu machen —«
.Laß mich bei Die bleiben, Bettes-'s
bat Anna. »Ich tann und ich will
arbeiten —- tvenn’s nicht anders geht«
suche ich mit eine Stelle ais haus
miidchen —- abet nur nicht das eine,
nur nicht die Frau des Mittels wet
den —«
Gebanlenooll strich Gerbard iiber
den blonden Scheitel seiner Tochter
»Guk, Du sollst bei mir bleiben,
Anna —«
,,hollob, was gebt denn hier vor?«
rief eine laute barsche Stimme und
der lange Bartels trat ein, während
sich Frau Gerbard hinter ihm in das
Zimmer drängte. »Der Prot, der
Lasse da in dem ersten Stock bat Euch
gekündigt? —- Na, was ist denn weiter
dabei? Ihr zieht —- das ist aller
hier in Berlin lernt man das Zie
hen. Das ist doeb tein Unglück? Ich
hab’ schon ’ne Wohnung siir Euch.
Fein, sag’ ich Dir, Frihn Aber un
Norden —- mn Weddingplah —- oter
Treppen hoch freilich, aber nobel —'
Anna hätte das Anerbieten am lieb
sten abgelehnt, aber ibre Eltern waren
sebr ersreut, daß sie so rasch eine
Wohnung finden sollten und ibr Vo
ter machte sich rnit Barteli gleich auf
den Weg, urn die Wohnung zu besich
tigen.
Nach einigen Stunden tam er rote
———————-—-—
der· »Die Wohnung ift gut. die neh
men wir«, entschied er. »Ich habe
schon fest gemiethet.«
Unter strömendem Regen wurde am
i. Oktober der Umgug bewertftelligt.
Der geringe Hausrath, der noch übrig
geblieben war, ward auf den Wagen
des langen Bartels geladen, Frau
Gerhard mit den Kindern thronte oben
auf den aufgethiirrnten Fischen. Stüh
len und Betten, Bartels führte den
mageren Gaul, Gerhard und Anna
gingen hinterdrein und sa« zog man
durch die regenfeuehten, in die frühe
Dämmerung des Oktoberabends ge
büllten Straßen der Riesenstadt nach
dem Norden hinauf, in einen fremden
Stadttheil, als ob man in ein ferne-,
wild-fremdes Land zöge.
Als der vollgepfropfte Wagen var
dem Hause in der Blilorostraße abfuhr,
blickte Anna noch einmal an dem
mächtigen Hause empor. Trosdem
sie so manche bittere Stunde in ihnr
retlebt hatte, erichien es ihr doch fest,
als sollte sie zum zweiten Male vie
Heimath verlassen. Als ihr Blick iibee
die Fensterreihe des ersten Stockwerlli
streifte, begegnete ihr Auge plöhlich
dem spöttischen Blick des jungen
Mangel, der. nn einem Fenster ite
hend, dem Auszuge der Portiertsfai
rnilie zuschautr. Er verneigte sich in
spöttischer Höflichleit, als er Unnas
Blick auffing, und warf ihr eine Kuß
hand gu.
Rasch wandte sich Anna ab und
ging aus die andere Seite des Wo
genc, wo sie vor den grausam-MON
schen Blicken des jungen Mannes ge
schüst war. Ein Gefühl der Verach
tung für diesen Elenden quoll in ih
rem herzen empor. Jn diesem Augen
blicke erschien ihr der rauhe, brutale
Bartels, der mit dem- Strafgesehe
schon öfter in Berührung gekommen
war, als der edlere Mann. der wenig
stens ebenso aufrichtig in seiner
Freundschaft wie in seiner Feind
schaft war.
Gartels war ver Richtung ihrer
Blicke gesolgt. Auch er bemerkte den
jungen Mandel. Ein iinsteres Lä
cheln Nichte über seine dunklen Züge.
»Warte nur, mein Junge«, mur
rnelte er in den Bart, »Dir besorgen
wir Deinen Irenndschastssdienst noch
eilig —-«
Dann schlug er auf den mageren
Gaul ein und der Wogen holperte da
von.
»An det Umziehen müssen Sie sich
gewöhnen-, Anna«. meinte Bartels
gutmüthig zu dem traurig des-hinschrei
tenden Mädchen. »Bei is ja gerade
det scheensie Vergniegen sür die Welt
stadt. Paßt et eenen nicht mehr in
den eenen Welttheil, oder steht man
sich mit der Polizei nicht ani Jrüß
süß, na, denn zieht man in 'nen an
deren Welttheil ——«
Gortsesnng solgt.)
Jn New ersey hat etn neunziajähs
riger alter rr ausgerechnet daß et
tin Laufe seines Lebens 819,000 da
durch erspart hat« daß er niemals von
einem Barbier tasieren ließ. Aber es
ist nicht gerade ein Verdienst, andere
Leute nichts verdienen zu lassen. Und
wo sind die 819,000?
I O f
Der Gesundheitszustand eines ver
utteilten Zuckertrustbeamten soll sich
im Gefängnis bedeutend gebessert ha
ben. Dennoch ist daran zu zweifeln,
daß andere Truftmagnaten zu einer
solchen Kur Luft verspüren.
. - —
Die Kohlenförderung übersteigt fehl
ben Verbrauch; in ungefähr sechs Mo
naten werben wir eine ähnliche Nach
richt über das Eis hören. aber bie
Preise fär die beiden Alt-Mel bleiben
doch hoch.
set-it
.«o
— »Wie kommen Sie zu der Vermutung, daß ihr Ichwimckfcbn Simon acht
gut qesinnt ist Ins-II Röiiti?'
»Seht e Macht Ich hab' ihn data-i ettavpt wie er dem Höfe-, der shch
gestern ins dein gebissen, —- einc große Wurst geqebeu dau«