Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 06, 1910, Zweiter Theil, Image 9

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    Jahtom
Nebraska
Staats— »An-Zeiger und J set-old.
M(h)m·
Nummer 36.
- Fkniktiugsnen
Winier war es! Schnee bedeckte
Rings die Welt rnit weichem Flaum.
Doch der Frühling tam und weckte —
Wald und Flur aus ihrem Traum.
Wanne Strahlen schickt die Sonne.
Ruft die Drossel auf zum Sang.
Sie prohirt ils-r Lied, o Wonne!
Herrlich tönt der Stimme Klang.
Und der Drossel fröhlich Singen
Lockt der muntern Finten Schnar.
Ach. das ist ein lnittges Klingen,
Schöner mass in keinem Johr.
Aus der Knospe brauner hülle
Lugt ein Blättlein scheu hervor:
«Ssagt, was soll des Jubels Fülle
Sagt, was soll der Sönqer Chors«
Was ist das? Es sprengt die Klause,
Fort sind Eis und Schnee, hnrra!
Kommt ihr Schwestern aus vemHause,
Kommt, Ver Frühling ist ja da!
Er ist da. Des Frühlings Regen
Fiitlt mit Leben an die Welt;
Blumen sprossen auf den Wegen,
Wo der Lenz den Fuß hinstellt.
Auch den Menschen faßt die Freude,
Jedes Herz regt fröhlich sich.
König Lenz befreit vom Leide,
König Lenz, wir preisen dich
Gustav von Weisen·
Trudel’5 Hut.
Novellette von D o r a D u n a e r.
1.
Der Papa war nicht zu bewegen
die Mama sp- was ein wahres Wuc
der war --— blieb gleichermaszen hart
herzig. Die Kasse für die Sommer
garderobe war gesperrt. Alles Rotb
rrendige und darüber war angeschafft,
nichts mehr fiir neue Ausgaben zu cr
betteln.
»N och ein neuer Hut -—- vielleicht
gar ein Wartthurm von Iopfhuts
Gnbe nicht!« lautete der tategoriiclke
Jmperativ.
Trudel lief mit oekheulten Augen
umher. All ihre Freundinnen hatt-n
zwei, auch drei neue Hüte, Topfbiite
natürlich, sie allein sollte mit der alt
motischen Glocke zu dem Sommerfeft
nach Tegel gehen? Lieber in die Spre-,
wo sie am tiefsten war!
Endlich sah Trudel mit ihrem ge
sunden Menschenverstand ein, daß sie
mit Heulen und Jammetn den Dingen
um tein Jota auf die Beine halt. Jus
Gegentheil. Der Termin des Som
mersestes rückte immer näher, die Ast-I
srcht auf den Topfhut immer weit-»r,
ergo galt es nicht zu heulen, son.
dern zu handeln.
Sie zählte ihre Baarschaft nach.
Als geborenes Leckermaul hatte Trudcl
lesthin siir Erdbeeren und siißen
Kirichtuchen unverantwortlich viel Ta
fchengel vernafcht. Ein fchäbiger
Rest von zwei Mart trieb sich in ih
rem Geldtiiichchen umher· Den Topf
hut hätte sie sehen mögen, der sich iiir
diefe Summe erftehen ließ. Ihren
Willen aber wollte sie haben, und ils
ren Topsbnt auch. Was ioute w
junge Bantbeamte - tvohlbesta!!t-.r
Volontär bei der »Datnistädter"
siik einen Begriff von ihr betommen,
wenn sie in Tegel mit einein vorsint
fluthlichen Hut erschien? Denn baß
bet hübsche »todtchicle« junge Mann
von der Partie sein würde, wußte
Irudel aus nicht mißzuverstehenden
Andeutungen.
Es war Montag; bis Samstag
mußte der Topf zur Stelle sein« weiß
mit rosa Rosen und einem weißen
Taubensliigel Da gab’s nichts. Was
Trukel wollte, setzte sie durch.
Truhel wars sich aus die Jnsekate
der Tageszeitungem Waarenhäuser,
Kausböuser, Konkutsniassem Auson
iäuse. Wenn sie siir ihre armseligen»
zwei Mart —- Vorschuß aus Monats
gelb gab Papa grundsiivlich nicht
nur wenigstens das Rohmaterial er-l
stand, würde man schon weiter sehen.
Endlich batte sie etwas gesunden,
das einem Hoffnungsschimmer gleich
sah. hoch oben ini Norden, ausgerech
net aus halbem Wege nach Tegel, sün
digte ein Geschäft mobeene hutsorinen
zu 75 Pfennig an. Dazu 20 Pfen
nig Straßenbabn, verschlang eines der
beide-i Markstiicke weniger siins Pfen
nige. Rest, eine Matt silns Pfennige
siir die Genieungi Mager was-,
aber ei mußte geben. Von hutsuiter
.«.—.«-—.» .. As· ----«-.·...- . . «-s-——.—.-—-.
konnte man absehen. Ebenso von
Draht und theurern Laub. Der Tau
bensliigel lonnte die Welt nicht kosten.
Schließlich und endlich müßte die Ge
sliigelfrau «—-— Stand No. 7 -— einen
’rausriicken. Trudel würde ihr dasiir
einen heiligen Eid leisten, dasz Papa-i
Taube, sobald er seine Magendispepsie
bekam, von keiner anderen Quelle je
bezogen würde. Wollte Gott ihssv
ausgiebige Magendispepsien beschee
ren! Warum war er so gnietschigj«
dachte Trudel gefühllos.
Aber die Rosen! Sie plünderte in
Gedanken ihre und Mamas sämmt
liche Hüte, garnirte Gesellschafts-klei
der, alte Kramlästen -—- nirgends eine
brauchbare Rose und sie brauchte einen
Kranz.
Dir Hutsorni in der Jnoalidenstrasze
war erstanden, ordinärstes Stroh al
lerdinge, aber sonst ganz nett. Jeyt
lani »Stand T« an die Reihe. Aber
Frau Vitmsth war hartherzig, hart
herzig bis zum Aeuszersten. Bei dem
mageren Gesliigellonsnm von Tru
del’s Vater konnte sie nichts daran
geben, beileibe nicht! Kein Eid nüytr.
Konnte das Fräulein ihr schwarz aus
weiß geben, daß die Magentranlheiten
ihre-I Herrn Vaters sich wieder ein
stellen wiirden. Trudel schwieg be
schämt. Na also! Aber siir ’ne halbe
Mart sollte sie ’nen Taubensliigel ha
ben, schön weiß, blihblant und aus
recht ohne Knick.
Trudel besann sich nicht lange und
griss zit. Billiger lani sie doch nicht
dazu.
Frau Biiiiislh nictte wohlgesöllig
hinter ihr her: ’n hübsches svrsches
Mädel, alles was recht war. Aber
mit ’n Mann würde es hapern bei die
Povertät. Schade dr’uin!
Trudel nahm auss Neue ihre Zu
flucht zu den Jnseraten. Die Rosen
hatte sie ausgegeben. RosasBand
würde es auch thun. Jn der Lands
bergerstrasze gab es großen Bandw
stenausvertauf. Diesmal ging sie zu
Fuß und erstand für ihre letzten 55
Pfennige zwei Meter dünnes rosa
Seidenband
Zu Hause saß sie und mühte sich ab.
Es wollte lein Chic in die Sache toini
inen. Ihre niedlichen Fingerchen wa
ren gar zu ungeiibt in dergleichen
Dingen. Jminer wieder rannte sie
vor die Schausenster der eleganten
Modegeschäste, ihnen ihre Geheimnisse
abzugucken Wie leicht und natürlich
wanden sich die Bänder, schlangen sich
die größten Flügel hinein, warum
sollte ihr das nicht gelingen?
Aber es gelang ihr nicht. Das
dünne Band lag slach und armselig
uin den hohen Kopf, so ost sie es auch
ausgebiigelt und neu gesteckt hatte!
Der Flügel ragte unvermittelt steil
und gesiihllos zwischen den magereii
Bandenden aus. Ja, hätte sie Rosen
gehabt. einen vollen Kranz Rosen, es
wäre ein Leichtes gewesen, Chic und
Grazie in die Sache zu bringen!
Mit zerstochenen Fingern gab sie
das Rennen endlich aus. Sie würde
wie eine Vogelscheuche aussehen --—
auch gut. Wenigstens hatte sie ihren
Topshut und ihren Willen durchge
setzt.
Z.
Der Tag des Festes war ein wun
dervoller Sommertag. Blau und wol
tenlos wie ein gespanntes Atlaszelt
lag der Himmel iiber der Stadt. No
sen, Jasinin nnd Linden dufteten.
Die ganze Lust schien davon erfüllt zu
sein·
Um sechs Uhr Nachmittags sollte
die Fahrt nach Tegel losgehen, und
um vier llhr war Trudel sertig ange
zogen. Das srisch gewaschene weiße
Battisttleidchen that noch immer seine
Schuldigteit. Aber der Hut! Sie
mochte garnicht in den Spiegel gucken.
Das reiche blonde Haar hatte sie in
großen Pussen und Wellen hervorge
zogen, damit man nur möglichst wenig
von dem mißgliickten Topshut sah.
Trudel’s Eltern wohnten weit drau
ßen im neuesten Westen Berlins. Da
sie das Fest nicht mitmachten, wurde
Trudel zu der beseeundeten Familie
»geschickt, in deren Schutz sie gegeben
worden war. Jhr Weg dorthin siihrte
sie über Feld. Langsain schlendert sie
aus der abgetretenen Wiese daher.
Einen gröulichen Gassenhauer singend, i
kamen ihr drei schmußige Kinder, die
hände voll Feld- und Wiesenblurnen,
entgegen. Weiß, roth, goldger und
blasslila blühte es in den kleinen drecki
gen Fäusten, die sich Trudel entgegen
streckten.
»Men« srische Blumen. Fräu
legnchen Ach, toofen Se uns wat
a ."
Jn Trudel sprang blitzartig ein Ge
dante auf. Blumen! Frische, bunte
Blumen! Und welche Fülle von Blu
men zum Ara für ihren Hut! Blu
men, um seine ·lrmseligieit, fein Un
geschici zu decken!
Sie griff in die ileine Lebertaichh
die sie am Arm trug. Geld hatte sie
keines bei sich. Die Mama wollte nach
träglich mit den Freunden abrechnen,
aber dafür zwei große Tafeln China-«
lade als Wegzehrung.
»Wollt ihr die Chotolade für Eure
Blunien'cM fragte fie hastig. »Und.
wollt ihr mir helfen, einen Kranz zu·
binden?«
Mit Freudengeheul waren die drei
kleinen Strolche dabei Dann hockten
sie zu viert auf dem abgetretenen Wie
fenland, banden einen dicken, bunten
Kranz und schlangen ihn über das
magere Seidenband, und Frau Wams
ins Taubenflügel stand inmitten der
bunten Pracht io hell and aufrecht und
natürlich da, daß es eine wahre Lust
war.
Trudel’5 Herz klopfte vor Freude,
als sie sich im Tafchenspiegelchen besah.
Nun brauchte sie sich vor Niemanden
mehr zu verkriechen, am wenigsten vor
Hans Waldegg, dem jungen Volontär.
Er hatte sie sogleich herausgefun
Vcll Und bot sich lyk als Paul-er ueuu
ersten ReigenspieL Dann, als es zum
Abendbrot in das hochgelegene Wald
haus ging, blieb er dicht an ihrer
Seite, zuerst aus dem schmalen Weg
am Seeuser hart am Wasser, aus dems
purpurgliihend Lag Abendroth lagJ
dann durch den leise dämmernden
Wald, unter Eichen und Buchen hin.
Sie wußte nicht recht, wie es tam, daß
sie plötzlich die Leuten und sast allein
waren.
»Wie reizend Sie heute sind, Fräu
lein Trudel!« sagte Hans Waldegg
und sah ihr dabei so herzlich und voller
Bewunderung in die Augen. »Und;
wie entzückend der Hut Sie kleing
Eine ganz neue originelle Jdee, dieser
frische Blumentranz! Eine völlige
Kostbarkeit!«f !
Trudel lachte halb verlegen, halb;
geschmeichelt aus: aber dann berichtetes
sie. Sie wollte sich nicht unter fal i
scher Flagge bei ihm einschmuggelni
Er sollte nicht glauben, dasz sie eine»
Modedame sei, die ohne Weitereg und
selbstverständlich zu kostbaren Topshii
ten komme. s
Als der junge Mann die Geschichte’
dieses Hutes hörte, nahm er erst ihre
kleinen zerstochenen Finger und küßte»
sie andächtig. Dann zog er sie ein
wenig zur Seite, aus einen schmalen
Psad wieder zum See hinunter, an
dem es noch hell genug war, sich nicht
nur in die warmen, jungen, glücklichen
Augen zu schauen, sondern auch einen
Brief zu lesen, den der junge Mann
in seiner Briestasche trug.
Jn dem Briese aber hieß es: . . . .
Du schreibst, mein lieber Junge, dasz
Du ein junges Mädchen liebst, das-,
wie Du anzunehmen Ursache hast, mit
äußeren Glücksgiitern nicht eben ge
segnet ist. Meinen Segen gebe ich Dir
trotzdem, denn wir brauchen es gliict
licher Weise nicht daraus anzusehen
Wichtiger scheint mir, daß sie gesund,
frisch, resolut und bescheiden ist, selbst
weiß, was sie will und das Leben im
Großen und Kleinen praktisch zu neh
men versteht — --«
Weiter lasen sie nicht. Stvtt des
Papieres hielten ihre Hände einander,
und dann hatten auch ihre Lippen sich
gefunden -
,,,Trudel « bat Hans Waldegg als
tnan spät am Abend auseinanderging,
den Hut mußt Du mir schenken, so
wie er ist. Ich schick ihn morgen der
Mutter nnd schreib’ ihr Deine Beichte
dazu.«
Und so kam es, daß Trudel ihren
schönen, felbstverfertigten Topfbut nur
dies eine Mal getragen hat
III-lice
Frenndint »Wende Dich doch mal
an den Heirathsvermittler Meier, der
verschafft Dir sicher einen Mann«
Aelteres Fräulein: ,,Meinst Dut«
Freundin: »Ganz gewiß der hat ja
schon die ältesten und häßlichlten
Frauenzimmer an den Mann ge
bracht.«
Daß die Mormgnen gerade bei den
hellen Sachsen dle Proselytenmacherei
so eifri betreiben, ist eigentlich ver
wundet ich. Oder hängt es damit zu
sammen, daß dort die schönen Mädchen
auf den Bäumen wachsen?
Schah-Erinnerringeii.
Muzuffer ev din Mirzta -—— Wer
erinnertssich nicht der unzähligen Amt
Ioten, die sich an die Eurvpireife des»
verstorbenen Schahs von Persien
Muzaffer ed din tnpftent Aber esl
hielt stets schwer, zwischen Wahr-f
dent und Dichtung zu unterschei
den.« Daher verdienen die Erinnerun
gen des bekannten Pariser Sicher
heits —- Kommissars Xavier Pooli, die
dieser jetzt im McClurr’g Magazine
veröffentlicht hat, ein besonderes Jn
teresse. Paoli war dem Schah bei des
sen Aufenthalt während der Pariser
Weltausstellung im Jahre 1900 als
Schutzwache zugeteilt worden. Er
hatte alfo Gelegenheit, Muzaffer ed
din auf Schritt und Tritt zu beobach
ten. Paolis Aufzeichnungen sind nicht
nur psychologisch interessant, sondern
sie offenbaren auch einen löstlichen
Humor.
Paali erzählt zuerst, daß er seine
Ernennung zum Schutz - Trabanten
der persischen Majeftiit mit sehr ges
mischten Gefühlen aufgenommen habe,
weil er sich der vielen ,,on dit« erin
nerte, die noch iiber den Besuch des
Schahs Nafsr ed din im Umlauf wa
ren. Hatte Rassr ed din doch den
Wunsch geäußert, einer echten Pariser
Hinrichtung beizuwohnen.Das »Gliick«
war Nassr:ed-Din hold, denn das Ge
fängniß an der Plaee de la RoquetteI
beherberate gerade einen zum Tode
verurtheilten Verbrecher Nassr ed din
erschien also am Morgen der Hinrich
tung auf der Plaee de la Roquette und
harrte der grausigen Dinge, die da
temmen sollten. Als der Verbrecher
zur Guillotine geführt wurde, schien
icdoch das totenblasse Gesicht des De
linquenten das Herz des Schahs zu
rühren, denn er ersuchte die französi
schen Beamten, den »blassen Mann«
zu begnadigen und nur den anderen,
der sich viel gefaßter beuehme, hinzu
richten. Dem Verlangen des Schahs
konnte nicht entsprochen werden, weil
der »andere der --Staat«sanwalt war.
Paoli fürchtete, daß Muzaffer ed
"din ähnliche Wünsche äußern würde,
und der Kommissar sah sich bereits
selbst unter der Guillotine. Seine Be
fürchtungen erwiesen sich jedoch als
grundlos, denn Muzaffer ed din ent
puppte sich als ein so friedlicher Herr,
daß Paoli oft Mühe hatte, den Angst
zustanden des Schahs ein Ende zu bes
reiten. Der Schah litt an einer ent
setzlichen Furchtsamleit, die sich nach
dem Attentat des Anarchisten Salson
fam 2. August 1900) bis ins Krank
hafte steigerte. Wie Paoli berichtet,
war es nur der Geistesgegentvart des
Hofmarschalls Mohammed Khan zu
verdanken, daß das Attentat rnißlang.
Mohammed Khan packte den Attentä
ter so fest am Arm, daß dem Anarchi
sten die Mordwaffe entfiel. Paoli er
zählt, daß ihm am Morgen des At
tentats eine Warnung zuging, er die
ser jedoch wenig Beachtung schenkte,
weil er sich auf die den Schah stets be
gleitende Kavallerie-Estorte verließ.
Am Tage des Attentats aber traf es
sich, daß der Schah früher ausfuhr als
gewöhnlich, die Estorte kam daher zu
spät. Nach dem Anschlag befahl der
Schuh, sofort umzukehren Als er
vor seinem Hotel größere Menschenkin
sammlungen bemerkte, fragte er ent
setzt: »Jetzt will wohl noch einer schie
ßrn?« Jn der Folge wollte der Schuh
auf allen seinen Wegen einen Ade
tanten mit einem geladenen Revoloer z
in der Hand vorangehen lassen. Paolt
konnte ihm nur mit größter Mühe ver- L
ständlich machen, daß dies gegen die
europäischen Sitten verstoße.
Ganz auc- deiu Daugchen geriet
Muzaffer ed diu bei einer lliadiums
Vorführung des Professorg Curie.
Der Schuh hatte den Wunsch geäußert,
die Entdeckung Curies persönlich in
Augenschein zu nehmen. Da die Vor-.
Hfiihrung nur in einem dunklen Raume
erfolgen konnte, so wurde der Keller
des ElyseesPalaigOotelg ausgewählt
Kaum waren jedoch die elektrischen
Lichter derloschen und Curie wollte
mit seinen RadiuuisDemdnstrationen
beginnen, als der Schah in Schrei
lrämpfe verfiel und schleunigst nach
oben gebracht werden mußte. Muzafs
fer ed din wurde schließlich so nervös,
daß er nur noch in einem hellerleuchte
ten Gemache schlafen konnte, wo sich
feine Umgebung laut unterhalten und
ihm zuweilen auf die Beine und Arme
klopfen mußte. Der Schuh bildete sich
nämlich ein, wie Paoli erzählt, daß er
auf diese Weise im Schlafe nicht vom
Tode überrascht werden konnte.
Paoli plaudert auch ilber die Kauf
tvut des Schahs. Muzaffer ed din
kaufte einfach alles. Wenn ihm etwas
gefiel, so ertlörte er nur: »Je prends«.
Ob es ein Panorama, ein Automobil,
ein Tintenfaß oder eine — Frau war.
Muzaffer offenbarte nämlich das Ver
langen, jedes weibliche Wesen, das ihm
gefiel, mit nach Teheran nehmen zui
wollen. Da aber die Worte ,,je prends«
seine gesamten französischen Sprach
herrlichieiien umfaßten, so glaubte
Muzafser ed din sich mit seinen »je
Prends« jede Pariserin erlausen zu
können.
Dadurch geriet Paoli zuweilen in
die tomischsten Situationen Eines
Nachmittags weilte er mit dem Schuh
im Boig de Boulogne· Der Schah be
merkte eine Gruppe junger Mädchen,
die er durchaus photographieren woll
te. Paoli spielte den Dolmetscher und
unterbreitete den jungen Damen den
Wunsch der persischen Majestät. Das
fidele Quartett lam dem persischen Er
suchen bereitwilligst nach und ließ sich
tnipsen. Plötzlich aber wies Muzafser
ed din mit dem Finger auf die jungen
Mädchen und sagte: ,,Paoli, je
prrnds!« Dieser spielte abermals den
Dolmetscher, aber die lustigen Mädels
rissen schleunigst aus.
Der Schuh gerieth jedoch einmal an
die unrichtige Adresse.« Er saß in der
Präsidentenloge in der Großen Oper
und schaute nnverrvandt durch sein
LPernalas nach dem vierten Ranges
uiaou zerbrach nch den Kopf baruoet,
wag für Gespenster Muzaffer ed din
dort oben wieder einmal sehen könnte
Endlich lam der Hofmarschall des
Schabs zu Paoli und sagte: »Majestät
hat dort oben eine wunderschöne Frau
entdeckt und Sie möchten sie fragen,
ob sie mit nach Teheran kommen will.«
Wie Paoli launig bemerkt, hatte ihn
die französische Regierung zwar nicht
zum persischen Postillon d’Amour be
stimmt, aber er gab trotzdem einem
seiner Untergebenen den Auftrag, der
Dame den ,,Je-prends«-Wunsch des
Schahs zu unterbreiten· Der Deteli
tiv kehrte nach der Pause mit wüthen
dem Gesicht zu Paoli zurück und theilte
diesem mit, daß die persische Hof-Os
serte mit einer schallenden Ohrfeige
beantwortet wurde. Als der Schah
dies vernahm, verließ er entrüstet das
Theater.
Paoli erzählt ferner, daß Muzafser
ed din zuweilen sehr bissig werden»
konnte. Als man ihm im Louvre das«
sogenannte ,,Persische Zimmer« mit
den aus Persien stammenden Kostbar-;
teiten zeigte, meinte er: »Wenn wir es i
in Teheran zu einem Museum gebracht
haben, so werde ich auch ein ,,sranzösi
sches Zimmer« einrichten lassen.« Und
als Paoli den Schah bei einem Besuch
des Zoolgischen Garteng auf drei Kas
mele aufmerksam machte, sagte Mu
zasfer ed din mitleidig lächelnd: »Das
ist alles? —- Jch besitze zu Hause neun
tausend Kamele.«
Eines Morgens äußerte der Schah
den Wunsch, das Schloß Fontaineg
bleau zu besuchen. Als man vor dem
Schlosse eintraf, bestand er daraus,
daß die Dragonerestorte absitze und
ihm in den Schloßhos folge. Jm be
rühmten »Cour des Adieux« ließ Mu
zasfer ed din die Leute antreten und
betrachtete sie längere Zeit mit ver
schränkten Armen. Dann begab er sich
ins Schloß. Erst später erfuhr Paoli.
daß der Schah ,,Napoleons Abschied
von seinen Garden« in Szene gesetzt
hanc.
Amüsant ist auch die Geschichte mit
der Großfürstin Wladimir. Der Schah
hatte die Fürstin zum Frühstück einge
laden. Als man sich zur Tafel gesetzt
hatte, präsentierte ein Beamter dem
Schah aus einem goldenen Tablett ein
-- — falsches Gebiß, das Muzaffer ed
din, ohne sich zu genieren, in den
Mund schob. Am nächsten Tage übers
sandte er der Großsiirstin mehrere
herrliche Teppiche, dieselben Teppiche,
die die Fürstin im Heim deg Schahs
bewundert hatte und die, wie Muzaf:
ser ed din in einem Begleitschreiben er-«
klärte, nach dein Betreten Durch
Großsiirstin von keinen anderen Fü
ßen entweiht werden sollten.
»Auch ich hätte beinahe einen werth«
vollen Perser erhalten, schließt Paolt
seine Erinnerungen »Der Schal) hatte
einen seiner Begleiter angewiesen, mir
ben Teppich zu über-senden Jch erin
Tncrte den Herrn mehrmals an das
IVersprechen deg Schah5. Aber stets
kam man mir mit neuen Ausreden
)Sogar auf dem Wege von Paris zui
deutschen Grenze, bis wohin ich Mu
zaffer ed bin begleiten mußte, vertrö
stete man mich von Station zu Sta
tion auf meinen Teppich. Nahe der
Grenze wurde ich ersucht, mit nach
Straßburg zu kommen, dort würde
ich den Teppich sicher erhalten. Jch
glaube, ich hätte bis — Teheran mit
teisen können, es wäre nur bei ben
Versprechnngen geblieben . .
Felix Baumann.
—
Fremde Feder-.
Mit fremden Federn sich zu schmiicken,
Das mag ja wohl manchem glücken;
Doch damit sich aufzuschwingen,
Das dürfte keinem gelingen.
Etne selimqene persopemtiou
gehört noch immer zu den größten
Seltenheitem wenn man aber be
denkt, daß Operationen am Herzen
früher überhaupt für unmöglich gal
ten, so muß man den Muth und die
Geschicklichkeit der Aerzte bewun
dern, die sich an einen solchen Ein
griff wagen und wenigstens zuweilen
wirklich die Rettung eines sonst unter
allen Umständen verlorenen Lebens
erzielen. Einen solchen schönen Er
folg konnte Professor Schnitzler der
Gesellschaft der Aerzte in Wien vor
stellen. Ein Mann war eines Tages,
scheinbar in bereits sterbendem Zu
stande, mit einem selbst zugefügten
Stich in der Brust in ein Kranken
haus eingeliefert worden. Die Wun
de befand sich dicht an der linken
Brustwarze, war einen Zoll lang
und bluteie start. Der Puls in der
Hauptschlagader des Handgelenks
war unsühlbar. Da es sich sichtlich
um einen sonst hoffnungslosen Fall
handelte, schritt der Arzt mit der
größten Eile zur Operation. Der Be
fund war derart, daß er nicht viel
Aussicht aus einen erfolgreichen Ein
griff eroffnete· Nicht nur der Verz
beutel war durchstochen, sondern die
Wunde reichte durch die ganze Dicke
in die rechte Herztammer hinein.
Trotzdem machte sich»der Arzt daran,
die Herzwunde mit Seidenfäden zu
vernähen, was äußerst schwierig war,
da das Herz bei der Berührung hef
tige Bewegungen ausführte. Dann
wurde auch der Herzbeutel vernähi.
Wie zu erwarten gewesen war, traten
schlimme Folgen ein, namentlich in
folge einer Entzündung der rechten
Lunge, die wieder noch mehrere Ein
grifse und schließlich sogar die Her
ausnahme von zwei Rippen nothwen
dig machte. Dennoch wurde der
Mann vollständig wieder geheilt.
Professor Schnitzler hatte früher schon
zweimal ähnliche Operationen ausge
führt, aber ein günstiges Ergebniß
nicht erzielen können.
Muthes Wasser-.
Jedermann weiß, daß das lange.
schmale Meer zwischen Arabien und
Afrita das ,,Rothe« Meer heißt. Die
große Mehrzahl der 200,000 bis 800,
000 Reisenbem die alljährlich diesen
Weg nack- Ostindien und Ostasien zu
rückleaen, wird aber diese Bezeichnung
sur ganz unbegriindet erklären. Nichts
destoweniger ereignet es sich bei ganz
stillem Wetter. daß große Strecken die-«
fes Meer mit einer röthlichen oder
gelblichen Farbenschicht überzogen
werden, so daß man den Eindruck hat,
als fahre has Schiff durch Blut. Wer
diesen eigenartigen Anblick einmal ge
babt hat, vergißt ihn so leicht nicht
wieder. Dicht an der Küste, nament
lich in den geschützten Buchten, ist die
rötliche Farbe ganz allgemein. Diese
seltsame Erscheinung rührt von einer
mikroskopischen Alge her, die im Was
ser oft in ungeheuren Mengen vor
iommt, vielfach in aufgelöstem oder
schon verfaultem Zustande. Auch an
der indischen Küste hat man diese Rot
färbung schon beobachtet, und ebenso
vor einigen Jahren an einem ganz ent
gegengesetzten Punkt der Erde, nämlich
bei Rhode Island in Nordamerika.
Die Algen traten dort in solchen Men-«
gen auf,· daß das Wasser undurchsichtig
wurde, und die verfaulten Pflanzen
mengen verbreiteten einen widerlichen
Geruch, während zugleich viele Fische
abstarben, eine Erscheinung, die auch
Ein Rothen Meere schon öftere- beobach
tet wurde.
——-— - y
Geblendet
Ali- Graf Zeppelin in Berlin feinen
Besuch abstattete, waren die Berliner
von ihm geblendet, im übertragenen
Sinn des Wortes und leider auch im
buchstäblichen. Der 29. August, der
Tag Jer Ankunft des ZeppelinsLufb
schiffs in Berlin, war wunderschön;
bei hellem Sonnenscheine und wollen
freiem Himmel wurde der Lentballon
von aller Welt stundenlang, zumeift
auf hohen Dächern stehend, erwartet,
und ungefähr zwei Stunden lang be
obachteten die Berliner bei grellem
Sonnenschein die Bewegungen des
Luftlchisfes. Das hat nun namentlich
bei Frauen und Kindern zu Blen
dungserscheinungen geführt. Nament
lich scheint daran, wie die ,,Berliner
tlin.Wochenschrift« aussiihrt, die grelle
Lichtquelle schuld zu sein, die der vom
Sonnenlicht bestrahlte mächtige
Schifsstörper bildete. Bei Kindern
traten noch mehrere Tage nach dem
Ereigniß anfallsweise Schmerzen in
zden Augen auf, andere sahen längere
Zeit alle Gegenstände roth. Und fo.
mußte mancher infolge zu vielen Aus
schauenö nach dem Zeppelin ins Dunkle
gebracht werden, um den über-inge
sttengten Augen Ruhe zu gewähren.