Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 10, 1909, Zweiter Theil, Image 20

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    Der Vettatzscheim
Humoreste von Lothar Bren
lendorff.
Der Kandidat der Medizin Fritz
Ringholz bog vom Maximilianplatz
her in die Rochusstraße ein, wie err
allmonatlich an einem zwischen dem
lö. und dem 25. gelegenen Tage zu
thun pflegte-. Den goldenen Ehrenw
meter trug er der größeren Bequem
lichkeit halber bereits in einer Maßen
iasche des Ueberzieber5.
Als er den Thorweg des uralten
und sehr häßlichen, aber um seiner
humanen Bestimmung willen von ei
nem beträchtlichen Theile der Münche
ner Bevölkerung hochgefchätzten Leib
haufes betrat, fiel sein Blick auf eine
schlanke Dame, die mit gesenktem
Kopfe am Fuß der Treppe stand, wie
wenn ei ihr an Muth fehle» die aus
getretenen Stufen empor zu steigen.
Jn Fritz Ringholz erwachten bei
einem so rührenden Anblick unverzüg
lich alle menschenfreundlichen Instink
te. Ritterlich und doch in geziemen
der Bescheidenheit lüstete er seinen
Hut. »Ich bitte tausendmal um Ver
zeihung, mein Fräulein. wenn ich ge
gen meine Absicht aufdringlich erschei
nen sollte. Aber Sie sind augenschein
lich hier noch fremd. und da ich leider
mit den Gepflogenheiten dieses Ortes
desto befser vertraut bin, kann ich Ih
nen vielleicht eine Unbequemlichteit ab
nehmen Darf ich mich Jhnen als
durchaus ehrlicher Pfandverleiher an
bittenW
Die Angekedete hatte wohl erst eine
Bewegung gemacht. als ob sie sich voll
Entrüstung abwenden wollte, der lie
benswürdige Klang feiner Worte aber
hatte sie offenbar rasch mit seiner
Dreiftigteit ausgesöhnt.
»Sie sind sehr freundlich, mein
herr,« erwiderte sie leise. »Und wenn
ich Sie wirklich bemühen dürfte —,
ich —- ich möchte nämlich den Ring
hier betfesen.«
Das Schmuckstück, das sie rasch von
'ihrer zierlichen Hand gestreift hatte,
erwies sich als ein eigenthümlich ge
formter goldener Finger-reif, den meh
rere nach Art eines Kleeblatts ange
ordnete Edelsteine schmückten. Fris
Ringhle verstand sich nur schlecht auf
Juwelen, und er hielt es außerdem
nicht für schicklich, den Ring einer ein
gehenden Mufterung zu unterziehen.
Er beschränkte sich daher auf die Ver
sicherung, daß er in wenigen Minuten
mit dem Erlös wieder zur Stelle sein
werde, und sprang mit großen Sähen
die Treppe empor. Glücklicherweise
fand er auch den Annahmebeamten
eben unbeschäftigt und überreichte ihm
Uhr und Ring mit dem Bemerken,
daß er für jedes der beiden Pfänder
einen besonderen Versatzettel zu er
halten wünsche.
»Auf welchen Namens« fragte der
Beamte.
Da das Münchener Leihhaus sei
nen Pfandgästen zartfühlend gestattet,
sich eines beliebigen Pseudonyms zu
bedienen, Fritz Ringholz auch beim
besten Willen nicht in der Lage ge
wesen wäre. den Namen der Ringbe
sitzerin anzugeben, erwiderte er nach
alter Gewohnheit: »Auf den Namen
Dabei-, wenn ich bitten darf!«
»Sechzrg Mark siir die Ubr und
hundert für den Ring. Jst’5 recht so.’«
Der Aandidat war überrascht, den
Fingerreis so boch bewertbet zu sehen.
Natürlich nahm er nur um so bereit
williger das Angebot an, erhielt seine
beiden Scheine nebst dem dazu gehöri
gen Mammon und eilte die Treppe
wieder hinunter.
»Hundert Mark!« rief er trium
phirend der im dämmerigsten Winkel
Wartenden entgegen. »Ist das genug,
mein Fräulein?«
»Es ist nicht sehr oiel," kam ihm
als Antwort zurück. »Aber für meinen
Zweck reicht es schon aug. Jch danke
Jhnen jedenfalls aufrichtig siir Ihre
große Liebenswiirdigkeit, mein Herrl«
Er reichte ihr einen der beiden
Scheine, den er unterwegs taktooll zu
sammengesaltet hatte, und erklärte,
daß ein so geringsügiger Dienst selbst
verständlich nicht den mindesten An
sprach aus Dankbarkeit begründe«
Noch einmal lächelte ihm das rei-’
Lenze, frische Gesichtchen freundlich zu,
dann schlüpste die biegsame Gestalt
zum Thore hinaus. und als Frik
Uingholz zwei Sekunden später eben
salli aus die Straße trat, sah er den
hellen Staubmantel schon in beträcht
licher Ferne. «
Schon war die zweite Woche nach
bete kleines Ereigniß verflossen, ohne
daß Iris Ringholz die glänzenden
. Augen nnd das allerliebste Lächeln
Iäte vergessen können, und seine
Phantasie machte sich eben wieder sehe
Wieso-flieh mit ihm zu schaffen,
en the set-u Rachwittcgsmietgsna
M eines der vornehmen-i Vicen
M iefkes Lachen Und der weiche
- " - em- Mdatusttmmt Umn
· such dee steile-Ist dieser ause
.« Leute aus«-spähen St be
" s, m thenenziani
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Of -· Ist-Wiss
IFUeieIe
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ftp-ihm Gen-neu zweier junges Mäd
chen, die mit großem Eiitt dem MUS
telstählenden Spiele huldigten.
Da wandte die eine den Kopf. so
daß er ihr lachendes Gesicht sehen
konnte, und ein siiszes Erschrecken zit
terte durch seine Nerven. Die Spie
lerin war ohne allen Zweifel keine an
dere als seine bezaubernde Bekannt
schaft aus dem Leihbause.
Behutsmn ging er noch ein paar
Schritte weiter. Aus einem tubfernen
Schildchen neben der Gartenthitr las
er dsen Namen Horden Hinter dieser
Thiir aber erspäbte er die blutben
weiße Schürze eines Dienstmädchens,
das ikn Begriff stand den Brieftasten
auszuleeren.
Mit der schönen Unerschrockenbeit,
die einen seiner beroorstechendsten
Charakterziige ausmachte, wandte er
sich an das Zöpfchem »Ver.zeibung,
inein Fräuleins Die beiden Damen,
die eben bier im Garten Tennis spiel
zeigetvaren wohl die Töchter des Hau
e
Einem hübschen, eleqanten liebens
würdig lächelnden jungen Manne
bleibt auf höfliche Frage ein Stuben
mädchen nicht leicht die höflich-e Ant
wort schuldig. »Nu: die eine —- die
andere ist bloß Gesellschafterin bei
dem gnädigen Fräulein«
»Natürlich — Gesellschafter-in Und
» sie —- sie beißt Haber —- nickkt wahr-P
»Gott bewahre! Fräulein Valests
Roteemel beißt sie.«
»Richtig —- Rot—-er—me!! Daß
mir auch ein so schöner Name ential l
len tonnte!« I
Er hätte gerne noch mehr gefragt.
Aber im ersten Stock der Villa öffnete
sich ein Fenster, und die Zofe lies mit
;l.--.- NT-2-1-- -e-..
IV.DU USIIISII UHIII CL«UJITU WUUIL
Während er langsam heimwärts
wanderte, hatte Fritz die Vision einer
schmalen Karte, aus der zu lesen
stund: ,,Valesta Ring-hole geb. Rot
erniel«, und er sand, daß der letztere
Name recht hiisbsch tliinge, wenn man
sich nicht aernde daraus versteifte, den
Ton auf die zweite Silbe zu legen.
Dabeitn wartete seiner eine neue
Freude. Der väterliche Wechsel ins-it in
Gestalt einer dreizisserigen Postw
weisunn eingelausem und als ein or
dentlicher Mensch, der er trotz seiner
gelegentlichen Besuche in der Nachts-:
strosze war, ließ er es seine erste Sor
ge sein, den Chronometer aus seiner
Hast zu erlösen. Er nahm den wohl
verwahrten Versatzzettel aus dein
Schreibtisch und entsaltete ihn, urn
die Zinsen zu berechnen.
Aber sein Blict wurde starr, jähe
Entsetzen bleichte seine Wangen, ols
er las: »Ein goldener Ring mit drei
Steinen: hundert Mark Er hatte
also in der Eile die Leiden Scheine
oerwechselt und dein Fräulein Rot
errnel den Versaßzettel Tiber seine Ta:
schenuhr eingehiindigt
Das war ein verböngnißvoller Irr
thum, der selbstverständlich so schnell
als möglich wieder gutgemacht werden
mußte, Und dankbarer noch als zuvor
pries Fritz Ninqholi jeyt die Gunst
des Zufalls-, der ihn wenigstens der
M überhoben hatte, die rechtmä
ßige Eigenthiiinerin des Scheines
aufs Gerathekvobl unter etlichen hun
derttausend Münchener Einwohnern
tu suchen. .
In der Frühe des nächsten Taster-åf
keqab er sich nach der RochuEftUße
und löste den Rinq aus. Dann erstand
er «in einer Papierhandlunq einen
Briefboaen und einen Untidtlaq ohne
jedes Adieichen Er ichrieb auf dar
Blntt nicht-:- mekter alg die Worte:
»Mit ehrerbietiqem Gruß und Der er
Jedensten Bitte, den mrtauichten Ver
fatzsckxein an F. R. 99 baupicostla
aernd senden Fu wollen« Ten Um
ichlaq aber verizh er rni: der Adresse
und stectte den Ring hinein. Im Be
griff, den Umschlaq zu schließen, ist
fznn er sich eines Besseren Konnte er
nicht Glück haben und die jun-re
Tat-ne persönlich treffen? Jn dieice
angenehmen Hoffnung gina er nun
eilia dem Harderichen Landbaufe zu.
Der Tennisplatz war leer. von der
jun-gen Dame weit und breit nichts zu
sehen· Lin dem Obstspalier aber, das
die Pfeiler zwischen den Fenstern des
Erdqefckvsies bedeckte, ichaffte ritt al-«
ter Mann in Hemrärrneln unn blo
ßem Kvpi. ohne allen Zweifel der
Gärtner. Er hatte ein freundliches
vertrauenerweckendes Gesicht, nnd Fritz
Ringholz zögerte darum nicht, ihn zu
seinem Sendboten zu machen.
Er schritt ohne weiteres durch die
nur eingetlintte Gartenthiir nnd nickte
dem biederen Alten freundlich zu.
»Sie gehören doch hier zum hause —
nicht wahr? Wollen Sie sich einen
Thaler verdieneniP
Das anfänglich etwas erstaunte
»Gesicht des Alten strahlte nor Ber
gniigen bei dieser Verheißung. »Wa
rukn denn krick-M Einen leicht ver
dienten Thaler soll inan nie verachtenJ
Was hätt’ ich denn dafür In tiitmio
»Nichts weiter, als dem Fräulein
Rotermel bei passender Gelegenheit
diesen Brief zu übergeben.
Er zog den Uns-schlag aus-der Ta
sche und legte ihn nebst dem ver
spreche-ten Thaler in die bereitwillig
dargebotene hand des sitt-en Gärtners.
Darau, daß er unterlassen hatte, den
Ums aa zusamt-en tte er nicht
Heda , und er in n wenig zu
th als er, inne Sehen wen
d, pl« lich seinen sein von einer
träftitän us atpnckt siidlte und die
M
HE- Jrnt IMM
L Este-«- W
-
squiZ ski- aniszspiz »- z- ges-sing
- Sind Sie verrückt worden
Mensch? Wie können Sie sing unter
stehen, mich festzuhalten?«
»Ich bin der Landgeeichtsidirektor
Harder —— mit Ihrer Erlaubniß, und
dies ist der Ring meiner Tochter, der
ihr vor einiger seit auf räthsselhafte
Weise abhanden gekommen ist. Ver
stehen Sie nun, was mich die Sache
angeht?«
Der unglückliche Kandidat stand
wie betäubt, aber den Zusammenhang
der Dinge hatte er trotz seiner maß
losen Bestiirzung auf der Stelle de
griffen Freilich hatte er nichts Un
rechtes gethan, und er brauchte nur
wahrheitsaemiiß den Hergana zu er
zählen, um sich von jedem Verdacht
einer sträfliche-i Mitlvissenfchaft zu
befreien, mit einer solchen Erklärung
aber hätte er natürlich zualeich das
Schiial des unglücklichen Mädchens
besiegelt. Nein. was auch immer sie
gefehlt haben mochte, nicht durch feine
Schuld sollte sie ins Verderben ge
rathen!
»Wenn es sich so verhält, ist es al
lerdings an mir, um Entschuldigung
zu bitten. Jch habe übrigens keinen
Grund, Jhnen die gewünschte Auf
tLiirung schuldig zu bleiben. herr
Landgerichtsdirettor. Jch habe den
JRing — ich habe ihn hier vor Ihrer;
Gartenihür gefunden, und ich wollte;
Imich der Vermittlung des Fräuleins
Fitotermel bedienen, um ihn der Eigen
«hiimerin wieder zuzuitellen.«
»Darf ich um Jhren Namen bit
uns-«
»Gewiß — mit Vergnügen! Jch
heiße Maier — Karl Friedrich Main,
Herr Landgerichtsdirettor!«
»Und Sie sind mit der Gesellschaf
terin meiner Tochter bekannt-«
»Allerdings! Das heißt —- wenn
aiich — gewissermaßen nur oderfläch:
lich und — «
.So haben Sie die Gewogenheit,
herr Maikr, mich aus ein paar Mi
nuten in's Haus zu begleiten. Als
ehrlicher Finder dürfen Sie ja selbst
verständlich eine angemessene Beloh
nung beanspruchen.«
»O« wag das betrifft —- ich ber
zichte gern zu Gunsten der Armen. Jch
ain auch leider sehr start beschäftigt
und -—"
»Was Sie, wie ich hoffe, dennoch
nicht abhalten wird, meiner Einla
dung Folge zu leisten. Jch muß wirt
lich dringendst bitten, Herr — here
Maier!«
Er schob ihn sanft vor sich her in
einen zu ebener Erde gelegenen Sa
lon, dessen Fenster zum Schutz gegen
Einbrecher mit den schönsten schmiede
eisetnen Gitterstangen verwahrt wa
ren, und es entging der Aufmertsanp
ieit des Kandidaten nicht, daß sich
hinter ihm ein Schlüssel in der Thiir
gedreht hatte.
Schon fing das Bewußtsein der Un
wiirdigieit seiner Lage an, seine rit
terlichen Entschlüsse ins Wanlen zu
bringen« da öffnete sich eine Seiten
thiir, und vor ihm stand seine rei
zende Leihhausbetannte, von seinem
Anblick ersichtlich aus das Aeiißerste
betroffen. ,
»Sie sinds? -- Mein Gott« Sie -"
hier in unserem Hause?«
Das angstvolle Erschrecken aus ih
rem lieblichen Gesicht, der zitternde
Klang ihrer süßen Stimme waren
vollkommen hinreichend, den jungen
Mediziner wieder mit wahrhaft to
desntuthiger Loserroilligteit zu ersiil.
len· Rasch trat er dicht an die Be
stiirzte heran. und indem er die Ein
gangsthiir scharf im kluge behielt,
flüsterte er ihr zur »Ich kann Jhnen
setzt teine umständlichen Erklärungen
geben« mein Fräulein, denn der Land
gerichtsdirettor, der gegangen ist, um
Sie zu holen, lann jeden Augenblick
wieder eintreten. Aber fürchten Sie
nichts, ich lasse Sie nicht im Stich,
und wenn ich selbst ins Gefängniß
müßte. Aber nun gehen Sie! Er
darf nicht merten, daß wir miteinan:
der gesprochen haben. Nur Jhre Un
befangenheit kann uns beide retten.«
Er drängte sie sörmlich zur Thür
hinaus, durch die sie eingetreten war,
obwohl sie wiederholt einen Versuch
gemacht hatte, ihn zu unterbrechen
Es war in der That hohe Zeit gez
wesen, denn sie war noch kaum ver
schwunden, als der Landgerichtgdirek
tot wieder eintrat, begleitet von einer
jungen Dame, in der Iris Ringholz
sofort die Tennispartnerin seiner Akk
gebeteten ertannte.
»Aha — die Tochter!« dachte er.
»Es wird ja immer schönerk
’ Der alte here aber sagte: ·hier
finden Sie einen guten Freund,
Fräsieirn der mich zu seinem Brief
ltoten machen wollte. We ich heule,
ei ist besser, wenn Sie tn meinem
seisein persönlich mit ihm ausspre
M«
Iris Rile verstand die Welt;
nicht mehr Wenn dies nicht die
(
Tochter des Landgerichtedirettore
war, wer und was in aller Welt war
fee denn sonst? Mit dem bitmtnsten
Gesicht, das vie Natur ihm vergönnt
hatte, verneigte er sich gegen die junge
Dante.
Vieabersahmerttm etn Mise
ttnqes sei-streichet and verstöndnissoti
keines-is ee. . weiss nW, den«
« M tin- non ein sie-;
Wiss .k. -..-kx-IW
fkiu Inn-um vorn-we Jch habe
nicht das Vergnügen. den Deren zu
tennen.«
»Nicht? Das ift ja höchst fander
bar. —- Was sagen Sie dazu, Herr —
Maiers«
»Jch tann nichts weiter sagen. Herr
Landgerichtsdirettor. als daß die
Dame vollkommen berechtigt isi. sich
meiner nicht zu erinnern. Auch mir
ist sie ganz fremd.'«
Der Landgerichtsdireitor musterte
ihn mit einem furchtbaren Blick. Es
war tein Zweifel, daß er ihn im Geiste
bereits vor sich auf der Antlagebank
erblickte. »Sie werden einsehen, mein
herr, daß diese Angelegenheit für
mich einer näheren Aufklärung be
darf.«
Er sollte offenbar einein hochnoth:
peinlichen Verhör unterwarfen wer
den, deiner sich in feiner augenblick
lichen Verfassung nicht gewachfen
fühlte, da wurde ihm plötzlich Hilfe
zutheiL
Etwas bleichen Antlitze-Z aber mit
leidlich gespielter Unbefangenheit de
ttat die junge Dame aus dem Leib-;
’haus das Zimmer. Sie schien beim?
Anblick des Kandidaten ein wenig zu
zaudern· dann ging sie tapfer auf ihn
zu. »Guten Tag. Herr Huber,« sagte
sie. ihre Stimme zur Festigteit zwin
gend.
Der Landgerichisdireitor schlug mit
der Hand auf den Tisch. »Nun wird
mir’s aber gar zu arg! Jetzt heißt er
wieder Haber? —- Du tennft diesen
Herrn, Erna?"
aJa, Papa —— aberflächlich Von
der Eisbahn, wenn ich mich recht et
HIIIIID «
»Weißt du auch. daß er sich mir
gegenüber Moier genannt hat --— und
daß er heb-unter er hätte deinen
Ring draußen vor der Gartenkhiir
gefunden?«
»Wenn der Herr das-: faqt, wird es
doch wohl auch fo fein. Than
»Nein, es ist nicht fol« schrie der
Landgerichtsdireltor wüthend »Do
hinter steckt eine Spitzbiiberei, der ich
jetzt unter allen Umständen auf den
Grund kommen will, wäre es auch»
mit Hilfe der Polizei.
Der Londgerichtsdireltor wandte
sich nach dem Knopf der elektrischen
Klingelleitung um, aber noch ehe er
ihn hatte berühren können, warf
Fräulein Erna sich fchluchzend an
seine Brust.
«Vergieb mir. Vaters herr huber
iit ganz unschuldig-. Ich hatte den
Ring ja gar nicht verloren, sondern
herr Zuber hatte die Liebenkwiirdigs
leit, ihn fiir mich zu versehen. Und
nachher —- nachher find eben die
Pfandfcheine vertauscht worden«
Der alte herr griff sich on die
Stirn. »Bin ich verrückt geworden?
Oder seid ihr es? Du hättest einen
Ring oerfetzt —- du, die Tochter des
Landqerichtsoirektors Hurder2"
Fräulein Ema antwortete nur
durch veritörltes Schluchzem wäh
rend Fritz Ringholz endgiltig jede
hoffnung auf eine glückliche Löfung
dieses über alles menschliche Fai
fungsverinögen hinausgehenden Wirr
warr-'s begrub.
Da tlana in vie unheimliate ettus
hinein Fräulein Valegta Noterinels
gepreßte Stimme: »sich al.-ube die
Ertläruna soeben zu sonnen, Herr
Landgerickstgdirettor, die Fräulein
Erna wohl nur aus großtniitbiger
Rücksichtnahme Jus mich beriveiaert
Wenn Ihre Tochter sich « ohne mein
Vorwissen natürlich -- zu einem so
außerordentlichen Schritt entschlossen
hat, so hat sie eE einzia aetban, utn
mir oder vielmehr einem mir seht
tbeuren Verwandten beizustehen Es
handelte sich nur ukn oie Beichaiiung
einer verha·-tnifzkniifzia lleinen Zum
nre. aber an dieser kleinen Summe
hina ein Menschenschickial Da ich
selbst nicht zu belsen vermochte, be
fand ich mich in einer Geniiithgstini
muna, vie ich vor Fräulein Erna
nicht verbergen konnte. Auf ihre
theilnehmenden Fragen oertr.!ute ich
ihr alles an, und noch an demselben
Tage hänviigte sie mir die Summe
von dreihundert Mart ein, deren es
zur Neituna jenes Verwandten be
durfte. Sie saate. baß es ihre tlei
nen Ersparnisse seien, über die fte srei
verfügen könne, unv ich schöpfte na
türlich Seinen Verdacht, auch als ich
das Fehlen des Rinaes betnertte. Jetzt
aber zweisle ich nicht mehr, daß
Fräulein Ema sich den mir geovsersi
ten Betrag oder einen Theil davon
durch den Versatz des Schmnckstiicks
verichssii hat.«
Der Landgerichtsvireltor faßte den
Kot-s seines Töchterchens niit beiden
Händen und bob ihn sanst empor,
mir ihr in das tbrsneniibersiröinie
Gesicht zu bliesen »Ist vie-se Vermu
tbimg zutreffen-. Ernst«
Die Gesragte nickte heftig. »Ver
zeih entr, Papa! Da du ver-seist
warst, gab es niemand, an den ich
mich hätte wenden tönnen, und ich
hossie ja auch, ben Ring non meinen
Ersparnissen wieder einzulösen.«
.Dn bist eine kleine Thiirin. Abers
um des guten Zweckes willen soll binss
in Gnaden verziehen fein. —- Nun
aber zu Ihnen, mein herr! Wie wars
doch aleich Ihr werther Normi« i
»Mit Rinaholz, here LandgeH
richtibiretiorl Kanbibat der Medizini
Mitglied-« H
»Nun, unt Meinen sind Sie, wie esl
scheint, niemals verl . Sie mithin
ja ein« ganzes ch im Kopie
haben.
«; Wnniabuijs bereist-k
sinnt-Ist
Am Ast-ABBIde .
II
Schutz-know (zu einem Weitem Halt. halt! Hier ist nur für Fußgäm
get.
Reiten Lassen Sie mich nut! Ich bin ja auch gleich einer.
Er hatte seine übermiithige Laune
ztlruckgetvonnem und es war ersicht
lich tein übler Eindruck, den er da
dutch nus den Londgerichtsdirettor
machte. Natürlich mußte jetzt die
ganze Wahrheit heraus; und auf die
Regenschauer von Thränen folgte
während dieser Ertlärungen der hellste
Sonnenschein der Fröhlichteit
Als sich irn Laufe der Unterhal
tung herausstellte, daß des Kam-ide
ten Vater, der Geheime Oberregie
rungsrath Mund-ihn dem Landgr
richtsdirettor persönlich woblbelannt
wor, gewannen die Dinge vollends ein
oergniiqliches Gesicht. Der von Fritz
Rinqholz aus größte Heimlichteit on
gklkate Besuch in der Villa Horder
endete mit einem qenieinsarnen Früh
stück, bei dem es oiel Gelächter und
zuletzt sogar den erfreulichen Rang
von C-l)amp.1nnerlelchen gab.
In der Folge aber sah die Nach
barschaft den hübschen jungen Mann
so oft als Fräulein Ernog Portner
beim TennissoieL daß die Gerüchte
von einer nobebevorstehenden Verlo
bung nicht mehr zum Schweigen
kommen wollten. Wie hätte sie es
ihm auch vers-eilen können. daß er ih
retwegen bereit qewesen war, sich als
Dieb und Diebesbedler in den Kerler
roersen zu lassen!
—-—
Erziehung-fünfte
Novelle von Theodar
Duinichen. «
Der here Graf war Rittmeister bei
den zweiten Ulanen. Lange war er
noch nicht verheirathet, sein Junge
war noch nicht ganze fünf Jahre
alt: ein reisender Bengel. aber sebr
temperamentvoll.
Ein Vetter vorn Kadettenkorpg, der
gelegentlich von Lichterielbe herüber
kakn. fand ibn sebr »ultig'·, dagegen
nannten ihn einig-e alte Tanten zuwei
len sebr »unartig'«. Und in der That,
Kurt war ein kleiner »Niipel« —- da
rüber bestand kein Zweifel.
.Wo es der Junge nur der hatisp
llaate die Griiiin, wenn er wieder
einmal feinen Diektops attfgeiett hat
te. »We- er das nur her bat?« —
Es herrschte ein so tadelloier Ton
in der reizenben kleinen Villa, beide
Eltern waren aus gutem, altem und
begiitertem Hause; beide hatten selbst
sehr viel «Kinderstube", die besten
Gesellschaftssorrnenz die aute Et-:
Hirt-um« die in jahrhundertelangerz
Tradition wurzelt. Beide Eltern
gaben sich redlich Miibe mit Kurt
chens Erziehung —- und doch, es war
ein Graus und ein Elend: der Junge
blieb ein Rädel. —
Der Rittmeister war heute ettvagj
oeraraert vom Dienst aeiommen, und;
die Frau Grasin hatte sich rviederx
über Aurt betlaat. Das hals sanstj
in der Regel noch am ersten, wenns
sie in Kurte Gegenwart dem siapas
erzählte, wie aarstia Kurt wieder sie-Z
wesen war. Der Rittmeister hatte«
heute seinen Sohn und Erben recht;
hart angesahren und batte ihn sehr
deutlich darüber belehrt, daß er seiner
Frau Marna unbedingten Gehorsam
schulde, und daß es niemals daraus
ankäme, oh ihm das was er thun
solle Spaß mache oder nicht· Er
hatte auch nicht unterlassen ihn da
raus aufmerksam zu machen, daß un
artige Kinder nicht in den Himmel
kämen und daß sie außerdem auch
Gefahr liefen, hienieden Vriigel zu besi
kommen. Kurt von heldern saß denn
auch mit einein sür seine süns Jahre
sehe nachdenklichen, ernsten Gesicht vor
seinem Tellerchen und schien sehr be
trübt zu sein.
Die Laune blieb überhaupt etwas
sehr gedrückt, auch zwischen den gras
lichen,Eltern. Es war spät gewor
den heute· und das hatte dem Essen
nicht zum Vortbeil gereicht. Nachläs
sia servlrt war auch mal wieder.
.Donneewetter, mist da- Sam«
sit-he der Rittmeister plöklich aus·
»Aber heinz!« unterbrach ihn die
Grösin halb betrübt. halb ind geriet.
Sie drückte die Birne der elettrtschen
Glocke. die vorn Kronleuchter herab
hing. Der Bursche trat ein. Anna
hat —« begann sie.
. Dein Deren Grasen ging es aber
Inicht schnell genu : »Das dömliche
; eauensirninee ha wieder mal das
lz vergessen, sosaet bringen!«
tnaeete ee den Burschen an.
MIN« sa te der Vorsche, ein
If- JIIII It WI- M W
und verschwand. Mit ihm war aber
auch Kurt verschwunden. Latttlos
war er von seinem Stuhl herunter«
geglitten. Seine Suppe hatte er ge
gessen, und das lange Sitzen bei
Tische machte ihm heute gar keinen
Spaß Der Bursche merkte es gar
nicht« daß der Kleine hinter ihm her
lies: Das Salz!" rief er die Kü
chrnthiir aufreibend. »Da-« dämliche
Frauenzimmer hat wieder mal das
Salz vergessen!«
»Wo steckt denn der Bengel?«
sraate inzwischen der Papa. »Im
mer läust er den Dienstboten nach.
Da schnappt er denn auch natürlich
seine bösen Redensarten au .«
»Wi) bist du gewesen?« fuhr er
seinen Sohn an, als er jetzt mit dem
Burschen wieder erschien
»Das Salz holen", antwortete der
Kleine ganz erstaunt und augen
scheinlich in der Ueberzeuaung, daß
seine Unterstützung dem Briefchen sehr
nöthig und nüylich gewesen wäre.
Er erlebte die zweite Standrede von
seinem Vater heute, und da er der
nicht die nöthige Aufmerksamkeit
schenkte, lam es sogar zu einem Miit
lichen Zusammenstosz, bei dem es dem
kleinen Kurt ein Weilchen ziemlich
schlecht ging-Juba der Junae war
oom auch wirklich zu unarrrg.
Ein paar Tage daraus hatten dem
Papa die Diebe beinahe sehr leid -
than, die er seinem Jungen bei die er
Gelegenheit oerabreicht hatte. Kurt
laq lrant, und seine Mama war sehr
besorgt um den Kleinen, um so be
sorgter. als er auch als Patient sei
nen Dicktons nicht aufgegeben hatte
und entsetzlich schwer zu behandeln
war. Unglücklicherweise schmeckte die
Medizin, die er doch nehmen mußte,
iebr schlecht, und es gab sechsmal am
Iaae immer eine Szene, bevor ihn
ieine Mama zum »Einnehrnen« be
weaen konnte. Sie versuchte es mit
allem möglichen. mit Drohungen und
Versprechungen, aber manchmal wollte
aar nichts helfen. So auch heute
Abend. Wohl eine Viertelstunde lang
hatte sie sich schon die größte Miibe
gegeben.
»Ich will nicht! Schmeclt zu
schlecht! Jch will nicht!«
Da versuchte es Mama wieder ein
mal mit der härtesten Drohung:
»Wenn du nicht sofort artig bist und
deine Medizin nimmst, dann eht
M.rina hinaus und läßt dich ier
aani allein lieaenl«
Das war schrecklich, aber Kurt
glaubte es nicht; das that sie ja doch
nicht. Er heulte also bloß und wie
derholte: »Ich will nichts«
Da aina Mama um den Schirm
herum, der oor seinem Bette stand,
und dann that sie, als ob sie hinaus
aina; sehen tonnte sie ihr Kleiner
ia nicht. Sie machte die Tbiir aus
und machte sie von innen wieder zu,
nnd dann stand sie horchend, wie das
Mittel wohl wirken würde.
Als die Tbiir ins Schloß gefallen
war, lam erst ein lauter Schrei:
»Mama, Mama!« Dann lam ein
herzbrechendes Schluchzem das erst
nach einer langen Weile in leises
Brummen überaina, unterbrochen von
gelegentlichem neuern: »hict. hick«,
dann eine lleine Pause, endlich Stille,«
und ietzt hörte Mania ganz deutlich.
wie Kurt mit verweinter Stimme vor
sich hintnurrte: »Gebt das dömliche
Frauenzimmer wirklich weg.«
here Rittmeister und Frau Grö
iin haben sich diese Nacht sehr lange
unterhalten ·- iiber Ursache und
Wirkung und allerlei Erziehungss
fragen.
Its ein stets-il.
Pwtss
q- w-» s —
anef: »Wie du nur dulden kannst,
daß so viele Klatfchbsfen in deinem
hause verletzte-W
Neffe( Redakteur »Absichilich, lie
ber OnleL absichtlich! Ich erspare
dadurch einen LotolsRepoetet!«