Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 12, 1909, Zweiter Theil, Image 16

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    Der verschollene Sohn
Roman von
M. Betzhold
(18. FortsetzungJ
«Run, das Geschirr stand in den
Schranken undwir bat-eng seit lan
ger Zeit nicht mehr gebraucht, jeden
Monat wurde es nachgesehen und ge
hust. Vor acht Tagen waren die
Schkänke noch Voll, es fehlte nichts,
ich kann das mit voller Sicherheit bei«
dank-ten Heute Abend wollte icb aus
einem der Schränie etwas holen, da
fiel es mir sossort.auf. daß Manche-Z
fehlte· ich sah genauer nach und ent
deckte zu meinem Schrecken, daß so
wohl die Silbetschränte wie die Lein
wandfchtänte beraubt waren." -
Die alte Frau machte eine Pause,
der General schüttelte den Kopf, als
ob er sagen wolle, er begreife. das nicht«
Elsriede und ihre Mutter erwarteten
mit sichtbarer Spannung die Fort
sekuna
»Und es fehlt viel, sehr oiel«, strbr
Brigitte nrit stockender Stimme fort,
»der Dieb hat sich Zeit genommen, die
werthvollsten Stücke auszusuchen und
alles Uebriae so zu arranairen, daß
die Lüsten nicht sobald bemerkt wer
den tonnten.«
«Sapverment, wie ist das denn
möglich?« rief der General. »Hm
denn ein Eindruck- stattzaesunden, oder
ist das Haus einige Stunden lang of
fen und unbewacht aetvesen?«
«Keines von beiden. und eben des
kackldb ist es auch mir ganz unbegreif
t I
«Na, und das Dienstmädchen?«
i l...Die ist treu wie Gold, Herr Gene
-a .«
Degen Sie denn gean sonst Nie
mand Verdachtsf
«Wsie könnte ich das? Der Diebs
muß ja mit der Einrichtung unseres-;
hauses genau bekannt gewesen sein,«
auch von dem Jnhalt ver Schriinte41
Kenntniß gehabt haben, und von al-ä
len Leuten. die bei uns aus- und ein-I
gehen, wüßte ich keinen, den ich dieser!
Schandthat fähig halten könnte.«
..Ja, wenn Sie gar nichts anzuge
ben wissen· dann wird die Unter
suchuna sehr schwierig sein«« sagte die
-Generalin. »und unter diesen Uni
ständen wäre es doch wohl rathsam,
mit der Untersuchung bei dein Dienst
mädchen zu beginnen.«
.Ganz meine Meinung«, nickte der
General. .Was sagt denn die Frau
Maiorin dazu?«
»Ich habe noch nicht den Muth ge
sunden, ihr Mittbeilung davon zu
machen«. erwiderte Brigitte. »Ich
xvollte vorher Sie um ihren Rath bit-.
en.«
«Savperrnent, ich weiß wahrhaftig
nicht, welchen Rath ich Ihnen geben
foll, da Sie ja nicht im Stande find,
mir eine Spur anzugeben.«
.Etwas weiß ich doch, aber oh dies
zur Entdeckung des Thiiters führen
wird, vermag ich nicht zu bestimmen.
Vor einigen Tagen meldete das Mäd
chen mir, es habe am Morgen die
Hausthüre unverschlossen gesunden,
die Riegel waren zurückgeschoben und
das Nachtschloß offen, und doch be
hauptete es mit voller Sicherheit« am
Abend vorher die Thüre in aewohnter
Weise geschlossen zu haben.«
»Ah, das ist etwas!« sagte der Ge
neral. »War kein Fenster offen, durch
welches der Dieb eingestiegen ist? Sie
wissen ja, wie man’s hier bei mir ge
macht hat!«
»Nein, die Fenster waren alle ge
schlossen.«
«Gut, dann muß der Schust sich
am Tage in's Haus geschlichen und
dort versteckt haben; natürlich voraus
gesegt. daß das Mädchen wirklich kein
Verdacht treffen kann.'·
Frau Brigitte blickte eine Weile
schweigend vor sich hin, man sak- ihr
an, daß diese Bemerkung sie in Verle
genheit setzte.
. .Das ist’5 ja, daß ich eine Dumm
heit begangen habe, die ich meiner
ausdan Frau gar nicht gestehen
dars«, sagte sie nach einer Pause, wölk
fest ihr Blick voll ängstlicher Befug
niß die Anwesenden streifte. «Ste
see-den es mir noch am wean übel
set-ern Herr General, da Sie ja auch
aster- heß Vertrauen geschenkt ha
- J
»Der Frau Denk-" nagte ver Gene
ral eisria. »Mit-sen Sie aus die Ver
dacht geworfen?«
»Das nicht. Wir waren Alle nicht
wohl, die Frau Heß wollte mir einen
Trank geben« der uns turiten sollte;
und wenn man trank ist. dann bedenkt
man sich nicht lange, man greist eben
u Allem. was helfen kann. Die gnä
ige Frau durste aber davon nichts
wisse-. sit mag die Frau Heß nicht
seiden. und von ihren Kuren will sie
erst recht nichts missen. Deshalb lie
ssen wir an jenem Abend, da die Frau
einige Male aus und ein ging. die
Haustbiir essen, inzwischen sollte Deß
draußen Wache halten. Der Trank ist
denn auch gebraut worden, und wir
baden allesamt-at bis sum anderen
Morgen fest gelebt-dies '
Lenkt geholfen?« fragte der Ge
eea .
. ,chl, ern-as Kopfweh hatten wit.
. i Kahn der Magen war wiederi
Oele-L
, Und in derselben Nacht ist der
W verübt werdens« sagte El
; « I» Da sollte man ast glauben,
AMMJU ist elem Zweck
I
s »Sapperrnent, ich möchte den Ver
rdacht doch nicht so offen aussprechen!'«
serwidertse der General kopfschüttelnd
»Der Heß hat vielleicht nicht Wache ge
balten und ein berurnlungernder Lurnp
hat die offene Hausthüre bemerkt, wer
tann wissen, wie die Sache zusammen
hängt!'«
»Seltsam ist es doch, daß gerade in
den Häusern gestohlen wird, in denen
die Frau Heß Patienten gesunden
bat«. sagte die Generalin nachdenllich.
»Dir rietb sie, das Schlafzinnner zu
räumen und das Fenster Tag und
Nacht offen zu lassen. und dieses of
fene Fenfter benutzte der bis heute
noch unbekannte Dieb, um Dich zu be
stehlen.«
.Und dabei fallen die Ebeleute hesz
ihre Hände iin Spiel aebabt haben?«
faate der General. während er lang
sam auf und nieder wanderte. »Ich
tann das nicht glauben, und aus dem
zufälligen Zusammentreffen verschiede
ner Ereignisse läßt sich dasiir auch kein
Beweis stehen« -
»Ich möchte es auch bestreiten«', er
widerte Frau Brigitte, »die Deß sind
ordentliche Leute« und rnan muß da
täi berücksichtigen daß er Polizeidiener
i .«
»Damit beweisen Sie das Gesen
theil nicht«, sagte die Generalin, »Dek
tor Bitter bat dein Manne niemals
getraut und oft geäußert, man müsse
einen besseren Beamten anstellen. denn
von diesem könne man teinen Schuh
erwarten.'
»Te: Doktor Bitter ift natürlich
wütbend auf ihn. weil die Frau Deß
ihm in’s Handwerk pfuicht«, fpottete
der General, »ich tann’s ihm nicht iibel
nehmen. Aber wir streiten um des
Kaisers Bart und veraessen die Haupt
sache Von dem Diebstahl muß na
türlich sofort Anreiae Wem cht wer
den« Frau Brigitte. da hilft kein Ber
tuschen, Sie müssen Alles anqeben,
rrias Sie wissen, das ift nun einmal
Ihre Pflicht und Schuldigkeit.«
»Aber die gnädiae Frau ·—««
»Die wird Ihnen auch den Kopf
nicht abreisrem überdies lann Ihnen
auch kein schwerer Vorwurf gemacht
werden«
»Ich habe ihr ohne ihr Wissen den
Trank der Frau Heß ir, einem Giase
Glühwein gegeben«
»Und hat der Trank sie kurirt, was
will die Frau Majorin Ihnen dann
noch vor-werfen? Recht war es frei
lich nicht. aber es ift geschehen. und
ändern läßt sich nun nichts mehr da
ran. übriaens werde ich Sie schon in
Schutz nehmen, wenn das Gewitter
aar zu fis-r rk los-bricht Ich bealeite
Sie ich will mich an Ort und Stelle
von der Sachlage unterrichien und der
Frau Majorin mit Rath und That zur
Seite stehen«
Frau Brigitte war für dieses An
erbieten sehr dankbar. aber sie trat
doch mit schwerem Herzen den Heim
wea an, die Worte des Generals hat
ten sie nicht beruhigt.
16.
Bruno Winter war spät in der
Nacht beimaekehrt, und zwar in der
Nacht vor dem Tage, an welchem Rie
del seinen Geburtstag feierte.
Eine Einladung zu dem Fest fand
er in seinem Zimmer, als er sie las,
glitt ein triumphirendes Lächeln über
seine Lippen.
" »Ich werde das Ziel erreichen«, sag
te er leise, »nur Geduld, es fällt kein
Baum auf den ersten Streich.«
Am nächsten Morgen war er schon
friih aus den Federn, er schellte dem
Kellner und forderte sein Frühstück.
»Wenn der Postbote kommt, so sa
gen Sie ihm, daß ich zurückgekehrt
sei", rief er ihm nach und das Friihs
ftiick stand kaum auf den Tisch, als
der Briestriiaer schon eintrat.
»Sie sind ein Mann von Wort«,
sagte Winter inbeiterem Tone. »das
freut mich, ich sehe- man kann sich auf
Sie verlassen«
»Ei, das will ich meinen!« erwiderte
der Beamte schmunzeknd »hier ist die
Zeitung und hier ein Brief.«
»Na, so warten Sie doch noch einen
Augenblick. haben Sie keines Brief,
der für meinen verunglückten Freund
bestimmt warf«
,.An Herrn Felsan? Jch glauber
nicht, aber ich will noch einmal nach
sehen.««
Der Postbote nalrm die Briefe aus
seiner Tasche und sah nach, Winter
stand neben ihm, fein scharfer Blick
suchte aber eine andere Adresse, als die
seines Freundes.
«halt!« sagte er plötzlich, indem er
rasch die band aus-streckte und einen
Brief ergriff, «da ist ja der Brief aus
Afrika, den die Frau Majorin so lan
ge schon erwartet.«
»Im-obl; sawth in einer halben
Stunde wird sit Hm baben.«
»Ist-lieu Sie mir einen großen Ge
fallen erzeigen?«
«Run?«
»Dann gestatten Sie mir, daß ich
der Dame diesen Brief über-geht« !
»Hm, das ist ein sonderbareö Ver-!
langen«, sagte der Bosibate bedenklich.«
«S-anderbar? Durchaus nicht. Jch
möchte der- Fran Majorka gern eine.
Freude bereiten, sie wird inir dank-"
dar sein, wenn ich ihr den Brief liber- E
.drinae. Und Ihnen kann ej isa strich
giltig fein, wer ihn über-Chi, Ihnen
danli man ja doch nicht dafür.«
Bruno Winter .batte, währen-d er
das sagte, einige Silbermünzen auf
den Tisch gelegt, den Brief hielt er
noch immer in der Hand.
»So ganz gleichgiliig ist des doch
nichi«, erwiderte der Beamte zögernd-,
»ich bin dafiir verantwortlich daß der
Brief an seine Adresse gelongi.«
»Fürchlen Sie, ich werde ihn nn
gerichlagenV fragie der Doktor belei
igt.
»O nein, das wollte ich damit nicht
j sagen, ich meine nur —
«Sie können sich daran verlassen,
daß ich den Brief besorge. das wird
Ihnen wohl neniiaen hier-, trinken
Sie auf mein Wohl eine Flasche
Wein.«
Der Vostboie qögerte noch immer,
aber einem solchen vornehmen deren
gegenüber konnte er doch auch kein
Mißtrauen zeigen, es unterlna ja lei
nem Zweifel, daß der Doktor den
Brief abgeben würde. ,
Er nabm das Geld mit einer dan
tenden Verdeuauna, die allerdings
nicht musterailtig war, aber doch ib
ren Zweck erfüllte
«Und dann möchte ich Sie noch bit
ten. einstweilen zu schtveigen«, sagte
Winter, während er den Brief in die
Tasche steckte. «die Frau Masorin
könnte sonst vor meinen Besuch unter
richtet werden« und dann wäre rnir die
Freude verdorben.«
»Ja, aber der Brief muß gleich ab
gegeben werden!'·
«Soll auch aefcheben, bester Freund,
Haben Sie nur teine Anast, mir lie t
selbst oiel daran. der Dame sobald wie
möglich die Freude zu bereiten und den
Dank einzubeimsen.«
Der Postbote war jetzt beruhigt, es
handelte sich ja auch nur um einen ge
wöhnlichen Brief und nicht um ein
Wertbstiich
Bruno Winter dachte nicht daran,
sein Frühstück zu verzehren; den Brief,
der an ibn selbst adressirt war« wür
digte er teines Blickes, ebenso wenig
beachtete er die Zeitung, weder das
Eine noch das Andere schien Interesse
fiir ibn tu haben.
Hastia schob er den Rieaet an der
Zimmerthiire vor und machte sich dann
mit dem Briefe aus Afrita zu thun.
Ersteckte eine Spirituslarnpe an. die
wohl schon zu diesem Zwecke bereit ar
standen hatte. und da das Couvert des
Briefes nicht aefieaelt war, so sei-arm
es ihm durch die beißen Wasser
diimpfe, dasselbe so vorsichtig zu lö
sen, dass es ohne hinterlassung oon
verrätberischen Spuren ’ soiiter wieder »
geschlossen werden kannte. Er schien
in dieser bedenklichen Kunst bereits
Uebuna und Erfahrung zu besehen.
Es war ein langer Brief von vier
ena beschriebenen Seiten. nnd die nicht
sehr deutliche Handschrift bereitete dear
Doktor anfanas einige Schwierigkei
ten. die er aber rasch überwand. Jen
nrer finsterer zogen seine Brauen sich
zusammen. indesz sein Blick iiber die
Zeilen glitt, ein tückischer Zua um
zuckte seine Mundrointel. und die
Glutb des Hasses loderte aus seinen
Augen.
Der Inhalt des Briefes mußte ihn
in höchstem Grade aufgeregt haben,
mit einem Fluche sprang er aus
«,hat denn die Hölle sich amen mich
derscksvoren?« sagte er mit beiserer
Stimme. wwiibrend er gleich einem ge
fangenen Raubthier in dem Zimmer
auf und nieder rannte.
»Wenn dieser Brief in die stände
der Mast-ein gekommen wäre, hätte
ich deute noch meine Koffer packen tön
nen.«
Er blieb endlich am Fenster stehen
und blickte lange aedantenvoll hinaus,
dann zündete er die erloschene Cigarre
wieder an.
»»!lt; bas, so rasch darf man den
Muth nicht verlieren«, nahm er sein
Selbstaesmäch wieder aus, «einstn)ei
len ist noch nichts zu befürchten. Was
dieser Jan Steen über mich und meine
Beziehungen zu Steinthal ausarsagt
hat, ist leeresGeschwätz, und in Bezug
aus die übrigen Mittbeilungen sehlen
die Beweise Dieser here v. Bach
wird also in ten nächsten Wochen nicht
wieder schreiben, er bat sich einer Ex
pedition in’s Innere angeschlossen,
und ich möchte wiinschen. daß es ihm
aus dieser Reise erginge, wie es soVie
len ergangen ist. deren Gebeine in
asriianischer Erde ruhen. Und selbst
im qliicklichsten Falle können Monate
vergeben, ehe wieder eine Kunde hier
her kommt, diese Zeit muß nun be
nusst werden; sobald Eugenie Niedel
meine Frau ist« tann ich allen Stür-(
men die Stirne bieten. Und konnte;
Felsina sie erobern, so wird es mirs
wohl auch gelingen. frisch gewagt ists
hall- aewvnnen.«
Er überlegte noch einen Augenblick
lieb dann den Brief aus und zündete
ihn mit raschem Entschlusse an; hier
aus tvars er itm in den Ofen-, vor dem
er stehen blieb, bildaö Papier ver
brannt war.
.Der Postbote muß scknveigen«,
murmelte er, «sein eigenes Interesse
zwingt ihn dazu, und er wird ej thun.
Also Muth, noch ist nichts verirrte-M
Er schob den Riegel tunder zurück
und össnete iesi den an ihn adressiri
ten Brief.
In diesem Augenblick wart- an -
klopft, die Ære geöffnet, nnd r
Rentner Odrner stand aus der
Schwelle.
Mut immer hereint« sagte Winter
scherzend »Bist-en Sie schon ersahrery
daß ich wieder da bin?«
Instui Götner Hielt die Dqse in der
hand, lächelnd bot er ihm eine Prise
an. «
Ei war sa Essai-reden dns Sie
E gener- Usbend zurückkehren Music
«
ffertniderte er, »bei dem Fest in der
Bill-a Riedel diirfen Sie heute nicht
fehlen.«
«Wird es so graßartia werdens-«
»Na, was Papa Niedel unter
nimmt, das wird immer mehr oder
tveniaer großartig: namentlich sucht er
seinen Stolz darin, seinen Gästen die
Reichhaltialeit und Borsüglichteit sei
nes -Weintellers zu beweisen, und ie
dem echten Rheinliinher lann eine sol
fhze Beweisführung nur angenehm
em.«
.Meinem armen Freunde hat sie
das Leben actostet". schaltete der Dot
tor ein. »Ich mache mir fest hittere
Vorwürfe darüber, daß ich ihn nicht
gewaltsam zurückgehalten habe, es ist
die alte Geschichte von der zu spiit
kommenden Reue.«
»Ist die Anaelegenheit fest erle
digt?« sraate Görner.
.J;a, ich habe ihn gestern zu Grabe
geleitet. Was ist inzwischen hier
L Neues vorgefallenfk
s Der Rentner ruhe auo seinen Srn
nen empor, er hatte wieder einmal
über das schwarze Bartbaar nachge
dacht, das ihrn noch Kopszerbrechen
machte.
»Wer-si« erwiderte er. »Ja so, bei
der Frau Masorin o. Bach ist ein
großartiger Diebstahl verübt worden.
Silbergeschitr und Leinwand, man
spricht von einigen tausend Thalern
Werth.«
Einbruchi«
»Das toeisz man eben nicht. Vor
gestern erst ist die Sache herausgekom
men, aber der Tbäter hat keine Spur
hinterlassen. Der Bürgermeister soll
sich in keiner rosigen Laune besinden,
im Laufe der Jahre ist hier so man
ches Verbrechen ein ungelöstes Rüthsel
geblieben, daß man es der Regierung
nicht verdenken kann, wenn sie eine
Erklärung dafür in der Geschäftsfüh
rung unseres gestrengen herrn sucht.«
Bruno Winter strich mit der band
über seinen schwarzen Bart und blickte
dabei den Rentner forschend an.
»Sie sind mit der Familie Niedel
:vohl eng bestertndet?« fragte er nach
einer lurzen Pause.
»Ich bin dort seit Jahren haus
ireund."
.llnd gilt Ihr Rath in dem Hause
etwa3?«
»Da-für habe ich Beweise.«
»Bitte. lesen Sie diesen Bries; der
l Inhalt desselben muß einstweilen noch
Geheimniß bleiben. ich weiß in diesem
Augenblick noch nicht, welchen Ent
schluß ich fassen werde und ich ver
traue Ihnen die Sache nur an, weil
ich glaube, daß ich aus Jhre Freund
schast bauen dars.«
Justus Görner hatte das Schreiben«
welches Winter seiner Brieftasche ent
nahm, rasch gelesen, erstaunt blickte er
aus.
»Man bietet Ihnen eine Professur
anf« sagte er.
»Im Vrag — iatvohl« nickte Win
ter. »ich habe mich nicht darum den-or
ben und so weiß ich auch nicht, ob
ich sie annehmen werde.«
.Das würde ich sedensalls thun!«
«Verzeiben Sie, als einzelner Mann
bin ich nicht genöthigt, irgend welche
Rücksichten zu nehm-en. Jch kann eine
neue Reise um die Welt antreten und
meine Kenntnisse erweitern, ich
lann —«
»Gewiß, Sie können zu Gunsten ei
ner Laune dieses ehrenvolle Anerbieten
ablehnen«, unterbrach der Rentner ihn,
»aber ich meine. es müsse doch auch
Ihnen wünschenswertb scheinen, end
Zich in den sicheren Hausen einzuwü
en.«
»Nur dann, wenn ich die Gründung
des eigenen Herdes damit verbinden
ann.«
»Und was hindert Sie noch, den
eigenen Herd zu gründen, nachdem
Sie Ihre Existenz sicher asestellt und
eine beoorzugte Stellung errungen ha
beni«
Bruno Winter guckte die Achseln
und wanderte einige Male aus und
nieder.
»Ich will ausrichtia sein«, erwiderte
er nach einer Pause, »Sie haben mich
so oft Ihrer Freundschaft versichert,
wohlan, ich will die Aufrichtigkeit die
ser Versicherung prüfen. Ich liebe
Eugenie Niedri, nur der Wunsch, ihr
herz und ihre band zu erringen, hat
mich hier zurückgehalten Und doch
habe ich nicht den Muth, ossen mit der
Sprache heraus zu rücken. Die Fa
milie Riedel ist reich, ich fürchte, man
tönnte mir den Vorwurf machen, ich
suchte mir aus diesem Wege eine sor
gensreie Existenz zu sichern.«
Görner schüttelte mißbilligend das
Haupt. ihm aefiel dieses Projekt; eine
heirath zu stiften, Oar stets sein Ver
aniigen gewesen nnd er vergaß, wel
« chen schlimmen Verdacht er gegen den
E Doktor gehegt hat-. Jetzt wollte er
vielmehr Alles ausbieten, diese Ver
bindung zu Stande zu bringen.
»Wie könnten Sie denn in solxn
Verdacht lommen!" sagte er. « ie
sind ein Gelehrter. Sie haben den
DottortiteL Sie dürfen überall an
tlovsen, Papa Riedel tann sa nur
stolz aus einen solchen Schwiegersohn
e n.«
»So vermuthen Sie —- Riedel könn
te aber doch anders darüber denten.
Und es wäre mir zu peinlich, einen
Korb zu erhalten« «
««dm. wemxich mich nicht seht ge
irrt hobe, so hatten Sie seither Ab
sichten auf Fräulein v. Steinthal.«
»Ich lengne das nicht« Elstiede o.
Steinthckl haM«einen tiefen Eindruck
aus mich gemacht, aber ich erkannte
doch bald, daß Fräulein Riedel —«
»M. n«a. bleiben wir bei der Wahr
heit«. unterbrach Görner ihn setzte
zend, «Sie haben erkannt, daß Frau
lein n. Steinthal keine Neigung zeigte,
Ihren Hoffnungen und Wünschen ent
gegen zu kommen. Ich hätte Ihnen
das voraussagen können. nmn spricht
schon lanae davon, daß Elsriede v.
Steinthal den Deren Dotter v. Bach
heirathen wird. Schon vor dein Kriege
erwartete man die Verlobung, ich bin
überzeugt, dass sie erfolgen wird, so
bald Herr v. Buch zurückgekehrt ist.«
.Bruno Winter sah ihn erstaunt an,
diese Mittheiluna schien ihn zu über
raschen.
»Ja, wenn ich davon nur eine Ach
nuna gehabt hätte, würde ich nicht so
thöricht gewesen sein« Hoffnungen zu
heaen, die oorausstchtlich sich nicht er
süllen lonnten«, saate er.
»Und nun wünschen Sie. daß ich
zwischen Ihnen und der Familie Rie
del vermittle?«
»Wenn Sie das übernehmen woll
ten —«
»Seht gerne, aber Sie müssen Ge
duld haben. Wir dürsen nicht mit der
Thüre in’s Haus fallen. so lanae Sie
nicht mit Zuversicht wissen, daß Ihre
Liebe erwidert wird."
»Das eben weiß ich nicht«
CFortseszung solgt.)
-—
Wie behuten wir die Augen
unserer Kinder.
Von Dr. c. Dasein-en
II.
Bilden diesellnglückssülle zumGlücki
mehr oder minder große Seltenheiten,
so müssen alle Eltern ausnahmslos zu
der Frage Stellung nehmen: wie be
hüten wir unsere Kinder oor Aussich
« tiateitlt
Unter ihr versteht man bekanntlich
tsenjenigenZustand des Auges, bei wel
chem nur solche Gegenstände deutlich
und scharf gesehen werden, die dem
Auge ftark genähert worden sind; je
nach dem Grade der Annäherung, wel
cher nöthig ist, unterscheidet man gerin
ge, mittlere und hochgradige Kurzfichs
tigleit. Die ersten beiden Formen be
deuten fiir den Betreffenden nur Un
beauemlichkeit, die aber immerhin
schon fo weit gehen kann. dafz sie die
Lebensfrqu recht erheblich vermin
dert. So z. B» wenn ein Kurzsichti
ger mittleren Grades, der nur bis 8
Zoll von feinem Auge entfernt deutlich
sieht, eine Aussicht genießen will und
fein Glas nicht zur Hand hat. Auch
ist zu beachten, daß schon die leichtesten
Formen der Kurzsichtigkeit fiir manche
Betusszweige untauglich machen, so
fiir den Beruf des Seemannes, denn
mit gutem Recht wird von diesem leh
teren voll Sehkraft neit unkorrigir
tem Auge, d. h. ohne Glas« verlangt.
da man das Schicksal eines ganzen
Schifer unmöglich von dem Umstande
abhängig machen kann. ob des Kapi
tiins Brille vielleicht im entscheidenden
Augenblicke verlegt, zerbrochen oder
auch nur angelaufen ist. Alfo, wenn
irgend möglich habenEltern diePslicht,
auch die Entstehung le i ch t e r Grade
zu verhindern. Vollends zu vermeiden
'al:er find die s ch w e r e r e n Formen.
Denn fie bedeuten nicht bloß Unbeha
gen und Unzutriiglichkeiten, sondern
bringen Gefahren mit sich: das Wesen
der Kurzsichtigleit besteht in einer im
mer zunehmenden Vergrößerung des
Auges, wobei namentlich die tieferen,
edleren Theile, so vor allem die Netz
haut, gezerrt und gedehnt werden. Da
durch kommt es nicht felten zu Blu
tungen im Augeinnern und in
schlimmsten Fällen sogar zu Neghauts
ablösung —- tvomit der Tod des Au
ges besiegelt ist. l
Glücklicherweise ift dieser Ausgang
keineswegs die Regel, ganz im Gegen
teil: die weitaus meisten Fälle von
Kurzsichtigleit kommen mit dem Auf
hören des Körperwachsthums zum
Stillstand, nachdem sie einen höchstens
mittleren Grad erreicht haben.
Es ist leineswegs die Thätigkeit an
und fiir sich. welche unbedingt Anlaß
gibt zur Entstehung der Kurzsichtig
leit, sondern es ist nur diejenige Art
der Naharbeit, welche unter günstigen
hhgienischen Bedingungen geleistet
wird, d. h. bei mangelhafter Beleuch
tung und bei schlechter Körperhaltung
und zwar deshalb, weil alsdann das
Auge dem Objekt über Gebiihr genä
hert werden muß. Die richtige Ar
beitidistanz beträgt 13 Zoll. Verein
gert sich dieser Abftand, fo müssen die
Augen, welche beim Blick geradeaus
parallel stehen, sehr stark konoer ’ren,
dies erzeugt übermäßig ftarten lut
zusluß zum Auge, wodurch die Ent
stehung der Kurzsichtigkeit eingeleitet
wird. Auf die Beleuchtung also und
zweckmäßigen Sih ist der hauptwerth«
zu legen
Jede Mutter weiß, daß helles Licht
nur in der Nähe des Fensters zu haben
ist« und nur das eine sei betont, daß
der Schreibende stets von links das
Licht erhalten solle denn kommt es von
rechts, so stört der hewegliche Schatten
der eigenen Hand. Bemertenswerth ist«
daß der halö (namentltch die Frauen
tleidung verstößt htergegen!) in leiner
Weise durch den Kragen heengt setn
dars. Sonst entsteht sosort Blutstu
un im Konse, und dieses Blut drückt
au das Auge.
Eingehender ist das zweite Moment
zu besprechen: die Bedeutung der Kör
perhaltung. Man mache folgendes
kleine, aber lehrreiche Experiment: aus
einen dünnen Draht wird oben ein
Kartossel ausgespieszt7 so lange der
Draht senkreckt gehalten wird, so daß
er den Kartossel und ihren Schwer
punkt genau unterstützt, trägt er die so
bedeutend schwerere Last ohne weiteres; s
neigt dieser letztere aber nur wenig nach
ivsm so ukzt sie, indem der Draht sich
knickt, so ort oorniiber.— Was hier ge
schieht, ist nichts anderes als die Nach
ahmung der Körperhaltung bei schlech
tem Sitz und ihre Folgen. Nur dann
triigi die Wirbelsiiule,die als elasiischer
Stab zu denken ist, den Kopf, wenn sie
seinen Schwerpunkt genau unterstützt;
wird der Kopf vorniiber geneigt, so ist
von mühelosem Baionciren nicht mehr
die Rede, dann muß der Kon von den
Muskeln des alfes und denen der
Wirbelsiiule fe tgehalten werden. Dies
gelingt aber nicht auf die Dauer, der
Kopf ist zu schwer, die Muskeln ermü
den. Als Konsequenz ergibt sich: das
Kind schiebt die«Arme, namentlich den
linken, weit nach vorn auf den Tisch
der Kopf sinkt mehr und mehr vorn
iiber, bis er schließlich geradezu aus den
Arm aufgelegt werden kann. Jn Er
müdungsstellung, oiso wird der Kopf,
und mit ihm das Auge,dem Objekt un
gebührlich genähert, sei es, dnß es sich
dabei um Lesen und Schreiben oder
um Hand-arbeiten und Zeichnen hon
delt, und hierdurch sind sofort die Be
dingungen gegeben, durch welche Kurz
f sichtigkeit hervorgerufen wird. Es
folgt hieraus die wichtigste Grundte
gelz ftets ist fiir einen Arbeitsobstand
von 12 bis 13 Zoll zu sorgen. und es
ergibt sich sofort die ebenso wichtige wie
einfache Maßnahme, größeren Kindern
einLineal neben den Arbeitsplatz zu
geben, mit welchem sie die vorgeschrie
bene Entfernung von Zeit zu Zeit kon
trolliren können.
Freilich ist dies fiir die Dauer nur
möglich, wenn der Arbeitsplah richtig
lonstruirt ist. Befindet sich zwischen
dem Stuhl und dem Tisch ein Zwi
schenraum, so ist es ganz unmöglich
auch nur fiir eine halbe Stunde vor
schriftsmäßig, d. h. mit angelehntem
Odertörper und aufrechtern Kopf zu
sitzen: vielmehr muß der Kopf und der
gesammte Obertörper vorniiber geneigt
werden« wodurch alsbald der Zerfall
der Haltung eingeleitet wird. Anders
bei solchen Plätzen, an denen der Sitz
unter den Tischrand heruntergefchoben
werden tannt es ruht hier die Wirbel
iäule bequem an der Lehne, der Kon
balancirt ohne Mustelanftrennung auf
dem Rumpf, der ganze Körper befindet
sich in harmonischem Gleichgewicht
Man spricht in solchen Fällen von
»Minnsdistanz", weil die Entfernung
zwischen Tisch und Stuhl, welche im
erften Falle als positiv bezeichnet wer
den kann, ietzt negativ geworden ist.
Nur diese Bänle also eignen sich als
Arbeitsplätze sitr Heranwachsendez nur
diese werden schon längst von den gro
fzen Städten fiir die Schulen ange
schafft. Jm houshalt tann man die
«Minusdistauz« nachahmen, indem
man entweder so tonstruirte, nach der
Körpergrssze und dem Wachsthum ver
stellbare Arbeitspulte lauft, oder aber
indem man einfach den Tisch, an wel
chem das Kind- arkeitet, stets so weit
vorschieht, daß die Tifchplatte bis iiber
den vorderen Stuhlrand hast-erreicht
Und nun der letzte Vorschlag, durch
dessen Befolgung Eltern von ihren
Kindern Noth und Kummer fernhalten
tönnent die Ueberlegung, ob der ers
wählte Beruf im Eintlang steht mit
der Leistungsfähigkeit deg Auges.
Nur zu oft erlebt es der beschäftigte
Augenarih daf; Leute ihn um Rath
fragen, denen als einziger Bescheid die
Antwort gegeben werden lann. voll
ständige Schonung teider Augen siir
Wochen, iir Monate, ja noch länger.
Wieviel -orge wäre verhütet worden«
hätten in diesen Fällen die Eltern sich
gefragt, ob ihr Flind den Beruf als
Lehrer, als Geistlicher, als Modistin
oder Näherin wiirde ausfüllen tönnen,
ob es nicht zweckmäßiger sei von vorn
herein den Beruf in Uebereinftimmung
zu setzen mit der verntiudrrten Seh
traft. Wer einmal erlebt hat« wie er
fchiitternd auf Erwachsene reiferen Al
ters es wirlt, wenn der Arzt die
Fortführung der bisherigen Berufari
beit ihnen als unmöglich bezeichnet,
der wird denWerth der oben gegebenen
Warnung in vollem Umfang zu wiirs
digen wissen. Es gilt dies nicht bloß
fiir Kurzsichtige,sondern überhaupt fiir
Menschen mit nicht ganz vollständiger
Sehschärfe, mag die Ursache der her
abminderung angeboren, oder mag sie
etwa durch hornhautflecle erworben
sein. Jn neuerer Zeit sind Tabellen
arsgearlseitet worden, in denen sich die
Berufsarten aufgezählt finden je nach
den Ansprüchen, die sie an die Sehtraft
ftellen. Mit ihrer Hilfe ist jeder Arzt
sofort in der Lage zu entscheiden. So
erfordern —— um hier nur einige wenige
Beispiele zu geben —- die höchste Seh
lraft u. a. der Beruf des See-naan
des Uhrmachers, Photographen oder
Optikers; mittlere erheischen das Ge
werbe des Technilers, des Jngenieurs,
des Lehrers, Kaufmanns oder Wandu
aiften; noch aeringere dieThätigleit des
Gärtners, Brauerei oderLandwirths u.
s. w. Manche der aufgezählten Gewerbe
gestatten das Tragen eines korrigi
renden Glases, jedoch andere wiederum
nicht. Von größter Bedeutung bei der
Eisenbahnverwaltung ist ferner der
Nachweis normalen Farbensinnez —
ein wichtiges Erfordernis, seitdem vor
Jahren ein schweres Eisenbahnungliiel
geschob, weil derLolornotivfiishrer Noth
und Grün verwechselte.
So war es also nicht zu viel gesagt,
wenn es in den einleitenden Worten
hieß: Die Eltern sind fiir die Augen
ihrer Kinder ost auf Lebenszeit ver
antwortlich. Ganz gewifz soll jeder
den Berugx erwählen dürfen, zu dem
ihm die elgung hinführt, aber Sache
der Eltern ift eg, zu erwägen, ob die
Vorbedingung existiert: die erforderli
che Sehkraft.