Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 23, 1909, Zweiter Theil, Image 10

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    Was die Nacht verbarg.
Roman von E. P. Oppcnhem
(8· FortsegungJ
heinz machte eine ungeduldige Be
wegung. »Natürlich wissen Sie es
nicht. Es ließe sich doch aber der Fall
denken, daß er sein Einkommen ir
gendwelchen duntlen Beziehungen ver
dantte. Wie gesagt, das sind alles
nur Bermuthungen von mir, aber
wir wollen einmal annehmen, daß es
so wäre. Er befand stch vielleicht imj
Besid von Papieren, die ihm das Geld;
derschassten Nun tönnte man zweier-H
lei glauben: entweder ist er aus Ver-?
anlassung dessen ermordet worden«
den er zur Zahlung so großer SunH
men veranlaßt oder vielleicht auch —s
gezwungen hat, oder von jemand, der»
sich selbst in den Besitz seines Einkom
mens seyen wollte.«
Verständnißlos sah ihn Mariens«l
an. »Ich kann das nicht beweisean
sagte et hilflos. »Ich kenne wohl dies
Verhältnisse hier zu wenig. Aber es(
mag wohl sehr scharfsinnig gedachtI
sein, was Sie da gesagt Laden. Wasj
rathen Sie mir aber dann zu thunim
»Ich rathe Jhnen nichts, als die
Aufklärung des Verbrechens nach
Möglichkeit zu fördern und im übri
gen sehr vorsichtig zu sein·" gab Heinz
zur Antwort. »Aber ich glaube aller
dings, daß Sie gut thun, sich diesen
Rechtsanwalt Berger einmal vorzu
nehmen«
,Jch weiß nicht« Herr Hollfelder,
Fie haben mich ganz verwirrt und
angstlich gemacht,« erwiderte Mar
iens »Wissen Sie, mit solchen Sa
chen habe ich nicht gern etwas zu
schaffen. Wenn Sie Jhre Güte so
weit treiben wollten, mich vielleicht zu
dem Rechtsanwalt zu begleiten —- !
Heinz zögerte. Er hatte das n: cht
erwartet und nicht gewünscht. So;
sehr er sich nach Aufklärung und nach
der Kenntniß der Wahrheit sehnte i
toollte er doch nicht noch weiter in die
Ungelegenheit hineingezogen werden.
Bot allen Dingen war ihm dieser
Saul Mariens im höchsten Grade zu
wider. Aber er entschied sich dann zur
Erleichterung des herrn Martens doch.
dafür, ihm seine Begleitung zuzusa
gen. Er erwog bei sich, daß es am
Ende besser war, er behielt diesen
sur-schen der bei aller an den Tag
gelegten Sonderbatleit doch ganz ge
rieben schien, in den Augen, um ihn,.
Denn es noth that, von diesem oder
jenem zurückzuhalten J
»Ich will mit Ihnen gehen, dabei
aber zu meinem Bedauern heute leine,
Stunde mehr srei,« sagte er. »Wirs
werden den Gang also aus morgen
verschieben müssen.«
»Ich will Sie aewiiz nicht drängen.
Ihre Liebenswiirdiateii ist ohnediez
groß aenug,« Versichette Mariens-.
»Aber sehen Sie — ich habe hier wirt
Iich keinen Menschen sonst, an den ich
« mich baiten könnte, und da ich die
Verhältnisse so aar nicht kenne, biitte
ich ohne Sie wirklich nicht gewußt,
das ich hätte besinnen so"en.«
Sie verabredet-n die Stunde zu
der Martenö Kollfeider aus seiner
Wohnung abbolen solt-» nnd froh.
daß er der« Gesellschaft dea sonderba
ren Patjrons meniastens iiir bei-te le
dig war, schlug Heinz den Heimweg
em.
Dreizehntes Kapitel·
Es war um die vierte Nachmittags
stunde des nämlichen Tage-, als
Domhrotvsti abermals das neuer
dings zu so zweifelhafter Berühmt
heit gelangte Haus in der Ranu
straße betrat. Aber sein Besuch galt
diesmal nicht dein jungen Schriftstel
ler, der sich, wie er wissen mußte,
um diese Zeit immer itn Klub auf
hielt, sondern er schritt an Hollselders
Bohnungsthiir in1 ersten Stockwerk
Vorüber, und erst in der darüber ge
l nen Etage drückte er aus den
L ops der elektrischen Klinget
Eine halbe Minute spnter wurde
die Thiir eine Spalte weit geöffnet,
nnd eine Männerstimme fragte: ,,3u
isten wünschen Sie, mein seen-«
»Ja herrn Marun5."
»Wenn Sie den Matten-d meinen,
der bis vor einigen Wochen hier —««
»Nein, den meine ich nicht« denn
ich weiß, daß er nicht mehr unter den
·· Mden weilt. Aber man sagte mir,
III die von ihrn innegehabten Zim
;: see seit heute von seinem Bruder,
W Paul Mariens, bewohnt wur
«0anz recht! Jth selbst hin hast«
, Miets- Rame ist Dombeowzti. —
Isen Sie mir eine Viertelstunde
III-tun herr-Mnrtenii«
) Dieser sixirte ihn noch ein paar
Ich-den lang, ehe er sieh entschloß,z
III den Zutritt steht-geben Offen-l
siihlte er sich in der Behauinng
T ermordeten Bruders nicht so
U M und hatte sieh vorgesetst
Mist-i Besuchen- gegeniiber t·ehr
« seiner hat zu sein« Während er
- Inder-en durch eine einladende
. hebe-Mk in das Wahn-tim
W M Es III Nin
folgte, war er immer daraus bedacht,
einen Abstand von mehreren Schrit
ten zwischen sich und ihm zu lassen«
und auch der Ton, in welchem er
fragte. womit er dienen könne, ließ
sein Mißtrauen ziemlich hörbar durch
klingen.
»Was mich zu Ihnen führt« Herr
Mariens, ist lediglich mein Interesse
an der Aufklärung des Verbrechens,
dem Jhr unglücklicher Bruder zum
Opfer fiel.«
.Sie haben ihn gekannt?«
»Nein. Meine Theilnahme siir ihn
datirt erst seit dem Brianntwerden
seines seltsamen Todes.«
«Sind Sie von der Polizeik«
»Nicht eigentlich Ader ich habe
mr die Aufgabe gestellt. den Urhebern
wie den Thätern dieses Berbrechens
auf die Spur zu kommen, nnd ich hof
fe, dabei auf Jbre Unterstützung rech
nen zu dürfen.«
»Selbstoerständlich! Aber ich müßte
doch wohl erst wissen, wie Sie dazu
tommen —«
»Meine Gründe könnten Jhnen ei
gentlich gleichgültig sein. Nehmen
Sie an. ich thäte es aus einer Art oon
Wahrheitsfanatismus oder aus beson
derer Vorliebe siir die Ergründung
anscheinend unergriindlicher Geheim
nisse. Für Sie ift das Wesentliche
doch wohl nur, dasz dabei jedes mate
rielle Interesse auf meiner Seite voll
ständig ausgeschlossen ist, und daß ich
fiir meine freiwillige Tbötigleit tei
nerlei Entschädigung verlange, gleich
viel, ob sie von Erfolg getrönt sein
wird oder nicht«
Diese Erklärung und die ruhige,
selbstbewußte Sicherheit in dem Aus
treten des Fremden versehlten ihre
Wirkung auf Paul Mariens nicht.
Noch einmal ließen seine blinzelnden
Augen einen raschen, sorschenden Blick
über die Erscheinung des Doktors hin
gleiten, dann entschloß er sich, ihm ei
nen Stuhl anzubieten. »Wollen Sie
also gesälligst Platz nehmen, mein
Herr. —- Es ist übrigens merkwür
dig, daß Sie von meinem hiersein
wissen. Woher haben Sie denn er
fahren, daß ich meines Bruders Woh
nung bezogen habe?«
»Ich habe gewisse Verbindungen
mit der Polizei, die mich über alles
aus dem laufenden erhalten. was aus
diese Angelegenheit Bezug hat« Aber
ich sage Ihnen das im strengsten Ber
trauen, denn es könnte mir sehr hin
derlich werden. wenn andere Kenntniß
davon erhielten. Sie selbst hegen,
wie ich gehört habe. teinerlei Ver
muthungen in Bezug aus die Person
oder die Beweggründe des Mördersi«
»Wie sollte ich, da ich doch nicht die
leiseste Ahnung habe, wie mein Bru
der hier gelebt hat, und mit wem er
verkehrte! -—— Sie aber, mein herr,
haben vielleicht schon einen Ver
dacht?" ,
»Nein — wenigstens keinen, über
den ich bereits reden diirite. Immer
hin glaube ich mit meinen Nachfor
schungen schon erheblich weiter zu sein,
als die herren von der Polizei« die.
wie ich höre, zur Zeit in Rußland
nach dem Mörder sucht. Vielleicht,
wenn ich Jhrer Mitwirkung sicher sein
darf, werden wir die Wahrheit schnel
ler ergründen als jene.«
»Das wäre ja sehr erfreulich. Aber
ich weiß wirklich nicht, inwiefern ich
Jhnen sollte behtkslich sei können.
Jch bin erst vor kurzem aus Astika
zurückgekehrt und habe mich dann in
Amsterdam aufgehalten, bis ich ganz
zufällig in einer Zeitung von der Er
mordung meines Bruders las. Die
Verhältnisse, unter denen er hier ge
lebt hat, und die hiesigen Verhältnisse
überhaupt sind mir also vollständig
sremd.«
Dombtotvski nickte wie jemand,
dem man von längst bekannten Din
gen spricht. »Gerade der Umstand,
daß Sie hier niemand kennen und
von niemand gekannt sind, wird uns
zu Statten kommen,« sagte er. »Man
hat Ihnen den Nachlaß Jhrej Bruders
ausgeliefert? Auch seine noch vorne
fundene und von der Polizei zunächst
befchlagnahmte Korrespondenz?«
«Man hat mir alles übergeben,
weil man der Meinung ist, daß es sich
nur um gleichgültige Brieie handelt,
die für die Rachforschungen nach dem
Mörder ohne Belang sind.«
»Sie haben diese Korrespondenz be
reits durchgeseheni«
»Natürlich! — Aber es ist nichts
darunter, woraus man etwas ersehen
könnte —- roirklich nichts! — Sehen
Sie, ich könnte Jhnen ja alles zeigen,
aber es hat keinen Zweck. Jch habe
mich schon genug darüber geärgert —
wahrhaftig. das habe ich. Während
ich mich msihfelig durchlchlagen mußte,
und manchmal nicht wußte wovon ich
am nächsten Tage mein bißchen Essen
und Trinken bezahlen sollte, hat er
Thier gelebt wie ein Färst Liebesbu
hältnsse hat er gehabt — gleich drei
nnd vier auf einmal. Die Briefe, die
man mir gegeben hat, sind beinahe alle
derartiger Natur. Jmmer ist darin
von Geschenken die Rede. die er machen
soll oder schon gemacht hat. Und was
er nach den vorgefundenen Quittstsen
für seine Anzüge und seine Krameri
ten. sitr Weine, Zigarren und so rosas
ausgegeben hat« grenzt geradezu anz
Unglaubliche." .
»Sie wußten also nicht« daß Ihr
Bruder in scheinbar glänzenden Jer
niögensverhältnissen lebtek«
,,Keine Ahnung hatte ich — keine
blasse Ahnung!« versicherte der Kleine,
den seine Entriistung ersichtlich alles
Mißtrauen gegen den unbekannten
Besucher hatte vergessen lassen. »Ich
stehe noch immer wie vor einem Mith
sel. Woher hat der Mensch das viele
Geld genommen? Jn drei Vierteljah
ren hat er achtzehntausend Mark ver
braucht — achtzehntausend Markt —
Und in seinen nachgelassenen Papieren
auch nicht eine Spur über dir Der
tunft dieser Summen!«
»Es würde Jhnen wohl viel daran
gelegen sein, ihre Derkunst zu ersah
ren, mehr vielleicht als daran. den
Mörder entdeckt zu sehen?«
Paul Mariens sah den Fragenden
zweifelnd an, da aber nichts von
Spott oder Ironie aus dem Gesicht
des Dottors zu lesen war, wurde er
noch ossenherziger. »Sie dürfen mich
nicht sitt liedlos halten. mein Herr,
aher schließlich ist es doch keinem
Menschen übel zu nehmen« wenn er zu
erst an sich selbst denkt. Ich habe so
zusagen das lehte mit meinem Bruder
getheilt, als er in Noth war, und ich
wiirde es wieder thun, wenn er noch
unter den Lebenden wäre. und wenn
er meiner bedürfte. Aber —- sehen
Sie — seht ift er doch nun todt, und
es macht ihn auch nicht wieder leben
dig, wenn der, der ihn umgebracht
hat« ins Zuchthaus tommt oder aufs
Schasott. Den Mörder ausfindig zu
machen, ist zudem Sache der Behör
den und nicht meine Sache. Sehen
Sie — ich muß doch vor allem daran
denken, mein Leben zu fristen, und
kein Mensch lann mir einen Vorwurf
daraus machen, wenn ich mir nichts
von dem entgehen lassen möchte. wo
rauf ich als der einzige Erbe meines
Bruders ein Recht habe.«
Dombrowsti betrachtete den kleinen
Mann mit wachsendem Interesse. hat
ten sein zappeliges Benehmen und
seine Ausdruasweise ihn anfangs
vermuthen lassen, daß er es mit einem
höchst unbedeutenden und beschränk
ten Menschen zu thun habe, so fühlte
er sich doch jeht bereits sehr geneigt,
diese Annahme insofern zu berichti
gen, als er eine gute Portion Schlau
heit hinter all dem leeren Geschwiih
zu spiiren begann. Jedenfalls war
der schmächtige Bursche von einer
maßlosen habgier besessen. und Dom
browsti war Menschenlenner genug,
um aus dieser Wahrnehmung heraus
sogleich auch auf ein sehr dehnbares
Gewissen zu schließen. Das machte
Herrn Paul Mariens in seiner Schä
hung zu einem ebenso brauchbaren
Werkzeug seiner besonderen Pläne,
als es ihn zu einem jederzeit mit dem
nöthigen Mißtrauen zu behandelnden
Bundesgenossen machte. Nach dieser
Schöhung beschloß er denn auch, sein
Verhalten gegen ihn einzurichten.
Daß der Bruder des Ermordeten
schon damit angefangen hatte, ihm
Wichtiges zu verschweigen, ahnte er
freilich ·nicht. -
---,;Jch habe kein Urtheil darüber, in
wieweit Jhre Voraussezungen und
Folgerungen den wirklichen Thatsa
chen entsprechen,« fagte Dombrowsli
nach einer kleinen Pause, »aber ich
denke, daß es fiir Sie nur einen ein
zigen Weg giebt· sich Auftliirung iiber
die Einnahmequellen Jhres Bruders
zu berschafsen.«
«Und welcher wäre das, here Dol
tor?« s
»Sie miissen zu erfahren suchen,"
mit wem Jhr Bruder in den letzten
Monaten verkehrte, und müssen sich
jede dieser Personen sehr genau aus
die Möglichkeit hin ansehen, daß fie
mit jenen Eintiinften in Verbindung
stehen könnte.«
»Ein vortrefflicher Rath," rief der
Kleine, »ein ganz ausgezeichneter
Rath — ohne Zweifel! Nur fchade,
daß ich durchaus nichts damit anzu
fangen weiß. Nehmen Sie mir's
nicht übel, herr Doktor. aber so klug
wäre ich ja am Ende auch selber ge
wesen. Jch soll herausbringen. mit
wem er in Verkehr stand! Das ist fiir
mich ungefähr so, als wenn Sie mir
empfehlen würden, eine kleine Ent
deckungsreise nach dem Monde zu un
ternehmen. Wo soll ich denn mit mei
nen Nachforschungen anfangen? Etwa
bei den kleinen Choristinnem die ihm
so wunderschöne unorthographifche
Lieheshriefe geschrieben habenf«
»Sie sind, wie ich sehe, nicht ohne
Anlage fiir humor,« sagte Dom
hrowski mit sarkaftischem Lächeln.
»Nun, im til-eigen wäre es nicht ein
mal undentdar, das ein kluger und
geschickter Mensch aus diefen kleinen
Choristitfnen mehr herauszubringen
vermöchte, als die Polizei aus ihnen
herausgebracht hat. Aber ich würde
Ihnen immerhin rothen, sie fiir zulest
aufzusparen, so verlockend auch die
Rachforschungen an dieser Stelle er
Tscheinen mögen, denn die lunft des
. von Ihnen erwähnten file lichen Ein
ikommens ift doch wohl anderswo zu
suchen. Vielleicht kann ich Ihnen siir
den Anfang einen kleinen Wink geden,
poratitßeiesx dass sie mir versprechen,
mich nicht II verstehen-«
»Mein Ehrenwort, herr Doktor,
mein heiliges Ehrenwort! — Wenn
Sie mich Innre kennten. würden Sie
wissen, das ich mein Ehrenwort noch
nie gebrochen habe.«
Gut also! —- Daben Sie in den
nachgelassenen Papieren Jhres Bru
ders irgendwo den Namen Waben-.
dorsf gesunden?« ;
Paul Mariens schiittelte nach eini-;
gern Besinnen den Kons. »Waiden-1
dorssi —- Daß ich nicht wüßte! Es
mußte denn sein, daß der Bei-Mind
ler —«
»Nein — es handelt sich nicht um
einen Weinhändlen sondern um eine
Gräfin dieses Ramens.«
»Eine Gräsini —- Ach nein, mit so
vornehmen Damen bat mein Bruder
doch wohl nicht in Verkehr gestan
den.«
»Nun, man kann nicht wissen. Es
könnte ia schließlich ein rein geschäft
licher Verkehr gewesen sein. Unter
allen Umständen wäre es der Miit-e
werth. daß Sie sich danach erkundi
gen-«
»Bei wem denni«
»Am einsachsten und sicherlten bei
der Komtesie selbst. Da haben Sie
ihre Adresse." . ,
Er schrieb einige Worte auf eine"
Seite seines Notizbuches und riß das
Blatt her-aus« um es dem gierig da
nach greifenden Mariens zu überrei
chen.
»Sie meinen, daß ich so ohne wei
teres zu der Dame hingeben kann, um
sie zu fragen?'«
»Warum denn nicht? Jhre Un
kenntniß der Verhältnisse und Jhr be
rechtigtes Interesse an einer Klarstel
iung derselben find Entschuldigung
genug fiir einen solchen Schritt.«
»Aber wenn die Dame mich nun
fragt, wie ich gerade Jus sie versal
len tonnte? Ihren Namen, Herr Dok
tor, soll ich ja doch nicht nennen!«
»Nein, das sollen Sie allerdings
nicht. Aber es macht doch auch nicht
viel aus, wenn Sie sich irgend einer
harmlosen kleinen Notbliige bedienen,
wenn Sie zum Beispiel sagen, Sie
hätten den Namen und die Adresse
der Grösin auf einem Zettel im
Schreibtisch Jhres Bruders gesun
den.«
»Ja, das könnte ich am Ende sa
gen. Aber möchten Sie mir nicht mit
tbeilen, was Sie auf die Vermuthung
bringt, daß diese Griifin —«
»Nein, mein Bester, danach dürfen
Sie mich vorderhand nicht fragen.
Möglich, daß ich es Ihnen später sage,
wenn wir erst etwas nöber miteinan
der bekannt geworden sind, vorerst
aber rathe ich Jhnen nur, den Besuch
so bald als iraend möglich zu machen.«
«Meinen Sie, daß ich es noch heute
thun könntes«
»Je weniger Zeit Sie verlieren,
desto schneller werden Sie zu einem
Ziele kommen. Nur auf eines möchte
ich Sie besonders aufmerksam machen,
obwohl ich das bei einem so gescheiten
Manne eigentlich nicht nöthig hätte.
Es wäre nämlich immerhin nicht un
dentbar, dasz die Gröfin Waldendorss
den Wunsch hegt, ihren Verkehr mit
Deren Otto Mariens nicht betannt
werden zu sehen, und dasz sie darum
Jhnen gegenüber ableugnet, ihn ge
kannt zu haben. Darum müssenSie bei
Ihren Fragen so diplomatisch als
möglich vorgehen. und müssen nicht
bloß die Ohren, sondern auch die Au
gen hübsch offen halten. Eine Miene
oder eine Bewegung ist oft wichtiger
alt ein Wort —- wenigsteni für den«
der sich ein wenig aus die Beobach
tung menschlicher Phosiognomien ver
siebt«
Paul Mariens bemühte sich, sehrF
überlegen und verschmigt auszusehen
»Was das betrifft, Herr Dottor, das
war immer meine Stätte. Jn mei
ner geschäftlichen Thätigteit tonnte
ich's den Leuten sozusagen immer an
der Nasenspiye ansehen. ob man sie
hoch nehmen dürfe oder nicht. Jch
hatte einen Ruf dafür —«
»Umso bessert Und wag ich Ihnen
da anempfohlen habe, gilt nicht bloß
fiir die Gräsin Waldendorff, sondern
ebenso oder noch mehr für die Dame,
die Sie möglicherweise in ihrer Ge
sellschaft finden werden. Es ist ein
Fräulein v. Wehringen· Sehen Sie
zu, daß Sie auch mit ihr über Jhren
Bruder sprechen können, und behal
ten Sie sie dabei scharf im Auge.
Durch ein hochmiithig abweisendes
Benehmen, auf das Sie sich immerhin
gefaßt machen müssen« dürfen Sie
fich nicht einschilchtern lassen.«
,O, here Doktor, sehe ich aus wie
ein Mann, der sich einschiichtern oder
nbschretten löst, wenn es sich gewisser
maßen um ein Geschäft handelts«
«Und möglicherweise um ein sehr
großes Geschäft —- vergessen Sie das
nichts Aber ich will Sie seit nicht
länger aufhalten. Vielleicht komme
ich morgen, um mich nach dem ste
sultat Ihrer Bemühungen zu erkun
digen. Unter allen Umständen wer
den Ste sehr bald wieder von mir his
ren.«
«Das ifi sehr freundlich von Ihnen,
derr Dotter! Sie thun wahrhaftig
ein gutes Wert, wenn Sie sich ein
bißchen meiner annehmen. Und aus
meine Dislretion können Sie sich un
bedingt verlassen.«
»Das hosse ich. —- Aus Wiedersehen
also!«
Der Kleine begleitete ihn unter vie
len Verbeugungen zerr Thür, die es:4
hinter ihrn wieder aus das sorgfäl
tigste oerrtegelte und verschloß. Dann
begab er sich in das rnit allen erdenk
lichen Toiletteartiteln" ausgestattete
Garderobezimmer seines Bruders, das
eher dem Anlleideraurn einer rassinir
ten Weltdame als dem eines jungen
Mannes glich. und bemühte sich, seinen
äußeren Menschen so bestechend zu ge
stalten. wie es ihm für den Besuch
bei einer wirllichen Gräsin geboten!
schien.
Vierzehntes Kapitel.
Heinz hatte eine schlechte Nacht ge
habt. Spät erst war er heimgekom-!
men, und lange war ihm die Wohl
that des Schlummer-s versagt geblie
ben. Mit brennenden Augen vor sich
hin in das Dunkel starrend, hatte er
über sein Schicksal gegriibett. Jn ihm
lehnte sich nachgerade etwas aus ge
gen das Ueber-naß von Widerwärtig
keiten, das ihm aufgebürdet worden
war. Er sagte sich. daß sein Ver-s
schweigen eines Umstandes, der seiner:
innersten Ueberzeugung nach mit dem
Morde nichts zu thun hatte, kein Ver
brechen gewesen sei, und daß er sich
von diesen Selbstverwiirsen und qua
lenden Zweifeln freirnachen mußte,I
womk » sich nicht wire-ich in bestem-I
digen innerlichen Kämpfen aufreiben.i
Die äußeren Unannehmlichleiten, die;
seiner noch harren mochten, warens
schließlich zu ertragen, wenn er sie«
kaltbliitig hinnahm und nicht noch
künstlich vergrößerte. s
Mit diesen Vorfützen schlief er end-’
lich ein, und als er mit der Pünkt:"
lichkeit eines Menschen, der gewohnt
ist, sich stets zur gleichen Stunde zuk
erbeben« am frühen Morgen erwachteJ
als ihn statt der Dunkelheit der Nacht
die lichte helle des Sommermorgengi
umgab, fühlte er voll Befriedigt-vgl
daß die Bilder aus der Mondnacht
und die folgenden Szenen wirklich
schon etwas von ihrem Schrecken für»
ihn eingebüßt hatten. Er frühftückte
zum erften Male wieder mit leidlichem
Appetit und vermochte sich sogar ernst-s
lich mit seiner Arbeit zu beschäftigen,
bis ihm gegen zehn Uhr Martens ge
meldet wurde.
being empfing ihn lühl und zurück
baltend. »Dars ich bitten, einen Au
genblick Plaß zu nehmen,« sagte er
und deutete auf einen Stuhl.
Matten-, der bereits eine unver
schämte Vertraulichkeit angenommen
hatte, ließ sich behaglich nieder. »Se
ben Sie. ich bin pünktlich,« sagte ek,
während er sich bemühte, die Knopfes
seiner hellgelben Glacehandschuhe zu:
schließen. »Ich möchte eben keine Mi
nute in dieser Angelegenheit verlie
ren.«
being hatte unbekümmert um ihn
ein paar Süße an seinem Manuskript«
weiteraeschrieben und sagte nun,
während er die Blätter zusammenlegs
te: »Es ist mir sehr angenehm, daß
Sie pünktlich sind, herr Mariens.
Jch möchte ebenfalls so wenig wie
möglich Zeit verlieren, denn ich bin
gerade jeßt außerordentlich beschäf
tigt. Jch werde deshalb auch bedauern
müssen, mich Ihnen allzuvft zur Ver
fügung stellen zu können.« ,
l
Mariens ließ den Blick seiner dun
zelnden Augen umherroandern. »Q«
sagte er, während er mit dem aus
dem Besih seines Bruders stammen
den Spazierstöctchen spielte, »was das
betrisst, so werde ich Sie gewiß nicht
über Gebüht belästigen. Jch habe hier
schon mehr Freunde und mehr Bei
stand gesunden. als ich dachte.'
heinz gab seinem Stuhl eine Dre
hungj so daß er dem Besuchet in das
Gesicht sehen konnte. »Mehr Freun
de?« fragte er, ein wenig unruhig.
»Aus ich wissen —«
»Warum nicht? Jch brauche kein
Geheimnis daraus zu machen.« Und
er erzählte ihm in weitschrveisiger
Aussiihrlichteit von dem Besuch Dorn
browstis und von seiner Unterredung
rnit der Gräsin Waldendorss. »Am
nen Sie vielleicht diesen herrn Dom
browsti?«
«Jawohl —- gewiß,« erwiderte
heinz und betrachtete seine Fingernii
gel. »Wir sind in demselben Klub«
Der Amte-.
«Wie eht es denn Ihrem hem- Gemle
l TPIU e, der Arzt hat ihm schon wieder zwanzig Kilometer pro Tag
et on .«
»Da tönnen Sie mir vielleicht auch
sagen, was der here eigentlich ifti"
; being guckte die Achseln und erwi
derte: »Nein, Herr Matten-. Meine
Wifsens ist er Privatgelehrter, aber
er scheint ja nach Jhrer Erzählung
,auch Kriminalist im Nebenberuf zu,
?
sei-X Er erhob steh. »Wie er dazu
lam, Sie zu der Gräfin Waldenborff
Z
zu schicken. begreife ich übrigens wirt- ’«
lich nicht«
Mariens riß seine Augen weit auf.
aNennen Sie die Griifin etwa auchi'
fragte er verwundert.
.Fliichtig, ja,'« sagte heinz nachlas
sig, indem er langsam zur Thär ging
»Sie haben ja übrigens aus ihrem
eigenen.Munde gehört, daß sie nichts
von dem Gelde Jhreö Bruders ge
wußt hat. Jch begreife auch nicht,.
woher Sie davon wissen sollte. —
Wollen wir nun aufbrecheni«
Sie nahmen fich eine Drvschie und
fuhren zur Französischen Straße hin
unter. Das Haus« vor dem der Kut
scher hielt, zeigte schon von außen die
Kennzeichen ehrwürdigen Alters. Die
Treppe war dunkel und wintlig, mit
ausgetretenen, lnarrenden Stufen,
und da tein Pförtner sie hatte zurecht
weisen könne« mußte heinz in jedem
Stockwerk bei dem Lichte eines sünd
bölzchens die Namensschilder lesen.
Es waren größtentheils Zins-unver
mietherinnen, die hier ihr Heini auf
geschlagen hatten, und es kostete einige
Mühe, all die zahllosen Visitentarten
durchaustudirem die an den Tbiiren
befestigt waren. Erst im vierten Stock
fanden sie ein Poriellanschild knit der
Aufschiift »K. Bergen Rechtsan
walt«.
Heinz drückte auf den Knon der
KlinaeL und gleich darauf steclte ein
bartloser junger Mensch, den die hin
ter das Ohr aeschobene Feder als
Schreiber lennzeichnete, den Kopf zur
Thür heraus
«,»0,u wein wünschen Sie?« fraate
er mürrisch, die beiden Fremden mit
der dreisten Unaeniertheit solcher
Leute musternd.
»Wir wünschen Herrn Rechtsan
walt Berger zu sprechen,« erwiderte
deinz turz. »Der Herr ist doch an
wesend?«
Der Schreiber öffnete die Thük
vollends. »Er ist da,'« erwiderte er
dabei auf die Frage Haus-wert »Bit
te — gehen Sie nur da hinein.«
Er führte sie durch eine dürftig
ausgestattete Kanzleiund pochte an
eine Thür, urn sie auf ein turzeg
»Herein!« zu öffnen
.Da sind zwei herren, die Sie
sprechen möchten«u meldete er und ließ
die beiden eintreten.
Berger erhob sich von dem Schreib
stuhl vor dem mit Papieren aller Art
bedeckten Schreibtisch, als er hollfels
der erkannte. Auch dies Zimmer
zeigte eine ziemlich schädige, anböte
rifrhe Einrichtung, die oortresflch zu
der Gestalt des Rechtsanwaltg paßte.
»Guten Morgen, Herr Rechtsan
walt!« begrüßte ihn heinz »Sie wer
den sich meiner gewiß erinnern?'«
Berger machte eine halbe Verbeu
gung und ließ den Blick feiner kalter-,
von unzähligen Runzeln und Furche-r
umgebenen Augen auf Mariens ru
hen, während er erwiderte: »Gewiß
erinnere ich mich, Herr hollfelder.
Darf ich fragen. wer der Herr —«
»Dieb ist Herr Paul Martenö. ein
Bruder des verstorbenen Otto Mar
tens, Jhres Mandanten.«
(Fortsehung folgt. )
.-.-4-—
Halt zu machen war stets leichter
siir den« der ging, als siir den, der
lies.
O O O
Kein Wunder, daß die Baum
wollspinnereien Uebetzeit arbeiten
müssen: am ersten Juli tritt in drei
Staaten das Ges über die neun
Fuß langen Bettiispr in Kraft.
i ·
Eine russische Kugel hat ein Loch
in den Schornstein eines englischen
Schisses gerissen. Wenn nur fett nicht
auch das dumme Gerede von der eng
lisch-russischen Freundschast ein Loch
bekommen bat!
I I i
Am Tage der Begegnung des Za
ren und des Kaisers bat die ganeh
aus 850 Fabrzeugen bestehende bei i
sche Flotte mobil gemacht —- siir ein
Man-Spec Wetter, muß den Priten
sdie iEntrevue aus den Magen gesallen
ein.