Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 18, 1909, Zweiter Theil, Image 14

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    FBis ans Ende der Welt
Imm- vsn plagt-eilig- satt-Ich
f
(12· FortfetzungJ »
Jutia stand mit feft geschlossenem
Runde, den Kopf auf die Brust ge
senkt.. Wie war es nur möglich, daß
Borgftedts Worte so gar keinen Ein-«
druck auf sie machten, weder den der
Qual, noch den des Schreckens? Sie
fühlte sich nur verletzt dadurch, daß
er sie hartnäckig »Du« nannte. Sie»
hätte es ihm verbieten tönnen, aber
wozu? Diese Begegnung würde vor
iibergehen und nicht allzu lange mehr
dauern.
«Wesl)alb antworteft Du mir
nicht?« drängte Borgftedt. Seine
Stimme bebte. ·
»Ich habe Ihnen nichts zu sagen,
was Sie nicht schon wüßten«, kam die
Kenessene Antwort. »Und ich bitte
Sie, Ihre Art, .zu mir zu sprechen.
dar-ruf abzustimmen, daß ich mit ei
nem anderen Mann ver-lobt, unlöslich
an einen anderen Mann gebunden
bin. Ich müßte sanft meine Mutter
rufen.«
Forschend. mit lauernder Miene
sah Boraskedt sie .rn. »Juli.i!« rief
er dann mit einem dumpfen Web
laut.
Nun begann Juligs Herz doch zu
Zittern. Erst jeßt kam ihr tlar zum
Bewußtsein. wie elend, wie jammer
voll elend der Heimaetehrte aussah
»Um deinetwillen!" schoß es ihr durch
den Sinn. »Um deinetwillen ist et
nach Afrita zurückgegangen, um dei
netwillen hat er vie schwere Verwun
duna erlitten.« Aber iie fühlte deut
lich, daß es nur Mitleid und Schuld
bewußtfein war, was sie bewegte-i
Altdorf hatte recht gehabt: einemi
Phantom war ihre Seele nachgejagt
in a den leisten Monaten. Nur in
sorgtedts befiechenres Aeußere war
sie verliebt getreten. Seine Leiden
stta«t, die in der Blüthe feiner ge
sunden Männlichteit einen so sagst
nirsmden Reiz auf sie ausgeübt hatte
— fest, da er trank und ekend aus
sah-, stieß sie direkt ab.
Aber in dem Gefühl der Schuld,
dss ihr die Brust beengte, sagte sie
nun Loch in iksiildererns gütigem, fast
bittedern Ton: »Sie müssen sich in
das Unabänderliche fügen, Herr v.
Bergs-M- Nicht freiwillig tat-« ich·
Sie nnsaegeben, sondern weil ich’z
nickt iiker mich brachte, meinen Vaterz
in Groll und Zorn aus mich sterben
zu lassen.« — i
Bassssedtf lachte wieder kurz nnd
LJhnisch ans. »Was Du mir, dem
Lebender-, gegenüber ohne Besinnen
gethan hast: wdrtbriichia werden —
dem Todten gegenüber, der’s nicht
weiß und dem’s nicht weh thut, wagst
Duk- nicht!«
»Ich bin Ihnen nicht wortbriichig
gecvorden«, wies Julia seinen Vor
wur7 zurück; »ich habe stets betont,
daß ich nur dann die Ihre werden
tiinnte, wenn die Rücksicht ans meine
Familie es mir erlauben würde.«
»Ganz recht. Aber nichts von dem,
womit Du Dein Versprechen ein
schränltest, steht seiner Einlösung
heute noch hindernd im Wege. Dein
Bruder ist gut versorgt, wie man
hört, Und Dein· Vater ist todt. Du
schuldest ihm also weder Pflege noch
Rücksicht.'«
Mit erstzuntem Blick sah Juli-r ihn
an. Also so dachte, so empfand er?
Selbstsucht, Egoismng über alles.
Und diesen Mann hatte sie einst zu
lieben geglaubt?
Ein lalter Schauer rieselte iiber
the Herz. Gemetsen erwiderte sie:
",,Die Schrante, die uns trennt, tren
nen muß, haben Sie selbst zwischen
uns errichtet. Oder ist das-, was die
Zeitungen über Sie verbreitet haben,
nicht wahrs«
Borgsteot runzelte die Stirn. »Nic
Inand kann wider-sein Temperament
Jch am allerwenigsten Und Du
tanntest mich fa. Du mußtest ja, daß
Fcks heißrliitig und heftig bin.«
»Nein —- ich kannte Sie nicht«.
entgegnete Julia· »Aber es ist ja
cnch gleich. Wozu reden wir über
haupt von dem allen? Lassen Si«
genug sein. Und, bitte. gehen Sie
seht, bevor meine Mutter, die sich
miß schon iiber Ihren langen Be
fäch wundern Dieb« hierher kommt
Bitte —- Sie miissen doch einsehen,
« daß das alles keinen Zweck hat.«
»Bei-M gab er zurück, und seine
Innere slirrten in irrem Glanz
rein, ei bat alles keinen Zweck —- ich
te es inne wohl ein. Ei hat keinen
Zweck gehabt. daß ich mein Leben
snsi Spiel fette —- sür Dich. Es
sei keinen M gehabt. daß ich mei
Iannibahn dranaab — um Deinet
willenl« .
»Um meinetwillen?« fragte Juliu(
voll Unruhe. »
»«ch kann-S Dir ja sagen«, fuhr»
Borgsiedi höhnisch fort, »zum Ab
schied, damit Du weißt, wie vie! ich
Die zu verdanken habe, damit Du
weißt, daß Du nicht nur meine Seele,
sondern auch meine Existenz aufgefo
en basi, wie ein heißer Stein einen
eapfen Wasser aussaugi. Als ich
Deinen Brief ethieli, erbot ich mir,
tm zu Dir reifen zu können, soforti
n Urian-h Der pmtnandeut aber,
o sehr et nkit gewogen war, glaubte
nieste-Mach sage-kann zu net-kiffen
s- II an gen nu an
M W Lei- m user ei
ist für ein Hin und her von Akten ein
weiter Weg von Südweftafrita nach
Berlin. Und ich konnte und wollte
nicht warten. Fiir mich stand mehr auf
dem Spiel, als diese Entscheidung.
Fiir mich ging es um alles — um
Dich. Ich wäre wahnsinnig geworden,
hätte ich unthiitig dort unten siyen
·1niissen. während hier ein anderer im
Begriff stand, Dich mir zu rauhen.
Da reichte ich telearaphiich meinen
Abschied ein — und dann durfte ich
reisen mit fenem Urlaub. den Du als
Ofiizierstochter ja kennst: mit dem Ur
laub, der nie zu Ende gehtJF
»Aber dafiir können Sie doch nicht
mich verantwortlich machen«, ent
aegnete Julia in unsicher-em, gequäl
ten Ton. »Das ist doch nicht meine
Schuld. daß Sie sich immer wieder
und wieder durch Ihre iiigellose Lei:
denichaft zu —— zu unbeionnenen
Schritten hinreißen lassen.«
»Ich mdche Dich fa auch nicht ver
antwortlich dafür —- ich denke nicht
daran. Nur zeigen wollt’ ich Dir,
wiz weit es mit mir aekonsmen ist.
wie wundervoll weit ich’s gebracht
habe — um Drinetwillen. ——- Und
nun mein lehtes Wort . Wenn Du
kein Erbarmen kennst, wenn die Tod
ten aus Dich mehr Einfluß beben als
die Lebenden —- aut, so will ich auch
zu den Todten gehen. Vielleicht stellt
sich dann mein Schatten hindernd
zwischen Dich und Deinen Bräuti
gam. Vielleicht erreiche ich es dann,
daß Du doch keinem anderen gehörst
als mir.«
Erschreckt sah Julia ihn an, fäh
linas bis in die Lippen erblassend.
Dann aber, während ihr die Röthe,
ber Entriiftuna ins Antlitz schoßJ
stieß sie hervor-: »Das ist unwiirdia.
mich mit Drohungen einfchiishiern zu
wollen. mit solchen Drohungen! Feige
ist es. Ich habe Ihnen mehr Muth"
zugetrant, Herr v. Borgstedt. Und
wenn Ihre Worte keine bloßes Gerede
sind, um mich zu erschrecken. mich Ih
rem Willen gefügig zu machen. wenn
Sie wirklich so Unsinni ez denken,
so frag’ ich Sie nur: ifsen Sie
nicht. daß Zie eine Mutter haben, ei
ne Mutter, die schon so viel um Sie
bat leiden müssen? — Und nun, bit
te, gehen Sie.'
Da er aber noch immer stand, sie
mit einem slackernden Leuchten in
den Augen ansah. wandte sie ihm den
Rücken und verließ das Zimmer.
Eine Weile verharrte Borgstedt noch
aus seinem Fleck, blickte wie geistesge
stört aus die Thür, durch die Julia
verschwunden war und tastete nach sei
ner Tasche. Dann nahm er feinen
Hut und ging mit unsicheren, schwan
kenden Schritten hinaus. Unten vor
dem Thor blieb er eine Weile stehen
und f«,-1rrte ins Leere. Was nun?
Heimgehen zur Mutter? Noch war er
ja gar nicht hei ihr gewesen hatte sie
nicht gesehen seit Jahr und Tag Jn
Gedanten verloren schüttelte er den
Kaps. »Wozu?« sprach er halblaut
vor sich hin, und ging vorwärts, ohne
in wissen, wohin, ins Blaue hinein.
immer mit schwankenden Schritten,
wie ein Trunkener.
Was nun?
Es war ja ganz gleich, alles, alles
—- nun, daer Juli-a verloren hatte.
Rein —- es war doch wohl nicht mög
lich? Hatte er sie denn wirklich ver
loren? War es nicht ein Fieber
traum, der ihn quälte?
Wieder stand er still, griff sich an
vie Stirn, sah sich mit verstörten Bli
cken um Ita. es war richtig, alles
richtig! Die heimathstadt war es,
und die Straße, in der Julia wohn
te, und zwei Straßen weiter wohnte
seine Mutter.
Ein Stöhnen rang sich von seinen
Lippen. Eine Dame die vorbeiging,
sah ihn mitleidig an.
Da taumelte er weiter und bog an
der nächst-en Ecke nach kurzem Besin
nen links ab. Nur nicht dorthin
kommen, wo seine Mutter wohnte,
Jihr nur nicht hegegnenl —- Jsulia —
Juliu!
als wäre es zerrissen, eine eiternve
Wandel Und der Kopf —- wie die
Gedanken darin rasten! Aufschreieni
hätte er mogen, laut ausscheeien wie
ein Thier Todt sein —- daj beste
siir ihn! Was hatte er noch, da er
Julia vexloren hattet «
Es schoß ihm Durch den Sinn, daß
einer feiner Windhuler Beiannterh
ein Besitzer großer Plantagen, ihm
damals, als er sich an seinem Bur
schen vergriffen, gesagt hatte: «Wenn’s
mit Ihnen schief geht« kommen Sie
Mk zu mir. Solchen Mann wie Sie
sann ich gebrauchen, und ich beiheilige
Sie gern am Gewinn, nehme Jhren
Namen mit in meine Firma aufl« Un
willig aber schüttelte der Grübelnde
den Kopf, wie von Ekel ergriffen.
Nichts mehr sehen, nichts mehr hören
— widerwiirtia alles — alle-!
Zwei herren, die die Straße da
herkammem blickten ihn forschend an
und zogen dann die Väte.
Wie im Traum sah er es und ·er
widerie den Gruß z mechanisch.
befchleunigte feinenigknii und bog
in eine der Gassen em, vie zum Stadi
pcrl f· ten.
Ruer seit-unten mehr - -
neu nnd ver allem der Mutter ni
besessen, der Untier —
»Es toar in der siebenten Stsndu
die Abenddäwnerunq brach in.
Unter den hohen Bäumen des tade
parts duntelte ei bereits der herbst
nebel stieg aus und legte ßch wie ein
grauer Schleier zwischen die Stämr.
Weitre Laubraschelte unter Vor i
stedts Füßen. Den Kopf gesen t,
schlich er einen der abgelegensten Pfade
entlang. Kein Mensch treu-te seinen
g.
Aus die erste Dant, an die er karn,
setzte er sich nieder. zog seinen Revol
ver aus der Tasche und schob sich
ohne Zögern eine Kugel in die rust.
12. Kapitel.
Zwei Schuhleute sank-en den Kör
per regungslos aus den kalten, nebel
seuchten Boden hingestreckt Festse
schlossen waren die Augen in dem
hlassen. eingefallenen Gesicht, bluti
ger Schaum quoll aus dem Munde,
und die magere Hand hielt den Re
voloer noch immer lrampsbast um
klammert.
Man hob den Unglücklichen aus,
bettete ihn aus die Bank, oon der- ishn
die Kugel heruntergeworsen hatte«
riß ihm Weste und Oberhemd aus-l
einander und sand den Einschlag des
Geschosses in der herzgegend
»Mit dem ist«s«vorhei'·, sagte ein
; Vorlauter aus dem Hausen der Um
-stehenden, der« sich rasch gesammelt
hatte.
Der eine der Eiche-Heute aber, der
sein Ohr lauschend an die Brust des
Bewußtlosen geleot hatte, entgegnete,
zu seinem Kollegen gewendet: »Noch
lebt er. Willst Du gehen, den Kran
tenrvaaezi zu besorgen, oder soll ich?«
»Wollen doch erst sehen, oh wir
Legitimationsmoiere unz- Geld bei
ihm finden. Sonst giebt das nach
her wieder ’ne Masse unnöthige Sche
rereien. Kein Krantenhaus nimmt
ihn uns ab, und lanqe macht der ja
doch nicht mehr mit so ’nem Schuß.«
Aus des Bedauernswerthen Brust
tasche heförderte man ein Vorteseuil
le mit mehreren tausend Mart Jn
halt zu Tage. ferner einen Münst
oaß und verschiedene andere Aus
weisvapiere, durch die man seine
Persönlichkeit unzweifelhaft feststellen
tonnte.
— - « - ·- -
Als die Schusleute deren Durch
bläitern der Bat-viere wiederholt den
Namen »v. Borgstedt, Hauptmann
in der Schußtruppk vor sich hinge
brumnielt hatten, ries jemand aus
dem Publikum: »Eine Frau v· Borg
stedt, deren Sohn Hauptmann in der
Schuntruppe ist, wohnt ja bei uns.
Wielandstraße 3.«
Akermaliges Suchen· Dann ries
der Schuhmannt »Hier ist ein Brief,
wo hinten als Absenderin draus
steht: Frau v. Borgstedt, Wielandstras
sze Z, und drinnen steht als Anreder
Lieber Sohn!« «
»Na, dann stimmte doch!«
Da siir die Männer des Gesetzes
alles Wissensnötoige befriedigend sest
gestellt war, wurde ein Krankenwagen
besorgt — ein junger Militärarzt hat
te sich inzwischen schon eingefunden —
und man brachte Borgstedt in die
Wohnung seiner Mutter.
Welches Leid gäbe ed auf Erden,
das du nicht tragen mußtest, Mutter
herzk Und geadelt hist du, Mutter
herz, heilig oor allem, was da leht,
;durch den Schmeri und den Jam
mer, den du um deiner Kinder willen
erdulden mußt!
An die Seite des jungen Medizi
ners, der den Unglücklichen im Kran
lenwagen heimgeleitet hatte und ihn
nun behutsam enttleidete, trat bald
der hausargt Doktor Weges-en Mit
vereinten Ktästen untersuchten die bei
den die-Wunde, reinigten sie oon dem
angestauten Blut, legten einen Noth
verhand an und machten Beut-angi
versuche, die verhältnismäßig rasch
eine gesteigerte Uthmung und einen
lebhasteren Pulsschlag verursachten.
Der Verwundete laa noch immer he
wußtlos mit geschlossenen Augen;
tein Laut war im Zimmer vernehm
har, als das leise Surren der Leimg.
Draußen vor den Fenstern lag «e
Nacht wie eine schwarze Wand.
Beide Aerzte hzuckten die Achseln.
»Die Kugel hat die linke herztamsj
mer getroffen, auch den Lungenlapgl
pen oerlest und scheint sich, da sie
nicht aitjgetreten ist. an der Wirbel
siiule oder an einer der mittleren
Rippen in unmittelbarer Nähe der
Wirbelsöule breitgeschlagen zu ha
ben«, erklärte Doktor Degener. »Es
wird nöthig sein, das Geschoß u ent
sernen; auch wird ein doppeleitiger
Ahsluß siir den Bluter usz geschaf
sen werden müssen. damt nicht Er
äiiiäing oder innerliche Zersetzung ein
,
..Und das wird meinen armen
Sohn wirklich reitenW
»Dafiir tann sich leider niemand
verbürqen, gnädige Frau. Es wäre
aber immerhin eine Möglichkeit zur
Rettung — die einzige. wie ich glau
be.«
Der jüngere Arzt gab mit eifri
gem Kopsnicken seine Zustimmung zu
den Worten des älteren, erfahreneren
Kollegen zu erkennen.
Eben regte sich Borgstedt,· stöhnte,
röchelte, ein Strom schaumigen Blu
tes quoll wieder aucjeinem Munde,
und nachdem ihm die Arezte ernen
ten Beistand geleistet, lchlug er die
Augen auf, lah sich mit leerem, ver
störtem Blick um und·fliiiterte nach
mehreren langen Minuten feiner
Mutter, die sich angstvoll über ihn
gebeugt hatte, lau-n vernehmbar zu:
«Julia holen -«— Julin Rottenburg
—- nnr noch einmal ehe-l«
Bellt-en Wunsch Aal-e es, nnd infi
re es der tvllite, den eine Mutter
nicht ihrem Kinde ersiillen möchte,
ihrem Kinde, das aus der schmalen
Srenzs ide zwischen Tod nnd Leben
siebtt nd Frau v. Borgstedt ahnte
IIZIS Ihren Sohn in die heimath zu
rückgetrieben was then den Revoloer
gegen sich selbst in die Band edriickt:
daß die. die er liebte. mit nnloser
Leidenschaft liebte, die Braut eines
anderen geworden war.
»Bitte. gnädige Frau. was wünschte
Jlsr here Sohn?« nahm Wegener sie
bei Seite.
»Eine —- eine besreundete Dame
möchte er noch einmal sehen. eine
Dame, die er —- um derentcoillen ——«
Sie brach ab und schlucktr.
»Danegen möchte ich doch primiti
ren, gnädige Frau, die aroße Aus
reguna, die dieser Besuch zur Folae
baden müßte, kann nur schaden, und
Jhr here Sohn wird alle seine Kraft
noch brauchen iiir die Operation. Ue
berdies baden wir nickt die geringste
Zeit zu verlieren.«
«Entschieden —- ganz entfchieden!«
stimmte der jüngere Mediziner wie
der voll Eifer bei.
Winsried o. Borgstedt, der essen
bar Worte aus der Unterhaltung
ausgesungen hatte, versuchte sich aus
zurichtern bekam aber nur den Kopf
ein wrnia hoch, ballte die Hände und
leuchte: »Dann soll niemand knle
an mich heran —- niemand! Ich la e
mich nicht mehr ansassen — sterben
sollt Jbr mich lassen!«
«Gehen Sie. gnädige Fran, thun
Sie, was Jbr Sohn verlangt«, sagte
Doktor Wegener nach kurzem Besin
nen.
Frau o. Borgstedt naism ihres
Sohnes hand. küßte ibn aus die
Stirn und raunte ibm zu: «Jch arbe.
thue alles, was Du willst —- alles.
Nur sei ruhig, sei aut! -—— Stirb mir
nicht —- stirb mir nichtk
Unter heißem Ausschluchien wnnlte
sie zur Tbiir Unaus. Der Verwundert-e
blickte ibr mit aroßen Augen nach.
Wenige Seinnden später hatte ihn
dann eine neue Bewußtlosigteit seinen
körperlichen Schmerzen und seinem
Seelenleid entrückt 4 » «»
-
»Würden-Sie wohl die Güte ba
ben, zu Professor Altdorf zu fah
ren und ihn zu bitten« daß er uns
verziiglich. und zwar gleich mit al
len nöthigen Instrumenten hierher
tomnien möchte?« wandte sich Wegener
an seinen jungen Kolleqern »Sie
meinen doch auch. daß sitr diese
schwierige Oderation niemand sonst in»
Frage kommen lann als Altdorf9«
»Ohne Frage —- allerhöchstens
noch Dorn, falls Altdorf verhindert
sein sollte, Aber selbstverständlich;
nur dann. Denn an Altdorf reicht
so leicht leiner heran.«
»Sie sind dann also so aut. ihn
herzubitten?' unterbrach Wegener
den entschieden noch aus längere
Dauer berechneten Vortrag. »Sie
wissen ja selbst, daß hier höchste Eile
geboten ist. Da — schon wieder ein
Erstickungsansall.«
Und beide Aerzte mußten erst
rasch noch einmal Rachewhöhle und
Lusttöbre oon den angesammelten
Blutmassen befreien. Dann machte
der junge Doktor sich aus den Weg. I
Frau o. Borastedt hatte die Not
tenbur 'sche Wohnung betreten. Auch
in die er schweren Stunde wußte sit
haltung zu bewahren, diese immer so
sehr aus die iiuszere Form bedachte
Aristotratin
«Gniidige Frau, liebe Julia« —
der lehteren band hielt sie noch von
der raschen Begriißung in der ihri
gen ——-. «niein Sohn —- es ist furcht
bar — dar einer Stunde brachte
man ihn mir mit einein Schlzß in
der Brust ins Darm-" Leise zwar,
sast sliissernd, aber ohne Schluchzen
und Weinen, ohne jede Rührselig
teit im Ton. brachte sie die Worte
iiber die blossen Lippen. »Nun möchte
er Sie noch einmal sehen, Juli-L Sie
wissen ja, wie sehr er Sie liebt. Und
Wege-irr sa te, ich solle alles aushieten.
Sie zum itloinmen zu bewegen. Es
ist höchste Gefahr. Mein Sohn droht,
niemand mehr an sich heranzulassem
will sterben, wenn er Sie nicht —«
; Nun lain ihre Stimme doch ins Kit
. ten-. »Don-u Sie mik folge-se riski
ilen Sie meines Sohnes Wunsch er
stillen. der vielleicht sein letter sein
wirdk
Regungslog, wie qetöhmt, stand
Julia da, bleicher noch als Frau v
sBorgftedL Mit beiden banden hatte
sie die dargebotene Rechte Fntlamgi
mert, als müßte sie einen halt, eines
Stiise suchen. i
»Du bist schuld — du allein!«i
Wie das Brausen der vom Nord
fturni gepeitichten Meeresbrandung»
tönte ihr die Selbstanltage in den
Ohren. »Du haft ihn zum Selbst
niord getrieben, dul«
.Ja«, rang ei sich endlich heser
aus ihrer gequälten Brust «ge:viß
—- ich gehe mit Ihnen.
Aber Julius« Frau v Ratten
barg, die bisher vor Staunen und
Schreiten wie erstarrt auf ihrem So
iaplah gesessen faltete die hände
iiher dem vor ihr liegenden Buch
und blickte ihre Tochter iassungglos
an. »Was soll denn Dein Bräuti
gam tagen Julia wenn Tit —i
Das Unalttck ist ia entiesli aber
Fu hist Braut, wie kannst Du al
o --«
- .Jeh muß, Mutter, ich muß her
neaem werde ich lehre ihe n. — Verzei
hung —- einen Il hlia.« Sie nahen
die Lampe vom tteltiieh, stellte sie
auf den altmodtiehen Sehreibtifch,her
ans Mutter M. und warf, ohne M
niesen- Zeilen auf ein statt
bar-ten adrei den srtef mit flie
get-der hast nnd tkingelte dem Mäd
en.
»Hier —- zu Professor Altdorf.
So reich wie möglich. Nehmen Sie
eine Drolchte!' L
Mit dem Mädchen zugleich betrat
sie den Nasid-m um Hut und Um
hang zu nehmen. Eine Minute lpöterI
stand sie schon wieder in der Thiir.
»Bitte, aniidige Frau, net-en wie!«
Ihrer Mutter nickte sie tautn zu.
Wenige Straßen weiter lag einer,
den sie in den Tod getrieben. und
laß ihn nicht sterben! Laß ihn nicht«
tterbent Ich ertriig es nicht. Erst
der Vater und nun —- Und er ist
to jung, und leine Mutter hat lei
nen weiter als ihn!
Mit schwankenden Füßen schritt sie»
vie Treppe hinunter, hielt sich traut-pf
haft unt Geländer fest. Sie lah. sie«
wußte taum. wo sie war. Jeder Nervx
jede Fiber an ihr zitterte und bebte in»
ungeheurem Aufruhr. Das setz lagl
ihr wie ein aliihendes Stück Eisen-tut
- der Brutt. Ihr Kopf brannte, in til-l
» ren Schlitten hämmerte das Blut« vorz
" ihren Augen tanzten schwarze Sehnt-!
ten. s
Erst der Herbitwintx der sie nnteni
auf der Straße frisch und ialt ten-i
blies. brachte sie wieder zur BesinnunH
13. Kapitel. 1
Der junge Mediziner hatte Alt
darf im Krautenhaufe nicht anne
troffen.
.D-er Herr Professor ift noch ein
mal in feine Privattliuil«. hatte der
Diener erklärt. »Sol! ich anilin
geln. ihm Befcheid fagen lassen?«
.«Danle, nicht nöthig. »Ich habe
Einen Waaen unten. Fahre ielbft
rn.« .
Im Galopp war der Dottor die
Treppe hinunteraeftiirmt und hatte,
in die Drofchte springend. dem Kut
fcher zuaerufem Was der Gaul laufen
will. Eine Mart ertra!«
Als er aber in die Klinit lam,
war Altdorf fchon wieder rdea —
nach Haufe Nun mußte er doch
telephonirerYlaffem damit der Viel
befwiiftigte ihm nicht etwa abermals
entwifchte.
Gerade als Altdorf die Thür zu
feiner Wohnung aitffchlofi. ftand der
Diener am Fernsprechapparat den
Hörer am Ohr.
»Sei-r wohl —- gewiß -—— werde be
stellen. Eben tritt der Herr Professor
ins Haus«
»Wasl aiebt’s?« fraate Altdorf.
die Thürjeife hinter sich ins Schloß
ziehend.
Iohann richtete den Auftraa aus.
»Der berr Professor möchten sich
möglichst bereit halten. Dringende
Oderation an einem Offigier der
sich eine Kuael durch herg und Dunae
gefchossen hat. Kugel wahrscheinlich
an der Wirhelfiiule oder Rippe breit
geschlagen«
lIortfefzung folgt.)
—«——«-.-——
Der TIIIIOL
Im Buche Le Grund fagt Deine:
.Schöne Frauen sind fchön in jeder
Iracht.« Selbstverständlich ift nicht
jede Tracht felbft bei der fchönen Frau
fchön, doch darf man wiederum nicht
alles in einen Ton werfen. was ernft
lich zu betrachten heute einmal die
Aufgabe des Frauen - Chroniften fein
will. Es scheint, als ob die Frauen
fest fo schrecklich viel zu denken hät
ten; der Kopf genügt nicht mehr, und
hat fich die Dame früher (waa den
Kon betrifft) nach der Breite zu aus«
gedehnt, fo thut fte es dies Jahr der
Länge nach. Sie wickelt sich den Kopr
ein, und das Stroh der hutform wird
fo verfchwenderifch genommen. daß es
auf allen Seiten heruntertrieft und(
ihr um die Augen hängt wie eine
» Schwinpr
Sollte wohl der Topfhut ein Sym
’bolum fein dafür, daß die Frau doch
noch ein wenig an die Küche denttt
HAn die Küche als Stimmungs- und
Charalterbild, als altiibertragener
’Begriff früherer Hausfrauenpflichten,
aus welchen wir ja längft heraus find.
Und wie der Soldat feine Flinte, der.
»Mac-: seinen Breit-sitt sei sich hatt
auch oft nur als Symbol, durchaus!
nicht um immer die Leute zu treffen«
fo hängt sich die Frau den Hut iiber«
und gedenkt voll Wehmuth derienigen,?
welche früher einmal wirklich bei den
Fleifchtöpfen standen.
- -
. Aber der Topfhut war eine folge.
zitchtige Entwicklung des Bestrebens
kvon dein Zwange der Linie völlig sich
jloszulösen Und hat der Gainss
sborough als Inbegriff des idealen
Charakter gegolten, da er die schwin
; ende Linie nach oben zeigte, so ist der
Zoofhut der Puritanisrnus. Er ist
ein Zeichen deo Einlehrens in sich.
Die» Frau kriecht unter ihren hat.
Möge draußen die Welt stiirnien und
lärnien, sie zieht dahin wie Goethes
wandelnde Glocke. und liimniert sich
um niemanden als um sich selber. Der
Topfhut ist ja eine uralte Farin.
Schon in den Kreuzzilgen trugen die
Krieger den Topfhelrn, und vielleicht
ist er es. der den Gedanken sur That;
werden lief-. Und heute tragen sie ihn’
alle-. Schöne und Verschönte, Ver
schämte und Unverschämte.
Und wir Männer stehen da in un
serer Lächetlichleit Was können wir
dagegen aufbringen an Phantasie?
Zylinder, Melonenhut, weicher fut.
tnrner dasselbe. Wir hahen var ei
ahr nachahrnen wollen, und haeen
den englischen Konstablerhut zu tra
derfncht, aber es war die lächer
Fse Demonftration eines gänzlich
phantafielosen Geschlechtes gegen ein
Mtchenwelt. Wir Msnner ziehen
Fun- vemnach. war die Hüte betrifft
: schmählich zurück. Aus das Haupt ge
schlagen in des Wortes härtester Be
deutung. Ja, natürlich, wenn die
IFrauen nicht dabei sind, da nehmen
Twir den Mund voll Durchaus nicht
hildlich gemeint), da pampsen wir uns
an mitMuth und Spott, aber- wenn sie
unter dem Riesenhut, oder derGiocke,
oder dem Topf. oder dem Barett, oder
dem Tutban erscheint, du«-schweigen
wir und starren. Und werden blaß.
Und jubelnd schreibt die Frau wie
der einmal einen Sieg ins Fechtbuch.
HAber es ist ein dlutiger Sieg.
J Denn erstens sieht sie nicht viel un
ter so einem Todfhut. Er ist zwar
manchmal in einer Auswallung von
Menschenliebe auf einer Seite ein we
nig ausgestiilpt, aber nicht mehr, wie
sk- ein mitleidiges Athlet-jucken Doch
die Frau will ja nicht sehen, sie will
gesehen werden. Und das geschieht.
Dann ist der Hut auch so unhequetn,
mancher wiegt schwer. Aber was scha
det das? Um der Mode willen erlei
det die Frau gerne Kopfschmerzen in
Helmsorm, und Rückenschmerzen in
Gürtelsorm, wenn’g nur modern ist.
Und wer würde heute noch vom ge
stern sprechen, und lächerliche Vers
gleiche mit früheren Moden anstelleni
Die Frauenmode ist souverän, lnechi
tet die Königin wie die Magd, wirst
alle Standesunterschiede und Klassen
inerlmale um« wie es die revolutionä
ren Franzosen rnit der Elends-me
Siiule taten, und gießt aus dem er
haltenen Materiale eine neue Säule,
aber ee muß ja nicht immer die Säule
der Göttin der Vernunft sein. Wenn
eTe nur überhaupt eine Säule ist, die
man anbeten kann.
Es ist unglaublich, was wir heut
zutage noch siir Göhendiener sind.
Und wir Männer lachen und spotten
ja nur weil wir neidilch sind auf den
Farben- und Formenrasch der Frau.
Wir siihren den Kampf nicht weil
wir des Gegners Recht verkennen,
nein, weil wir es erkennen. wir der
mögen nur noch nicht den letzten
Schritt zu tun, den vom Erkennen
zum Anerkennen.
Aber auch diese Stunde wird korn
men. wir werden endlich anerkennen
müssen, daß auch das häßliche schön
ist« wenn es die Frau schön macht,
oder machen kann, oder machen könn
te, und dann werden wir erst sehen«
wie schön die Frauen sind, wenn wir
die Frau nicht nach der Schönheit bes
urteilen, sondern die Schönheit an
der Frau messen. Dann werden alle
Frcuen lächeln, und srohe Augen des
tommen. denn tsagt Bierbauml nie
sind die Augen einer Frau schöner,
als wenn sie miide sind vom Glück.
Und auch ein Topsbut kann den Be
griss von Frauengliick nicht ausschöps
sen. und sei er noch so groß (der Be
grim
Anerkennen wir die Form als die
Vollendung, und warten wir darauf,
was Ins das nächste Jahr bescheren
wird. Wo wird das noch enden?
Wer kann zu prophezeien wagen, aus
was siir hutaedanken die Frauen noch
versallenZ Die Gedanken sind es
nicht. die die Frauen sürchten, aber
das Versallen. Und dageaen soll eben
io ein Hütchen propbnlaktisch wirken!
Wir Männer haben zu schweigen,
wir haben den geistigen Manisesta
tionseid geleistet, wir baden nicht mit
zusprechem Wir sind die sekundäre
Erscheinung. Und so war es schon
immer.
Topfhut, sei begrüsiet siir und siir.
Wir sreuen uns, daß das Paradies
Henry UT eingetreten ist. Jehk bar
nämlich schon fast jeder Bauer —- sein
Hiibnchen unter dem Tapfe
(Aus der Prager Bohemia.)
—
Schulden machen macht keine Sor
aen, aber Schulden bezahlen.
I- O I
Die Engländer sind mit 82395 per
ilops und Jahr die höchstenSteuerzads
ler der Welt. Um den Vorzug wird
sie niemand beneiden.
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Die Nachwelt slicht dem Mimen
keine Kränze, aber die Gegenwart ist
erkenntlicher. Sie hat Anna Held zur
Millionärin aemocht.
. O s .
J Nach der Entscheidung des Casa
lblanrasSchiedsgerichts haben beide
Teile unrecht. Ein nicht seltener Fall,
der aber selten richtig erkannt wird.
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Essen und Schlafen find üble An
gewohnheitenx das eine kostet das
halbe Vermögen« da- andere das
halbe Leben.
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Ein Mädchen in Chicago erhielt in
einer Klage wegen gebrochenen Ehe
versprechens 50 Cents zugebilligt.
Offenbar waren die Richter der An
sicht, daß sie nicht viel verloren hätte.
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Die herren Professor Tot-d und
Stevens versichern. daß sie sich noch
vor dem 15. September mit den
Marsbetvohnern in Verkehr gefest
haben werden. Wir bitten, freund
lichst zu grüßen.
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Andy Carnegie weilt gegenwärtig
in Paris. Nachdem er fiir einen
französischen heldensond eine Million
Dollari ane ewieien, ist er dort der
Löwe des agei geworden. Wie
lehr müssen ihn die Löwen in Afrik
beneiden, die der Bliebst Roofeoelts
II keine Minute ihres Lebens