Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, April 09, 1909, Zweiter Theil, Image 9

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    FAUan
Nebraska
Staats« Anzetger uned J cerold
I 909. ( ·-kwei rThcil )
ummer 33.
chneksäsiiisiz
Erzähluna von A da v. Schmidt.
.Wo die weißen Wasser plätschern ———«
at die Leserin schon einmal Oster
wasser geholt? —- Am Oster
sonntag in aller Frühe — ehe
noch die Sonne ihren Wetterleuch
tungggang begann? —- Jn der srest
schauernden Dämmerung?
Ja? —— Nein?
Osterwasser holen ist nicht leicht! —
Man muß sriih ausstexm Mit Ham
men Fingern hastig oilette machen
—- mit einem Krug das stille Haus —
Alles schläft noch —- durcheilenl Die
Stiege knarrt —- Du fährst zusam
men. Der Schlüssel rasselt im Schloß,
die schwere Thüt dreht sieh lreischend
in den Angeln. Die Hausthür! ---
Du hist bestimmt noch nie um die Seit
durch sie in die un eimliche, mit selt
samen Schatten beebte Dämmerung
getreten.
Du schaut-erst —- sast entsiillt der
Krug Deinen zitternden Händen! «
Todtenstille ringsum —- und der Weg
zum murmelnden Bach weit!
Horch! —- neben Dir im Gebüsch
leise Tritte «- es schlüpft hinter Dir
her! s— Ein Waldschratti —- Ach, ein
Vogel nur« den Dein Schritt aus dem
Morgenschlas erweckte. Der seine Fe
dern pulstert—— die kleine Brust wei
tet zum Qsterchoral, den er aus voller
Kehle anstimmen will.
»Die Lerche ist’s, und nicht die
Nachtigall!«
Ganz fern schlägt ein lHund an -----
und ein zweiter antwortet.
Du eilst —- unter Deinen Füßen
fplittert Eis. Der Nachtfroft hat jede
trübe Lache mit schimmernder Glas
scheibe iiberzogen, die mit schwingen
dem Ton in tausend Scherben zer
schellt.
Da endlich —- der murmelnde Bach!
-— Erst vor Kurzem hat er des Win
ters Bande —- den Eis nzer ge
sprengt. Jeht plätschert Welle «
fie spült an den Schollen, die immer
wieder, vom Nachtfrost unterstund
am User anfrieren Sie nagt und
quirlt—sie laugt und gluetst —- und
die Schalle bricht —- die Welle trägt
sie, triumphirend, stromab der Sonne
entgegen!
Am Ufer des Baches liegt noch
Schnee-— am Gründonnerftag gefal
len, denn es ist Sitte bei uns, daf;
der griine ein weißer Donnerstag ist.
Aber, heimlich zwischen den Laien,
die der Schnee breitete, tlingelt es —
—- Märzenbecher —- Schneeglödchen
auclen aus dem bräunlichen Griin
und läuten das Ofterfest ein!
Nur Du bist still! ganz ltilll s-—
blickst Dich zum Bach —- fiillst Deine
Kanne —- trägst sie heim ----- schwei
gend —- doll Osterwasferl
Wenn Du vor Sonnenaufgang,
am Ostersonntag, vom murmelnden
Bach es holst -—- allein —- ohne einen
Laut von Dir zu geben —- nur dann
ist es Osterwasser und hat seineMachtl
Sonst tannst Du’s weggießen, es ist
nichts!
Doch wer feine Kanne schweigend
heimträgt — der trifft das Gliiet «
die Liebe — den Zutiinftigenl Wer
sich damit wäscht. wird schön! Wer,
davon trinlt, wird tlu —- reich —
—gewinnt Macht — Ein lusz —- Stel
lung. turz das, was ein Jeder, eine
Jede eben Glück nennt!
Aber es ist schwer, Ostern-offer heim
zu bringen —- unheimlich!
.Plapperwasfer« nenne-us die un
artigen, jungen Leute im polnifchen
Dorf —- lie behaupten, von isten
«Schähen brächte teine das Kunsttiiel
fertig, vom fernen Bach Osterwasser
zu holen, ohne zu plappern.
Sie lauern — wenn in der fahlen
Dämmerung die Mädel mit den flat
ternden, rothen Wollröäem den eilig
geflochtenen schwarzen Zöpfen —— das
Kännchen in der Hand, Osterwasfer
holen.
Sie necken sie — fragen — ver
locken sie zu reden -—- und ach, nur
wenige unterliegen nicht der Per
fuchung ——swenn nicht aus dem Hin-,
dann um so sicherer aus dem Riietwegz
«Dzie boer -—- Panna starr-a —
Doch schweigend schreitet die Schöne
vorüber-, sie will Qstsertvasser nicht
Plapperivasser holen.
Der streicht sich den schwarzen
Schnurrbnri leck nach oben und denkt:
Noch ist Polen nicht verloren.
Doch oben das Staeostenschlosz ist
start aus Abbruch — Pan von Dom
broiowiln läin nichts eenovieen, weil
er lein Kleingeld bot.
Die schwere Seide der Möbel
schliht —- ab und zu bricht keuchend
ein Rotoloseisel zusammen, aber im
Erlee zwischen blühenden Blumen
list Daniech die eeizende Tochter. die
bionde Korntesse, blond von ver deut
schen Mutter, aber mii den seueigen,
dunilen Augen bee echten Sol-matten
Wo Daniela ist, " siehi man leine
eerschlissenen Möbel, noch Spinn
weben —- man blickt in ihre Augen —
aus ihre zierlichen Hände und win
zigen Füßcheni
So thut der Rittmeister v. Hellberg,
den das Remontelommando mehrere
Tage in’s alte Polenschlosz einquar
tirt hat. Er macht, wenn’s der tös
nigliche Dienst erlaubt, der schönen
Komtesse auf Mord den Hof —- am
Abend lneipt er mit dem alten
Schlachtschiihem der kein Preußenfres:
ser ist —- bis in die Nacht hinein!
Er gefällt Daniela —- er ist schnei
dig, frisch und scheint zuverlässiger,
als die eleaanten Windhunde, die, pa:
riserisch dressirt, auf den Bällen der
Nachbarschaft um sie ruin schivänzeln
Die Herren auf th und tow, die ihr
alle die Cour schneiden, und es alle
nicht ehrlich meinen, weil ihre wür
digen Vorfahren ihr nicht einen ro
then Heller Mitgift übrig gelassen,
sondern alles in Posen und noch radi
taler in Paris verjeut und verjubelt
haben.
Ach, auch dieser meint es nicht ernst
——— so hieher er aussieht. Auch preu-:
szische Osfiziere brauchen zum Heira
then Geld —- sagte sie sich!
Sie seuft tief! » Der Rittnieister
neclt mit dem sporenbeivehrten Fuß
ier ist noch im Dienstanzug) den tläss
senden Terrier.
Warum so traurig, Homtesse?«
staat er. »Wer jung und schön ist,
hat allen Grund, heiter zu sein« ----
er blickt sie verliebt an!
»Ah jung und schön!" wieder
holt Daniela verächtlich
»Und lan uno gut!« vollendet der
ritterliche Herr. i
Der aite Pan-Gras in seinem Gichtk
lessel lächelt. Dst aenug hört er der
lei süßes Geplauder, aber es sreut
ihn immer wieder.
»Gehst Du morgen wieder Mao
perwasser holen'«, sraat er nectend. -s—
»Ur ist stiller Sonnabend heut’."
Daniela steht entrüstet aus. »Na
tiirlich! « Aber Du weißt, Vater,
dasi ich nie Plavperwasser, sondern
Osterioasser brachte!«
»Was ist das?« sragte der Ritt
ineister neugierig — und man erklärte
den Brauch.
»Der Tausend !—— und das brin
gen Gnädigste sertigt ——-— ’ne halbe
Stunde zum Bache hin —- ’ne halbe
zurück —- macht ’ne geschlagene
Stunde s— und man bloß um lastes
Wasser zu holen.
Die blonde Daniela ist lebhaft und
siihlt sich aetrossen.
»Was denken Sie von uns, mein
Herr von hellberg, glauben Sie, wir
Mädchen sind so schivahhnst. das-, wir
nicht eine Stunde schweigen können,
selbst wenn uns Evas daran liegt?«
»Und wenn wir dadurch unseren
Zutiinstigen zu iehen triegen«, schal
tete Pan-Gras ein aber man hörte
ihn nicht.
»Nun —-- niin«, begiitigie der Ritt
meister. »Man sagt so --—«
»Man sagt so vielleicht von deut
schen Mädchen, von Polinnen nicht — —
wir haben Charaiter—--was wir nicht
wollen, thun wir nicht!«
Der Nittmeister richtete sich zu vol
ler höhe aus und zo mit einem Ruck
seine Ulanla glatt, si- daß man seine
samose Figur bewundern konnte. Er
siihlte sich in Schwestern. Cousinen
und zahlreichen, ersten Lieben belei
digt.
»Was gilt vie Wette, Komtesse, daß
auch polnische Mädchen nicht schwei
gen iiinneni Sie sagen selbst —- die
Burschen hier bringen ihre Schähchen
stets zum Reden!«
»Man auch sein, daß viele Politi
nen nicht schweigen tonnen —- ich
aber tann rei« ries Daniela hoch
miithi .
«Al o es gilt«, ries der Nittmeister
mit blihenden Augen, »wer behaup
tet - -— muß beweisen!«
aWie soll ich beweisen, mein Herr
-— wenn ich Osterwasser holen werde,
lieaen Sie noch im tiefsten Schlaf. —
Mich versucht da auch niemand zum
Sprechen zu bringen. Gaiii unbe
telligt geht vie Panna Daniela iuin
sernen Pachi« —- sast seufzte sie ein
wenig. «
»Wer weiß! Der tonmnme
Dienst lockte mich oft schon eher aus
den Federn. Also es gilt! Bringe
ich die Gnädigste morgen früh zum
Reden, Moan ich zum Andenken
an die —- unvekgeszlichen Tage biet
tden TektieeI Verliet’ ich, revanchire
ich mich in Faßbendet’schen Moska
pealincs, die Komtesse so lieben!«
Er hielt ihr seine braune, sehnige
Reitetsaust entgegen und sie schlug
—- zöaeknd, mit ihrem weißen hind
chen ein.
»Es gilt, here Rittrneistert —- stei
lich ts» unsait. zu wetten, wenn man
des Siegei sicher ist!«
.Na, na —- wek weiß, sitt wen sich
das Schlachtenglück entscheidet« -—
unt- ee Lüste, nach sestein Druck, die
süßen Mngeechew
Komtesse Daniela verschwand, « an
Gtas aber und dee Neitekos iziet
sahen einträchtig um den Gonczotek
und schwangen den humpen edlen
Eltern
Hört ihr es leise raunen zur Nachts
Die Blümlein heben die Veilchen sacht:
Frau Sonne huschte vorüber am Tag
Und küßte die kleinen Schläfer wach.
«s ist Ostern, heraus ihr Veilchen blau,
Jhr Skolar-, zu schmücken Flur und Au’,
Jhr Primeln und Anemonen zart,
Nun rüstet euch schnell zur OsterfahrL
Der Frühling lädt alle zum Kommen ein,
Ich bin sein Bote der Sonnenschein,
Jch dringe durch alle Fensterleim
Jn alle Menschenherzen hinein.
Ruf allen zu von fern und nah:
Macht auf, der Ostertng ist da.
Will wecken alle· zur Fröhlichkeit,
Daß jedes sich der Ostern freut.
!
Ungarweins bis ties in die Osternacht
hinein. — —- — ——
Jin schicken Sporttleid, das ihrer
geschmeibigen Gestalt vorzüglich steht
—— sie hat heute mebr Sorgfalt als
sonst auf ihre Toilette zum »Oster
:vassergnng« verwendet —- huscht Da
niela.die bedenklich inoriche Wendel
treppe hinab —— und wie ein Geist
des alten Gemäuers zur unverschlos
senen Hinterthiir hinaus. s- Alles ift
todtenstill ringsum!
Sie tennt den Weg zu einer ande
ren Stelle des inurmelnden Baches
mit den schlüpsrigen Ufern, wo man
Osterwasser holen kann. Hier kom
men die Bauerntöchter nicht hin, in
solgedessen auch nicht die Burschen, um
sie zu iizen.
Nein! —- hier ist's einsam und
still!
Daniela ist nicht schreckhaft, sie
fürchtet sich nicht vor den raunenden
Stimmen der Nacht.
Sie. strengt die Augen an, die
graue Dämmerung zu durchdringen
——- es bleibt stillt ——Riemand tornmt,
wird —- umsonst ——» versuchen, sie
zum Reden zu bringen ——« sie wird
ihre Willenstrast nicht mal erproben
müssen. Der ihr gestern schöne Re
densarteu gemacht, ihr die Wette pro
ponirt, schläft wie ein Murmeltbier
in den Ostersonntag hinein —- nach
der Kneiberei bis in die späte Nacht!
—s- Ja, sie hatte wach gelegen
hatte die schweren Tritte gehört, mit
denen die Herren in ihre Schlaf-Im
mer gepeitert waren. — Jetzt stund
der Gouczoret im Speisesaal leer lud
aus die Nagelprobei
Zechten und jeuten denn Jlle Miiu
uer?
Sie truo sorglich ihre Kanne voll
Osterwasser heiin!-—-«Und tein Mensitr
tarn. «- Erst war sie stolz qewesen
aber je näher sie nach Hause gelangte
desto tleinmiithiger wurde sie. -
Lieber sollte er nun doch kommen
und sie versuchen »- als so anz uno
gar sie und die Wette erschllasent
Der deutsche Bär — der Barbar! —
Er sollte nur tommen—-—jth brannte
sie daraus, ihm diese Worte zuzurn
sen, so recht gehässig und spitz — nnd·
wenn sie darüber ihr Osterwasser - »
ihr Glückswasser verlöre! l
Lieber Gott-— was hatte es ihr
an Glück gebracht, all die Jahre, von»
Kindheit an —-- do sie g geholt - nno
sie schäpperte ärgerlich mit dem Krnl
voll deg kostbaren Naß! s
Ans dem Schloß ihrer Väter würd-z
sie bleiben, bis sie alt und grau ak
worden, das war recht ehrenvoll s»
nur ihr Ideal war’s gewißlich nicht
und sie goß jetzt wirklich zornig die
Hälfte ihres .Wasser sorti J
»Warum das, Korntesse«. ertönte
eine neckende Stimme hinter is,
»Ioarum verschwenden Sie so ärg -
lich das köstliche Osterwasser?« !
Da stand er grosz und breit in
Jagdjoppe und Jagdmiiße —- frisch
und vergnügt, wie mit Morgenthau
betropst, als ob er schon eine Stunde
im Wintermold unter schneeseuchten
Aesten spazieren gegangen.
Sie wollte aussahren und rufen-—
»argernch -— mein Verr — warum
ärgerlich« ——— aber sie besann sich »s:
grüßte schweigend und ging weiter,
er blieb dicht neben ihr!
»Es war schön heute morgen«, be
gann er. »Mit revidirte ich die Otter
wasser holenden jungen Damen des
Dorfes —- alle Achtung! —- schöne
Mädels, die Polinnen -s— aber die
Schönste fand ich darunter nicht.«
· Ein strafender Blick unterbrach
Ihn.
»Die hätt’ ich beinah gar nicht ge
«funden, da sie die Einsamkeit gesucht
hatte. War das nicht gefährlich, Kom
tesie, so ganz allein? —- Wenn ich
Sie nun eher getroffen hättet«
Wieder traf ihn ein sprühender
Blick — schweigend. —- Was nahm
er sich heraus!
» «Alle Wetter! —— Das Schloß lag
dicht vor ihnen. Er hatte sie wie ein
Unsinniaer gesucht — nun blieb ihm
inur eine ganz kurze Spanne Zeit sie
zum Sprechen zu bringen —- sonst
verlor er die Wette! «
Er ichliingekte sich dicht an die stol e
Schöne. »Warum gehen Sie Po
,ichnell, Gniidiaste. fürchten Sie die
Probe —— scheuen Sie die Versu
,chung?«
, Wieder nur ein vernichtender Blick
aus feurigen, schwarzen Augen.
»Sie waren ja Jhres Sieg-es so
»gewiß, daß Sie kaum noch wetten
wollten. Gehen wir doch ein wenig;
langsamer und nützen unser interess
iantes Rendezvous auH.«
Jetzt sah sie ihn schon gar nicht
mehr an. ;
»Komtesse Daniela --— ich liebe’
Sie!« flüsterte der Rittcneiiter dicht
in Das rosiae Ohr, das sich flammend
roth färbte.
Schweigend schritt sie schnell —- wie
einit Rebekka mit dem Kruae in der
Hand -——- auf das Schloßthor zu, das
dicht vor ihr war.
»Daniela«, rief er laut und faßte
nach ihrer Hand, »lieben Sie mich
nicht —- wollen Sie nicht meine tkeine
Frau werden?'«
Zerbrochen lag der sirua mit Oster
wasser am Boden Daniela blickte
den Mann neben sich aus feucht ver
tlärten Augen an. —— Da laa das
Osterwasser, das Gtiictgwasser in Den
Scherben ———- aber aus seinen ehrlichen
Zügen glänzte ihr das Glück unzer:
brochen entgegen.
Jst das wahr? fragten ihre Augen
Ja es ist wahrt --- antworteten die
feinen « und da sagte sie laut —
»Jo."
Und nun war das Osterwassee da
unten am Boden im zerbrochenen
Krug doch Plappekwasser gewor
den —- aber durch das brockelnde
Tbor schritt am Ostekmorgen eine
glückliche —— Braut.
——-—.
gichtrlesato Olierletierx.
Novellette von K ä t he L u
b o to H t i.
Reich tvak Aenne Roten nicht« im
Gegentheil. Aber sie hatte ihre
fröhliche, goldene Jugend und
von TanteAlbektatltosen 2.2() Mart
Taschengeld pro Woche· Extraatis
gaben, die Fräulein Albertas Ansicht
nach zum guten Ton gehörten, wie
jetzt z. B. das Festhalten des aller
liebste-i Nichtengesichts durch einen
jungen Menschen, der vielleicht in ei
nem Dezennium einmal ein guter
Photograph werden konnte, beglich sie
großmüthig noch außerdem. Sie
hatte Aenne auf dem ersten Gang be
gleitet und gleich die Gelegenheit be
naht. um auch sich ein bleibendes An
denken bei der Nachwelt zu sichern.
Jetzt saß sie daheim und wartete un
geduldig auf die Probebilder, die
Aenne auf-gesandt war zu holen. Sie
waren aber immer noch nicht fertig.
Aenne wäre sicherlich auf dem kürze
sten Wege nach Haufe geeilt, um das
Unglück zu melden, wenn sie nicht im
Wartezimmer des Photographen eine
Zeitung gefunden hätte, die eine für
sie wichtige Annonce barg. Sie hatte
sie eilig abgeschrieben und ließ jetzt,
in dem gemiithlichen Stäbchen, noch
einmal ihre Augen darauf ruhen.
,,Lediger Weißtopf sucht zum 14. i
April für sein Rittergut eine williges
Kraft, die gut kochen und vorlesen
kann. Außerdem muß sie Interesse
und Verständniß für alle in einem
ländlichen Haushalt vorkommenden
Arbeiten bekunden. Alte Dame (Mut
ter) ist zur Belehrung vorhanden . . .
Photographie erbeten und bei Nicht
engagement zurück. Gehalt pro Quar
tal 60 Mart. Möt, Rittergut
Schwarzbach b. Kränchen.«
Aenne Roten beabsichtigte ernstlich,
sich um diese Stelle zu betverben. Sie
war auf dem Lande geboren und be
wahrte treu die Anhänglichkeit an al
les, was mit der Freiheit zusammen
hing. Tante Alberta hatte sie erst zu
sich genommen, nachdem die Eltern
gestorben waren. Und Aenne konnte
den Müßiggang nicht länger ertragen.
Sie wollte wenigstens versuchen, ihr
Leben zu ändern, vorläufig ohne Wis
sen der Tantr.
Aenne erhielt an der Kasse das er
betene Schreibmaterial und verfaßte
mit ihrer schönen, klaren Handschrift
einen langen Brief. Jhre Liebe für
das Landleben quoll echt und frisch
darauf hervor . . . so ungetiinstelt
und sehnsüchtig, daß zwei Tage später
die alte Frau Miit nach dem Lesen
sagte: »Wenn es nach mir gehen
dürfte Paul, so schriebest Du ihr um
gehend zu. Jch glaube, sie ist ein
Prachtmensch.
Paul Mot, dessen weißes Haar in
trafsem Widerspruch zu dem jungen
Gesicht stand, zog ein wenig die
Schultern hoch.
»Wenn Du meinst, Mutterl ; . .
meinetwegen. Man kann ihr ja nach
ein paar Tagen wieder kündigen.
Warten wir aber erst auf jeden Fall
das verheißende ild ab, das uns direlt
durch den Photographen zegehen soll.«
Das Bild lam und gefiel beiden au
ßerordentlich gut.
Frau Miit schrieb noch an demsel
ben Tage an Aenne Roten:
»So lassen Sie’s und denn in Got
tes Namen mit einander versuchen.
Mein Sohn Paul läßt Jhnen sagen,
daß am 14. April zu dem 4 Uhr-Zuge
Fuhrwerk fiir Sie bereit ist. Er
wünscht mit mir, daß wir während
des lieben Osterfestes zusammen sind.«
Tante Alberta hatte sich endlich da
rein gefunden, ihre Nichte in die
Fremde ziehen zu lassen. Vorher gab
es natiirlich harte Kämpfe. Mit
Thränen und vorzeitigen Gewittern,
wie das im April nicht anders zu
erwarten steht. Aber nun schien die
Sonne wieder.
Nun war Aenne oten am Ziel.
Sie stieg aus unu hielt eifrig nach
einem herrschaftlichen Kutscher in
dunkelgrauer Livree, wie ihn ihre El
tern gehabt haben, Umschatt. Aber
der kleine Bahnhof wies keine Staats
tarosse auf. Nur ein paar Leiterwa
gen standen abseits und luden Ma«
fchinentheilk auf und ein junger, flatt
licher Herr lief mit enttäuschtern Ge
sicht ärgerlich auf und nieder. Da gab
sie resignirt ihre Sachen in Verwah
rung und schritt den Weg herunter,
den ein Weiser ihr als den richtigen
bezeichnete Das lange Fragen war
ihr verhaßt. Der Wagen war ausge
blieben . . . verirren konnte sie sich
nicht . . . also wozu noch Worte ver
lieren! --— Rüstig und wohlgemuth
schritt sie auf dem festen, grünen Fuß
steg dahin und holte tief Athem, als
wollte sie den Staub der Grußstadt
aus den Lungen bringen. Es mochten
laum fünf Minuten vergangen sein,
als sie hastige Schritte hinter sich hörte ,
und bald darauf den, welchen sie vors «
her ebenfalls enttäuscht gefunden, an
ihrer Seite auftauchen sah. Der
Fremde lüftete höflich den Hut und
sagte in frischem Ton: »Wir haben
wohl beide nicht das gefunden, was
wir suchten, mein gnädiges Fräu
lein.'« — Sie wollte zuerst fteif und
gemessen sein, damit er eine Zurück
weisung seiner Annäherung daraus
entnehmen konnte. Aber dann stand
sie ihm doch fröhlich Rede und
Antwort.
,,Darin mögn Sie recht haben.
Jch war zuerst ganz unglücklich über
das Mißgeschick, daß ich keinen Wa
gen vorfand, aber nun steu ich mich
über den unfreiwilligen Spaziergang.
Sehen Sie nur das zarte Birkengriin
und die Saat . . . . Diese hier ist
gut . . . . Ohne Mäuse und kahle
Stellen.« --— Er betam ordentlich Re-:
spett vor ihrer Fachkenntniß.
»Aha, dachte er, »die berühmte
Cousine vom Amtsrath Finis, die
zwei Güter betvirthschastet.« —- Und
— « -,W -.—.--.·— »W——-"-I
wurde nun noch ein wenig vertrau
licher
Sie redeten noch dies und das und
kamen sich schließlich so bekannt vor,
als wären sie es schon jahrelang mit
einander gewesen, und sprachen zu
letzt vom Frühling, daß alles griin
nnd lebendig würde und die Men
schen mit, sofern sie nicht ein er
storbenes Herz hätten. Der Fremde
lüstete plötzlich seinen Hut:
,,Sehen Sie mein Haar an, dem
allein hilft der Lenz nichts mehr.«
Sie gewahrte, daß es weiß und
voll sein Haupt umgab, und wurde
ordentlich roth vor Schreck.
»Wie ist denn das nur gekommen?
Sie sind doch noch so jung.«
»Es liegt so in unserer Familie.
Jch war schon als Primaner ein we
nig grau.«
»Ich siirchtete schon eine schmerz
liche Ursache.«
Er sah sie an und dachte bei sich:
»Wie ist sie nur liebreizend und an
muthig, so etwas Entzückendes habe
ich mein Lebtag noch nicht gesehen."
Laut aber sagte er mit Lachen:
»Nein. Es muß denn höchstens da
von gekommen sein, daß ich heute
ohne unsere neue Hausdame meiner
Mutter unter die Augen treten muß.
Jch mußte nämlich selbst auf den
Bahnhos gehen, um zu erklären, wes
halb sie sich nicht in den Landauer
setzen konnte Die sämmtlichen Ge
spanne mußten nämlich Chili holen.«
»Wie sonderbar « meinte sie zö
gernd. »Sie haben keine Hausdame
und ich keinen Wagen betommen.«
—— Er wurde aufmerksam.
»Darf ich fragen, was das End
ziel Jhres Spazierganges sein
wird?«
»Das Rittergut Schwarzbach.«'
»Ach nein. Jch bin ja Paul Miit
von Schwarzbach. Sie können aber
doch unmöglich Fräulein Roten seini«
»Warum nicht; gewiß bin ich das.
Aber ich denke, Sie sind schon ein
ganz alter Mann, weil Sie den Weiß
ton so ausdrücklich hervorgehoben
haben.«
»Und ich habe ein Recht, zu glau
ben, daß Sie eine ganz alte Dame
mit einem Häubchen sind. Jhre Pho
tographie war wenigstens so."
Ein furchtbarer Schreck kriecht
durch ihre Glieder. Sie hat den
Photographen einfach beauftragt, ein
Bild von Fräulein Roten umgehend
an Frau Rittergutsbesitzer Miit zu
senden. Wenn er nun Tante Alber
tas Bild statt des ihren geschickt hättest
Da liegt schon das Schwarzbacher
Gutshaus mit der breiten, gemiithli
chen Front dicht vor ihnen. Soll sie
mit ihm gehen, seiner Mutter den Zu
sanunenhang erklären, oder umtehren
und eilig zur Tante zurückkehren?
Er gewahrt ihre Blässe und das
Zittern einer großen Verlegenheit.
Ein warmes Leuchten steht in seinen
Augen· »Kommet! Sie nur zu mei
ner Mutter. Die weiß fiir alles gu
ten Rath.«
Die alte Frau hat denn auch wirk
lich die Sache in Ordnung gebracht.
Der Photograph trägt alle Schuld —
natürlich. Sie streichelte ihr zärtlich
die behenden Hände und sieht ihren
Sohn an, mit jenem ahnungsvollem
tiefen Blick, den er schon kennt.
»Mus; ich nun wieder gehen?"
fragt Aenne Roten mit einem schlecht
unterdrückten Schluchzen.
»Nein, mein Kind, Sie bleiben
bei uns. Wir wollen ein fröhliches,
gesegnctes Ostern miteinander feiern.«
,.Länger darf ich also nicht bleiben,
gnädige Frau? Nur bis Ostern?«
Da legte sie mütterlich den Arm
um die jungen Schultern. »So
istott will, länger viel länger »
I-« Jahre und mehr — wie Jhre
Vorgängerin. Nicht wahr, Paul,
unter dem thun wir Mäts es nun
mal nicht.«
Aenne Roten ist plötzlich so warm
und froh zu Muth, als wäre sie wies
der daheim bei ihrer Mutter. Sie
neigt sich über dies alten, weißen Hän
de und tiißt sie. Und draußen er
zählte die Sonne mit goldenem La
chen, daß sie morgen —- am Ostertag
—— über die Erde tanzen müsse, zum
Zeichen, daß bei diesem heiligen Feste
die Liebe an jedes Menschenherz
tlopfe.
Sprühwörter über Gmel-unt
Wenn man Kindern ihren Willen
thut, schreien sie nicht
s- ·
Kinder, so schreien, am besten ge
beiden.
M If II
Genäsch will Streiche.
K. Bürger.