Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, February 05, 1909, Zweiter Theil, Image 9

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Jahrgang
Nebraska
909. ( sti tThki so)
Skaak5« Anzetger und J sei-old.
Nummer 24.
--.- - -.- — ..... ....
Winter-.
Es schlafen die Stimmen des Leben-»
Ueber die müde Natur
das Schmigen gebe-muten,
Yes-eigen in Wald und Flut
Alles Slüimen und Dasängen
Alles Blüt-n ist zur Rub,
Wißt Flackengeriesel
Deckt das Mächtige zu.
Eisige Wintetfttmge
"ll ei in Acht und Bann,
ß es nsur f weisen und träumen,
Daß es nicht te n sann.
Manchmal nur geht ein Flüstern l
. Lels durch dle Einsamkeit, »
sittetnd von Leben- zu Leben: !
halte dich frühlingsbetelll l
Die sixe Idee.
Erzählung « c Konrad Rem
Ung.
Der Geheime Sanitötsratb Beendh
dessen Privat - Jrrenanstalt sich seit
Jahren eines vorzüglichen Rufes er
ste-ate, saß in seinem Arbeitezimmer
und tauchte behaglich die gewohnte
Friibsisiiclsigarrq als ihm der Be
ucb einer Dame gemeldet lot-rot
«Jch lasse bitten.'·
Er erhob sich, legte seine Cigarre
bei Seite und ging der tief verschlei
erten Fremden entge en.
»Aus ich bitten, laß zu nehmer-,
nniidisge Frau? Womit tann ich
Ihnen dienenik
Die Dame nahm Pla , liistete ein
ganz klein wenig n dichten
Schleier. seufzte ein paar-mal schwer
und begann endlich mit leiser, von
ähriinen erftickter Stimme zu spre
n:
»Es mag wohl immer und siir alle
ein schwerer Gang sein, Herr Ge
beiniratb, wenn man srch zu Ihnen
flüchten muß. Aber ich bin am Ende
meiner Mast und weiß mir selber
seinen Rath mehr. Mein armer
Man-n leidet seit Irrt-en an einer
tote mir scheinen will. wohl unheil
baten Krantheit . .«
Wer-sei ng. gnädi Frau: Wel
ctsen Beru bat r r Gemahli«
Die Fremde zögerte
Jdeinen Das heißt, er war Dis
zier, nahm aber dann seinen Ad
ichied ——-- es war noch vor unserer
Wiratbung — und ging nach
Sitdosrila, wo es ihm in kurzer Zeit
gelang, sich ein großes Vermöaen
zu erwerben, obwohl er ohne Geld
und als einfacher Arbeiter in einer
Wutgrube angesangen hatte.
Vielleicht bat diese Thatiache den er
sten Keim zu seiner Geisteslranibeit
gelegt. Denn —- und nun bitte ich
Sie, reibt ausmertsam zuzuliören «
er hält sich heute siir einen der größ
ten Diximcintböndler der Welt« stu
Pirt «die Hotellistem sucht nackHI
Freunden von Rang nnd Wasnen und
macht ihnen feine Aufwartung, in
dem er sich für den Beauftraqien ir
aend einer unserer aroszen Juwelier
sinnen aus ibt. Aber nicht allein
das: sein wußtsein ist, sobald es
sich um Diamanten oder überhaupt
Schmuck handelt, schon so getriibt,
dass er soaar vor einem« —- wieder
seufzte sie --- »vor einem Diebstahl
nicht zittiictschreckt. wenn er sich da
durch in den Besitz von Juwelen
sehen tann. Wohlaemerlt, Herr Ge
heimrath: nur in diesem einen Punkt
iit sein Bewußtsein getrübt, während
er smä, namentlich ans Laien, »den
Eindruck eines durchaus normalen
Weilchen macht. Nun werden sie
auch meine Angst begreifen lönnen,
Herr Geheimnis-: ich must täglich
und stündlich besiirchten, das; es ihm
gelingt, in unserem ausgedehnten Be
tanntenlreisen aus irgend eine Art
Perlen oder Diamanten an sich zu
bringen. Und dann, dann liime der
Standat Man wiirde ihm den Pro
eß machen. Niemand würde bei
m vorzüglichen und gesunden Ein
druck, den er macht, an Kleptomanie
oder qeistiae Ertrantuna alauben. ..
Sie trocknete abermals die Thriinen
und schien nun eine «Eririderung des
Arztes abzuwarten.
»Gewiß, gnädige Frau« «- entaegs
nete dieser — »ich habe Sie vollkom
men verstanden. Das Krankheitsbild
das Sie geben, ist tlar und durchsich
tig, und..wtr haben leider nnr zu ost
gerade aus den besten Gesellschafts
treisen derartige Kranke. Jhnen liegt
also, wenn ich Sie recht verstanden
dabe, on einer Unterbietan Jhees
herrn Gemahls in unserer nstalt?«
Leise. mit skchluehzender Stimme
antwortete die Hemde
«Ja. eh weiß mir allerdings
keinen an ten Rat mehr. Aber,
Herr Gebet-many rd es nur ge
lingen, meinen Mann hierher zu
bringent Er ist sehr mißtrauiich,
sobald · einmal nur die leiseste An
deutung rart gemacht habe und...
Aber, da fällt mir ein: vielleicht tön
ncn wir gerade seine sixe Idee dizu
benützen Ich beside einen reichen
Schmuck an Perlen und Brillianten
Ich werde ihm sagen, Sie seien lauf
luftig· und werde ihn damit hierher
schickt-U
»Ganz recht! Ich hätte denselben
Vorschlag gemacht. Sie liiirnen viel
leicht, ohne daß er davon weiß, zur
selben Zeit hier sein· Ich übergehe
Ihnen alsdann den Schmuck, und
gnr behalten Jshren Herrn Gemahl
iet.'« . . .
Die Fremde erhol- sich.
»Sagen wir also morgen, Herr Ge
hetmrath. Um die fünfte Stunde.
Und —- wenn ich noch mn eins bitten
dars: sorgen Sie dafür, dafz man den
Aermsten nich-i schlecht behandelt.«
»Aber wag denken Sie, nnödige
Frau!«
»Verzeihen Sie, Herr Gebeiinrzthi
Aber man hört und liest oft so Uner
freuliches Vielen, vielen Dant,
Herr Geheimrath. Morgen also um
die fünfte Stunde!«
»Seht wohl! Enrspsehle mich, gnä
dige Frau!«
I s s
l
Am nächsten Tage. kurz vor fiinf
Uhr, erschien die unglückliche Gattin
abermals und wurde vom Geheim
rath Berndt in ein Nebenzimmer ge
iuhrt. wobei er ihr noch tan einige
Verhaltunasmaßregeln ertheilte: sie
durfte sich um steinen Preis sehen
la en, sollte aber — bei halb ge
öfneter Thiir —- alles beobachten,
was im Amtszimmer vorgehen würde.
Dann wollte ee ihr den Schmueltasten
zurückgeben und sie sollte das Haus
verlassen. ohne von ihreem Manne ge
sehen zu werden.
Kurz nach fiins Uhr rollte eine
Droschle an dem Hause vor, der ein
etwa dreißigjährigen sehe sorgfältig
gekleideter Herr entstieg« sder eine klei
ne ndtasche trug.
niae Minuten später stand der
Kranke vor dem Geheemrath:
»Ich lonnne im Austrag meiner
Firma, - ilius k- riedinann. und woll
te dem ern heimrath eine Aus
wahl von Perlen und Diamanten bor
legen, die Sie so liebenswürdig ma
ren, heute bei uns zu bestellen.«
Der Geheimrath beobachtete den
Kranken. Er machte in der That ei-«
nen durchaus normalen und gesunden
Eindruck. Aber freilich: selbst der Arzt
ließ sich ia in solchen Fällen bisweilen
täuschen.
»Ich bin Jshnen und Ihrer Firma
sehr verbunden, mein Herr«, entgeg
nete er liebenswürdig, muß aber siir
meine Frau um Entschuldigung bit
ten. Sie ist soeben mit ihrer Toi
leite beschäftigt und kann Sie deshall
nicht empfangen. Vielleicht erlauben
Sie, daß ich dieses Täschchen meiner
Frau auf kurze Zeit überlasse; oder«
er lächelte und sah dem Kranten
ins Gesicht.
Dieser ziigerte und nahm zunächst
eine etwas reservirte Haltunq an.
Dann aber entaeanete er:
»Es aeht zwar gegen meine Jn
siruttion und ich habe stritten Aus
trag, die Schmuckstsiicle nicht aus den
Händen zu lassen. Indessen —- bei
dem Hesrn Gebeimrath, dessen Name
und Ruf ja mir und meiner Firma
bestens bekannt ist« werde ich wohl
eine Ausnahme machen dürfen.«
Sobald der Wärter mit der Hand
tasche das Zimmer verlassen hatte, zog
der Geheimrath den Kranken in ein
Gespräch, indem er sich immer noch
stellte, als halte er ihn in der That siik
einen Angestellten der Firma Julius
Friedmann. Plötzlich änderte er je
doch seine Tasttit undfragte unver
mittell:
»Wie lange ist eS eiaentlich her,
Herr Leutnant, daß Zie in Süd
Jfrila waren?«
Der Konnte lal- dem Geheimrath
völlig verständnißlos ins Gesicht nnd
entgegnete:
»Ich bin nie in Südafrila gewesen«
here Geheime-Hof
»So? Aber Sie waren früher Of
fizier?«
»Auch das Jvichi. Derr herr Ge
heimtmh verwechseln mich anschei
nend. Jch heiße Rudolf Stockmann
und«...
. Der Geheimrath nickte, als habe er
diese Antwort erwartet. Der Aumlte
schien von feiner si en cIdee in der
That vollkommen be echt zu wer
den. «Jhre Frau Gemahlin sang
mir doch aber« . · . ,
Nun erhob sich Rudolpif Stock
mann:
»Meine Frau«s... bin über
haupt nicht verheirathe und«... l
«Entsinnen Sie sich wirklich nicht«
daß Sie drüben als einfacher Berg
werlarbeiter angesonnen und eei
lchlWich zu einem großen Vermögeni
gebracht haben?« «
Fest war es mit der Fassung
Stockmanns zu Ende· Eine leise
Ahnung siie in ihm auf: dieser Ort,
an dem er befand.... die lon
verboten, ihm völlig unverständlichen
Fragen des Arztes... sein eigen
thiimliches Lächeln-.»
» rr Geheimrathl Hier handelt
es Ich entweder um ein mir völlig
unbegreifliches Mißverständniß, oder
aber wir beide sind Opfer eines raf
finirten Vettuges geworden. den
Sie die Juwelen in der That Freier
Frau Gemahlin überbringen la en?"
Nun wurde auch der Geheimes-il
unsicher-.
So sprach lein Geistes-tranken
»Nein« — entgegnete es —- »ich
habe sie Ihrer Gattin zurückbringen
lassen, die im Nebenzimmer darauf
wartete.«
,,Allmiichtiger Himmels« Rudolf
Stock-spann sank fassunaHlos auf sei-(
nen Stuhl zurück. s »Wir sind also
in der That von einer raffinirten
Gaunerin betrogen worden! Sie ha
ben leine Juwelen bei unserer Firma
bestellt?«
»Ich habe nicht daran gedacht. Die
Dame, die sich als Ihre Gattin aus
gab«....
»Die Gaunerin, die uns- beide be
trogen hat, meinen Sie?«
Der Gekeimrath llingette nach dem
Warten
»Bei-binden Sie wich sofort mit
oer Juweliersirma Julius Fried
mann. Jch lasse anfragen, ob man
auf meinen Namen heute dort Juwe
len bestellt hat und wie der Herr
heißt, der sie mir iiberbracht hatt ·
Bange Minuten verstrichen fiir die
beiden, von denen noch immer der
eine dem andern nicht traute.
Endlich tarn der Marter ziiriirtz «
»Die Firma Julius Friedmann hat
infolge eines Briefes-, der mit »Frau
GeheimrathBerndt« unterzeichnet war,
durch ihren Angenellten Herrn Rudolf
Stockrnann Juwelen im Waerthe von
150,000 Mart hierher gesandt here
Stockmann müsse bereits hier sein« da
er um halb fünf Uhr das Geschäft der-«
lassen habe.« ,
Der Wärter erschrak förmlich, als
er ffah, welche Wirtian seine Meldung
ar- die beiden ausübte; fein sonst so
ruhiger und gesetzter Chef und des-;
Fremde, der ihm als geistestranl ges
schildert worden spar, verließen in wälz
der hast, sunznsarmnenhiingende Worte
und Berwiinschungen ausfioßend, das
Haus, warfen sich in ein Autorimbil
unr- jagten davon . ..
MM
Besuch bei einein chinesischen
Prinzen.
Wir waren zu Besuch in das Po
lais eines laiserliehen Prinzen geladen.
Noch uralter chinesischer Sitte wurden
Herren und Damen gebeten, getrennt
zu erscheinen, und zwar zu verschiede
nen Stunden.
Als ich mich mit meinem Gefolge
aus dem Wege zum Prinzenpalais
in Bewegung gesetzt hatte, stießen wir
mit dem Leichenng eines unserer Ma
tcosen zusammen. Ein traurigeres
Bild habe ich nie gesehen. Jrn tnö
cheltiesen Straßenftaub, zwischen dens
diLsteren Festungsnmuern Petings,s
durch enge, übelriechende Gassen zog!
der Zug langsam dahin, ohne Blumen,
ohne Musik, von gedrückten Menschen
begleitet, auf den lieblofen europäischen
Friedhof in der Tatarenstadt. Alle
Schutzwachen hatten ihre Leute lzur
Beerdigung gesandt. Die deutsche
Ehrentvache Präsentirte das Gewehr
als der Zug die Kirchhofmauer er
reichte; von den russischen Soldaten,
die einstimmig um Erlaubniß gebeten,
den Kameraden aus seinem letztens
Wege begleiten zu dürfen, weintens
viele. i
Unter dem Eindructe, den dieses-s
Begräbniß in uns zurückgelassen, do-s
gen Ivir in das Chinefenviertel ein, inj
tiefe. duntle Straßenschliinde, von derH
unschiinen Umgebung noch tiefer ver
stimmt· An Buden mit marttschreiesz
rischer Auslage, an Häusern ausLehmx
und Stroh, an zerlumpten, blatternar- ’
bigen Bettlekn, an übelriechendenWas-f
fertiimpeln, an dampfenden KameeLj
tarawanen ging es vorüber bis zu ei
ner tleinen Gasse abseits, in welcher;
der Pein-i wohnte. Auch hier eine er:?
stickende Staublust. ein Menschen- und
Straßendunstt «
Die taiserlichen Prinzessrnnen hat
ten mir ausnahmsweise gestattet, den
Geburtstagssestlichteiten des Prinzen
und der Theatervorstellung beizuwohi
nen, jedoch nur unter der Bedingung,
daß ich ohne männliche Begleitung —
auch ohne die des eigenen Mannes —
erscheine. So häßlich die Eindrücke
draußen wirkten, so sehr entzückte mich
das Jnnere des hauses, als sich das
niedere bunteThor hinter mir geschlos
sen hatte.
Ein großer, heller, freundlicher hof,
iiber dem sich ein strohgeflochtenesDach
zeltsiirnitq spannte, war hier proviso
risch in ei Theater verwandelt. Mäch
tig trieb e Lindenstarnm zum Fen
l
ster herein, durch das Dach hindurch
und entfaltete dann« draußen in freier
» Luft die ganze Pracht seiner breitschat
tigen Krone. Nur wenige niedereAeste
streckten verlangend und schüchtern ihre
Arme im Jnnern des Gebäudes aus,
und darüber spielten wie Schmetter
linge kleine flatternde Sonnenstrahlen.
Die brettergesiigten Wände des großen
Raumes, bis hinauf mit rothem Stoff
bespannt, leuchteten don gediimpftem
Tageslicht, das durch ihre gemalten
Papierfenster fiel, warm und trans
rent, als ob he.es Blut sie durchrieseke.
Fries-artig schmückten sie schöne Kaki
monos aus Seide, Teppiche, Stute
reien, rothe Papierblumenguirlanden
und Jadeketten, die zwischen den Fen
’ itern des ersten Stockes hingen, zu des
lsen dreiseitiger Galerie und eleganten
Logen eine blumenbekränzte Hinter
» ireppe führte. Hier oben ging es nicht
gerade festrauschend zu. Ein Paar
tshinesinnem die mit goldenen Fächern
klappten, steif und prunkend dasaßen
»und nach allen Seiten förmliche Be
Lgriiszungen austauschtem Jm Pat
» terre dagegen sah man immerfort eine
Unzahl hoher Mandarine unter tiesen
Verbeugungen ein: und ausgehen oder
in den Logen und aus den erhöhten
Estradesitzen und rothen Lackbänken
. Platz nehmen. Sie plauderten lebhaft,
rauchten und kosteten flüchtig von den
» Speisen und Getränken, die unaufhör
l lich aus schön geschnitzten Tischen ver
’ abreicht wurden. a immer neue Be
Jsucher nachdräna en und sich im
» zwanglosen Verkehr ergingen, ohne bei
ihrer großen Zahl einer besonderen
Aufmerksamkeit vonSeiten desGastge
bers gewürdigt zu werden, so alich
l dieser Empfang mehr einem großarti
qun iliout als einem Theaterbeiuche.
Sämmtliche Logen des Hauses oben
und unten waren von den Damen des
Hofes besetzt, die, mit kostbaren Stei
nen. namentlich Jade und Rubinen,
und mit Perlen und künstlichen Blu
men beladen, ihrer Schönheit bewußt,
in den reichsteu, golddurchwirkten
Seidentoiletten prangten. Jn einer
Parterreloae befand sich Prineessin
Tsching die Gemahlin des Gast
ciebers, und ihre Schtviegettochter
Prinzessin Tsan.
Als ich, von einein chinesischen Wür
denträger geleitet, bei meinem Eintritt
in das Parterre die Loaenstufen hin:
aufstieg, fühlte ich mich als einzige
linropäerin in der mir ganz fremden
Welt, der chinesischen Sprache nicht
mächtig, ohne Dolmetsch, von keinem
mir bekannten Gesichte umgeben. erst
recht unbehaalich Mit einer seltenen
Graiie jedoch nnd freundlichen Sym
pathiebetundnna traten zwei junge
Prinzessinnen aus mich zu, nahmen
mich schweigend bei der Hand und ge
leiteten mich zu einem schön aeschniücki
ten Speisetisch, wo sie Süßiateiten,
Früchte Und Chamvaqner bereit hiel
ten. Zu wiederholtenmalen erhob sich
an meiner rechten Seite die eine Prin
zisssin man hatte mir den chinesi
schen threnplatz lintg von ihr aeaeben
—— verbenate sich vor mir mit dem
Glase in der Hand und nippte zierlich
von seinem Inhalt. Später ließ sie
mir mit vielen llmständlichteiten im
Namen der Prinzesiin Tschina ans ei
nem besonderen Teller eine chinesilche
Frucht reichen, nnd mit natürlicher
Anmut·l) deutele sie mir nnn an, daß ich
im chinesischen Hause «willlommen«
sei. Als ich verlegen ein paar chinesi
sche Worte des Dante-Z stammelte,
freute sich mein Auditorium so sehr,
daß mir, in spontaner Eingebung,
Prinzessin Tsan aus ihrem Brust
strauße eine Blume schenkte.
Die Theatervorstellung begann, das
heißt, sie hatte eigentlich nie aufgehört,
aber die Unterhaltung im Parterre
nahm ungestört ihren Fortgang. Das
chinesische Theater dauert von friih
morgens bis Mitternacht, ohne Unter
brechung, nnr mit wenigen kurzen
Pausen, fünf bis sechs Wochen alle
Tage, so lange das Fest zu Ehren des
Geburtstagstindes --— in diesem Falle
des siebzigjährigen Prinzen Tschings—
abgehalten wird. Pein-i Tsching. der
kaiserlictse GroßonkeL Präsident des
großen Rathe-s, seinerzeit Minister des
Aeuszern — und auch ietzt noch oberster
Chef dieses Ministerian —- soll sich
im Boxerjahre sehr versöhnlich gezeigt
haben, obgleich er selber zu den Frem
denfeinden gehörte. Jedenfalls ist er
sehr reich.
Wochen hindurch wird der Prinz
während dieser Festzeit von Freunden
»und Besuchern elaaert, hohen Wür
;denträaern, Mandarinen, die auf ein
strägliche Stellen und Vortheile svelu
liren. Vom Morgen bis zur Nacht
sihen sie hier beisammen und wohnen
dem Schauspiele bei. Den Festgeber
kostet diese Gaftfrenndschaft oft viele»
Hunderttausende ——- die Schauspieler
allein erhalten 1000 Taelg (8750) die
Woche —— aber er wird reichlich ent-3
schädigt durch die Geschenke seiner(
Gäste Theils sind es Häuser, Grund
stücke, theils große Summen Geldes-,
theils wundervolleJadevasen, Bronzen,
Juwelen ——— ost Geschenke im Werte
von -000 Taels (822)0) —- die zu-z
sammen die fabelhaste Höhe von etwa
einer Million erreichen.
Als wir zu Ende gespeist hatten,
wurde ich mit vielen Verbeugungen
und artigem Geleit aus die Galerie des
ersten Stockes geführt. Hier nahmen
die Prinzessinnen, drei sehr hübsche,
aber leider zu start geschminlteFrauen,
wie auch Prinzessin Tsan mit mir in
einer Loge Platz. Die Bühne uns ge
genüber, fast im gleichen Niveau mit
dem Zuschauerraunc im Hochparterre,
war ziemlich groß, offen, ohne Vor
hang, mit zwei Thüren, der Eingangs
und Ausgangsthür, die Musit rück
wärts auf der Bühne selbst. Pausen,
Trommeln, Posaunen, Saiteninstru
mente, Tschinellen, die unausgeseszt
spielten oder beim Erscheinen einzelner
Schauspieler in fürchterliche Tasche
zusammentlangen. Da die Schauspie-?
ler beständig in der iindischsten Weise
eins und ausgingen, hörten die ohren
zerreißenden Tusche nie aus. Die chi
nesischen Künstler tragen ihre Lieder
und Worte in hohen Fisteltönen vor.
Diese Fisteltöne sind so sehr in das
Volk, dem das Theater ein Bedürfnisz
ist, übergegangen, daß sogar der letzte
Knli in diesen Fisteltönen seinen mu- :
sitalischen Empfindungen AusdruckJ
gibt. Ein derartiges Gekreische, Ge-"
quietsche, Gelärme, eine solche Fülle
falscher Töne, eine solche unerträgliche
Ermüdung unseres an gute europäi
sche Musit gewohnten Ohres wie hier
habe ich nie erlebt. Jm übrigen erin
nert Spiel, Handlung, die primitive
Art der Jnszenirung, die Weiberrol
len, die von Männern gespielt werden«
der ganze Apparat nnd die häufigen
Massenkiimpfe aus der Bühne, die
Symbolisirung, die Rohheit des
Stoffes und die Unzartheit seiner Be
handlung an die Technik und den Geist
Shatespearescher Stücke in srühester
Zeit -—— nur das-; eben der Götterhauch
des erfinderischen Genies fehlt. Wirt
lich ergötzlich sind die Symbolisirnns
gen -— ein Pferd wird durch Anhän
gung eines Roßschweifes am Rücken
eines Darstellers, der Winter durch
weiße Papierflocken, das Nahen des
Frühlings durch einen Blumenstrauß
angedeutet. Spielt die Handlung in
einer Festung, so erscheint ein kaum
mannshobes papiernes Thor, hinter
dem sich die Vertheidiger oerschanzen.
Der Reiterqeneral kommt niemals ans
ners als im iiberkreuzten Schritt ge
gangen, das heißt er nhmt denPserde
schritt in übertriebener Weise nach;
auch wehen Fähnlein lustig von sei-H
nem Hinterlops; diese bedeuten diet
verschiedenen Truppenkörper, die ers
befehligt. s
Die Bühne isi ebenfalls wie dag!
ganze Haus in eine Lichtwoge seuer-;
rother Farben gtaucht, mit köstlichen,»
ineist rothenTeppichen belegt; künstliche ;
Blutnengirlanden, Papierschlangen s
nndZierrath schlingen sich über ihr bis :
auf den mit rother Seide verhängten
shaldachinartigen Ausbau herab, der in
der Mitte ihres Podiums steht und
dessen Vorhänge sich nach Bedarf heben
und senken. Der ganze Saal, die Lo
gen, die Wände, die Bühne, alles be
ginnt vor meinen Augen plötzlich zu
rieseln und zu leuchten, sercerroth —
darinnen wogt eine ewig wechselnde,
wandelnde, wimmelnde Schaar von
Menschen in goldgestiekten, sarben
prächtigen Gewändern —— alles ver
schinith zu einem glühenden, innfti
schen Bild, das die Nerven leise vibri
ren macht.
Von dein, was aus der Bühne vor
aina, verstand ich nur wenig, doch ge
nun, um aus den Gehalt der Stiiele zu
schlief-»ein Das erste Stück handelte
von einer ziemlich obszönen Assaire.
Die Versiihrerin, ein verlleideter
Mann. der die junge, entzückende, in
wunderschön - zart abgetönte Seiden
lleider gehüllte, graziöse und elegante
Frau lebensalls ein Mann) vom Wege
der Tugend führt, spielte geradezu pat
lend. Ebenso dramatisch vollendet
wußte die »junge Frau« den Kampf
ibrer aus tiefem Weinrausch erwachen
den und sich aus sich ser besinnenden
bethörten llnschuld wiederzugeben, die
den Versiilzrer niit Ekel von sich stößt
und in den Tod geht.
Das zweite Stück war, wenn mög
lich, noch naiver. Nach vielen kriege-—
rischen tobsiichtigen Szenen, denen ein
Mann, sern von derHeimath und seiner
Frau, ausgesetzt ist« lehrt er heim und
will vor allem sehen, ob ihm seineFrau
treu geblieben sei.. Er ist aber alt ge
worden oder hat, ein zweiter Odysseus,
ernen Greisenbart angelegt. Er sin
riet seine Frau bei der Maulbeerernte
-— beschäftigt mit dem Ablesen der
Blätter siir das Seidenraupensutter.
Diese Ernte ist durch einen Korb und
Schwingen eines grünen Papierztveis
ges in der Luft angedeutet. Bei sei
nen Annäherungsoersuchen erhält der
Heimgetehrte von seiner Gattin eine
Maulschelle. was ihn hoch erfreute.
Er setzt sich bei seinen fortgesetzten Zu:
dringlichteiten schließlich der Gefahr
aus, von dem »treuen Weibe«,
das sich den Fremden vom Leib schaf
fen will. erftochen zu werden. Jetzt
kennt sein Glück keine Grenzen mehr;
er offenbart sich der Gattin. Aber die
schöne, junge Frau. vom Betrage ge
tränkt, schmollt nun und verweigert
sich feiner Umartnung, bis es der
Schwiegermutter endlich gelingt, die
beiden wieder zu versöhnen. Alle diese
Leute laufen, urn ihre seelischen Zwei
fel und Erregungen anzudeuten, un
zähligeanl zur einenThiir hinaus und
wieder zur anderen herein! Jm Pu
blikum gibt man kaum acht auf ste.
Die Aufmerksamkeit konzentrirt sich
nur bisweilen auf das Kuplet eines
Lieblitigssängers, der dann loialeWitze
zum Besten gibt und dem eine Kritik
der chinesischen Zustände erlaubt ist.
Trotz dieser kindischenEinzelheiten und
tlnzulanglichkeiten gibt es chinesische
Dramen, die an Kraft und Charakter
zeichnung an dramatischer Gewalt die
meisten unserer modernen europäischen
Theaterprodutte übertreffen, so zum
Beispiel der ins Deutsche überfetzte
»Kreidelreis«, der. von europäischen
Kräften aufgeführt, enropäifch zuge
stutzt, von tiefer Wirkung fein würde.
Mir schwirrten die Sinne unter der
Blumen- und Juwelenlast, als ich aus
dem Getöse und Menschengewiihl, dem
schwiilen Licht, dem Scharfrichterroth,
aus dem siißlichen Opiumrauch und
Theednft, nach unzähligen Knixen, mit
Geschenken beladen. wieder fort Und
nach Haufe kam. Mir war es, als sei
ich einer erstickenden Atmosphäre, einer
Stätte geschminkter Lebensfreuden, ei-·
Evem tollen Mmmnenschanz entronnen.
Jch athmete wieder auf in der natürli
chen Frische meiner eigenen Häng-lich
keit bei dem blühendenChryfanthemen
und Gardenienilor aus meinenFenfter
beeten.
— -——--.-— .--.- ,
f Was einem hefchEftiretfeudm
pafstren rann.
Ein Berliner Reisender der Kleider
stoss-Branche berichtet dem »Consek
tionär« über eine niedliche Ges ichte.
die er kürzlich erlebt hat, wie dFolgts
Jch besuchte seit Jahren eine-n treuen
stunden in Sachsen, bei dem sich wie
von selbst das »Gewohnheitsrecht’« her
ausgeblidet hatte, daß er mit mir je
desmal, bevor wir ans Geschäft gin
gen, in einem benachbarten guten
Weinrestaurant »eine« gute Flasche
trank, und er war nicht nur einFreund
von »Weinroth«, sondern auch von
Rothwein, besonders wenn es aus Ge
schäftsunkosten ging. Am anderen
Tage bekam ich dann regelmäßig mei
nen guten Auftrag. »So ging das
Tour fiir Tour; auch neulich holte ich
ihn Abends, gleich nach meiner An
tnnst an dem betreffenden Platze, zu
unserem obligaten acmiithlichewSchop
pen ab. Diesinal wählte er eine ganz
besonders schwere nnd theure Marte;
ich machte aber gern mit, denn was
thut man nicht alles für seinen Chef
und seine Kun-d«schast. Auch quanti
tativ ging er diesmal über das bisher
übliche Maß hinaus; ich hielt still.
iscnn er schien mir auch beziialich sei
ner Order diesmal besonders »große
Rosinen im Sack« zu haben... Der
Morgen graute schon, als ich ihm beim
Abschied ein ,,W.oshl betomsm’s« zunes
und ihn zum Schluß möglichst beiläu
fig fragte:
»Na, lieber Freund, wann lann ich
Jhnen morgen früh meine Koffer schi
den?« ,
»Dann Se, mein Kntester«, erwi
derte er, ,,d-ies«mal aann ichJhnen aswer
nischt bestellen, ich bin Se nemlich
pleite!«
—--— -.——-—
Der Lehrer hatte über Selbstver
leugnung gesprochen und den morali
schen Wert dessen gepriesen, der diese
Tugend ausübt. »Nun, kann mir einer
von Euch ein Beispiel von Selbstver
leugnnng geben? Du Billy?« — Billm
»Wenn der Kollektor kommt und Po
läßt ihm sagen, er wär’ nicht zu Hau
se.«
Q- If f
Die turzsichtigsten Menschen find
jene, die ihrem Unglück tiefer in die
Augen schauen als ihrem Glück·
I- sl- Ist
Fünfzigiaufend Diebe soll es in
New York geben« die großen selbst
verständlich ausgeschlossen
If sit If
Dem neuen Präsidenten von Haiii
wird große Fertigkeit im Denken
nachgerühmt. Nach den von seinen
Vorgängern gemachten Erfahrungen
würde ihm die Fertigkeit tm Laufen
jedenfalls zutriiglicher fein.