Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 04, 1908, Zweiter Theil, Image 9

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    Jus-man
Nebraska
MStaats« Anzeiger und II set-old
..............................................
ummer 15.
Heimath.
Wem Gott die reckite Gnade giebt,
Den läßt er bei den Seinen,
Denn schöner als der Liebe Glanz
Kann leine Sonne scheinen.
Wenn einsam ich im fremden Land
Gebirg und Wälder sehe,
So siilli sich doch bei aller Pracht
Die Seele mir mit Wehe.
Und rauscht das Meer am Feisen aus,
Und wallt in blauer Ferne, .
So seh’ ich’s seufzend, schau-' empor
Weinend zum Dom der Sterne.
Was soll mir all’ die Herrlichkeii,
Jst mir die Brust zerrissen;
Muß ich den trauten, warmen Druck
Von ihrer Hand vermissen!
Einmann von Eisen.
Von Friedrich o. Oppeln
Broniloivski.
»Die Welt wird immer solider,«.
brummte der Nittmeister und Kiesenw-«
verstand von Meyrinck seinen Nach
bar, einen älteren Oberleutnant, an.
»Sehen Sie nur, was die jungen
Dachse da trinten, Sodatvasser oder
PomriL Es lohnt sich gar nicht mehr,
ein Liebesmahl anzuleyenz getrunken
wird doch nichts, und das Kasino
macht nächstens Banterott. Wenn ich
dense, was in unserer Jugend geleistet
wurdel Und nun!? . . . . Der reine;
Abltinenzlerverein sind wir getoorsp
den!«
»Das macht der stramme Dienst
und der Sport, den es sriiher nichti
gab,« antwortete der Oberleutnant«
der selber zu den Soldaten gehörte»
»Friiher spielte man nach dem Früh-!
itiict nicht Tennis, sondern schlug die
Zeit im Kasino mit Spielen und«
Trinken todt. Jch glaube, wir tän-!
nen uns iiber diesen Wandel nur!
freuen. Ein gutes Theil Geistes- undi
eraft wird heute nicht mehr im(
Altohol ersäuft, londern niiylich be-;
thiitigt. Jst’s nicht ein Segen, wenn(
die Kasinorechnungen kleiner werden»
dieVersiihrung zu Schulden abnimth
Exzesse wie damals sich von selbst ver
bieten, teine Familien mehr unglück-;
lich gemacht werden? Jch habe alsl
junger Osfizier selbst unter dieler Un-»
sitte gelitten und ihr Ende herbeige-;
wünscht; und ich muß gestehen: ich
freue mich, daß die junge Generationj
lo viel niichterner ist, daß sie mehr.
geistige Interessen hat, daß sie demt
Jdeal des gebildeten Distziers, den»
Goethe so bewunderte, merklich näher»
tornmt.·' ;
»Sie reden ja wie eine Verordnung
gegen den Luxus-, Sie Streber!"
itöhnte der Nittmeifter. »Ja, Sie ha
ben Recht: die Armee wird unheim
lich folide! Aber troßdem glaube ich,
daß die alten Kerle trotz ihrer Liebe
zum Altohol mehr Schneid hatten als»
viefe treuzbraven Lämmer, unter de
nen jede Originalität eritictt.«
»Sie dürfen nicht vergessen, Herr
Rittrneister,« wandte der andere ein,
»daß ej gerade eines der größten
Jdeale war, die die Armee je gehabt
hat, ein Mann, der schon heute, bei
feinen Lebzeiten, eine fagenhafte Ge
ftalt ist wie weiland der alte Wun
gel, daß er es war. der den jungen
Nachwuchs zur Nüchternheit erzogen
hat. Man wird ihn einft als Mor
ganifator neben Roon nennen.«
Der Oberleutnant brauchte den Na
men des alten Feldmarfchallo nicht zu
nennen; er war im Heere geläufig.
Um seine Perfon hatte sich schon längst
ein Sagentreis gesponnent wie ein
Kamerad ihn als Stabsoffizier hatte
verhaften wollen, weil er ihn wegen
seiner langen haartolle fiir einen Vor
läufer des hauptnianni von Käpenick
hielt «--— wie er als Kommandirender
streng verboten hatte, daß die Offi
ziersburlchen als Kindermädchen ver
wendet wiirden. und eines Tages, als
- er einem Burfchen mit einem Kinder
wagen begegnete, diesen nach hause
schielte und felbft bei dein Wagen
Poften stand, bis die Ablösung in Ge
ftalt der Kindermagd erfchien oder
wie er als alter General vierzehn
Stunden im Sattel saß und sich von
einem Apfel und einem Glas Milch
nährte u. f. w.
»Es ist wahr-« niate der Rittmeiss
ster, »er war eines unserer besten Ori
ginale, und für fein Talent ebenfo
nüchtern und anspruchslos wie der
alte Moltte oder wie der alte Garben
mit leiner Schalmeifterbrille und lei
ner ftrammen haltung zu Pferde- der
doch einer unserer größten heerfiihrer
ioar. Es t aber auch and-re gegeben.
Die nicht o tolide waren und die doch
was geleistet haben: ich erinnere Sie
s an Sedliy und Blücher, Originale in
Handerer Beziehung, wie mein alter
Onkel zum Beispiel, den auch bei Leb
zeiten schon die Sage umspinni. Er
war keiner er großen Heerfiihrer,
kenn er war 1866 noch zu jung, nnd
siebzig wurde er gleich zu Anfang
beim Sturm auf die Spicherer Höhen
mii einem Unierleibsschuß, einem
Schulterschuß und einem Lungenfchuß
für todt aus dem Feuer getragen.
»Er husiete, spie das helle Lungenblut
auf feine Handfläche und murmelte
»Lungenschuß!« Und als alter Jäger
sagte er sich, daß er geliefert sei
Er ist aber durch seine Bärennatur
doch wieder hochgeiommen und hat es
sogar bis zum Kommandirenden ge
bracht, obwohl er eine Jeuraite ohne
gleichen war. Er kriegte es als Divi
sionskomcnandeur fertig, bei der Be
sichiigung eines Regimenis bis um 6
Uhr friih mit den Offizieren zu tem
peln: dann setzte er sich zu Pferde und
ließ sich zeigen was sie draußen im·
Felde konnten . . . . Er war ein ver
wegener Reiter uno hat es als Oberst
gewagt, aus einem wilden, angeritte
nen Vollblut sein Regiment bei der
Besichtignng vorzustellen, sich mit dem
Pferde zu überschlagen und gleich da
rauf weiterzulommandiren. Er war
ein Mann von Eisen; und hätten wir
einen neuen Krieg gehabt, er hätte
Dinge geleistet, die sich aus solchen
lleinen Zügen nur errathen lassen. Jn
seiner Jugend hieß er der tolle N . . .
Schon damals hatte sich ein Sagen
lreio um ihn gebildet. Einen feiner
großartigsten Streiche will ich Ihnen
erzählen:
Er stand als junger Osfizier in
Potsdatn, als Sohn eines märtifchen
Großgrundbesiyers, der mit dem
hof gute Fühlung hatte. Er hat also
schon als junger Offizier bei Hofe
verkehrt, und zwar in den inkiinlten
Zieleln des Königs Friedrich Wilhelm
lx"., in denen der lunskstnnige König
seine selbstgezeichneten Karilaturen
herumgehen ließ. Solch ein Umgang
erklärt zum Theil feinen iouveränen
Uebermuth Daneben muß man noch
bedenken, was das Leben der damali-:
aen Gardeossiziere war: kein ers
pfender Dienst, sondern ein nob er
Müßiggana, der zu allerlei Passionen
anreizte... Schließlich war er ans
dem tnorrigen mäckischen Jnnteri
stamme, der mit zähen-Wurzeln im
Sau seiner heimathlichen Schalle
haftet, ein Mann von eiserner, alt
preußischensEnergie mit dem Gefühl
einet besonderen Rasse anzugehören
Er hat mir selbst erzählt, wie fein ie
liger Vater noch die Patrimonial
Gerichtsbarteit auf seinem Rittergut
ausgeübt hat. Dergleichen macht stolz
nnd in den strudelköpfigen Jus-send
fahren iibermiithig.«
Ter Rittmeifter hielt einen Augen
blict inne, als tniipfte er selbst in Ge
hinten die Fäden fester, die ihn an
feine martifche Heimatl) banden. Dann
inhr er fort:
,,Tie Heruptpasssion meineö Onkeng
— neben Jeu und Pferde mar, soie
icts schon andeutete. die Jan-, und
zwar nTcht allein die erlaubte Jagd.
sondern auch das Wildern, das dir-I
mais noch etwas höchst Anftändiges
war. Freilich war man Ovon der Kugel
des Försterg ebensowenig sicher wie
lJeute s aber das stvar fiir ihn toohls
ein Reiz mehr! !
ifr milderte also in der wildreichen
Umgebung von Bote-dam, an den
träumerischen Havelseen, die dies
Stückchen Erde inmitten deö 1niieti-:
schen Streits-Indes zu einem der?
schönsten der Welt machen. Sind Sie
;einmal von Wannsee noch Potgdanr;
. rnit dem Dampser gefahren? An all«
den qriinen Wnldhöhen und materi
ischen Inseln und Land-sitzen vorbei,
aus den-n qraue Thürme und helle
Schlösser so heimlich hervorschaueM
haben Zie tnnl den Weg von Moor
late nach der Glienicker Brücke ge
macht, ioo der Blick durch das lsohe
Schilf der Buchten iiber weite, sclssini
mernde Wassersliichen mit weißen
Schlxviinen und Segelbooten schweift?
Haben Sie bei Sonnenunterqan in
Bakelsberg auf der Terrasse gestan
den und die runde Kuppel der Niko
latlirche, das stastenartiae Schloß auf
dem Piinasthera in den goldigen Dust
ragen sehen-.- haben Sie vonePtingst
herg aus die endlose Seentette wie
.aus einer Landlarte ausgebreitet ge
sehen und sich zu Füßen die weiten
Barte und die villenbesetzten Hiinels
und die enge Stadt mit ihren todm,
altmcsdiscten Kirchthiiunen nnd ih
«"reni melodischen Glockenspiet?«
»Aber nun reden Sie in wie ein
Fremdensühreh Herr Mitwirkuka
lachte der Qberleutnant.
»Es ist meine Heimath«, entgennete
der llnterhrochene. »Wei- dao Herz voll
sit-« Sie wissen doch! Außerdem
Wollte i Ihnen nur die schöne Staf
hie schi dern, in der mein Onkel tei
ne Streiche —veriibt... Er war den
Förstern längst als Wilderer bekannt;
sie riefen ihn, zielte-n auf ihm-aber
jedesmal entwischte er ihnen durch ein
Wunder von Uebermuth und Geschick
liähleit und leugnete seine That leel
a .
Eines Tages war ihm wkeder ein
Förster auf der Spur. Er flüchtete
vor ihm nach dem Wasser zu, um sich
im hohen Schilf zu verstecken. Der
Förster rief ihn bei Namen
»Leutnant von N..., stehen Sie
oder ich schieße!«
Ei rief dreimal erfolglos, dann
legte er an und schoß. Die Kugel traf
meinen Ontel am Arm. Was glauben
Sie, was er that? Er lief ums Was-—
ser, verkroch sich im Rohr, und als der
Förster ihm nachstellte, tauchte er wie
eine Wasserente unter . Der För
ster, der ihn suchte, mehr, weil er
fürchtete, ihn ernstlich verletzt zu ha
ben, als um den Wilddieb zu fassen,
fand ihn nirgends. Endlich sehrte er
heim, seines Mann-es sicher: seine
Wunde konnte er doch nicht alsleugnenl
Er ging zum Obersörstm und dieser
erstattet-e sofort Llnzeige nich Berlin
—--- da es sich um einen Ofiizier inn
delte, direkt an das Knbinet des Kö
nias.
Was that mein Ontel inzwischen?
Er troch massertriesend und schwei
ßend wie ein angeschossener Eber
aus sei-nein Versteck hervor, erreichte,
durch die Wälder geschützt, die Lan-d
straße kurz vor der Glienicker Briicke
nnd überlegte gerade, wie er sich am
nnaussälligsten in die Stadt schmutz
aeln könnte. Da erblickte er einen
Leichenroagem der im Trotteltrahe
einen leeren Sara in die Stadt fuhr.
tsr rief den Kutscher an. versprach
ihm eine hohe Belohnung für diese
ungewöhnliche sBesörderungaart tin-d
legte sich an Stelle des Todten in den
Sara. »Der Deckel wurde sest zue
inacht, nnd er passirte nnbexnertt ie
Glienickcr Thorivache . . ..
In Potsoam angelangt, ging er so
sori nach Hause, ließ sich die Schuß
ivnnde sest ·verbinden, wars sich in
seinen Wassenroct, fuhr unverzüglich
nach Berlin-unt ging in die Oper.
Der alte Minia. der sie öfters be
suchte, war aniresend: er bemertte
meinen Ontel nnd nickte ihin zu, als
dieser sich oor ihm verneigte. Dann
fuhr der Wilddieb befriediat nach
stotsdam zuriict
Am nächsten Morgen wurde dem
seönia gemeldet, der Leutnant von N.
sei dies-nat beim Wildern ertappt nnd
anaeschossen worden· Er könne .:lio
endlich bestraft werden!
»Der Leutnant von N.?« sey-nie
der König betroffen. »Der war doch
aestern in Berltn in der Oper. Ich
bitte mir ans, daß Sie mir nicht so!
che falschen, leichtsertiaen Meldnnjen
:1-.achen!«
Damit war mein Onkel gerettet;
die Zache hätte ihm sonst wohl den
lsnnten Kragen aetostet.« . . ..
Der Rittmeister schwieg nnd that
einen kräftigen Zug ans seinem Wein
glase. als brächte er seinem alten On
tel im Geiste einen Hochachtungss
schluck. Dann schloß er, die Hand fest
ans den Tisch legend:
»Solche Kerle bringt unser braves
Geschlecht von heute mit seinem Liino
nadetrinten doch nicht mehr hervor!
Die Originale sterben ausl«
,,Jaivohl,« nickte der Oberleutnant
bewegt. »Ihr Herr Onkel wars-wie
sagten Sie doch? —- ein Mann von
Eisen8«
Panit im Kriege
Uralt ist die Thatsache, daß durch
gewaltige Naturereignisse, deren ge
läufigstes Donner und Blitz ist,
eine Schreckwirtung aus die Men
schen ausgeübt wurde. Die Furcht
vor den Elenientarekeignissen stachelte
die Phantasie, aus der heraus sich die s
Anbetuna solcher Phänomene unter(
ihrer ,llmsormnng zu über-irdischer
Willetisäußerunkr einer persönlichen!
Gottheit ergab. »
Bei den alten Griechen und Rö«
mein, Völkern, die an Kultur und
Ettenntnighöhe schon weiter voran
waren, schus die Phantasie fiir ver
ineintlich geheiinnißvolle Kräste des
sondere Gottheiten, von denen jede
siir die Charakteristita der ihr eigen
tümlichen Macht benainset war. Der
Gott des reinen plötzlichen Schrecken-«
hieß Pan, der in Bockggestalt mit
wilden Sprüngen nnd Geschrei in
Wald und Feld Wanderer nnd ver-«
vergesse Liebespaare ausschrecktr. Von
ihm leitet sich unser heutiges Wort
»Panil« sassunggloser Schreck ad.
Wir gebrauchen diese Bezeichnung
heute aber nur da, wo der Schrecken
Finen Hausen Menschen vzugleich be
allt.
Jeder tennt aus seinem eigenen
Seelenleben Beispiele genug, wo
Furcht ihn start beinsluszte oder es
noch thut. Das Alter, in dem rntt den
-
l
all-ernsten Mitteln große Suggeltivi
wirkungen erzeugt werden können, ist
die Kindheit Das wissen leider auch
alle Ammen und Mütter und erzwin
gen bisweilen von ihren Kindern Ge
horsam mit Schreckgeschichten
Beim Erwachsenen der Land-bevöl
kerung spielen all die unzähligen Ge
schichten von Spuk und Zauberei, in
der Stadt mehr spiritistische Experi
mente eine Rolle in der unberechtig
ten Anwendung von Suggestion Der
Arzt verwendet diese Kraft persönli
chen Einflusses in einer schnlgerechten
Form, als Wart-suggestion oder
Schlafsuggeftion (Hypnose) zur Hei
lung von krankhaften Reizzustiinden
und Entgleisungen des Gebirnlebens,
aber eben nicht in der Weise, daß er
den Schrecken zum Ordner des See
lenlebens herbeirust, sondern im Ge
genteil Selbstbesinnlichkeit und Wil
lenskraft zurückkehren läßt an Stelle
tritilloser Etnpfindungsäußerungen
Wir sehen also, jeder Mensch ist in
gewissem Umfange suggestibeL Und
mag bei dem Einzelindividuum der
Fall ist, das wird durch die Ansamm
lung von Menschen zur Masse nicbt
Laufgehoben, sondern nur qualitativ
Hverschiedern Wir haben zunächst zu
unterscheiden zwischen einer zufällig
zusamtnengewiirselten Menge von
verschiedenem Alter, Geschlecht und
Bildungsgrad unds zwischen einer
zum Verbande geschlossenen Menge
nns gleichgeartetem Geschlecht, gleich
eriogenem Material und von unge
sähr gleicher Altersliöhr.
Das erstere nennt man ,,Psvcholo
gische Menge«, also z. B. die Zu
schauer eines Theaters, Zirlug, oder
die Jnsassen eines Schiffes-. Das
zweite heißt man »organisirte
Menge«, also etwa ein Herrentlub,
eine Studententorporation, ein Bete
ranenverein und als unser besonderer
Betrachtungsgegenstand die Truppe·
Jn beiden Fällen der Ansammlung
von Menschen zur Masse, wobei diese
immer ein bestimmtes Streben hat
(Uteugierde, Reiseziel, politische Agi
DNation Vaterlandsvertheidignng) voll
zieht sich nun ein psychologisches Phä
nomen, das mit ,,Massenseele« be
zeichnes wird. Der ElJtenschenhause
bildet nämlich nicht nur räumlich ge
wissermaßen ein ganzes Neues-, son
dern auch der Gewächs-— und Seelen
zustand der einzelnen verschmilzt in
gewissem Sinne zu einein selbständi
gen Wesen, nämlich der Ultassenseelr.
Das erklärt sich so: Der einzelne
verliert in der Menge das Gefühl fiir
seine eigene Verantwortlichkeit und
priist seine Wahrnehmungen weniger
scharf, er wird zum Heerdenthier, das
sich körperlich und auch seelisch der
Umgebung mehr oder weniger an
schließt, ohne jedesmal selbst präzis
zu urtheilen. Z. B. lönnen in einein
Theater einige Bravorufer einen sres
netischen Applaus der großen Menge-,
die garnicht so sehr begeistert ist, ver
anlassen. Das gleiche finden wir in
politischen Versammlungen und in
erhöhtem Maße da, wo ein Schreck
niotiv, also etwa der Ruf »Feuer«. in
einem Theater eine solche seelische und
räumliche Verwirrung anrichtet« daß
die Bestiirznng Hunderte von Opfern
tostet, auch wenn das Motiv nur
scheinbar ist, d. h. die Wahrnehmung
vom Brennen eine Sinnesillnfion
war. Jeder hatte lontrolloö sich ans
den andern verlassen und war der
gleichen Täuschung erlegen.
Bei der Truppe werden wir Aehn- ;
liches beobachten, doch liegt zwischen
der Truppe als einer organisirten
Menge und der psychologischen Menge ’
ein qualitativer Unterschied vor
bezüglich der Leichtigkeit ihrer Erke
gunggsähigleit. Beideklei Menschen
massen haben einen Zweck und ein
Bestreben, das jeweils dazu beiträgt,
die Menschenseele zn lonstituiren.
Aber die pshchologische Menge schafft
sich eine Massenseele, die mehr Wans
lelmuth zeigt als diejenige der organi
sirten Menge. Die Zuschauer eines
Theaters sind eben in ihrem aeniein
samen Ziel ans Lustbarteit eingestellt
und nur in losem Verbande, wo ge
genseitige Vertrautheit fehlt, so das;
hier ein plötzlich betonter Reiz starker
seelischer llnlust wie das »-,"euer"
gleich eine hinreiszende Sttggestivtvirs
sung nugiibt
Bei der Truppe liegen die Verhält
nisse anders. Hier haben wir nur
qleichaeschlechtiges Ajlenschenmateriah
das einen im wesentlichen gleichhohen
Bildunggtoerth besitzt und aus Grund
lonsormer Ausbildungsreqlenientg
auch über die llnterverbiinde Gib-umg
nie Regiment, wo indiduelle Vers
trautheit untereinander vorliegt) hin
ausgehend, in den Massenverbsnden
CBrigade Armeelorps) vollständig
gleichaerichtetes Zweckebewußtsein hat
und. sofern die Leute im Felde stehen,
kei ihnen eine besondere Einstellung ih«
rer Psyche aus Unlust betonte Reize,
die Gefahr obwaitet. Die Massen
seele, die aus ihrer Gemeinschaft gebo
reu wird, ist demzufolge auch ein we
niger launisches Kind. Aber auch sie
wird leider häufig genug durch einen
plötzlichen Schreckenseindruck gelähmt
und zur topslosen, verderbenbringen
ten Flucht hingerissen durch die bizarr
sten Ereignisse, oft vollständig unge
fährlicher Natur. Die Panit entsteht
bei der Truppe gewöhnlich so, daß
durch ein unerwartete-s Ereigniß, also
ebentuell ein Rückzugötommando im
Vormarsch oder Feuerangrisf im Ritt
ten, erst-einige wenige durch Rufe nnd
Gebärden (Gewehrwegwersen) ihre
Nachbarn ängstlich machen, dann ins
Laufen gerathen unt-Unordnung in die
Reihen bringen« Fernerstehende be
merken, ohne die Ursache zu kennen, die
Störung, Fragen und Antworten,
meist trüaerischer Natur, schwirren hin
und her, dann geräth der rein mechani
sche Druck und das Schieben bis selbst
zu den Entferntesten hin, und ob wil
lig oder nicht, laufen bald alle. Jm
Laufen wächst die Furcht an wie die
Lawine »s- die Vanil ist sertia.
Borherige Niederlagen prädisponi
ten durch seelische Depression, und be
sesnders panitsördernd ist physische Er
schöpfung der Menschen. Ein leerer
Magen, durchfrorene Glieder, schlechte
Betleidung machen schon den nicht von
Gefahren umgebenen Menschen un
sicher und spannungslos. Und schlech
tes Beispiel verdirbt auch hier die Be
sten. Drum sind auch die ersten Aus
reifzer die größten Sünder. Wenn die
Vanik im Ganae ist, hilft auch der
Heldenmuth einzelner und der Führer
nicht mehr, sie werden überrannt und
schließlich selbst so bestürzt, daß sie
tnitlaufen Auch das geistige Niveau
und Rasseneiaenschaften der Truppe
spielen eine Rolle. Jm allgemeinen er
zibt sich, daß Truypen der Völker, die
eine alte raffinirte Kulturstufe anf
tveisen, den brutaleu Kriegsgewalten
nnd Schreckmotiven gegenüber weniger
rviderstandssiihig sind (Rornanen) als
die Völker jüngerer und einfacher-er
Kultur lGermanen, Japaner). Fer
nerhin zeigt sich, daß eine Truppe, die
uber den Operationsplan den großen
Zügen nach aufgeklärt ist, vertrauens
voller den Führern folgt; in vernünf
tiger Aufklärung hat man ein Gegen
gewicht gegen das Auftreten jener net
oösen, den Athern beengenden Span
nung, die aus den Mannschaften zu
liegen pflegt, die wie das Vieh herum-—
geführt werden, im dumpfen Bewußt
sein, daß es da oder dort zur Schlacht
lsant geht. Unter letzteren Verhält
nissen ist die Gefahr der Panik beson
ders itnminent.
Von solchen Beispielen sollen einige
hier Initgetheilt werden, tvie sie sich in
allen Kriegen zu allen Zeiten und bei
den besten nnd schließlich siegreichen
Truppen wieder ereignet haben.
Wenige Tage nach der Niederlage
der Desterreicher bei ziöniggriitz waren
diese auf dem Marsche von feindlicher
diavallerie bedroht und mußten des:
halb bei Rotewitz HG. August 1866)
in diarree Stellung nehmen (Ausstel
lung derAbtheilungen in geschlossenen
Viereck-h die nach allen Seiten feind:
liche Angrisse pariren lönnen). Auf
den Mannschaften lasteten noch die
Abspannung und die niederschmettern
den Eindrücke der Niederlage. Da
plötzlich erdröhnt die Erde, hohe
Staubwolten umhüllen die Ursache
des- donnerartigen Geräiisches, in deni
einc dunkle Masse mit großer Ges
fchwindigteit sich nähert. Kein Zwei
fel! Große seindliche Kavalleriemas
sen reiten da heran. Da halten die
schwachen Gemüther nicht stand, allge
meine Unordnung tritt ein; die Offi
zier: treten zwar in die ersten Reihen
und muntern durch Wort und That
aus. Aber die Ordnung und die De
sensivitelluna löst sich anf. Jetzt ist
jene Masse schon nahe, und siehe da — --
es ist eine Heerde wildgescheuchter
Schweine, bei deren Erkennen die
Leute ihre Fassung wiedergewinnen.
Wären es Feinde gewesen oder solche
aleich hinterher gefolat, so wären die
Oefterreicher ohne Gegenwehr über
rannt worden. Ein geradezu lächer
licher Zwischensall war hier der
Grund einer Panit. Jm zweiten
Falle werden wir sehen, daß die eige
nen Pferde ein solches llngliick veran
laßten
Das Reginient hat gerade einenNach
schub an neuen Pferden und jungen
Mannschasten eingestellt, die ihr-e Ner
ven noch nie im Getöse der Schlacht
erprobt haben. Bei Point du Jour
vrasselt plödlich ein heftiqes Feuer auf
fn nieder. Es wird befohlen, tehrtiu
nsaehen und Deckung zu suchen. Da
setzen sich plötzlich die neuen Reiter in
Galopp, reißen die Standhafteren aus
dem qeordnetenRüctzuae rnit, und bald
nehhs in Karriere aus und davon (1.
Panii). Der Train, der längs der
s
Rüclzugslinie ausgestellt ist, wird auch
vom Schre erfaßt und gesellt sich
im Nu der cht bei (2. Panth. So
saust denn alles durcheinander, rosige
wordene Pferde, Reiter und Wagen,
davon gegen Mars la Tour. Offi
ziere, die sogar mit Säbekhieben die
Flüchtigen aufhalten wollen, vermögen
sie nicht mehr zu bremsen. Erst als
Mensch und Thier der Athem versagt,
kommt es zum Halten.
Jcn russisch-japanischenKriege lagerte
im Juli 1904 das 140. russische Jn
santerie-Regiment bei Haitfchöng Die
Mannschaften waren gut ernährt und
arrch von der Witterung unbelästigt.
15 Werst vor ihnen lagen starke ruf
sische Kräfte. Alle Passe waren beseyh
Vorposten überall ausgestellt, so daß
an die Möglichkeit eines Uebersalles
überhaupt nicht zu denken war. In
der Nacht vom 19. aus den 2()· Juli
erschallen plötzlich einige Schüsse, und
bald daraus stürzen Leute ins Lager
des 140. Negiments ohne Ausriistung
in wilder Flucht und rufen: »Wir sind
überfallen, und alles ist bei uns nieder
gemacht.« So ziemlich die ganze Bri
gade kommt in solch aufgelösiein Zu
stande dahergerannt (Panii). Die
Führer des 140.Regiments hatten ver
standen, ihre Leute rechtzeitig bei Be
sinnung zu erhalten, und so stoppte die
Flucht hier ab. Freilich war nach an
deren Richtungen die Welle der Panik
weiter-gelaufen und hatte noch fernere
Massen in Bewegung gesetzt, selbst bis
zum Oberstkommandirenden Maro
patlin) hin. Auch hier war der Anstoß
zu der ungeheuren Wirkung eine er
schreckende,aber gänzlich berechtigungs
lose Sinnesillusion. Einige Leute
hatten sich im Schutze der Dunkelheit
abseits in ein Feld zurückgezogen, wa
ren da durch irgendein Geräusch in
hilfloser Lage aufgeschreckt worden
und rannten nun mit dem Rufe: »Die
Japaner!« dem Lager zu.
Nachdem die Engländer im Bitten
kriege schlechte Erfahrungen gemacht
hatten, indem sie gegen die weitausein
audergezogenen vorzüglichen Schützen
lmien der Buren in der gleichen Ge
fechtssormation zu kämpfen gezwun
gen waren, wollte der neuernannte
Oberbefehlshaber Lord Methuen, in
der Hoffnung, daß er mit einer starken,
zusammengezogenen Heeresmasse die
Burenlinien durchbrechen werde, am
li. Dezember 1899 in Aufstellung von
96 Gliedern Tiefe die ersehnte günsti
ge Entscheidung herbeiführen. Gene
ral Wauchope, der anführte, hatte nicht
den näthigenAusllärungsdienst organi
sirt, und so wurde gleich beim Aus
marsch noch in der Dunkelheii vier
Uhr Morgens, die Heeresmasse plößlich
von der ,s,-ront starl beschossen Die
Verluste waren zwar gering, aber der
Schrecken so groß, daß im Augenblick
als Wauchope vor der Froni alg einer
der ersten fiel, die ganze Truppe in
lriahnsiuuiger Panil restlos auseinan
derstoli.
Solcher Beispiele finden sich in der
z:riegggeschichtc allenthalben. Die
Möglichkeit des Augbruches von Pani
len ist thatsächlich bei allenHeeren, auch
den glorreichsten, gegeben. Stets ge
lien ihrem Ausdruche bestimmte Ver
liiiltnisse dorauI. Diesen entgegenzu:
arbeiten, ist Sache der niilitiirischen
Führung und Erziehung
Schlagfertigp
Ja In einein Straßenoahnwsa·s
gen in Netv York waren die Passa
giere liirzlich Zeugen eines Auftritts,
in dem eine Dame die Antliigerisi
spielte unsd ohne Zweifel in: Unrecht
war. Schließlich wurde der Kon
dutteur, wie das so oft der Fall ist,
auch grob, und fie, die Dame, verlor
den Rest ihrer Beherrschung. »If
you were iny hus-banod,« sagte sie zu
dem viel älteren Mann, der die Uni
form der Vertehrsgesellfchoft trug,
,,J(’d giye you poifon. . . »New
if J- ioere your husband Madam,
J’d take it,« tam es zuriicl Der alte
lionsdutteur hatte die Lacher auf sei-«
ner Seite, und die Dame stiea an der
nächsten trete aus«
Belolmunq.
Zur Belohnung fiir sein gutes Be
tragen wurde Johnny gestattet, als
seine Eltern eine Gesellschaft gaben,
sich mit zu Tische zu setzen. Er as-,
tapfer darauf los, da er sich mit Un
terhaltung nicht aufzuhalten brauchte,
denn seine Mutter hatte ihm klar ge
macht, daß man artige Kinder wohl
sieht, aber nicht hört. Als aber am
Schlusse des Dessertg eine Pause ein
trat, rief er: ,,Papa, kannst Du ra- s
then. was ich unterm Tisch habe?«
»Nein, mein Sohn«, entaeanete sein
Vater mit nachsichtiger Miene; »was
ist est-W
»Leibschnier«s,en!« schrie Johnny
vergnügt -