Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, October 09, 1908, Zweiter Theil, Image 14

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    , Das Burgfräulein.
Romas von Friedrich Friedrich.
Mino v. Oennederg bltste von ihrer
Stitterei auf und wars anfihre M
einen erstaunten, fragenden M
»Liebe Eva, der Bursche, ein Mensch,
der Kartoffeln gestohlen hat. soll das
Borzimmer betretenik fragte fie: ei
war ihr, als ob der Raum dadurch
entweiht werde.
«Ja!" erwiederte Eva lurz; ihre
unmuthige Stimmung schien durch
diese Frage noch gesteigert zu werden;
»ich, will ihn sehen und selbst urth
ren.«
Mino schiittelte langsam und miß
billigend den Kopf. dennoch erhob sie
sich, als Eva in das Borzimtner schritt
und folgte ihr
Konrad wurde von dem Gärtner in
das Zimmer geführt; feine Wangen
waren bleich, seine Lippen feft ge
schlossen, nur feine Augen blickten
trotzig.
Eva erkannte ihn. sie hatte ihn wie
derholt unter den Arbeitern im Car
ten bemerkt: ein Mensch, dem fte Un
terhalt gewährte, hatte sie also zu he
stehlen verfucht2
Der Gärtner berichtete, daß er end
lich den Dieb der Kartoffeln bei der
i That betroffen habe.
s .Es ist heute das erste Mal, daß
sich es gethan hahe." entgegnete Kon
rad: es wurde ihm schwer, diefe Worte
zu sprechen.
»Er liiatl« versicherte der Gärtner.
»Ich lüge nicht!« sprach Konrad,
und fein Auge traf drohend den
Mann. der ihn fo dreift beschuldigte.
»Solche Menschen sprechen niemals1
die Wahrheit.'· bemertte Mino o..
Henneberg, welche in genügender Crit-s
fernung von Konrad stehen geblieben:
war, um mit ihm nicht in Berührungi
zu kommen.
Eva hatte noch kein Wort gespro
chen, ihre Augen waren seft auf den
Schuldigen gerichtet: der entschlossene
Ausdruck in Konrad’s Gesicht mißsiel
ihr nicht. »Wie heißt der Burfche?«l
fragte sie.
Konrad Käsiner«, gab der Gärt
ner zur Antwort: .er wohnt in dem
kleinen hause jenseits des Dorsei bei
seiner Schwefter, deren Mann der
Wilderer war. welcher vor einem hal
ben Jahre todt im Walde aufgefun
den wurde.'
»Es scheint also eine sehr ehrliche
Familie zu sein," wars Mina mit
spöttischem Tone ein.
Eva überhörte diese Worte. »Wie
oft bast Du Kartoffeln aus meinem
Garten geholt?« want-te sie sich sea
gend an Konrad.
»Es ist heute das erste Mal. gnädi
ges Fräulein,' gab der Gesragte zur
Antwort.
.Sprich die Wahrheit,« fuhr Eva
mit ernstem Tone sort. si
»Ich spreche sie!«
»Liebe Eva. wie lannsi Du an den
Menschen so viele Worte verschwen
den?« bemerkte Mina v. henneberg;
«laß ihn dem Gerichte überliesern!«
Eva schüttelte unwillig. ablehnend
mit dem Konse; sie bedurfte den Rath
der alten Dame nicht.
Sie blickte Konrad ernsi an; lollte
er dennoch dir Wahrheit gesprochen
haben?
.Was hat Dich zu der That getrie
ben? Kannst Du nicht arbeiten?«
wandte sich Eva aufs Neue an Kon
rad.
Der Gesragte stand schweigend da;
man sah ihm an. daß er mit sich
kämpfte, denn seine Lippen zuckten
leise. »Ich habe gearbeitet,« gab er
endlich zur Antwort; «Jch habe all’
meine Kräfte angestrengt, um mehr
zu verdienen, ich habe dasselbe geleistet,
was die Männer leisten, und habe
dennoch nur den halben Lohn em
pfangen; als ich verlangte, was ich
verdient hatte, wurde ich aui der Ar
beit geschickt.« »
,Jch habe ihm gegeben, was anderes
Burschen seines Alters betommen.«j
bemerkte der Gärtner; »als er mehr’
zu ertrosen suchte, hat-sich ihn fort
gelchicktz er taugt ebenso wenig, wie
s der Mann seiner Schwester.
! Konrad glaubte in Eva’s Gesicht
seinen Zug des Mitleides zu entdecken.
L »Ich wollte die Kartoffeln nicht für
,mich holen, sondern fiir meine kranke
’Schwefter und deren Kinder,' sprach
er mit leife zitternder Stimme; »wir
haben nichts mehr zum Leben —- die
Kinder weinen vor hunger —- ich
konnte es nicht länger ertragen.«
»Diese Menschen klagen immer über
hunger!« bemerkte Mino kalt.
»Gebt dem Burschen eine Tracht
Prügel und laßt ihn laufen,« sprach
Eva kurz und wollte in ihr Zimmer
zurückkehren.
Konrad war bei diesen Worten zu
fammengezuckt; »ich lasse mich nicht
prügeln!" rief er.
Eva wandte fich zuriiekz diese halb
ängstlich, halb trofig gesprochenen
Worte erbitterten sie; sie hatte Milde
gegen den Burschen zu üben geglaubt
und er wagte, sich ihrem Befehl zu
widerfezen! Jhr Auge leuchtete auf.
»Du läßt Dich nicht schlagen, wenn
ich et befehle?« rief fie.
»Nein, denn Sie haben kein Recht,
mich prii eln zu lassen!«
Das lut ftieg in die Wangen
Gran »ich werde Dir zeigen,« rief
fie, »daß ich ein Recht habet Führt ihn
fort in den Garten, und dort, roo er
die Kartoffeln entwenbet hat« dort be
straft ihn!'
Der Gärtner erfaßte Konrad ant
Irae und zerrte ihn heraus. Der
Vefehl der herein wurde vollführt;
- alj die Männer den-atmen jungen
Menschen alsdann zum Garten hin
ausitießem war ei ihm, als ob er
nicht lange leben lönnez er suchte nach
einer Waffe, ohne sie zu finden. Eine
unsagbare Erbitterung eriiillte ihn.
Auf einem Stein am Wege ließ er
sich nieder und finstreGednnlen ichs-s
sen durch seinen Kopf hin; mit leeren
händen sollte er zurückkehren, die
Oeffnung feiner Schwester täuschen!
Wie wenig hätte fiir die reiche Guts
herrin dazu gehört. all’ feiner Noth
-niit einem Male ein Ende zu machen.
,
Endlich sprang er auf, um heim
zukehren. da Barbara ihn erwartete;
er fürchtete. Menschen zu begegnen
und eilte wieder auf einem Umwege
um das Dorf. Als er vor der ärm
lichen hätte anlangte· zögerte er, ein-i
zutreten: was sollte er seiner Schwe
ster erwiedern, wenn sie ihn fragte«
wo er gewesen fei, weshalb er mit
leeren Händen zurückkehre?
Ermattet, leise trat er endlich ein«
feine Hand zitterte, als er die Thiir
öffnete; die beiden Kinder hatten sich
hinter dem Ofen ein Lager bereitet
und fchliesenx Barbara sasz aufrecht
auf ihrem Lager und blickte ihm fra
gend entgegen.
»Du bist lange fortgeblieben Kon
rad!« sprach sie
Er vermochte nicht zii antworten,
und wenn er in diesem Augenblicke
mit einein einzigen Worte sein Leben
hätte erlaufen können, so wäre er nicht
im Stande gewesen, es hervorzubrin
gen. Starr blickte sein Auge vor sich
hin.
»Du lommst leer zurück.' fuhr Bar
bara fort; »ich sehe es Dir an, Du
hast auf das Mitleid Anderer gehofft
--— ich hoffe nicht mehr darauf. Nur
wer die Noth lennen gelernt hat. weiß.
wie wehe sie thut! Wenn ich das
Lager verlassen könnte, so wiirde ich
zu der Gutsherrin gehen. sie ist reich
und jung und schön, ihr herz lann
nicht fo hart sein. Länger vermochte
Konrad sich nicht zu halten, die Brust
wiirde ihm zersprangen fein· »Ich
bin dort gewesen!" ries er, »und sie —
sie hat mich priigeln lassen!«
Er warf sich vor dem Lager der
Schwester nieder, driickte das Gesicht
in das Kissen und weinte heftig, es
war die einzige Linderung, welche ihm
zu Theil wurde.
Beruhigend strich Barbara ihm mit
der hand iiber den Kopf hin, dann er
zählte er der Schwester Alles, was er
gethan hatte und was ihm widerfah
ren war. Barbara zitterte vor Erre
gung; ihretwegen hatte er gelitten und
sie begriff seine Schmerzen, weil sie
feinen raschen und trogigen Sinn
lannte: sie verbarg jedoch, war in ihr
vorging und lachte ihn zu beruhigen.
»Fasse Dich, Konrad,« sprach sie. »Dir
ist Unrecht geschehen. allein Du theilst
dasselbe Loos mit vielen Tausenden.«
»Ja. ich will mich fassen!' rief
Konrad aufspringend: »ich will nach
Kraft und Selbftftöndigteit ringen,
uni mich an.denen zu rächen, welche
inir diese Schmach zugefügt haben!«
Die Entschlossenheit und Fettig
teit, welche aus seinen Augen leuchtete,
ging iiber sein iugendliched Alter hin
aus. Die Armuth macht freilich friis
her selbstständig denn schon zeitig
spannt sie die Kräfte an und fiihrt fie
in den Kampf mit deni Leben. Mö
gen viele junge Lrtiste in diesem
Kampfe untergehen, weil sie noch zu
schwach sind; Diejenigen, welche ihn
überwinden, werden jene arbeit- und
wettetgesiiihlten Männer, deren Muth
und Arm selten mehr er-lahmt.
Sie gleichen dn Bäumen auf der
Kappe eines Berges. Diese sind nicht
so üppig gewachsen, als ihre Brüder in
dem fruchtbaren Tbalgrunde, allein sie
sind fester und Fähn- Der Sturm
beugt sie, vermag sie jedoch nicht zu
brechen, denn von Jugend auf sind sie
vom Winde geschüttelt und haben sich
an ihm abgehörtet. Jn die Fugen der
Felsen haben sie fest ihre Wurzeln kin
geschlagen und eher müßte der Fels
sich lösen, ehe die Wurzeln nachgeben.
Wie sie den Stürmen troßen, so
ertragen sie die glühendsten Strahlen
der Sonne. Sie sind nicht verwöhnt,
ein schwacher Nachttbau reicht aus«
ihr Leben zu friften, sie bedürfen nicht
mehr und doch stehen sie frisch und
lustig da.
Das Morgenroth sendet ihnen seine
ersten Strahlen, und wenn Abends
ihre Brüder längst im dämmernden
Schatten ruhen, wiegen sie sich noch in
dem goidigen Abendsonnenscheinr.
Früh am folgenden Morgen verließ
Konrad das Vani, um Arbeit zu su
chen; erst am Nachmittage lehrte er
zurück. Mit unsagbarer Angst er
wartete ihn Bart-arm denn die Kinder
weinten vor hunger. Konrad's Ge
sicht leuchtete, als er in’i Zimmer
trat: unter dem Arme trug er ein
prod, in der hand hielt er einen
Ton mit Milch.
»Hier!« rief er. indem er Beides der I
Schwester reichte; »heute komme ich:
nicht mit leerer Band und ich hoffe,
daß von fest ab die Noth beendet ist.«
Oarbara blickte ihn nicht ohne se
sorgniß an, ihre band c erte, das
Dargebotene zunehmen. « oher hast;
Du Dien« fragte fie.
»Du darfst es dreisi nehmen, ei isi
ehrlich erworben!« rief Konrad; »ich
habc Arbeit gefunden und auf meine
sitten sogar einen tleinen Vorschuß
bekommen«
I
»Da hast Du die Arbeit gesundeni«
fragte Varbarm
·Bei dem Fremden. der sich auf der
Dochehene ungetauft hat; großartige
Arbeiten lässt et dort ausftihren und er
braucht hunderte von Armen. n
sind viele Arbeiter dort beschäftigt, um
den Wald auszureden und Wege an
zulegen; in den Berg wird ein tiefer
Schacht gegraben, um Eisenerz zu ges
winnen, seit wenigen Wochen ist dort
so viel ausgewählt worden« daß man
die Gegend kaum ertennt.« «
»Und dorthin sollst Du jeden Mor-»
gen gehen und an jedem Schende zus;
rücktehren?« warf Barhara ein.
«Ja.' gab Konrad zur Antwort.
»Die Entfernung beträgt fast zwei
"Stunden!" hemertte die Kranke he
sorgt
(Fortseyung folgt.)
op
Ote Stadt der steuer-.
Weite hohe Himmel mit flattern-’
den weißen Wolken. weite sil
bergraue Fernen mit den hoch
aethiirmten Massen im Dunst ver
schwimmender StadtvierteL lange und
breite von dichten Kastanien schwer he
schattete Boulevard3, auf denen selten
ein Wagen fährt; hinter hohenMauern
verboraene alte Paris von Klöstern
und hosvitiilerm tleine verwitterte
Lufthiiuschen aus verflossenen Jahr
hunderten und rauchgeschwärzte düste
re Kästen großer Fahriten mit hohen
Schornsteinem das ist dat;I Gesammt
bild der füdlichen Viertel von Paris,
die selten der Fusz eines Fremden he
tritt.
Var uns breitet sich ein weiter »
ariiner Bauplah, in dem bereits die
Züge neuer Straßen abgesteckt sind,
neben der alten Remise lintj vor ans
steten ein paar anstanairie Onznis
busse varsintsluthiichen Madells, itlcer
und über oerrastet und verfault« bis zu
den Achsen in den Lehmlsoden einge
sunlen, hinten am Horizont erhebt sich
die Silhauette der Montag-te Sainte
Genevissve mit der hohen Ruppel des
Panthean und dem schlanten Glocken
thurm von Saint Etienne du Mont,
nnd wie eine Erinnerung an ferneLön
der verschwimmt in sernem Dunst die
silberweiße Steintupbel des Sauf-:
Coeur vom Montmartre. Mit den
schnellsten dreivserdiaen Ornnibussen
brauchte man mindestens zwei Stun:
den, iiber die Seine. durch die wim
melnden Viertel deiZentrumz um
dort hinüberzutornmem aber die Leute,
die hier wohnen, sind seit 20 Jahren
sticht mehr aus dem Mantmartee gewe
en.
Wir folger- einem Detachentent Ka
lanialinsanterie, das seiner Kaserne
aus einer der Bastionen der siidlichen
Stadtumtvalluna mit mildem Schritt
gumarschirt Da ändert sich vlöylich
as Bildt-er Stille Boulevard hat uns
aus die Avenue d’Jtalie gesiihrt, einer
der großen Straßenziigr. die am hotel
de Bille beginnen, iiber die Seine und
die Titss hinweg in die Vorstadt Gen
tillh führen, und wenn man von da
tüchtig weiter-geht nat-h Fantainebleau,
nach Marseille, Ventimiglia und Tu
rin. Da rollen die Lastwagen hin und
her. eine dichte Menge eilt straßaui,
straszab, aus den Schenken tönen die
Phanagraphen, die großen, weißen
Trarnbahnen tlingeln. die Automobile
tuten und die Arbeiterirauen priisen
bieWaaren, die dieVertäuser der billi
gen Basare aus der Straße ausgebrei
tet haben.. Und darüber Sonne, blauer
dirnmel und das diinne Laub der vie
Avenue säumenben Ulmen.
Wir sind mitten im Arbeiteroiertel,
das hier ein Lächeln zu haben scheint«
wie es anderen Stadien abgeht. Ziel
los schlendern wir unseres Weges fürs
baß. Doch der Blick in die Seitenstra
sren der großen itlvenue ist weiaer hei
ter: enge wintlige Straßen mit alten
schmutzigen verwitterten Hänsern
Große rathe und blaueLaternen tragen
die Inschrift Hotel und halbabaeblais
terte rathe u. schtvarzeBuchitahenthei
len uns mit, dass wir uns dem Grantn
Hotel du Perigord gegenüber befinden.
Jn diesen Seitenstrafzen haust eine bö
se Gesellschaft. Nachts um 1 Uhr oder
2 Uhr dürfte das Spazierengehen auf
diesen Avenuen nicht gerade sehr emp
fehlensmertb fein. Did Kasseetellner,
die spät Nachts in ihre entlegenenWob
nungen zurückkehren, wissen ein Leid
von nächtlichen Ueberfiillen zu singen.
Die Viertel des Südend gehören neben
denen oon St. Orten und Belleville zu
den aesiihrlichsten von Paris. Auch seit
der Einführung der Polizeipatrouillen
zu Rad hat sich wenig daran geändert.
Die «Apaches« fühlen sich in den vor
gerückteren Abendstunden als herren
in ihrem StabtoierteL
Aus der uns gegenüberliegenden
Seite der Straße schleichen ein paar
seltsame zerlumpte Gestalten einher;—er
in einem zu weiten, zerfetten schmuc
starrenden, ausgefeansten Paletot, ein
paar zerlucnpte durchlöcherte Dosen
fallen iiber ein paar ausgetretene Stie
fel, ausderen Löchern der nackte Fuß
hervorschaut, sie in einem ähnlich zer
lnmpten Kosriim, mit einem set-muti
gen Kopftuch nm die wirren dürftigen
haarstriihnen und das seit Wochen
nicht gewaschene Gesicht. Sie geftitus
» liren lebhaft und stoßen rauhe Worte
hervor, ihre Stimmen hat der Altohol
niedrigster Sorte rauh gemacht, der
auch von ihrem Gesicht leuchtet. Den s
Säcke-i auf dem Rücken nach zu ur
theilen sind es Lumpensamrnler.
’ Wir folgen ihnen bis an die Jortisii
lationen, wo eine lange Reihe von Wa
gen und Automobilen der Oliroiabser
tignng harrt. Der Blick weitet sich,
links und rechts das breite griine Band
« von Unsinn-um Graben und Glorie
Olus dem griinenstasen M Mlle sites
allerlei brave Bürgerisrauen mit ibren
Kindern, weniger vertrauenertvrckende
Liebespiirebem Aus der Ferne schim
mert der harte Farbensleet einer ar
beitslosen biauleinenen Maschinisiens
bosr. Gegenüber zunächst aus dein
Glacis eine seltsame Laubenkolonie,
dann die häuser von Geniin und die
langgezogene Masse des hospitali von
Lief-tre.
Die beiden Lumpensammler biegen
links in die Laubenlolonie ein und wir
können der Versuchung nicht widerste
ben, ihnen zu solgen. Sie durchschreii
ten zunächst eine ausgedörrte.bersiaub
te Wiese, aus der ein paar alte Kiepper
weiden. Diese ausgebungertern abge
rackerten Thiere sind ein sürchterlicbrr
Anblick, der aus das Kommende vorbe
reitet: Da steht ein alter Gaul und
sonnt sich. Er blickt siier vor sich bin,
,er vergißt zu fressen. seine ties ausge
böblten Flanlen zittern in unrubiger
und leuchender Atbtnung. Von Zeit zu
! Zeit scheinen seine matten FiiZe zu
ssammenzuknacken Die andern Mep
»per und Schindmähren weiden gleich
t gültig aus dem diirren Nasen.
T Wir betreten zuerst einen Komblex
von Wanderlarren, allerhand armseli
aes landsabrendes Gesindel bat bier
sein Lager aufgeschlagen, daran reibt
sich ein wahres Stadtbiertel von nie
drigen, aus Brettern und Dachpappe
zusammengeslickten elenden Hiittem in
denen diese Allerelendesten hausen, die
die Großstadt ausgespieen hat. Ei
wingmelt von Menschen: schmußige
Frauen. unter denen das mittlere. ge
sunde Alter zu seblen scheint, vorn
Altobol abgestumpitr. toibita rende
Männer: mit ein paar-Fetzen notbi urs
tig bekleidete Kinder, die uns erstaunt
betrachten. Durch die ossenstebenden
Thüren und-Fenster seben wir die aus
ein paar vermoberten Betten, Blech
biichsen und zerbrochenem Geschirr be
stehende Einrichtung,neben der die noch
unsortirten Saite mit llnrnth und
Lumpen ausgehäust sind. Daztvischen
Hunde. Rasen und Hühner. von denen
allen man nicht toeisz. ob sie als Haus
sreunde oder als zutiinstiges Schlacht
vieh gehalten werden. Vor den Hüt
ten ein tleiner freier Plan aus dem
Tische und Vönte stehen, von sorgsam
;,ezoaenem wildem Wein umranlt,diee
Fleckchen im Schatten iit der einzige
um so grausamer wirkende Luxus, den
sich diese Elenden der Elenden gestat
ten. Aus dem Tisch eine schmutzig:
Flasche mit einem siircbterlicben blau
rotben Wein und einige unfaubere ge
sprungene Gläser. «
Alle drei aber vier »Dauser« tornmt
eine richtige Schenke, wo dieser Krätzer
verkauft wird. Sie wird nie leer, im
mer kommen neue Gäste, Männer und
Frauen, die in diesem giftigsten aller
Altohole den Rausch suchen, der sie ein
paar Stunden weiter bringt. Aus
Schritt und Tritt begegnen uns balb
blsdsmnige, vom Alls-bot verthierte
Weiber nnd Männer. Jn einer ande
ren Budite werden allerhand Lebens
mittel, unheimliche Würfte und andere
Fleischgemengsel verkauft. die man sei
nem Hunde nur mit Zaudern anbieten
würde. Dort ist auch der beimliche
Tabativerschleiß, in dem man da
Kraut taust, das die »Dir-gotterg«
tagt-über in Gestalt von Zt aretten
und Zigarrenstumrnel aus den - errat
sen der Casfss gesammelt haben. iiir
das im übri en jede Nacht um zwei
Uhr eine Börse aus der Place Maubert
abgehalten wird. So reibt sich hätte
an hätte, Laube an Laube, eine inge
niöse Familie bat sich sogar in einem
alten Automobil häuslich eingerichtet.
dessen melancholisch geplatzte Pneumas
tits allmählich von Wind und Wetter
zerfressen werden. « —
Die Bewohner dieser Stadt des
Elends machen der Polizei wenig zu
schaffen. Selten verirrt sich ein Ver
brecher unter sie, sie sind mit weniaen
Ausnahmen Luntpensanunler, die dzsz
Nachts die vor den Stil-seen aufgestell
ten Aschentiisten nach nngedobenen
Schönen durchsuchen. Dazu tornrnen
allerhand »vieux misärablek Bettler,
Ziaarrenstuntrnelsamntler und Son
nenbriider. die sich den Lilien auf dem
Felde gleich von einer gütiaen Vor
sehung versorgen lassen.
Ferner das lKontingent der Krüppel
und Dredorgelrnänner. die in den
Straßen die öffentliche Mildtbiitigleit
entstehen- Unter den Straßenrnusitans
ten sind die Jtaliener besonders start
vertreten, die zkleIheile der Stadt bet
telnd durchziehen und mit besonderer
Geschicklichkeit ihre elenden und zer
lurnpten Kinder aus den Bettel aus
schicken
Alles intGrunde barmloleLeute, die
niemandem etwas zu leide thun und
die dern Geseye höchstens die passive
Resistenz der Gleichgültigteit gegen
überstellen. Sie vegetiren dahin, ver
ilorntnen und sterben. wie die alten
«Gäule, die aus dern Glaeiö weideten,
snarnenloi, lang- und tlanglos ver
« isiephtninden sie, tein Mensch sragt nach
nen
Stumm schritten wir ln der Abend
sonne durch das lustige Treiben der
Avcnnen nach haufe. Unser Besuch
in der Stadt der Elenden hatte uns zu
denken gegeben.
Ameritanilche Goldmtnen also wa
ren es, in denen der srithere diinische
Justizmintster Albert dte Gelder der
Kopenhagener BattersAujsuhvGeselli
schast etngebuttert hat
s I O
LDe S wli t it « ,
siedet-de sZrakrdreeekrch im M M
(1. FortsesangJ
Schnell eilte er dern kleinen Haufe
ff, in welchem die Kartoffeln lagen.
in diese Zeit war ja Niemand im
Garten, und unbemerkt tonnke er fein
Wben ausführen. Haftig raffre
er den mitgebrachten kleinen Sack voll
Kartoffeln, er warf ihn aus die-Schul
ter and verließ mit ihm da- tteine
Haus. Schon shatte er die Thiir des
selben erreicht, als ihn eine kräftige
band an der Brust erfaßte.
»Ah, da habe ich endlich den Kar
iaffeldieh!« rief eine Stimme —- es
war die ides Gärtners.
Erschrocken stand Konrad still, das
Sirt «Dieb« hallte laut in seinen
Ohren wieder, erst in diesem Augen-;
Ecke wurde er sich deutlich hemnßH
IS er gethan hatte. ’
wLassen Sie mich los!« hat er mit
its-Inder Stimme; .es ist das erste
al, daß ich hierher gekommen hin
—-die Not-h hat mich dazu getrieben!
— hier haben Sie die Kartoffeln zu
rücks
«Das erste Mal, du Lügner!« rief
det Gärtner, indem er ihn heftig
Mutte; seit länger als acht Tagen
haft Du uns an jedem Abende bestob
less . deshalb habe ich heute aufge
t."
»Es ist heute das erste Mal!« s prach
Konrad, »ich hin lein Lügner.«
·Still, du frecher Bursche!" unter
brach ihn der Gärtner; aglaubst du,
ich kenne dich nicht? Den Tagelohn
eines Mannes verlangen und des
Abends Kartoffeln stehlen, das ist
ach deinem Sinne! Jetzt habe ich
dich bei der That betroffen, und im
Gefängnisse werden sie dich schon zah
mer nnd bescheidener ma l«
.Jm Gefängnisse!« wiederholte
Konrad; das eine Wort drängte alles
Blut in seine Brust; er zitterte. »Ver
geben Sie mitl« fuhr er fort: »es ist
M erfte Mal, daß ich mich an frem
denr Eigenthum vergreife, und es soll
such das lehte Mal fein; lassen Sie
sich los.«
.Iiicht fiir zwanzig Thaler!« ries
der Gärtner; »glaubft du, ich habe be
reits vergessen wie troßig du heute
M mich gewesen bist?«
Verzweiflung erfaßte den Burschen;
er dachte an seine irante Schwester;
Denn er in das Gefängniß gebracht
seitde, dann war sie ganz verlassen.
Dieser Gedanke beschäftigte ihn noch
mehr, als der der Schmach; es durfte
sticht dahin kommen.
Alle Kräfte zufammenraffend, suchte
er sich aus den Händen de- Gärtners
zu befreien, um zu fliehen; es war
vergebens, seine Kraft war der des
Mannes nicht gewachsen der obenein
noch einen Knecht zur Hälse ries.
«Laßt mich freil« wiederholte Kon
rad noch ein Mal mit bebender
Stimme; «es ist das erste Mal gewe
sen und mich hat die Noth dazu ge
trieben!«
Es wurde ihm dies Geständniß
schwer, denn bisher hatte er immer zu
verbergen gesucht, wie elend es seiner
Schwester und ihm ging.
»Schon für die Lüge sollst du
biißen!« ries der Gärtner. »Glaubsts
du« wir haben nicht bemerkt, daß jeden
Morgen Kartoffeln schlen? Du muß
teft daß sie hier lagen, und daß dies
Haus nicht verschlossen wird. «
Vergebens versicherte Konrad, daß
es das erste Mal sei, er fand keinen
Stauden Der Gärtner grollte ihm,
weil et ihm troßig gegenüber getreten
Ink, und freute sich jeßt, sich an ihm
rächen zu können.
Konrad wurde in das Herrschaft-Is
Ins zu der jungen Gutsherrin ge
hrtz er folgte ohne Widerstreben er
würde auch gesolgt sein, wenn er selbst
Just Tode geführt worden wäre. Es
Uar ihm, als oh er taum noch zu den
ten vermöge, so wiist und schwer war
ists der Kaps; die Rechte hielt er aus
die statt gepreßt, welche vor Schmerz
— ierspringen drohte.
Eva o. hannstein saß in ihrem
Zimmer: sie hatte gelesen, das Buch
jedoch ärgerlich bei Seite gelegtÅbenn
es langweilte sie; unruhig schritt sie
in dem Zimmer, dessen Boden mit
weichen Teppichen bedeckt wor, aus und
ab. Sie mochte höchstens zwanzig
Jahre zählen,’ eine große, schlanke,
shereaschend schöne Gestalt, in deren
ganzer haltung sich Selbstbewußtsein
und Stolz aussprach
Es fehlte den Zügen ihres schönen
Cestchts nicht an Weichheit, dieselbe
wurde jedoch zum Theil wieder ver
Otseht durch den übermüthigen, beseh
- senden Mit ihrer großen dunklen Au
. Wenn sie lachte· zuckte wohl um
Mund ein halb schelmisches und
» lh spöttisches Lächeln, in diesem
nyenhlicke jedoch sah ihr Gesichk fast
sinßet see-.
Ins dem Dis-an an dem kleinen
rundes Tische saß noeh eine ältere
Deme, ' Taute, Fräulein Mino
son penne g, ein Wesen welches
Ists seine ganze Erscheinung dem
M des echten Tantenthums
Sie war groß und schlank
Os.
z M M es dttrr nannten; aus
ihrem schmalen Gesichte trat eine
lange und spise Nase hervor, die
Wangen waren eingefallen und hatten
jene eigenthiimliche Farbe, von der
sich nicht behaupten ließ, oh sie mehr
gelh oder mehr grau sei. Das ganze
Gesicht wurde dan langen schwarzen
Locken eingerahmt« welche an beiden
Schlitten herabhingen und trotz des
Alters der Dame eine wunderbare
Schwärze sich bewahrt hatten: sie wa
ren freilich von jeher falsch gewesen«
darin beruhte das ganze Räthsrl ihrer
Dauerhaftigieit. Die großen Augen
der alten Jungfer hatten noch immer
einen ausfallenden Glanz. der wirklich
natiirlich war und ihren Stolz bil
dete, denn sie erzählte aus ihrer Ju
aendzeit von diesem Glanze wunder
bare Effekte.
Wie weit diese Jugendzeit zurück
«lag. war schwer zu entrathen. und
Hseldst Eva war darüber nicht aufge
klärt, da ihre Tante diese Frage mit
einem undurchdringlichen Geheimnisse
umgab. Sie war alt. befand sich aber
jeft in drrn glücklichen Stadium der
Conservirung, denn in den letzten zehn
Jahren war sie eigentlich nicht älter
geworden. Fast sämmtliche Herren
schätzten fe auf sitnfundsechzigJahte
während iefenigen, welche milder
über sie dachten, behaupteten. diese
Schösung sei um siins bis sechs Jahre
zu hoch.
Man v. Henneberg hatte in ihrem"
Wesen etwas sehr Steises und Stol
zes: sie war sich bewußt, aus einer
alten, adeligen Familie zu stammen,
die leidet das Unglück gehabt hatt-»
liingst verarrnt zu sein. Auch Mina
war arm und nur der Stolz ihrer
Ahnen war ihr geblieben. Sie suchte
deshalb in ihrer Person die Würde
des alten Abels und zugleich ein Bild
echter und zarter Weiblichteit darzu
stellen. welche sür sich nicht ohne schwa
che Nerven denkbar war. Trotzdem
besaß sie ein kaltes, vertnöchertes herz,
in welches nur seiten ein Gefühl des
Mitleids hineindrang. Dies zeigte sie
am Deutlichsten gegen alle unter ihr
Stehenden: sie hielt ei unter ihrer
Würde, mit einem bürgerlichen Men
schen Mitleid zu empfinden; Arbeiter
und Arme galten in ihren Augen
taum als Menschen.
Von dieser Tante, die aus der einen
Seite ein taltes, mitleidsloseö herz
besaß, aus der anderen Seite fort
während iiber ihre außerordentlich
empfindsamen Nerven klagte, und in
ihrer Zimperlichteit so weit ging, dasz
sie es für ungeziernend fand, einen
männlichen Kanarienvogel in ihrem
Zimmer zu halten — von dieser
Tante und von einem V er, der ein
kräftiger, lehenslustiger, übermüthiger
und stolzer Mann gewesen war, war
Eva, welche ihre Mutter sehr sriih
verloren hatte, erzogen. Jhr Vater,
Jder nun auch bereits seit zwei Jahren
todt war, hatte sie sast wie einen Jun
1 gen behandelt, da ihm ein Sohn nicht
beschieden war, und die Tante hatte
alles ausgeboten, urn in dem heran
wachsenden Mädchen einen stolzen
Sinn auszubilden. Nie hatte sie mit
Kindern, welche unter ihr standen,
spielen dürfen, und schon sriih war
sie von ihrer Tante gewöhnt, aus die
Armen rnit Verachtun herabzublickenx
was Armuth war, haste sie nie tennen
gelernt, denn nie war der Faß des
Burgsriiuleins über die Schwelle eines
Armen getreten.
So war das weibliche Gefühl ins
Ecks Brust gewaltsam zurückgedrängt
·Friihe war sie selbstständige Herrin
der großen Besitzung geworden und
ihre Neiguna zum Befehlen noch mehr
dadurch ausgebildet: sie liebte es, ib
ren Willen durchzusehen und tonnte
mit zähem Eigensinn und Tros dar
aus bestehen, selbst wenn eine ruhigere
Ueberlegung ihr sagte, daß sie Unrech
tes verlange. Bis jetzt hatte das
lLeben sie stets nur mit Glück umge
L ben, noch war nichts an sie herange-!
»treten, welches sie ausforderte, sichl
lselbsi zu ertennen und zu prüfen.l
EReich, selbstständig, schön, freie Her
ein ihres Willens, umschwärmt dont
herren, welche nur allzusehr bemühts
waren, jede ihrer Launen gutzuheiszenl
und durchzusiihrenx mehr sehien ihrk
das Leben nicht bieten zu können.
Sie schritt noch unmuthig und ge
1 langte-eilt im Zimmer aus und ab, als
der Diener eintrat und meldete, daß
der Gärtner aus dem hausslur mit
einem jungen Burschen harre, den er
beim Entwenden von Kartoffeln be
troffen habe.
; Es schien ihe lieb zu sein, einen Ge
· aenstand und eine Gelegenheit gefun
den zu haben, um ihrer unwilligen
lStienmung Lust zu schaffen. Ei
Mirde sie vollkommen gleichgültig ge
» lassen haben, wenn sie tausend Thaler
» verloren hätte: daß Jemand gegen ih
ren Willen ihren Garten zu betreten
«wgte, erbitterte sie.
j .Er soll den Burschen in das Vor
zimmer sührenl« befahl sie dem Die
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