Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 06, 1907, Sweiter Theil., Image 5

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    Nebraska
Staats-Anzeiger und Il«cerold.
Jahrgang 26.
—
Grand Island, Nebr» 6. Dezember lf9f07. CZWeitEr Thffeilq
Nummer 15.
Erinnerung.
Von Dom. Wanderer.
Aus der holden Jugendzeit
Tönt ein Lied mit süßen Klängen
Sanft wie Mutter Jnnigteit,
Fromm, als ob es Engel sängen.
Einmal, einmal möcht’ i nur «
Wiedervm als Kind ni- fühlen,
Und daheim aus geliner Flur
Mit den andern Kindern spielen.
Einmal mächt’ ich noch als Kind
Meiner Mutter Märchen lauschen,
Laie-schen wie im Abendwinlv
. rner Heimath Wälder rauschen.
Und dann möcht’ ich einmal blos
Meinen Kopr noch schmeichelnd
MU s
«-Jn der treuen Mutter Schooß,
Bitten sie mn ihren Segen.
Meine Suse·
Die Geschichte West-Fliege. Von Karl
’ sites-en
Leutnant Helmer lag in seiner lah
len Kasernendude aus einer nicht eden
sehr weichen Lonngr.
Er dachte nach. —- ,
Wenn Leutnant Helmer nachdachte,
wollte er nicht gestört sein. Das
wußten seine Kameraden, das wußten
die Qrdonnanzen und das wußte s«ein
Bursche, der vieledle Bernhard.
Diesem Bernhard trug aus der rech
ten Wange ein großes Feuermal, was
denn zu dem geistvollen Witz veran
laßt hatte, ihn Ordners Bunds-edi
nre'« zu nennen.
Wenn Hans Jochen Helmer nach
dachte. hatte Bernhard in der Tat die
Funttion eines treuen Bernhardiners
zn übernehmen: er mußte wachen, d. h.
er stand oder lag vor der Laune-nis
itube und sorgte, daß niemand seinem
Herrn zu nahe lam.
Die Mannschasten schlichen iider die
Korridore, Vizewachttneister Wonnig
lich halte seinen Säbel hoch, Frau
Wachtrneistere Seidenpinscher zog
seine Krallen ein. falls er am Leut
nantsauartier vorbeitappte, — kurz:
der Karridor der zweiten Schwadron
glich in seiner Ruhe einem Friedhof,
Sobald Bernhard machte nnd Herr
Leutnant Helmer dachte. — —- So
auch heute.
Nur Leutnant von Hennig trällerte
lustig ein Reitetliedchen und trat an
seines Freundes Thür; »aber wie ein
bissiger Köter schoß Bernhard aus
gerrn von Hennig los, und aller
rdnnna zum Trotz flüsterte er ener
gisch: «Bst, Herr Leutnant. nicht sin
gen! Herr Leutnant Helrner denkt
wirks« --.. .
»Ah —- — so! —- Na, dann halten
wir eben unser hochadeliaes Mäulchen
nnd kommen ein andermal wiedert«
Er stieg aus den Zehen davon.
Hans Jochen war heute in einer
Stimmung, die alles andere als rosig
bezeichnet werden tann, und es war»
Herrn von Hennigs Glück, daß er dems
treuen »Bernhardiner« Ordre varierte.J
Hans Jochen überdachte zunächst die
dienstliche Lage seines Daseins-. —- Die
war nicht schlecht.
Bei den Kameraden beliebt, von sei
nen Vorgesetzten geachtet und von den
Mannschasten geliebt —- na, das war
so ziemlich wonniglich. Aber —- —
aber —- — die oeluniäre Seite seiner
Existean — — Hans Jochens Stirn
bekam trauie Falten.
Seine Lage-war schief, sehr schiest
Das verhehlte er sich nicht einen Au
genblick. Die iiins Jahre, die er nun
den bunten Roct getragen. waren nichts
als ein stetes Kämpfen gewesen, ein
Balgen mit Rechnungen und Gläubi
aern.
Sein Vater, ein hoher Gerichtsbe
amter. war längst gestorben, und von
der schmalen Pension der Mutter
konnte er so ut wie nichts erhalten,
und so war fein reicher, aber geiziger
Onlel Kranse sein einziges Hoffnungs
licht gewesen. -— Auch das war nun ers
loschen; denn vor drei Wochen hatte
sich Herr Krause von dieser Welt ver
abschiedet und ihm nichts hinter-lassen
als ein altes —- Bild, ein Jaadstiick in
einsachster Ausführung. Heute war
es angekommen, und Bernhard hatte
es im Zimmer ausgethgi. '
Hans Jochens Kameraden swaren
empört iiber Herrn Krauses Unthat
und fanden Helrners Pietiit zum min
desten Mangel-tacht —
Hans Jochen war noch nicht zu Ende
mit Nachdeniem ietit kam erst der
schwerere Theil: Wie soll ich nun
meine vierhundert Thaler Schulden
aus der Welt schafssenit
snnunte es durch das Zimmer, tntensiv
und gleichmäßig.
ans Jochen horchte aus. —- Da,
wie er das Summen! —- -- Unglaub
«
llichl Die gesammie Schroadron er
tarrte in Stummheit, wenn er nach
Edenkt —- und so ein ganz infamiges
iFliegenthier erlaubt sich, zu summen
»und auch noch in seiner unmittelbaren
Nähe.
! ,,Rube!« schrie Hans Jochen.
! Das Summen schwoll an.
’ »Oui« Maul!« —- —
Das Summen erhob sich zu posau
nenhaiter Größe. —- —
, »Bist du elendes Vieh denn ganz
oerriiclt2« schrie Leutnant helmer in
Ihöchsten Zorneötönem Mit blitzarti
Sein Griff packte er seinen rothen
ederpantoffel und» llirr —-— tlirr
; ————irach —
j »Herr Leutnant, was ibt’S ?«——-—
sDes treuen Bernhards checkiger Kopf
; zwängie sich durch die Thürspalte
; »Schaf! — -— Siebit du nicht daß
lich mit icherm Wurf das Erbbheil
« meiner äter ers etterteii —- —
’Menich, du gebet so ort drei Tage ab,
drei Tage in die Lade, wenndumir
nicht augenblicklich diese miseradle
Fliege arreiierst und mir zur Bestra
fung voriiihrst Aber lriimrne ihr lein
Haar, Menichs denn ich will eine
fürchterliche Strase entdecken: sie soll
in dem Kaiser eriausen, den du mir
vorhin servirt hasti«
»Herr Leutnant?« —- —
,,Aus!! —- -— Los, auf die Jagd!«
Und Bernhard ging auf die Jagd:
bald hockte er auf dem Ofen, bald auf
»dem Kleiderfchranl —- und das Flie
genthier brummte vergnügt dazu. —
Wiihrenddessen untersuchte Hans Jo
chen das Wert feiner Zerstörung Die
Glasicheibe des Bilch war vollständig
zersplitteir, einiae der spitzen Scherben
hattenloaar das Bild selbst durch
bohrt, und wie Hang Joche-n die Glas
lplitter recht vorsichtig herausziehen
wollte, zerriß das ganze Bild, und aus
seinem Innern quellen, wie von un
sichtbarer Hand geschoben drei —- vier
—- fiinsv und immer mehr große· blaue
Kassenscheine hervor. —
Starren Blicks und mit zitternder
Hand hielt Hans Jochen das lostbare
,Biin-del. O- «
i »Deö Onlels Schatzlammer!« flü
sterte er — —- Jn diesem Augenblick
ziubelie Bernhard vom Kleiderfchranl
jlyerunter »Ich habse, Herr Leutenant,
»ich bat-sel« —- —
,,Driiel’ sie nicht, Mensch. driick sie
nicht!'· sagte Hans Jochen slehend. Er
’barg die Banlnoten hastig in seiner
Tasche und nahm dann seinem Bur
schen den Brummer vorsichtig wie ein
Kleinod aus der Hand.
»Du gutes Mäheh du gutes liebes
Ding! Komm, ich will dich hegen nnd
pflegen, meine aute, liebe Suse! — —
Er nahm eine sigarettenschachtel, stach
etliche Löcher in den Deckel, streute eine
Prise Zucker in das Jnnere und sverrte
dann vorsichtig das arretirte Fliegen
thier hinein.
»Verzeiht, meine liebe Suse, daß ich
dich in so elenden Pappliifia stecke!
Heute abend sollst du einen Palast aus
purem Silber haben.« —
Bernhard sah bleich und mit schlot
terndenKnieen dem Gebahren seines
Herrn zu und schlich dann verstörten
Angesichts hinaus. —- Soeben trat
Leutnant von Hennig an die Tür.
»Nun, viellieber Bernhard, ist dein
Herr und Meister setzt zu sprechen?«
»Herr Leutnant, gehen Sie nicht
rein. -— Jch gloobe. bei Herrn Leut
nant Helmet isi’s hier oben nicht ganz
richtig.« Er zeigte an die Stirn.
»Quatschlopp!'· —- —
Herr v. Henning klinkte. Die Thiir
blieb verschlossen.
»Ganz Jochen?!« —- —
»Entschuldige mich bitte, Willn!
Ich. habe nothwendig etwas zu er edi-»
gen. « I
»Du machst mir doch teine Damm-.
heiten, aus die du etwa durch deint
Nachdenken gekommen bist?!« »
«Unsinn! Jch habe mich mein Leb
tag noch nicht so wohl gefühlt, wie
heute!« —
,,Na, dann viel Plaisir!« —
»Dante. — Willst du vielleicht mal.
die Freundlichteit besitzen, die Kame
raden iheute Abend in meinem Namen .
ins sia no zu bitten, zu einem Löffel
Suvpe und nen Schluck Weint«
»Aber wie kommst du denn dazu?'«
»Ertliirung solgt heute abend. Also
aeh' nur
Zwei Stunden später stand Hans
Jochen im ersten Juwelierladen der
Stadt und erstand eine kleine, massivi
silberne Kastette Jn den Deckel ließ
er zwdls Löcher bohren und· dann
schritt er äußerst gut gelaunt zur Ka
sernr.
Ein Mann seiner Schwadron stand
Posten und salutirte.
»Der Griss war gut, Meinig! —
boten Sie sich nach Ablösung aus
Wache einen Thalert«———Wie des
wackern Ulanen Antlih strahlte! —
————— Jn seinem Zimmer
quartierte hani Jochen zunächst die
'—-—".-..-».-«.—..«- .-...— --.-..-.- — —- — -.«..,..
Fliege, die sich anscheinend sehr wvh
befand und veranliglich brummte, auss
der Zigarettenschachtel in die silbernef
Kassettr. 4
»So, meine Suse, das wird dein;
Heim, du hast es ehrlich verdient!« ——i
Am Abend versammelten sich die
jungen Herren des Ofsizierslorps im
Kasino. »
Man aß, man teanl -.- und wußtej
nicht, welchem Zufall man diese Gess
inilsse zu verdanken hatte.
, »Geduld —- Kinder, Geduld!« ver
sieöstete Hans Jochen die Allzustiirmi
schen, die ihn immer und immer wieder
Janzavften
l Endlich erbob er lich.
»Werthe Kameraden!«
,,Bravo!!« —- ——— —
, »Bitte ausreden lassen! — Wer-the
JKarneradenl Seit heute bin ich ein
.anderer Mensch; denn seit heute habei
»ich Geld! —- Jch habe seit heute keine
»Schulden mehr. Ich bin seit heute
imstande, Jhnen das ,,Krauseessen«
mit Zinsen zu bieten. Kurz:. Ich bin
-gliicklich. Und das alles verdanke ich
I —- meiner Suse!«
»Ah — —- ah — — !«
»Halt Helmers Braut!«
»Ist sie hübsch?«
»Aus guter Familie?«
»Wann ist Verlobung?«
Von allen Seiten erschollen solche
:und ähnliche Zurufr.
Hans Jochen lächelte verschmitzt
»Er-haben Sie, daß ich Jhnen
meine Suse schildern Sie hat große,
- braune Augen«
»Gut -— gut, ganz mein Fall!" flö
tete der kleine Hagen.
»Sie hat Fäßchen, —- so llein —
Sie baben leine Ahnung —- —!«'
»Und lann doch aus großem Fuße
leben!« warf Leutnant von Hüttig ein.
. Hans Jochen nickte nur und fuhr
:fort: .
i »Meine Suse hat —- sechs Beine,
iviere zum Laufen und zweie zum
;Brenisen!«
J Alles joblte und schrie.
l «Seine Braut ist ein Jnsekt!«
- »Ehe elende Mißgeburtl«
»Bitte. bitte, meine Herren! —
Meine Suse bat nette Flügel und kann
wunderschön brummen!«
Er winkte Bernhard und dieser
tbrachte aus einem Tal-lett die silberne
:Kasiette.
« »Es-eben Sie, meine Herren, in die
sem Käfig steclt meine Suse!«
« Man wars mit Biersilzen und Sekt
.ltöpseln nach Suses Domizil und
machte allen möglichen Ulk dazu, bis
sich Hans Jochen das ernstlich verbot.
»Meine Herren, Sie sind undank
bar und pietäilos. Lassen Sie sich die
Geschichte meiner Suse erzählen, und
Sie werden mich verstehen!«
Und er erzählte, wie er am Nachmit
tag nachgedacht, wie ihn die Fliege ge
stört und er seinen Pantoffel nach ihr
geworfen Wie er das von Onlel
Krause geerbte Bild verwundet und
aus der Wunde diese·große Menge
Geldes gekommen sei. —-’ »Und nun,
meine Herren, entscheiden Sie: Wem
babe ich in letzter Linie meinen Besitz
—- Hind Sie dieses Liebesmahl zu dan
ten «
Man erhob sich von den Plätzen nnd
einstimmig ertönte es: »Der Fliege!
der Susel"
I
Leutnant Helmers Sufe stand nun
in hohem Ansehen im Regiment. Jn
ten Räumen der zweiten Schwadron
wagte niemand mehr eine Fliege zu
tödten. Man konnte doch nichtwissen,
ob das Opfer nicht Herrn Lentnants
Sule sei, die vielleicht eine Promenade
durch die Mannfchaftsstuben unter
nommen hatte.
Die Geschichte mit Hans Jochens
Sufe hatte noch einen anderen Erfolgs
die Offiziersbutschen erzählten wenig
stens davon
»Mein Leutnant hat gestern alle al
ten Bilder —- —!«
»Meiner auch!«
,,Meiner auch!«
»Meiner nacht« s
Alle Leutnants hatten eben —-— nun!
was? Sie hatten alle alten Bilder
untersucht, ob nicht auch in Staub und
Spinnenweben ein Bündel Bantnoten
den hunderijiihrigen Schlaf.fchlum
mere und seiner Erlösung harre.
Ueber den Erfolg der Bilder-stürm
rei wußten leider die Burschen nichts
zu sagen.
Das war im Mai 1870.
O L f
Drei Monate später. ——— Am Ar
dennenwalde in Frankreich loderte
Wachtfeuer an Wachtfeuer. Um einen
der brennenden Holzstöße hatten sich
die Ofiiziere des X. Ulanenregiments
versammelt.
»Nun, Hang Jochen, was wird deine
Suse zu Hause machen?« fragte Herr
von nnig. Js
« eine Suselt — die macht zu
Hause gar nichts; denn die habe ich
mitl« —
»Du bist verrückt, Kerl!«
,,Danle verbindlichst! —- Aber Suse
ist mein Talisrnanz sie hat mir Glück
gebracht! Warum sollt ich sie nicht
. mitnehmen?!«
Er zog unter seiner Feldbinde eine
It!eine, silberne Schachtel mit etlichen
Löchern hervor und blickte liebevoll
- hinein.
Da gab es stillen Alam. Jm Nlu
saßen die Schwadronen zu Pferde.
« Die Treffen wurden geordnet, und wie
ein Ungewitter stob es den Föhrenberg
hinab! Das war ein grausig schönes
Bild: Das Jagen und Hasten und
Stürzen, das Aufbäumen der getroffe
nen Rosse, und die Musik dazu —— das
Knattern der Chasfepotsl
Hans Jochen war seiner Schwadron
weit voran· Sein Bollblut griff mäch
tig aus. Er schwang, auffauchzend
vor Kampfeslust, seinen Pallasch im
Kreise.
Da traf ihn ein furchtbarer Stoß
an den Leib und dann fuhr es ihm wie
mit glühender Hand an der Hüfte ent
lang. Einen Augenblick benahm es
ihm den Athem under slnickte zusam
men. Er drohte vom Pferde zu stür
zen --—— und hinter ihm brauste don
nernd die Masse seiner Reiter.
Da faßte eine nervige Faust in die
Zügel sein-es Pier-des riß das Thier
beiseite und in wenigen Minuten wa
ren sie außer Bereich der Brigade.
Der treue Bernhard hatte seinen
Herrn gerettet. Er bettete ihn auf den
Rasen, öffnete ihm die Halsbinde,
stellte seine Feldflasche neben den Ver
wundeten und stob dann seiner Schwa
dron wieder nach.
S s F
Als Hans Jochen aus seiner Ohn
macht erwachte, lag er in einem flie
genden Lazarcth. Der Oberarzt trat
auf ihn zu.
»Na, Herr Leutnant, ich gratuliere!
Ein kleiner Streifschuß. Jn acht Ta
pen können Sie wieder zu Roß. Aber
wenn Sie nicht zufällig die silberne
Streichbolzschachtel im Gurt gehabt
hätten —- au toeih!! Ein llnterleibs
schuß, prima! Noch ein .,Vater un
ser« und dann: Fahr wohl, du schöne
Welt! —- ceben Sie, so hat die Kugel
Die silberne Schachtel zerwijrgt!« —
Der Lberarzt nahm aus seiner Tasche
einen silbernen Klumpen und reichte
ihn dem Verwundeten.
Hans Jochen blickte lange und feuch
ten Auges auf die Schachtel, dann
sagte er leise: »Meine Suse«. «
Globetrotter.
Wenn behauptet wird, in unseren
Tagen sei ein Seume over Gerstäcker
einfach undentbar und unmöglich, so
ist dies nur relativ wahr. Andere
Zeiten, andere Voraussetzungen an
dere Erfahrungen, der Kern derSnche
bleibt aber im Prinzip stets derselbe.
Er wechselt nur fein Kleid, seine Um
hijllung. Heute spaziert man nicht
mehr nach Syratus, dafür reist man
mittelst Anto von Peling nach Paris-.
Das hauptsächlichste Unterscheidungs
mertmal zwischen diesen zwei Ereig
nissen liegt jedoch darin, daß Seume
als Globetrotter auszog, die Welt len
nen zu lernen, während PrinzBorghese
schon bei Antritt seiner Reise eine ganz
bestimmte, feststehende und unabänder
liche Route im Auge hatte, die als
solche der Zweck der Reise war.
Wer viel in der Welt herumreist und
weit herumlocnmt, mag ein vortreff
licher Reisender sein, braucht aber noch
lange nicht denGlobetrottern zugezählt
zu werden. Dazu fehlt ihm vielleicht
die allerwichtigste Voraussetzung —
und das sei vorweg als ipringender
Punkt des Ganzen betont —, der in
nere Trieb zu reisen, die innere, un
stillbare und nie einzudämntende Ge
walt, die den Menschen von Ort zu
Ort jagt und durch die weite Welt
treibt. Jm gewöhnlichen Leben sagt
man, solche Menschen haben kein Sitz
fleisch, sie halten es nirgends lange aus
und man rechnet es ihnen als argen
nnd groben Fehler an. Die Wissen
schaft zeigt uns aber, daß wir es in
solchen Fällen sehr oft mit krankhaften
Anlagen sthun haben, mit gewissen
atanistischen Merkmalen, mit ererbten
Zeichen einer Degeneration oder aber
mit start ausgeprägten Symptomen
einer nach einer ganz bestimmten Rich
tung dirigirensden Geistesanlage nnd
Entwicklung Der Hang und Drang,
durch die Welt zu schwärmen, braucht
nicht einem einzelnen Individuum
allein iigen zu sein, ein ganzes Volk,
eine ganze Rasse kann ihm unterwor
fen sein. Es sei nur auf gewisse Völ
rerschaften Asiens, Afritas und nicht
zuletzt die Wanderzigeuner hingewie
sen, die sicherlich ausgemachte Globe
trotter sind.
Der Turiner Gelehrte Lombroso
und dessen eifrigsterSchüler Cav.Ferri,
Staatsanwalt in Como, haben sich mit
dieser Frage sehr eingehend befaßi.
Ferri hat sogar den Wandertrieb der
Kinder studirt unsd seine Erfahrun
gen im Kapitel Landstreichende Kinder
niedergelegt. Für Lombroso ist das
Globetrotterthum eineSa e der Ner
ven« — eine psychische Störung, und
er führt für diese Ansicht eine ganze
Reihe historischer Beispiele an. Jn die-·
ser seltsamen Liste finden wir merk
würdiger Weise die besten Namen —
Namen großer, berühmter Männer,
Namen der Genialen.
Es wäre aber doch gewiß etwas
Fürchterliches, wenn jeder, der viel her
umreist, ohne daß er hierzu durch sei
nen Beruf gezwungen wäre, gleich als
verrückt angesehen werden sollte. An
derseits kann man auch nicht zwischen
der Eigenthümlichskeit, Art und dem
Wesen eines Volkes und dem indivi
duellen Gehoben eines Einzelnen Ver
gleiche ziehen und daraus Schlüsse
lonstruiren, die unter allen Umstän
den verbindlich sind. Anderseits muß
aber zugestanden werden und den
Worldtrottern nachgerühmt werden,
daß in ihrem Gehaben etwas Artisti
sches und Bezwingendes ist, denn sie
schöpfen aus ihrem Globetrotterthuim
reiche Schätze, die Gemeingut der Welt
werden. Das Reisen ist bei ihnen auf
ein weit höheres Niveau gestellt, als es
unsereiner vielleicht begreifen würde.
Vor etwa zehn Jahren traf ich- durch
Zufall in London einen jungen Reichs
deutschen, der viel von seinen Reisen in
Südamerila zu erzählen wußte. Durch
seine Papiere konnte er leicht beweisen,
daß er all die Plätze, die er anführte,
auch that-süchlich besucht hatte. Als ich
nach einigen Wochen von ihm Abschied
nahm und ihm mein nächstes Reiseziel
nannte, rief er mir auf dem Bahnhofe
noch ein »Wiedersehen in St. Peters
burg« zn. Jn der russischen Haupt
stadt traf ich ihn freilich nicht, dafür
begegnete ich ihm aber nach etlichen
Jahren in Charbin. Er ,,bummelte«
aerade in Asien herum. Aus seinem
Passe konnte ich sofort-ersehen, daß er
mich thatsiichlich inPetersdurg gesucht
hatte, von dort war er mir nach Mos
kau, Warschau, wieder zurück nach
Moskau, Nischni-Nowgorod, Perm
und schließlich nach Sibirien nachge
eilt· Nun wollte er hier bleiben und sich
für Australien »vorbereiten«, denn
diesen Erdtheil kannte er noch nicht.
Seine Verhältnisse gestatteten ihm die
sses Globetrotterthum er war ganz
unaoyangig harre genugenso wetd und
brauchte nach keinem Menschen zu fra
gen. Er verfolgte den einzigen Zweck,
die Welt und die Menschen kennen zu
lernen — besonders dieMenschen, denn
die studirt man nie aus So sprach ein
junger Mann von 25 bis 26 Jahren
Ich wollte wissen, ob ihn vielleicht eine
,,ungliickliche Liebe« — in seinem Alter
wohl das Nächstliegende —- durch die
Welt jage, er lachte dazu und meinte
gelas sen: »Ich weiß ganz genau, daß
die erste Liebe die letzte und die letzte
Liebe die erste ist —- bei dieser bin ich
aber noch nicht angelangt.«
Jn einem sind uns die Globetrotter
unter allen Umständen weit über: i
! der Kunst des Reisens. Gar so einfach
. ist diese Kunst nicht« denn wir müssen
« eben einen Unterschied zwischen der ge
wollten und der uns aufgezwungenen
Reise machen, einerlei, ob die aufge
zwungene thatsächlich einem fremden
Willen entspringt oder aus einer Reihe
von Umständen, die den Zwang wohl
start mildern, ihn jedoch keineswegs so
aufheben, daß man von absoluter Wil
lensfreiheit sprechen kann. Hierher sind
sicherlich auch die Bade- und Erho
lungsreisen zu rechnen, wie überhaupt
Talle jene, die schon bei Antritt der
-Reise ein bestimmtes Ziel im Auge
haben. Dieses feststehende Ziel fehlt,
wie wiederholt betont, beim World
trotter völlig, oder aber es ist zumin
dest so stark variabel, daß man es nicht
ernstlich in Betracht ziehen kann.
Während meines mehrjährigen Auf
enthalts in Hamburg lernte ich einen
Mann kennen, der infolge vielen und
sehr starken Rauchens sich einen Bron
chialtatarrh zugezogen hatte. Da er
uber genügende Mittel verfügte, be
schlon er, dem-Rathe desArzteszusoL
gen und eine längere Seereise zu ma
chen. Er kaufte sich ein Billett fiir den
nächstfälligen Dampfer nach Nethort,
reiste ab; kaum war er jedoch in New
York angekommen, kaum hatte er den
amerikanischen Boden betreten, löste er
sich ein Billett fiir den am nächstenTag
schon abgehenden Dampfer einer eng
lischen Linie und fuhr nach London.
Er hatte in New York kaum achtzehn
Stunden zugebracht. Jn London an
gelangt, bestieg er ein Themseschiff und
dampfte nach Hamburg zurück.
Diese ihm im gewissen Sinne
doch aufgezwungene Reise hatte etne
merkwürdige Wandlung in ihm voll
bracht. Er war ein ganz Anderer geLZEH
worden, hielt es in Hamburg nich-»Es
mehr aus, ordnete eines Tages sein-E
Angelegenheiten und ging auf und daf?
von. Jn der ersten Zeit ließ er hie un ;
da von sich hören — ich erhielt Lebens-:
zeichen aus Frankreich, Italien, vix-;
Corfu, aus Griechenland, dann wiean
aus Stockholm, Rotterdam, schließlicst
sogar aus Argentinien, Chile —- uns;
dann blieb er verschollen. Jch wei»i
nicht, ob er noch unter den Lebendegfs
weilt, ist dies der Fall, dann kriecht essk
sicherlich irgendwo in Ländern heran-Eis
die gar nicht auf der Landkartc zu sink
den sind. IF
Ein eigenes Kapitel gebührt liess-?
Vertretern unserer lieben halbwiichssxj
gen Jugend, die sich durch schaudetfskf
hafte Abenteuerlektüre in den Wandetjki
trieb frtnltch hinein-hypnotsisirt. WIT
ost haben wir es schon erlebt, daß soläjz
ein Knirps sich mit dem Küchenmesstkr
der Mutter ausrüstete und nun in d«s
Welt zieht, um mit den Rot-hhäuten isii
Texas zu leben und zu kämpfen. Dis
oben citirte Staatsanwalt Ferri htng
eine ganze Reihe solcher Fälle gesansz
melt und genau rsegsistrir-t, und EIT
kommt zu dem etwas abenteuerlichrfz
Schlusse, darin die Merkmale nativistkkii
schenNomadenthuims zuerbliclen. DIE-;
empfängliche und leicht zu erhitzen-T
Phantasie der Jungen ist nicht staf?
genug, die plötzlich losbrechende, brkli
den Vorfahren ererbte Beeinflussunxk
den ,,inneren Trieb« einzudiimmerft
sondern muß dem imGegsentheil fo
gen. - -
Aber das Nosmadsenthum der ViilkA "
war eineNaturnothwenIdiigteiL um a»
die großen und erschütternden Evoltk
tionen vorzubereiten uan zum Thtf
auch durchzuführen, denen wir unse«
heutige gesammte Kultur verdanke
Was hier Großes und Mächtiges
leistet wurde, das spiegelt sich nun i
Globetrotterthum wieder.
Oskar Heller.
Fabelauslegung.
Einst improvisirte Voltaire in ein
Gesellschaft bei Friedrich dem Groß«
eine Fabel, deren Nutzanwendung is
Anwesenden selbst errathen solliefks
Ein Mann reiste in Gesellschaft seiträ
drei Söhne und wurde im Wah.
plötzlich durch die Kugel eines im G
biisch ihn auflauirnden Meuchelmiis
ders niedergeschossen. Die Söhne H
hen den Mörder ihres Vaters dis-«
Weite suchen. Der älteste Sohn eiZV
:ihm nach und streckte ihn zu Bo
der zweite wirft sich neben des Vate;
Körper nieder und sucht seine Wun;
zu verbinden Der dritte Sohn ab
—- fällt in Ohnmacht Welcher vi
den drei Söhnen —- so lautete Be
taires Frage — liebte seinen Vater ck «-:.·k
meisten? Die Anwesenden entschied-P
sich bald für den einen, bald für di
anderen, bis endlich Voltaire erklärt-T
»Sie liebten ihn alle gleich. Nur I .
Stände, welchen sie angehörten, hatt1
Einfluß auf die verschiedenen Aeufsz
rungen ihrer Liebe. Der älteste Ses
war nämlich Soldat, daher lag il
nichts näher, a s daß er die That r
chen wollte. Der zweite war ein Af;
weshalb er naturgemäß die Wunde
verbinden suchte; und endlich
dritte, der in Ohnmacht fiel« — , , »
ein Federheld Jhres Schlages, mk
Freundl« fiel Friedrich der Große di«
Schalk ins Wort und hatte alle Laä
mit dieser Aeufzerung auf seiner Seh
— F
Die älteste Orgel der Welt. K
Der schwedi sche Historiker Henk
berg alaubt in einein kleinen D
der Insel Gotlansd die Ueberbleilx
der ältesten bekannten Orgel gefs
den zu haben. In der Haupt-suche
Zwar nur das Oiehäusse der Orgel
ha lten, dis im Laufe der Zeiten .,"
einem klieliauienschrein umgiewanhikgj
wund-es ,; aber man sieht noch
Lsocher, durch die die RegisterziigeZ
traten, und man erkennt auch
ganz deutlich den Ort des Bill;
werks Das Instrument stam
wie man annimmt, aus dem Ansä
des H Jahrhunderts
rks
Erfüllte Prophezeiuna Z
,,Haben Sie gehört, Herr Pro
sor, Jhr ehemaliger Schüler Hin F
ist bei dem jüngsten Schifssunigerks
unigelommen?« Gj
Professor: »Ja, der hat im
chischen immer sehr schlecht entsyi
chen; ich habe ihm deshalb schon ,
der Schule prophezeit, daß er derei,
Schiffbruch leiden werde!« »
Vorschlag zur Güte.
Goldmanm »Gewiß, Herr
Raden, mein Mäsdel können Sie q»
haben -—- aber Geld gibts erst—
meinem Tode!« ksp
Freier: ,,·Wollen mär’s nicht ten-:
lehrt mache«n, Herr Gelt-manni« sp·