Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 16, 1907, Sweiter Theil., Image 5

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    Nebraska
Staats-AUGUST Und J«cerold’
Jahrgang 27.
Grund Island, Nebr» 16. August 1907. (Zweiter ThciU
s i
Nummer 51. sz
Waldes-zauber.
Wie hält mich wundersam umfangen
Des Waldes stiller Zauberbann,
Erquickend weht um Stirn und Wan
gen
Sein tühler Friedenshauch mich an.
f
i
Mag fern des Lebens Brandung tosen,
Mich lockt sie nicht — ich bin geseit —,
Umrantt von Farn und wilden Rosen,
Ruh« ich in Weltvergessenheit.
Jm Tannengrunde will ich lauschen,
Des scheuen Wildes flücht’ger Spur,
Dem Vogelsang, dem Quellenrauschen,
Dem regen Pulsschlag der Natur.
Und streis’ ich durch das Laubgewinde,
Durchsorschen will ich jeden Spalt,
Ob ich ·das Glück, das Glück nicht
finde:
Biellei «t wohnt’s irgendwo im Wald!
Ver Traum im Wald.
Humoreste von Lothar Bren
tendors.
Einmal in meinem Leben habe ich
Gelegenheit gehabt, reich zu werden.
Jch bin’·3 nicht geworden. Daran ist
allein der Wald schuld.
Der Wald ist ein arger Gesell. Jch
bin ihm von jeher gut gewesen; und
das hat er sich zu Nutze gemacht, mich
um etliche Hunderttausende zu brin
gen« Statt reich hat er mich glücklich!
werden lassen, der Schlimme i
Drum, wenn du willst zu Hose’gehn,»
Mein Sohn, ich rathe dir fein:
!
Leg nicht dein Haupt auf Etvekshöh, s
Allda zu schlummern ein. (
Jn den bayrifchen Vorbergen war’s, ;
so in der Gegend von Kachel. Jchs
verdutzte da in jugendlichern Leicht-?
sinn die Moneten, die ich mir in zwei- j
jähriger saurer Arbeit als Lehrer ans
einem Berliner Gymnasiurn eriibrigt
hatte, und gab mich dem dolce far
niente hin. »Das heißt, ich that aller
dings etwas —- hatte eine Beschäfti
gung, die sogar mit nicht unerheb
lichen Ansteengungen verbunden war:
ich machte der schönen Miß Applhars
den Hof, die irgend ein wunderbar-er
Zufall ebenfalls an den reisenden
Kochelsee geführt hatte. Denn ein
merkwürdiger Zufall mußte es in der
That gewesen sein. Miß Applyard
war reich, und sie war Amerilanerin.
Nun sind die bayrischen Vorberge nicht
die höchsten, die es giebt, das Essen in »
den d rtigen Gasthöfen dafür aber so ;
ziemli das schlechteste, das man im!
ganzen lieben deutschen Reiche vorge-s
setzt bekommt, die Wohnungsverhältss
nisse primitiv und die Preise dem ent- s
sprechend —- sehr hoch. Eine Ameri- I
kanerin aber pflegt für gewöhnlich nur ?
dahin zu gehen, wo die höchsten Berge »
und das beste Essen zu Hause sind ——’
also ist es mir nicht recht erklärlich
welche Schicksalssiigung Miß Appl
hard in meine Gesellschaft geführt
hatte. —
,- «
Daß ich ihr die Cour machte, war
ja selbstverständlich —- denn erstens
war sie, wie gesagt, sehr schän, und
zweitens war sie sehr reich. Weniger
selbstverständlich aber war, daß sie
mir, dem armen Philologen, ganz
augenfällig ihre Gunst zuwandte. Sie
gestattete mir, sie auf ihren Spazier
gängen zu begleiten, sie machte Aus
sliige mit mir, ruderte mit mir und
spielte mit mir Tennis, ritt, radelte,
fuhr mit mir und bestimmte mich zu
ihrem Nachbarn an der table d'höte.
So groß meine Freude iiber all diese
Beweise ihrer freundlichen Gesinnung
gegen mich war, so beträchtliche
Schwierigkeiten bereiteten sie doch
meinem Portemonnaie, das von Tag
zu Tag an Fülle der Rundung ab-.
nahm. Und doch war es nicht einmal
das, wal- unseren »Flirt« für mich so
überaus schwierig gestaltete. Miß
Apvlyard reiste nämlich nicht allein,
sondern sie hatte eine Gesellschafterin
bei sich, und diese Gesellschafterin war
nicht, wie es gewöhnlich der Fall zu
sein pflegt, eine ältliche Person mit
glatt gescheitelten grauen Haaren,
sondern ein allerliebstes junges Mäd
chen, dessen hübsches Gesichtchen eine»
Fülle blonder Locken umrahmte. Sie
war eine unbemittelte deutsche Ver
wandte der englischen Miß und hattes
von ihr, wie sie mir mehr als einmal;
versicherte, nur aus Mitleid den Po-;
sten einer Reisebegleiterin erhalten.’
Jedenfalls war sie eine junge Dame
von den angenehmsten Manieren und
versügte iiber eine Bildung, die einl
Gespräch mit ihr zu einem wahren
Vergnügen machte. Es war mir
schlechterdings unmöglich, sie einfach
nicht zu beachten, und ich hatte also
meine Aufmerksamkeit und meine
Huldigungen zwischen den beiden Da
men zu theilen, wobei ich, um nichts
zu verderben, überdies bestrebt sein
mußte, nach Möglichkeit gerecht und
unparteiisch zu verfahren. — Dies
dopplete Spiel war ganzz danach an
gethan, ·der Ruhe meines Herzens ge
fährlich zu werden. Und es wurde
ihr gefährlich. Glaubte ich in einem
Augenblick bis über beide Ohren in
die schöne Amerikanerin verliebt zu
se schien es mir im nächsten außer
allem Zweifel, daß mein Herz sich fiir
die reizende Gesellschafterin entschie
den habe. Und unter allen Umstän
den gehörte meine Liebe immer derje
nigen von beiden, zu der ich eben
sprach. Einem Don Juan möchte die
ser Zustand höchst angenehm erschie
nen sein; mich aber stürzte er in ein
Meer von Zweifeln und bedrohte mich
infolge von Herzklopsen und schlafw
sen Nächten sogar mit einer ernstli-»
chen Schädigung meiner Gesundheit.
Da faßte ich nach schwerem Kampfe
—- idealistisch veranlagt, wie ich es
nun einmal bin —- zuguterletzt einen
heroischen Entschluß. Wenn ich mich
denn durchaus nicht fiir die eine oder’
die andere entscheiden konnte, so war
es wohl am besten, alle beide auszuge
ben. Wohl war in diesem großarti
gen Ergebnisse meines Nachdenken-s
etwas von der Weisheit jener beiden
Leute, die ihren Esel nach Hause tru
gen, weil keiner von ihnen reiten und
den andern zu Fuße gehen lassen
wollte, aber ich wußte mir nun ein
nial keinen anderen Rath. Jch aß
also nicht mehr an der table d’hote
und vermied ängstlich alle Spazier
wege, aus denen ich bisher mit Miß
Applyard oder mit Fräulein Elli,
ihrer lieblichen Gesellschafterin, ge
wandelt war, um mich fortan aus ab
gelegenen Pfaden mutterseelenallein
in den Wäldern herumzutreiben »
So war ich auch wieder eines Ta
ges seit dem frühen Morgen ziel- und
planlos herumgelaufen, bis ich mich
todtmüde in einiger Entfernung vom
Weg-e in das weiche Moos sintcnließ,
uin in Morpheus Armen meine quä
lenden Gedanken zu vergessen. Die
bereiickende, von tausend unbestimm
ten Geräuschen erfüllte Ruhe des
Waldes herrschte um mich her, ich
glaubte das heimlich heiße Athmen
der Natur zu spüren. Mehr und
mehr kam ich in eine traumhaft weiche
Stimmung, meine Schmezten und
meine Zweifel lösten sich in stille Weh
rnuth, und ich glaube, ich bin am
Ende eingeschlafen.
Da war mir’s, als vernähme ich
in meiner unmittelbaren Nähe den
Klang einer wohlbekannten Stimme
--— und ich lächelte. Sonderbar deut
lich war ich mir bewußt, daß ich
träumte. Meine halb geöffneten Augen
sahen wohl den Himmel, die Sonne
und die Bäume des Waldes, die sich
leise rauschend im Mittagswinde be
wegten —- aber ich fühlte instinktiv,
daß das alles anders war als die
Wirtlichteii, schöner, vertlärter, von
jenem undefinirbaren Etwas erfüllt,
das uns in den Märchen so seltsam
ergreift. Und auch jene Stimme, die
noch immer forttönte, konnte nicht der
Wirklichleit angehören —- wie sollte
auch Miß Applhard gerade hierher
kommen? Jch nahm den Wohllaut
ihrer Stimme in mich auf, ohne mir
die Mühe zu geben, auf den Sinn ih
rer Worte zu achten, der Worte, die
doch nur ein Traumbild sprach. Bis
es mir bewußt zu werden schien, dass
dieser Traum mir vielleicht Gewiß
heit geben sollte über den Zustand
meines Herzens—und bis ich meinen
Namen nennen hörte.
»Sie sein einer fakschen Schlange,«
vermeinte i? Miß Applyard sagen zu
hören. »Mi ter Fichtnär« —- merkwür
dig, daß auch die Traumgestalt mei
nen Namen so falsch aussprach, wie
es die Miß zu thun pflegte-»Mister
Fichtnär hätte mir um meiner Hand
gevittem wenn You ihn nicht so feine
tugen geworfen hättest. Oh, it len
nen You well, You sein eine —eine
Away-Fässer :-—.k.
»Aus Pakt-keck frei eine anoece,
vor Enttiistung behende Stimme ein,
»ich habe mich keines Unrechts schul
dig gemacht. Wenn here ichtner
Jhten Etwartun n nicht ent pkochen
got, so trage gen-ise nicht ich dieSchuld
aran.«
»Abiit You lieben ihm!«
Diesmal dauerte es sehr lange, bis
die Antwort kam. Sollte der Traum
vielleicht schon ein Ende haben. Aber
Ein-jetzt sprach die Stimme wie
r—
»Ja—ich liebe ihn!«Wakum sollte
ich es ieugnent -ch habe nicht um
seine Liebe gebettet und habe nichts
gethan, ihn für mich zu gewinnen,
was sträflich gewesen wäre. Und Sie
haben also auch tein Recht, mich des
lhalb zu schelten.«
Da kam ein häßliches, schneidendes
Lachen —— ein Lachen, das mir weh
that, obwohl ich doch wußte, daß die
wirkliche Miß Applyard ein reizen
rses, verführerisches Lachen hatte.
»Nein —- ick schelten Jhnen nika,«
vernahm ich. ,,Adiir ick entlasse h
nen. You können heut noch abrei en.
Jck zahlen Jhnen den Salair für den
Vierteljahr. Oh, hätt ick doch nur
gewissen, daß You aine solche falsche
Schlange sein!«
Was darauf erwidert wurde, wert
so leise, daß ich es nicht verstehen
tonnte, nud dann wurde es still. äch
lauschte noch eine kleine Weile; a r
es war nichts mehr zu vernehmen als
das leiseRauschen des nahen Wald
baches und das aufdringliche Zirpen
einer kleinen,Meise, die sich’s in den
Biischen mir zur Seite wohl sein ließ.
Da legte ich mich tief aufseufzend
auf die Seite und wartete, wie der
Traum verlaufen würde. Aber er
hatte sein Ende schon erreicht. Denn
gerade jetzt kitzelte ein vorwißi er
Sonnenstrahl mein Gesicht, ich mu te
niesen —- und war ohne Frage er
wacht.
Ja, ich war erwacht —- erwacht
zum klaren Bewußtsein meiner selbst!
Der Traum hatte mir’s gezeigt, wie
es in meinem Herzen aussah —- wie
wenig edel und erhaben das Bild war,
das- ich von Miß Applyaro in der
Seele trug, und-wie glücklich mich
das Liebesgeständniß Ellis machte,
das ich mir doch nur eingebildet hatte!
—Aber sie selbst sollte mir wieder
holen, was das Traumbild gespro
chen! Noch in dieser Stunde wollte ich
zu ihr, sie um ihre Hand bitten.
So schnell mich meine Füße tragen
«wollten, eilte ich den Weg hinab, das
Hotel zu erreichen. Noch keine drei
shundert Schritt aber hatte ich ge
;macht, als mein Fuß wie angewurzelt
Hain Boden haftete. Dort vor mir auf
einem gefällten Baumstamm saß die,
zu der mich meine Sehnsucht trieb,
und das Beben ihrer Schultern ver
rieth deutlich, daß sie weinte!
Sie stieß einen leisen Schrei aus,
als ich so plötzlich an ihrer Seite
stand, und erhob abwehrend die
Rechte.
»Herr Fichtner-«-—— Sie!" ftammel U
sie. Bitte —- bitte, gehe-n Sie!«
»Aber warum denn? —- Bin ich
Jhnen denn gar so widerwärtig?«
Sie hatte sich erhoben, und indem
sie Miene machte, mir zu entfliehen,
sliisterte sie mit sliegendem Athem:
»Nein — nein! Aber Sie dürfen
nicht bei mir sein-dürfen nicht!«
»So sagen Sie mir denn, warum
ich nicht dars! —Wer außer Jhnen
hätte ein Recht, mich aus Ihrer Nähe
zu bertreiben?«
Und als sie mir keine Antwort gab
bemächtigte ich mich mit sanfter Ge
walt ihrer beiden Hände.
,,Dars ich auch dann nicht bleiben,
wenn ich — Sie liebe? ——-Elli —
meine süße, angebeiete Elli —willst
du mein Weib werden?«
Da sank sie mir aufschluchzend an
die Brust. Und während die Bäume
leise rauschend die Köpfe schüttelten,
tiißten wir Uns in toller Seligkeit. —
Ja, der Wald ist ein arger Gesell.
Denn ohne den Traum, den er mir
eingefliistert —- wer weiß, wer weiß,
was geschehen wäret
Der fabelhafte Zinsfuß.
Von J. H. Rosny. Deutsch von
Margarete Rand.
Nach meiner Freilassung vom Miti
tär trat ich— o erzählte AlbertVo
gere—in ein Möbelgeschäft ein« Ich
verbrachte meine Tage in einein engen
Kontor, wo ich Briefe und Rechnungen
uschreiben hatte. Dieses Dasein er-:
fchien mir umso tümmerlicher, ali- ich
eine lräftige Natur, breite Schultern
nnd tüchtige Lun en besaß, die nich
reichlicher und reiner Luft verlangten.
! Jch erftickte in dem engen Raume, und
meine Wangen vertauschten bald ihre
fnatürliche Röthe legen die gelbliche
Farbe der Kellerpl angen. Meine Ue
! lenle wurden steif, und ich hatte häu
s fig Schwindelanfälle und Herztlvpfen
Wäre ich allein gewesen, ich hätte niich
auf und davon gemacht und mein
Glück in der Ferne versucht. Aber ich
!nntfzte fiir den Lebensunterhalt met
ner Tante Elisabeth sorgen, die der
Ehe entsagt hatte, um mich groß zu
ziehen- Meine Dienstzeit hatte ihre
letzten Ersparnisse verzehrt Sie war
lvcm Rheumatismus geplagt und litt
außerdem an einem Her leiden dein
sie jeden Augenblick erliegen konnte
Jch durfte sie unmöglich in diesem
Zustand verlassen
l So mußte ich mich in mein Schick
sal fügen und meine Gesundheit tro
pfenweise hergeben. Vergeblichträuin
te ich von einem besseren Leben, baute
ich Zulunftspläne, wenn ich auf dem
LWeg zum und vom Geschäft durch die
lärmenden Straßen schritt. Jchfiihlte
mich mit eisernen Ketten an dasElend
geschmiedet, und oft schien es mir, als
läge ich in einem tiefen Brunnen, aus
dem ich nie wieder herauskommen
l könne.
i «- « e
An einem trüben Herbstatge ging
ich müde und langsamen Schrittes
durch die Straßen des Hallenviertels.
Dunkle Wolken hingen am Himmel:«
ein feiner Staubregen rieselte hernie-»
der, und all die Straßen in der Um-;
gegend der großen Martthallen ro-.
chen nach saulem Fleisch, Unrath,;
alten Knochen und Kreosot «
Schwerfällig zog ich die Füße nach,
s während ich meinen schwarzen Gedan- »
. ten nachhing. Es regte sich in mir zu»
gleicher Zeit ein sehnlicher Wunsch nach l
JGlück und ein heißes Verlangen nach
j dem Tode. Gerade, als ich eine Straße
süderschrttt, glitt ein alter Mann vor
lmir aus und fiel stöhnend zu Boden.
tUnwilltürlich eilte ich auf ihn zu,
Ihals ihm aufstehen und bot ihm den
Arm, denn er hinite.
i »Es ist nichts,««s antwortete er mir
auf meine Fragen, und seine Stimme
tlang etwas trocken »die Maschine
ist unversehrt. Nur der Knöchel thut
mir weh.« Nichtsdestoweniger nahm
er meinen Arm mit den Worten:
»Wenn-Sie nichts Besseres zu thun
haben, so führen Sie mich nach der
Nur des Bourdonnais.«
,,Wollen Sie nicht eine Droschte
nehmen?« fragte ich.
»Aber ich denke nicht daran!« rief er
ganz empört. »Eine Droschth wa
rum nicht gleich einen Extrazug?«
Ich betrachtete ihn verstohlen· Es
war ein magerer, schwächlicher Mann
mit schlafer Muskeln und schlafser
Haut· Die runden Augen lagen tief
in-. Kopfe; das erdfarbene Gesicht hatte
die Form eines Dreieck-; die eingefal
lenen, bläulichen Lippen bildeten eine
Höhlung Und doch drückte die ganze
äußere Erscheinung Entschiedenheit
und Unerbittlichkeit aus. Jch beglei
tete den alten Mann bis zu der Rue
des Bourdonnais, trug ihn sechsTrep
pen hinauf und setzte ihn am Ende
eines langen niedrigen Korridors nie
Vet.
»Sie tonnen eintreten!·« tagte der
Mann. Jch trat in eine unsaubere
Dachsi.ube, deren Möbel aus einem
schmalen- eisernen Bett, einem ver
fchirnmelten Tisch, zwei durchlöcherten
c-tiihlen und einem winzigen Koch
öfchen bestanden.
»Ja, Sie können ruhig eintreten!«
wiederholte der Mann, ironisch...
»Sie finden teinen Heller in dieser
Dachstube!«
»Mein Gott! Jch möchte Sie nicht
stören!« antwortete ich, »und wenn
Sie mich nicht mehr brauchen, so ziehe
ich mich zurück.«
»Aber durchaus nicht!« rief er un
geduldig· »So schnell sollen Sie
nicht loskommen. Sie waren so
freundlich gegen mich, daß ich hoffe,
Sie werden es bis zum Ende sein.
Jch brauche nämlich zwei Franks, ich
brauche sie unbedingt. Wollen Sie
sie mir leihen?«
Er sprach mit scharfer, schneiden
der Stimme, während ein merkwürdi
ges Feuer in seinen runden Augen
glänzte Jsch zauderte, denn ich hatte
nur 2,50 Fr. in der Tasche, und die
sollten zu den fünf letzten Mittagessen
des Monats ausreichen, die ich im Bu
reau verzehren mußte, um den allzu
weiten Weg nach Hause sparen. Trotz
dem zog ich meinen Geldbeutel hervor
und reichte dem alten Manne die ge
wünschten zwei Franks. Er drehte das
Geldstiick in seiner Hand, besah es und
beroch es. Dann blickte er mich lange
und nachdenklich an.
»Ich hätte wetten mögen, daß Sie
ein gutmüthiges Schaf sind . . . und
was fiir eins-! Nach ihrem Gesichte zu
urtheilen, ist diese Summe für Sie
von großer Bedeutung.«
»Sie haben ganz richtig gerathen,«
erwiderte ich etwas ärgerlich, ,,mit die
ser Summe hätte ich vier Mittagessen
bezahlt.«
»Ich wußte es ja! und dabei geben
Sie mir sie doch?«
) »Ah-: seidstvekständcich!« sagte ich.
! »Ich bat Sie aber nut, mir das
Geld zu leihen« Dann lachte er iro
knifch auf: »Haben Sie etwa tein Ver
Ttrauen in mich?" Er that, als wenn
er beleidigt wäre: »Ich möchte es Ih
nen am liebsten wiedergeben,« preßte
er hervor.
Er drehte das Geldstück noch immer
in der Hand, beroch es von neuem und
’warf ihm einen zärtlichen Blick zu:
»,,Nein, ich gebe es Jhnen nicht wieder.
Sie leihen es mir,· aber ich bezahle Ih
nen Zinsen zum Zinsfuß der Armen,
das heißt zu fünf Prozent täglich mit
Hden Zinseszinsen«
T Jch mußte unwillkürlich lächeln
i »Gutes Schafk« rief er aufs neue
Hin fast gerührtem Ton ,,Unglaublicher,
’schrecklicher Dummkopf! . . . Jawohl
yzu fünf Prozent und mit den täglichen
"Adreffe?«
Zinseszinfen . . . Wie lautet Ihre
Jch gab ihm meine Adresse und ging
fort. Er humpelte mir noch bis ans
Ende des Korridors nach, und feine
schneidende Stimme erklang fortwäh
rend: »Dummkopf, gutmüthiges
Schaf! . . . Was für ein unglaubli
cher Dummtopf!« — — —
Herbst und Winter waren verftri
chen. Der Frühling tam und brachte
trübe Regentage und hellen Sonnen
schein. Die Bäume blühten und grün
ten. Jch arbetete noch immer in dem
kleinen Kontor; ich gab mich densel
ben heißen Träumen hin, und mein
Leben verfloß in stetem Kampf und
Elend. An einem Sonntagmorgen
saß ich der armen Tante Elisabeth ge
genüber und hatte gerade mein erstes
Frühstück, das aus einer Tasse Kaffee
und einem Stück fauren Brotes be
stand, beendet. Ein herbes Gefühl er
füllte mir die Seele, als man plötzlich
an die Thür klopfte. Jch öffnete und
erblickte den Poftboten. »Ein einge
schriebener Brief!« sagte der Mann,
indem er mich um meine Unterschrift
bat. Er übergab mir einen Briefum
schlag, den ich eher mißtrauisch als
hoffnungsvoll entgegennahm. Jch öff
nete ihn, nicht ohne ein gewisses Ban
gen. Er enthielt einen Brief und ei
nen dicken, gerippten Papierbogen. Jch
las zuerst den Brief. Er· lautete:
»Vor 240 Tagen machte ich bei Ih
nen eine Anleihe Von zwei Franken.
Der von mir bestimmte Zinsfuß be
trug fünf Prozent pro Tag. Folglich
ist ihr Guthaben auf 111,000 Franken
angewachsen, die ich bei dem Credit
Foncier auf ihren Namen hinterlegt
habe. Einliegend der Empfangsschein
der deponirten Summe, dessen Em
pfang ich mir zu bestätigen bitte.
Philippe Amercour,
17 Rue des Bourdonnais.«
Das kam mir so unglaublich vor,
daß ich zunächst gar nicht aufgeregt
war. Jch hatte nur das Gefühl, daß
man mit mir einen Schabernack treibe
Doch, als ich das einliegende Papier
etwas näher betrachtete, gewann ich
thatsächlich die Ueberzeugung, daß mir
wirklich eine Summe von 111,000
Franken gutgeschrieben war. Jch
stürzte die Treppen hinunter, kletterte
in einen Omnibus und eilte nach der
Rue es Bourdonnais. Jch fand den
fchwächlichen Alten in seiner Manfar
de. Er empfing mich mit hellem Ge
lächter und den Worten: »Mein
Dummkopr Mein gutmüthiges
Schaf!« · . . . und als ich ihm mit ge
rührten Worten danken wollte, unter
brach er mich: »Das habe ich zu mei
nem eigenen Vergnügen gethan. Sie
schulden mir also keinen Dant!«
Dann warf er mir einen zärtlichen
Blick zu und fuhr fort: »Ich bin ein
Millionär, mein geliebter Dummkopr
Mein einziges Vergnügen ist meine
freiwillige Armuth. Es ist mir nichts
angenehmer, als mich niemals fatt zu
essen, in einem Loch zu leben, anfan
ber gekleidet zu fein und auf einem
harten Bett zu schlafen. Jch liebe die
Armuth. Sie ist die Königin der schö
nen Träume Aber ich bin kein Geiz
hals; von Zeit zu Zeit gebe ich etwas
von meinem Reichthum ab, wenn its
harmlosen, großmüthigen Naturen;
ohne Bosheit und Falschheit, wie derj
!,Jhrigen, begegne. Da diese Natur-Ins
Esehr selten sind, so gebe ich natürlich!
Irecht wenig aus. Geben Sie mir die!
Hand und machen Sie, daß Sie fort-s
kommen; Dankbarkeitsszenen find mirs
Jimmer verhaßt «
Er schob mich langsam zur Thiire
;hinaus. Als ich die Schwelle über
» schritten, rief er mir noch nach: »Mein
IgutFiiithiges Schaf! Mein Dumm
« kop !«
J Jch eilte sofort nach Hause zurück,
iund einige Zeit darauf konnte meine
Tante Elisabeth sich in einer wohnli
i chen Villa in der Normandie alle Pfle
ge angedeihen lassen, während ich mich
Hauf die Automobilinduftrie verlegte.
Das Glück war mir günstig, denn trotz
meiner Dummheit habe ich mir ein
Vermögen erworben.
s
t
s
Vom Kame.
Eine der geistvollsten Frauen am
Hofe Ludwigs XIV» Frau von
Sevigne, hat dem Kaisee prophezeit,
daß er ebenso aus der Mode kommen
werde wie der einstige Liebling des
französischen Theaters-, Racine. Jn
des mit dieser Prophezeiung hat die
kluge Dame wenig Glück gehabt.
Während zur Zeit der Frau v.
Sevigne nur einige tausend Pfund
skaffee in Europa eingeführt wurden,
übersteigt der heutige Gebrauch an
Kasfee längst die Höhe von 300 Mil
lionen Pfund. Den stärksten Kaffee
erhält man bekanntlich im Orie«
So übergießen Türken und Ara «
den Kaffee gleich in dem Gefäß, ais-;
welchem sie trinken, mit heißem Wai "
ser Der Kaisee kann hier in gewigi
sem Sinne wirklich ein Nahrungss
mittel genannt werden, denn der ganji
nicht geringe Gehalt an Proteinftoj
sen den der Kasfeesatz enthält, wir
hier für den Organismus mit nutzbaR
gemacht. Ebenso wie es bekanntlic»
allerhand komische Zwischenfälle bis.
der ersten Einführung der Kartoffelfsi
gegeben hat, wußten auch manch-s
Hausfrauem als es noch keine allge
mein verbreitete Kochbiicher in Eures
pa gab, mit dem Kaffee wenig anzu
sangen. Eine den Kaffee nach oriengs
talischer Sitte als Nahrun smittel bCFH
handelnde Bereitungsweiile schildexfi
Hermann Kurz in ,,Schillers Hei-;
mathsjahren«. Eine Frau Pfartiijx
auf dem Schwarzwalde will eitmlfJ
Gast aus der Residenz den ersten Kaki
see, den sie in ihrem Leben kereik et hak:
vorsetzen, und siehe da — sie hat iha
wie Haferbrei geschmälzt. »Den;«k
mehr oder weniger Schmalz« —- sag-T
der Pfarrer — »das ist hierzuland«
das Maß der Achtung, welche ma
einem Besuch erweisen will.« is;
Gellert über die Ehe.
Jn einem Briefe an seineSchwestegxi
der nur sehr wenig bekannt sei-I
dürfte, äußert sich der bekannte Fabeiizjs
dichter über vie Ehe, ein Thema-date
auch heute bei Verheiratheten unii
Ledigen als aktuell und ständig insng
teressant gilt. Gellert meint zwar-Z
Ehestand — Wehestand, fügt danikjs .
aber philosophisch hinzu: ETT
»Durch Eintracht und durch Zärtliches
- ke·t «
. 1 r-cjl
Berringert sich das schwere Leidl« ZZ
Jn derselben liebenswürdigen phtks
losoph.isch-ironischen Weise fährt Czszzj
dann fort: »Einst wurde ich von meijijk
ner Braut gefragt, wer in der Ehe zlsFi
den meisten Verdrießlichkeiten Anlass?
gäbe, ob der Mann oder die Frau. Jeks
legte meinen Finger an die Nase unifzz
sann lange nach. Endlich brach ich ijk
diesen Denkspruch aus: «
Ost liegt die Ursach’ an dem MannTFJZ
Ost ist die Frau auch schuld daran! IT
Die Frage, wodurch die meisteUriixj
einigkeit in die Ehe käme, beantwoer
tete Gellert ebenfalls poetisch: si-;
Der meiste Krieg, der meiste Streit iii
Entsteht durch eine Kleinigkeit, is
Die wird durch Unbescheidenheit i
Ein Krieg von großer Wichtigkeit.
Die Sehenswürbigtettem
Herr Schwammerl besucht aus de
Durchreise seinen Freund Stutzelbeezs
ger. »Bis sechs Uhr hab’ ich Zeitij
sagt er. »Da geht der Schnellng —.;
mit dem muß ich unbedingt weiterisjz
,,Bis sechs Uhr!« meint Stutzelberis
ger. »Jetzt ist ’s zehne! Recht schin;
tbnnen wir bis dahin die Hauptsei« ,
henswürdigkeiten anschauen!« "-"
Sie machen sich zunächst aus des
Weg zum Hosbräuhaus. Auf einers
schönen Platz bleiben sie zwei Minu-,
ten stehen, um ein großes, interessan
tes Monument zu betrachten. «
Die ,,Besichtigung« des Hofbräu
hause-s nimmt den ganzenTag in Anzv
sprach, und sie gewahren erst im letz
ten Augenblick, daß es höchste Zeit
den Bahnhos auszusuchen. Wie si
ebet in größter Hast dort ankommen sJ
sagt der Portier achselzuckend: »Be,
daure, meine Herren, zu spät —- Jh«1
Zug ist oor zwei Minuten abgesah"
ren!«
»Gelt!« rust Schwammerl vor»i
wnrisvoll. »Ich hab’s ja g’wußt: Wi-«
hätten den Zug nicht versäumt, wem
wir uns net bei dem Monument auf-,
g’halten hätten!«
Nervenfi. Hi
Ein sehr nervöser Hotelgast wende J
sich an den Portier des Hotels mis
der Bitte, dieser möge doch die Bei«
wohner der angrenzenden Zimme1 .
um möglichste Ruhe beim Schlafen:»
gehen ersuchen, da ihn das geringst·».X
Geräusch soltere. — Einer seinerI
Zimmernachbarn kommt Nachts nack,
Hause, denkt nicht an den nervöser-;
Herrn, und während er sich auskleisÅI,
det, wirfter geräuschvoll seinen einer
Stiefel in die Ecke. Da fällt ihm daz;
Ersuchen des Portiers ein, under bes««;
endet das Austleiden möglichst ges
räiischlos. Nach drei Stunden weckh
ihn sein nervöser Nachbar aus denst
Schlasec »Ja, um Gotteswille
Mensch, wann werden Sie endli
den anderen Stiefel in die Ecke wer-THE
sen, ich warte schon drei Stunden das-z
raus!«
Es ist eine wahre Erholung, month
man einmal mit jemand zu tun hatt-;
der sagt, was er meint. Leg