Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 16, 1907, Sweiter Theil., Image 10

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    Im Yeidedort
Roman von »A. von der Sche.
(12. FortsesungJ
»Das ist für die Puten«, sagte sie
Dichtig. »Junge Nesseln und gelbe
Wurzeln und Melle. Eine Hand hast
du ja gesund, hier ist ’n Messer,s
chneid’ mir noch ’ne Schürze voll
esseln, brauchst bloß ’n Tuch um die
Hand zu wickeln.«
Marie wollte gern gefällig sein.
So fragte sie: »Wo gibt es denn
Reisean«
»Untern! Backofen stehen sie in
ganzen Hiimpeln.«
Marie fand bald den bezeichneten
Fleck. Es war ein verborgener stil
ler Winkel hinter dem mit Lehm be
tniirfenen Bach-fern neben dem alten
etngesunkenen Brettetzaun. Ein knot
tiger Fliederbaum, dessen blaulila
Blüthen sich eben duftend entsalteten,
stand da von hohem Unkraut umwu
chert, dazwischen gab es viele Bren
nefseltn von denen sie rasch in ihre
Schürze raffte, so lästig ihr dies auch
bei der gehemmten Linken war.
« »Was machst du denn da, Marie?«
Eine Männerstimme fragte, und das
Mädchen blickte empor. Da lehnte
hinrich auf der «niedrigen Bretter
plante und sah ihr zux
Hinrich hatte schon ein paar Au
genblicke so gestanden. Er wußte
nicht, wie er mit ihr daran war. So
eine aus der Stadt vertrug nicht
viel. nnd er sah immer noch die ro
then Abdrücke feiner starken Finger
auf ihrem weißen Arm. Wie gern
hätte er den noch einmal gedrückt, ge
Jstreicheki und geküßt.
Sie antwortete etwas befangen,
denn sie glaubte, er habe ihr rasches
Thun übel genommen: »Ich schneide
für Lotte Nesseln.«
»Der Nacker weiß doch jeden anzu
stellen! Aber deine linke Hand ist
verbunden?« Er sah sie besorgt an.
»Ja — verbriiht. Deine Mutter
gab mir linderndes Oel.
Les-Zeig ’mal—her.«
Ast
Sie nahm Tuch und Låppchen av
und wies ihm die Brand-blasen Sein
Hebräuntes Gesicht ver-färbte sich vor
mitteidiger Bewegung. Er nahm ihre
traute band zwischen seine beiden
starkem gesunden. nnd hielt sie da,
wir man ein zartes Vö elchen hält,
dessen herzschlag man spürt- und das
man um alles nicht erdtziicken möchte.
Und sie zuckte auch leise, wie ein
chener Vogel zwischen den großen
ännerhiindeir
»Am wohl schrecklich weh?«
»Es geht jetzt««stammelte sie, aber
ihr war wunderlich zu Muth.
«Wo steckst du denn?«' lrähte eine
helle Stimme. Lotte schoß hastig
um die Ecke: »Na guck einer unser
Jung’ mit der Berliner Basel« Sie
wollte sich todtlachen.
»Dunnerschlag!« schrie er zornig,
» bleib. mit deiner Nase zwischen den
ten.«
Marie wars die gesammelten Nes
seln zur Erde und lies eilig vom Ho
se. Was fiel der kecken Lotte ein?
Sollte Vetter Hinrich denn nicht mit
ihr sprech-en dürfen? Es war doch
nichts Unrechtes dabei.
15. K a p i t e l.
Die erfte Bestellung des Acker-s war
gethan, und nun wandte sich das Jn:
teresse der Dörfler dem bevorstehen
den Biehmartt in Soltau zu.
Tante Rike wollte zu Hause bleiben,
das liirnrende Marktvergniigen war
nichts mehr fiir sie, dafür meldete sich
Liibeth und bat, neben Marie mit
erhven zu dürfen; auf ihrem Wagen
ers immer fo voll, alle drei Brüder
nnd Lotte. Hintenauf hätten sie ein
fettes Kalb, zwei Heidfchnuckenharm
mel, und ein Pferd werde angebun
den. Auf Großvaters Wagen wurden
dahin, wo zur Kirchfahrt Jette auf
dem Stroh gehockt, zwei fetteSchweine
verladen, mit einem Lattengitter ver
«dectt und von den Stühlen getrennt.
Marie machte sich ein wenig schön.
Das teichte hellbiaue Wolltleid, das
sie zulest an jenentsihr peinlichen
Abend im »Wintergarten«" getragen,
hatte noch feinen Platz im handtoffer
Wunden und diente nun als Fest
id für die Ausfahrt, der sie mit neu
Iieeiger Spannung entgegenfah.
Taste Rite lobte Marie, die Leute
III-then große Augen machen. Lis
ten-, die sich rechtzeitig eingestellt
hatte, bewunderte etwas neidifch die
E » saxk Dann fuhr man ab.
Jahreszeit ·1var vorgeschritten,
akte Bäume mit frifchem Laube be
M. in jedem Busch, feder Decke fan
sen die Vögel. Die Sonne schien
I Dom aus blaue-n Himmel herab, und
I sie beiden dicht aneinander geschwieg
its jungen Mädchen ptauderten »ver- !
«- -ft du gern tanzenk fragte
M weis nicht, habe ei wenigstens
— sie versucht. Die anderen aus der
M bekamen Tanzftunde, ich nichts
III-site In viel, und Mutter war
»Mein trank »
" e tanzen, wenn Satzuyenfeft
MMFM ist: wir kennen e
Fee-· sei Li- sin ges-w m
w M G Miit-·
»Hier bei uns inse ganz schön Jch
freue mich eigentlich schrecklich auf
heute, denn weißt du, ich glaube, Fe
dor tomrnt auch, und wenn er auch
nicht tanzt, so spricht er doch viel mit
mir.« "
Wenn der Wagen stieß, quielten
und grunzten die Schweine, und die
Mädchen mußten sich in acht nehmen,
daß nichteine feuchte Schnauze, durch
die Latten schniiffelnd, ihnen ans
Zeug kam.
Endlich war der Marltflecken er
reicht, nach welchem ein großer Zuzug
von allen umliegenden Dörfern statt
fand. Die Straßen waren bunt belebt,
und von dem Platze her, wo der
Markt abgehalten wurde, tönten Mu
sik, Stimmengewirr und das Brüllen,
Wiederu, Grunzen und Blöken des
herbeigebrachten Viehz. ·
Großvater fubr zum Ausfpanm
dem Gasthof zum »Drittfchen Haufe«,
wo nach abgefchlossenem handel dies
wohlhabendften Bauern zechten und
tanzten.
Während die Schweine abgeladen
wurden, zog Lisbetb die Freundin
über den belebten Hausflur nach dem
noch leeren Tanzfaal, der, mit grünen
Gewinden geschmückt, Lisbetb einen
Blick ins Paradies zu eröffnen schien.
,,·«lta, was meinst du, fiel-PS nicht aus,
Flsß ob sichs hier flintemang hopfen
te e-« .
»Ja, fo groß und schön!«
Jn den Gaftftuben vorn im Hause,
an denen sie vorübereilten, ging es
schon laut zu, und als sie ins Freie
traten, fab Marie zu ihrem Schrecken
den gefärchteten Gendarmen Müller
in feiner stolzen Herrlichkeit vorüber
fchreiten. Mußte sie denn immer und
allerorten an ihr Unglück erinnert und
durch Furcht und Zagen um alle
Freude gebracht werden?'
Peter trieb die fetten Schweine dem
Markte zu, und Großvater ging ne
den-ber.
Beermanns waren auch angekom-"
men· Hinrich führte sein Pferd, das er
verkaufen wollte, eben davon, und
Bruder Dieri zog das widerspenstige
Kalb und die Hammel arn Strick hin-(
terher. Lude spannte die Pferde
aus.
- Lotte kam den beiden anderen Mäd
chen erfreut entgegen, die Schwestern
faßten Marie von beidenSeiten unter,
dann ging es den Buben zu, die den
beiden Dorfmädchen das herriirhste
dünkten, was es geben könne. Auch
Marie freute sich an allem, was sie
fah. Wie neu und lustig erschien ihr
das Treiben. Alles ganz anders,ais
es in der Großftadt zuging. Wäre
nicht immer wieder hie und da der
große Gent-arm aufgewacht hätte sie
ihre Noth vergessen und so vergnügt
sein können wie die anderen.
Lärm und Geschrei tönten ihnen
immer lauter entgegen. Zwei statui
ielle, eine Thierbude, vor der ein such
siger alterViir von einer Dirne in
buntem Flitterputz, die ihre Schau
siellungen anpries, hin und her ge
Yerrt wurde. Drehvrgelm Mordge
1chiehten, Kafperltheaier, Oelgesptte
nes, heringe mit fauren Garten,
Honigtuchen und Marktschreier aller
Art ergötzten Frauen und Kinder, die
in Reihen auf und ab gen, während
drüben die Männer « nProduitem
und Viehhandel eifrig betrieben.
Liöbeih kaufte fiir sich und die
Freundin onigiuchert Lotte kneip
perte und og an einer Euren Gurte,
die ihr aus trüber Brühe in Zeitums
papier gereicht worden war.
Sie trafenBekannte, man begrüßte
sich, eine Freundin von Lotte hatte
diese unter, nun ging man zu vieren.
Von dein Blase, wo die Pferde vor
gefiihrt wurden, töteten hii nnd hott
und Peitschentnallen herüber, und
hohe Staubwolten wirbelten empor.
Das störte die Mädchen nicht am
Schgxukss Wes-- Was-in
Lisbeth blieb stehen, ein sportmä
ßig aussehender junger Mann redete
sie cis-. Sie kannte ihn aus ihrer
.Pei.·konszeit, er stammte aus einein
Fettwaarengeschäit in Celle und war
Bolontär aus einem großen Gute in
der Nähe. »Auch da, eiiulein Beer
mann? Fattifch, ’n chiiner, enorm
besuchter Markt.«
whaben wohl riesig viel hergebracht,
Herr Oehlie?«
»Selbstverftiindlich, unsere Wirth
fchast produzirt tolossal.«
Liibeth trennte sich von Marie nnd
schlenderie mit dem jungen Dei-ine
mert weiter Er kaufte ihr ein Kuchen
herz mit rvsa Zuckerguß nnd dasinnigem
Sprüchlein und sagte ihr, daß ersieh
pyramidal freue, nachher mit ihr zu
tun
izervßvater hatte seine Schweine
verkauft, er suchte und and die Mäd
chen, Beermanns schlo en sich an, und
nun ging’s ins Wirthshaus.
»Wir tanzen doch zusammen, Ma
hielss fragte hinrich, der sich zu ihr
.e
»Ich werde es nicht können-« Sie
sah ihn genauer an Er erschien ihr
heute ganz anders, viel geschäftimiißis
ger, fremder. "
Als sie beim Gasthause ankamen,
wo es ng wie vor einein Dienen
Ine- nat-ite, haßeie und drängte
es hin und her, sa te Viert: .Ru’
müssen wir aber erst einen nehmen.
Kommt!«
»Unsere Frauensleute mdgen auch
ihr SchälcherRafsee,« sii te Lude hin
zu, und dann gingen sige alle in ein
Gaftzimmer, wo sich nur noch mit
Mühe Tisch und Stiihle erobern
ließen. "
Bald standen Lassen Kuchenherge
und Punschslaschen aus dem Tische.
Die Männer waren sehr ausge
räumt, sie sprachen eifrig von ihren
Geschäften und hatten die Taschen voll
Geld. Ringsum wurden die gemachten
Vertöuse und Eintiiuse erörtert. Man
schlug mit Fäusten aus den Tisch,
schrie und fluchte. Jede persönli
Empfindung schien neben diesen le -
hast angeregten Handelsinterefsen zu
derblassen.
Wunsch, Kassee und Kuchen wurden
in Menge vertilgt, dann tamen die
Zigarren an die Reihe, alle Männer
tauchten, Marie dachte, sie müssen hier
doch furchtbar reich sein. Ihr Vater
und Onkel ns tauchten nie, sie
sagten, sie hatten tein Geld dazu. «
Jm Saal begann die Musik, man
hörte das Schleifen und Stampfen
der Tanzenden. Der Volontiir Dehlte
trat ein und sah sich suchend um« Lis
beth stand auf und verließ an des
Tänzers Arm die Gastsiubr. hinrich
fragte Marie. ob sie nun auch einen
ristiren wollten. Ohne rechten Muth
folgte sie seiner Aufforderung Die
anderen Angehörigen schlossen sich an.
Jm Saal war es schon doll. Als
Pinrich den Arm um Marie legte,
lüsterte sie: »Sei nicht böse, wenn
ichs schlecht mache, ich habe noch nie
getanzt.«
Er zog sie fest an sich nnd sah lä
chelnd auf sie herab. »Es wird schon
geben« »
Aber es ging nicht. Jhr war schwin- ;
delig, unbebaglich im Sinn, sie stol
perte, fühlte sich von seinem Arm ge- »
tragen, tam einmal in Tast, dannj
wieder heraus-, wäre fast gefallen und
tand endlich tief athmend mit Thra
nen in den Augen in einer Ecke still.
Sie schämte sichsehr, undes that ihr
bitter leid, so ungeschickt zu fein.
»Bitte, laß mich-ich kamst nicht-«
s »Nanu!« rief er halb ungeduldig,
halb mitleidig. »Ur-h dich mal aus,
dann versuchen wiss von neuem.«
Irgend ein Bekannter klopfte ihm
auf die Schulter, fragte, lachte, zog
ihn fort.
Marie saß allein, sie fühlte sich ver
stört und dachte: wären wir nur erft
wieder zu haufe. Neben ihr in der
Ecke dusiete eine dicke Bauernstan, die
start nach Schsaps roch, der Stuhl!
an ihrer anderen Seite war frei. !
«Guten Ta , Matie,« sagte da eine:
freundliche ännerstirncne, und dann;
setzte sich Fedor neben sie. ?
.Jch wußte, daß ihr alle hier seid,.
und da ich —«
»Sieh da, auch du bist da, Vetter?«
riet hinrich herbeieilend. »Ja-Um
thust ja nicht. Marie gehört auch
mir. Kerne-M
»Du hast ji- geschtm Hinsich- daß
ich nicht tanzen iann.«
«Mußt es eben lernen.«
«Es geht aber nicht.«
Ach wass« Er faßte sie arn hand
gelenk und wollte sie emporziehen.
»Daß rnich —laß mich —- —— du
weißt doch, ich will nichts«
Fedor legte sich ins Mittel. «Sei
nicht roh, hinrich.«
«Was gehks dich an, sie isi mein!·
. «Oho——noch lange nicht!" tief sie
erschrocken.
« »Ein ich dir vielleicht nicht feink
nug? Bin ich dir zuwiderW knirschte
er.
«Ja,« sagte sie trohig ohne sich z
besinnen. Er drehte sich auf den hacken ;
herum und rannte davon, sich rnit dern Z
Ellbogen durchs Gedränge stoßend. t
M«S;u haft ihn schwer getränkt,;
arte « .
,,Mag4i fein — ich —- toie Wteeri
sochaafproien—ich gab ihm kein In-;
re t.«
Sie schwie n, beide mit sich be
schäftigt Je or beobachtete List-eifr.
die, sich in Oehltee Armen wiege-ed,
fin nichts andereszinn zu haben
schien, all für den Tanz nnd ihren
Parteien ,
»Verzeih« sagte er plötzlich, »ich
muß mal zur Lise hinüber, undsie vor
Dem Lufiilus warnen, mit detn sie
» unaufhsrlich ianzt.«
Mai-sie nickte, und er wand sich
durch die Menge, dem Paare zu.
»Du hasi ja die feine Marie,« er
widerte Lisbeth schnippisch, als er sie
zur Seite nahm. «Machsi sie sogar
unserem-s Hinrich abspensiig!«
»Ah besinne dichl«
.Aeb was-sich weiß wohl-Haß
mich tanzen!« »
Niedergeschlagen kehrte der Viiar
zurück.
Marie war mittlern-eile in eine
neue Aufregung gerathen. äu der
Thiir des Saales lehnie der ndarm
Müller. Sie gewahrte, baß er sie be
obachtete. hegteee irgend einen Ver
bachii Jehi wollie hinrich an ihm
oorbeisiiirnren, Müller hielt ihn fest, sie
sprachen miteinander, und Marie sah
deutlich, daß sie zu ihr hinüber beu
ieten. Jhr Herz fing an furchtbar zu
hämmern. Großer Gott, vielleicht
fragte der Schreckliche hinrich, ob
seine Berliner Vase eiwa die ausge
tissene junge Frau«iein könne, die er
feiinehnien uer ihvem Manne wieder
zuführen solle? Wie gebannt mußte
sie immer wieder nach dem fürchter
lichen Rothbart hinüberiehen, der alle
mal ihren Blick erwiderte und dabei
den in gen Schnauzer aufwirbelir.
Wort arg nnd innerlich sorgenvoll
saßen Marie und Fedor und sahen in
den Strom der Boritberfluthenden.
Diert und Lude lamen gelaufen und
wollten mit Marie tanzen; sie dantte,
sie habe schon ihren ältesten Bruder
fortseschickt Noch andere Burschen
best«rmten fie, fie lehnte ab. Gern
wäre sie hinausgegangen, aber sie ge-«
traute rch nicht allein unter die lar
mende enge, und Fedor schien Lis
beth im Auge- behalten zu wollen.
Die Bauernfrau an des Mädchens
anderer Seite nickte und schnarchte.
Die Paare wirbelten unaufhaltsam
dahin und gönnten der Mutt taum
eine Pause. Der Staub flog in Wol
ten empor und verdunkelte das Ta
eslicht, Jauchzen, Gelächter-. helle
schreie und Stampsen erfüllten den
Raum. -
MS hinrich in wildem Zorn an
dem Gendarmen hatte doritberftürzen
wollen, hielt dieser ihn fest
»Auf ein Wort, herr Beermann..
Das Fräulein Coufme, schönes Mäd
chen —- sagen Sie. mal, im Vertrauen,
hat sie Geld? Thut höllisch mit mir,
sehen Sie nur! Und wenn ein Jung
geselk im Dienst auch mit ’ne.-n Kie
selherzen bewaffnet sein muß. so mertt
er sich doch fiir die Feierstunden sein.
Glück. Man ist doch tein Unmensch!"s
»Fräulein Liebreich ist arm wiej
eine Kirchenmau5;« stieß Hinrich her- ;
vor.
»Ach, schade um so ’n seines
Frauenzimmer!'
»So ein infamer Kerl!'« dachtehiw
rich. Um nicht grob zu werden« rannte
er davon. Nun saß er am Fenster der
Gaststube unter einem Schwarm ze
chender, spielender und lärmender
Männer, er hörte und sah nichts,
stützte seinen Kon aus und ließ sich
Grog bringen, den er hastig hinunter
stiirzte. .
»Entschulidgen Sie, Herr Beer
mann,« redete ihn jemand an.
hinrich sah aus, ah. der Pferde
!k«,iindler, dem er seine alte Möhre ver
s taust hatte
i »Was wollen Sie« Schorsmeier?«
! .Thaten mir leid, als ich Sie fos
stritt-sinnig fah." Der Mann feste sich
: ihm gegenüber. »Dein fehlt nur eines,
Schorsmeier. sagte ich zu mir: er
braucht ein liebendes Weib-«
»Brauch’ ich gar nicht, lasien Sie
mich in Rhuhets
«Man sachte, haben ia Jbren sreien
Willen. Aber da ist eine: fünszigtaik
send Thaler Mitgist — un’ höllisch in
Sie oerschossen.«
»Wil! tein Geld, habe genugt«
»Alle Achtung!" rief der Biehbönd
ler erstaunt. «Aber wenn Sie auch
aus Beernianns hos gräsig im Fett
schwimmen, müssen doch mal an die
Geschwister abgeben. Sie ist ’ne reiche
Ackerbiirgerstochter aus FallingbosteL
Warum soll ich’s nicht essen sagen,
Stinte klintje schreibt sie sich. Sie
tennen te ja auch. Jst da im Saal.
können mit ibr tanzen. ist ’n tücht’ger
Arm voll und ’ne strnmme Arbeiter
»Meine Arbeit thun Mutter und
Schwestern.«
«Na ja, die Mutter seht sich doch
mal ganz gerne aus 'n AltentheiL und
die Mädchen heirathen. Die Aelteste
soll ’n bißchen wöblerisch sein. Aber
fiir vie herren Brüders wüßte ich
auch wobl was.« - .
«Können sich ja an die machen
Mich lassen Sie mit Ihrer heirath
verrnitilung zufrieden« Er erhob sich
unwirsch
.Wenn’g doch noch was wird mit
Flintjens Stine, vergessen Sie mich
s nicht!«
Gequält schritt Hinrich -binaus, ed
zog ihn wieder in den Saal. Ob sie
snoch immer neben Feder saß? Von
Anfang an hatte sie sich zu dem ge
halten. der war in auch ein viel seine
rer Herr ale er. , Er fühlte, daß der
strrse Grog ibm zu Kopfe stieg. denn
«al«- er in die schwere Lust unter die
Tanzenden trat, drehte sich alles mit
ih- tandem
Da lief ihm die große Flintje in
des Weg und blieb bei ibm stehen
Auch do, here Beerann7«
.Wie——toie —- Sie sehen. Wollen
wir zusammen einen abtreten2«
Gerne, here Beermann.«
lj er sie umfaßte. dochte·er: »Viel
J
leicht wird Marie doch eisersiichtig —
urid er stürzte sich mit seiner stram
men Tänzerin, an der er sich im
Nathsalle halten konnte, ins dichteste
Gewoge. «
Und Marie bemertte ihn und em
pfand einen mang, ihm mit ihren
Blicken zu olgen. Wie garsti es
aussah, dies plumpe, ältliche öd
chen!
Der Anblick that ihr weh-—- sonder
bar weh, es war dac Schlimmste,
was sie heute erlebte. Sie legte ihre
hand aus des in Gedanken versunke-»
nen Fedors Arm und bat: »An-mark
laß uns hinausgehen, mir ·" wird
schtecht.« «
Er willsahrte ihr sogleich, sah sie
besorgt an, drängte sich mit ihr zum
Eingang durch, und sührte sie der's
haue.
Hier athmete sie tles aus, befreit und
erleichtert. »Es war schrecklich da
drinnen.«
» ch blieb ja nur, um nach Liibeth
zu ehern«
»Willst du wieder hineins«
»Nein, ich bin machtso5, sie läßt sich
doch nicht bedeuten. Versuche dirs
nochmals.«
»Ich hülse ihr gern zu ihrem Besten,
denn ich habe sie lieb.«
Großvater sasz mit ein paar ande
ren alten Männern vor dem hause in
der Sonne. Sie tauchten aus«turzen
Weisen und sprachen behaglich und
»
.;,s««j"aky;!5i’kt1sm s. s, .
bedächtig iiber Land und Leute« Wo
Kruse Vater aus iddars hinkam,
hatte er bald das ort.
Er setzte auseinander, wie s ders
sei, daß es in ihrer schönen Dei noch
so viele dliindereien gäbe. «?iitten
wir ’ne achhilse von oben, onnte
sich mancher Däusling besehen und
ein gutes Brod haben.«
Alle hörten ihm gern zu, re nickten.
spuckten aus und sagten: ,, o ist’s.«
Als Großvater die beiden jungen
Verwandten aus dem Wirthshause
treten sah, tam er heran. Sie s iit
tellen sich die Hände. »Um sieben ah
ren wir. Marielen. Jch mag nicht bei
nachtschlasender Zeit nach hause lom
irren-«
«Ehen sechs,« sagte Fedor, nach sei
ner Uhr sehend. «Lasz uns noch ein
Stück am Bach entlang gehen, Marie,
dann wird dir besser.«
Sie solgte ihm gieri. Es war ein
schöner friedlicher Frühlingöabend.
Die Sonne stand noch hell am blauen
Ihrmmeh und die Vögel sangen in den
Biischen, als see zwischen Gartenhecken·
» zu dem Pfad hinunter gingen, der sich,
hie und da von Kopsweivej begrenzt,
am Bache hinzog. Jn beider, Her en
brannten und wogten peinliche e
siihlr.
Der junge Vitar war sich seiner
Empsindungen bewußter als das
Mädchen, und betrübte sich schmerzlich
wenn Lisbeth ihm wieder einmal recht
leichtsinnig, eitel und siatterhast er-?
schien. Eigentlich war ja Marie viel;
verständigen aber doch irrten seines
Gedanken immer auss neue zu der;
kleinen thiirichten Lise zurück, der ers
aar zu gern aus den rechten Weg ge-;
holsen hätte. Wenn der Oehlte, der
Sausewind, ihr nur nichts in den(
Kops setzte. · »
(Fortsehung folgt.) l
Wenn unser Haar ergraut. l
Es ist ein beliebtes Thema für 1
Feuilletonisten und Romanschriststel
ler, das Thema vom ersten grauen
Haar. Gewöhnlich wird seine Ent
deckung recht stimmungsvoll geschil
dert. Etwa so: Eine Frau sitzt, in ih
renFrisirinantel gehüllt. vor demSpie
gel und tätnmt ihr langes Haar. Lang
muß es immer sein, das gehört zum
Bilde; ob es blond ist oder schwarz
oder gar tizianroth, das hängt von der
Liedhaberei des betreffenden Schrift
stellers ab. Also die Dame, die in je
nem Alter steht, wo man aufhört, sei
nen Geburtstag zu feiern, kämmt ihr
Haar und denlt an die Ersolge, die
ihr der gestrige Ballabend gebracht
hat. Unstreitig war sie die Königin
des Festes, am meisten gefeiert, am
meisten umschwärmt. Während viele
der jungen Mädchen als Mauerbliim
chen an den Wänden entlang saßen
und vergeblich des Ritters harrten, der
sie erlösen sollte, slog sie von Arm zu
Arm.
Plötzlich schreit sie laut aus, starrt
aus ihr haar, dann in den Spiegel,
dann wieder aufs haar zurück. Aber
es ist leine Täuschung. Zwischen den
ldenen oder braunen oder schwarzen
"den liegt einer da, der sich von den
andern schars abhebt, dessen Grauweiß
aus’der haarsiille hervorleuchtet.
Je nach dem Geschmack des Schrist
stellers und nach dem Charakter der
geschilderten Frau wird die Wirkung
dieser Entdeckung verschieden sein.
Die eine wird weinen, die andere rasch
entschlossen dasv weiße haar ausreiszen
nnd sortwerfen, die dritte wie
derum —- -— —
Doch wie dern auch sei, ein Gesiihl
der Wehmuth wird keiner von uns un
terdrücken tännen, nn er auf seinem
Oaupte diesen ersten oten des heran
nahenden Alters entdeckt. Unwillliir
lich wirst man einen Blick zurück aus
die verflossenen Jahre. die Zeit der
Jugend, und eine Frage steigt in unt
ims, mag sie nun ausgesprochen oder
nur empfunden werden« die Frage:
»Warum-müssen wir grau werdenk
l
Ja warum? Leichter gefragt, alss
getantwortet! Warum altern wir
überhaupt? Warum können wir nicht
ewig jung bleiben? Weil es immer so !
war und wohl immer so sein wirdii
Ja, das ist eine Wahrheit, eine bittere ;
und zugleich tröstende Wabebeiix aber?
ist es denn auch eine Erklärung? Ge
wiß nichti
Der Versuch, eine wissenschaftliche
Erklärung des Ergrauens zu geben.
Htonnte naturgemäß erst dann gemacht
werden, als die Vervollkommnung des
Mikroskopes es gestattete, auch den
feineren Bau des haaees zu ftudiren.
Denn das haar, das sich dem bloßen
Auge als ein ungegliedeeter Faden
darstellt, besieht inWirklichkeit ausdrei
Schichten: einer Marksubftanz im Jn
nern, einem dünnen Deckbäutchen an
der Oberfläche und zwischen beiden als·
mächtigste YSchichie die Rinde, in der
massenhast kleine Farbkärnchen einge
lagert sind. welche dem Haare seine
Färbung verleihen.
Die mikroskopische Untersuchung bat
nun gezeigt daß in dem ergrauten, re
spektive weißen haare diese Faebkörm
chen fehlen. Dies erklärt ungezwun
gen die Veränderung der Farbe. Es
ist gar nicht nothwendig zu diesem
Zwecke eine zweite Erscheinung heran
zuziehen, die ebenfalls in den ergrau
en haaren sich findet, während das ge
färbte sie nicht zeigt, nämlich das Vor
kommen von lustgesiillten Hohleäw
men im Marte.
Die- Frage, wodurch sich das graue
haar vo, dem gefärbten unterscheidet,
haben wir also beantwortet, nicht aber
jene, wodurch dieses Verschwinden der
Farhiörnchen bewirlt wird.
Man nahm früher an, daß mit fort
Fähjgleit verliere, neue Farbiörnchen
zu erzeugen. Da bekanntlich das haar
beständig sich an den Spitzen abnith
und von der Wurzel her nachwächsi,
konnte dieseErtlärung zurNoth fiir die
Fälle des allmäligen Ergrauens aner
tannt werden. Sicherlich trifft sie bei
jenen Leuten zu, die — meist vergeer
schastet mit andern abweichendenFarb
verhältnissen im Körper, zum Beispiel
an der Negenbogenhaut des Auges —
schon von Geburt an weiszhaarig sind.
hier handelt es sich um einen angebo
tenen Entwicklungsmangel des Kör
pers, welchem die Fähigkeit abgeht,
Farbtärnchen zu erzeugen.
Aber so recht befriedigend war diese
Erklärung denn doch nicht, weil es den
Thatsachen wieder-sprach daß nur das
nachwachfende Haar im Alter grau ist.
Vielmehr weiß jeder aus eigener Er
xfahrung, daß auch die bestehenden
Waare, nicht nur die neuwachsenden,
.ihre Farbe verlieren. Man versuchte
sich allerdings dadurch zu helfen, daß
man sagte, in der Martsubftanz bilden
sich Lücken, in welche Lust eindringt,
und das ist die Ursache des Ergrauens.
Aber das Verfchroinden der arbtörn
chen aus diesen Haaren it dadurch
nicht erilärt.
—
schreitendem Alter der Körper die,
Jm Jahre 1901 hat der bekannte
Forscher Metfchnitoss der Londoner
gelehrten Gesellschaft eine Arbeit
vorgelegt, die siir das Ergrauen der·
Haare eine ganz neue Erklärung gibt.
Um sie zu verstehen, müssen wir ein
wenig weiter ausholen.
Das menschliche Blut enthält be
kanntlich ausser den flüssigen Bestand
theilen auch geformte Elemente, von de
nen die einen rothe, die andern, ansahl
weit geringer, an Umfang bedeutend
größer, weiße Bluttörpercherr genannt
werden. Diese letzteren haben die
Fähigkeit, ihre Gestalt zu verändern
und sich selbständig zu bewegen. Der
obengenannte Forscher hat schon vor
längerer Zeit gezeigt, das; diese Blut
bestandtheile im Stande sind, tleine
Körperchem zum Beispiel Bazillen,
mit ihren Fortsätzen zu umklammern,
in sieh auszunehmen und zu verzehren,
weshalb man ihnen auch den Namen
»Fres3zellen« beigelegt hat«
Nun wies Metschnitoss nach, daß er
in den ergrauenden Haaren zahlreiche
derartige Freszzellen sand, welche die
Farbtörnchen in ihr Jnneres ausnah
men und verzehrten. Jm gefärbten
Haar finden sich diese Gebilde nicht.
Nach dieser Erklärung besteht also
das Ergrauen nicht in einem Nachläs
sen der zähigkeih Farbe zu bilden.
sondern «ese wird, kaum gebildet, von
den Freßzellen aufgezehrt.
Diese Beobachtung erllärt auch die
nicht gar so seltenen, bisher rätsethaf
ten Fälle des plötzlichen Ergrauens,
des Weis-werdens der haare iiber
Nacht. Mächtige Gemüthsbewegungen,
wie Schrecken oderFurcht, können diese «
Veränderung bewirten. Der Forscher
berichtet, daß er in der Lage gewesen
sei, einen derartigen Fall zu untersu
chen und daß er dabei tonftatirt habe,
daß ein plöhliches Zuftrömen der
Freßzellen nach den haaren in großer
Menge stattfand, und zugleich diese
Gebilde eine besonders iebhaste Thätigs
teit entsalteten.
Damit ist auch von diesen wunder
baren Fäsen, welche von jeher die
Phantasie mächtig anregten —- man
denke nur an das Märchen von der
Königstochter, die der Kummer einer
Nacht grau«machte, bis ihr die Freude
einer Stunde wieder die verlorene
haarfarbe zurückbrchte — der Schleier
des Geheimnißvollen gelüstet. Das
rein Mechanische-des Vorgangs ist er
klärt; duntel allerdings bleibt noch der
Zusammenhang zwischen der seelischen
Erregung und der Veränderung im
Körper. Die Anstellung dieser Frage
fiihrt uns in ein Gebiet, das trotz Se
ziermesser und Mikrostop heute noch
ebenso dunkel ist wie vor tausend Jah
ren, in das Gebiet des ufammenhani
ges zwischen Körper un Seele.
Dr. Adolf Satt
Jst-le Institut-z
swy VI
Paul: »Ist ei wahr, Den Doktor«
daß Sie meine Schwester heirathen
wollen?,«
»Alleedings. Warum fragsi du?«
Paul: »Weil ich Sie bewunderr.
Sie sind ihr erster Bräutigam, der
wirklichen Muth zeigi.«