Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 09, 1907, Sweiter Theil., Image 5

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    Nebraska
Staats-Anäeiger und erroldF
Jahrgang 27
Gkajid Jota-w Eis-or» 9. auguii iäom usw-im Thau
Nimmt-r 50.
Am Morgen.
Frisch aus, in den jubelnden Morgen
hinein!
Hinaus in die lachende Welt!
Sie isi 1a voll fielk und voll Sonnen
Auch ohne den Beutel voll Geld!
Drum froh gefahrend ins blühende
An heute denk’, nicht an morgen!
Beut« den Abschiedsgeusz Dir manch’
freundliche Hand,
So laß zuriiä nur die Sorgen!—
Nun wandte — und raste, wo Dir’3
gefällt
Wo stoh man genießt das Sein! —
Am Ende ist schonmein Ruhplah be
si
Dann, schauend die Schönheit, schlas’
ein!
Sein Werk.
Novellette von helmuth tan
Mor.
Mit müden, langsamen«Schritten
hatte er die teppichbelegte Treppe er
stiegen. Nun stand er, schwer athmend,
vor der Thür, und seine Augen, die
tief in ihrenhö ten lagen, ftarrten
auf das Messing ildchen, das die
Ausschrift »Dottor Hermann Gus
dorf'« trug. Der schwere Kampf- der
sich in seinem Jnnern abspielte« malte
sich deutlich genug auf seinen Zügen;
endlich aber zog er doch die Glocke,
um freilich in demselben Augenblick,
da ihr schriller Klang zu ihm heraus
tönte, die Rechte wie erschrocken sinken
zu lassen. Fast hatte es den Anschein,
als wollte er sich ur Flucht wenden,
ehe man ihm ges et hatte, aber er
besann sich dann doch eines Anderen.
Mit gesenttem haupte blieb er stehen,
und als ihm ein Mädchen in tleidfas
mer Zofentracht öffnete, nannte er ihr
seinen Zinnen mit der Bittte, ihn dem
Herrn - ottor zu melden
Und man ließ ihn nicht langswars
ten. Mit einem »Der here - ottori
lassen bitten!« führte ihn das Kam
mertiihchen in das Arbeitszimmer des
Hausherrn, und mit ausgeftrectten
Händen ging ihm Hermann Gersdorf
-entgegen.
.,Ludwig! ——. Alter Freund! Das
nenne ich einmal eine gelungene
Ueberraschung!« rief er mit einer fröh
lichen herzlichkeit, die unmöglich er
kiinstelt fein konnte. Der Besucher aber
legte trotzdem nur mit sichtlichem Zö
gern seineRechte- in die gebotenen
Hände.
»Ich danke dir für den Willkom
.mengruß,« erwiderte er mit rauher,
tiangloser Stimme. »Aber ich möchte
dich nicht betrügen, hermanm Es war
mir um eineUbeerraschung so wenig
zu thun wie um einen freundschaft
liechn Besuch. Jch komme lediglich
»als Bittfteller zu dir. Und du thust
vielleicht tlug daran, dein Benehmen
von vornherein so einzurichten, wie
man es Bettlern und ähnlichen Leu
ten gegenüber zu thun pflegt.««
Der· heitere Ausdruck verschwand
nun freilich von dem Gesichte des An
deren. Mit ruhigem Ernst erwiderte
ser:
»Wenn du mir gleich bei unserem
Wiedersehen Gelegenheit geben willst,
dir meine sreundschaftlichen Gesinnun
gen zu beweisen, wirst du mir damit
natürlich nur eine reude bereiten-«
« Vorerst aber le st u doch wohl ab.i
Und dann mut du mir gestatten,
meiner Frau —«
Aber Ludwi Mainhold unterbrach
ihn mit einer ast gebieterischen Hand
bewegung. «
»Ich bitte dich-laß uns allein!
bleiben, Hertnann! —- Und wenn du
erlaubst, behalte ich den Mantel an.
Es ist das einzige anständige Klei
dungsstiich das ich noch habe-— und
mit meinem schädigen Anzug würde
ich in deiner prachtvollen Wohnung
eine gar zu jämmerliche Figur ab
geben«
»Ludtoig!« Vielleicht wider seinen
Willen klang das Ers retten allzu
deutlich aus Gersdor I Stimme;
»Wie ist es möglich —-—« i
Er brach turz ab. Mainhold aber!
vollendete den Saß: l
»Daß ich so heruntergetommen· bini
-—wolltest du sagen-? — Ja, tieber’
Freund. darauf muß ich selbst dir die
nttvort schuldig bleiben. ch tönnte
dir ja Allertei von der S lechtigteit
der Men chen erzählen und ihrer ba
«"d(nlosen ieoertracht; aber das ist ein(
altes Lied-—- und vielleicht hat mich«
meine eigene Dummheit nnd Lebens
untauglichteit auch mehr» «an den
Hund gebracht, als die Schurtereien
einiger armseliger Wichte. Bedeutung
hat ja doch schließlich nur die That
sacke, daß ich zum hungerleider ge
worden hin.«
»Und deine-deine Frau-i«
»Meine Frau?« wiederhose Main
hold langsam. »Meine Frau ist glück
licher als ich. Jn der ersten Zeit unfe
res Elends hat fee ja wohl noch mehr
darunter gelitten wie ich—ich wollte
mir meinen herrlichen Optimismus
so gar nicht rauben lassen. Aber seit
dem sie den Verstand verloren hat,
ist sie meiner Meinun nach mit ih
rem Loose ganz zufrie n.«
Ein Schauer des Entsetzens schüt
telte Gerdsorf. Ludwig Mainhold aber
fuhr so gelassen ofrt, als erzählte er
die alltäglichsten und gleichgültigsten
Dinge:
s »Sie ist wieder zum iKnde gewor
den, und die Noth des Lebens be
kümmert sie nicht mehr. Wenn sie
nur satt zu essen bekommt. ist sie be
ruhigt — alles andere kümmert sie
nicht. Das Merkwürdige ist, daß sie
dabei noch immer mit leidenschaft
licher Liebe an mir hängt-—- würe das
nicht, hätte ich mich natürlich schon
lange erschossen. Ich weiß aber, daß
sie daran zu Grunde gehen würde,
könnte sie mich nicht mehr tagtäg
lich sehen; und weil ich ihr doch die
einzigen glücklichen Stunden. meines
Lebens derbe-ske, muß ich mich ihr
ietzt dafür ertenntiich zeigen und für
sit weiter vegeiiren. Jch habe mir
bis heute durch Adressenschreiben und
ähnliche schriftftellerifche Arbeiten
unser Brod verdient; jetzt habe ich
jedoch fiir den Augenblick auch diesen
Verdienst verloren, weil ich meinen
Auftraggeber einen Blutsauger und
betrügerischen Schurken genannt
habe. Er hatte nämlich einen armen,
der wie ich für ihn arbeitete, um seine
sauer verdienten Groschen geprellt.
Jetzt sind auch meine letzten Pfennige
ausgegeben, und weil ich nicht wußte,
wovon ich meiner Frau morgen zu
essen geben sollte, habe ich zu dir kom
men müssen.«
»Warum aber kommst du jetzterst
—Dentft du denn so tlein von mir?
War es denn nicht einfach meine
Pflicht, dir in deinen Bedrängnissen
eizustehen?« 1
»Deine Pflicht-Rein Heimaka
das war es nicht! All die, an die ich«
mich hier und da um Unterstützung
gewandt habe, — all meine sogenann
ten Freunde, die mich mit einem be-:
dauernden Achselzucken abfertigten —»
sie handelten wie-rechte Menschen,
denn ibnen allen hatte ich nichts Gutes
erwiesen in der Zeit, wo es mir noch
etwas besser ging. Dir aber hatte ich
ein große Leid zugefügt und du hat
test ein Recht, mir die Thür zu wei
sen, wenn ich tam.«
»Nicht mehr in dem Augenblick, da
ich an der Seite einer herrlichen Frau
mein Glück gefunden hatte, Ludwig—
Und wohi auch vorher nicht. Du
hattest ja nichts davon gewußt, daß
auch ich deine Frau liebte-und ihr
Herz hatte sich doch für dich entschie
den. Da durfte ich dir nicht grollen
—und als ich meinen ersten, leiden
schaftlichen Schmerz überwunden
hatte, habe ich nichts so sehr herbei
gesehnt, wie den Augenblick, der mich
wieder mit dir zusammenfiihrte und
mich dir sagen ließ, daß ich nicht auf
gehört hatte, dein Freund zu sein.
Deine Schuld ist es, Ludwig, daß
dieser Augenblick so spät gekommen
ist«-nicht die meine.«
,.Laß mich dir auch fiir diese Worte
danken, Hermann —- denn sie lehren
mich, daß ich nicht gnz und gar irrte,
als ich früher einmal an Edelmuttz
und Selbstverleugnung bei den Men
schen glaubte. —-J.Itun aber Fu meinem !
Anliegent Jch habe dieltbsicht, dir
eine Arbeit aus meiner Feder zu ver
kaufen.« «
»Für meine Zeitschrift? —Das ist
das erste erfreuliche Wort, das ich
heute von dir höre, mein Altert«
»Ich tann mir wohl denken, wie
groß deine Freude sein muß. Es war
ja ein furchtbarer Schlag für die deut
sche Literatur, als ich mich vor Jahren
entschloß, die Schriftstellerei, die mir
nicht einmal Brod uno Obdach ver
schaffen konnte, an den Nagel zu hän
gen. Jch habe mir damals geschworen,
teineZeile mehr zu schreiben. Aber
man wird so leicht meineidig, wenn
man sich in verzweiselter Stunde ge
lobt, einer alten Liebe siie immer zu
entsagen. Und so habe ich denn doch
wieder einen Roman verfaßt. chwill
dich nicht durch avgebrauchte edens
artenwerstimmem sonst würde ich
vielleicht sagen, es müsse mein bestes
Wert sein, weil ich sozusagen mit
meinem Herzblut eschrieben habe.
Aber das-, es mein etztes Wert sein
wird, und daäheich mich um nichts in
der Welt so r Arbeit noch einmal
unterziehen möchte, dessen darf ich dich
getrost versicheru. Jch weiß nicht« wie
viele trostlose hungerniichte ich durch
wacht habe, Um mit iroststarren Fin
gern Kapitel an Kapitel zu reiben.
Aber ich weiß, daß mir ein Grauen
überiam, als ich endlich den fertigen
Stoß beschriebene-.- Blätter vor mir
liegen sah, ein Grauen vor der Un
...—--.—- -.—. ..s«-. —;;j.. —-..- «-.-..
stimme von Elend und Qual, die die
arme Menschenlreatut zu tragen im
Stande isi.«
»Und warum hast du das Manu
skript nicht gleich mitgebracht?«
»Konnte ich denn wissen, welcher
Art meine Aufnahme hier sein würdes»
Jch habe mich daran gewöhnt, sehr bes;
scheiden zu sein in den Hoffnuarkem
die ich auf die Großmuth der -
schen setze. Aber wenn du das Manu
skript lesen willst, morgen früh kann
ich es dir überbringen.« «
»Ich erwarte es rnitBeftimmiheii,’
lieber Freund! Und du mußt mir
erlauben, dir gleich jetzt einen Bor
schuß darauf zu geben.
,,Gewi«ß erlaube ich es dir —- ich
sagte dir ja schon, daß ich nichts mehr
zum Leben habe. Aber ich habe dir
Ia den Preis für meinen Roman noch
nicht genannt. Er beträgt sechstau
send Mart.«
Unverwandt ruhte sein glühender
Blick auf dem Gesicht des Freundes.
Der aber blieb ganz unbefangen.
»Du wirst mir gestatten, dir darauf
nach der Lesung des Manuskriptes zu
antworten. Für die Romane, die in
meiner Zeitschrift erscheinen, pflege ich
vier- bis fünftausend Mark zu bezah
len; es ist ja aber doch leicht mii lich.
daß deine» Arbeit auch für den rich
oerlag Erfolg verspricht. Und dann
müßte das Honorar natürlich entspre
chend höher sein.«
Da stand Ludwig Mainhold lang
sam auf.
»Wenn du rnir jetzt also den ver
sprochenen Vorschuß geben willst, Her
- mann!—Jch will dir noch etwas sa
;gen: wäre deine Antwort auf meine
;Forderung anders ausgefallen, als du
isie gegeben hast,—so hättest du deine
Isreundschaftliche Gesinnung nur noch
darin bethätigen können, mir und
meiner Frau ein anständiges Begräbq
nisz zu schaffen. — Jch danke dirll
Also auf morgen!« l
Mit dem gleichen düster-ernsten Ge-T
sichtsausdruck, mit den gleichen müden
cchn wie bei seinem Kommen,
stie er die Treppe des Miethspalastes -
wie er hinab. Bis zu seiner Wohnungi
im äußersten Norden der Stadt hatte»
er einen weiten Weg, und die Hat-I
tun seines mageren Körpers war noch
hinsiälliger und gebückter geworden,
als er nun die fünf düsteren engen
Treppen erklommen hatte, die zuset-·
net Behausung unter dem Dache em
porfiihrten. Mit einem rührend zu
traulichen Lächeln kam ihm die arme
kleine Frau entgegen, deren einstens
schönes Gesicht Kummer und Noth
entstellt hatten. Ludwig Mainholü
küßte sie auf die Augen, über denen es
beständig wie ein Schleier lag, und
ging dann langsam zum Tische.
Da legte sich ein seltsam drückendes
Gefühl über ihn. — Hatte er denn
feine Arbeit, seinen Roman nicht hier
her gelegt, als er ihn vor dem Fort
gehen noch einmal durchflogen hatte?
Aber er war nicht zu finden.
»Marcella!——Hast du das Panier
fort enocnmen, das hier lag?«
engstlich sah sie zu ihm auf.
»Das Papier? —Ja —es war so
,talt, Ludwig —- und ich fror so —
und da habe ich Feuer gemacht-— da
Ihabe ich das Papier genommen.« —
Der Bote, den Doktor Hermann
Gersdors am dritten Tage nach dem
Besuche des Freundes zu ihm schickte,
begehrte vergebens Einlaß. Und als
man die Thür erbrechen ließ, fand
man Ludwig Mianhold und seine
tleine arme Frau erschossen.
König ,,cusiik«.
Vor hundert Jahren, in den ersten
Tagen des Monats Juli, treilte
Napoleon seinem jüngsten Bru
der Jerome kurz und bündig mit:
»Sie find als König von Westfalen
anerkannt. Dieses Königreich umfaßt
alle Staaten, deren Aufzählung anbei
erfolgt.«
Der erst dreiundzwanzigjährige Kö
nig hatte eine recht romantifche Vorge
schichtr.
Geboten am IS. November 1784
halte er auf Veranlassung Napoleous
eine sorgfältige Erziehung erhalten,
sollte ursprünglich Kaufmann werden,
wurde dann, als die glänzende Lauf
bahn des Aelteren begann, Offizier
und im Jahre 1800 von ihm, dem
schon allmächtigen ersten KonfuL als
Schiffen-want nach den VII-sündi
schen Gewässern gesandt. Er zeigte
hier wohl persönliche Tapferkeit, be
nutzte aber dann, als die Kämpfe um
lHaiti sich zi: Ungunften der französi
schen Taffet-· neigten, sehr gern die
Gelegenheit, sich in Nordamerika von
den inegsstradazen zu erholen. Jn
IBaltiknore lernte er die aussallend
schöne Tochter eines wohlhabenden
Hausherrn, Elisa Patterson, kennen.
Er hatte schon sriih eine außerordent
liche Gabe entwickelt, den Frauen zu
gefallen, war "bildhiibsch, frisch und
von bezaubernder Anmuth Die Ame
ritanettn verliebte sich in ihn, und nach
einigem Widerstreben des herrn Pa
paö kam die Ehe zustande. Auch einen
Sohn schenkte die junge Amerikanerin
ihrem Gatten, und es gibt bekanntlich
noch heute eine amerikanische Familie
Bonaparte, die ihre Abstammung auf
diesen Sprößling zurückführt. Geri
Cha:les J. Bonaparte, Generalanwalt
in Roosevelts Kabinett, zählt bekannt
lich dazu). .
Inzwischen harte Ycapoleon aber den P
Kaiserthron bestiegen und war empört
über diese »Mesalliance« des Cadets
seines Geschlechts. Seine Brüder durf
ten sich ssninöglich »verplempern«, er
hatte größeres mit ihnen vor. So ging
der entschiedene Befehl nach Baltimore,
Jeroine sollte sofort nach rankreich
heimkehren, und zwar ohne eine Gat
tin. De: gute Geromino war nicht
der Mann,- auf den schönen Titel eines
taiserlichen Prinzen zu verzichten-. Er
gehorchte, verließ seine Frau —- der
Traum war ausgeträunit. Der Kai
ser ließ die Ehe mit Elisa Patterson
für ungültig erklären, und die Bahn
war damit für Jerome frei. Aller
dings scheint es, als ob er in einer der
vielen Kammern feines Herzens immer
einen Rest von Neigung für die schöne
und liebenswürdige Amerikanerin be
wahrt hätte, und es wird sogar er
zählt, e; würde sie gern nach seiner
neuen Residenz Kassel haben nachkom
men lassen, wenn sie nur gewollt hätte
—- doch er war inzwischen auf Napo
leons Befehl eine neue Ehe eingegan
gen.
Der Kaiser fand es nämlich für an
gemessen, daß der König von Weftfa
len au E eine Königin zur Seite habe.
Seine Wahl fiel auf die Prinzessin
Katharina, die Tochter seines getreuen i
Verbündeten, des Königs Friedrich s
von Württemberg. Am 5. August hielt
er ofsiziell sür den Bruder in Stutt
gart um die Hand der Prinzefsin an, i
und man beeilte sich in Stuttgart, sich
der hohen Ehre würdig zu erweisen.
Als Deutsche hat sich Königin Ka
tharina nicht bewährt, Vermittleriii
zwischen Jerome und seinen deutschen
Unterthanen, wie dies Napoleon ge
wünscht ist sie nie geworden; auch die
deutsch« Sprache hat der König nicht
von ihi gelernt, ist überhaupt in deren
Gebrauch nicht über einzelne Brocken
herausgekommen, unter denen sein
,,Lustit! Morgen wieder lustii!« zu
historischem Ruf gelangte.
Anfang Dezember 1807 traf dass
Königspaar in seinem Lande ein, am i
IS. Dezember in Wilhelmshöhe bei
Kassel —- nun schleunigst in Natio
leonshöM umgetauft.
Woraus bestand nun eigentlich das
,,Königreich Weftfalen«?
Es war ein Konglomerat ziemlich
bunter Art, das von der Elbe (mit
Magdeburg) im Osten bis zum Groß
herzogthum Hefsen, Waldeck, Münster,
Bingen im Osten reichte, im Süden bis
guldm im Norden bis Oldenburg.
en Kern bildeten ehemals preußische
Besitzungen (Altmart, Mansfeld,Halle,
Halberstadt, das Gichsfeld, dann Pa
derborn, Minden, die Grafschaft Ra
vensberg) und die bisherigen Oeffen
Kasselschen Lande; ferner die Graf
schaft Stolberg, die Grafschaft Rit
berg-Reunitz, einzelne hannoverfche
Theile u. Braunschweig-Lüneburg —
alle in allem 695 Quadratmeilen mit
rund 2 Millionen Einwohnern. Hier
zu trat 1810 Hannover mit 500 Qua
dratmeilen und 800,000 Einwohnern.
Man würde völlig irren, wollte man
annehmen,daß die deutscheBevöllerung
die neue Herrschaft mit Unwillen oder
auch nur lühler Abneigung aufgenom
men hätte. Der junge König wurde
bald beliebt. Er entwickelte eine be
strickende Liebenswiirdigteit, war leuts
selig und wohlthiitig Dafz er vergnü
gungsfiichtig war, sah man ihm gern
nach. Er brachte doch auch Geld in
Umlauf.
Mehr und mehr begann der König
Geschmack an einer prunlvollen Hof
haltung und an üppigem eigenen Le
benswandel zu finden. Mehr und
mehr nahm er dafür, weit iiber seine
Zivilliste hinaus, die Kräfte des Lan
des in Anspruch. Er wollte aus seinem
Kassel ein kleines Paris machen.
Es ging wirklich sehr »lustil« her an
diesem prächtigen Hofe. Jede Gelegen
heit, einen Tag festlich zu begehen,
wurde mit Freuden ergriffen. Emp
fänge, Balle, Maskeraden wechselten
mit Gartenfesten, Ausfliigen, Boot
fahrten, Jlluminationen, Paraden.
Auf den Bällen tanzte der König selbst
leidenschaftlich, leitete auch wohl per
sönlich die Quadrillen.
Ein französisches Theater kunnte
Hieronymus Napoleon selbstverständ
lich nicht entbehren. Jn einem Flügel
von Napoleonshöhe wurde eine Schaar
von Schauspielern und besonders von
hübschen, jungen Tänzerinnen aus Pa
ris verschrieben. Das alles kostete na
türlich Geld —-«- viel Geld! Und der
selbe Jerotne, der in Paris sich 1,800,
000 Franken hatte leihen müssen, um
mit einigem Anstand in sein neues
Reich zu kommen, griff nun wacker in
den Staatssäckel. Rapoleon, der stets
ein nüchterner Rechner war, ließ es an
Vorwürfen nicht fehlen. Jerome wur
de schließlich widerspenstig, und seiner
leichtlebigen Natur entsprach es, daß
er sich für allen Aerger zu entschädi
gen suchte durch neue, stärkere Vergnü
aunaen.
So kam das Jahr 1812, kam der
Feldzug gegen Ruleand heran. Je
rome wurde vom Kaiser zum Führer
der Armee des rechten Flügels be
stimmt, zu der auch 25,000 Mann«
westfälischer Truppen gehörten, ver
sagte aber völlig, überwarf sich mit
Napoleon, reiste aus dem Feldlager,
von seiner persönlichen Prunltruppe,
der Garde-du-Corps, begleitet, nach
War-schau zurück, amiifirte sich hier
einige Zeit in gewohnter Weise und
begab sich dann nach Kassel, wo er
völlig unerwartet am 12. August ein
tras. Zur höchsten Freude der Kö
nigin, die inzwischen — ganz leidlich
— die Regentin gespielt hatte. Die
Kanonen der Residenz donnerten, und
der Moniteur meldete urbi et orbi,
daß Seiner Majeftät Gesundheit
durch die Strapazen des Feldzuges
schwer erschüttert und deshalb Aller
höchstseine Heimkehr dringend noth
wendig geworden fei.
Gar zu arg wird es mit der schwer
erfchütterten Gesundheit Jeromes nicht
gewesen sein. Er war wenigstens fo
fort wieder ,,luftil«. Wenige Tage
nach der Rückkehr veranstaltete er für
den Hofstaat eine Ausfahrt mit 244
Wagen nach dem Meißner, am 22.
August wurde der Jahrestag der Ver
mählung des Königspaares durch ein
glänzendes Gartenfeft begangen, def
sen Kosten sich a-1f 10,000 Taler be
liefen. So ging es munter weiter, bis
am 1.2. November auf dem Königs
platz zu Kassel das Standbild Na
poleons mit größtem Gedränge ent
hüllt wurde. Noch einmal regnete es
dabei überfchwengliche Huldigungs
phrasem « t«
Dabei stand das Ende bevor.
So wenig Jerome sich in seinen
persönlichen Vergnügungen beschrän
ken lafsen mochte, fiir den allgemei
nen Zustand des Landes war er kei
neswegs blind.s Schon im Dezember
1811 hatte er seinem Bruder geschrie
ben: »Die Gährung ist auf dem
Höhepunkt... wenn der Krieg aus
bricht, werden alle Gegenden zwischen
Rhein und Oder den Herd einer all
gemeinen Jnfurrektion bilden.« Und
nun 1818, wo die Noth des Landes
am höchsten gestiegen war, verlangte
Napoleon neue Opfer, neue Rüstun
gen. Von dem weitfälischen Kontin
gent war noch nicht der zehnte Theil
aus Rußland zurückgekommen, alles
Kriegsmaterial war verloren. Der
Kaiser aber forderte sofortige Neu
aufstellung des Heeres, heischte gebie
terisch die Berproviantirung Magde
burgs auf ein Jahr. Vergeblich bat
und schrieb Jerome um Nachlaß, um
Unterstützung Napoleon gab nicht
nach. Die Steuern mußten aufs neue
erhöht werden, das Land sollte bis
aufs äußerste ausgefogen werden —
aber kein Detret half mehr, die
Staatskassen blieben leer. Hier und
dort brachen bereits lotale Aufstände
aus. Sogar in Kassel selbst zeigten
sich, als der Aufruf König Friedrich
Wilhelms Ill. »An mein Boll« be
kannt wurde, Sympathien für Preu
ßen.
Beunruhigender war die Thätigkeit
preußischer und russischer Streif
korps, vor denen die jungen westfiili
schen Truppen eine wenig ruhmreiche
Rolle spielten. Am 28. September
mußte Jerome sogar vor einem jähen
Ansturm des russischen Korps Czer
nitschofss Kassel verlassen, konnte aber
Mitte Oktober noch einmal zurück
kehren, freilich eigentlich nur, um aus
den Schlössern und Mufeen Kunst
werte und Silberzeug nach Frank
reich zu senden, um fiir sich zu ret
ten, was noch zu retten war.
Die Schlacht bei Leipzig brachte
die Entscheidung Am 26. Oktober
ritt Jerome, ohne seine Residenz noch
einmal zu berühren, von Napoleons
höhe ab, begleitet von dem kümmer
lichen Rest feiner Leibgarde.
Das Königreich Westfalen war zu
Ende. .
Vier Tage nach Jeromes Flucht
wurde in Kassel der Kurprinz von
Hefsen feierlich eingeholt, einen Mo
nat später tehrte der Kurfiirst in seine
Residenz heim.
Hieronymus konnte zunächst in
Stains bei Paris-, wo er sich vorläu
fig niederließ, sein Leben als »König
morgen wieder lustit« fortsehem bis
die Ereignisse ihn überhaupt vom
französischen Boden vertrieben.
Mit seinem Bruder völlig versal
len, versuchte er jetzt auf seiner
Schwiegervater, den König von Würt
temberg, dahin einzuwirken, daß des
sen Fürsprache bei den Berbiindetet
ihm sein Reich —- wenn auch mit Ge
bietsvetkleinerung —- wieder ver
schaffe. Ein naives Verlangen, da
König Friedrich mit der Aufforde
rung beantworten-, seine Tochter soll
sich von Jeäime scheiden lassen.
Aber Katharina dachte anders. Si
weigerte sich entschieden, ihren Gatteivv
zu verlassen. Allen Versuchen, sie vor
ihm zu trennen, setzte sie einen nichj
zu brechenden Widerstand entgegen
Jerome und Katharina zogen al
,,Gras und Gräsin vom Harz« zu
nächst auch nach der schönen Haupt
stadt von Steiermark, um später au
den heißen Wunsch Jeroknes, den
Graz bald zu langweilig wurde, nac··,
dem lustigeren Triest übersiedeln zis
dürfen. Hier erfüllte sich endlich auc".
die schmerzlich-süße Sehnsucht Ka
tharinas. Sie war bisher kinderlo:
geblieben und hatte oft davor ge·
bangt, das Schicksal der Kaiserin Jo ·
sephine theilen zu müssen, von Jeromzxz
geschieden zu werden,,weil sie ihm leis
nen Erben gab. Jn Triest wurde ih
ein Knabe geschenkt —- dem späte
noch ein zweiter folgte, der unter den
zweiten Kaiserreich als Plon - Ploijst
» bekannt gewordene Prinz.
Jerome aber stürzte sich bald it
neue Abenteuer. Er entwich trot
scharfer Aufsicht aus Triest, um sio
an Murat bei dessen Feldng gegei
Oesterreich anzuschließen, nahm dam
theil an den Erei nissen der Hunder
Tage, des letzten Zdiederaufflammeni
des Sterns des gewaltigen Bruders
; ——um endlich, mit Müh und Noth voi
den Bourbonen entkommend, zi. sei is
ner Gemahlin zurückzukehren. Katha .
rina hatte inzwischen eine neue
schwere Schule des Leidens durchge
macht. Sie war in Triest ziemlic
mittellos zurückgeblieben, dann hallis
mit Gewalt gezwungen worden, nack
dem württembergischen Schloß Gott«
pingen überzusiedeln, wo ihr weiter Lj
harte Kämpfe mit dem Vater bevor
standen. ...«--..-».-,. :. » « »F .- 2 »He «
Aber Katharina hielt auch diesmaHFI
stand. Sie nahm Jerome 1815 miss«
offenen Armen aus, sie trug mit ihnd
alle Härten, die König Friedrich, deifil
seinen Schwiegersohn jetzt haßte, die-I
sem auferlegte; sie setzte endlich durch·
daß sie als ,,Fürst und Fürstin Mon-;«
fort« wieder nach Oesterreich zurück
kehren durften, das immerhin gaftsj
freier erschien als ihr .83)eimathslarth.l
Hier lebten sie anfangs auf Schlos
Schönau, dann nochmals in Triest;
; vielfach in großen finanziellen Nöthen .E
iKatharina mußte ihren Schmuck ver
pfänden, sie mußte bald bei der ir
Rom lebenden Madame Mere, bald bei«« ·
ihrem eigenen Bruder, bald bei derr
Kaiser von Ruszland um Unterstützung ,
bitten. Nie aber kam bei diesen demü-,
"thigenden Schritten eine Klage geger
ihren Mann über ihre Lippen. Sie ist
ihm die treueste, hingebend liebende.
;Gattin geblieben, bis sie im Sommer
i1885 zu Lausanne ein schweres Lei
sden von seiner Seite riß. —- Jerome«
zaber erlebte noch das Wiederemvor
jsteigen des Napoleonssterns, sonntei
lsich noch im Glanze des zweiten Kai
serreichs. Von seinem Neffen, Na-«
poelon lll., wurde er in Paris gast
lich aufgenommen, aufs neue als
französischer Prinz anerkannt und —sj·z
was ihm wahrscheinlich besonders liess
war —- mit einer Jahresapanage vonj
einer Million Franken ausgestattet
iAls Marächal de France und Ehren-;
igouverneur der Jnvaliden lebte den«
Zimmer noch lustige alte Herr bis zum
s8. Juni 1860. Seine Gebeine ruhen«
;im Jnoalidendom an der Seite de ’
großen Bruders, der ikm aus denitv
»Nichts zum Könige von Weftsalen ge-;
macht hatte.
-..
Hanns von Zobeltitz.
W
Schwur-je Störche.
i
s Jm sogenannten Urwaloe bei Un
ieeliifz Greis Celle, Hannovet) bot-»
stet, wie wir dem Si Huberius ent-l «
s nehmen, ein schwarzer Storch in einer «
jfehk alten, hohen Eiche; der Baum;
wird seit einigen Jahren als Natur- - «
i denkmal geschont. Dieses Jahr hor
stet der schwarze Storch auch noch
an drei anderen Punkten der Pravinjs
Hannovek, und zwar bei Huxahjs
ILachtehaufen und bei Dannenhütiej
Greis Gifhorn).
W
M—
! Kindermnud.
; Onkel: »Aber, Franzi, was withj -
ldein Papa sagen, wenn du mit den?
pzerrissenen und befchmutzten Kleider-cis
heiintommst?«
Franzlt »Das weiß ich schon!
sagt: Was wird vie Mama sagen?i«