Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 11, 1907, Sweiter Theil., Image 9

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    Der rechte Beter-. ]
Don Max Ieuzit Guterisirte Uebersetung l
von C Taneltux i
Der Tag, an dem Odhlle von Li-!
ancoutt is oder vielmehr diejenige,
welche man unter. diesem Namen
kannte —-— zwanzig Jahre alt wurde,
brachte ihr den ersten schweren Kum
mer«
Jhre Mutter theilte ihr nämlich
mit, daß sie nicht« wie sie bis dahini
geglaubt hatte, die Tochter des Gra
sen von Liancourt sei; ihr Vater sei
ein Landschastsmaler, Namens Guh
Feriag der erste Gatte ihrer MutterJ
von dem diese nach vierjähriger Ehei
geschieden worden wäre.
Von den Gründen dieser Scheidung»
zu sprechen, hielt die Gräfin nichts
für angebracht; das ging ihre Tochter»
nichts an. Odhlle wünschte wohl, sie
tu kennen, doch wagte sie nicht, da-?
nach zu fragen. ;
Niedergeschmettert durch diese Crit-s
hüllung, deren sie nicht im entfernte-’
sten gewärtig gewesen, blickte sie ihre»
Mutter mit ihren großen, grünlichen
Augen ganz erschreckt an. ;
Tausend Gedanken wogten ver-»
worren in ihrem Haupte, und das
Blut hämmerte mit heftigen Schlägen
gegen die Schläfe. E
.Warum", ftammetre ne mir zir
ternder Stimme, »warum hast du mit?
dieser Mittheilung bis heute gewar
tet? Früher, als ich tlein war, wäre;
rnir dies weniger peinlich...« »
lleberrascht hob Frau von Linn
court das haupt. I
»Peinlich? Jch sehe nicht« was die
se Mittheilung Peinlichec fiir dich
enthält! An dem bisherigen Stande
der Dinge wird sich nichts ändern.
Der Graf liebt dich, als wärest du
seine Tochter, und du erwiderft feine
Zuneigung Viele Kinder lönnen
nicht das gleiche von ihrem rechtmäßi
gen Vater sagen. Uebrigens«, fügte
sie hinzu. als sie bemerkte, daß die
Augen ihrer Tochter von standhaft
zurückgedrängten Thronen verschleiert
waren. »wenn wir so gehandelt ha
ben, der Graf und ich, so sollte das
nur zu deinem Besten sein, um dir
das volle Gleichgewicht der Seele zu
bewahren. Und dies wurde uns um
fo leichter, als mein erster Gatte nie
mals die Rechte geltend machte, wel
che das Gericht ihm in Bezug auf
dich zugebilligt hatte.«
»Welche Rechte?« fragte Odylle
sanft.
»Dich zu besuchen nnd dich an zwei
Tagen jedes Monats ganz fiir sich zu
halten«
Das junge Mädchen senkte das
Haupt; es war noch bleicher gewor
den·
»Oh!" murmelte sie, mein rechter
Vater hat mich niemals zu setzen ge
wünscht? tir hat mich nicht geliebt?"
Frau von Liancourt zuette ver
ächtlich mit den Schultern.
»Ich glaube dir gesagt zu haben,
daß er ein Maler, ein Künstler war
ein wenig Both-me sogar. Diese
Art Leute haben im allgemeinen tei
nen Familienstan. Und was deinen
Vater ein-betrifft, der besaß ihn schon
ganz nnd gar nichts Vorwärts! Geh
dich umkleiden! Zur Feier deines
Gedurtstagee will ich mit dir die
Kirmeß in- Voitz de Bologne bes
stichkn.«
, si
«Oic cklills IUIL
,,Nein!« sagte Odnlle und hielt sie
an dem Arm fest. »Ich muß mich erst
ein wenig gewöhnen an..· an dag,
wag du inir initgeeheitt hast«
Wieder zuctte Frau von Linnrourt
rni: ten Schuttern
»Ti: bitt lächerlich! -3ag’ einmal,
gedentii du diese niedergedrückte Mie
ne den ganzen Tag über beizubehal
ten? Vor deinem Vater wäre das
doch etwas heitel!«
»Ich weiß genan, wag ich meinem
tildodtiovater schuldig bin«, erttiirie
dar iunae Mädchen ernst. »Von sei-—
nee Seite habe ich die Zärtlichkeiten
und Liebtosnngen eines Vaters ten
nen gelernt· War es nun aus Liede
oder aus Mitleid, er hat sie mit
reichlich gewährt llnd wenn ich aus
seinen Knien saß, die Hände um sei-—
nen Hals geschlungen, hatte ich teinen
Grund« auf andere Kinder neidisch
zu sein. Das darf mich indessen
nicht vergessen lassen, daß ein anderer
als er ein Anrecht auf meine Lieb
tainngen hat . .. oder auf meine Ge
bete? Denn du hast mir nicht ge
sagt, ob er noch ledi?«
»Er lebt«, stieß Frau von Licht
eourg dumpf hervor; ihre Augen wa
ren test aus Odylles geheftet.
Und könnte ich ihn sehen?«
»Aber wie willst du das erreichen,
mein armes Kind? Ich habe ihn aus
den Augen verloren... Er ist mir
gänzlich sremd, ietzt, da ich wieder
verheirathet bin, und du mußt es
verstehen, daß mein zweiter Gotte ei
übel ausnehmen würde, wollte ich mich
noch mit dem anderen beschäftigen,
wenn auch nur wegen dessen, was du
wünschest.«
»Großmutter kennt ihn. Du
brauchtest dich also nicht darum zu
kümmern, sie tönnte sich damit be
schäftigen!« . . .
»Nein! Sei vernünftig! Du hast
bis jeyt gelebt, ohne ihn zu tennen,
, diesen Menschen... deinen Vater«.s
verbesserte sie sich. »Er hat sich nie
""« mais um dich getlimmert seit den
net-zehn Jahren« daß ich von ihm ge
schieden bin. und ich sehe nicht ern,
weshalb du dich ihm ausdkiiugeu, dirs
dieserhalb etwas in den Kopf sehen!
solltest. Berstanden?" ;
El· It
«
Die Vernissage war auf ihrem.
Höhepunkt angelangt im Salon des«
Champs Elyssied
Jn Begleitung ihrer Großmutter
und einer befreundeten Familie be
fand sich Odhlle unter den glücklichen
Besuchern. Das schlanke, hart-gewach
sene Mädchen erschien in seiner Robe
von weißem Musselin, die nur durch
schmale schwarze Sammetbänder ein
wenig verdunkelt wurde, noch bleicher
als gewöhnlich. Indessen konnte mau»
doch etwas Erregung auf ihrem Ge
sichte lesen, und ihre großen Augen
schimmerten in einem wilden Glanz.
Die Großmutter mußte sich bald vor
Müdigkeit seyen, und Odyle derlor
sich im Gewühl der Besucher. Fieber
hast bliittertex sie itn Katalog nach
einem Namen, der seit zwei Monaten
aus ihren Lippen gewesen war....
den ihres Vaters. Mit zitternder
Hand wandte se die Blätter um.
Plötzlich erzittert sie, die Buchstaben
tanzten vor ihren Augen.
»Da ist er!« murmelte sie, Num
mer 361, Landschaft: Guts Ferias.
Das ist er!«
»Nummer .'.’-61.... JHl61«, wieder
holte sie leise. »Ah! Hier ist der Saal,
es kann nicht mehr weit sein.«
Jn der That, nat einigen Schrit
ten blieb sie vor einem ziemlich gro-:
ßen Gemälde stehen. Und soaleich
eilten ihre Augen zu dem Künstler,
der sehr geschäftig die lehte Hand an
sein Bild legte. Sie betrachtete ihn
mit glühenden Blicken.
Es war ein Mann etwa um die
Fünszig, groß und mager; seine
haare, die er lang trug, waren fast
weiß. Jn seinem regelmäßigen Ge
sicht leuchteten zwei große dunkel
grüne, etwas melancholische Augen«
wie die ihren. Das Herz pochte mit
heftigen Schlägen in Odhlles Brust,
eine eiserne band trampfte sich
gleichsam um ihren Hals, und sie
mußte sich zusammennehmen, um die
Thriinen zurückzuhalten, die hervor
brechen wollten.
Er war es.... ja, es war ihr
Vaterl Sie tonnte nicht daran zwei
feln. Sie war ihm so ähnlich, daß
sogar Fremde die Existenz ihrer ganz
nahen Verwandtschaft erkannt hätten
Ganz in seine Arbeit vertiest,-er
hob der Maler nicht die Augen. Doch
als sie sich zu seinem Namensng
niederbeugte, der rechts in die Ecke
des Gemäldes getritzelt war, blickte
er sie an. Mit einer heftigen unvor
herhedachten Bewegung richtete er
sich aus. Er war sehr bleich geworden.
Langsam erhob sie das Haupt, und
ihre Blicke treuzten sich. Ein heftiger
Schauer schüttelte beide. Eine Minute
lang sahen Vater und Tochter sich
prüfend an, ohne ein Wort zu sa
gen. Der Maler fühlte, daß sein
Kind ihn durchschaute, und dieses
hatte ieinen Zweifel, daß sein Vater
es kannte, obgleich ihre Mutter ihr
das Gegentheil gesagt hatte.
Odhlle ergriff zuerst das Wort.
Sie zeigte mit dem Finger nach dem
Namenszug
»Das sind Sie?« Sie konnte kaum
sprechen
Zu bewegt, um zu antworten.
beugte er bejaheud das Haupt.
Von neuem blickten sie sich an
Die Augen des Vaters wurden sehr
mild, bittend sogar. Sie sprachen,
diese armen Augen« sie drückten die
unsiigliche Melancholie derer aus,
deren Herd durch ihren eigenen Feh
ler zertrümmert ist, welche die Leere
der ieelischen Verlassenheit lennen ge
lernt haben... Odnlle sah, wie sie
sich plötzlich verdunkelten, und wie
zwei Thränen, zwei dicke» schwere
Thriinen iiber die bleich:n Wangen
herabrolltensbis aus den schwarzen
Frack, auf dem sie zwei runde, feuchte
Flecken bildeten.
»Mein Vaterl«
Eine nnwiderstehliche Regung
schleuderte sie gleichsam vorwärts und
schluchzend warf sie sich Gut) Ferias
an die Brust, der wild die Arme um
sie schlimm wie um eine lange heftig
begehrte Beute.
Eine Stunde darauf ging Frau
von Lianeourt, die nach dem Salon
gekommen war, um ihre Mutter szu
treisen, aus die Suche nach ihrer
Tochter; sie war beunruhigt, da sie
Helen und deren Vater ohne Odhlle
hatte zurücklonunen sehen. Sie traf
ihr Kind auf einer Bank neben ihrem
ehemaligen Gatten.
Odnlles Hände waren umschlossen
von denen ihres Vaters, und völlig
isolirt inmitten der um sie herum
toimmelnden Menge erzählten die
beiden sich gegenseitig ihr Leben....
Vater und Kind lernten sich kennen.
Ein Schleier legte sich um die
Augen der Frau von Liancourt, und
sie blieb unbeweglich zwei Schritte
vor ihnen stehen.
Gan Ferias sah sie zuerst und er
hob sich—
»Wer ist deine Mutter, sie sucht
dich, mein Liebling", sagte er zu sei
ner Tochter. Dann wandte er sich zu
seiner einstigen Frau und siigte hin
zu: »Wenn ich bisher keinen Gebrauch
machte von dern Rechte, das mir die
Behörde zuerlannt hat« nädige Frau,
nämlich zwei Tage im onat meine
Tochter fiir mich zu .haben, so war
das der Grund: ich legte mehr Werth
auf Jhre Ruhe als auf mein Glück.
heute habe ich nicht mehr dieselben
Gründe zur Zurückhaltung. und Sie
werden mir erlauben, meine Rechte
geltend zu machen.«
Ein wenis zitternd, vielleicht er
griffen von der Erinnerung an die
Vergangenheit, erwiderte Frau von
Liancourt:
»Ich verstehe Sie·.. Meine Toch
ter ist sehr oft bei ihrer Großmutter;
besprechen Sie mit dieser die Ange
legenheit; Sie mögen Odylle so oft
sehen, als es Jhnen beliebtqkb Kommst
du nun, Odhlle?«
Sie wandte sich kurz um und ging,
ein Gemälde am anderen Ende der
Galerie zu betrachten; so gab sie
Vater und Tochter Gelegenheit, sich
zwanglos zu umarmen . . .
Sie hatte eingesehen, daß trotz
menschlicher Gesetze, und trotzdem die
«Scheidung durch die Uebung gewis
sermaßen geweiht worden ist, die
Bande des Blutes doch immer ihre
» Kraft behalte-i.
»s-- —- - - O- ——--—-—
Die Phantasie des Kindes-.
—
i
I
; Jn der Seele des Kindes spielt die
; Phantasie eine große Rolle.
t Die ursprünglichste Aeußerung der
kindlichen Phantasie ist das Spiel.
» Das Wesen einer großen Anzahl von
F Spielen besteht darin, daß sie den Rah
;men bilden, innerhalb dessen sich die
I Phantasie des Kindes entfaltet, die
: Form, die es mit Inhalt erfüllt. Häu
. fta aefchiebt dies m d» os» »me- kmä
lKind sein Jch in ein anderes Wesen
« versetzt, seine Persönlichkeit urngestal
I tet. Es nimmt ein anderes Alter an,
s ersindet einen Beruf, verwandelt sich in
sein Thier, ja selbst in ein unbelebtes
I Wesen. Immer aber ist diese Art
s phantastischer Thätigteit dadurch cha
i ratterisirt, daß das Kind selbst Mittel
; ounstt und Gegenstand seiner Phantasie
i ist« Auch wenn das Kind in der Um
; gestaltsung von Dingen seelisch thätig
! ist, tritt es selbst mit seinem Erleben
« nicht in den Hintergrund; ein Stuhl
wird umgekehrt, er wird zum bespann
, ten Wagen, und das Kind schwingt als
i Kutscher stets seine Peitsche, nach einer
»Weile wird derselbe Stuhl zu einem
-,Kahn, und gespannt senkt das Kind
Tals Fischer seine gedachte Angelruthe
· in ein eingebildetes Gewässer. Die
I Dinge werden durch die Phantasie nur
der Rolle, die das Kind selbst spielt,
I angepaßt, und es bethätigt sich an den
z umgeschasfenen Gegenständen.
t
»Die Phantastische Umgestaltung der
: Dinge ist psychologisch interessant ge
I nug, um näher aus sie einzugehen· Der
? äußere Gegenstand wirtt zunächst als
iReiz, der die Phantasie in Bewegung
z setzt. Viel ist dazu nicht erforderlich;
; eine entfernte Aehnlichkeit genügt, und
Laus einem Stück Holz ist ein Mensch
E oder ein Bär geworden. Ja selbst das
I bloße wahrnehmbare Vorhandensein
1 eines Gegenstandes genügt, um es zum
Ausgangspunkt eines Gespinstes von
Vorstellungen zu machen. An eine
Eigenschaft des Gegenstandes knüpfen
diese Vorstellungen an. Sowie aber
I die Phantasie ihre Thätigteit begonnen
l hat und die Umschafsung vollzogen ist,
I hat das Ding zu bestehen aufgehört, es
« wird zum Zeichen, zum Symbol, und
H das Kind beschäftigt sich nur mit dem,
. was es selbst schöpserisch an seine
j Stelle gesth hat. Zwar täuscht es sich
jnicht im Geringsten darüber, daß eg
iein Holzstiirt und nicht einen Solda
ten vor sich hat, doch dort, wo dasStück
» Holz liegt, soll eben der Soldat sich be
s finden. Das Ding, das Stück Holz,
« ist ietzt lediglich Stätzpunkt der Pshans
.tasie. Es hat seine Rolle gewechselt
: und dient jetzt ausschließlich dazu, das,
k- -
msfl in Um CI
k-«»--c-t -.. - ..-—
L sp-- -.... »«»«», »»«H«,s, zu ununt
; schaulichen, die einzelnen Abschnitte
Esinnlirh zu markiren und damit der
Anschauung neue Anregung zu liefern.
I Darum ist auch diese Art der Phantasie
;so tvandlungsfähig. Dasselbe Stück
Holz tann im nächsten Augenblick zum
s Thurm werden. Es vertritt dann nur
: ein neues Phantasiegesbildr.
. Jrnmer hat aber in diesen Fällen das
IKinds mit dem Gegenstande auch sich
i selbst umgeschafsen. Den eigentlich be:
i stimmenden Inhalt liefert die Thötig
i teit des Kindes-, der die Umgebung um
bildend angepaßt wird. Die zentrale
l Stellung des Ich ist ein Grundzug der
- kindlichen Phantasie-. Der umgeschas
! fene Gegenstand hat nur die Stellung
seines duldenden Dinges, höchstens die
I eines iviltfährigen Spielgesährten, das
i sich der Laune seines Gebietcrs fügt.
FDamit im Zusammenhange steht eine
. zweitesEigenthiimlichteiL Die Phan
i tasie des Kindes, das vornehmlich Ge
s fühlen und Trieben folgt, ist wesentlich
; Wunschphantasir. Das Kind erfindet
s Gestalten, Situationen und Umgebun
tgen, in denen gerade sich zu befinden
j ihm lieb wäre. Der Wunsch, das
; augenblickliche Jdeal des Seins, ist der
sZielpuntt seiner Phantasie. Es gibt
i keine Form aller ihm vorstellbaren Ge
nüsse, die es nicht derart durchleben
könnte unter sorgfältiger Ausscheidung
störender Bestandtheile. Es it Heer
führer, Prinz und König, Ia noch
mehr: es lebt als jegliches Wesen, das
nur etwas ihm Wünschenswerthes an
sich hat« ohne von dessen Leiden ergrif
fen zu werden. Es fliegt als Vogel und
v schwimmt als Fisch; doch keine unan
Egenehtne Nealität stört es in seinem
Glück. So wird die Phantasie nur
Form, in der das Kind sich selbst aus
lebt. Natürlich ist es sehr angehalten,
wenn Jemand di Gegenstände seiner
Illusion als das handelt, toas sie
nd.
Zu Venedig war’g, in einer Januar
Nacht im sechzehnten Jahrhundert, als
iMadonna Beatrice zornig und gede
I mitthigt oon einem pomphaften Feste
Iim Dogenpalast heimkehrte und, nach
dem sie ihre unselige Zofe während des
Auskleidens durch allerlei kleine Malt
cen geärgert hatte —— man bedenke, es
I war ja im sechzehnten Jahrhundert! —--—
sich wüthend auf ihr Lotterbettlein
warf, um über denVerlauf des Abends
nachzudenken, an dem ihr so Uner-hör
I teg widerfahren war. Messer Lionardo,
«der heimlich Geliebte und, ach, von so
» vielen Risvalinnen Verwöhnte, hattes
tihr die Hand geküßt, dann aber dies
Nase geriimpft nnd geflüstert: ,,-Euere
Hand ist rauh, Matt-onna der scharse
sOst, der seit Tagen dnrch Kanäle und
i Gassen weht, schadet Euerer zarten
shaut« — — und damit hatte er sich von
s ishr abgewandt, um nicht wieder zurück-«
zutehren Und nun saß sie da, ge
kränkt, verschmäht, nnd zerbrach sichs
das hübsche Köpfchen, was sie anstel-j
len könnte, um ihre allzu zarten Hände
gegen den Frost zu schützen, der in die
sem Jahre so besonders scharf sich ein
gestellt hatte, ja sogar in die Paläste
eindrang. Auch jetzt sröstelte Mal-on
na Beatrice; unwillkürlich wickelte sies
ihre Hände in das Rauchwerb mit dem
ihre langen Hängeärmel verbrämt wa- -
ren; wohlthuende Wärme durchströmtei
l
s Vom Musi.
I
Wie Ulllgck «-- Da Vlitzlc klU chlllltcl
durch Beatricens Hirn — sie hatte das z
gesuchte Mittel entdeckt und eine Erst
findung gemacht — den Muff. f
Bald trug in Venedig jede Schöne,
die etwas aus ihre Hände hielt, denl
Muff, der sich von der Lagunenstadt
aus schnell über ganz Europa verbrei
tete und zuerst bei Frauen, später auch i
beim stärkeren Geschlecht Gnade fand.s
Jm 17. und 18. Jahrhundert trugl
man ihn sogar in Haus und Gesell!
schast. Die »Prerieuses« im Hoteli
Rambouillet haben zu Moliere’s Zeiten i
den Muff ebenso gewandt und .imu-I
thig gehandhabt, wie den Fächer, frei-«- s
lich war er damals noch nicht zu so riess
« sigem Umfang gediehen, wie etwa hun- s
! dert Jsachre später zur Directoire : Zeit. l
IAuf den Porträts aus dem Ende desl
118. Jahrhunderts, den Bildern eines
sGainssbordugh Rennolds u. a., spielt
»der Riesenmuff eine große Rolle. Er
zhat seitdem allerlei Wandlungen ·-1
snicht in der Form, wohl aber in derl
Größe —-—— durchgemacht. Während;
des verflossenen Jahrhunderts ist er
langsam zusammengeschruinpst, bis zu E
jenen unpraltischen lleinen Bündelchen, i
in denen taum die Fingerspitzen Platzs
sfanden In den letzten Jahren hat man -
ssich jedoch wieder auf feinen eigentli-!
chen Zweck besonnen, und er ist gewach: l
sen und gewachsen, bis er an Umfang1
beinahe seinem Urahne vor einem
Jahrhundert glich.
- « i
v i
Seiner Augen Gewitt.
Der ruhige Mann mischte sich be-.
scheiden in das Gespräch, welches die
anderen Herren am Tische über den
Mesmerismus führten.
»Meine Herren,« sagte er, »die
Kraft des menschlichen Blicks bändigt
auch das wiithendste Thier. Jch will
iJhnen nichts von Löwenbändigern er
zähle-· und so weiter, aber eine eigene
Erfahrung. Stellen Sie sich ein
freies Feld vor und mich mit einer ro
then Kradatte. Plötzlich höre ich ein
blöckendes Brüllen. Jch schaue mich
uni. Jch sehe einen Stier mit gesenk
ten Hörnern auf mich los rennen.
Dann erinnere ich mich plötzlich der
unwiderstehlichen Gewalt desmensch
s
iichen Auges-. Ich iane also oen wu
thenden Stier bis auf ——- nun, sagen
wir, zwei Schritte an mich heran-—
kommen. Erst dann faßte ich sein Auge
mit meinem. Der Stier zögerte einen
Augenblick. Dann raste er zurück.«
Die übrigen Herren sahen den Er
zähler mit entschieden ungläubigen
Gesichtern an.
»O« sagte der ruhige Mann, »ich
habe allerdings zu erwähnen vergessen,
daß ich, während der Stier aus michs
losrannte, Gelegenheit fand, mich über
eine solide Mauer zu schwingen und(
daß ich die Bestie iiber diese hin an
sah.«
»Aber was hat das mit der Kraft
oder magnetischen Gewalt des mensch
lichen Auges zu thun?« fragte einer!
der Hörer. (
»Aber bedeuten Sie doch, wag pas
sirt sein könnte, wenn ich die Mauer
nicht gesehen hätte,« antwortete der(
ruhige Mann. ;
i
-- Reflexio n Bräutigam (derf
auf dein Stande-samt warten muß
ungeduldig): »Nach der Statistik geht
die Zahl der Heirathen von Jahr zu.
Jahr zurückt» .Kein Wunder, wenn
man hier immer so lange warten
mußt«
—- Kafernenhofbliithe.
Leutnant: »Sagen Sie, Einjähtiger,
wag sind Sie eigentlich im Civilver-i
hältniß?« Einjähriger: »Sei Befehl — t
Redakteur!« Leutnant: »Na ja, Siei
nehmen sich in der Front auch wie n!
»Dructfehler« aust«
- Schlau Herr (zu einem be i
freundeten Kaufmann, der ein kleines
Geschäft hat): »Was rennen Sie denn
vor dem Laden im Schnee herum?««
Kaufmann: »Ach, ich mach nur Fuß
sp uren mit der Richtung gegen ’ö
Geschäft, damit’ö recht srequenHrL
ausschaut!« r l»
Der Gemisch-Ein
Wenn es nach Recht und Gerechtig
keit ginge, so müßte eigentlich endlich
einmal ein Dichter auserstehen, der dem
Gummischub eine Lobeshymne singt.
Hut, Hemd, Mantel, Strömt-P und
Schuh, der Rock, die ,,letzte Hose«
(eigentlich die letzte ,,Rose«), der Spa
zierstock —- alles hat schon seinen Sän
ger gefunden, und nur er, der brave,
derbe Gummischuh, der beste Freund
des Menschen im Herbst und Winter,
wenn dicke Regenschauer niederfallen
und sich auf Straßen und Plätzen zu
kleinen Meeren ansammeln, hat nooch
Niemand gefunden, der seine Verdienste
mit Poesie uncbrämt und verklärt, er
bleibt unbeachtet in der Ecke und vor
den Thüren, als wäre cr nicht der gute
Freund, als wäre er der schlimmste
Feind, den wir in unserem Leben ten
nen. Und doch könnte ihn der größte
Theil der Menschheit heute kaum noch
entbehren Der Kampf um die Exi
stenz hat aus unserem Dasein ein Ha
sten und Jagen gemacht. Treppauf,
treppab, über Straßen und Plätze heißt
es heute eilen, Niemand bleibt Zeit, am
warmen Osen sich die durchnäßten,
halsb erfrorenen Füße zu trocknen und
zu erwärmen, und der Schutz gegen
Reißen, gegen Huften, Schnuper,
Hexenschuß und wie sonst noch all’ die
lieben Boten der Ertältung heißen,
m-- scs m- M cu»«»;».-«--«—-.. «- ------
Ists-D sssss VOUIIUUBbsIUIUIUISLII UULSUGII IOI
die Welt, wenn wir ihren Unbilden
und Rauhheiten nicht erliegen wollen.
Und rulhig spielt dabei der «Gummi
schuh seine vornehme Beschützerrollr.
Er läßt sich zwanglos durch Nässe und
Schmud da«hinschleisen, er heftet sich an
unsere Sohlen, um uns vor dem Glei
ten und Fallen zu behüten, und er em
pört sich nicht, wenn wir ihn mit einem
leisen Fluch der Erleichterung beiseite
schleudern, ja er versagt nicht einmal
seine Dienste, trotzdem ihn keiner mit
den Fingern berühren will, sondern
jeder nur gewaltsam mit den Füßen in
ihn hineintritt, bis er sich endlich unse
ren seinen Lederstiefeln anpaßt. Jm
Gegent-heil, mit wohliger Wärme um
hüllt er noch den zarten Fuß des jun
gen Mädels, das zum Tanze eilt, und
er scheut selbst vor dem derben Knöchel
der alten Dame nicht zurück, die ihn
wie einen eisernen Ofen durch Watte
einlagen und Pelzverzierung noch be
sonders anheizt. Geduldig läßt er al
les mit sich vornehmen, wäs derMensch
nur will. Und wenn man ihm nur ein
ganz klein wenig um sein Antlitz geht,
dann strahlt und glänzt er wieder, als
geschähe ihm sein größtes Glück.
Freilich, wenn die Menschen ihn gar
zu sehr geärgert haben, wenn sie ihn
allzu sehr mit Füßen treten, dann zeigt
er auch seine Mücken. Bleischwer hängt
er sich dann an die Beine, die ohnehin
schon genügend strapazirt sind. Wie
ein Schraubstock nmschließt er Sohle
und Spann, daß das Blut nicht mehr
zirkuliren kann und es im Kopfe zu
hämmern und zu schmerzen beginnt,
als schlüge man auf ihm kaltes Eisen
in Stücke. Und diabolisch lächelt er
dazu und verstärkt von Minute zu Mi
nute die herbe Qual, bis der Mensch
mürbe wird, ihn sür einen Tag von
seinem Dienst besteit und am nächsten
vorsichtig und achtungsvoll sich seiner
wieder versichert. O, in solchen Stun
den der Empiirung kann er einen zu
Tode ärgern! Denn er begnügt sich
nicht damit allein, er Verschwindet ganz
einfach, er rennt sort — oder er der
wandelt sich zu so horrender Größe
und zu so geringer Kleinheit, daß man
ihn asbsolut nicht mehr gebrauchen
kann. Wer ihn in sohcher Stimmung
einmal mitnahm, wo auch seine Brüder
zusammentommen, der wird davon
ein nettes Liedchen singen können.
Nichts wird ja im Leben mehr ver
tauscht und verloren, als der Grimmi
schuh. Alber das kommt davon, weil
man ihn zu Unrecht so verachtet.
Drücken ihm doch sogar die Russen, die
ihn am meisten gebrauchen, wie ihren
Striislingen in Sibirien unvertilgbare
Zeichen in Gestalt von Messingbuchsta
ben ein, und das findet so viel An
klang, daß man es in Deutschland
schon nachzuahmen beginnt. Und das
finden die Leute sogar noch praktisch
und schön . . ..
A
ff
Das hohe C.
Ein bekannter Tenorsänger konnte
einmal das dreimal gestrichene C
nicht klar herausbringen und verab
redete mit einem Choristen, der den
Ton hellschmetternd in der Kehle
hattell im richtig-en Moment einzu
springen
Belohnung ein feines Souper. Der
Chorist lieferte das dreimal gestri
chene C, aber der Tenorist vergaß,
den Choristen zum Ahendessen einzu
laden.
Bei der nächsten Ausführung von
Rigoletto war es um nichts besser.
Der Tenorist klopfte dem Choristen
vertrauensvoll aus die Schulter und
sagte: »Das war großartig Emacht
Machen wir noch einmal.« « öer als
der Tenorist mit der flachen Hand
auf's Herz pochte, um das dreimal
gestrichene C aus der Kehle heraus zu
befördern, erklang lein Ton.
«Wo ist das C geblieben?« fragte
er den Choristem nachdem der Bor
hang gefallen war, in großer Wuth
»Nu, wo ist gestern mein Souper
gebliebeni«
—
Flie- die Miche.
Gans mit Apfelsauce. Die
Gans wird in einer gut passenden
Kasserole mit Wasser mit etwas Salz
gar gekocht. (Die Brühe kann man am
anderen Tage zu einer Erbsen-, Bolz
nen- oder Kartoffelfuppe verwenden.)
»Seid-s feine siiuerliche Aepfel werden
gefchalt und in dünne Scheiben ge
schnitten, die man in etwas Verlasse
ner Butter durchdünften läßt. So
bald sie weich find, gießt man SXH
Quart Weißwein darüber, giebt einen
lLöffel Zucker wenn man es liebt,
anch eine halbe Qbertasse gereinigter
nen, et
’was Pfeffer und Safran dazu, läßt
alles gut verlochen und richtet die
Sauce über der tranchirten Gans an.
Salat Von gelochtem
R i n d f l e isch. Man schneidet es in
kleine Wiirfel und giebt einen in
lleine Wiirfel geschnittenen sanren
Apfel nebst einer in feine Scheiben ge
febnittenen Zwiebel dazu Auch Sel
flerie kann man (nachde1n er gekocht
sifi) in Scheibchen geschnitten, eben wie
einige in Essig eingemachte Tomaten,
’daran geben Dies alles wird mit et
iroas Salz und Essig nebst hinreichen
ldem Oel gut durcheinander gerührt
und in eine Schüssel gethan, die man
Enach Belieben noch mit Pfeffergurien
oder mit Essigpflaumen oder mit
ixauer eingelochten Kirschen garniren
ann
Dass-i- VII-Im
l Gebackener Schellfisch.
IEin großer Schellfifch wird sauber
Hubereitet und von der Mittelgräte
ibefreit. Nun schneidet man schöne,
ihandbreite Stücke, nachdem man den
lFisch der Länge nach zertheilt Die
Scheiben werden gesalzen, in ver
quirltem Ei und dann in Paniermchl
jgewälzt und in steigender Butter von
Ibeiden Oiten hellbraun gebacken. Auf
jjede Fifchscheibe legt man eine Citro
g nenscheibe. -
« Gefiillte Kalbsscheiben".
jAus einer saftigen Kalbsieule werden
!große, dünne Scheiben geschnitten.
jNachdem man sie gut geklopft und
ngfalzen hat, bestreichi man sie mit
zSardellenbutter und belegt fie zur
iHälfte mit folgender Farre: gethei
·teS Kalbfleisckb fein geschnittene
IZwiebeL etwas geweichte und gut ,
ausgedrückte Semmel ein Ei Majo- .
ran, Salz und Pfeffer vermischt man
innig. Die ungefiillte Hälfte der
kFleischscheiben schlägt man iiber die
mit der Fülle belegte Hälfte und näht
sden Rand mit lofen Stichen zu Die
Iauf diese Art vorgerichteten Kale
Ischeiben werden auf gutem Feuer in
fteigender Butter von beiden Seite-Hi
,...« fes-»W- .
EJ f
Egid
während einer halben Stunde braun «:- «
gebraten.
Gedämpfter Wirsingkt
lohl (französifche Art). Man paßt
ldrei bis vier schöne Köpfe Wirsing
kohl, schneidet sie in Viertel, blanchirtejl
sie in tochendem Wasser, tühli sie ini
italtem ab, drückt sie aus und legt sie IT
in eine Kasserolle, deren Boden mit-J
fein geschnittenen Scheiben von fetten-«
todcr durchwachfenem Speck belegt ist,
legt auch Speckfcheiben darauf, giebt
eine bis zwei Tassen Rindsbriihe dar
über, bedeckt ihn mit einer. Stück mit
Butter bestrichenen weißen Schreib
papiers und läßt den Kohl auf gelin
dem Feuer weich dunsten, während
nachfiillt. Der Kohl darf aber nicht
zu suppig sein. Er wird mit den zer
iochten Speckfcheiben angerichtet und
am liebster zu Rindfleifch gegeben.
Rothwein. Der Hase, der
gut abgehängt sein muß, wird zu
rechtgemacht, enthäutet und in Stücke
zerlegt. Jn einer großen Kasserolle
oder Schmoriovf zerläfit mrm ein
man hin und wieder etwas Brühe
Gefchrnorter Hase mit·
viertel Pfund würselig geschnittenen
fetten Speck, legt, sobald das Fett
sich gelblich zu färben beginnt, die
Hasenstücke hinein nnd läßt sie lei t
anbräunen, bestreut sie mit Mehl, gi t
einige geschälte kleine Zwiebelchen
oder Schalotten dazu, gießt dreivier
tel Quart lochendes Wasser darüber«
würzt mit Salz, Pfeffer, einem
Sträußchen Petersilie, zwei Lorbeer
blättern und einigen Gewürzneliett
läßt iiber sehr gelindem Feuer alle-i
11.-«4-——1l.53 Stunden schmoren, gieß
lz Flasche Rothwein dazu, läßt ihr
langsam mit der Brühe verkochen
Tann riihrt man die Sauce durch eit
Sieb, entfettei sie, toeyt sie mit ettvai
in Rothwein glatt oerqnirlter Korn
ftiirte seimig, schmeckt ab und gicß
loie Brühe iiber die Masenstückc
Weinschaumsuppe· Mal
lquirlt sechs frische Eier mit eine
’Flascbc leichtem Weißt-nein, ebenso vie
Wasser, einem lfszlössel Mehl, der.
Saft und der fein geriebenen Schal
einer l5itrone und vier Unzen seine
Zucker gut durcheinander, schlägt di
Flüssigkeit im Kessel mit einet
Schneebesen iiber dem Feuer bis zui
Steigen zu Schaum, läßt sie abt»
nicht zum Kuchen kommen und richt
ste sofort iiber zerbrochene Bifqusi
kleine Zwiebacl oder Makronen an.
Eine Fischsauce, welche-ans
zugleich als Fleischsauce benutzt wei
den kann. Man verrührt 2 L« "
Mehl recht gut mit etwas Wo e
gibt ein Stückchen Butter, 3 Eidotik
2 Obertassen Weißwein, sowie M
Tasse Fisch- oder Fleischbriibe zu«
mchbem die Sauce zu Fisch oder s
lFleisch bestimmt ist, dazu salzt mk
se» und ruhrt die Masse unter for
wahrendem Schlagen aus dem Ieu
so lange, bis dieselbe eine eremeatti «"
sSauce gibt.