Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, September 21, 1906, Image 4

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Obst-Obst- «k sbsksksksksk OEEEIKEEE Ob EIN-PM
Die Göttin deS Glücks.
Roman von Weintwld Ortnunnt.
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cl. FortseßnngJ « . «
Die haushiilterin sah so gluckitch
drein, als ihr ennzliges Gesicht «es
nließ. Der Rechtsanwalt aber rief,
sobald sie sich wieder zurückgezogen,
mit erheucheltem Unmuth: .
»Da hast Du’s! für Dich htitet sie
Derartige verborgene Schätze, und ich
mußte mich während der ganzen· Zeit
mit schalem Laaerbier begnügen.
Wahrhaftig wenn ich nicht gerade in
einer so versöhnlichen Stimmung
wäre, ich würde ernstlich eisersüchtig
auf Dich werden«
»Und diese großmüthige Stim
mung —- welchem glücklichen Unge
fähr habe ich sie zu verdanken? Hast
Du Deinen ersten fetten Prozeß er
gattekt?«
.- Etwas viel Besseres, Harro — ich
habe mich verlobt.'«
Eine sehr mäßige Ueberraschung
nur war es, die sich in Harro Bovlens
Antlih spiegelte. Er begnügtr sich,
die Cigarre aus dem Munde zu neh
men und dem Freunde mit einer ge
grtsenen Bewegung die Hand zu rei-i
rn. - «
»Möge es zu Deinem Glück sein,i
Bernhard! Jch brauche ja nicht zui
fragen: mit wem. Denn ich sah dass
Verhängniß kommen, seitdem Du miri
von Deiner ersten Begegnung mit Jnge
crzähltest.«
»Dein Scharfblick war vielleicht so
bewunderungswiirdig nicht. Habe ich
sie doch wirklich schon an jenem Tage
geliebt. Und wie hätte es auch anders
sein können? Jst sie denn nicht das
holdseligste und liebenswertheste Ge
schpr aus Erden?«
»Es wäre schlimm, wenn Du an
ders iiber sie dächtest. Wann giebt’s
denn nun Hochzeitt«
»O, damit hat es einstweilen noch
gute Wege. Jhr Vater will sogar
Lenker Berlöbniß erst bekannt gemacht
wi en, nachdem ich ihm seinen Pro
zeß gewonnen habe."
»Und das sagst- Du mit solcher
SeelenricheZ a, machst Du Dir
kenn wirklich ffnnng, diesen ver-—
rückten Prozeß zu c winnen?«
»Nicht die gering te. Harro!«
»uno was jou unter dreien Um
ständen aus Dir und Jnge werden?«
»Ein über die Maßen glückliches
Ehepaar, wie ich hoffe. Die Bedin
gungen des Herrn von Restorp sind
doch wohl nicht allzu tragisch zu neh
men. Einen wie beträchtlichen Eigen
frnn er auch entwickeln kann, sobald
es sich um diese leidige Vrozeßangele
genheit handelt, das lijck seines ein
zigen Kindes wird e: ihr doch schließ
lich nicht zum Opfer bringen wollen«
»Hm! Jch weiß nicht — Du soll
teQ ihn doch lieber bewegen, freiwil
li von der aussichtslosen Verfolgung
se nes vermeintlichen Anspruches ab
zustehen-«
. »Ich würde leichter den Justizpa
last von der Stelle-rücken, als daß ich
ihn dazu bestimmte. Alles, was ich
erreichen· würde, wäre, daß er die
Sache einem andern Anwalt über
trlige. Und ich habe triftige Gründe«
das nicht zu wünschen. — Aber was
M denn das? Noch ein Besuch —- um
diese Stunde?«
Das zweimal rasch nach einander
erfolgte Anschlagen der Wohnungs
glocke hatte ihn zu dieser erstaunten
Frage bewogen. Die verstummten
Freunde hörten den schlürfenden
Schritt der Haushälterin, ein sange
res Durcheinander mehrerer Stim
men, von denen die eine ihrem hellem
angenehmen Klange nach einem ju
gendlichen weiblichen Wesen angehö
ren mußte, und endlich ein dumper
Geräusch wie von dem Niedersetzen
eines schweren Gegenstandes» Bern
hard, oer seine Wißbegier-de nicht län
ger zügeln konnte, stand aus, um sich
Tiber die Natur der seltsamen Störung
Zu unterrichten. Aber er hatte die
Thüt des Arbeitszimmers noch nicht
I erreicht, ali sie ziemlich ungestüm von
draußen geöffnet wurde, und eine
junge Dame in knapp anschließendem
grauen Reisernaniel ihm gerade in die
Arme lies.
»Hanna!« rief er in höchster Ueber
raschung. »Ist es denn möglich? Jch
habe Dich nicht einmal an der
Stimme erkannt, so weni war ich
karg-Jus gefaßt, daß Du es fein könn
Er hatte sie umarmt, und sie bot
iibm mit einer sehr graziösen Kopsbe
Ltpegung ihre Wange "zutn Kasse ———
eine weiche, sein gerundete und von ei
tlem lieblichen Noth überhauchte
k» Wange. Dann machte sie sich los und
« ».erwiderte heiter:
; Mein Reiseentschlusz kam so plötz
Iies da es zweckloö gewesen wäre,
Dir zu ehreiben da mein Brief hätte
Wer einire en müssen, aisich selbst.
wollte ·r von unterwe s trie
msopbirm aber ich gab es wie r aus,
seit Du Dir dann über die Gründe
Meine- Kominens vielleicht ganz un
IKI den Kopf zerbrochen hättest. Ge
, " g. daß ich da bin —- nicht wahr?
- nd ei n Winkel, wo ich unter-.
Mfen onn, wirst Du doch wohl
: Essen-Nie mit ihrer wundervol
.,T« Mollisss kiingenden Stimme das
3
Ti
alles sehr rasch hervorsprudelte, hatte
sie die Hände erhoben, um die Nadel
herauszuziehen, die ihr einfaches Reise
hiitchen auf den dicken Haarslechten
festhielt. Die Schönheit und das ta
dellose Ebenmaß ihrer hiegsamen,
schlanken Gestalt dfsenharte sich in
dieser Stellung vollkommener, als es
in irgend einer anderen hätte gesche
hen können. Und als nun der helle
Lichtschein des Kronleuchters auf ihr
Gesicht fiel, sah Hat-h Boysen, der
sich gleich dei ihrem Eintritt erhoben
hatte, daß ihre Züge noch reizender
waren als ihre Gestalt. Die seine,
gerade Nase, der tleine Mund mit den
schwellenden. zart rosig schimznernden
Lippen, das wie von einem antiten
Bildner gemeißelte Kinn waren Ein
zelheiten von vollendeter Schönheit
Aber das Bestrickendste in diesem Kas
sischen Mädchenantlih waren ohne
Zweifel die Ioßem dunklen, leuchten
den Augen, ren Blick sich mit wun
dersame-: sKlarheit aus denjenigen
richtete, zu dem sie sprach.
Sie hatte den Fremden noch nicht
bemerkt, oder vielleicht auch hatte sie
sich nur den Anschein gegeben, ihn
nicht zu sehen. Denn in ihrem Mie
nenspiel gab sich weder Verwunderung
Poch Verlegenheit kund, da Bernhard
agte:
»Ehe wir diese schwierige Unter
kunstssrage lösen, erlaubst Du mir
wohl, Dir einen lieben Freund vor
zustellen, der Dir dem Namen nach
schon längst bekannt ist. Hart-) Boh
son, genannt der neue Praxiteles —
meizsk Schwie- dasswa
Sie hatte sich nach dem jungen
Manne umgewendet, und ihre Augen
richteten sich auf sein Gesicht, ebenso
fest und unbefangen wie vorhin auf
das des Bruders.
»Ich kenne Sie allerdings schon seit
einigen Jahren,« sagte sie, ihm die«
Berlegenheit der ersten Anrede erspa
rend. »Wenn ich in den Sommerfe
rien mit Bernhard zusammen war,
pflegten Sie in seinen Erzählungen
jedesmal eine hervorragende Rolle zu
spielen. Jch freue mich daher auf
richtig, Sie endlich auch von Angesicht
zu sehen.«
Dabei bot sie ihm mit der natür
lichften Liebenswürdigteit ihre Rechte,
von der sie während des Sprechens
mit einem einzigen Ruck den herl
grauen Handschuh abgestreift hatte.
Behutsam nur, wie etwas sehr Zartes
und Zerbrechliches wagte Harro die
kleine, zierliche Hand zwischen seine
Finger zu nehmen. Aber der kräftige
Druck, den er zu seinem lebhaften
Vergnügen fühlte bewies ihm, wie fest «
und mustulös dies schmale händchens
war.
»Ich brauche wohl nicht erst zu ver
sicheru, daß die Freude eine gegensei
tige ist, mein gnädiges Fräulein —
oder muß ich nicht vielmehr sagen:
Fräulein Doktor?« »
Aber sie schüttelte indem sie ihre
Hand zurückzog, in lächelnder Abwehr
den dunklen Kopf.
»Nein, nennen Sie mich nur bei
meinem Namen —- ohne alle Ehren
titel, auf die ich keinen Anspruch habe.
Denn ich habe das Studium vorläu
fig ausgegeben. und nur des Schick
sals duntle Mächte wissen, ob ich es
jemals wieder aufnehmen werde.«
»Wie, Hanna —- hiire ich recht?«
fragte der Nechtsanwalt erstaunt »Du
willst abspringen —- jetzi unmittelbar
vor der PromotionZ Und nachdem
Du mir erst tiirzlich geschrieben, daß
Deine Doktor-Dissertation so gut wie
fertig sei?« · ·
Vanna mate. uno etwas ten-noc
wußt Herrifches war in der Haltung
ihres schönen Kopfes wie im Klang
ihrer Stimme, als sie erwiderte:
»Ja —- trotzdemi Jch habe die Luft
verloren, und es wird von tausend
Umständen abhängen, ob sie mir je
zutiicktehrt.«
»Dein Reiseplan ist also nicht bloß
dem Wunsche entsprungen, mich wie
der zu sehen? Du wolltest Zitrich aus
längere Zeit verlassen?«
»Aus immer, wisich hoffe. Jeden
falls habe ich alle meine irdischen Be
sitzthiimer mit mir genommen. Das
Handgepiict und ein Koffer mit Klei
dern und Wäsche stehen draußen aus
dem Gange. Das übrige wird in den
nächsten Tae n als Frachtgut nachfol
gen. hengoysen entschuldigt es ge
wiß, wenn ich Dich bitte, mich vor
allem ein Bläschen anzuweisen, wo ich
mich von dem Staub der zweiund
zwanzigstiindi gen Reise befreien -..!ann.
Dem anmuth gen Drachen, den Du
zur hüterin Deines Hauses bestellt
hast wagte ich nicht mit einem solchen
Anliegen zu tommenk
DUKirst zunächst mit meinem
Schlaszi mer vorlieb nehmen müs
fen, bis wir ein anderes Arrangement
getroffen haben. Aber ich möchte nicht
rgern ein ungünstiges Vorurtheil ge
gen meine wackere Frau Heitmiiller in
Dir aufkommen lassen. Mag sie auch
äußerlich eine gewisse Aehnlichkeit mit
dem von Dir genannten Fahelthier
haben, in ihrem Innern —- —"
D,Jst sie ein Schaf. ichg glaube ej
Dir gern Aber das hindert nicht,
is
J
W
daß ich mich vorläufig noch ein wenig
vor ihr sürchte.«
Bernhard Shlvander lachte.
»Du-Dich sürchtent Nein, bannt-,
alles will ich Dir glauben, nur das
nicht. Und wenn sieoauch vielleicht
eben bei Deinem Empfange nicht ge
rade ihre sreundlichste Miene ausge
seyt hat, — morgen wird sie Dir ja
doch Deine Wünsche von den Augen
abzulesen suchen. Weißt Du noch,
was der Vater immer von Dir sagte
wenn Du als halbwiichsiges Mädel
«die tückischsten Pferde und die bissig
sten Köter im Handumdrehen zu
lammsrommen Gechiivsen machtest?
Sie ist ein Sonntagstind, sagte er,
und irgend eine Fee muß ihr die Gabe
verliehen haben Menschund Thier mit
ihrer Stimme zu bezwingen.·'
»So? Sagte er das?« fragte Hanna
lachend, und Varro thsen meinte.
nie etwas Berückenderes gehört zu ha
ben, als dies silberne Lachen. »Nun.
ich glaube, ohne die Unterstützung
durch eine tüchtige Hetzpeitsche würde
sich damals dies Feengeschent herzlich!
schlecht bewährt haben. Darf ich also
bitten? Jch sage Jhnen natürlich noch
nicht Adieu, herr Boysen, denn Sie;
dürfen sich durch mich nicht vertreiben 1
lassen. Und ich werde hnen Bern-;
hard nicht länger als a einige Mi
nuten entsiihrenf
Harro der in seiner gewaltigen
Größe noch immer steif wie ein Re
trut neben dem Sosa stand, machte
ihr eine etwas lintische Verbeugung.
Und er dachte auch dann noch nicht
daran, seine erloschene Cigarre wieder
anzuziinden, als sich die Thitr bereits
seit einer guten Weile hinter den bei
den geschlossen hatte. Wie aus eine
von sern hertlingende süße Musik
lauschte er aus den Klang von Hannas
Stimme, dem nach ihres Vaters Meis
nung eine so wundersame Macht inne
wohnen sollte. Und als er ihn nicht
mehr hören konnte, weil die Geschwi
ster in das an der anderen Seite des.
Ganges gelegene Schlaszimmer einge
treten sein mochten, strich er sich gleich
einem aus dem Traume Erwachenden
über die Stirn und durch das wellige
blonde haar. Bernhard Shlvander,
der nach etwa siins Minuten zurück
kehrte, sand ihn nachdenklich vor dem
gefüllten Bierglase sitzend, die kalte
Cigarre in der einen und das sünd
hölzchen das er anzustreichen vergessen
hatte, in der anderen Hand. »
,,,Nun Alter, was sagtt Du zu die
ser Ueberraschung?« fragte er, und der
Stolz aus die schöne Schwester leuch
tete aus seinem Gesicht. »Wer es brü
sderliche Uebertreibung, was ich Dir
von ihr erzählte?«
»Es war eine sehr siiimperhaste
"Schilderung, mein Bester! Sie ist das
schönste und liebenswürdigste Wesen,
das die Natur jemals in einer ver
schwenderischen Laune hervorgebracht. «
Das ist vielleicht ein bißchen viel
gesagt. Aber so thöricht es klingen
mag, und obwohl sie meine Schwester
ist — ich bin eigentlich derselben
Meinung.«
»Abgesehen natürlich von Juge,
nicht wahr?«
Ah, Jnge —- das ist etwas ganz
anderes! Kannst Du eine Nachtigall
mit einein Paradiesvogel vergleichen?
Oder eine dnstige Rose mit einer
svhantastichem farbenpeächtigen Orchi
bee? Jnge ist sür mich der vertörpette
anegtiss sanften müdchenhaster An
muth und stiller weiblicher Tugend.
Sie wäre der heldenntiithigsten Auf
opserung fähig für die, welche sie
liebt. Aber sie würde sich opsern,
Johne ein Wort darüber zu verlieren,
und sicherlich ohne daß diejenigen es
;ahnten, für die sie es thiite. Hanna
Idagegen — -—«
» »Nun? —- Es klingt nicht« als ob"
ider Vergleich zu Gunsten Deiner
JSchwester ausfallen sollte.«
»O, Du darfst mich nicht mißver
;siehen. Hanna ist darum gewiß nicht
schlechter, weil sie anders geartet ist.
»Und in keinem Fall ist sie verantwort
’lich zu machen siir die Besonderheit
ihres Wesens, die ganz und gar eine
Sache des Temperament-i und der ur
sprünglichen Charakteranlage ist. So
weit meine Erinnerungen in ihre
Kindheit zurückreichem war sie die-«
selbe die sie heute ist —- eine starke,
willige Natur. Jch kenne niemanden,
den sie nicht schon als ganz kleines
Mädchen bezaubert hättet aber ich ent
sinne mich teiner Situation, in der sie
die geduldig Leidende oder demüthig
Rachgebende gewesen wäre.« »
»Nun, das ist wahrhaftig tein Ta
del. Ter schwachen und nachgiebigen
Naturen sind leider mehr als genug —
jener Haustaten-Naturen. die sein
still halten, wenn sie von einem Stär
teren geschlagen werden, und die erst
dann heimtiickisch zu kratzen anfangen,
wenn sie’s ohne Gefahr thun lönnen.«
»Nein, so eine hauslaze ist hanna
freilich nicht,« sa te Bern ard lachend.
»Sie kra t gewi , wenn sie geschlagen
wird, un wahrscheinlich schon seither.
Etwas mehr S miegsamtett wäre ihr
sogar meiner nsicht nach zuweilen
recht zu wünschen. Aber ihre Erzieh
un war allerdings wenig danach an
get n, diese Tugend u entwickeln.
Wir hatten die Mutter iih verloren,
und sie war der verhiitschelte Liebling
des Vaters, wie sie aller Welt Lieb
lin war. Au dem großen Gute, rast
in n Vater at Domänenpiichier be-«
wirthschastete, da konnte sie ganz das1
Leben eines in beinahe zügelloser.
Freiheit qui-wachsenden Naturrinveej
führen. Ihre so nannten Gauner-l
nanten waren ni s als das willen-l
lose Spielzeug ihrer manchmal sogar.
»i
«
W
Pein bischen rausamen Launen. Und
von jenem mang, unter dem andere
Mädchen zu sittsam fchiichternenJun -
frauen herangedeillt werden, hat
nie etwas gespürt.«
»Und die Vorkenntnisse. deren sie
jsiir das Studium der Medizin be
durste, wie konnte sie sie bei einer
solchen Erziehung erwerben?«
»Das ist eigentlich auch mir ein Ge
heinmiß geblieben. Denn ich habe sie
miemalz lange und angestrengt arbei
ten sehen. Aber sie besaß allerdings
schon als Kind eine geradezu
Tgeniale Schnelligkeit und Sicherheit
jder Auffassung Ohne einen ordentli
schen methodischen Unterricht genossen
;-z1.- haben, wußte sie alles, wie wenn
es ihr angeilogenxxärr. Mit unserem
alten Dorspasior, der sie vergöttette,
trieb sie zu ihrem Vergnügen Latei
nifch und Griechisch Und die Natur
witsenschasten. fiir die sie von jehe:
eine leidenschaftliche Vorliebe hatte,
studierte sie aus allen möglichen Bü
chern in meines Vaters nicht eben mu
stergiiltigen Bibliothet. Wenn ich .al—3
Gnmnasiast und später als Student
in den Ferien nach Hause kam, hatte
ich täglich ein paar mal Gelegenheit,
mich surch die überlegenen Kenntnisse
meines um sechs Jahre jüngeren
Schwesterchens beschämen zu lafsen —
ganz a sehen davon, daß ich mich im «
Reiten, urnen und Schwimmen auch
nicht entfernt mit ihr zu messen ver-:
mochte.« l
Hin gespannter Aufmerksamkeit hin
aen Hat-ro Bovsens blaue Augen an
den Lippen des Freundes.
»Ein wunderbares Geschöpf!« mur
melte er. »So hast Du sie mir eigent
lich nie vorher geichildert.«
»Wenn ich’s gethan hätte, würde sie
in DeinerVorstelluna sicherlich zu einer
höchst unweiblichen nnd nnliebenswiir
diaen Person geworden sein. Man
muß sie eben gesehen und kennen ge-·
lernt haben, um daran zu glauben,
daß sie von dem Liebreiz ihres- Ge
schlechts über alledem nichts eingebüßt
hat«
l
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»Nein, wahrhaftig, ne hat nichts
davon eingebüßt,« bestätigte Haero in
einesn so überzeugten Tone, daß wie
der ein Lächeln um die Lippen des
Nechtsanwalts spielte. »Und dann
faßte sie also den Entschluß, zu stu
bietet-W
»Vielleicht wäre sie niemals darauf
gekommen, wenn nicht durch den
plötzlichen Tod des Vaters jene Verän
deriinq in unseren Verhältnissen ein
getreten wiire, die Du ja genugsam
kennst. Wir waren in dem Glauben
an unsere Wohlhabenden ausgewach
sen und sahen uns nun aus ein recht
bescheidenes sEröthcil angewiesen. Jch
selbst lonnte als blutjunger Neserendar
natürlich noch nichts für meine lau-n
achtzebniährige Schwester thun, und
Hanna mußte nach der allgemeinen
Ansicht froh sein, als entfernte Ber
mandte in Königsbera sich erboten, der
Verwaisten eine Zuflucht in ihrem
Hause zu gewähren. Sie aber wies das
großmüthige Anerbieten unbedenklich
zurück, un entfetzte die Freunde, die
sich fiir ilyr Schicksal interessirten.
durch die bündige Erklärung, daß sie
überhaupt teiner Zuflucht bedürfe,
weil sie in Ziiri Medizin und Na
turwissenschaften tudieren werde. Drei
Monate später bestand sie an einem
Schweizer Gyinnasium mit Auszeich
nung die Maturitiitspriifung, und ich
bin sicher, daß sie jetzt mit demselben
Erfolg promovirt haben würde, wenn
nicht diese unbegreifliche Laune sie da
ran verhindert bötte.«
»Ein wunderliches Sächspr sagte
harre Boysen wieder, mebr zu sich
selbst als zu dem andern sprechend.
Und dann nach einem kleinen nach
denklichen Schweigen fragte er weiter:
»Und der Unterschied, denDu dor
hin zwischen ihr nnd meiner Bafe
Zuge von Restorp machtest? Soll
eine Schwester nur darum weniger
liebevoll und weniger aufopferungs
Läg-H sein, weil sie so klug und tapfer
«Dag m eine sehr schwer zu beant
wortende Frage, mein lieber Harrok
Es stände mir schlecht an, zu sagen,
daß Hanna einer tiefen, selbstlosen
Liebe wohl überhaupt nicht fähig sei.
Und doch — —«
»Ach Unsinn!« fuhr der Bildhauer
beinahe ärgerlich aus. »Bleibe rnir
doch mit der schauderhasten Redensart
von der sogenannten selbstlosen Liebe
vorn Leibe. So was sann es unter
normal veranlagten Menschen gar
nicht geben« Und nach allem, was Du
mir erzählt hast, bin ich überzeugt,
daß Fräulein hanna —-——«
Wovon er überzeugt war, konnte
er leider nicht mehr aussprechen; denn
gerade als er ihren Namen genannt
hatte, trat hanna Salt-ander wieder
insZimmer. ,Zu den Damen, die
einer langen eit -iiir ibre Toilette be
dürfen, geb·rte sie also ’densallb
nicht. Und doch hatte sie ch nicht
nur vom Kopf bis zu den Füßen uni
geileidet, sondern auch die durch diel
lange Reise etwas in Unordnung gess
brachten arslechten zu einer anderen s
loseren Exr sur aufgesteckt. Das glat«
anlie en e dunkle Hauaileid, das sie;
feist tug, war ebenso einfach als es»
ihr Reiseanzug gewesen war. Ein wei-’
ßer alsiragen und zwei schmale
Streifen an den seinen Handgelenlen
bildeten eigentlich den einzigen
Schmuck. Und doch sab sie darin so
elegant und vornehm aus, all wäre es «
ein Kunstwerk aus dem ersten Pariser»
Schneider-Nella gewesen. !
Es war ganz sicher, daß sie arra»
Bot-sent ledte Worte gebbrt aben
wußte; aber sie iiesz sich nichts davon
Imerlen l
.
»Ich siöre die herren hofftntlich
nicht,« sagte sie leichthin, »wenn ich
mir hier meinen Ihre bereite.'·
»Ich würde mich sofort empfehlen,
toenn ich sitrchten müßte, dast Sie sich
meinetwegen irgend welchen Zwang
auferlegen, mein Lmädiges Fräulein!
Ihr Bruder wird Ihnen bestätigen,
dass dergleichen wis en uns niemals
üblich gewesen iqu
»Gut —- aher wenn ich fortan der
Dritte im Bunde sein soll, dürfen wir
nicht gar so förmlich miteinander ver
tehren. ' ch erlasse Ihnen also ein sü:
allemal, as gnädige Fräulein, umso
mehr als ich vielleicht nicht immer
gnädig sein werde. Bis auf Widerruf
gestatte ich Ihnen. mich einfach Fräu
lein Hanna zu nennen ——— nicht etwa,
um Jhnen damit eine besondere Gunst
zu erweisen, sondern weil es so fiir
uns alle bequemer ift.«
Da es nach ihrer ausdrücklichen Ber
sicheeung teine besondere Gunst sein
sollte, brauchte er sich auch nicht dafiir
zu bedanlen. Und zudem erschien ge
.rade jetzt Frau Heitmiiller mit einer
ilslitzblanten Theemaschine, von deren
JEristenz der Rechtsanwalt bis dahin
lnichts geahnt hatte. und mit allem er
sorderlichen Zubehiir. Der ungewohnt
’sreundliche Ton, in sdem sie sich nach
» etwaigen weiteren Wiinschen des Fräu
leins erkundigte, durfte als ein Beweis
dafiir gelten, daß das geheimnisvolle
Ferngeichenl sich auch dieser brummig
sten aller Haushölterinnen gegenüber
bereits zu bewähren begann. Und
Harro, dessen blaue Augen unver
wandt jeder Bewegung Hannas folg
ten, sah darin«nur die allernatiirlichstr
Sache von der Welt. Wie ein inter
essantes wissenschaftliches Experiment
beobachtete er die Entstehung des gold
gelben, arornatisch dustenden Trants
unter ihren weißen Händen, und als
sie fragte, ob sie ihm ein Glas davon
anbieten dürfe, bejalzte er ohne weite
res, unbeliirnmert um den harmlosen
Spott des Freundes-, der ihn neckend
an seinen bisherigen Abscheu gegen
den Tbee erinnerte.
»Es ist teine Schande, seine Neigun
gen zu ändern«, sagte Hanna, »die
vielgeriihmte Beständialeit mancher
Menschen ist bei Lichte betrachtet doch
nur Eigensinn, Dummheit oder Feig
lteit. Wer da glauben machen will.
daß seine Empfindungen in Bezug ans
dieselbe Person oder Sache immer
die gleichen bleiben, dee belügt ent
weder stch selbst oder die anderen.«
lFortsetzung folgt)
Die Arbeitskraft der Irrt-.
Der alte voltsrvirthschaftliche Lehr
saß, daß dir Arbeit die Quelle allen
Neichthums ist« hat für die Frauen
schlechthin keine Geltung. Denn die
Irunea, die ier Leben lang gearbeitet
haben, find meist nitch reich geworden,
und die Frauen, die reich aeworder:.
haben das meist nicht durch ihrer Hän- «
de oder ihres Kopfes Arbeit erreicht. I
Die Löhne der Frauen in den ver- i
schiedensten Berufssphären zeigen dies
traurige Gemeinsamkeit eine-L ausfal: s
lenden Tiefstandeö.
Die Ursachen der ungleichen Ent
lohnung sind mannigfacher Art. Zu
nächst läßt sich feststellen, daß nur in
ganz seltenen öllen die Frauen that
sächlich die gleiche Arbeit wie Männzr
thun. Namentlich in der Fabrit, wo
Mann und Frau ost nebeneinander im i
selben Arbeitssaal stehen, dieselben l
Maschinen bedienen, handelt es sich
entgegen den allgemeinenAnschauungen s
um ganz verschiedenartige Handreich- «
nngen und Dienste, die von Beiden ge
leistet werden. Die fortschreitende Ar- s
bettszerlegung hat auch hier, tvo teine ;
Arbeitktheilung siir die Geschlechter i
durch Gesetz und Recht vorgeschrieben »
war, zu einer fortschreitenden Differen-· J
zirung geführt. Man tann wohl sa-J
gen, daß am gleichen Ort und zur glei- -
chen seit nur ganz vereinzelt, nur in s
weniger-. Ausnahmefällen die gleiche
Arbeit von Mann und Frau gethan
wir .
US skllo Ulchl lmlllck ullkcksllslcllc lll
der Begabung, in der körperlichen Ver
schiedenheit von Mann und Frau, die
zu dieserArbeitstheilung führen. Son
dern vielfach nimmt die Frau eine
Stellung ein, für die eine besonders ge
ringe Lehrzeit nothwendi ist« Dass
Vordringen der Frauen au neue Ar
beitsgebiete, das die letzten drei Jahr
zehnte gebracht haben, steht in einem
engen Zusammenhang zu der Möglich
leit zahlreiche ungelernte Arbeitstriifte
zu verwerthen, die» durch die modern-:
Entwickelung von Handel und Gewerbe
herbeigeführt worden ist. Als die
Maschine die Muslellraft der Männer
—- und auch vielfach die gelernte Arbeit
—- entbehrlich machte, spannte die Jn
duftrie Frauen und auch Kinder —
ungelernte Arbeitsträfte— in ihren
Dienst. Ganz ähnlich lag es in ande
ren Berufiartem Den Eintritt in das
taufmiinnische Gewerbe, in denStaatö
dienft —- alö Post- und Bahnangestell
te—erlangten die Frauen in einer
Zeit fortschreitender -Arbeitjzerlegung,
die die heranziehung von wenig oder
gar nicht vorgebildeten Kräften ermög
lichte. Auch zu Lehrertnnen an öffent
lichen Schulen wurden Frauen zuerst
«berufen, nicht weil man ihre besondere
Eignung fiir dieses Arbeitsfeld er
kannte, sondern weil eg an
männlichen Bewerbern fehlte und
man daher mit schlechter vor
gebildeten Lehrlkästen — damals
Hvaren die Frauen schlechter vor
;gebtldete —- vorlieb nehmen mußte.
iUeberall hatten die Frauen den letzten
lPlah einzunehmen, die niedrigste und
Was --..
schlechtest bezahlte Arbeit uthun, die —
besseren Plane waren ·berall oon
Männern besehi. Unter diesem Zei
chen drangen die Frauen in die Er
werbsarbeit ein.
Aber auch wenn man von den Un
terschieden in den Leistungen absieht
ist die Bezahlung der Frauen eine
schlechtere als die der Männer. Man
kann sogar feststellen, daß da, wo eine
Frau ihatsächlich ausnahmsweise die
gleich-e Arbeit wie ein Mann thut, ih!
meist nicht der gleiche Lohn gezakslt
wird. Wo aber Unterschiede in der
Quantität und Qualität der Leistung
vorhanden sind, da eigentlich seht erst
die ungleiche, ungerechte Entlohnung
ein. Hier wird die Frau nicht entspre
chend der geringeren Leistung, sondern
nach einem besonderen Maßstab be
zahlt
Aber auch diese Erscheinung ist er
klärlich, wenn man hie kurze Vergan
genheit der Frauen aus dem Arbeits
marlt verfolgt; wenn man nach
sorscht, warum sie ihre Forderungen
niedriger als der Mann stellen muß
ten. Jahrhunderte lang haben die
Frauen vorwiegend im Haus stir die
Familie geschasst. Ein Lohnverhält
nis, das in Geld ausgedrückt wurde,
blieb den meisten fremd. Wahl waren
sie gewohnt, ost schwere, ausreibende
Arbeit zu thun, aber sie thaten es aus
Liebe zu ihren Angehörigen, oder aus
Pflichtgefühl; vielleicht auch, weil sich
ihnen teine andere Existenzmöglichleit
bot. Aber sie thaten es niemals siir
Geld. Die Arbeit der Hausfrau wird
bis aus den heutigen Tag nicht bezahlt
und deshalb auch meist gering bewer
thei. In ihren persönlichen Bedürfnis
sen ist die Frau, die ein großes haus
wesen leitet, von ihrem Mann meisi
zdukchaus abhängig; abhängiger als
sdie Lohnarbeiterin mit dem geringsten
!Einlornmen. Sogar der Sprachge
ibrauch hat diese Frauen gewöhnt, den
EMann als »Erniihrer« zu betrachten,
auch wo gar leine Veranlassung dazu
Hvorliegi, wo sie selbst wichtige und un
entbehrliche Arbeit thun. Es ist dem
nach kein Wunder, daß die Frauen,
« als die bittere Noth einer schweren Zeit
sie zur Erwerbsarbeit drängte, ihre
Arbeitstrast niedrig bewertheten, dass
sie sie um jeden Preis herzugeben bereit
waren. Die unbezahlte und unbe
werthete Arbeit der Hausfrau, die ge
ringe Einschötzung ihrer Arbeitskraft
haben die Frauen zu niedrigen Lohn
sorderungen veranlaßt.
Dazu tommt, daß die Frauen nicht
im halben Maße wie die Männer nach
einer steigenden Entlohnung streben.
Das Grog der Frauen rechnet gar
nicht damit, den vollen Unterhalt ver
dienen zu müssen. Während der
Mann sich nicht damit begnügi und be
aniigen kann, den vollen Bedarf sitr
sich selbst durch seine Arbeit zu erlan
gen, während er den Unterhalt sür
eine Familie verdienen will, seht nur
in den seltensten Fällen eine Frau den
Familienbedars bei ihren Lohnfordes
rnngen mit in Rechnung. Nicht ein
mal der volle Jndividualbedarf wird
immer angestrebt, —- denn unzählige
Frauen wollen nur einen Zuschuß Sau
Farnilieneintommen verdienen.
sind die Ehesrauen, die Wittwen, die
Haustöchter, die womöglich nur ihre
Toilettenausgaben und die Unkosten
für Theaterbesuche und andere Ver
niigungen mit ihrem Verdienst be
streiten wollen. Mit diesen niedrigen
Lohnsorderungen schaden sich aber
nicht nur die Frauen, die nicht aufs
Verdienen angewiesen sind, selbst; son
dern sie drücken die Löhne ihrer Kon
tnrtentinnen, die von der Arbeit leben
müssen, mit herunter. Denn die Lohn
bildung vollzieht sich stets innerhalb
der Gruppe von loniurrirenden Ar
beitern; und die Anlagen, die Ausbil
dung, das Alter und die Lohnsordv
rungen Aller, die siir einen Plan über
haupt in Betracht lommen, geben den
Ausschlag siir die Bedingungen und
den Lohn, der schließlich zustande
»tornmt.
sjeur wenn in auen Beruiszweigen
» die Frauen in ähnlicher Weise die An
; sorderungen an sich selbst höher stellen;
lwenn sie, ebenso wie die Männer, siir
) den Beruf erzogen und tiichiig gemacht
werden —- gleichviel, ob sie ihn dau
ernd in vollem Umsange ausüben oder
nicht —- dann nur können die Frauen
zu höheren Stufen der Leistungsfähig
keit und zu einer gerechten Entlohnung
gelangen. Es muß in den Frauen die
Liebe zur Arbeit gepflegt werden, die
Berussireue und Berufshingabe, da
mit sie während der Dauer ihrer Be
russarbeit den ganzen Menschen ein
setzen und auch den vollen Unierhalt
siir einen ganzen Menschen beanspru
chen können· Wir müssen siir den
gleichen Lohn, den wir sordern, die
gleiche Arbeit wie der Mann geben«
und zwar nicht nur dasselbe Können,
dieselbe Geschicklichkeit, sondern auch
dieselbe Ausdauer, Regelmößigieit,
hingade und Berufstreue. Dann wird
die Frauenarbeit vordringen, wo sie
geeigneter als Männerarbeit isi, nicht
weil sie billiger ist. Und auch iir d e
Frauen wird dann die Ae i zur
Quelle allen Reichihunis werden.
Dr. Alice Salomon.
»Wenn Sie sich mit Jhreni Gelde
« nicht besser in Acht nehmen und nie
welches sparen, wird die Weit schließ
lich mit Verachtung fragen, was Sie
damit getan haben?« ----,,Ja, und wenn
ich es spare, glücklich anlege, und reich
werden sollte, wird sie mich fragen, wo
her ich es habe.« «
a
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