Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, September 21, 1906, Sweiter Theil., Image 10

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    Die ( qu des chdanIcst
KtiminalsRoman von A. Q. Klaußmann.
v- s
(2. Fortsetzung)
»Ein Mißtrauem das Sie wahr
lich nicht in sich aufkommen lassen soll
ten«, verwies sie mit eindringlichem
Ernst. »Denn Sie thun damit Ih
ren Freunden ein ebenso bitteres Un
recht wie sich selbst. Jn dem, was
Sie Jhr Gebrechen nennen, ist nichts
Beliistigendes Und es sichert Jhnen
außerdem die Hochachtung aller, die
seine Ursache kennen·«
»Weil ich im Kriege zum Krüppel
Geschossen worden bin, meinen Sies
a, es ist doch ein verzweifelt beschei
denes Verdienst, seine selbstverständ
liche Schuldigteit zu thun. Und auf
besondere Hochachtung tann es einem
wohl kaum Anspruch geben. ——— Aber
ich rede hier mit Jhnen von mir und
von meinem lahmen Bein, als ob es
auf der ganzen Welt nichts Interes
santeres gäbe. Sagen Sie mir jetzt
lieber. Fräulein Martha, wie es Ih
rem Bruder geht. Bei meinem letzten
Besuche hat mich sein Aussehen be
unruhigt. Hat er sich denn immer
noch nicht mal ordentlich untersuchen
lassen?«
»Gerade als ich heute friih fort
ging. war Doktor Weiß gekommen,
um es zu thun. Auch ich sorge mich
sehr um Gerhard. Aber Sie fürchten
doch nicht, daß es etwas Ernstliches
sein könnte?«
»Das berhiite der Himmel! Und
wir brauchen uns auch wohl nicht zu
ängstigen. Er lann ja kaum fünf
unddreißig Jahre alt sein, und er
war doch bisher immer gesund. Je
denfalls hat er sich überarbeitet. Diese
rücksichtslose Hingabe seiner ganzen
Kraft an das, was er für seine
Pflicht halten mußte, war ihm ja
schon in den Kinderjahren eigen. Sie
können das bei dem großen Alters-«
unterschiede. der zwischen Jhnen und
ihm besteht, nicht so wissen. Jch aber
erinnere mich noch recht gut, wie sehr
es mich manchmal verdrossen hat,
wenn ich ihn durch keine Verfüh
rungstiinste von seinen Schularbei
ten fortbringen konnte.'«
»Er was sur Gestandmsse sind
das, Herr Rechtsanwalt!« sagte Mur
tha, die sichtlich froh war, die Unter
haltung auf einen leichteren Ton zu
bringen, scherzend. »Ich hatte nach
Gerhards Erzählungen immer ge
glaubt, Sie wären ein rechter Muster
schiiler gewesen«
»O nein. Es fiel mir nur im gan
zen ein bischen leichter als ihm, der
sich jeden Fortschritt in hattet Arbeit
ahringen mußte und trotz seines rast
losen Fleißes nur mühsam mit uns
anderen Schritt hielt. —- Sie haben
gar keine Erinnerung an diese Zeit
,behalten?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich war
wohl kaum zehn oder elf Jahre alt,
als Sie nach dem Abiturientenexamen
fortgingen, um foizier zu werden.
Und ich vermuthe, Sie haben sich trotz
Ihrer Freundschaft für Gerhard um
seine unbedeutende kleine Schweer
nicht eben viel belümmert.«
»Das mag sehr-Hi richtig sein,« gab
er, nun ebenfalls heiterer werdend,
uriick. »Jhre äußere Erscheinung
ichs-n damals aber ist mir doch recht
gut im Gedächtniß geblieben. Und ich
weiß noch, daß Sie mir mit Jhrem
langen, offenen Haar und Ihrem hel
len Lachen, das beständig das ganze
Haus zu durchtönen schien, wie eine
kleine Waldelfe vorkamen. Als ich
dann drei Jahre später zurückkam, war
freilich alles ganz anders geworden.
hre Mutter war gestorben: fremde
enschen wohnten in dem Hause, in
dem ich so viele fröhliche Stunden ver
lebt hatte, und Sie hatten die Stadt
verlassen.«
,,Ja — ich befand mich bei Ver
wandten, die meine Erziehung vollen
den sollten. Aber, weil wir nun ein
mal von diesen alten Geschichien plan
dern-—tvissen Sie auch, Herr Rechts
antvalt, daß ich damals gar keine gute
Meinung von Ihnen hattes«
»Wirklich? Und was hatte ich ge
than, um mir Jhr Mißfallen zuzu
ziehen?«
»Mein Bruder hatte mir in feinen
Briesen allerlei über Sie mitgetheili.
was mich veranlaßte, Sie fü-! recht
hochmüthig zu halten. Er war zu jener
Zeit als Buchhalter bei Dem Vater sei
ner jetzigen Frau, dem Großkaufniann
Müller angestellt, nnd er schrieb mir,
daß sein einstiger Schulkamerad, der
äst- Leuinant Schröder ein sehr häu
r Gast im Müller’schen Hause sei.«
»Damit schrieb er allerdings die
Wahrheit Aber ich weiß nicht, wie
Sie darin einen Beweis siisr meinen
Wirth sehen konnten ——'«
»Nicht darin natürlich. Was mich
M Sie entnahm waren gewisse
e Bemerkungen Gerhards über
den Unt« chied mischen Jhrek glän
den ellschaftltchen Position und
Euer egenen bescheidenen Stellung.
hatte dafiie keine andere Erklä
rung als bie, daß Sie ihn bei einer
m ihm versnchien Annäherung diesen
Unterschied hätten Fühien lassen. Und
H verliebte gar. nicht daß ich Ihnen
des lb recht hofe war.«
zwischen aber sind Sie hoffent
« ;
f- -- Y sssf
lich zu der Erlenntniß gekommen.
daß Sie mir damit bitteres Unrecht
gethan haben,« erwiderte der Rechts
anwalt.
»Würde ich sonst davon sprechen?
Auch wenn mir Gerhard die Ursache
seiner damaligen Bitterkeit nicht spä
ter selbst eingestanden hätte, wäre es
mir wohl nicht schwer gefallen, sie zu
errathen.·k
»Und darf auch ich diese Ursache
vielleicht erfahren, Fräulein Marthe?
Möglicherweise bedarf-es ja doch noch
irgend einer Erklärung, um mich in
Ihren Augen völlig zu rechtfertigen«
»O nein, Sie waren ganz unschul
dig. Davon, daß Jhr ehemaliger
Schulsreund schrecklich eifersiichtig aus
Sie war, weil er eine stille Liebe site
vie Tochter seines Chess im Herzens
trug, hatten Sie ja sicherlich keine Ali
nung. Hermine hat meinem Bruders
später Versichert, daß Sie gar nicht da- ;
can dachten. ihr den Hof zu machen,
wieer in seiner glühenden Verehrung
es wohl sür ganz selbstverständlich ge
halten hatte.« I
Der Rechtsanwalt. der bis dahin
den Blick kaum von dem Gesicht seiner J
Begleiterin verwandt hatte, vermieds
es jetzt plötzlich sehr geflissentlich. idss
ten lachenden Augen zu begegnen. »Er i
liebte Fräulein Müller also schon zu.
jener Zeit? Nein, davon hatte ich al
lerdings keine Ahnung.«
»Wie sollten Sie auch —- da Ger
liard sein Geheimnis natürlich sorg
fältig hüten mußte, um nicht wegen
einer so unerhörten Dreistigleit sofort
entlassen zu werden. Denn darauf,
daß seine sehnsüchtigen Wünsche je
mals in Erfüllung gehen könnten,
machte er sich ja nicht die geringste
Hoffnung »Er war ein armer Kom
mis mitden bescheidensten Zukunfts
aussichten, und der Baker seiner An
gebeteten galt stir einen sehr reichem
Mann. Aus eine so traurige Verände
rung, wie sie nach dein Kriege in den
hör-glichen Verhältnissen meiner
Schwägerin eintrat, war in jenen Ta
gen wolsl niemand gesaßt.«
»Mein — gewiß nicht! Und es mut
sen schwere Zeiten siir die verwöhnte
junge Dame geweer sein, als sie sich
nach dem freiwilligen Tode ihres un
glücklichen Vaters plötzlich aus Glanz
und Wohlleben in Armuth und Ent-«
behrung versetzt sah. Es war im Be-«
dinn des Jahres 1872, trenn ich nicht
irre?« s
»Ja. Und im November desselben
Zahres wurde see meines Bruders
7 AU
Der Rechtsanrvalt nickte .Jch er
fuhr das alles erst viel später Denn
ich war ja damals in Berlin mit der.
Absolvirung meines juristischen Stu
diums beschäftigt nachdem die Folgen
meiner Verwundung mich aus der Of
sizierstarriere gewvrsen und genöthigt
hatten, mich nach einem anderen Beruf
umzusehem Als ich vor einem halben
Jahre in meine schlesische heimath zus:
rückkebrte, weil ich mich aus alter An
hänglichkeit bei der Wahl meines künf
tigen Wirtunastreises siir Breslau
entschieden hatte, bedeutete es rnir keine
geringe Ueberraschung, meinen alten
Schultameraden zufällig als den Ren
danten derselben Gesellschaft wiederzu
finden, die mich zu ihrem Syndikus
bestellt hatte. Und noch viel weniger
war ich daraus vorbereitet, in feiner
jungen Gattin das ehemalige Fräulein
Hermine Müller, die viel umworbene
Königin so vieler alänzender Feste, zu
her-rügen Das Leben wirft uns Meu
sehen doch zuweilen auf eine recht wun
derliche Veil- nich-spannt
»Ja. Und ich finde, daß es recht
hübsch ist, wenn alte Freunde aus so
unerwartete Art wieder zusammenge
siihrt werden.. Sie können sich nicht
darstellen, welche Freude Gerbard noch
tagelang nachher über Jbr und bemi
nens Erstaunen bei der ersten Besieg
nung hatte. Und es ist wohl leine
Jndislretiom wenn ichJhnen verrathe,
daß der Wochentag, an dem Sie bei
uns speisen, immer eine Art von Fest
tag für ihn bedeutet.«
»Das ist mehr Liebenswiirdigteit,
als ich verdiene,« sagte der Rechtsan
walt mit einem kleinen Anslug von
Verlegenheit. »Ich befürchtete schon.
lerem Bruder durch die Häufigkeit
meiner Besuche lästig zu fallen.«
,.Um so besser also, wenn ich Gele
genheit hatte, dieseBesorgniß zu zer
streuen. —- Aber da sind wir wahr
haftig schon am Oblauer Stadtgraben
angelangt. Und Sie haben meinetwe
gen den großen Umweg gemacht, herr
Mchtsanwaltt Oder haben Sie in un
serem Hause zu thtrni«
»frei« nicht,« verneinteer, sichtlich
eben o überrascht wie sie, daß ihr Weg
nur so kurz gewesen war. »Mein Kan
serenztag ist morgen. Und dann habe
ich doch hoffentlich auch die Freude,
Sie wiederzusehen.«
Sie standen schon vor dem Ge
schäftshause der Glüelausgesellschast,
und- bei den letzten Warten reichte
Schröder der jungen Lehrerin seine
Hand, in die sie unbedenklich die ihrige
legte.
»Da Sie ja zu Tisch kommen wer
den-gewiß! Aber wollen Sie nicht
aus einen Augenblick rnit mir herein
iommem um meine Schwägerin zu se
’gkiißek.2 Sie wiikde sich gewiß ska
darüber freuen.'« «
. Mit-einer fast befremdlichen Hatt
« wehrte der Rechtsanwalt ab. »Ich habe
leider keine Zeit dazu, nnd kann Sie
nur bitten, meine ergebenften Empfeh
tungen zu übermitteln. Ihnen aber,
Fräulein Martha, danke ich noch ein
mal, daß Sie’s so geduldig an meiner
Seite ausgehalten haben.«
Jungen Sie nun doch wieder da
ran an, obwohl ichs Jhnen so aus
sdriicklich verboten habe. Wollen Sie
imich denn geradezu zwingen, Jhnen
Mcmplimente zu machen, indem ich
JJ en oersichere, daßes mir Vergnü
kge bereitet, mich mit Ihnen zu unter
shaltenW ,
. Sie fragte es voll reizender Schalt
!haftigteit, mit einem Lächeln, das
jatich ten unempfiinglichsten Beriichter
jrveiblicker Anmuth hätte entzücker
! müssen. Und ein solcher Verräther war
Jder ehemalige Leutnant doch wohl
nicht. Wenigstens hingen seine Auyen
ein paar Setnnden lang mit sehr ver
Erötherischem Leuchten an ihren Zügen
under vergaß es währenddessen ganz
und«gar, das schmale Höndchen frei
zugeben, das er mit so festem Druc!
ngfangen hielt.
«Jch wollte, daßes so wäre, Frau-;
lein Martha; denn ich für meine Per
son weiß mir wahrlich nichts Besseres
zu wiinschen.'«
Die Lebhaftigteit dieser Ansicht
rnnq brachte cixre wieder um ihre Unbes
fangenheit Hie erröthete und zog die
Hand zurück. «Aui Wiedersehen also,
Herr Rechtsanwalt!'«
b »Ja — auf morgen, Fräulein Mar
t ,a!«
Sie fchliipfte ins haus, und er
hintie an seinem Stock langsam den
feil-en Weg zurück, den sie gelommcix
waren.
Hinter einem der blumengeschmiid
ten Fenster zur Linken der Hausthür
aber fiel die- Gardine wieder herab, di
während der letzten Minuten von einer »
wohlgepftegten Frauenhznd ein wenig
;i«-eiieite geschoben worden war, um
«zwei aufmerksam spähenden braunen
Augen den Ausblick auf die Straß-:
; zu gestatten.
; Als Martha in das Wobnzirnmer
Hkrai, sah sie sich ihrer Schwögetin ge
Tgeniiber, und die Erwidernng, die ih
Jrem heiteren Gruße zutheii wurde, war
iso kurz und kühl, daß es ihr noth
wendig ausfallen mußte. , ,
: Aber jie gab der-i unlieoenewuro:
gen Empfang eine falsche Deutung-.
»Was ist Dir?« frag-te sie besorgt.?
»Du hast doch nicht etwa von Doktor
Weiß Ungiinstiges über Gerhardö Ge- l
sundheitszustand erfahren?« !
»O nein. Er ist etwas nerbös unds
soll so bald als möglich in- die Sonn-s
mersrische, das ist alles. Aber wenns
ich auch Schlimmeres gehört hättet
aus dich würde es ja wahrscheinlich
»in diesem Augenblick keinen besonderen
sEindruck machen.«
1 Sie was ersichtlich in übeln-: Lan-H
ine, und sie gab sich nicht die geringste
;«.Niibe. es zu verbergen. Mit Bestiir-;
« zung gewahrte Martha das zornige
Funleln in den Augen der Schwiiges
rin und das leidenschaftliche Zuctcn
ihrer Mund-winket
»Es würde keinle Eindruck aus mid,
machen-sagst BUT-— Ja, wie soll
; ich denn das verstehen?«
»Nun, ich meine, wenn man so
gleichsam im siebentenhimmelschwebt,
wie es Deinem Aussehen nach bei Dir
der Fall ist, fragt man wohl nach den
Kiimmernissen seiner Nebenmenschem
ebensowenig als nach den Geboten der
Schietlichleit und guten Sitte. —
Psleat Dir übrigens der Herr Rechts
anwali aus Deinem Heimwege immer
das Geleite zu geben?"
Jn raschem Wechsel kam und gin
die Farbe aus Marthe-s Gesicht. »Is?
es das, was Dich so unfreundlich ge
gen mich macht, Hermine?« fragte sie
mit einem leichten Beben der Stimme..
»Ich glaubte bisher wirklich nicht« daß
es ein Berstoß gegen die Schicklichleit
vund gute Sitte sei, am hellen Mittag
mit einem besreundeten Herren über
die Stinße zu gehen.«—
»Zumal wenn die Freundschaft eine
so warme ist wie zwischen euch beiden.
nicht wahr? Es muß in der That eine
sehr angeregte Unterhaltung und ein
sehr rührender Abichied gewesen sein.
da eure Hände sich gar nicht wieder
von einander zu lösen vermochten. Jch
habe mich ja am Ende nicht darum zu
tiimmernx aber ich möchte Dir in Dei
nem Interesse empfehlen. an Deinen
Ruf zu denken. Auf offener Straße
wenigstens nimmt man sich doch etwas
mehr zusammen«
»Was Du da sprichst, ist sehr gar
iiig,« sagte die junge Lehrerin, der die
Thriinen in den Augen standen. »Was
ich mit dem Rechtsanwalt Schröder
geredet habe, hätte jeder hören können.
Und er verweilte hier vor dem hause
nur noch, um mir einen Gruß fiir Dich
und Gerhard aufzutragen.«
»Das war ia sehr liebenswürdig
von ihm. —Aber still — ich höre Ger
hard kommen. Und er soll nicht etwa
glauben, wir hätten uns gezanlt.«
Sie ging ihrem Manne bis zur
Tbiir entgegen und empfing ihn mit
einer Unbefangenheit, die ihr sicherlich
die volle Anerkennung des hausarztes
eingetragen hätte.
«HaitDu endlich einmal ein Vier
telstündchen für mich übrig? Jch er
warte Dich mit Ungeduld; denn Dol
tor Weiß hat mir ausgetragen» Dir
sehr ernstlich ins Gewissen zu reden.«
»Ach ja, der Doktor!« meinte Win
ter, nachdem er seiner Schwester herz
lich die Hand edriickt. »Sie Du,
kden hatte ich ii r meiner Arbe t« schon
wiede- ganz vergessen. hat« er mit
)
lentnehmen lassen, ob diese Ueberra
Dir iiber das Ergebniß der Unter
suchung gesprochen«t«
»Er sagt, Du seiest überarbeitet und
brauchest dringend eine gründliche Er
holung. Unter allen Um tänden müß- »
test Du noch in diesem onat Deinen
Urlaub antreten.«
»Dann ist nicht zu denken. Die
Abschlußarbeiten sind gerade diesmal
sehr umfangreich, und dabei bin ich
ganz unentbehrlich. Jn den ersten
Augufttagen aber läßt sichs vielleicht
machen. Denn ich fühle selbst, daß
ich ein bischen Ruhe ganz gut gebrau
chen kann. Bei erster Gelegenheit will
ich mit dem Generaldireltor darüber
reden.«
Die Wohnungsglocke schlug "an, und
gleich darauf erschien das Dienstmäd
chen mit einem Telegramm.
»Eine Depesche für Frau Winter,«
sagte sie, indem sie der jungen Frau
das zusammengesaltete Papier über
reichte. Mit einem Ausdruck lebhafter
Verwunderung aus dem Gesicht löste
Hermine den Verschluß
»Ah, welche Ueberraschung!« rief
sie, ohne daß sich dem Klang ihrer
Worte mit einiger Sicherheit hätte
schung zu den erfreulichen oder den
unliebsamen zu rechnen sei. »Es ge
schehen wahrhaftig auch heute noch
Zeichen und Wunder.«
Sie gab ihrem Manne das Tele
gramm, und er las halblaut: »Nach
Deutschland zurückgekehrt, treffe ich
heute Abend sieben Uhr in Brerlau
ein. hoffe auf fröhliches Wiedersehen
und freundlichen Empfang. Dein
Bruder Georg.«
Auch das Erstaunen des Rendanten
war ersichtlich nicht gering; aber bei
ihm war es ohne allen Zweifel freudi
ger Natur.
»Das ist ja eine großartige Ueber
rumpelung. Ein Todtgealaubter, der
plötzlich wiederlommt! Wenn er nicht
vorsichtig genug gewesen wäre, sich
telegraphisch anzumelden, hätte es eine
Szene werden können, wie in einem
Theaterstiicl. Wie lange ist es eigent
lich her, daß Du nichts mehr von ihm
gehört hattest, Herminesim
Frau Hermine Winter war ans
Fenster getreten und blickte auf die
Straße hinaus. Auch als sie auf die
Frage ihres Mannes, wie lange es her
sei, daß sie· von ihrem Bruder nichts
mehr gehört habe, antwortete, wandte
sie das Gesicht nicht in das Zimmer
zurück.
isten Jahre seiner Abwesenheit noch ein
’seinem Sohne gesprochen werde. Aber
»Ich musz nachrechnen. um das seit- »
zustellen. Mein Bruder war zweiund
zwanzig Jahre alt, als er nach Ame
rita ging, und ich war damals noch
ein Kind. Er hatte sich im Unfrieden
von seiner Familie etrennt, und mein
Vater muß sehr böse aus ihn gewesen
sein, denn in seiner Gegenwart durfte
überhaupt nicht von ihm gesprochen
werden. Alles, was ich später iiber
Georg erfuhr, war, daß er nur im er
paarrnal geschrieben habe. Dann blieb
er für uns verschollen. Und nicht ein
mal aus die Nachricht von meines Va
ters Tode habe ich eine Antwort von
ihm erhalten«
»Wahrs"cheinlich ist sie gar nicht in
seine Hände gelangt « meinte Winter
in dem gutmüthigen Bestreben, noch
vor der Antunt des Schtvagers mög
lichst alles hinwegzuriiumen was sich
bei dein Empfange des Heimtehrenden
peinlich bemerkbar machen könnte.
»Die amerikanischen Postverhältnisse
find nicht so musterhaft wie die unse
rigen. —- Jedensalls sreue ich mich
riesig, ihn kennen zu lernen. Als ich
in Deines Vaters Geschäft eintrat,
war er ja schon seit mehreren Jahren
fort. Und es war, wie Du sa st: der
Chef wünschte nicht, daß mit i m von
die Kollegen, die noch mit ihm zusam
men gearbeitet hatten, erzählten ost
genug von ihm, wenn der gestrenge
Herr Prinzipal außer Hörweite war
Ein bischen slott scheint er ja gewesen
zu sein; aber z uKeich auch ein riesig
liebenswürdiger ensch den alle gern
gehabt hatten. Sie meinten, der Va
ter wäre doch wohl etwas zu streng
gegen ihn-gewesen;
»So? Meinten sie dass-« fragte die
junge Frau ziemlich kühl. »Dann
wurde an den Kontorpulten wahr
scheinlich auch über die Ursachen sei
nes Fortgehens sehr viel gesabelt?«
»An Vermuthungen hat es natür
lich nicht gefehlt. Aber es hieß, daß
nur der alte Suterland, unser Pro
kurist, etwas Gewisses hätte sagen
können. Und den biirbeißigen Murr
tops wagte selbstverständlich niemand
zu fragen. Schlie lich — was wird
es denn groß gewe en sein? Ein bis
chen jugendlich troyige Auflehnung
gegen die väterliche Autorität — viel
leicht auch einige leichtsinnigåee Schul
den oder dergleichenl n fünf
zehn Jahren, die seitdem vergangen
sind, und in der guten ameritanischen
Schule dürfte sich der herr Schwager
die Hörner wohl hinlänglich abgelau
sen haben. «
»Wir wollen es hoffen. — Für
welche Zeit hat er übrigens seine An
tunft angemeldet?«
Der Rendant sah in das Tele
grarnrn. »hier steht: Heute Abend
sieben Uhr. Das ist ohne Zweifel der
Berliner Schnellzug, der zehn Minu
ten noch Sieben eintrisst. —- Wie sa
tal, daß ich gerade heute so schrecklich
viel Arbeit aus dem halse habe!«
Du brauchst Dich meines Bruders
wegen darin durchaus nicht stören zu
tckssern Es enitgt vollkommen, wenn
ich sum Ba nhos fahre, ihn zu em
pfangen. Er muß doch ohnehin irn
W
In der Sommerstischr.
- , »——.—---..-—--s
,W"«
Gast: »Wikthin, das Bier ist matt;" haben Sie kein frisches?«
Witthim »Seien Sie froh, daß Sie noch von dem jetzigen Faß erwifcht
Haken. Nachher, wenn die Stadtleut’ da sind, wird erst das schlechte Bier
! au gelegt.«
Ihotel absteigen; denn seitdem Martha
»bei uns ist, haben wie iir Fremden
besuche kein Zimmer me r zur Verfü
:gung« ·
I »Im hoteli Nein, liebes Kind das
diirsen wir unter keinen Umständen
qugebein Einen Bruder, der nach
jsünszehnsähriger Abwesenheit in die
Heimath zurückkehrt, läßt man nicht
»in den Gasthof gehen, wenn man ei
nen eigenen Haushalt führt« haben
»wir hier unten teinen Plas sür ihn
jso wird mir der Generaldirettor aus
meine Bitte schon eines der remden
zimmer überlassen, die oben im ersten
Stock siir die Gewerten bereit stehen.
Um diese Jahreszeit pflegt nur selten
;einer. der Herren nach Breslau zu
"tommen. Aber selbst fiir diesen Fall
wäre noch immer augreichend gesorgt;
denn es stehen ja vier vollständig ein
gerichtete Logierräume zur Verfü
Aulis-«
Frau Hermine erhob teinen Ein
spruchz aber es hatte gar nicht den
Anschein, als ob sie von dem Eiser ib
res Mannes und von dem Ausweg,
den er da siir die Unterbringung des
erwarteten Schwagers gesunden, son
derlich entzückt sei Jhr schönes Ge
sicht zeigte seinen gleichmiithigen Aus
druck und wie um alle weiteren Erör
terungen des bevorstehenden Ereig
nisses abzuschneiden, sagte sie nach ei
nein Blick aus die Uhr: »Vielleichi
wäre es am besten, Gerhard, wenn
Du mit dein Generaldirettor gleich
jetzt wegen Deines Urlaubs Rück
sprache nähmest. Jchmöchte, daß diese
Angelegenheit entschieden ist, ehe mein
Bruder ankommt. Unterdessen werde
ich das Mittagessen anrichten lassen.«
Gehorsam, wenn auch etwas zö
gernd, da ihm die Sache durchaus
nicht so eilig schien, iiigte der Ren
Hdant sich ihrem Willen. Die junge
iFrau ging in die Küche, ohne daß
izwischen ihr und Martha vorher noch
Hein Wort gewechselt worden wäre.
Z. K a o i t e l.
! Der Generaldirettor Hoffmann, ein
lhagestolz von ungefähr sechzig Jah
iren, dessen Bureaus sich im ersten
Stockwerk des Geschäftshauses befan
den, war wegen seiner derben Um
gangöformen, die bei gegebenem An
laß zur urtviichsigsten Grobheit wer
den tonnten, von den Beamten der
Gesellschaft nicht wenig«gefijrchtet·
Zwar wußten alle, daß er im Grunde
durchaus gutmüthig war unis daß
sein Zorn tn der Regel ebenso schnell
verrauchte, als er ausgeslammt war;
aber es gehörte doch keineswegs zu den
Annehmlichkeiten, von ihm abgetan
zelt zu werden. Und darum betrat
kaum jemals - einer der Angestellten
ohne bängliches Herzllopsen die Höhle
des Löwen.
Gerhard Winter war vielleicht der
einzige, über dessen Haupt sich noch
niemals eines der so sehr gefürchteten
Ungewitter entladen hatte. Seine
peinliche Gewissenhaftigkeit und sein
unermüdlicher Pflichtei er hatten ihm
die vollste Achtung s gestrengen
Vorgeseßten gewonnen. Und er wußte
deshalb recht gut, daß er keine ab
schsliigige Antwort auf seine Bitten zu
Miste-ten W
zronoem ruyue auch er ncn etwas
beklommen, als er jth dem riesenhaft
gebauien Generaldirettor in seinem
Arbeitszirnnier gegenüberstand und die
scharfen Augen des alten Herrn mit
dein inquisitorischen Blick, der ihnen
auch bei der harmlosesten Unterhaltung
figsenthiinilich war, auf sich gerichtet
a .
Bescheiden und vielfach stockend
brachte er zunächst fein Anliegen we
gen des Urlaubs var, indem er sich
dabei gewissermaßen als das Opfer
einer von seiner Frau und dem Haus
arzte angezeitelten Verschwörung hin
stellte.
Aber der Direktor, der kein
Freund von vielem unnüden Gerede
:var, ließ ihn gar nicht erst zu Ende
kommen. »Ohne weiteres bewilligt.
Wenn Sie trank sind, miissen Sie
selbstverständlich darauf bedacht sein«
so schnell wie möglich wieder gesund
zu werden. Denn traute Leute tön
nen wir nicht brauchen. Wann wollen
Sie denn ferti«
»Ich dachte, daßes vielleicht in den
ersten Tagen des August sein könnte
Den Monatsabschliiß, der ja diesmal
besonders wichtig tit, würde ich natür
lich vorher noch fertig stellen.«
»Na, das wäre mir allerdings lieb.
Und wie denken Sie über Jhre Ver
tretung? Wird man sich dem zigeuneris
schen Kerl, dem Beutel. ganz ohne Be
iorgnisz anvertrauen tönnen2«
»Unbedentlich, Herr Direkter Für
den Mann stehe ich ein. Er ist pünkt
lich, fleißig und in allen Stücken ganz
zuverlö,sig.«
»Na «- na! Verbürgen Sie nur
nicht zu viel! Wenn Sie meine Ersatz-«
rungen hätten, würden Sie darin viel
leicht etwas vorsichtiger sein. Aber
wenn Sie in diesem Fall recht haben,
ist es ja um io besier. Und schließlich
bin ich auch noch da, um während Ihrer
Abwesenheit die Augen visen zu halten.
Sonst noch wag-, Herr Rendant?"
Ernmthigt durch das Entgegenkom
men des alten Herrn, brachte Winter
auch seinen zweiten Wunsch zu Tage.
Während ver etwas umständlichen Er
zählung bliitterte der Generaldirettor
in einem AltenbiindeL Aber er hörte
nichtsdestoweniger aufmerksam zu.
»Ein Schwanes aus Amerila also?
Hoffentlich einer, der ein paar Millio
nen Dollars hinter sich qebracht hat.
Was hnt er denn da drüben getrie
den«-«
»Tai-über tann ich leider leineAuss
Zunst geben« Meine Frau hat seit fünf
zehn Jahren heute zum ersten Male
wieder von ihm gehört.«
»So —- va — Sagen Sie mal,
Winter, ist Ihre Frau nicht eine ge
borene Müller —- non der Firma Paul
Gotthilf« Müller seligen Angeden
teng?'«
»Was-il Goitliilf Müller war ihr
Vater, Herr Diretterl«
»Dann habe ich auch vielleicht schon
von Ihrem Schwager gehört· Er muß
allerdings noch ein ziemlich grüner
Junge gewesen sein damals. Denn es
isi lange her, un: ich erinnere mich
nicht mehr genau. Aber etwas beson
ders Vortheilhaites war eg nicht« so
viel kann ich Jhnen jedenfalls ver
rathen.«
Der Rendant wurde so roth, als ob
man ihm selbst etwas Schimpfliches
nnchgesogt hätte.- ,.Jrgenb eine Ju
gendtliorheit verniutblich, Herr Direk
tor! Nach so langer Zeit dars man ihm
daraus doch wohl teinen Vorwurf
mehr machen.«
»Fällt mir auch gar nicht ein. Will
im Gegentheil hoffen, daß ein tüchtiger
Mensch aus ihm geworden ist, mit dem
es dermaleinst ein besseres Ende
nimmt als mit Ihrem Schwiegervater.
——— Eines von den Gewerlenzimmern
wollen Sie «also siir ihn haben? —Na.
es soll eigentlich nicht sein, denn wenn
uns jetzt zufällig ein paar von den
Herren ins Haus fielen, weil sie lich ein
bischen in Breslau aniiisiren wollen,
wiirde mir ein verehrlicher Aufsichts
rath wahrscheinlich einen gehörigen
Wischer zu theil werden lassen.« Aber
weil es ihr Schwaget ist« will ich in
Gottes Namen in sagen —- lediglich
Ihrer Frau zuliebe. Einem so netten
jungen Weibchen schlägt ein alter
Junggeselle eben nicht Leicht etwas ab.«
Winter wollte sich bebanlen, aber
ber Generaldireltor wehrte kurz ab.
U
»Schon gut! Jst fa nicht der Rede
werth. Und ich setze natürlich voraus,
daß ver Herr Schwager aus Amerika
unserem ehrbaren Hause keinen leicht
fertigen Streich macht. Würde ihm
ionlt gehörig aufs Dach steigen müs
sen. Sind wir nun fertig?«
«Jawot)l, Verr Tireitart Und ich
will nicht länger stören.'«
«Worten Sie noch einen Angen
blick. Mir ist, als ob ich da irgend
was für Sie gehabt hätte. Jch kann
nur nicht gleich darauf kommen, was
es war.«
Er trat an den langen, mit Papie
ren aller Art bedeckten Tisch und be
ann unter den leßten Clngiingen zu
uchen.
Gortsesung folgt-) «