Die ( qu des chdanIcst KtiminalsRoman von A. Q. Klaußmann. v- s (2. Fortsetzung) »Ein Mißtrauem das Sie wahr lich nicht in sich aufkommen lassen soll ten«, verwies sie mit eindringlichem Ernst. »Denn Sie thun damit Ih ren Freunden ein ebenso bitteres Un recht wie sich selbst. Jn dem, was Sie Jhr Gebrechen nennen, ist nichts Beliistigendes Und es sichert Jhnen außerdem die Hochachtung aller, die seine Ursache kennen·« »Weil ich im Kriege zum Krüppel Geschossen worden bin, meinen Sies a, es ist doch ein verzweifelt beschei denes Verdienst, seine selbstverständ liche Schuldigteit zu thun. Und auf besondere Hochachtung tann es einem wohl kaum Anspruch geben. ——— Aber ich rede hier mit Jhnen von mir und von meinem lahmen Bein, als ob es auf der ganzen Welt nichts Interes santeres gäbe. Sagen Sie mir jetzt lieber. Fräulein Martha, wie es Ih rem Bruder geht. Bei meinem letzten Besuche hat mich sein Aussehen be unruhigt. Hat er sich denn immer noch nicht mal ordentlich untersuchen lassen?« »Gerade als ich heute friih fort ging. war Doktor Weiß gekommen, um es zu thun. Auch ich sorge mich sehr um Gerhard. Aber Sie fürchten doch nicht, daß es etwas Ernstliches sein könnte?« »Das berhiite der Himmel! Und wir brauchen uns auch wohl nicht zu ängstigen. Er lann ja kaum fünf unddreißig Jahre alt sein, und er war doch bisher immer gesund. Je denfalls hat er sich überarbeitet. Diese rücksichtslose Hingabe seiner ganzen Kraft an das, was er für seine Pflicht halten mußte, war ihm ja schon in den Kinderjahren eigen. Sie können das bei dem großen Alters-« unterschiede. der zwischen Jhnen und ihm besteht, nicht so wissen. Jch aber erinnere mich noch recht gut, wie sehr es mich manchmal verdrossen hat, wenn ich ihn durch keine Verfüh rungstiinste von seinen Schularbei ten fortbringen konnte.'« »Er was sur Gestandmsse sind das, Herr Rechtsanwalt!« sagte Mur tha, die sichtlich froh war, die Unter haltung auf einen leichteren Ton zu bringen, scherzend. »Ich hatte nach Gerhards Erzählungen immer ge glaubt, Sie wären ein rechter Muster schiiler gewesen« »O nein. Es fiel mir nur im gan zen ein bischen leichter als ihm, der sich jeden Fortschritt in hattet Arbeit ahringen mußte und trotz seines rast losen Fleißes nur mühsam mit uns anderen Schritt hielt. —- Sie haben gar keine Erinnerung an diese Zeit ,behalten?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich war wohl kaum zehn oder elf Jahre alt, als Sie nach dem Abiturientenexamen fortgingen, um foizier zu werden. Und ich vermuthe, Sie haben sich trotz Ihrer Freundschaft für Gerhard um seine unbedeutende kleine Schweer nicht eben viel belümmert.« »Das mag sehr-Hi richtig sein,« gab er, nun ebenfalls heiterer werdend, uriick. »Jhre äußere Erscheinung ichs-n damals aber ist mir doch recht gut im Gedächtniß geblieben. Und ich weiß noch, daß Sie mir mit Jhrem langen, offenen Haar und Ihrem hel len Lachen, das beständig das ganze Haus zu durchtönen schien, wie eine kleine Waldelfe vorkamen. Als ich dann drei Jahre später zurückkam, war freilich alles ganz anders geworden. hre Mutter war gestorben: fremde enschen wohnten in dem Hause, in dem ich so viele fröhliche Stunden ver lebt hatte, und Sie hatten die Stadt verlassen.« ,,Ja — ich befand mich bei Ver wandten, die meine Erziehung vollen den sollten. Aber, weil wir nun ein mal von diesen alten Geschichien plan dern-—tvissen Sie auch, Herr Rechts antvalt, daß ich damals gar keine gute Meinung von Ihnen hattes« »Wirklich? Und was hatte ich ge than, um mir Jhr Mißfallen zuzu ziehen?« »Mein Bruder hatte mir in feinen Briesen allerlei über Sie mitgetheili. was mich veranlaßte, Sie fü-! recht hochmüthig zu halten. Er war zu jener Zeit als Buchhalter bei Dem Vater sei ner jetzigen Frau, dem Großkaufniann Müller angestellt, nnd er schrieb mir, daß sein einstiger Schulkamerad, der äst- Leuinant Schröder ein sehr häu r Gast im Müller’schen Hause sei.« »Damit schrieb er allerdings die Wahrheit Aber ich weiß nicht, wie Sie darin einen Beweis siisr meinen Wirth sehen konnten ——'« »Nicht darin natürlich. Was mich M Sie entnahm waren gewisse e Bemerkungen Gerhards über den Unt« chied mischen Jhrek glän den ellschaftltchen Position und Euer egenen bescheidenen Stellung. hatte dafiie keine andere Erklä rung als bie, daß Sie ihn bei einer m ihm versnchien Annäherung diesen Unterschied hätten Fühien lassen. Und H verliebte gar. nicht daß ich Ihnen des lb recht hofe war.« zwischen aber sind Sie hoffent « ; f- -- Y sssf lich zu der Erlenntniß gekommen. daß Sie mir damit bitteres Unrecht gethan haben,« erwiderte der Rechts anwalt. »Würde ich sonst davon sprechen? Auch wenn mir Gerhard die Ursache seiner damaligen Bitterkeit nicht spä ter selbst eingestanden hätte, wäre es mir wohl nicht schwer gefallen, sie zu errathen.·k »Und darf auch ich diese Ursache vielleicht erfahren, Fräulein Marthe? Möglicherweise bedarf-es ja doch noch irgend einer Erklärung, um mich in Ihren Augen völlig zu rechtfertigen« »O nein, Sie waren ganz unschul dig. Davon, daß Jhr ehemaliger Schulsreund schrecklich eifersiichtig aus Sie war, weil er eine stille Liebe site vie Tochter seines Chess im Herzens trug, hatten Sie ja sicherlich keine Ali nung. Hermine hat meinem Bruders später Versichert, daß Sie gar nicht da- ; can dachten. ihr den Hof zu machen, wieer in seiner glühenden Verehrung es wohl sür ganz selbstverständlich ge halten hatte.« I Der Rechtsanwalt. der bis dahin den Blick kaum von dem Gesicht seiner J Begleiterin verwandt hatte, vermieds es jetzt plötzlich sehr geflissentlich. idss ten lachenden Augen zu begegnen. »Er i liebte Fräulein Müller also schon zu. jener Zeit? Nein, davon hatte ich al lerdings keine Ahnung.« »Wie sollten Sie auch —- da Ger liard sein Geheimnis natürlich sorg fältig hüten mußte, um nicht wegen einer so unerhörten Dreistigleit sofort entlassen zu werden. Denn darauf, daß seine sehnsüchtigen Wünsche je mals in Erfüllung gehen könnten, machte er sich ja nicht die geringste Hoffnung »Er war ein armer Kom mis mitden bescheidensten Zukunfts aussichten, und der Baker seiner An gebeteten galt stir einen sehr reichem Mann. Aus eine so traurige Verände rung, wie sie nach dein Kriege in den hör-glichen Verhältnissen meiner Schwägerin eintrat, war in jenen Ta gen wolsl niemand gesaßt.« »Mein — gewiß nicht! Und es mut sen schwere Zeiten siir die verwöhnte junge Dame geweer sein, als sie sich nach dem freiwilligen Tode ihres un glücklichen Vaters plötzlich aus Glanz und Wohlleben in Armuth und Ent-« behrung versetzt sah. Es war im Be-« dinn des Jahres 1872, trenn ich nicht irre?« s »Ja. Und im November desselben Zahres wurde see meines Bruders 7 AU Der Rechtsanrvalt nickte .Jch er fuhr das alles erst viel später Denn ich war ja damals in Berlin mit der. Absolvirung meines juristischen Stu diums beschäftigt nachdem die Folgen meiner Verwundung mich aus der Of sizierstarriere gewvrsen und genöthigt hatten, mich nach einem anderen Beruf umzusehem Als ich vor einem halben Jahre in meine schlesische heimath zus: rückkebrte, weil ich mich aus alter An hänglichkeit bei der Wahl meines künf tigen Wirtunastreises siir Breslau entschieden hatte, bedeutete es rnir keine geringe Ueberraschung, meinen alten Schultameraden zufällig als den Ren danten derselben Gesellschaft wiederzu finden, die mich zu ihrem Syndikus bestellt hatte. Und noch viel weniger war ich daraus vorbereitet, in feiner jungen Gattin das ehemalige Fräulein Hermine Müller, die viel umworbene Königin so vieler alänzender Feste, zu her-rügen Das Leben wirft uns Meu sehen doch zuweilen auf eine recht wun derliche Veil- nich-spannt »Ja. Und ich finde, daß es recht hübsch ist, wenn alte Freunde aus so unerwartete Art wieder zusammenge siihrt werden.. Sie können sich nicht darstellen, welche Freude Gerbard noch tagelang nachher über Jbr und bemi nens Erstaunen bei der ersten Besieg nung hatte. Und es ist wohl leine Jndislretiom wenn ichJhnen verrathe, daß der Wochentag, an dem Sie bei uns speisen, immer eine Art von Fest tag für ihn bedeutet.« »Das ist mehr Liebenswiirdigteit, als ich verdiene,« sagte der Rechtsan walt mit einem kleinen Anslug von Verlegenheit. »Ich befürchtete schon. lerem Bruder durch die Häufigkeit meiner Besuche lästig zu fallen.« ,.Um so besser also, wenn ich Gele genheit hatte, dieseBesorgniß zu zer streuen. —- Aber da sind wir wahr haftig schon am Oblauer Stadtgraben angelangt. Und Sie haben meinetwe gen den großen Umweg gemacht, herr Mchtsanwaltt Oder haben Sie in un serem Hause zu thtrni« »frei« nicht,« verneinteer, sichtlich eben o überrascht wie sie, daß ihr Weg nur so kurz gewesen war. »Mein Kan serenztag ist morgen. Und dann habe ich doch hoffentlich auch die Freude, Sie wiederzusehen.« Sie standen schon vor dem Ge schäftshause der Glüelausgesellschast, und- bei den letzten Warten reichte Schröder der jungen Lehrerin seine Hand, in die sie unbedenklich die ihrige legte. »Da Sie ja zu Tisch kommen wer den-gewiß! Aber wollen Sie nicht aus einen Augenblick rnit mir herein iommem um meine Schwägerin zu se ’gkiißek.2 Sie wiikde sich gewiß ska darüber freuen.'« « . Mit-einer fast befremdlichen Hatt « wehrte der Rechtsanwalt ab. »Ich habe leider keine Zeit dazu, nnd kann Sie nur bitten, meine ergebenften Empfeh tungen zu übermitteln. Ihnen aber, Fräulein Martha, danke ich noch ein mal, daß Sie’s so geduldig an meiner Seite ausgehalten haben.« Jungen Sie nun doch wieder da ran an, obwohl ichs Jhnen so aus sdriicklich verboten habe. Wollen Sie imich denn geradezu zwingen, Jhnen Mcmplimente zu machen, indem ich JJ en oersichere, daßes mir Vergnü kge bereitet, mich mit Ihnen zu unter shaltenW , . Sie fragte es voll reizender Schalt !haftigteit, mit einem Lächeln, das jatich ten unempfiinglichsten Beriichter jrveiblicker Anmuth hätte entzücker ! müssen. Und ein solcher Verräther war Jder ehemalige Leutnant doch wohl nicht. Wenigstens hingen seine Auyen ein paar Setnnden lang mit sehr ver Erötherischem Leuchten an ihren Zügen under vergaß es währenddessen ganz und«gar, das schmale Höndchen frei zugeben, das er mit so festem Druc! ngfangen hielt. «Jch wollte, daßes so wäre, Frau-; lein Martha; denn ich für meine Per son weiß mir wahrlich nichts Besseres zu wiinschen.'« Die Lebhaftigteit dieser Ansicht rnnq brachte cixre wieder um ihre Unbes fangenheit Hie erröthete und zog die Hand zurück. «Aui Wiedersehen also, Herr Rechtsanwalt!'« b »Ja — auf morgen, Fräulein Mar t ,a!« Sie fchliipfte ins haus, und er hintie an seinem Stock langsam den feil-en Weg zurück, den sie gelommcix waren. Hinter einem der blumengeschmiid ten Fenster zur Linken der Hausthür aber fiel die- Gardine wieder herab, di während der letzten Minuten von einer » wohlgepftegten Frauenhznd ein wenig ;i«-eiieite geschoben worden war, um «zwei aufmerksam spähenden braunen Augen den Ausblick auf die Straß-: ; zu gestatten. ; Als Martha in das Wobnzirnmer Hkrai, sah sie sich ihrer Schwögetin ge Tgeniiber, und die Erwidernng, die ih Jrem heiteren Gruße zutheii wurde, war iso kurz und kühl, daß es ihr noth wendig ausfallen mußte. , , : Aber jie gab der-i unlieoenewuro: gen Empfang eine falsche Deutung-. »Was ist Dir?« frag-te sie besorgt.? »Du hast doch nicht etwa von Doktor Weiß Ungiinstiges über Gerhardö Ge- l sundheitszustand erfahren?« ! »O nein. Er ist etwas nerbös unds soll so bald als möglich in- die Sonn-s mersrische, das ist alles. Aber wenns ich auch Schlimmeres gehört hättet aus dich würde es ja wahrscheinlich »in diesem Augenblick keinen besonderen sEindruck machen.« 1 Sie was ersichtlich in übeln-: Lan-H ine, und sie gab sich nicht die geringste ;«.Niibe. es zu verbergen. Mit Bestiir-; « zung gewahrte Martha das zornige Funleln in den Augen der Schwiiges rin und das leidenschaftliche Zuctcn ihrer Mund-winket »Es würde keinle Eindruck aus mid, machen-sagst BUT-— Ja, wie soll ; ich denn das verstehen?« »Nun, ich meine, wenn man so gleichsam im siebentenhimmelschwebt, wie es Deinem Aussehen nach bei Dir der Fall ist, fragt man wohl nach den Kiimmernissen seiner Nebenmenschem ebensowenig als nach den Geboten der Schietlichleit und guten Sitte. — Psleat Dir übrigens der Herr Rechts anwali aus Deinem Heimwege immer das Geleite zu geben?" Jn raschem Wechsel kam und gin die Farbe aus Marthe-s Gesicht. »Is? es das, was Dich so unfreundlich ge gen mich macht, Hermine?« fragte sie mit einem leichten Beben der Stimme.. »Ich glaubte bisher wirklich nicht« daß es ein Berstoß gegen die Schicklichleit vund gute Sitte sei, am hellen Mittag mit einem besreundeten Herren über die Stinße zu gehen.«— »Zumal wenn die Freundschaft eine so warme ist wie zwischen euch beiden. nicht wahr? Es muß in der That eine sehr angeregte Unterhaltung und ein sehr rührender Abichied gewesen sein. da eure Hände sich gar nicht wieder von einander zu lösen vermochten. Jch habe mich ja am Ende nicht darum zu tiimmernx aber ich möchte Dir in Dei nem Interesse empfehlen. an Deinen Ruf zu denken. Auf offener Straße wenigstens nimmt man sich doch etwas mehr zusammen« »Was Du da sprichst, ist sehr gar iiig,« sagte die junge Lehrerin, der die Thriinen in den Augen standen. »Was ich mit dem Rechtsanwalt Schröder geredet habe, hätte jeder hören können. Und er verweilte hier vor dem hause nur noch, um mir einen Gruß fiir Dich und Gerhard aufzutragen.« »Das war ia sehr liebenswürdig von ihm. —Aber still — ich höre Ger hard kommen. Und er soll nicht etwa glauben, wir hätten uns gezanlt.« Sie ging ihrem Manne bis zur Tbiir entgegen und empfing ihn mit einer Unbefangenheit, die ihr sicherlich die volle Anerkennung des hausarztes eingetragen hätte. «HaitDu endlich einmal ein Vier telstündchen für mich übrig? Jch er warte Dich mit Ungeduld; denn Dol tor Weiß hat mir ausgetragen» Dir sehr ernstlich ins Gewissen zu reden.« »Ach ja, der Doktor!« meinte Win ter, nachdem er seiner Schwester herz lich die Hand edriickt. »Sie Du, kden hatte ich ii r meiner Arbe t« schon wiede- ganz vergessen. hat« er mit ) lentnehmen lassen, ob diese Ueberra Dir iiber das Ergebniß der Unter suchung gesprochen«t« »Er sagt, Du seiest überarbeitet und brauchest dringend eine gründliche Er holung. Unter allen Um tänden müß- » test Du noch in diesem onat Deinen Urlaub antreten.« »Dann ist nicht zu denken. Die Abschlußarbeiten sind gerade diesmal sehr umfangreich, und dabei bin ich ganz unentbehrlich. Jn den ersten Augufttagen aber läßt sichs vielleicht machen. Denn ich fühle selbst, daß ich ein bischen Ruhe ganz gut gebrau chen kann. Bei erster Gelegenheit will ich mit dem Generaldireltor darüber reden.« Die Wohnungsglocke schlug "an, und gleich darauf erschien das Dienstmäd chen mit einem Telegramm. »Eine Depesche für Frau Winter,« sagte sie, indem sie der jungen Frau das zusammengesaltete Papier über reichte. Mit einem Ausdruck lebhafter Verwunderung aus dem Gesicht löste Hermine den Verschluß »Ah, welche Ueberraschung!« rief sie, ohne daß sich dem Klang ihrer Worte mit einiger Sicherheit hätte schung zu den erfreulichen oder den unliebsamen zu rechnen sei. »Es ge schehen wahrhaftig auch heute noch Zeichen und Wunder.« Sie gab ihrem Manne das Tele gramm, und er las halblaut: »Nach Deutschland zurückgekehrt, treffe ich heute Abend sieben Uhr in Brerlau ein. hoffe auf fröhliches Wiedersehen und freundlichen Empfang. Dein Bruder Georg.« Auch das Erstaunen des Rendanten war ersichtlich nicht gering; aber bei ihm war es ohne allen Zweifel freudi ger Natur. »Das ist ja eine großartige Ueber rumpelung. Ein Todtgealaubter, der plötzlich wiederlommt! Wenn er nicht vorsichtig genug gewesen wäre, sich telegraphisch anzumelden, hätte es eine Szene werden können, wie in einem Theaterstiicl. Wie lange ist es eigent lich her, daß Du nichts mehr von ihm gehört hattest, Herminesim Frau Hermine Winter war ans Fenster getreten und blickte auf die Straße hinaus. Auch als sie auf die Frage ihres Mannes, wie lange es her sei, daß sie· von ihrem Bruder nichts mehr gehört habe, antwortete, wandte sie das Gesicht nicht in das Zimmer zurück. isten Jahre seiner Abwesenheit noch ein ’seinem Sohne gesprochen werde. Aber »Ich musz nachrechnen. um das seit- » zustellen. Mein Bruder war zweiund zwanzig Jahre alt, als er nach Ame rita ging, und ich war damals noch ein Kind. Er hatte sich im Unfrieden von seiner Familie etrennt, und mein Vater muß sehr böse aus ihn gewesen sein, denn in seiner Gegenwart durfte überhaupt nicht von ihm gesprochen werden. Alles, was ich später iiber Georg erfuhr, war, daß er nur im er paarrnal geschrieben habe. Dann blieb er für uns verschollen. Und nicht ein mal aus die Nachricht von meines Va ters Tode habe ich eine Antwort von ihm erhalten« »Wahrs"cheinlich ist sie gar nicht in seine Hände gelangt « meinte Winter in dem gutmüthigen Bestreben, noch vor der Antunt des Schtvagers mög lichst alles hinwegzuriiumen was sich bei dein Empfange des Heimtehrenden peinlich bemerkbar machen könnte. »Die amerikanischen Postverhältnisse find nicht so musterhaft wie die unse rigen. —- Jedensalls sreue ich mich riesig, ihn kennen zu lernen. Als ich in Deines Vaters Geschäft eintrat, war er ja schon seit mehreren Jahren fort. Und es war, wie Du sa st: der Chef wünschte nicht, daß mit i m von die Kollegen, die noch mit ihm zusam men gearbeitet hatten, erzählten ost genug von ihm, wenn der gestrenge Herr Prinzipal außer Hörweite war Ein bischen slott scheint er ja gewesen zu sein; aber z uKeich auch ein riesig liebenswürdiger ensch den alle gern gehabt hatten. Sie meinten, der Va ter wäre doch wohl etwas zu streng gegen ihn-gewesen; »So? Meinten sie dass-« fragte die junge Frau ziemlich kühl. »Dann wurde an den Kontorpulten wahr scheinlich auch über die Ursachen sei nes Fortgehens sehr viel gesabelt?« »An Vermuthungen hat es natür lich nicht gefehlt. Aber es hieß, daß nur der alte Suterland, unser Pro kurist, etwas Gewisses hätte sagen können. Und den biirbeißigen Murr tops wagte selbstverständlich niemand zu fragen. Schlie lich — was wird es denn groß gewe en sein? Ein bis chen jugendlich troyige Auflehnung gegen die väterliche Autorität — viel leicht auch einige leichtsinnigåee Schul den oder dergleichenl n fünf zehn Jahren, die seitdem vergangen sind, und in der guten ameritanischen Schule dürfte sich der herr Schwager die Hörner wohl hinlänglich abgelau sen haben. « »Wir wollen es hoffen. — Für welche Zeit hat er übrigens seine An tunft angemeldet?« Der Rendant sah in das Tele grarnrn. »hier steht: Heute Abend sieben Uhr. Das ist ohne Zweifel der Berliner Schnellzug, der zehn Minu ten noch Sieben eintrisst. —- Wie sa tal, daß ich gerade heute so schrecklich viel Arbeit aus dem halse habe!« Du brauchst Dich meines Bruders wegen darin durchaus nicht stören zu tckssern Es enitgt vollkommen, wenn ich sum Ba nhos fahre, ihn zu em pfangen. Er muß doch ohnehin irn W In der Sommerstischr. - , »——.—---..-—--s ,W"« Gast: »Wikthin, das Bier ist matt;" haben Sie kein frisches?« Witthim »Seien Sie froh, daß Sie noch von dem jetzigen Faß erwifcht Haken. Nachher, wenn die Stadtleut’ da sind, wird erst das schlechte Bier ! au gelegt.« Ihotel absteigen; denn seitdem Martha »bei uns ist, haben wie iir Fremden besuche kein Zimmer me r zur Verfü :gung« · I »Im hoteli Nein, liebes Kind das diirsen wir unter keinen Umständen qugebein Einen Bruder, der nach jsünszehnsähriger Abwesenheit in die Heimath zurückkehrt, läßt man nicht »in den Gasthof gehen, wenn man ei nen eigenen Haushalt führt« haben »wir hier unten teinen Plas sür ihn jso wird mir der Generaldirettor aus meine Bitte schon eines der remden zimmer überlassen, die oben im ersten Stock siir die Gewerten bereit stehen. Um diese Jahreszeit pflegt nur selten ;einer. der Herren nach Breslau zu "tommen. Aber selbst fiir diesen Fall wäre noch immer augreichend gesorgt; denn es stehen ja vier vollständig ein gerichtete Logierräume zur Verfü Aulis-« Frau Hermine erhob teinen Ein spruchz aber es hatte gar nicht den Anschein, als ob sie von dem Eiser ib res Mannes und von dem Ausweg, den er da siir die Unterbringung des erwarteten Schwagers gesunden, son derlich entzückt sei Jhr schönes Ge sicht zeigte seinen gleichmiithigen Aus druck und wie um alle weiteren Erör terungen des bevorstehenden Ereig nisses abzuschneiden, sagte sie nach ei nein Blick aus die Uhr: »Vielleichi wäre es am besten, Gerhard, wenn Du mit dein Generaldirettor gleich jetzt wegen Deines Urlaubs Rück sprache nähmest. Jchmöchte, daß diese Angelegenheit entschieden ist, ehe mein Bruder ankommt. Unterdessen werde ich das Mittagessen anrichten lassen.« Gehorsam, wenn auch etwas zö gernd, da ihm die Sache durchaus nicht so eilig schien, iiigte der Ren Hdant sich ihrem Willen. Die junge iFrau ging in die Küche, ohne daß izwischen ihr und Martha vorher noch Hein Wort gewechselt worden wäre. Z. K a o i t e l. ! Der Generaldirettor Hoffmann, ein lhagestolz von ungefähr sechzig Jah iren, dessen Bureaus sich im ersten Stockwerk des Geschäftshauses befan den, war wegen seiner derben Um gangöformen, die bei gegebenem An laß zur urtviichsigsten Grobheit wer den tonnten, von den Beamten der Gesellschaft nicht wenig«gefijrchtet· Zwar wußten alle, daß er im Grunde durchaus gutmüthig war unis daß sein Zorn tn der Regel ebenso schnell verrauchte, als er ausgeslammt war; aber es gehörte doch keineswegs zu den Annehmlichkeiten, von ihm abgetan zelt zu werden. Und darum betrat kaum jemals - einer der Angestellten ohne bängliches Herzllopsen die Höhle des Löwen. Gerhard Winter war vielleicht der einzige, über dessen Haupt sich noch niemals eines der so sehr gefürchteten Ungewitter entladen hatte. Seine peinliche Gewissenhaftigkeit und sein unermüdlicher Pflichtei er hatten ihm die vollste Achtung s gestrengen Vorgeseßten gewonnen. Und er wußte deshalb recht gut, daß er keine ab schsliigige Antwort auf seine Bitten zu Miste-ten W zronoem ruyue auch er ncn etwas beklommen, als er jth dem riesenhaft gebauien Generaldirettor in seinem Arbeitszirnnier gegenüberstand und die scharfen Augen des alten Herrn mit dein inquisitorischen Blick, der ihnen auch bei der harmlosesten Unterhaltung figsenthiinilich war, auf sich gerichtet a . Bescheiden und vielfach stockend brachte er zunächst fein Anliegen we gen des Urlaubs var, indem er sich dabei gewissermaßen als das Opfer einer von seiner Frau und dem Haus arzte angezeitelten Verschwörung hin stellte. Aber der Direktor, der kein Freund von vielem unnüden Gerede :var, ließ ihn gar nicht erst zu Ende kommen. »Ohne weiteres bewilligt. Wenn Sie trank sind, miissen Sie selbstverständlich darauf bedacht sein« so schnell wie möglich wieder gesund zu werden. Denn traute Leute tön nen wir nicht brauchen. Wann wollen Sie denn ferti« »Ich dachte, daßes vielleicht in den ersten Tagen des August sein könnte Den Monatsabschliiß, der ja diesmal besonders wichtig tit, würde ich natür lich vorher noch fertig stellen.« »Na, das wäre mir allerdings lieb. Und wie denken Sie über Jhre Ver tretung? Wird man sich dem zigeuneris schen Kerl, dem Beutel. ganz ohne Be iorgnisz anvertrauen tönnen2« »Unbedentlich, Herr Direkter Für den Mann stehe ich ein. Er ist pünkt lich, fleißig und in allen Stücken ganz zuverlö,sig.« »Na «- na! Verbürgen Sie nur nicht zu viel! Wenn Sie meine Ersatz-« rungen hätten, würden Sie darin viel leicht etwas vorsichtiger sein. Aber wenn Sie in diesem Fall recht haben, ist es ja um io besier. Und schließlich bin ich auch noch da, um während Ihrer Abwesenheit die Augen visen zu halten. Sonst noch wag-, Herr Rendant?" Ernmthigt durch das Entgegenkom men des alten Herrn, brachte Winter auch seinen zweiten Wunsch zu Tage. Während ver etwas umständlichen Er zählung bliitterte der Generaldirettor in einem AltenbiindeL Aber er hörte nichtsdestoweniger aufmerksam zu. »Ein Schwanes aus Amerila also? Hoffentlich einer, der ein paar Millio nen Dollars hinter sich qebracht hat. Was hnt er denn da drüben getrie den«-« »Tai-über tann ich leider leineAuss Zunst geben« Meine Frau hat seit fünf zehn Jahren heute zum ersten Male wieder von ihm gehört.« »So —- va — Sagen Sie mal, Winter, ist Ihre Frau nicht eine ge borene Müller —- non der Firma Paul Gotthilf« Müller seligen Angeden teng?'« »Was-il Goitliilf Müller war ihr Vater, Herr Diretterl« »Dann habe ich auch vielleicht schon von Ihrem Schwager gehört· Er muß allerdings noch ein ziemlich grüner Junge gewesen sein damals. Denn es isi lange her, un: ich erinnere mich nicht mehr genau. Aber etwas beson ders Vortheilhaites war eg nicht« so viel kann ich Jhnen jedenfalls ver rathen.« Der Rendant wurde so roth, als ob man ihm selbst etwas Schimpfliches nnchgesogt hätte.- ,.Jrgenb eine Ju gendtliorheit verniutblich, Herr Direk tor! Nach so langer Zeit dars man ihm daraus doch wohl teinen Vorwurf mehr machen.« »Fällt mir auch gar nicht ein. Will im Gegentheil hoffen, daß ein tüchtiger Mensch aus ihm geworden ist, mit dem es dermaleinst ein besseres Ende nimmt als mit Ihrem Schwiegervater. ——— Eines von den Gewerlenzimmern wollen Sie «also siir ihn haben? —Na. es soll eigentlich nicht sein, denn wenn uns jetzt zufällig ein paar von den Herren ins Haus fielen, weil sie lich ein bischen in Breslau aniiisiren wollen, wiirde mir ein verehrlicher Aufsichts rath wahrscheinlich einen gehörigen Wischer zu theil werden lassen.« Aber weil es ihr Schwaget ist« will ich in Gottes Namen in sagen —- lediglich Ihrer Frau zuliebe. Einem so netten jungen Weibchen schlägt ein alter Junggeselle eben nicht Leicht etwas ab.« Winter wollte sich bebanlen, aber ber Generaldireltor wehrte kurz ab. U »Schon gut! Jst fa nicht der Rede werth. Und ich setze natürlich voraus, daß ver Herr Schwager aus Amerika unserem ehrbaren Hause keinen leicht fertigen Streich macht. Würde ihm ionlt gehörig aufs Dach steigen müs sen. Sind wir nun fertig?« «Jawot)l, Verr Tireitart Und ich will nicht länger stören.'« «Worten Sie noch einen Angen blick. Mir ist, als ob ich da irgend was für Sie gehabt hätte. Jch kann nur nicht gleich darauf kommen, was es war.« Er trat an den langen, mit Papie ren aller Art bedeckten Tisch und be ann unter den leßten Clngiingen zu uchen. Gortsesung folgt-) «