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About Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918 | View Entire Issue (Sept. 14, 1906)
Die zmu des chdantcn. KriminaliRoman von A. O. Klaußmamu W s- ---w (1. FortsehungJ , Wie er es vorausgesehen hatte, mer-de der Renoani lauen zehn Minu ten später durch einen Psiff aus dem Sprachrohr-, das den Tresorraurn mit seiner Privatwohnung verband, abge tufen. Er verließ das Kassenzimmer, nachdem er dein Bucht-alter die fiir die Eiulösuna der siiiligen Wechsel erfor derliche Summe eingehändigst und den Geldichrant wieder verschlossen hatte. »Die Untersuchung lann ja nicht lanae dauern," meinte er im Gehen, »und wenn sich etwas bescnderes er eianen sollte, werden Sie mich natür lich rufen.« »Als er über den Hausstur schritt, nickte er dem rcslseltvoll grüßenden Pförtner des Hause-» einem grauhacp riaen, im Dienste der Gesellschaft zum Invaliden arme-denen ehemaligen Betarnannr. freunoiich zu, schloß dann die Tbiir seiner Wohnung ans nnd trat eine Minute stxiiier in dass euch der Straße gelegene, hübsch ein-gerichtete Emdsktnaszimynen wo ihn, wie er wußte, seine Frau mit dem Haugarzt erwarten würde. Aber erfand nicht nur diese beiden Personen in den-. Erwarte sondern außer ihnen nett-, eine dritte. ein seblank gwashi-sites ausfallend hüb sches junges Mädchen von vielleicht zwanzig Jahren, das zum Aussehen anaetleidet war und sich anscheinend nur durch die Antun des bejahttem lan und freundlich blickendeu Arztes noch hatte zurückhalten lasse;i. ..Guten Morgen, Herr Doktor!« saate Winter mit jener erhcuchelten Frische. die manche Patientin ihrem Arzt gegenüber heraustrhren zu müs sen glaubt. »Die iikertriebene Aengst lichkeit meiner lieben Frau bat Sie da meiner Ansicht nach etwas nnnöthig bemüht Aber Sie wissen ja, gegen den Willen unserer schönen Hälfte gibt ez kein Widerstreben Es lonnte wirklich nicht als Ueber treibuna oder als leereRedensart be zeichnet werden, wenn er mit einem gewissen Stolz von seiner »schönen Hälfte« sprach. Denn Frau Hermine Winter. die die Dreißig noch nichten reicht haben konnte, hatte :ooh!gegriin teten Anspruch darauf, für eine-»Schön lzeit zu gelten. Sie war mehr als mittelgroß und von wohlgebildeter, wenn auch schon etwas üppiger Gestalt. Ihr reiches, geschmackvoll geordnetes Haar war von jenem glänzenden Kaftanien braun, das seit undentlichen Zeiten den Männern besonders gefallen hat. Und ihre lebhaften Augen, ihre feine Nase· ihre miidchenhaft frischen Lippen gaben im Verein mit einem sehr zarten Teint dem vollen Gesicht eine Anmutb, um die manche Jüngere sie recht wohl hätte beneiden können. »Niemand wird sich berzlicher freuen als ich, wenn meine Aengftlichleit lich als übertrieben erweisi,« sagte sie lie benswürdig. »Aber ich konnte die Lei den, die Deine Schlaflosigkeii und die häufigen Beklemmungen Tit verur sachen, wirklich nicht länger ansehen.« »Danten Sie dem Himmel, lieber Freund-, baß er Ihnen eine so für sorgliche und liebevolle Gattin be Lchieben hat«, meinte der Arzt, der as gelblich blasse Gesicht des Ren danten seht aufmerksam betrachtet hatte. »Auch ich bin der Ansicht, daß man im Punkte der Gesundheit nie mals zn vorsichtig sein kann. Wo aber soll vie hochnothpeinliche Unter fuchung denn nun vor sich gehen?« LAm besten vielleicht im Zimmer meiner Schwester, Herr Doktor! Jch sehe ja, daß sie im Begriff ist, das Feld zu räumen. Und wie blieben da sicher ganz ungestört.« »Dann muß ich anen wohl schon jetzt Adieu sagen, liebes Fräulein«, wandte Doktor Weiß sich an das junge Mädchen. »Denn daß Sie auf mich warten werden« nur um nachher das zweifelhaite Vergnügen meiner Beglei tung zu genießen, habe ich ja schwerlich zu erhoffen.« »Ich tkzäte es sehr gern, wenn es möglich wäre,« lautete die mit freund lichem Lächeln gegebene Erwiederung »Aber ich habe mich schon etwas län ger aufgehalten, als ich"5 eigentlich hätte thun dürfen. Und so eine Un tersuchung währt in der Regel recht lange.« »Gott befohlen also, Fräulein Pro fessdri Aerztliche Vorschriften brauche ich Ihnen glücklicherweise nicht mit aus den Weg zu geben. Denn wenn man so rosig und blühend aussieht wie Sie, darf man den Doktor und den Apothe ler als die überflüssigsten Geschöpfe unter der Sonne betrachten.« Frau rmine schien nicht sehe an ehm rlihet von der Galanterie N Arztes gegen ihre Schwiigerin. Denn iiher ihr hübsches Gesicht ging es flüchtig wie eine leichte Wolle des Uetdrusses, Und sie sagte mit einem stick aufs den Regulator Es ist acht U rv ordei Max-that Sieh zu, daß Du nicht der Hättest. « Die jun eheerin mochte den et Ins schu Tondieser Mahnung III-l iidethrt haben; denn sie ver Mdete sich edan freundlich wie Idee-den beiden Vetters auch von der Frau ihres Bruders und verließ mit den leichten, elastischen Schritten der Jugend und der Gesundheit das Zim mer. Der alte Portier Nitschke riß, als sie draußen an ihm vorüberging, seine Mütze noch viel diensteifrtger vom Kopfe als er es vorhin vor dem Ren danten gethan hatte, und sein liebens würdig erwiderter Gruß hatte einen ganz besonderen, fast väterlich zärt lichen Klang. Jn dem schmalen Gange vor den Kassenzimmer-n aber, den Blicken der Fortgehean durch einen der zwischen den Fenstern aufgestellten großen Eisenschränle verborgen, stand der Buchhalter Bartel in der Haltung und mit dem Gesichtsausdruct eines Menschen, der voll lebhafter Span nung etwas Bedeutsames erwartet. Er war in demselben Moment aus dem Tresorraum hinausgeschlüpft. als sich knarrend die Thür der Winterschen Wohnung geöffnet hatte. Und nun spähten seine dunklen Augen durch das vergitterte Fenster aufmerksam auf die Straße hinaus-, wo das junge Mäd chen sogleich erscheinen mußte. Daß sein Interesse leinem anderen Gegen stande galt, als ihrer Person, verrieth sich sowohl in dem unzweideutigen Aufleuchten seines beweglichen Gesichts bei ihrem heraustreten, als in der Be harrlichleit, mit der sein Blick die an ntuthgen Bewegungen ihrer schlanten Abstle hasknlntss lasse-»so Ti- fisb in fri nem Sehbereich befand. Als sie ihm entschwunden war, athmete er tief auf, blickte wieder verstohlen in den tletnen runden Taschenspiegel, den er immer mit einem Griff zur Hand hatte und lehrte mit behendem, geräufchlrfen Schritt in das Treforzimmer zurück-— Jn Fräulein Marthas netteni Stäbchen. wo tron der frühen Stunde bereits die volllonnnenfte Ordnung herrschte, hatte unterdessen Doltor Weiß seine Untersuchung und fein überaus gründliches ärztliches Verhin begonnen. Als alter Praltiter ftellte er feine Fragen fo, daß fre den Ren danten nicht stutzig machen oder be unruhigen konnten. Und er ließ hie und da in feiner jovialen Weise ein Scherzwort einflieszen, um die fiir feinen Patienten immer etwas be drucken-de Situation möglichst unver fänglich zu gestalten. Aber der ernste Ausdruck feines Gesichtes wollte nicht recht zu feinem Benehmen «ftimmen. Und es war ihm anscheinend ganz willkommen, als gerade in dem Au genblick, da Gerhard Winter feiner feits lächelnd fragte: .,,Nun, Herr Doktor, wie fteht’"s —- werde ich bald in die Grube fahren?« — an die Thür des Zimmers getlopft, und Frau Herminens Stimmer vernehm lich wurde. »Den Bartel läßt fragen, ob Du nicht herüberlommen könntest, Deine Anwefenheit sei dringend nothwendig, denn der Kassenbote des Banlverein wolle nicht länger warten.« Jn diesem Augenblick hatte feine Gesundheit durchaus kein Intereer mehr für den pflichteifrigen Beamten. »Alle Wetter, diese Sache hätte ich ganz vergessen —- da heißkä aller dings eilen«, rief er, in großer Hast feinen Anzug ordnentu »Wenn Sie mir irgend welche Verhaltungsregeln vorzuschreiben haben. lieber Herr Doktor, so besprechen Sie das wohl am besten mit meiner Frau; denn ich habe in diefem Augenblick ganz und gar keine Zeit. Er rannte hinaus, noch ehe er Weste und Rock vollständig zugetnöbft hatte; Und Dr. Weiß begab sich. nachdem er die bei der Untersuchung gesuchten Instrumente bedächtig wie zu sich « gesteckt hatte. in das anstoßende Spei sezimmer, wo Frau Hermine Winter bereits aus ihn wartete. Sie suchte in seinem Gesicht zu le sen; aber der Doktor hatte seine Züge wieder vollkommen in der Gewalt. »Ihr Gatte bedarf allerdings sehr dringend der Erholung, liebe Frau Winter« sagte er ruhig »und ich würde deshalb empfehlen, daß er sei nen Urlaub nicht erst im Herbst, son dern sobald als möglich —- am besten noch in diesem Monat — antritt. Auch darf er ihn nicht wieder in einer sogenannten Sommerwohnung un mittelbar bei Breslau verbringen, um alle drei oder vier Tage unter irgend einem Vorwande zu seinen geliebten Kassenbiichern zurückzukehren, sondern er musz ins Gebir e, an einem schön gelegenen, ruhigen rt, wo et an nichts anderes zu denken und sür nichts an deres zu leben hat. als für seine Ge sundheit.«' Die junge Frau hatte ihm aus merksam zugehöri. Immer deutlicher spiegelte sich eine lebhaste Crregung in ihren Zügen. »Es steht also vielleicht noch schlimmer um ihn, als ich’Z ge fürchtet habe? Es handelt sieh um Ernsteres als um bloße Retvosität? Sie Misset- mir alles sa n, Herr Dot tor —- die ganze Wahr it. Ich habe ein Recht daraus, sie zu ersahren.« Der Arzt blickte ein paar Selunden lau unschliissig u Boden. Dann erw der-te er zögern :« »Es wäre wohl l .— allerdings nicht ganz richtig« wenn ich Jhnen sagte, daß das Leiden Jhret Mannnes ohne alle Bedeutung sei. Aber Sie brauchen sich darum nicht gleich zu beunruhigen. Bei strenger Beobachtung einer zweckmäßigen Le bensweise ist eine Heilung oder doch ein jahrelanger Stillstand der Krani heit keineswegs ausgeschlossen.« Hermine war ausgestanden und hatte sich aus den Rand des Tisches gestüht Jhre Brust hob und senkte sich in raschen Atheinziigenx »Das tiingt viel« zu vorsichtig, als daß ich nicht etwas anz anderes dahinter vermuthen mii te. Noch einmal bitte ich Sie inständig: verschweigen Sie mir nichts. Jch gehöre nicht zu den Frauen, die gleich in Ohnmacht fak ten. Und nur Ungewißheit könnte ich nicht ertragen.« »Nun denn —- Jhr Gatte ist herz leidend. Und zwar nicht erst seit heute und gestern, sondern allem An schein nach bereits seit geraumer Zeit. Ich mußte eine chronifche Entzündung der inneren Herzhaut feststellen, die Himmerhin zu den tückischeren Krank sheiten zu zählen ist. Aber ich wie s derhole: es droht ihm durch den tKrantheitsprozeß selbst teine unmit xtelbare Gefahr. Jch kenne Patien k ten, die mit diesem Leiden sehr alt ge i worden sind, und auch Fälle von roll Jständiger Heilung gehören keineswegs zgu den medizinischen Wundern.« T »Ja —- ja'«. unterbrach sie ihn un ;geduldig, »das find die günstigen fMöglichteitem mit denen die herren ;Aerzte immer zu trösten versuchen. HAber es giebt doch auch ungünstige, Iund ich möchte auch auf diese vorbe sreitet sein« Herr Dotior!« ! »Die ungünstige Möglichkeit, meine Poetehrte Frau Winter, läge in der »Gefahr einer plöylichen Katastrophe, die allerdings eintreten könnte, wenn dem kranken Organ eine Leistung zu gemuthet wird, die es nicht mehr zu bewältigen vermag. Jch verstehe da runter übergroße törpetliche oder ei stige Arbeit, sowie vor allem seeli che Erregungen, die auf das Aengstlichste vermieden werden müssen. Und aus diesem Grunde möchte ich Sie auch dringend bitten, Jhren Gatten nichts von der Natur seines Leidens ahnen zu lassen. Er muß in dem Glauben bleiben, daß es sich nur um eine Auf lehnung seiner überreizten Nerven handelt, und er dars sich teiner aus reibenden Sorge um sein Leben hin geben. Jn dieser hinsicht dars ich mich wohl aus Jhre weibliche Klug heit und auf die Selbstbeherrschung der liebenden Gattin verlassen.« »Ich denke, here Doktor, daß Sie es dürfen. Was haben Sie ihm denn gesagt?« »Noch gar nichts, da er abgerusen wurde, ehe ich ihm auf seine Frage nach dem Ergebniß der Untersuchung antworten konnte. Aber er ist ganz ahnungslos, und deshalb wird es ge nügen, wenn Sie ihm mittheilen, daß ich den Antritt der Erholungsreise in spätestens vierzehn Tagen für drin gend geboten halte. Wie er sich dann im Gebirge zu verhalten hat, werde ich ihm schon noch rechtzeitig einprä gen. Ein Meditament, dessen Be siandtheile er möglicherweise aus dein Rezept erkennen und das ihn deshalb leicht mißtrauisch machen tönnte, will ich vorläufig nicht verordnen. Vor besonderen Exzessen aber brauche ich einen Mann von der musterhasten Solidität Jhres Gatten nicht erst zu warnen." Die junge Frau fuhr sich mit dem Taschentuch über die Augen; aber es sah nicht gerade aus, als ob He eine Thräne hätte wegwischen müssen. Denn ihre Gesichtszüge dritetten mehr eine gewisse Spannung, als tiefe Be trübniß aus« und die braunen Au gen, die sie jeht wieder in eindringli cher Frage auf den Doktor richtete, schienen vollkommen klar. »Und wie — wie lange wird er mir Jhrer Meinung nach noch erhalten bleiben, wenn Sie mir ganz ehrlich und nach bestem Gewissen Austunft darüber geben wollen?« .Jch habe es auf Grund meiner . -Z-I:2L-Z-— Esc-c-0-«-- fis-»O -i - Uessluyoovsu Voll-JOHNku .....g,. « geschworen, liebe Frau Winter, solche Fragen zu beantworten. Denn all unser ärztliches Wissen ist Stückwert, und die Natur kümmert sich blutwe nig um unsere günstigen oder ungün stigen Prognofen. Was ich Jhnen nach dieser Richtung hin zu sagen vermag, haben Sie bereits gehört. Soweit es sich um die Weiter-entwicke lung des eigentlichen Grundleioens handelt, sind die Aussichten keines wegs trostlo5. Denn selbst wenn es nicht gelänge, eine heilung oder einen Stillstand herbeizuführen würden doch die Fortschritte des Krankheits prozesseö wahrscheinlich sehr langsam fein. Was aber die vorhin erwähnte Möglichkeit einer plötzlichen Kata strophe betrifft, so muß ja schließlich jeder von uns rnit derartigen Even tualitäten rechnen. Wir alle stehen in Gottes Hand·« »Das ist nicht sehr tröstlich. Aber ich muß mich wohl damit bescheiden, da Sie mir ja na Ihrer Erklärung nichts anderes zu agen wissen. Jch werde meinen Mann also veranlassen, noch heute um einen baldigen Urlaub einzutommen. - Und es wäre mir lieb, Herr Doktor, wenn Sie an einemsder nächsten Tage noch einmal vorspre chen wollten« Dottor·Weiß sagte dies bereitwillig z - und machte Miene, sich zu empfeh len. Hermine aber, die wohl noch W sehr einsi. doch vollkommen ruhig schien, hielt ihn zurück. »Ich möchte Sie noch um eine kleine Gesälligkeit bitten, die Sie mir nicht versagen werden, da ich Sie haupt sächlich im Interesse meines Mannes darum ersuche. Er schläft seit eini gen Wochen so wenig, daß jede äußere Störung seiner Nachtruhe doppelt em pfindlich siir ihn ist. Und iiher eine iolche haben wir uns leider allnächt lich zu beklagen.« »Eine Störung, die ich zu beseiti gen vermöchte, liebe Frau Winteri« »Sie könnten es wenigstens versu chen. Jn dem Keller biet unter un seren Zimmern wohnt. wie Sie wis sen, der Portier Nitschke mit seiner Frau und einem kleinen Enkelkinde, das sie aus irgend welchem Grunde zu sich genommen haben, obwohl die Eltern noch am Leben sind. Der Schwiegersohn, der ais Bergmann im Waldenburgischen arbeitet, ist« glaube ich, etwas roh und trunksiichkig. Aber das hat ja siir uns weiter kein Inte resse. Der Grund, aus dem ich Sie bemühen will, ist vielmehr die entsetz liche Unruhe dieser- kleinen Kindes. Seit Wochen vergeht keine Nacht, wo es nicht bis gegen den hellen Morgen hin so jämmerlich schreit, daß man da bei kein Auge schließen kann. Jch dachte erst, es würde von den alten Leuten vielleicht schlecht behandelt. Aber ich habe mich überzeugt, daß davon nicht die Rede sein kann; denn sie hängen aus ihre Weise mit großer Zärtlichkeit an dein kleinen Geschöpf. Das Kind muß also krank sein- und zur Rachtzeit an Schmerzen leiden, gegen die sich doch wohl etwas thun läßt. Mächten Sie sichs nicht ein mal daraufhin ansehen, Herr Dok Oktqu »Seht gern. Aber es giebt da doch gewisse Bedenken. Haben denn die Großeltern selbsts den Wunsch ge äußert, ärztlichen Rath zu empfan gen?" »Ach, Sie wissen ja, wie diese be schränkten und ungebildeten Leute sind. Sie meinen, wie das Kind von selbst trank geworden sei, so werde es auch wohl von selbst wieder gesund werden. Und Gottes Wille würde doch unter allen Umständen gescheliem Darauf, daß sie aus eigenem Antrieb zur Vernunft tommen werden, kann ich um meines armen Mannes wåäen nicht warten. Und es wird wohl ge nügen, Jhr Bedenken zu zerstreuen, wenn ich mich bereit erkläre, Sie bei den Nitschtes einzuführen.« »Da es vor allem Jhtes Mannes wegen geschehen foll, will ich mich gern dazu verstehen. Wollen Sie mich gleich jetzt hinunter begleiten?« Hermine bejahte, und wenige Mi nuten später stieg sie mit dem Doktor die Kellertreppe hinab. Die Luft da unten war ein bischen muffig; aber das rührte sicherlich mehr von der Feuchtigteit des Hauses, als von einem Mangel an Rainlichteit der Be wohner her. Denn in den beiden niedrigen Zimmern, die das beschei dene Heim des alten Ehepaares aus machten, herrschte eine wohltuende Sauberteit und Ordnung. Die Nitschtes zeigten sich von dem unerbetenen ärztlichen Besuch wohl einigermaßen überrascht; aber der Re spekt vor der Gattin des Nendanten, die sie ziemlich kii l und von oben her ab behandelte, lie sie doch bereitwil lig und ehrerbietig aus die Fragen des Doktors antworten. Sie holten ihr Entelchen, ein blaß und gedunsen aussehendes Kind von etwa zwei Jahren, herbei, unb der alter Bergmann erzählte: »Der Junge ift wie eine Uhr. Um elf Uhr Abends fängt er an zu schreien, und dann geht’s in einem fort bis gegen Drei —- wir mögen mit ihm auffiellen, was wir wollen. Tagsüber ift er da gegen ganz vernünftig Und sehr schlimm kann es mit einerr Krankheit auch nicht sein« denn er ißt seine Por Rms Gurt-schle- tmis tin Gras-s « »Na, da hätten wir wohl schon vie Ertlärung«, meinte der Doltor, der sogleich daran gegangen war-« das rasch entlleidete Kind zu untersuchen. »Der Junge ist strofulös und schlecht genährt. Das ist die einzige Ursache seiner nächtlichen Beschwerden. Mit der Kartoffeldiät werden Sie also wohl vorläufig aufhören müssen, Präm darin eine Besserung eintreten o .« » Er gab den alten Leuten ausführ liche Rathschläge für eine zweckmäßige Ernährung ihres Enlelchens. Und als Frau Nitschle, die über diese Din ge natiirlich ihre eigenen Ansichten hatte, etwas geriezt bemerkte, sie seien viel zu arm, urn solche Vorschriften zu hesolgen, erklärte die Gattin des Rendanten in ihrer bestimmten, fast hochmüthig klingenden Weise, sie wer de die oerordnete Milch bezahlen und das Mittagessen für das Kind von ih rem Mädchen bereiten lassen, da die ses nächtliche Geschrei unter allen Um ständen ein Ende nehmen müßte. Dann hatte sie es sehr eilig, den Keller zu verlassen, dessen schlechte Lust sie beengte, und auf dein haus slur verabschiedete sie sich nur mit einem kurzen Wort des Dankes von dem· Arzt, uni in ihre Wohnung zu rückzukehren. Jn demselben Speiseziinmer, wo sie , vor einer Viertelstunde die Kunde von der schweren Erkrankung ihres Mannes empfangen hatte, trat sie an das nach dem Hofe hinan-gehende Fenster. Und ihr Gesicht nahm einen sträurnerisch sehnsüchtigen Ausdruck samt Wink. l k-' lxkal IWMMX»" TM Gatte: »Schrecllich! Da lese ich eben in der Zeitung, daß mein Freund Pieske gestorben ist« » Gattin: »Die arme Frau! Einen solchen Mann zu verlieren, der sie jedes Jahr ins Bad geschickt hat!« —s an, Jviihrend sie lange gedanlenvers loren zu den blinkenden Leichenfteinen fuhf dem Garnifontirchljof hinüber a Dann reckte sich plöhlich die schöne, 'iippige Gestalt straff empor, und in dem sie wie voll inbrünftigen Ber lange-is die Arme ausbreitete, sagte die junge Frau halblaut vor sich bin: »Noch einmal frei fein —- ganz frei — und die Herrin meines Schicksals! —- Das —- ja das wäre endl: ch das Glückl« 2. Kapitel. Mit dem Glockenschlage der sit-Elf ten Stunde öffnete sich das Haustbor der höheren Töchterfchule in der Schweidnitzer - Straße, und wie ein munterer Vogelfchwarm flatterte fchtvatzend und lachend all das junge weibliche Volk ins Freie hinaus, froh, xii r diei en Tag wieder einmal dem lei igen Schulzwang entronnen zu sein - Mit dem würdevollen Ernst, der ib rer autoritatioen Stellung utam. tauchten hie und da auch die estal ten ältlicher Lehrerinnen in der bun ten Miidchenwelle auf. Man brauchte nicht eben ein großer Menschenienner zu fein, um nach der mehr oder weni ger zutraulichen Art, wie sie von den Schülerinnen gegrüßt wurden, den Grad ihrer Beliebtbeit u beurtheilen. Den unbestritten er ten Platz im Herzen ihrer jugendlichen Zöglinge mußte danach wohl die fchlanie, ro sige junge Dame behaupten, die als eine der letzten in der Thilr erschien, umgeben von einem ganzen Kranze zierlicher Backsifchchen, deren jedes eifrig darauf bedacht schien, ein freundliches Wort, ein Lächeln oder einen verabfchiedenden Händedruck für sich zu erhaschen. Sichtlich beglückt durch die Liebe und Anbiinglichleit, . hss Z-- K- mIO K-- sssssisstssu III-Ils - »o- sqs »v- su o s-- s- sus . .«, ,..., ....... chen Natürlichkeit entgegengebracht wurden, legte Martha Winter inmit ten ihres anmuthigen Gefolge-J den Weg bis zur Promenade zurück. So vielfach wurde sie von allen Seiten in Anspruch genommen, daß sie einen dort an der Brücke über den Stadt graben stehenden Herrn und seinen verbindlichen Gruß vollständig über fah. Eine der Schüler-innen erst mußte sie darauf aufmerksam machen» und nun buschte ein allerliebstes Er röthen der«Verlegenheit über das Ge sicht des jungen Mädchens, während sie zu freundlichem Gegengruß den Kopf neigte. Mit angeborenem weiblichen Takt oder vielleicht auch infolge eines ge wissen ebenso weiblichen instinktiven Ahnungsvermögens zerstob das Back sifchlein in alle Winde. Und eine Mi nute später war der vornehm ausse hende Herr an Marthas Seite. Die schwarze lederne Aktenmappe, die er unter dem linken Arm trug, und der Umstand, daß er vom Stadt gericht ber über die Brücke gekommen war, ließen unschwer den Rechtsan walt in ihm erkennen. Sonst würde das feine, charaktervolle Gesicht mit der energischen Adlernafe, den scharf blickenden graublauen Augen und dem martialischen Schnurrbart viel eher auf einen Offizier gedeutet baden. Auch dte hohe, wohl ausgebildete Ge stalt biitte solcher Vermutbung kaum widersprochen, solange sie im Zustand der Ruhe oerharrtr. Jn dem Au genblick aber, da der Mann den er-l sten Schritt that, wurde es sogleichs offenbar, daß er zum Soldaten nim mermehr taugen konnte, denn er wars ein Krüppel. Sein rechtes Bein mußte; gelähmt oder durch irgend ein Ge-; brechen gebrauchsunsähig gewordenj sein, da er es beim Geben wie eines todte Masse nachzog und sich infolge dessen nur mit Hilfe eines Stockes langsam und ziemlich mitbeselig fort bewegen konnte-. Martha hatte sogleich ihren Schritt verlangsamt, als sie seine Absicht. sie anzuredem erkannte. Aber sie war tete nun eine kleine Weile vergebens auf diese Anrede. da er sie wohl mit einem leuchtenden, bewundernden Blick ansah, wegen der Einleitung eines Gesprächs jedoch in Verlegen heit schien· »Sie kommen vom Gericht, gerr Rechtsanwalt?« fragte sie, um och etwas zu sagen. Und nun war das Eis gebrochen. »Ja, bon meinem Tagewerk« wie Sie. Aber ich wollte. meine Thä tigkeit wäre nur halb so gesegnet und erfreulich wie die Ihrige. Es war ja geradezu herzerquickend zu sehen, wie viel Liebe Sie sich zu gewinnen wissen·« Jn einer Verwirrung, siir die ei gentlich gar tein Anlaß gegeben war, schlug Martha die Augen nieder. »Ach, das ist nicht schwer«, sagte sie, »und durchaus kein Verdienst. Diese bergigen Kleinen sind so dankbar für jeden Beweis ehrlicher Antheitnabme an ihren vielen Freuden und Leiden, daß es ein wahres Vergnügen ist« mit ihnen umzugehen. Um nichts in der Welt möchte ich meinen Beruf mit einem anderen vertauschen. Ich habe immer die Empfindung, daß man bei diesem ständigen Verkehr mit der Ju gend selbst niemals altern könnte.« »Fiir Jhre Person wenigstens wür de das sicherlich zutreffen,« bestätigte er im Tone vollster Ueberzeugung, um dann, da sie nicht antwortete, nach einer kleinen Weile mit verändertem Ausdruck hinzuzufügen: »Aber ich kann Ihnen wohl nicht zumuthen, aus Rücksicht aus mich dieses Schne ckentempo innezuhaltew Es war ja auch nur meine Absicht, Jhnen einen guten Tag zu wünschen und mich nach dem Besinden Jhres Bruders zu er .2.—8 --.. Isslqsskccs Er war stehen geblieben. Doch sie erhob mit einem freundlichen, fast bittenden Blick die Augen zu seinem Gesicht. »Glauben Sie etwa, dafz ich in dieser drückenden Mittagshitze schneller gehen würde, wenn ich allein wäre?« fragte sie. »Wenn ich Jhnen von meinem Bruder erzählen soll, müssen Sie sich schon entschließen, mich noch ein Stück zu begleiten.« »Aber Sie bringen mir ein Opfer«, beharrte er. »Ist es Ihnen denn nicht peinlich, neben so einem hintenden Krüppel, nach dem alle Leute sich mitleidig umsehen, iiber die Prokur nade zu schleichen?« Martha erröthete wieder, und dies mal noch tiefer als zuvor. »Wie Sie nur so garstig sprechen mögen! Gi« gentlich sollte ich Jhnen gar nicht das ran antworten. Denn Sie müssen wahrhaftig eine sehr wenig giinsti Meinung von mir haben, um eine f lräntende Frage zu stellen.« Sie schwieg wirklich verletzt, und es bemühte sich nach Kräften, seine Un geschicklichteit wieder gut zu machen. «Seien Sie mir nicht böse, Fräu lein Marthat Das-, ich mir lieber die Zunge abbeißen, als Sie mit Vorbe dacht tränken würde, sollten Sie doch wissen. Und welche Meinung ich vo Jhnen habe, müßten Sie eigentli auch schon gemerkt .hahen. Aber t tann nun mal nicht über die Empfin dung hinweglommen, daß mein Ge« brechen mich den Menschen lästi macht. hanc ichss gleich mit auf di Welt gebracht, würde ich vielleicht wes nieer unter dieser fatalen Besotgnil leiden, die mich mit einem besiiindi es distrauen eeftillt gegen die Aufr i tigteit meiner Nebenmenschen.« Entsetzung folgt.) Ein Optimist ist ein Mann» dem es nz egal ist, was passiert, so lange s cht ihm passiert. )