Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 31, 1906, Sweiter Theil., Image 11

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    W
Sommerabend.
Liennst du die unsichtbar-e Macht
Tes, Abends-, immer lautlos sintt
lind aus den blauen Höhn die Nacht
Mit ihren schwarzen Augen winkt? —
Wenn leig der cllerletzte Ton
Jn sammettreicher Lust erstickt,
Der nibeitsfrohe Erdensohn
Vettlärt aus seine Felder blickt. —
I
Die Vögel schlafen, ttnd der Wind
Die Silbekpappeln siüsternd beugt,
Der Mond die stille Stadt umspinnt
lind heimlich durch die Fenster änth
Dann steif ich in den dunklen Hang,
Die Nacht deckt alleWeae zu,
Von ferne tönt der Amsel Schlag
Und meine Seele sindet Ruh’ . ..
Das Wunderbare.
Von Valesto Kusikr
Nun hatte Lisa Welten ihren Ro
man, nach dem sie sich so heiß gesehntk
szr ruhig dahinziehender Lebenslauf
trink ihr s- entsetzlich langweiilg ge
wesen, so entsetzlich langweiligt Das
»Wunderbare« hatte sie herbei ge
wünscht wie biet-toten und aus diesem
Grunde hatte sie dem Puck-haltet Fritz
Psitzner einen Korb gegeben! Nein,
dieser stille, prosaische Rechenmensch
lonnte es nicht heran-tandem Er
hatte sie nie angedichtet, nie ange
schmachtet, und als et um sie ange
halten, hatte cr —man denke-nur
gefragt: »Woltcn Sie meine Frau
werden, Lisa?« Keine Liebesschmiire,
teine Treueide, keine Vetsicherungem
daß sie die einzig Eine sei, die das
Lebensatiick nettötpere——-teine Droh:
ung, dnsi er sich tödten müsse, wenn sie
nein sage.
Eigentlich hatte sie doch etwas ge
schwantt, als et ·die inhaltschwere
Jene-e stellte. Ei- märe so hübsch ne
weseri, als erste aus dem Freudinnen
kreis den goldenen Ring an den Fin
ger zu stecken, und als seine Stimme
so ganz leise gezittert hatte, war ihr
rrarm um«-J Herz geworden. Sie hatte
nur »nein« gesagt. um ihn zu erproben.
-«- Wenn er ihr zu Füßen gestürzt,
wenn er gesteht hätte -— trenn er ver
chert hätte, daß ihm das Leben uner
träglich ohne sie sei —- wer weis; —
dann hieße sie heute vielleicht Frau
Lisa Psitzner. — Aber nichts von alle
dem hatte er versucht. Still und
schlicht war er bavongegangen nnd
war nie mehr zurüd«ietehrt
Und nun jubelte sie, daß eg so ge
lommen war. Das Wunderbare,
Märchenhafte wäre sonst nie an sie
herangetreten -«—. so glaubte sie sicher.
Jeßt aber »Jetzt war es da, und si-:
wollte es festhalten. Es war mit
einem Male ein junger, sehr eieaanter
Mann aufgetan-»Ist und hatte Lisa aus
allen ihren Wegen verfolgt Er war
hochgetoachsem schlank, hatte feurige
schtvarze Augen unr- ein dito Bärtchen
auf der Oberlippe, dustete aus zehn
Schritte Entfernung tut-. ein lsirsischer
Fliedrrsirauß und fiel hauptsächlich
durch seine wohlgewctten, schön ge
pflegt-Hi Haare auf. Aus seinen Blicken
lar- sie flammend-ce- Jnteresse, und sie
mußte seinem qanzert Benehmen nach
schließen, daß er sie uergöttere. Täg
lich langten Rosen bei ihr an, so das;
ibre Eltern schon aufmerksam wurden.
Nun wußte sie bas- Mädchen zu beste
rben, daß es ihr die Blumen heimlich
gab. Sie kam sich zwar sehr schlecht
oabei Vor-—indessen, die Eltern wa
ren so streng! Sie wußten nichts von
Romantik, nicht-J von der heinilichen
Liebe, bie so heis; brannte, wie es kein
Feuer, seine Kohle konnte!
Wer weiß, was ihn noch abhielt,
sich ihr offen zu nähern? Welche
Schwierigkeiten er zu überwinden
hc.tte, um sich ihren Eltern vorzustel
len. Er war sicher ein hochgestellter
Mann-— so vornehin sah er aus —
und sie nur ein Subalternbeamten
Töchterlein! Da hatten seine Eltern
gewiß viele Einwendungen! Wie er
aus sie verfallen war? Lisa erröthete
heiß bei dieser stillen Frage und strei
chelte dabei zärtlich ihren armdicken
Sons. Jn bieseu mußte er sich zuerst
verliebt haben, denn ihn befangen die
Verse, die er den Rosen beizustecken
pflegte. Es war ja auch eine Pracht
-—ihr Haar. Aehrenblond umrahmte
es das liebliche Gesicht und hing in
seidenweichenFäden bis zu den Knieen
hinab. War es geöffnet, umhüllte es
sie wie ein Mantel. Die Farbe war
so überaus selten, daß ihr ein Friseur
schon tausend Mart fiir ihren Kopf
geboten hattel Da war es kein uns
der. basi er boeiische Naturen begei
sterte.
Dein Haar ist wie die Aehrenprach
Draußen im wogenden Feld, «
Und wie der sunlelnde Sonnenball
Das Gold es gefesselt hält.
Das war doch genügend bilderreich
»und so glühendk Heute hatte er nun
um ein Stelldichein im Thiergarten
gebeten. Sie war den ganzen Tag in
fieberhaster Erregung, konnte keinen
Bissen genießen und lächelte immer
still vor sich hkin. Nun war das Herr
lieb-e ganz nahe. Er hatte geschrieben,
daß er ihr heute die Erklärung für
fein seltsames Benehmen geben würde.
Die Schwierigkeiten schienen mithin
iiberwunden, und morgen erklärte er
sich gewiß den Eltern. Endlich war
es vier Uhr geworden, der Nachmit
tagslassee beendet. Unter dem Vor-—
wand, eine Freundin besuchen zu wol
len, ging Lisa aus« Die Berliner Om
nibusse, die Straßenbahn—alles er
Yebragka
Staats-Zuzug« Und Yerold
Jahrgang 27
— -- «—. - ——-L.. -
Grund Island Nchr. .. 31 August 1906 (Zweiter Theil )
schien ihr heute so merkwürdig rosen
roth. Endlich hatie sie das Denkmal
der Königin Luise erreicht. Gerade
schlug es fiinf Uhr,. als sie die Bank
erreichte, und von der anderen Seite
erschien auch »Er« aus der Bildfläche.
Lisa wagte nicht, ihn anzusehen.
Das Herz klopfte start und hüpfte bis
zur Kehle hinauf; eg machte sie un
fähig zu einem Laut. Bald beruhigte
die Enttäuschung «sie, daß er ihr nicht
zu Füßen stürzte, sondern sich neben
sie auf die Bant setzte. Auch er schien
beklommen, denn er räusperte sich und
fand tein Wort. Nach einer Weile
erst begann er stoaendt »Mein gnädi
gks Fräulein — entschuldigen Sie —«
Sie wagte nun einen kleinen ermu
thigenden Blick, und er fuhr fort:
»Mein Benehmen ist seltsam — icii
gebe es zu —vielleicht allzu kect -—"
Lisa mußte an sich halten, um ihm
nicht zu sagen, baß gerade diese Kerk
heit etwas so entzückend Romantisches
besaß.
»Aber,« fuhr-er fert, »wenn man
ein großes Lebensglück erringen will
—- ist es wohl entschuldbar, wenn man
zu absonderlichen Mitteln greift.«
Wieder war es Lisa, als hiipfe ihr
das Herz aus der Brust hraus
»Dars ich Jhnen alles erklären,
mich ihrer Großmuth, Jhrer ——— Jhrer
Nächstenliebe anvertrauen? Daß Sie
selbst reich siir das Opfer, um das ich
flehe, entschiidigt werden sollen, ist
selbstverständlich.'«
- »Sprechen Sie,« hauchte Lisa.
»Ich bin verlobt —-—- seit vier Jahren
--- -—«' Lisa war ausgefahrem wie
von einem Mosauito gestochen· So
sort aber beruhigte sie sich und fiel
zurück. Das also war die Fessel, die
er erst abstreisen mußte!
»Ich will nun heirathen, mus-, mich
aber dazu selbststiindia machen. wie
Sie sich denken töttnen.«
Jetzt durchzuckte es Lisa wie sein
heißer Schreck. Sie mußte es offen
nat mit einem Wahnjinniaen zu thun
haben, und in der Angst vor diesem
ging der Schmerz iiber die Enttiiu
fchung unter. Er tonnte sie ermorden
—- so etwas hatte sie schon gehört. Sie
wollte fliehen, aber ihre Fiiße trugen
sie nicht.
»Nicht wahr, gnädireg Fräulein,«
fuhr der junge Mann neben ibr fort,
»Sie, die Sie doch sicher ein warnte-J
Herz in der Brust l:aben, verstehen es,
wie ein Mann alles an allesfetzt, um
sich ein eigenes Heim und eine geliebt-:
Braut zu erringen Aber wenn wir
auch beide so sparen, wie wir können
wir werden alt nnd gran, bir- wir
uns eine standesgemiiße Eristenr er
rungen haben.«
»Und Da soll ich Ihnen dazu hel
sen-« fragte Lisa, empört über die vol-«
lendete Prosa, die die Romantit ab
löste. Sie hatte erkannt, das-, sie eLs
mit teineni thsnsinnigen zu thun
hatte.
»Wenn Sie sich einen Gotteglohn
verdienest s— zwei Menschen zu Ihren
ewigen Dantschnldnern machen wollen
— dann helfen Sie «
»Aber, wie kann ich denn da5?«
»Seht gut --— hören Sie mich an.
Jch bin erster Gehilse in dem großen
Friste- und Barbier-Geschäft von
Schule Hier hätte Lisa beinahe
anfgeschrieen. —- ,,szeln dieses Geschäft
ist von einer reichen leeritanerin die
Ansrage gerichtet worden, ob es einen
Zops von Arindicke in dieser wunder
baren Farbe liefern könnte. Er zog
dabei eine Probe hervor, die genau
mit der Farbe ihre-s Haares überein
stimme. 5000 Mart bietet die
leeritanerin fiir solch einen Zopf«.
vollendete er mit Pathos.
Lisa faßte an den ihren, fiir den sie
Plötzlich fürchtete. Feurig aber fuhr
der wohtsrisirte Barbier fort:
»Wenn ich nun diesen Zopi der
Ameritanerin bringe, erhalte ich die
5000 Mart, unr- ivenn ich Ihnen da
von 2000 Matt abgebe, Fräulein
Liset, bleiben mir noch genug, um
nie-Zu- NIMIIO Spimsssbspkl III YHIIUCN «
Seine Augen funlelten und flehten
--- es schien ihn eine große Sicherheit
zu befallen.
»Deshaib also — aller-« fragte
sie ionloö.
»Deshalb — ich hoffte iie zu er
weichen mit meinen Versen auf Ihr
herrliche-Z Haar »s—«
»Schereigen Sie,« herrschte sie ihn
an.
Fräulein Liset« —— tief er erschreckt
—-— »hai alles nichts genützt -—-— habe
ich umsonst um .Jhre Gunst gewor
ben? Denken Sie doch nur, was sie
durch Hingabe ihres Haare-, das doch
wieder wächst, erringen —- und 2000
Mark —— meinetwegen auch 2500
Eil-kath«
. Veinahe hätt-. Lisa gelacht. Aber
der Mann war so unescuni und ener
gisch. Bei einer ewegunq seiner
band schien es ihr, als oberer eine
Scheere hervorzögr. Wenn er, ihr der
Zapf abschniti! Jm Augenblick lakn
ihr das ganz einfach und natürlich
vor, wenn sie weiter hier blieben lind
schnell srrang sie auf, den Zopf fest an
ihre Brust pressend und sloh davon.
Ihre erhitzte Phantasie log- itsr vor,
das er ihr folge, sie an den Haaren
parte -—— aenau fühlte sie, wie es an
den Wurzeln riß. Sie schrie aus und
fah sich um. Da war niemand hinter
ihr, aber in der Entfernun: sah sie
den Friseur stehende, ringende Bewe
gungen mit den« Händen machen. Eis
nen Augenblick wollte sie sich ausru
hen —- ihr Korper schien ihr wie zer
schlagen, eiker da setzte sich auch der
Schreckliche in Bewegung und tam auf
sie zu. So mußte sie weiter, und so
Jschnell die Füße sie tragen konnten-»
jeilte sie weiter, rastlos-J. bis sie Men
sschen und Straßenbahnen erreichte.
lEines Schutzmannes bärbeißiges Ge
; sieht erschien ihr wie das eines Engels
Piun ging sie ruhig. Vorübergehende
iwurden aufmerksam ans sie, und
Hchnell wars sie den Zions zurück und
; brachte Hut und Schleier in Ordnung.
Fieber wenn sie sich auch gesichert
isuhlte — Ihr Herz war doch zentner
ischwer und die Augen voll ThriinenI
,Die Blamage war zu furchtbar-. Ver
Igebens redete sie sich Trost ein: es
Ttvußte es ja niemand. Aber sie selbst
t— sie tam sich so bodevzlos lächerlich
wor- ——— so über die Maßen blamirt.
INach Hause konnte sie noch nicht. Sie
tsiirckxtete sich vor einem Thränen
» strom, der in den gesicherte-n vier
iWänden sich entfesseln und verrathen
Würde, daß etwas Entsetzliches passirt
jfci. So blieb sie sin dem wogenden
YBerliner Wirbel, müde umherirrend,
»sich verlassen fühlend wie der Stein
Huf der Straßen und ernstlich erwä
:g-nd, ob sie dem zerstörten Dasein
; nicht durch einen Sprung in die Spree
ein Ende machen sollte. Sie schluchzte
junter ihrem Schleier wie ein Kind.
Unwillkiirtich mußte sie an Fritz
Pfitzner denken, an seine Ruhe, seine
»4s2-Lts..«t .
»wu-«u.,us(u grksuuu IIUI cuslcc DtllllllL
lichleit. Wie das sich plötzlich ver
lockend und vertrauenermeclend von
rer Roinantit, der sie zum Opfer ge
si".l3«en war-, itdlsobZ
Sie befand sich aus der Französi
s schen Straße und wußte nicht einmal,l
lwie sie dahin gekommen war. Hiert
send Dass Ba.«ti)aus, tsein Psitzneranss
gehörte Still wollte sie daran vorbei
- schleichen. Aber ans dem großen Por
»tnt trat ein Mann heraus, denn es
war Schluß der Arbeitszeit Als Lis-:
ihn erkannte, wollte sie fliehen,
schwankte aber und wäre gefallen,
wenn er sie nicht gehalten hätte. Drei
Athemziiqe lang lag sie bewußtlos an
»seiner Brust. Ohne zu fragen, rief e-.
eine Droschte, nannte dem Kutscher
ihre Adresse, hob sie hinein und setzte
sich neben sie.
»Und nun eriählen Sie, Fräulein
:Lisa, was geschah Jhnen2«
Ilnd sie erzäytc-—— sie staunte selbst
darüber, daß sie sich so un den Pran
;si,er stellen konnte, aber seinen ruhig-n
ji«-steigen konnte sie nichts- verschweigen
s Als sie geendet, lächelte er.
»So etwas mußte kommen, Fräii
lein Lisa.«
»Mußte ——« kommen?«
»Gewiß, um Sie von Ihrer No
itiantit zu heileu.«
Lisa weinte still vor sich hin.
»Sie verachten mich senr?« irnnic
sie schluchzend.
»Nicht im geringsten, Fräulein Lisnk
Wer hätte denn keine siegendes-—- h.n
— Jugendthorheit zu verzeichnen?«
Jetzt lachte sie unter Thränen, unt
dabei nestelte sich ihr Händchen gerne
leise in seine Rechte.
Da jubelte der prosaische Rechen
niensch aus und nahm sie in seinen
Amt.
Da hatte sie das »Wunderbare«.
-—---.
Jm neuen Beim.
Novellete von R u th G oe tz.
Jn dem Stift der adeligen Frän
lein erlosch das letzte Licht. Fräulein
hnn EIJMMUI ds- III-III ROHR-inu
---------- squp -,(«»-«
Hatte ihre Runde beendet, in jeden
Schlafsaal noch einmal hineinnespälit
und war nun auch zur Ruhe gegnn
gen. Der Mond übersluthete unten
den Schulhof, ges-, sein Licht iiber die
Turngeriitbe, die Leitern und Baum
an denen die jungen Mädchen täglich
zxrci Stunden gnmnastische Uebung-en
machten, sluthete hinein zu den offenen
Fenstern, die des Nachts immer geösi
net bleiben mußten, Sommer und
Winter-, über das jungendliche Antlitz
der einen und anderen der Schläferin
nen und spielte hie und da in deni
Haar der Mädchen
Eigentlich hieß das Stift: »Heim
fiir arme, adelige Friiulein«, aber die
Mädchen, die hier lebten, vermieden
den Beisatz »arm« aufs ängstlichste,
sie trugen bei ihren Spaziergänizen
und Eintiiufen in den Geschäften der
kleinen Stadt eine äußerst hochmü
tliige Miene zur Schau, und Fremd-,
die dem Zuge des Leims, den vaae
weis gehenden Mädchen, von einer
Lehrerin begleitet, begegneten, hatten
zunieist den Eindruck, daf; es alle sehr
vornehme sehr wohlhabende Damen
waren, die hier zu ihrem Vergnügen
weilten·
Aber das Leben der Fräulein war
so arm an Jugendlust, an Vergnü
gunkjern wie ein Auszenstehender sieh
taum denken konnte. Am Vormittag
war der Unterricht, der sie sehr in Ans
spruch nahm, sie wurden sammt und
sonderg zu Lehrerinnen ausgebildet
und mußten viel,lernen, um nur ja
das beste Examen zu machen von all
den Prüslingen der verschiedenen
Lehranstalten, die sieh jedes Hsalbjahr
dem Provinzial - Schultollegiurn in
der naheliegendenKreisstadt meldeten:
bei Tisch durfte man keinen Ton sure-·
eben, mußte ängstlich die Formen
wahren und wurde siir jeden kleinen
Verstoß gestraft, und nach dem Essen
kamen die Arbeiten, »die Gyinnastik:
und Sportstunde, aber man spielte
nicht zu seiner Erholung seinem ei
gensten Vergnügen, sondern man
lernte, iibte, um später einmal darin
unterrichten zu können. Und es gab
leine Abwechslung Lein Aus-ruhen,
nur die großen Ferien brachten etwas
Erholung Da durften die, die von
Angehörigen aufgefordert waren, zu
ihnen reisen, und die anderen blieben
hier, machten Ausfliige mit den Leh
rerinnen oder saßen mit einer Hand
arbeit iin schattigen Schulhos.
Jn dem Schlassaal der sechsten
Klasse lag die kleine Erila von Uler
und starrte mit weit geöffneten Augen
hinauf-. Das helle Mondlicht ließ sie
nicht schlafen —- und dann wohl auch
der Brief, den die Vorsteherin ihr an:
Morgen gegeben. Was stand denn
nur alles darin? —- einen Theil hatte
sie schon wieder vergessen, sie wußte
nur, daß das Schreiben sie entsetzlich
traurig gemacht, daß sie am liebsten
laut hinaus-geweint hätte, wild ac
tchluchzt, —- aber die »Großen«, wie
die Mädchen von der zweiten Klasse
genannt wurden, hatten fiir laute
Thränen nur ein mitleidig verächt
lich-es Achselzuetem und to war sie
trotzig dagegen angegangen. Jetzt
konnt-: sie ihn doch noch einmal lesen,
ganz, eanz ungestört darüber weinen.
'«eise, mit einen: vorsichtigen Blick auf
die sünf anderen Mädchen nlitt das
Feind aus dem Bette-, suchte in der
Tasche des Kleides und trat zun! Fen
ster. Das weiße Licht det- Mondes
lam herein, umhüllte das feine,
schlanke Kind mit dem aoltig glän
zenden Haar und leuchtete auf den
Briesbogen.... Also sie durfte nicht
nach Hause kommen, diesmal nicht zu
ilsrrr himmlischen Mamm nicht die
kleine Wohnung sehen, die weit dran
lszen im äußersten Westen von Berlii
hob oben vier Treppen lag. tllik,
iund sie hatte sich doch schon so sehr
diraus gefreut, aus den grünen Rasen
sdeg Hofes, den man oom Fenster aus
erblicken konnte, aus den Sprinabrun
neu, der zwei Stunden am Tage plät
lsakerte aus das nette tleine Mädchen
lvom Portier das am Vormittag im
Hner zum Spielen tani und für Ma
iua einholen ging .statt dessen sollte
sie zu Großpapa aus das große Gut
« dort würde si- Mama treffen. Ach,
nnd sie fürchtete sich so entsetzlich vor
dem Großvater, nur einmal in ihrem
Leben hatte sie ihn gesehen —— das war
damals, nach Papag Tode. Wie böse
er mit Mama gesprochen-, mit ihrer
tiebeu, einzigen Mania, wie sie dann
beide ceweint hatten, den ganzen Tag
Und immer noch konnte sie seineWorte
nicht vergessen, wenngleich sie damals
ten Sinn nicht verstand und sie auch
heute nicht begriff, was der alte Herr
mit dein strengen Gesicht meinte: »Sie
haben meinen Sohn in den Tod ge
trieben, Sie allein. in io jämmerliche
Leben, in einer solch untergeordneten
Stellung konnte ein Utfen nicht leben.
Er mußte zusa::i.ncnbrechen.«
Ach wie traurig Mama gewesen
war, jahrelang hatte sie nicht gelacht,
nur zuweilen wehmiithig gelächelh
I daä fah dann immer Ins. als ständen
Tyriinen in Ocn guter-. Augen. Und
Daran war Großpapa schuld, nnd zu
dem sollte sie nun, um dort die Ferien
zu verleom s-— Die Tbränen lamen,
rollten herab-über das ernsthafte, ro
sige Kindergesicht, tainen wilder, bis
der schlanke, lleine Körper in Schluch
zen schüttelte. Es war fast hell, alt
Erster etnschlies. « —--— -—
An der Bahn stand ein hoher, zwei
rädriger Wagen, ein Stnabe von etwa
elf Jahren hielt die Leine und blickte
neugierig- spähend zum Eingang des
Perrons2 »Da kommt der an.« Das
Kind warf einen-. Kutscher in braune
Livree die Zügel zu, kletterte ge
schwind nnd gewandt herunter nnd
ging suchend die Fenster des Zuges
entlang. Da, vor einem Conpe zwei
ter Klasse machte er Halt und öffnete
die Thür.
»Du bist Geile von Ulsen?«
Das Hunde Kind nickte verlegen
»Und ich bin dein Vetter Eberlmrd.
Komm, trir wollen uns beeilen, dein-:
Mama nnd mein Papa erwarten uns
in Großvaters Veranda.«
Der Kutscher hsob das Mädchen
hinaus. Eberbard kletterte hinein in
den Wagen und nun ging es. vor
wärts, die Landstraße entlang, dann
durch eine schattige Bud:enallee, an
gepflegten Blumenrabcciten vorbei. Ab
und zu hob der Knabe die Peitsche,
tnallte, daß die Pferde den Trupp
Verschärften·
»Du bist stark«, sagte Erika be
wundernd. »Und mithin Wie sein
tu kutschiren kanns-is
Eberhard lächelte and seine Kinder
augen strahlten. »Ja, das habe ich
alles in dem Jahre aelernt, wo ich bei
Großvater war.« ·
»Ist deine Manier auch hier?«
Das Licht in den Kinderaugen er
losch. »Ich habe keine Marna.« Und
nach einer Pause setzte er hinzu:
»Todt.«
»Mein Papa auch.« Erika hatte
schon wieder die Thränen in den
Angen, wie immer, wenn sie an den
Vater dachte.
»Aber mein Papa wird autzu dir
sein, weine nicht, kleine Erika.« Es
tarn seltsam gütig, seltsam weich auIJ
dem Munde des Knaben.
»Und meine Mutti zu dir, soll sehr,
sehr lieb sein« Erika sah den kleinen
Mann, an ihrer Seite ganz qliickselig
Dankbar an
Während der Fahrt war Erika so
vergnügt wie seit langem nicht, aber
als das Schloß austauchte, und die
beiden Kinder die Treppe hinausgin
aen, die zu Großpapas Veranda
führte, wurde sie doch wieder ängstlich
und wär am liebsten davonaelaufen.
»Ich fürs-die mich vor Großpava«,
sagte sie nnd ergriff lrampfhaft Eber
ljards Hand. Der lachte schallend, riß
die Gslastliiir ans und stürzte in die
liihle, schattiae Holler ,Da ist Erika,
li« ..-·«. .
s
..».c.-«.k-. t-4 ein-»F k-.
;;:s««s’,yuf-Lt, UUIV III »le Aus-U »U
sil
Das Gesicht der Kleinen wurde
aliihend vor Scham und erbleichte
bald wieder. Kaum wag-te sie die
Mutter zu begrüßen, die neben einem
großen, schlinten Herrn stand und so
lustig lächelte.
»Komm iJer, mein Lin-UT sagte der
alte Herr Von Uisei: und gina dem
Mädchen einige Schritte entgegen.
»Du fürchtest dich Vor mir —- hast
auch Recht, du kennst mich ja nur von
damals her... aber dag wird auch
Vorübergehen« Wie blaß dein Kind
aussieht, "Ungeie«, wandte der alte
Herr sich an Frau von Ulsen. Erita
horchte hoch auf War das denn der
selbe Mann der so böse und zornig
zu ihrer Mutter gesprochen? Er
nannte sie »du«, sie saate Vater zu ihm
. Wie war denn das alles möglich?
»Nun krimin, nimm dein Hiitchen
ab, und siärkc dich hier iß, mein Lieb
iing, was dir schmeckt. . iriitke...
so «
,.Dars ich?« sragte Erita zu der
Mutter gemanat.
,,Alle"5, was Großpapa erlaubt.«
»Wie ähnlich sie Dem armen Georg
ist«, der alte Herr ion Ulsen stützte
den Kopf in dir Hand und betrachtete
die Zügefre Gesichte
»Sage lieber deg reichen Georg,
Papa«, nahm nun der junge Ulsen
das Wort. »Er hatte ein reiches,
wenn auch nur kurzer Leben —--- er
titte alles-, was er sich je gewünscht «
,,Nur nicht die Verzeihung seines
Vaters« Das kam schwer aus der
Brust des Mannes Frau von Uisen
stand auf, legte ihren Arm um seine
Schulter: »(.55räme dich heute nicht
dar11m,Vater«', bat sie. »Ich habe es
ihm ins-mer gesagt, immer prophezeit,
daß wir uns einst in Liebe finden
werden Und er glaubte daran.«
. Erika brachte keinen Bissen mehr
herunter-. Wie lieb sich die Menschen
H» stritten cYn den drei Jahren dic
sie in dem Stift zugebracht, war nie
ein zärtliche-H freundliches Wort an
ihr Ohr -.«..escl«,tagen, hatten sich nie
warme Arme tröstend nach ihr ausge
streckt, um sie zu umschlingen —«—- Und
dorthin mußte sie nun wieder zurück.
Sie rechnete im Stillen die Tage aus,
von heute noch Vierutidvierziq.
»Erita ist fo still —— warum sprichst
du nich-ts, Liebling?« Der Großvater
streichelte iiber das seidige Haar.
»Wir oiirfen nicht, Großpapa.«
,",Nie sprechen?«
»Nur, wenn wir aefraat werden.
Und bei Tisch tiberhaupt nicht!«
»Armes-, junges Fitnd.« Und nach
einer Pause-: »Wie wäre es, Erita,
wenn du bei mir bliebst, mit Maine
nnd Onlel Tuba und Eberhardt. Und
wenn du versuchen wolltest, den
Großvater nicht mehr zu fürchten,
sondern gern zu haben, so schrecklich
lieb ivie deine Mutti’?«
»Ach ja, Großpapat« Und jauch
zend warf sich das Kind in seine
Arme.
w
Was man erscheint, hat jeden zum
Nichter, was man ist, keinen.
Eine Bunmqep
Eines Abends kurz vor dem Ersten
kam der Maler Vummel in triibseligee
Stimmung heim, da ihm nicht klar
war, wie er sich mit der Eli-be in sei
nem Portemonnaie bis Ende des Mo
nats iiber Wasser halten sollte. Da
lenkte ein Briefchen, welche-s während
seiner Abwesenheit seine Wirthin auf
den Zeichentisch gelegt hatte, seine
Aufmerksamkeit auf sich. Hastig öff
nete er und las, daß er morgen Mit
tag 2 Uhr bei Professor Klecksmeier
zu Tisch geladen war. Seine dunklen
Gedanken verflossen, er arbeitete noch
etwas und legte sich dann in Erwar
tung der bevorstehenden Genüsse,
ruhig schlafen. Nächsten Tag-es fand
er sich natürlich Pünktlich ein und er
wies der Ziochkunst der Frau Profes
sor alle Ehre. Später unternahm er
mit noeh anderen Gästen, die sich mit
ihm von dein freundlichen Gastgeber
verabschiedet hatten, eine Gratis-Bier
reise, die ihn erst iehr spät in sein
Heim gelangen ließ. Dort fand er
abermals eine Einladung Klecksmeiers
stior, der er natürlich ebenso prompt
EFolge leistete. Auch diesmal traf er
wieder Bekannte, die ihn noch am
Abend während eines kleinen Pum
mels freibiseltem und somit kam er
wieder ziemlich angeregt auf seiner
Bude an. Zu feinem Erstaunen lag
wiederum eine Einladung des Profes
fers da. Der junge Maler glaubte,
nicht so tiihn sein zu dürfen, so viel
Liebenswiirdigkeit ablehnend zu be
handeln und ging das dritte Mal zu
Tisch bei dem P-:osessor. Dieser berei
tete aber seinem Gast eine so kühle
Aufnahme, daß er sich wenig behaglich
fiihlte und bald aufbra.h. Ehe er sich
aber noch ganz empfehlen konnte,
fragte ihn der Wirth-« »Sagen Sie,
lieber Bummel, Sie wissen ja, ich sehe
Sie ganz gerne bei mir, aber eine
Frage müssen Sie mir gestatten: wel
cbem Umstande verdanke ich speziell
heute das Vergnügeu?« —
,,Na, Sie waren doch so giiiig, mich
fijr heute einzuladen«
,,Ehrlich gesagt, davon ist mir nichts
bekannt.«
»Aber ich fand doch gestern Abend
auf meinem Tisch eireKarte, daß ich
heute Jhr Gast fein sollte.«
»Aber, liebster Bumniel, ich habe
Ihnen die nicht- geschickt. Allerdings
siir borgestern waren Sie von mir
rirekt gebeten.«
Die in Bummel aufsteigenden Ah
nungen ließen ihn gar nicht Abschied
nehmen, er stürzte davon —- nach
Hause. Dort ergriff er in noch größe
rerHast als an jenem Abend die
Ksarte... laS... und sank alsdann
geknickt aus sein Chaiselongue und
schnappte nach Luft wie ein Fisch auf
trockene-m Sande. — Und was hatt-e
er angerichtet? Er hatte in der an
geheiterten Stimmung der letzten
Abende das Datum nicht beachtet und
dreimal die eine Karte alHEinladung
zum nächsten Tage angesehen.
»Zum goldenen Apiel.«
Aug Leipzig wird geschrieben: Be
tannt ist jedem Goethe-—- Kenner das
alte Leipziger Haus »Zum goldenen
Apel« in dem unser Dichter während
seiner Leipziger Studienzcit verkehrte
War doch im Pariere-e des genannten
Hauses die Weinsiulse des warte-ren
Gottlob Schöniopf, zu dessen Töchter-,
lein Käthchen der junge Goethe eine
tiefe Neigung empfand. Nachdem
Käthcheu Schönkops Frau Professor
Kanne geworden war und die Eltern
das Zeitliche gesegnet hatten, ging das
Schönkopf’sel«,e Amreseu iu fremde
Hände über, und mit dem Besitzer
wechselte auch die Bestimmung des
Hauses. —- Heute befindet sich inc
Parterre des ,,Goldei en .!psels«, wo
ebedem die Schönlopfesch Weinstube
war, eine Zigarrenhandlung. Gleich
wohl ist das jetzt die Nr. 21 im Brühl
tragende Haus heut-e noch eine höchst
interessante Erinnerungsftätte Jn
dem ersten Stock des Haus:s, das noch
Hganz sein alterthiimlicheg Aussehen
shat, refindet sich jetzt ein Case mit
Rindenken an Kathchen Schönkops.
Wir sehen daselbst noch den Tisch, an
idem der junge Dichter mit Käthchen
spielte Der heute noch iie altenbe
walten Felder auftreisende Spieltiseh
sollte in letzter Zeit siir eine Frank
furter Sammlung gewonnen werden;
obwohl aber dem Besitzer eine große
soumrne geoolen wurde, ging er oocn
nicht auf den Vertan ein, denn er
wußte zu gut, weiche Anziebunaskraft
dieser Tisch für sein Geschäft hat.
Ebenso ist der analxesr des Hauses
jetzt noctxs im Besitz von st«upsergeschirr,
das den Namen Schöntops trägt. Kurz
vor der Völkerschlacht hatt-: auch Na
poleon der Erst-: mit mehreren Gene
riilen dem Hause einen Besuch abge
stattet, nnd dicht neben den-. Goethe’:
scken Spieltisch steht heute der Tisch,
an dem Napoleon mit Murat u. s. w.
dem Rouletspiel yuldigte Jn späterer
Zeit versammelten sich besonders die
alten ,,521chtundvierziaer« täqlich in
dem Cafe zur Aussrischung alter Erin
nerungen.
HON
Mißverständniss.
Einem Bauern, der in einem Laden
nicegtaust hat, wird Von dem Inhaber
eine Cigarrenliste präsentirt nsit den
5Worten ,,Dars :ch Ihnen eine anbie
ien?-«
Der Bauer nimmt eine Cigatre und
meinte: ,,Danke, anbieten (anbeißen)
will eck se meet schon sülwerst!«
Alles Alte, soweit es Ansszruch dar
auf hat, sollen wir lieben, aber siir das
Neue sollen wir recht eigentlich leben.