Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 06, 1906, Sweiter Theil., Image 9

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Yeöraska
Staats-Anzeng nnd Yerold
—
» Abend.
Markt und murmelt ein verfchlafnek
Bronnen...
Mti den Augen tief und trauten-er
sonnen
Steigt der Abegjd von den Höhen nie
er,
Und die Sehnsucht singt verwirrte
Lieder, —
Flattert ruhlos über Thal und Hij
» geln
Mit den goldtestäubten Falterflü
gelu.
Miide aufgefcheuchte Träume gleiten
Jsi das große Meer der Einsam
teiten...
E. Starigen.
DOM
Treue.
Novelle von Luise Schulze
« - Brück.
Jeden Mitta um 12 Uhr ——pu«nlt
12 Uhr —- ma t sich der pensiontrte
Major Langhagen zum Ausgehcn be
reit. Ob die Sonne vom Himmel
glüht, daß die Luft wie ein Feueroscn
got-er ob der Regen stromt oder der
-« chnee stillt-ob esso laltist, das;
die Spatzen ausgeplustert sitzen und
kläglich pipsen—jeden Mittag qpuntt
12 Uhr legt der Major das Manu
skript des militiirischen Wertes, an
dem er arbeitet, sorgfältig zur Seite,
gibt seinem Zylinder einen leisen
Strich mit dem Aermel, setzt ihn vor
sichtig auf sein turzgeschorenes, eisen
graues Haar, streicht seinen Schauer
bart sorgfältig in die Höhe, nimmt
den tock mit der Elfenbeintrücte
und geht aus.
Er geht durchs die enge Straße des-;
kleinen Restes, iiber den Marttplatz«
wo der Brunnen rauscht und die Lin
den stehen und vor dem Postbureau
ein paar Honoratioren aus ihre Zei
tung warten, in eine andere stille
Straße hinein und durch sie hindurch
und immer weiter, wo die letzten Häu
ser stehen. Das allerletzte Häuschen
kann er schon von Weitem sehen, ganz
von Weitem.
Jn der Mitte die Hausthür, aus
Leder Seite ein Fenster, im erstenStoct
rei enster. Vor dem Haus ein klei
nes ättchen mit buchsbaumumsaßs
ten Nadatten, darin blühen im Som
mer Zentisolien und Reseda, Helio
trop und Reiten
Und hinter dem Fenster links-, wo
die weiße Gardine etwas- zurückge
schoben ist, und wo immer ein Topf
mit einem Myrtbenbaum steht, da
steht man einen Frauentops itber eine
Arbeit gebeugt und wenn der Major
näher kommt, dann gibt er sich einen
Ruck und zieht den aninder tief als,
ganz ties und macht einen steifen Die
ner und wirst sich dann in die Brust
und geht weiter. -—-- Manchmal im
Frühjahr, wenn die Lust laurst und
in dem tleinen Garten die ersten Veil
cksen blühen, dann ist das Fenster ein
wenin ossen, der Myrthenbaum steln
draußen und der Fermenton ist dann
deutlich zu sehen.
Dann bleibt der Major einen An
genblict vor dem Gitter stehen und
das Fenster Wird zurückgeschoben Er
macht noch einen Diener und dann
bemüht er sich, seine Kommando
stimme möglichst zu diimpsen und er
sragt mit leisem Tone: »Wie geht·g
dem Herrn Vater, verehrte-s Fräu
lein?«
Dann antwortet eine ganz ge
diimpste Frauenstmme: »Ich danke,
Herr Major, es geht wie immer. So
weit ganz gut.«
Der Major macht wieder eine Ver
beugung und sein Gang ist vielleicht
nicht ganz so straff als sonst, weiler
den Kopf ties beugt nnd nachzudenken
scheint über etwa-:- Schtveres und
Ernsteg. ·
zehn Jahre rang maan nun schon
der Major alltägiich diesen Gans.
Zehn Jahre wohnt er in der lleinen
Stadt. Zehnundeinhalbes Jahr
wohnt das Fräulein von LIJiannstedz
in dem kleinen Hause, wo sie ihren
tranlen, gelähmten Vater pfleat. Sie
sind von draußen aus der Welt hier
her verzogen, weil der Kranke Stille
haben muß, weil jedes Geräusch ihn
ausregt, ihn quält.
Der Major war damals noch
Hauptmann und der Oberst von
Mannstedt war sein Oberst. Rein an
genehmer Vorgesetzter, nein. Kein
guter Vater seines einzigen Kinder-,
wie er auch lein guter Gatte gewesen
war. Ein harter, eigentoilliger
Mann.
Seine Tochter war nöthig zu sei
nee Bequemlichkeit zu feinem häus
lichen Leben. Sie sollte auch um ihn
bleiben, sür ihn sorgen sein Leben
Lebenlang.
Sie war no zsjirng, um sich da
gegen auszubäumen Und sie hatte
noch leinen gesunden, um den sich solch
ein Aufl-säumen gelohnt hätte· So saß
sie daheim, kochte ihres Vaters Lieb
lingsgerrchth hielt ihrer Vaters
Masche in Ordnung und stopfte hres
Viters Strümpfe
Das war kein solch heiteres Leben.
Aber ihr schien doch die Sonne, lachte
der blaue Himmel und dusteten Jas
snin und Rosen.
Und Jasrnin und Rosen dusteten
uch« in r Nacht nach jenem ersten
unrtage, an dem ihr her-z aufgewacht
war. wie jene Blumen, die heute noch
in der grünen- harten Knospe verbor
aen stecken und morgen ausbliihen in
Pracht und herrlichteit
Sie waren den ganzen Nachmittag
zusammen gewesen. der junge Haupt
nra n und die junge Tochter des
Ob ellen, aus der Sommerlandpartief
W
des Regiments. Sie waren zusam
men denkijhlen Waldweg entlang ge
schleudert, wo die Zweige der Buchen
sich oben zusammenwölben wie ein
Dom und am Boden hohe Farren
kräutet schwanken und smaragdgrü
nes Moos große Polster bildet und
blaue Glockenblumen auf schlanken
Stengeln zittern.
Sie waren zusammen heimgegan
gen-Arm- in Arm hinter den andern,
nnd da, wo der Wald dunkel war, da
hatte er sie geküßt.
Und fie küßte ihn wieder.
Und als sie nachher in ihren: Bette
lag im Dunkeln. während der Strauß
von Rosen und Jasmim den er in!
Dorfgarten für sie gepflückt hatte, so
lsetäukend dustete, da war ihr gewe
sen, als habe sie bisher im Dunkeln
gelebt, in einer anz sinsteren Höhle
nnd nun habe ich ihr eine Pforte
aufgethan und sie stehe vor der Son
ne, vor der grünen, blühenden, strah
lenden Welt voll Licht und Glanz und
Glück und Seligkeit.
Und spät war sie eingeschlafen und
Lonnige Träume waren durch ihren
Wurf gezogen. -
Sie wurde wach am Morgen durch
ein Poltern an ihrer Thüre.
Sie sprang- auf, verstört ersciorchen
—sie brachten ihren Vater heim, der
beim Morgenritt mit dem Pferde ge
stiirzi war und sich verletzt hatte-—
Von dein Lager, auf das sie ihn da
mals legten, stand er nicht mehr auf
Das Rückenmasrt war verletztA eine
Lähmung hatte ihn ergriffen, die erft
leicht war, dann langsam fortschritt.
Langsam, ganz langsam.
Wenn das Fräulein vonMannftedt
an die zwanzig Jahre zurückdachte,
die seitdem verstrichen waren, so war
es ihr, als sehe sie in ein graues
Nebelmeer, das niemals ein Sonnen
strahl durchdrang
« hn ahre lang- hatte der Oberst
n , geho ft. Erst heftig und ungedul
dig von Tag zu Tag-, von Woche zu
Woche, dann angstvoll von Monat zu
Monat. Zuletzt in einer dumpfen
Verzweiflung von Jahr zu Jahr. -——»
Zehn Jahre lang!
Dann hatte er die Hoffnung auf
gegeben. Sie waren nach der kleinen
Stadt gezogen und in· das kleine
Haus tnit dem Garten vor den Fen
stern, und in der Stube, an deren
Fenster der Myrthenbaurn stand, lag
er nun zehn Ja re als eine schwere-,
unbewegliche Masse und wartete —
wartete. --— Auf wass
Auf den Tod?
Nein, er wollte nicht sterben. Er
wollte nicht! Er wollte schno deshalb
nicht, weil er nicht den Weg frei-;
machen wollte fiir den anderen, der’
doch darauf wartete.
Ja, der wartete nun schon zwanzig»
Jahre lang.
Damals, bald nachdem das Ui:-J
giiict geschehen war, da war der
Hauptmann Langhagen zu itkm ge-«
kommen und hatte ihm gesagt, daßer
seine Tochter liebe und daf; sie sich
ihm nicht zusagen wollte, bis ihr Va
ter wieder gesund sei. Aber vielleicht
sei es ihm, dein Obersten v. Manns-s
stedt, ein Trost und eine Freude, sies
beide glücklich zu machen und seinei
Einwilli ung zu geben·
Der · berst von Mannstedt hatte
gelacht, laut und hart. Das könne
seiner Tochter wohl passen, über deni
Bräutigam den tranken Vater zu ver
gessen. Und als der Hauptmann ihn
dringender bat, da hatte er ihn init
diirren Worten hinausgewiesen Zu
esag-en sei jetzt teine Zeit und seine
Tochter habe Besseres zu thun als an
Liebeshändel zu denken.
Hauptmann Langhagen war ge
gangen.
ch Draußen stand das weinende Mäd
en.
Und er hatte sie nochmals an sein
Her gedrückt.
,.;ch warte,« hatte er gesagt. ..
Sie-schüttelte trostlos den Kopf.
»Er wird niemals gesund werden.
Ein langes Leben liegt vor ihm, das
immer trostloser wird.«
« warte!«
» ein!« Sie schaudert zusammen.
»Nein! Das hieße aus seinen Tod
warten-«
»Da sei Gott vor,« sagte Haupt
inann Langhagen feierlich »Nicht
guc; seinen Tod, aus dich und nur aus
i .«
. Sie hatte damals traurig gelächelt,
irauri und ungläubig. Sie wußte ja.
weis am. Der alte Arzt hatte es ihr
gesagt. ,,Gesund wird er nicht wieder
— es wird ein langsames Sterben.
Jahrelang- tann es dauern. Besser,
Oie nehmen sich gleich einen Psleger,
damit er sich daran gewöhnt. Sie kön
nen doch Jhr junges Leben nicht neben
ihm vertrauerni Und ein Psleaer
smacht das quer physisch viel besser-.
sTer schwere Mann wird ganz hilflos
xwerden wie ein kleines Kind. Das
xtönnen Sie gar nicht durchse en."
i Ein Psleger!«Sie wußte selber zu
sagt-, daß das nicht möglich war. Er
shatte sich mit keinem Psleger vertra
gen, hätte auch gar keinen gewollt. —
Und sie hatte es durch-gesetzt
Zwanzig Jahre lang.
Niemals- tam .aupttnann Lang
hagen wieder ins »aus. Es hatte ja
teinen Zweck, keinen Sinn. Was- sollte
das Hin-ziehen das Warten. Er war
frei —- er sollte wenigstens noch ein
Glück finden. Sie wollte es so.
Aber jeden- Tag Um die Mittags
stunde tam ein fester Schritt an:
Hause vrbei, eine Hand legte sich an
den rothen Mützenstreisen und ein
paar Augen schauten zu ihr hinauf,
die da oben am Fenster stand.
Und an jedem ersten Junitage stand
ans ihrem Tische ein Strauß von
Zentifolien und Jasmim lag in ihrer
Hand ein kleines Sträußchen blauer
Glockenblunien auf schlankem zittern-«
den Stengeln.
Sonst nichts-.
Kein Brief, lein Zettelchen. Wozu
auch! Dann zogen sie fort.
Ein letztes Mal stand sie oben am
Fenster, ein letztes Mal ging er unten
vorüber.
Ein halbes Jahr spater saßsre um
die Mittagsstunde hinter dem Fenster
in dem llernen Hause. Der Märzwirid
stöberte die letzten Schneeflocken, die
Spatzen hüpften schilpend in den Lin
den. Da kam ein Schritt die Straize
hinunter, eine große Gestalt, die sie
fu kennen meinte. Ihr Herz stand
till, eine Weile lang.
Dann zog der Mann da draußen
den Zylinder von dem turzgeschorenen
Haar, das damals noch dunkelblond
war und ein Nacken beugte sich.
Und so nun schon wieder zehn
Jahre. -
Der Frühling zog ins Land, der
Herbst löste denSommer ab, der Win
ter lams und ging.
Das Haar des Majors wurde
langsam grau, sein Schritt ein wenig
schwerer. Das Haar der Frau am
Fenster war längst grau, ihr Gesicht
blaß, die Augen wie berwaschen von
» vielen Thränen
« Aber an jedem ersten Junitag stand
auf ihremTisch der Zentisolienftraus;,
dustete der Jasrnin, lag in ihrer Hand
das Sträußchen von blauen Glocken
blumen, ans schlanten, zitternden
Stengetn.
Und wieder ist solch ein erster Juni.
Der Himmel so blau, io blau, wie
nur ein solcher Junihimniel sein kann.
Tic Linden blühen und die Rosen in
dem kleinen Garten. Aber das Fenster
ist geschlossen, Niemand sitztdahinter
Und dem Major, der da seinen
Weg kommt, wird bange um; Herz.
Jenes unbestimmte Bangen, das den
Menschen ergreift, wenn eine Ahnuna
ihn beschleicht -—— die Ahnung schwerer
trauriger Dinoe, die gleichsam in der
Luft schwebt, unsichtbar, nnsaszban
und doch da. ..
Er seht langsamen Schrittes an
dem Hause vorbei —— einmal, zwei
mal
Und da bewegt sich die Gardinc.
Ein Gesicht erscheint einen Augenblick,
sahl und verstört. Er besinnt sich nicbt
lange. Er gebt die Stufen binan
er tlintt leise an der Thiir —- steht ini
engen Flur.
Wie ein Schatten gleitet eine Ge
stalt hinaus ——- eine leise Stimme
sagt: »Nein, nein! Jch bitte Sie.«
Er sieht sie an, zum ersten Mai
seit zehn Jahren.
»Was ist geschehen?« fragte er.
»Es ist zu Ende! Vor einer
Stunde!«
Zhre Stimme bricht, sie schwankt.
a umfaßt er sie mit starlen Ar
men. Sie liegt einen Augenblick still
in diesen Armen.
»Dann richtet sie sich ängstlich ans.
»Nein,« sagte sie, »nein!«
,,Anna,« sagt er, »ztvanzig Jalkkc
konnte ich dir nich-to sein, durfte e-:
nicht. Jetzt darf ich! Und wenn c:.
der dich nicht ließ, dem du dich »a
opsert hast, in einem anderen Leben
erwacht, dann wird er uns segnen.«
Sie richtet sich aus und sieht ibn
an.
,,.Hermann! Und ich bin so alt, so
müde.
Da iiißt er sie ans den Mund. So
leise, so vorsichtig, so zart
»Nun laß uns zu ihm gehen.«
Sie stehen zusammen vor dem On
«er. Langeschweigend. Dann legt der
Äiajor seine Hand aus die Hände dec
Todten. Ein Verzeihen ist’s und ein
Gelöbniß.
Und dann gehen sie hinaus und
stehen in der Stube, wo vor dem Fen
’sterplatz ein Strauß von Zenfisolien
und Jasmin dustet »und vor einen.
altmodischen, verblakzten Bilde blaue
Giockenblumen auxe chlanien, zittern
den Stengeln blii n.
· Und zwanzig Jahre versinien vor
ihnen. —-———
W
Barbier: »Ich habe jetzt eine ganz»
neue Ranrseise, Herr Rath. Wie sin-«
den Sie diese?«
»Gott, der Geschmack ist so ziemlich
derselbe.«
Blinde Kuh.
Humoresle von Karl Hugo.
»Na, war’n bischen viel heute,
Lämmchen, was? Aber allerhand Achs
tung, die Weine waren ff. Ein sama
ser Kerl, unser zukünftiger Rechtsan
walt. Hat mich riesig gefreut, den
pr ächtigen Menschen gleich kennen zu
lernen.«
Der Herr Sanitätsrath erhob sich
vorsichtig und verlietz alg Letzter vie
fröhliche Gesellschaft, die eben noch
beim Frühschoppen gezecht hatte.
Lämmchen -— das war der Wirtk
»Zum goldenen Lamm« — rieb sich
vergnügt die Hände. Er hatte ein
brillantes Geschäft gemacht Der
neugebactene Rechtsantvalt, der nackt
Weinhausen gekommen war, um sich
wegen Eeiner hier zu eröffnenden
Praxis an Ort und Stelle zu infor
miren, hatte die passende Gelegenheit
wahrgenommen und sich den zur-:
Friihschoppen versammeln-den Hono
ratioren gleich vor-gestellt. Er war
ein verteufelt lustiger Herr, und auf
allgemeines Zureden hatte er sich ent
schlossen, sich in Weinhaufen nieder-—
lMassen.
- -
Balllllllycll ch chUliUclV glulllkuj
iiber diesen Entschluß. So ein stotter
Herr hatte in Weinhausen gefehlt, und
ins »goldenen Lamm« ganz besonders.
lind wer weiß — wer weiß? Die
Käthe schien dem Herrn Rechtsanwialt
durchaus-s nicht gleichgiltig gewesen zu
sein. Zu dieser Diagnose war auch
der Herr Sanitätsrath gekommen
Nein, dieser alte Herr! Wie war er
sidel gewesen! Aber die lonsumirte
Feuchtrgteit hatte auch die sonst
übliche Grenze bedeutend überschrit
ten. Das merkte Lämmchen nicht nur
an seiner gefüllten Kasse, sondern
auch an einigen anderen Wahrneh
kranken, denn es stieg die Vermuth
ung in ihm aus, daß er selbst einen
tleinen Schwips davongetragen hatte.
Einen kleinen Schw—-i——i«-pk! Er
wiederholte das Wort dreimal, und
da es nicht mit der gewohnten Geläu
figkeit aus seiner Kehle inm, sah er
sich gezwungen, das Vorhandensein
eines wirklichen Schtvipses zu konstati
ren. Er beschloß deßhalb, sein ge
-1ooh"nteg Mittagssckiösehen etwas zei
tiger zu beginnen.
Er konnte jedoch seine löbliche Ab
ficht nicht sofort ausführen da eben
tzwei Gäste eintraten. Lämmchen ltlin
zette ziemlich lange, lsig er mit fiel
iins Reine tam, daß die Gaste keine
,,ltiesigen« waren. Lainxnchen wollt-:
iiber den großen runden Tisch hinweg
nach dem Settliihler langen, als er
plötzlich das ,,sehliche« Gleichgewicht
verlor, schändlich daneben griff und
da er in der Lust teinen Stiitzpunlt
sür seine schlenlernden Arme sand,
sandte er diesen sinkenden Körperthei
llen auch den übrigen Menschen nach.
iWährend sichs Lämmchen ungewollt
aus dem Tische zwischen den leeren
Flaschen und Gläsern bequem machte,
krppte der Dertruhter um, wobei oie
Gäste einige derbe Spritzer abbetnmen.
Als Retter aus tiefer Noth erschien
Käthe, der es in Gemeinschaft mit den
beiden hilfsbereiten Fremden gelang,
Lämmchen wieder in eine vertilale
Richtung zu bringen, woraus er sich
distret in seine Gemächer zurückzog.
Für die nächste Stunde war er ein
hilfloses Opfer seines Berufe5.
Käthe hatte schnell Ordnung ge
schaffen. »Ach, verzeihen’5, meine·
Herren, daß Sie etwas abgelriegt ha
oen. aber dem Weinliihler hab’ ich
nimmer getraut, der stand alleweil
schief.«
So schlimm nahmen die Gäste nun
ihrerseits die Sache nicht, sondern sie
beschlossen, das nützliche Geräth mit
einer vollen Flasche zu beschweren.
Natürlich wurde Käthe zu einem
Gläschen freundlich eingeladen. Und
der einen Flasche folgte bald eine
zweite und dritte. Als sie zur Neige
ging, versuchte der eine Gast sein
Vortemonnaie zu ziehen. Energisch
aber wies der andere dag zurück.
»Nichts da —- ich bezahl,« ries er.
»O nein,« erwiderte der Andere.
»Du hast gestern Abend die Zeche be
zahlt, heute bin ich an der Reihe.«
»Aber Du bist mein Gast, und so
lange Du mein Gast bist« —
,,Satrament!« rief jetzt der Andere
wieder erregt, »laß' doch dieses ewige
Streiten wegen der lumpigen Paar
Mart.«
»Und ich sage,« scholl es noch er
regter zurück, indem eine Faust aus
die Tischplatte niedersauste, »Dein
Benehmen ist einfach beleidigend, un
erhört beleidigend. Aber ich lasse mich
nicht beleidigen. Jch bezahle und da
mit basta!«
Bevor noch der Andere zum Worte
kam, griff Käthe in den Streit ein.
»Aber warum zanken’s sich denn so
herum. Würfeln’g doch die Zeche
aus.«
»Sie sind ein gutes Kind,« sagte
der Eine, indem er aufstand, »und
Jhr Vorschlag zur Güte ist edel, hilf
reich und gut. Aber ich rühre prinzi
piell keine Würsel an.«
Der Andere war inzwischen auch
herangekommen ,,iWssen Sie, Fräu
lein, ich bin der gemiithlichsie Mensch
auf der ganzen Welt, aber jedesmal,
wenn es ansBezahslen geht, fängt die
ser sogenannte Freund eine Rede
schlacht an. iSe glauben nich-t, was
der für ein ausdringlichecz Portemon
naie hat«
· »Und ich sagze nochmals — —- —
,,Sagen’s nur gar nichts mehr«,
rief Rath-e dazwischen, »sondern ma
ckews Jhrn Mund und’s Portemoni
naie zu und lassen’«g diesen braven
Ilienschen bezahlen.«
»Ohn! Dann nehmen Sie von mir
wohl gar kein Geld-—Nsun, dann
will ich einen Vorschlag machen. Wen
Sie von uns greifen, der soll bezah
len.«
«
Käthe wollte schnell den Anderen
greifen, und dieser wollte ebenso
schnell bezahlen, aber sein hartnäcki
ger Gegner behauptete« daß sie »so
nicht gewettet« hatten Er hätte ge
meint, das Fräulein solle »ohne An
sehen der Person«, nämlich mit ver
bundenen Augen greifen.
,,Alfo ,,blinde Kuh« wollen’s mit
mir spielen? Jst mir schon recht, wenn
damit der Streit aufhört«
Und Käthe band sich eine Serviette
vor die Augen und griff, und griff-—
nnd griff lange in’s Leere, bis sie end
lich Einen ganz energifch beim Wiclcl
erfaßte.
»Himmel — Satra —- Dirn, bist
denn ganz verrückt geworden«, schrie
das verbliisfte Lämmchen, das vergeb
lich die nicht sehr zarten Fäuste seiner
Tochter von seinem Rocktragen abzu
fchiitteln versuchte.
Der ,,blinden Kuh« gingen gleich
dariuf die Augen in doppelter Be
ziehung auf. Die zahlungswiithigen
Gäste waren verschwunden Ehe Kä
the überhaupt im Stande war, dieses
rätbselhafteVerfchwinden mit der hef
tig unftrittenen Zecte in einen klaren
Zusammenhang zu bringen, vergingen
einige Minuten. Und Lämmchen, das
immer noch etwas unter des Vormit
tage Last- nnd Schwips litt, brachte
es überhaupt zu keinem annehmbaren
Gedanken, bis endlich Kätbc begriff.
daf; sie zwei abgefeimten Zechprellern
in die Hände gefallen war
Jetzt erst tam Leben in denLamm
wirth Mit einem kühnen Satz war
er hinter dem Biiffett, wo er seine
wohlgefiillteGeldlassette ausgewahrte.
O Schreck —- --— doch nein, da stand
sic, allerdings nichtm ehr aus demsel
ben Platze Die Gauner hatten es
zweifellos in erst-er Linie aus die-Kas
sette abgesehen gehabt, die jeden
falls auch mit ihnen Verschwunden
gewesen wäre, wenn die Spitzbuben
nicht die Schritte des im Nebenzims
n:er kommenden Lammwirth gehört
hätten.
Nachdem Lämmchen dieKaffette der
besonderen Hut Käthchens anvertraut
hatte, ging er zum Amthericht, um
Anzeigc zu erstatten· Draußen traf
er, wie-Köche durch das Fenster sehen
tonnte, mit dem zukünftigen Wein
hausenerRechtSanwalt zusammen, der
sicis ihm sofort anschloß und ihn Mit
sämmtlichen auf den interessantenFall
passenden Paragraphen deI Reiche
ftrafgefetzbucheg bekannt machte.
stäthe freute sich jetzt iiber denGau-s
nerftreich: denn der brachte den lie
benswiirdigenRechtsanwalt mit ihrem
Vater gleich in geschäftliche Berüh
rung, nnd man konnte nicht wissen,
wozu das gut war. Und während
sitt Käthe in Gedanken mit dem
Herrn Dr. jur. beschäftigte, betrat
dieser eilig dar- Gastziinmer, rief ihr,
belustigt einige Scherzworte über den
Spitzbnbenftreich zu. der ihn zu der
ileberzeugung gebracht habe, daß er
in Weinhausen eine einträgliche Pra
xis finden werde·
,,Hatmein Vater die Sache schon
zur Anzeige gebracht?« fragte Käthe
»Aber natürlich, er wird soeben
prototollarisch vernommen. Da der
ilutersuchungsrichter fehr rchtig ver
muthet, daß aus der Kassette Finger
abdrücle der Gauner zu sehen sind,
so hat msich Jhr Vater gebeten, die
Kassette zu holen, damit der Richter
sie in Augenschein nehmen tann.«
»Ach bitte, Herr Doktor, hier! Jch
bin froh, wenn ich nicht mehr die Ver
antwortung habe. Wer weiß, ob die
Spitzbuben sie nicht doch geholt hät
ten.«
Der Herr Doktor betrachtete die
Kassette aufmerksam. Richtig, da find
ganz deutlich Finrerabdrücke wahr
nehmbar. Da wird es nicht schwer
fallen, die Gauner zu fassen. Jch
komme bald mit Jhrem Vater zurück.«
Und eilig verließ der dienfteisrige
Rechtsanwalt das ihm schmachtend
nachbliatende Käthchen.
Lämmchen kam erst nach einigen
Stunden zurück, denn er hatte viele
Freunde unterwegs getroffen, denen
er den raffinirten Spitzbubenftreich
—
ierzählen mußte. mchL die
Kassette erwifcht hatten.str resz nete sich
Lämmchen als persönliches erdicnft
an
Käthe erkundigte sich bei ihrem
Vater fchiichtern nach dem Vetbleib
des Rechtsanwalts, der doch mit ihm
zurückkehren wollte.
»Den habe ich, als ich aus der Thiir
trat, getroffen. Er ging einige
Sclritte mit, aber er hatte gar keine
Zeit, weil fein Zug in einigen Minu
ten ging.
»Aber die Kassette hat er Dir doch
gebracht. «
»Was hat er —- ——«
»Nun, Du haft ihn doch gebeten,
die Kaffette aufs Gericht zu brin
geni«
Ich bin ja noch gar nicht dort ce
wefen, weil mich die Leute unterwegs
fo lange aufgehalten haben«
»Herrgott, Vater —- — dann war
der auch einer von denen —- ——«
Wahr )aft1g’ Der »Rechtsanwalt«
hatte zu der Gaunerbande gehist Er
hatte am Vormittag die Gelegenheit
ausgeforfcht und nach dem Mißlßu
gen des versuchten Diebftahls durch
feine zwei Kumpane hatte ihm Käthe
dann die Kaffeite unter Danke-Zisc
zeigungen für feine Bemühungen
selbst überreicht.
Seitdem wurde Käthe .rechi wenig
gefchmackvoll nur noch die ,,Blinde
Ruh« genannt
————
So me Gemeint-ein
Ein Leipziger und ein Berliner
fahren längere Zeit in demselben Wa
genabtheil der isenbahn. Dabei hat
der Berliner den« linken Fuß, ganz
wurschtig, wie Berliner nun ’mal
sind, stundenlang inmitten des Wa
genganges ruhen, anstatt ihn unter
die Sitzbank zu ziehen. Er bleibt so
gar ans Haltestellen in dieser Piose,
ganz unbekümmert darum, daß an
dere ein- und aussteigende Reisende
darüber hinwegzuturnen gezwungen
werden, um ihn nicht zu tret-en. Diese
Rücksichtslosigkeit, um nicht zu sagen
Unge ogenheit des Berliners, ärgert
den Leipziger um so mehr, als sie fich
obendrein aus ein-er sächsischen Bahn
nbspielt, sie ärgert ihn endlich so sehr,
daß er bei sich. beschließt, die Ehre
des sächsichen Vaterlandes zu retten
und den Berliner für seine Rücksichts
losigkeit empfindlich zu strafen. Zu
diesem Zwecke erhebt er sich bei der
Einsahrt in die nächste Haltestelle mit
den Worten: ,,Durschttg bin ich! Aber
sehre! Will doch 'n«.al seh’n, ob’s in
dieser Weltgegend och en Täppchen
Bier zu trinken gibt!« Gleichzeitig
bewegt er sich nach dem Wagenfenster
hin, tritt aber nicht über den Fuß des
Berliners weg, wie die andern Reis
senden es gethan haben, sondern derb
daraus. s
Der Beiliner rührt sich nicht. «
Das bringt den Leipziger ganz und
gar in Wuth Beim Zurücktreten vom
Fenster stampst er deshalb förmlich
niit dem Stieselhacken auf die »Poten:
taten« des unverschämten Berliner-z
als ob er sie durch den Wagenboden
treten wollte.
Der Berliner versieht auch jetzt noch
keine Lippe.
,,Excuseh!« schreit da der Leipziger,
vollständig aus dem Häuschen gern
thcnd, den Berliner an. »Ich gloobe,
ich habe Sie auf die Krähenoogen ge
treten, geehrter Herrl« Und seine fun
telnden Blicke wollen den Mann dabei
durchsdolchen
. Der dagegen? »Bei macht nischt,
Männeken!« erwidert er gelassen, »re
gen Sie sich darum nicht weiter auf!
Dei ig man en Jummibeen!«
»So ’ne Gemeinh-eit!« haucht der
Leipziger, jetzt vollständig pass, ,,läf;t
dass Luder us die Stiebeln ’runitram
peln und hat nich ’tnal ein richtiges
Bein drin!«
—---·--—
Vom Tiger-.
Eine Ehrenrettung des Tigers un
ternimmt der englische Kapitän Bald
win, ein hervorragender Jäger, ge
nauer Kenner Indiens und der
Dschiungeln, in Chambers Journal
Baldwin weist darauf hin und unter
stützt seine Behauptung durch Bei
bringuna von angestellten Experimen
ten und Erfahrungen daß es ein
alter Aberglaube der Eingeborenen
sei, dem sich dann auch iritiklos die
Fremden angeschlossen haben, daß der
Tiger - Menschen ansällt und ausfrißt.
Der englische Kapitän nimmt natiir
lich den Fall aus, daß ein Tiger von
Menschen angegriffen und gereizt
wird. Jn diesem Falle geht die Bestie
wohl auf den Menschen log, verwun
det und tödtet ihn auch, aber frißt
ihn niemals auf. Der englische For
scher, dem wir natürlich die Verant
wortung fiir seine Behauptungen
iiberlassen müssen, will im Gegentheil
mehrfach zu beobachten Gelegenheit
gehabt haben, daß bei einem Zusam
mentrefsen von Tiger und Mensch
ersterer den Kdnic der Schöpfung er
staunt ansieht, bald in Furcht gerätif
den Schwanz einzieht und schleunigt
Reißaus nimmt. Dagegen soll das
viel lebhaftere und mit schnellerm Be
wegungen begabte Tigeriveibcheii
Menschensleisch nicht verschmähen
Eine einzige Tigerin hat nach der os
fiziellenStatistil im Jahre 1.9033vier
zig Menschen aufgefressen,alle andere
Beute verschmäht und ist in feder
Nacht vierzig und mehr Kilometer
gelaufen, um sich Menschensleifch zu
verschaffen. Allein Baldwin behaup
tei, daß nur ganz junge Tigerinnen
eine derartige Begier haben, und auch
nur als Ausnahme Er meint daß bei
diesen Thieren gewissermaßen eine
perverse Geschmacksrichtung vorliege,
deren Ursache zu ergründen natürlich
sehr schwierig sei