Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 08, 1906, Sweiter Theil., Image 14

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    Der Deserteur.
Roman von O. Elfter.
(1. Fortsetzung)
2. Kapitel. !
Die Ofsiziersversamw
tu n g. i
Als harald am anderen Morgens
erwachte, stand sein Bursche, ein treu
und ehrlich dreinhlickender thüringer1
Bauernsohn, vor seinem Bett. i
»Den Leutnant müssen aufstehen,« »
sagte der Bursche mit leichtem Lächeln,
»es ist acht Uhr.« . . . ;
»Aber ich habe doch heute Morgen.
noch keinen Dienst, Friedrich;« entgeg- J
nete Harald, sich halb ausrichtend. ;
»Ich brauch Sich erft heute Mittag zu j
melden«. l
»Sie Befehl, herr Leutnant. Aber
der Herr Major haben schon aus 92
Uxhr eine Versammlung der Herren
Osfiziere im Ofsizierkasino anbefoh
len, und der Herr Hauptmann mein
ten, Herr Leuinant müßten dabei se·in·«
»Da hat der Herr Hauptmann wie
der einmal recht. Also stehen wir auf.
Lege mir Schärpe und Tschacko zu
recht, ich kann mich bei der Versamm
lung gteich zurückmelden.« I
Friedrich entfernte sich. .
Harald sprang rasch uus dem Bettf
and kleidete sich an. Der Kopf wars
ihm etwas wüst, die lange Eisenbahn
fahrt, die Kneiperci am Abend vor
her,v übten doch ihre Wirkung. Aber«
das frische Wasser-, mit dem er Kopf, «
Hals und Brust überspiilte, machten
ihn frisch und munter. Jetzt erin
nerte er sich auch der seltsam wirren
Träume wieder, die seine Seele mäh
rend der Nacht beschäftigt hatten.
Merkwürdig, in all diesen Träumen
tauchte das Bild der schönen blonden
Henriette Hauoillen auf, die er doch
nur einmal erst gesehen hatte. Sollte
die Erscheinung des jungen Mädchens,
ihm selbst unbewußt, einen so tiefen;
Eindruck auf ihn gemacht haben? Aber !
jett in wachendem Zustande entsannJ
er sich kaum ihres Bildes, das ihm der 1
Traum so deutlich gezeigt hatte.
Er trat vor oen Spiegel, welcherj
zwischen den beiden nach dem Marti
play hinaussiihrenden Fenstern hing,
um seinem braunen iurzgelockten Haar
« die vorschriftsmäßige Frisur zu geben.
Unwillliirlich warf er einen Blick über
den Platz, auf dem schon reges Leben»
herrschte, denn es war heute Wochen- !
martt und die Gemüsefrauen, di:
Bauern mit Kartoffelnsäcken und
Obstkörhen, einige jüdische Händler
.. mit ihren Krambuden, hatten den
Platz in Besitz genommen. Zwischen
den Verkaufsständen gingen fleißige
Haus-stauen mit ihren Dienstmädchen,
die große Körbe trugen, auf und ab,
um dn Bedarf für die tommnde Woche
einzutaufen.
Gerade am Ende der Budenreibe
befand sich der Stand eines Gärtners,
der neben den nützlichen Gemüsepflam
zen blühende Blumen feilbot.
Hier stand eine schlanke Mädchen
gestalt und handelte um einige Blu
men. «
Wahrhaftig es war Henriette! Sie
sah so frisch und rosig aus, wie die
schönsten Rosen des Gärtners-, und
wähnend sie mit dem Gärtner sprach,
schwebte ein Lächeln um ihren rothen
Mund, das gleich Sonnenschein über
ihr liebliches Gesicht huschte.
Rasch warf sich Haralo in Uniform
und eilte hinaus, so daß ihm Friedrich
ganz erstaunt nachsah.
»Was läuft er nur so?« brummte er
vor sich hin. »Er hat doch noch Zeit
. . . und Kaffee hat er auch noch nicht
getrunken« . . .
Harald trat an den Blumenstaub
gerade, als Henriette den Gärtner be
zahlte. -
»Bonjour, Herr Leutnant", sagte!
der Gärtner, ein alter Soldat mili
tärisch grüßend. »Was steht zu Dien
sten?«
Henriette sah zur Seite und ihr
Blick begegnete dem Auge Horale
Sie erröthete leicht, Harald grüßte ar
kiig
WPardon Mademoiselle« . .sagteI
et, ohne recht zu wissen, weshalb er4
sich entschuldigte. Er fühlte jedoch,
wie et selbst erröthete.
Und bemitte, die nach der Versiche
rung Luluö noch nie einen deutschen
Ossizier gegrüßt hatte, senkte leicht das
zierliche Köpfchen zum Gegengruß
Dann aber eilte sie rasch davon
Harald sauste ein kleines Veilchen-.
bouquet Dann schritt er langsam die
Butsusibuden entlang. Sein Auge
steck-e die schlanke Mädchengestalt, aber
se war niegendö mehr zu erblicken.
So begab sich Hernid denn in das
o, um ver der Versammlung
noch eine Tasse Kassee zu trinken
Was ging ihn auch diese hübsches
entrissen ani —- Aber welch’ wem-T
Augen He hattet Tiesblau i
Die seit-been weicheetin dersand
Mk cis-säumt m dunklen Wien-I
. mit-hie eigen leise-e Schatten auf die I
meet-nd- und übe-wärmt
» ists MM duytteu greises-.
die in eigenartigem Kontrast zu dem
blonden haar standen. Und dieser
reizende Mund mit seinem süßen
Lächeln . . .
»Ich glaube, Harald«, apostrvphirte
er sich selbst, »Du bist im B:griss- Dich
am ersten Tage Deines Hiersein-s zu
verlieben! Mach teine Dummheiten«
alter Junge . . .« «
Jn dem Kasino, das aus einer frü
heren Bastion lag, von einem schnitt
gen Garten umgeben, waren schon
mehrere Osfiziere versammelt. Der
Hauptmann von Falkenhagen, eine ha
gere Soldatengestalt mit einem Ha
bichtsgesicht und zwei sunteinden
grauenAugem schritt mit mißmuthigem
Gesicht in den Speisesaal auf und ab,
wo er sich durch ein Winken-Butter
brot und ein Glas Portwein gestärkt
hatte. Sein Mißmuth war sehr be
gründet, denn irn Zeitraum von sechs
Wochen waren zwei Desertionen bei
seiner Kompagnie vorgkommen.
Die beiden jungen Leutnant5, welche
an einem Nebentische eine Tasse
Bouillon tranken, wagten nicht laut zu
sprechen, denn öfters streifte sie der
sinstere Blick des Hauptmanns, als ob
sie die Schuld der Desertationen bei
dessen Kompagnie trugen.
Aber Lulu, der ietzt eintrat, brachte
»Leben in die Bude«. Er fürchtete
sich nicht vor dem gestrengen herrn
Hauptmann und begrüßte laut und
etwas liirmend seinen Freund Haralb.
Mehr und mehr füllte sich der Saal.
Da war der kleine kugelrunde Haupt
mann von Wolfs mit dem lirschrvthen
Gesicht und den kleinen, etwas ver
schwommenen Aeuglein; der junge,
schneidige Hauptmann von Dobner,
der erst vor einem halben Jahre vom
Generalstab gelommen war; der ge
langweilt dreinschauende Hauptmann
Dietrich. der schon seit zehn Jahren
seine Kompagnie sisihrte und in dem
Rufe stand, die Kunst zu verstehen,
seine Untergebenen todt zu langweilen;
da waren die Oberleutnants und
Leutnants, frische, schneidige Gestal
ten, denen man die Lust an ihrem Be
rufe ansah. Die einen blickten wohl
schon etwas blasirt und spöttisch
drein, so der melancholische Oberleut
nant, der schon seit mehreren Jahren
aus den zweiten Stern wartete. Die
sem und jenem sprühte auch wohl der
jugendliche Leichtsinn aus den blauen
Augen.
Zuletzt erschien der Oberstleutnant
und Bataillonskommandeur, eine
schlank-kräftige, sehnige Soldatenqe
stalt mit einem kühnen Gesichte, dessen
martialischek Ausdruck noch durch den
starken, nach oben gestutzten röthlichen
Schnurrbart gehoben wurde. Jn dem
rechten Auge trug Oberstleutnant von
Girnberg ein Monolle, und man sagte,
daß er dieses Mouolle selbst in Ten
hitzigsten Gefechten des Krieges nicht
habe fallen lassen. Seine Brust
schmückten mehrere Orden und das
einfache eiserne Kreuz erster Klasse,
welches er trug, bewies, daß seine Ta
pserleit auch von dem obersten Kriegs
herrn anerkannt worden war.
Jhn begleitete Leutnani von Fuchs,
sein Adjutant, dessen ernste Wichtig
leit heute noch durch einige Alten ver
größert wurde, die er unter dem Arme
trug.
. «. - « -k s go
Der alleslc Dllllplmcmn meine-te uic
vollzählige Anwesenheit der Lsfsixiere;
Harald meldete sich von seinem Kom
mando zurück. Der Oherstleutnant
reichte ihm die Hand.
»New mich, Sie wieier beim Ba
taillon zu sehen, Leutnant von Hei-—
neck,'« sagte der Kommandeur und
Hakald trat in die Reihe der Ossizietet
zurück
Der Oberstleutnant richtete sich et
was empor.
»Meine Heeren«, begann er, »eg ist
keine angenehme Angelegenheit, welche
mich bewogen hat, Sie schon zu so
seither Stunde hier zu versammeln.
Aber die Angelegenheit leidet teinen
Aufschub, und ich wünscht. daß die
Herren Kompagniechess schon bei dem
Mittagsappell ihrer Kompagnien die
ersten Nachforschungen in Bezug aus
diese Angelegenheit, wenn auch ganz
unter der Hand, anstellen können. Sie
alle wissen, daß in der letzten Zeit
mehrfache Desertionen in dem Ba
taillon vorgekommen sind. Namentlich
die erste Kompagnie des Hurenhaus-t
mannö von Faltenhagen ist davon be
troffen. Jch mache Ihnen keinen Vot
wuks, Here Hauptmann«, fügte er bet,
alZ er sah, daß das Gesicht des haupt
manns ein-e dunkelrothe Färbung an
nahm, »ich toustatiee nur die That
sache: Ich weiß, daß die Desetteuee un
zuveelässige Soldaten waren, die uns
aus fremden Bezirken überwiesen win
den. Unser Etsch aus der thiitingis
schen Seimath ist gut und zuverlässig
und ich glaube nicht. daß er zur Ve
»seetion geneigt if- sbee der lette Zas
muß uns doch auch diesem Ersas ge
gen-Eber mißtmiflj machen. denn ei
band-it sich dabei um einen jungen thü
xtngiseben vSoldat-oh seinem Dei-us
TM MIN, der stMia bei dem
Q« «Wife. Ist-Mann
war allerdings etwas leichtsinnig, aber
doch ein guter Soldat. Wenn ein
solcher Mann desertirt, muß ein be
sonderer Grund vorliegen-oder er hat
sich durch einen schlauen Verführer
überreden lassen, dessen Bersprechuns
gen er leichtsinnig Glauben scheue-e
Num meine Herren, ich bin der Mei
nung, daß der letztere Fall vorliegt.
Ja, ich bin der Ueberzeugung, daß
diesen Desertionen, die übrigens nicht
nur bei uns vorkommen. ein System
zu Grunde liegt, ich will sagen, daß
ein Komplott gewissenloser Leute be
steht, welche die unersahrenen Leute
zur Desertion verleiten. Eine Bestäti
gung dieser meiner Ansicht habe ich
durch ein Schreiben des Generaltom
mandos erhalten, welches sich mit der
Siatthalterschast in Verbindung ge
setzt hat. Man glaubt einer Verschwö
rung aus der Spur zu sein, welche be
zweckt, möglichst viele deutsche Sold
ten zur Desertion zu verleiten und
liber die Grenze zu schaffen. Die Spu
ren dieser Verschwörung, an deren
Spitze. ein sanatischer Feind des
Deutsch-thum«s stehen soll, sühren aus
unsere Gegend, und ich möchte Sie,
meine Herren, ersuchen, auf jedes ver
dächtige Anzeichen ein wachsarneö Auge
zu haben. Die Soldaten sind vor dem
Verkehr mit unbekannten Personen zu
warnen. Der Aufenthalt solcher Per
sonen in den Kasernen oder den sonsti
gen militärischen Etablissements ist
strengsten-Z zu untersagen. Die Un
terossiziere sollen den Verkehr der
Leute tontrolliren, namentlich an den
Feiertagen, an denen die Soldaten es
lieben, die umliegenden Ortschasten zu
besuchen. Solche Lotale, in denen
deutschseindliche Elemente verkehren,
sind zu meiden. Kurz, es ist eine
treuge Kontrolle zu üben, um diesem
geheimnißdollen Treiben aus die Spur
zu kommen. Die Gendarmerie und
Polizei ist ebenfalls unterrichtet und
handelt mit uns gemeinsam. Von je
dem verdiichtigen Anzeichen ist mir so
fort Meldung zu machen. Andere
Maßnahmen behalte ich mir noch vor.
Jch brauche wohl kaum hinzuzufügen,
daß diese Angelegenheit mit der
strengsten Dietretion zu behandeln ist.
Die Herren Leutnants sind entlas
sen und können zu dem Kompagnie
Dienst zurückkehren Herr Leutnant
von heineck, Sie habe ich der ersten
Kompagnie des Herrn Hauptmanng
von Faltenhagen zugethrilt.
Die Herren Hauptleute bitte ich noch,
hier zu bleiben; ich babe noch einiges
mit ihnen zu besprechen.«
Die Leutnants entfernten sich.
»Da bast Du Lja ein schönes Loos
gezogen, Harald"", sagte Lulu lachend,
als sie der Aaserne zuschritten »Fal
lenbagen ersreut sich des Rufes eines
Menschenauälers«.
»Es wird so arg nicht sein. Wenn
man seine Pflicht thut, tann einem
nichts geschehen«.
»Das denkst Du in Deinem jugend
lichen Leichtsinn. Ich habe ein halbes
Jabr bei der Kompagnie gestanden
und glaube doch auch meinen Dienst
zu verstehen, aber toenn es Fuchs nicht
fertig gebracht hätte, daß der Major
mich zu einer anderen Kompagnie ver
setzte, ich glaube, es hätte ein Unglück
gegeben oder ich wäre auch über die
Grenze gegangen«.
Sprich nicht so, Lulu. Das ist
Deiner nicht würdig«.
»Na ja, es war ja nur Scherz. Aber
beneiden thu ich Dich nicht, armer
Kerl . · . Doch, um eines beneide ich
Dich! Der Kompagnie-Platz der ersten
Kompagnie stößt an den großen Gar
ten hinter dem Haufe des Monsieur
Hauviller. Da steht man öfters Mode
moiselle Henriette und Julie im Gar
ten spazieren und bietet Anblick ist ge
eignet, jede schlechte Laune zu vertrei
ben und-den langweitigen Dienst zu
beriiirzen«.
»Du bist unverbesserlich, Lulu",
lachte Harald
Die beiden Freunde schüttelten sich
die Hände und trennten sich harald
begab sich nach dei «Stadt Straß
bourg« , um seinen Meldeanzug mit
der DienstunisorF zu vertauschen.
Als er seinen oet auszog, siel das
kleine Veilchenbouauet zur Erde, wel
ches er während der Versammlung un
ter die Unifornt geschoben hatte
Mit einein Male stand ibm das Bild
der lieblichen henriette wieder vor Au
W!
Er hob den kleinen Strauß aus und
stellte ihn sorgsam in ein Glas Wasser
aus dem Fensterbreti.
Das kleine Abenteuer beschäftigte
ihn mehr, als er sich selbst gestehen
wollte. Der Dust der Veilchen schien
das ganze Zimmer zu erfüllen; und
sster ertappte sich Harald dabei, wie er
an das Fenster eilte, sich über das
Veilchenbouquet beugte und dann einen
suchenden Blick über den Platz wars,
als könne er die liebliche Erscheinung
Henrietteö wieder erspähen.
Aber nur die Bauern und Marti
weiber, welche ihre Körbe und Wagen
hackten, erfüllten jetzt den Platz.
Seufzend wandte sich Harald ab und
vertieite sich in das Order-Buch, wel
ches Friedrich aus den Tisch gelegt
hatte. Da stand allerdings nichts von
Liebe drin, nur Dienst -—" Dienst und
abermals Dienst.
B. Kapitel.
LaTerre Noire.
Im Westen der« Stadt, der franzö
sischen Grenze zu, lag ein vielfach zer
lliistetes Waldierrain mit iies einge
schnittenen Schluchten und schrossen
Berglegeln, die alle von einem dichten.
mit Unterholz stark durchwuchsenen
Walde bedeckt waren. Zahlreiche kleine
Rinnsale machten die niedrig gelegenen
Theile dieser Gegend zu kaum passie
baren Siimpsen, die mit Röhrig, Dor
nengesiriirp und Schlingpslanzen über
wuchert waren nnd zum Schlupfwinlel
von allerlei Raubzeug, ja selbsi von
Wölfen, die von den Ardennen heriiher
wechselien, dienten. La ierre .noire·
das schwarze Land, hieß diese Sumpf
gegend, welche in früheren Zeiten der
Zusluchisort von Wilddieben und Ver
brechern gewesen war.
An diese unwirthliche Gegend schloß
sich jedoch ein fruchibares Wiesenland,
das allerdings im Frühjahr den Ueber
fcknvernmungen ausgefeyt war. Diese
Wiesen gehörten dem reichen Grund
hesitzer Monsieur Eliarles henri Hau
viller in Lützelburg und hießen ihrer
inselartigen Lage nach Jsle Hauviller.
Am Rande des Gehölzes lag ein klei
nes Gehösi, die Ferine Terre noire.
welches jetzt jedoch nicht mehr bewohnt
wurde, so daß die Smllungen und auch
das Wohngehäude zum Theil in
Trümmer zerfallen waren.
«
US Mupsltll sich finster- Vagkn un
diesen unheimlich-en Ort. Eine Räu
berbande sollte früher hier gehaust ha
ben; Ermordungen harmloser Wande
rer oder der das Revier durchstreifen
den Forstbeamten waren mehrfach vor
gekommen, und in dem tetzten Kriege
war hier der Mittelpunkt einer Bande
Franctireurs gewesen, welche im
Rücken des deutschen Leeres manchen
Schaden angerichtet hatten, bis sie in
einem blutigen Gefecht aufgerieben
wurden.
Bei der Ferme Terre noire befand
sich ein Grabhügel mit einem verwit
terten Kreuz, unter dem die Opfer die
ses blutigen Kampfes ruhten
Außer den Förftern und Waldm-"
heitern tam selten jemand in diese öde
und verrufene Gegend. Um so mehr
mußte es anffallen, daß an dem stür
rnischen, regnerischen Tage, an dem ein
Wetter herrschte, bei dem man. wie
man zu sagen pflegt. teinen Hund vor
die Thiir jagt, drei Männer aus dein
schmalen, durch der- Sumpf sich wins
denden Fußpfade sich der Ferrne nä
herten und in dem halb verfallenen;
Wvbnhause verschwanden. ;
Die Männer waren in die landes- ;
üblichen Lodenrnäntel gehüllt, die nurj
aus einem runden Stück Laden bestan- I
den, mit einer Kapuze, welche über den
Kopf gezogen wurde. Aus diese Weise
wurde nicht nur die Gestalt, sondern
auch das Gesicht des Trägers eines
solchen Mantels verhüllt, so daß er;
nur in nächster Nähe zu ertennen«tvar. «
Ehe die Männer in das einsames
Geböft eintraten, sahen sie sich vor-«l
sichtig um. Aber öde und verlassens
leg die Gegend da. Ueber dent Ge
birge, dessen höchsten Puntt die Rut
nen der mittelatterlichen »Dachsburg«
tränken, auollten in phantastiichen
Formen die grauschwarzen Regenwet
ten empor, wurden von dem stürmt
ichen Westwind gefaßt und über den
Himmelevlan gejagt, wie eine Heerde
teilt-er Rasse von der Geißel ihrer
Hirten. Weiße Nebel stiegen aus den
Schluchten und Thälern empor, reich
ten sich mit den jagend en Walten de
1
Hände und überschütteten Wald und
Feld mit talten Regenschauern
Alles tropste vor Nässe. eder
Baum, jeder Strauch, jedes latt,
jeder Grashalm.
Jn der Küche des verfallenen Haus
seg, auf deren rusz eschwärztem Herde
ein schwaches Holzfeuer glimrnte, saß
ein Mann in feinen Mantel eäiillh
die turze Pfeife zwischen den Fä nen,
in der Hand einen derben Knotenstock,
und stierte mit finsteren Augen in vie
tchtvach brennende Glutb des Feuers.
Die rauhe Kleidung, welche derl
Mann trug, vermochte jedoch nicht biet
Eetenntniß zu verwischen, daß man
es mit einein Angehörigen der egbtls
deten Stände zu thun atte. Sein
blasses vornehme-J Geicht, dessen
Wangen und Kinn von einein kurz
gehaltenen Spigbart umgeben war,
zeigte jenen durchgeistigten Ausdruck
der nur Leuten mit wissenschaftlichen
Bildung eigen ist. Seine Hände wa
ren schmal und sein, seine Füße steck
ten in derben, aber elegant gearbeite
ten Schnürschuhen.
Das Haar an seinen Schläsen wars
ergraut, ebenso der Bart, während die s
starken Augenbrauen noch eine dunklel
Färbung zeigten. Zwischen ihnen
rub sich eine tiese Falte ein, wodurch !
fein Gesicht einen insteren Ausdruck!
erhielt, der noch durch den scharfen!
Zug um Nase und Mund erhöht
wurde. . « ;
Zu seinen iißen lag ein arlerH
brauner Jagd und, der jeyt au merk-;
sam den Kopf erhob und ein leises;
Knarren ausstieß. (
»Still!« besahl der Mann« der sich
der sran ösischen Sprache bediente.
Mennst u unsere Freunde nichts« ;
Jn tiiesern Augenblicke ließen sichs
draußen schwere, tnirschende Schrittetl
hören und died rei Männer welchej
vorhin den Bruch dutchqueri hatten,;
traten ein« (
Der Gegensatz5 zwischen ihnen unds
dein Mann an k euer trat sofort her-?
vor-z Während dieser den gebildetenl
Stein-den angehörte. waren jene An
ehörige der arbeitenden Kla en:l
aldarbeiter oder Köhler. hrel
derben Gestalten, ihre rauhen, sasil
i
rpil n Gesichten ihre schwieli n
Hin und ihre einsache. abgetraagre
i
teidut1g, die oftmals geflickt war,
zeigten es znr Genüge an.
»Komm Jhr endlich?« fragte der
Herr am Feuer mürrisch. »Ich «er-.
warte Euch seit einer Stank-U
.Der Weg i weit und schlecht bei
dem Wetter, onsieur«...
Der Sprecher, ein alter genaht-ari
ger Waldarbeiter, wollte scheinbar
einen Namen nennen. Doch auf ei
nen awrnenden, finsteren Blick des
Herrn schwie er, wie erschreckt, still.
»Na, einer ei«, ent egnete der herr,
»Ihr seid fest da. as hast Du mit
niitzutheilem Gaögard?«
»Nicht viel und doch sehr Wichti
aes, Herr,« antwortete der alte Wald- E
arbeitet. »Ich war neulich mit eine-r
Fuhte Holzlohlen in Zabern auf»
dem Marlte, der finde Simon auf-:
Mauersmiinster lau te sie mir ab undi
erzählte mir dabei, daß die Polizei;
einer Verfchwörung auf der Spur!
sei, welche den Zweck habe, deutsche
Deferteure über die Grenze zu brin
cen.'«
!
Woher wußte- das der Jude?«
»Er wollte rnir nicht sagen, Mon
sieur Jch wollte auch nicht weiter
fragen, um teinen Verdacht zu erwe
elen, nahm mir aber vor, es Monsieur
zu erzählen«
»Du hast recht daran ethan. —
Habt Jbr den letzten Bur chen glück
lich iiber die Grenze gebrachte«
»Ja, Herr, hier Jean und Philipp
Ehaben ihn nach Brunville bugfirt.
’«tDa ist er dem Komite iiberqeben wor
en
»Gut fo» . biet ist Euer Lohn» «
Er zählte bei diesen Worten fiinf
Ztoanziafranlenstiicle auf den Rand
des Herdes, welche die beiden Arbei
ter chmunzelnd einsteckten.
» br könnt ietzt gehen«, fagte der
Herr. »Mit Gasgard habe ich noch
zu fprechen.« »Nun, Gasgard, setzt
Euch«, fiiqte er hinzu.
Ja, Herr« entgegnete der alte«
Könler und setzte sich auf die Bank
neben dem Herd e
Der Herr zündete fich seine Pfeife
von neuem-an und reichte den leder
nen Tabatsbeutel dem Alten, der mit
einem ,,Merci Monsieur« seine Pfeife
ebenfalls stopfte und in Brand setzte.
sFortseyung solgt.)
Aus Großvaters Dem-.
Das Haus der Großeltern in Köln
stand nur wenige Schritte vom alten
großen Dom entfernt, der zu jener
Zeit, von welcher ich erzählen will,
noch nicht feine herrliche Gestalt in
Vollendung zeigte. Nur der Chor
wuchs in feinen reinen, schönen Linien
aus dem Meer kleiner und größerer
häuschen und Häuser beraus, und
wunderlich ragte damals der Dom
lran, als Wahrzeichen der Stadt, in
die blaue Luft. Für uns Kinder, die
wir in Berlin aufwuchsen, tam ein
Besuch bei den Großeltern im alten
Hause am Jiilichsplatz lioohlriechenden
Angedenkens) einer Reise ins Mär
chenland gleich. Und wir staunten
jemals von neuem, wenn wir die
prächtige Stadt mit ibren mächtigen
Türmen und zierlichen Türmchen
über dem breiten Strom auftauchen
sahen, zu dessen majeftötischem Rau
schen der Glockenhall so gut passen
will. der uns feierlich grüßte.
Mit unserem schwismerisch gelieb
ten jugendlichenOnlel Franz kletterten
wir, gefolgt von »Spitz" und feinem
Sohn »Kind«, den beiden Haut-hun
den, in« Keller- und Bodenräumen des
Großvaterbaufes umher, nnd es gru
selte uns gehörig, denn es gab auch
köstliche Spukgeschichten im alten
Haufe, und ritten auf dem gefchninten
Treppengeliinder, oder gingen mit
«Tant Settchen«, Mutters jüngster
Schwester, in die schöne Vorwis
stube, wo bunte Kachelverzierungen
aus duntler Eichenbolzoerkleidung
blickten, und wu ein ganz eigenartiger
,—.
Bust herrschte, ver Den tmtveren, gro- "
sten, metallverzierten Leinenschränlen
entströmte und sich mit dein seinen
Apfelgeruch mischte, der ans der an
stoßenden Obsttamtner herüberdrang
Am schönsten tvar es aber in den
Zimmern der Großmutter, die damals
schon lange verwitwet war, aber stets
gern von des Großvaters Lebzeiten er
zählte. Jn der »Putzstube« wurden die
grauen Leinenbezitge nur selten von
den hellroten Damastpolstern genom
men, und auf dem Mahagonischränt
chen stand unter schießenden Glasglots
ten ein Alttneißener Schäferpaar und
eine prächtig vergoldete Stutzubr. An
den Wänden aber, die nicht mit Ta
pete, sondern mit «richtiger Seide« be
kleidet waren. hingen Oelbilder derFa
milientnitglieder in ernster Wär-de und
steifer Anmut. Großvater in präch
tiger Bürgerwehruniform, seine
Schwester, die Großtante Bart-them
deren Bräutigam als Missionar von
einem vergifteten asritanischen Pfeil
getötet worden, in Nonnentracht, vor
allem aber der Urgroßvater in stan
zöstscher Oberstenuniforrn, von dem es
hieß, daß er der schönste Mann in der
ganzen Stadt gewesen sei. So hatte
r es denn auch gewagt, trotzdem er
nichts besaß als seinen Degen und
sein blantes Wappenschild, um«-das
einzige Kind ittst dieses Kölner Ge
schlechterhauseö zu werben, wo er mit
eint en Generalen des kleinen großen
Katfers einquartiert war. Aber der
Vater seiner Erwählten wollte von
der Betrat nichts wissen. Denn es
war sene böse Zeit, in welcher nichts
feststand, weder Thron noch Altare,
noch des einzelnen schwer erworbener
Beng, und vte Sonne. dte am ersten
Morgen jenes ernsten Jahres blutrot
ausging, war vte von Jena und Uner
ssiavn um so fester schroß sich vie an
)eingefessene Bürgerschaft der großen
sfreien Städte aneinander und wehrte
Edern Eindringen fremder Elemente.
fund so beyqekte dee Ahnhekk bei ser
»nem «Nein«, und als das Töchterletn
igar nicht abließ mit Bitten und Strei
cheln und nach ihrer Mutter Ansicht
säar blaß und fchrnal wurde und der
’ rgroßvater im ftiirrnifchen Werden
nicht no ließ, wies der alte, eisen
töpfige aufherr auf das steinerne
Wappen über der Tür feines hau
feö, durch die fchon vier Generationen
geschritten. Er gab feinen Segen un
ter der Bedingung, daß der Urgroß
vater, der als Bayer in französischen
Diensten stand, die fremde Uniform
auszöge, Degen und Adelsbtief sorg
farn dazu packe und in den Rheinftroni
perfeniywo er am Tiefsten fei, unt
eorean die Wage des oeoiner erqui
manns in die Dand zu nehmen. Da
ist der Urgroßvater zuerst in schwei
gendem Zorn von dannen geritten, am
Rhein entlang aus Koblenz zu. Aber
je weiter er ritt, desto langsamer
gan die Reise· Denn neben der Sehn
sucht, die ihn nach den Mauern der
alten »heiligen Stadt« zuruckzog,
sprach noch etwas anderes laut in see
nem Herzen: die mit aller Macht wie
der ausgewachte Liebe zum deutschen
Vaterlande, zu deutschem Wort, deut
schem Sinn und Wesen. Und nn
schlanlen Trab ritt er wieder nach
Köln zurück. Die Familienchronil
meldet, daß der stattliche Soldat den
Abschied erbeten, das sanfte Ehojoch
ergeben aus den stolzen Nacken genom
men und daß sich alles zum Besten
gesiigt habe.
Neben dem Bilde der Gro eltern,
aber, das den Großvater im p unten
den Bürgerwehr-'und Wassenschmuck
zeigte, hing ein anderes, das uns vor
allem gestel, und das deutlich Kunde
gab vom Wechsel der Zeiten und
Dinge. Es war eine seine Kreide
zeichnung in schmalem goldenem
Rahmen und stellte einen prächtigen
Mönnerlops dar. Und darunter stand
in entschiedenen Schriftziigem »Und
gleich den Sternen lenlet Gott deinen
Weg durch Nacht! Gottfried Makel-«
Dieses Bild aber hing zusammen mit
einem interessanten Ereignis-, das sich
im alten Hause folgendermaßen zuge
tragen hatte: Als unser oben er
wähnter Onlel Franz noch ein klei
ner Knabe war, hatte er seinen Va
ter aus Schritt und Tritt begleitet
und es aufs schmerzlichste empfunden,
als ihm das plötzlich nicht mehr ar
statiet wurde. Denn es lamen häufig
in der Abendstunde fremde Herren
zum Großvater, die dann in seinem
Arbeitszimmer bei einein Glas Wein
uni« einem meisz lange in ernstem
Gespräch verweilten. Die Großmutter
setzte sich an solchen Abenden mit den
Kindern in die abgelegene Wohnstube,
nahm sie zu sich aus den Fenstertritt
und hieß sie mit nachdenklichem Gesicht
und sorgenvollen Augen stille sein
und zu niemand von den Gästen spre
chen. Das Gebot wollte Onlel Franz,
der Jüngste, gern besolgen, nur selber
etwas mehr zu wissen hätte er ge
wünscht. So schlich er denn Nachts
wieder aus seinem Kämmerchen und
bemiihte sich, etwas zu erlauschen;
denn der Besuch dauerte ost bis zu
später Stunde.
Endlich wurde sein Mühen getrotzt
Da war spat Abends ein fremder,
großer Mann, von einem der altbe
tannten Gäste geleitet, erschienen, den
der Großvater gleich in das Fremden
zimmer geführt und ihn dabei aebeten
hatte, zu ruhen, damit er für die
Nacht ein wenia aestiirkt sei. An jenem
Abend aab es viel Heimlichleiten im
Hause, nnd die allezeit tapfere und
lustige Großmutter weinte und
schlang ihrem hochgewachsenen Gat
ten die Arme um den Hals und
schluchzter »Du darfst es nicht tun,
Franz, ich stürbe, wenn dir etwas ge
schähe! Denke an mich und die Kin
der und tue es nit.« Und der Groß
vater hatte ihr beide Hände auf die
Schultern gelegt, ihr fest in die Augen
aekehen und gesaat: »Ich leg’ es in
deine Hand, Nettchen. Willst du
wirtlich, daß ich hier bleibe?'« Da
hatte die Gefragte den blonden Kopf
fest an die Brust ihres Gatten gedrückt
und noch ein paar Minuten leise ge
schluchzt, bis sie endlich toum hörbar
gefliistert hatte: »Gott möge euch gelei
ten!« tlnd dann hatte sie lange aus den
Knien gelegen, das Antlitz in die ge
falteten hände gedrückt, um dann wie
der rubig und gefaßt an ihr Tagewerk
zu gehen. Und als es Nacht wurde
und tiefes Dunkel die Gassen einhüll
te, hatte der Großvater mit dem
Fremden, der von ähnlicher Statut
war wie er selbst und dein er seinen
eignen Mantel und Hut gegeben, das
Haus verlassen und war bei einer An
verwandten in Diisseldorf geblieben,
wie die Großmutter den Kindern auf
ihre beständigen Fragen zur Antwort
gab, bis er eines Tages ernsten, fast
seterlichen Gesichts heimkehrte und zur
Großmutter sagte: »Nun ist er, so
Gott will, in Londont«
An jenem Tage —- es war tm Ro
vember 1850 —- brachten die ituns
gen die Nachricht, daß Gottfrie Kin
lel durch Karl Schutz aus der haft in
Syandau befreit und mit ihm auf der
Flucht begriffen sei. Ein Jahr später
erhielt der Großvater zum Andenken
die ichnung, welche fortan das
Staa szimmer schmückte.
Zeit danke. oimmer- rnehr wird
Deuts land das andderDtchter und
Denkt-litten « »
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