Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 01, 1906, Sweiter Theil., Image 12

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    All-rechnung.
·(Ekne Schulstizze von C a r!
B u f f e.)
Die Betsehnnqzarbeiten wurden
« nriickseegeben Mäuschenftill saßen
e O rtertianer da. Fritz war über
haupt immer still, wenn Dr. Freey
unterrichtete. »Im Dank-umdrehen
wurde er mit der gesiikchtetsten Klasse
fertig.
Nachlässig, die langen Beine über
einandergeschlagen, saß er auf ddern
Katheber. Eine schmächtige, hoch auf
eschossene Gestalt. Das hellblonbe
gaar war sehr gepflegt; das Bärtchen
dünn aber lang gezogen, gleichfalls-.
Er gab überhaupt viel auf sein Aca
ere5. Seine Anzüge mußten tadellos
sen; er ließ sie zum Kummer der
ottsansässiaen Schneider in der Pro
vinzhauptsiadt arbeiten. Seine Kra
tvatten waren acscbmackvoll und vor
trefflich gebunden; die Fingernägel
sorgsam palirt und gefeilt. Wenn er
neben einem Schüler stand. ließ er sie
bei leicht gebogener Hand gern lose auf
der schwarzen stampfen Platte der
Bank aufliegen: ihr heller Glanz hob
sich dann schön ab.
Er war einer von den tungsien Leh
rern der Anstalt. Bei den Kollegen
Hirn er nicht sehr beliebt zu sein. aber
hatten Respekt vor ihm, weil er
leichsam spielend mit der schwierig
sen Klasse, der Obertertia, fertig
ward. Die Schüler fürchteten ihn.
Selbst diejenigen, die er bevorzugte, —
die Söhne adliger Besitzer oder reicher
städtischer Familien —- hatten ein ge
heimes Mißtrauen gegen ihn. Er war
sehr jähzornig; eine unheimliche Wuth
konnte ihn plötzlich packen. Und wehe
dem, der daqueranlasfung gegeben
hatte. Die üblichen Schulsirafen exi
stirten dann nicht mehr für ihn. Er
hatte sichs eine Reihe eigener grausamer
und drückender Strafen erdacht. Selbst
die liederlich-stets Burschen lernten des
halb eifrig für seine Stunden. Jn
den Jahren, die er am Gyrnnasiu zu
brachte, hatte der Direktor immer est
stellen müssen, daß die von Dr. Freetz
geleitete Klasse am besten abschnitt.
Jegt. auf dem Katheder, nahm er
ein Heft nach dem anderen vor. Flüch
tig fertigte er die guten Arbeiten ab.
Lob kannte er nicht. Aber die Schüler
waren schon froh, wenn er nicht an
seine »Fliege« griff und lächelte.
Die »Fliege", ein paar blonde Här
chen unter der blassen Unterlippe,
zupfte er stets, wenn er witzig wurde·
Und er liebte es, Witze zu machen. Sie
prasselten nur so auf das Haupt des
Opferlammes nieder. Nur in diesem
Falle durfte die Klasse laut sein. Je
heller das Gelächter, um so besser, der
Schuldige mußte sich darunter winden.
Die Klassenarbeiten waren leidlich
gut ausgefallen. Auch das vorletzte
heft war zurückgegeben ,
Da richtete sich Dr. Freetz aus sei
ner nachliissiaen Haltung auf
«Bisher«, sagte er und drückte den
Kneifer fester, ,,war alles noch mensch
lich. wenn man weitherzig urtheilt.
hier aber habe ich eine Arbeit, das ist
die eines Hornviehs.«
. Er sah sich um·
»Fürster!« Das war der Vrimus.
Eilfertig erhob er sich.
»Wie heißt das Hornvieh?«
Der Junge ward roth, schielte zur
Seite. Er wußte wohl, wen der Leh
rer meinte. Aber Scham und Scheu
band ihm die Zunge.
Doch mit dem kurzen scharfen At
zent wurde die Frage wiederholt. Das !
hieß: antworte, oder es geht Dir ;
schlecht! l
»Rmurto, sagte der Primus. s
»Richtig. Was ist das Hornvieh?«
»Ein . . . Thier·«
«Schafstops! Ein nützliches Thier
isi es, ein ganz unentbehrliches Und»
wohin gehört es?« H
»Ja den Stall.« ’
»Ausgezeichnet· Jn den Stall, und -
nicht in . . .« ,
Klatschend schlug er mit dem Hefti
aufs Katheden »Und nicht in eins
preußisches Ghmnasiurnl —- Zmurlo!« ;
Jn der Bank, die der Thür am
nächsten stand, erhob sich ein Junge«
Er stach seltsam von den anderen ab. »
Schwersällia und breitschultrig standi
er da, massig und häuerisch. Er hatte ;
den ein wenig schädigen Anzug, den er ;
trug, ausgewaschem Er war ihm ins
den Schultern viel zu eng gewordenJ
Ein tiefes Athinen der träftigenBrust,
meinte man, müßte genügen, um die
Nähte zum Krachen und Platzen zu
bringen. Aus den zu kurzen Aerrneln
ahen große, grobe Hände —- der»
unge wußte nie recht, wohin er damit !
ollte. Nur wenn es etwas recht
Schweres anzusassen aali, waren diese
breiten ungelenten Tatzen gerade recht.
Das Gesicht war roth, ,sominersprvs
sig. Ueber der niedrigen polnischen
Stirn stand struppiges, brandrothes
haar.
Hast Du verstanden, Meister Unge
«sehlacht?« sagte Dr. Freetz »Du hast
et nun auch von Deinen Mitschülern
gehen-L daß Du als Hornvieh in den
Stall sollst. Deine Arbeit ist ein
Me- anf allen Unterricht: Deine Ar
- is eine Niederträchtiateitx Deine
- Arbeit iß eine Schmach für die ganze
»Mir-et
« tr nnd heiland, merkst Du denn
" , dass Du nicht hierher gehörst?«
» M blase, sonst blutleere Gesicht
Mr roth geworden. Die Muth packte
" Lehrer. Dieser Bengel verdarb
»Mei, driickte das Niveau der Lei- J
f · ganz sürelstertich I
»Das ist Dein Vatert«
M
si- Zsinrtp hab aleichmiithig
»qukvwikih.« « f
»So tarr’ doch Mist wie er«, schrie z
der Ordinarius, »anstatt mit diesem
Brett vor dem Schädel hier zu sitzen.
Jch bin doch kein Dresseurl Worauf
warteft Du denn? Auf das Einjiilk
eige? So wahr ich Freeh heiß’ —- nie
kriegst Du das! Bank Dir Tag und
Nacht in Deinen Buffelfchädel ein: ich’
irill abgehen!« .
d Er lief auf und ab vor dem Rathe-— f
er. I
»Alles will heut· ftudireii. Jede !
Pferdetnecht, jeder Schufterjungel
Für keinen Sechfer Grips —— aver
GninnafiumL Reinen ordentlichen
Rock auf dein Leibe —- aber Grimm
siunil Reinen Satz richtiges Deutsch
—- ,aber Gninnafiuan ch fag’ Dir,(
Rothlopp, Du foqu mich tcnnen ler
nen! Ein ganzes Jahr lang hats ich
mich gequält mit Dir, ein anderer
hätt' lich schon todtgefchämi, aver Du
Büffelfchädel —
Da, Dein Heft! Und warte ’inal
das Zeugniß av, Söhnchen meinige5!«
Er schleuderte ihm das Heft vor die
Füße, das Loschblatt flog Heraus, dies
Seiten legten sich um«
Valentin Zinurto hob das Oeffnqu
und legte es ruhig unter lsie want. f
Die Gewitteciiiminung hielt auch!
für den Reft der Stunde an. Niemand l
wagte laut zu citynim f
In der Pcufe fagte der Primuå:j
»Du, Zmurtrz ich tonnt' nicht anders. (
spuh weißt fchon, das mit dem Horn-i
vie .«
»Schon gutt, schon gutt,« erwiderte
der Rorhhaarige mit seinem polnischen
Accent. »Es ist nicht so sarr schlimm,
weil es erzwungen war." «
Auch sur die eachiiler war der start
tnochige Bursche ein Ratt-sel. Man
wußte, er war der Sohn eines armen
Nosfatem Er hatte sraglos teinen
Kon zum Lernen. Er sprach kaum
richtig deutsch· Er war irrer siedzetn
Jahre att, während das Durch
schnittsalter der Klasse 14 bis 15
Jahre war. Er kam nie vorwärts.
Warum besuchte er die Anstalt noch?
Dabei war er gern gesenen, wenn
auch taum jemand mit ihm verkehrte.
Er war gutmüthig, mißvrauchte seine
Kraft nie, half immer mit Federn
aus« und war durch sein ruhiges Be
nehmen jedem noch extra angenehm
Man wußte auch, daß er zu Hause
fleißig war. -
Nicht lange darauf fanden in der
Aula die Feierlichteiten zum Abschluß
des Schulxahres statt. Die Versetzun
gen wurden verlesen. Valentin smurto
war sitzen geblieoen Es wunderte
teinen—ihn selbst auch nicht.
Aug der Aula gingen die Schiller
in ihre Klassen zuriia. Dort sollten
ihnen die Zeugnisse ausgehandige
werden. Dr. Freetz erschien mit demf
ganzen Stoß. Weil die Ferien b.
gannen, war er vortrefflicher Laune.
Er würzte jedes Blatt roch mit ein«
Paar Bemerkungen, ehe er es demi
betreffenden Schüler übergab. T
Valentin Zmurto war nach dern
Alphabet der Letzte
»Nun, Freundchen meiniges —- da
ist die Quittung. Wenn Du zu den
Kühen nach Hause kommst, tannstDu
sie zeigen. Und dem Vater Deiniges
bestell nur, er möcht’ das Hornoieh
gleich dabei-alten anstatt eS uns zu
schicken."
Der Junge faltete das Zeugnisz
ruhig zusammen, ohne einen Blick da
raus zu werfen, und steckte es in die
Tasche. Das ärgerte den Le rer.
Aber er griff nach dem Hut, rie der
Klasse noch das übliche »Vergniigte
Feiertage« zu und wollt’ zur That
hinaus
Mit einem Male war Valentin
Zmurto ausgestanden.
»Den Doltor,« sagte er, »ehe Sie
fortgehen, möchte ich noch bitten.«
Er machte eine ungeschickte Hand
bewegung, die so viel heißen sollte
wie: Bleiben Sie noch gefölligst!
Die Klage war schon im Ausbruch
be rissen. rst als Dr.Freetz sprach-.
» ianu, was willst Du denn nachst«
ward sie aufmerksam.
Und der Schüler, in« seiner schwer
fcilligen Sprechart, erwiderte langsam,
ruhig, aber in einer hartnäckigen Be
stimmtheit:
»Ich will Jhnen vorlesen, was ich
mir in diesem Heft notirt hab'. Da
steht. wie Sie mich von Michaeli ab
geschjmpft haben.
Plö lich wurde es ganz still
Fa ungslos trat der Ordinarius
einen Schritt zurück. Er brachte lei
nen Ton heraus Man hörte nicht-s
—nur einmal das Kniiiern eines
Zeugnisses.
Und wieder die schwerfällige
Stimme mit dem fremden Many
«hornvieh oder Rindoieh haben
Sie, Herr Doktor, vierunddreißig
Mal gesagt. Weil fix-rothes Haar
hab’, haben Sie, Herr oiior vierzig
Mal mich gehöirni Weil -———-«
»Zmuria!« schrie der Lehrer. »Bist
Du verrücki?«
«Jch bin nicht verrückt. « Und hark
gägrg—:-. »weil ich leine neuen Bücher
a i f
»Schweig’!« ries Dr. Freetz geli.
,,Sonsi sollst Du was erle en —
Er war todtenblaß.
»Ich werde nicht schweigen. Sie,
Herr Dotier, haben ein ganzes
Juden und ich half nichts ge agt
un rede ich auch! «
»Das wird ja immer besser ———
JAäehorsanWs chrie der Ordinarius
nsch, ich schlag Dich halb todt!«
Und blanroth vor Wirth sprang er
auf ihn zu nnd hob die Han n.d
Aber Baientin Zwurio wich seinen
Schrift zutiick Er kam ni t aus fei
. ner Ruhe. Er hob nur gl chsalls eine
seiner groben Tosen
»Wenn Sie, Herzeszf Doktor, mich
hauen, werde ich auch hauen. Was ist
da weiter?«
Dr. Freetz hatte, als er die Bewe
gun sah, den Kneiser vom Gesicht
gieri en. Jn dem jetzt wieder todten
blassen, blutleeren Gesicht sah man
tiesroth die beiden Einschnitte der se
dernden Biigel des Klemmers.
»Wenn-nd rührt sich vom Fleck,«
ries er heiser. »Ich hole den Herrn
Direktor.«
Doch mit einem einzigen Schritt
war der Rothtops an derThijr, schloß
sie ab und steckte den Schlüssel in die
Tasche.
Wie gelähmt saßen die anderen
Schüler, Was da vor sich ging, saß
ten sie nicht. Stam, erschrockene Au
gen überall. Der Jüngste hatte ein
Gesicht wie eine Leiche. Der Unterkie
ser hing ihm schlaff herunter, als
hätte er nicht mehr die Kraft, den
Mund zu schließen.
Der Lehrer wandte sich. Langsarn
—- die hohe Gestalt schwankte etwas —
schritt er zum Katheder, faßte mit ei
ner Hand danach, drehte sich wieder
den Schülern zu. Alle Muskeln schie
nen sich an ihm zu spannen, aus der
Stirn waren die Adern emporgetrie
ben, die schmalen Lippen verschwanden
sast, so preßte er sie auseinander.
Mit unheimlicher Anstrengung
zwang er sich zur Ruhe.
»Das ist... Rebellion«, sprach er,
leise sast, mit trockner. spröder Stim
me. »Wie tommt der Schlüssel in’s
Schloß?«
Er allein stand. und vorn, in ders
Bank neben der Thür, Valentin
Zmurta. «
Der gab Antwort: »Gesiern war der
Arresttag. Sie, Herr Doktor, haben
uns eingeschlossen.«
«Ich werde öffnen, jedoch muß ich
dieses sagen. Sie, Herr Doktor, haben
mich ein Vieh genannt, weil ich einen
schlechteren Kopf habe wie andere. Ich
aber war serr sleißia. Sie haben mir
das Heft hingeworfen, als ob ich ein
Hund bin. Ich bin so wenig ein
Hund wie Sie. Sie denken. Sie tön
nen das thun, weil ein Schüler nicht
widersprechen dari.
Sie, Herr Doktor, haben geböhnt,
weil ich rothes Haar bab’. Jm Dorf
haben das die Kinder auch ge
than, aber der Lehrer im Dorf hat
ihnen gesagt, daß thun nur Ssaßew
jungen.
Sie haben mich verspottet, weil ich
einen schlechten Rock bab’, nnd nur die
altenI Bücher, die billiger sind, und
einen serr armen Vater.
Mein Vater spart das Geld für
mich jeden Tag. Denn der Lehrer im
Dorf hat. ihm gesagt, daß ich viel ler
nen soll, weil man dadurch guts wird.
Sie, Herr Doktor, haben viel ge
lernt, aber Sie sind nicht gut.
Sie verspotten die Armen und auch
ihre Eltern. Aber ich lass’ meinen
Vater nicht verspotten. Sie sind ein
serr schlechter Mensch. «
Das sage ich Ihnen vor allen Schü
lern. Denn Sie haben mich auch vor
allen gehöhnt und den Förster gezwun
gen, mich ein Vieh zu nennen, das in
den Stall gehört.
Und meinem Vater werd’ ich sagen,
das viele Lernen nützt nicht-S zum Gut
werden.
Und ich werdenicht wiederkommen.
sondern zu Hause bleiben. Denn im
Stalle ist es besser, als in Jhrer
Klasse.
Dasselbe denken die anderen auch,
aber sie haben Furcht vor Ihnen und
I sagen es nicht. «
, Sie haben gefragt, ob ich mich
s nicht schäme.
; Herr Doktor, wer hat sich zu schä
: men — Sie oder ich?«
J Zum erstenmal kam in die ruhige,
ihartnäetiae Stimme etwas wie Erre
l gung. »Sie oder ich?« fragte sie noch
1 einmal.
! Und der «Meister Ungeschlacht«
istand breit und massia in der Vani.
Fund er streckte in dieser ersten Erre
, aung den Zeigesinaer aus —- aber auch
’ das erschien unaelenl, als ob er seine
, Glieder nicht recht beherrschte.
l Dann athmete er ties. Es hatte al
I les aetlungen, als shiitte er sich Wort
ssiirs Wort daraus brävarirt. In den
lTagen und Nächten vieler Monate
smochte er es auch in seinem Schädel
; gewälzt haben, ehe es diese Form —
l so spröde und eckig sie war — bekom
! men hatte. .
Dr. Freetz war, als hörte er nichts,
an’5 Fenster gegangen. Er trommelte
j mit den fein polirten Nägeln an die
s Scheiben.
» Aber die hohe Gestalt zitterte.
Er wußte, daß nach dieser Szene
« vor der ganzen Klasse seines Bleibens
hier nicht mehr war. Daß er durch
unerbittlichste Strenge zwar auch wei
" terhin einen äußeren Nespett bei den
Schülern erzielen würde, daß aber der
» innere heute den Todesitoß erhalten
hatte.
Er tonnte nichts thun: er war
machtlos. Es gab nur eins: möglichste
Ruhe und Würde bewahren, um durch
3 vergebliches Aufbegehren nicht noch
lächerlich zu werden.
Valentin Rmurlo aber packte lang
sam seine Bücher zusammen.
Adieu Jhr!« sagte er mit einem
gutmüthigem Lächeln zur Kla e ge
wandt. »Wenn einer von Euch nach
Podlice kommt — nun, ich würde mich !
serr freuen.« I
Und ruhi zog er den Schlüssel aus l
der Tasche, ctfehlt-h auf. und ging lang- »
sam, in seiner maltiaen Schwerfällig- «
leit, in dem ausgewachsenem schädigen
Nitscher aus der Thür.
Man hörte seine ruhigen, bedächti
n Bauernlchritte nicht nur aus dem
Zorridor tönen, sondern auch noch
von der Steintrepde her. die aus tienrf
Gymnasium hinaus und in’s Freie
führte.—
Vie beiden Erbinnem
Humoresie von France-Z Külpe.
Gertrude Müller, die von ihrer
Zwixlingsschwester »Trude(ehen« ge
nannt wurde. fuhr in ungewöhnlicher
Geschäftigteit in den sechs Zimmern
ihrer nohlen ParterreiWohnung um
her, und stäuhte alle Gegenstände
mindestens zum vierten Male ab. Jhr
gutes altes Gesicht war ganz roth var
Aufregung und Zufriedenheit -hre
Schwester Radine aber — i res
Phlegmas wegen führte sie den Rose
namen »Nudelchen« ...- konnte sich
nicht genug thun, Erfrischungen,
Süßigkeiten und Leckerbissen herbei
zuschaffen· Sie häuste immer neue
Mengen auf die Krhstallichalem
»Nudelck,en«, sagte Trudelchen im
nser wieder strahlend, »dent« nur, die
erste Sängerin der Oper, die noch
dazu Gräfin iit, und ihre Schwester
totnrnen zu ung! Jst das menschen
möglid,? Wer das vor einem Jahre
gesagt hätte, den hätten wir ausge
kocht -—— und nun ist’§ pure Wirklich
eit.««
»Wer uns gesagt hätte, daß wir
armen Schlucker einmal 80,()00 Mart
erben würden, den hätten tvir für
wahnsinnig gehalten!" stimmte Rades
cikm bei.
»Weißt Du," meinte Trudelchen
t:achdentlich, »ich hab' das ganz sichere
Gefühl, daß die Gräfin Selma Roh
tsen«—Trudelchen sprach das Wort
»Gräfin'« stets mit einer gewissen
Feierlichteit aus — »auch zu uns
tornmen würde, wenn wir die arme-n
Fräulein Müller geblieben wären,
Evir bätten sie nur schön bitten mits
en. «
»Und obt« sagte Nudelcben gewich
tig. »Sie ist eben eine große Seele.«
«Nubelchen,« rief Trudelchen ent
zückt -— »du hast Du ein wahres Wort
gesprochen Wie tommstDu nur auf
den Ausdruck? Das ist«s ja, was ich
sogen wollte!«
»Nun, ein bliiideSHubn sindetauch
mal ein Körnchen,« wehrte Nudelchen
mit bescheidener Würde Trudelchens
Begeisterung ab.
Aber Truhelchen ließ sich nicht so
leicht beruhigen »Hast Du eigentlich
benmtt,« sagte sie nachdentlich, »wir
any-Z tvie viel höflicher uns die
L- .e seit unserer Erbschaft grüßen
und anreden ?«
»O ja!« sagte Nudelchen beküm
n-ert.
»Auch Peter Wendelin, Dein frühe
rer Verlobter . .. under ist doch längst
verheirathet.«
Nudelchen wurde glühend roth.
»Auch Peter Wendelin,« gab sie leise
zu. Dann schwieg sie gedankenvoll.
Nun schellte es an der Außentbiir.
»Sie tommeni« rieif Trudelchen
eifrig und eilte ihren Gä ten entgegen.
In der That waren die Sängerin
und ihre Schwester gekommen.
Trudelchen hatte sich eine wahnsin
gende Empfangspbrase zurecht gelegt,
Vergaß sie aber in der Freude ihres
Herzens und wiederholte nur immer:
»Nein, wel e Freude! Welche uner
wartete gro e Freude!«
Die Sängerin zog die Augenbrauen
hoch. ,, aben Sie uns heute nicht er
wartet, zräulein Müller?«
»Aber ja, gewiß doch!« stammelte
Trudelchen. »Aber nun, wo Sie da
sind, tommt mit vie Freude so plötz
lich groß vor. Meine theuere, verehrte
rau Gräsin, und Sie, mein liebes
räulein, wir freuen uns unendlich,
Die heute bei uns zu sehen!"
Nudelchen stand verlegen und glück
strahlenb in der Salontbür. Ein ge
werlees Händeschütteln erfolgte.
» ie lieb Sie zu uns sind." sagte
die Diva lächelnd. »Wir haben daiz
durchaus nicht verdient!«
«Verdient!« Trudelchen schlug die
Augen ur Decke empor. »Es ist doch
so selbsiverständlsich!«
»So selbstverständlich!« exte Nu
telchen. Bitte, bitte. legen ie ab.«
Ein arnüsirter Blick ver Sängerin
streifte ihre Begleiter-in nnd wurde
ebenso erwidert. »Wie nett Sie woh
nen!« sagte sie herablassend.
»Nicht wah:?« ries Trudelchen
freudig »Ja, wir wohnen wirklich
ehr, sehr nett. Es ist eigentlich jam
merschade, dasz Sie uns in unserem
Dachstiibchen nicht gekannt haben,
dann erst könnten Sie deutlich sehen,
wie sehr wir uns verbessert haben.
Tort die wei winzigen Zimmerchen,
und hier sechs, ganze sechs Primi
riiumet Dürsen wir Jhnen unsere
Wohnung zeigen, meine Damen, ja?
Ach, wie schön! Dies hier rnit den
rothen seidenen Möbeln ist also unser
Empfangssalon —— sehen Sie, Frau
Gräsin, hier ist unser Lonchettchen——
hübsch, nicht tvahr?«
»Seht hübsch!« sagte die Sänge
rin verbindlich
Sie traten in das Speise immer.
Es war hell und gemiithlich. n den
Wänden liefen Brodbretter hin, die
mit Krügen und glänzenden Potalen
bese t waren.
. st nicht echtes Silber«, lachte
Nudelchen vergnü t, »aber das thut
ja auch weiter ni ts. hier« — sie
waren in ein drittes immer getreten
—,—- »hier ist meine ammer . Grün
i meine Lieblingssarhe, sogar mein
ter« —- sie wies aus ihren Kater --— »
«schliist aus grünem Kissen.«
»Und sehen Sie nur,. alle meins
Bücherjm Scheiintchen hier habe ich
mir grün binden lassen. Ach, ist das
kernig-, so stundenlan « lesen zu dür
. eni Elie Pollo un die Marlitt,
iund unte’5 Retsebtlder und Schiller
iund set-he —- slles grünl«
W
»Ich bin sür das Violette!« sagte
nun Truhelchen eifrig Mein Zim
mer ist durchweg violett, sehen Sie,
und da wir beide auch rotb mögen,
so ist unser Solon roth gepolstert.
Hier in meinem Bücherschrank ist
alles violett. Ich mag das Moderne.
Sehen Sie, Suderinann’s Werte,
Gerhart Hauptmann. Klara Viebig,
Frenssen ——— alles lila. Mein Schreib
tisch ist auch violett bezogen. Jch
schreibe eigentlich wenig Briese —
jent, wo unser guter Vetter todt ist«
der uns pag viele Geld binterlassen
hat ——— wem sollke ich wohl schreiben?
Aber meine Mappe ist oiolett und so
gar die Tinte. Wir sind siir das
Einbeitliche!« fügte sie stolz hinzu.
»Rosen mag ich nicht, aber schauen
Sie hier diesen Porzellanrnopg « —— ist
er nicht reizend3'«
Sie wies auf einen lebensgroßen
Mops hin, der auf dem Teppich saß
und mit großen gelben Augen ver
wundert in's Leere starrte.
Nun war man in’s Schlafzimtner
gelangt. Dieses prangte in unschul
digem Weiß.
Nachdem alles gebührend gewürdigt
worden war, ging man in den Salon
zurück.
»Frau Gräfin«, begann Trudelchen
wieder mit vor Freude «l·a·nzender,
geheimnißvoller M.O.ie, »wir möchten
Sie beide gern um einen Rath bitten.
Jlfee Herren Collegen und die Da
men vom Theater haben uns so oft
durch ihr Spiel entzückt —- dürften
wir es wagen, die ganze Gesellschaft
zu uns zum Souper aufzufordern?«
»Warum nicht?« lächelte die Sän
gerin.
»Ich glaube, das würde den Herr
schaften viel Spaß machen« s-— sagte
ihre Begleiterin ein wenig malitiös.
»Ach«, rief Trudelchen entzückt —
,,meinen Sie wirklich? Sie beide sind
natürliche die Hauptpersonen dabei,
aber« —— Trudelchen wurde unruhig
— »ich weiß nicht, ob die Herren vom
Theater. ich meine, ob es den Herren
vom Theater bei uns gefallen lönnte.
Wir haben so wenig mit Herren zu
thun gehabt«, fügte sie entfchuldigend
hinzu.
Jn den Augen der Sängerin blitzte
der Schalt.
»O«, sagte sie mit harmloser Miene
— »so weit ich die Herrenwelt kenne,
so machen sie immer gern mit« wo es
lustig hergeht und wo ver Champag
ner fließt.«
»Champagner, aber natürlich!
Champagner soll nicht gespart wer
den!« riefen die alten Fräulein en
thusiastisch.
»Und einen Koch nehmen wir uns."
»Und alles wollen wir großartig
herrichten —- ganz großartig!«
»Wie macht man es aber mit den:
Einladungen?" sagte Trudelchen nacky
deutlich.
»Ich meine, Sie schicken all denl
Herrschaften gedruckte Karten « !
Trudelchen und Nudelchen horchten
wie auf ein Oralel.
»O ja —- gedructte Karten. here-»
lich!« riefen sie. ’
»Die Liste der Schauspieler tann
ich Jhnen ja zuschicken«, sagte die
Sängerin liebenswürdig, ,,iibrigens
Fräulein Gertrude Müller, darf ich
Sie einen Augenblick unter vier Au
gen spie chen?"
»Aber natürtlich!« rief Trudelchen
eifrig und zog die Sängerin in ihr
violettes Gemach.
Die Damen blieben ziemlich lange
fort. Als sie heraustratem sah Tru
delchen ein wenig verstört aus-. Um
so mehr schwelgte Nudelchen in Wonne
in dem Gedanken an das bevorste
hende Fest. Endlich erhoben sich die
Gäste zum Gehen, da bemerkte Tru
delchen entsetzt, daß sie ridts von den
sorgfältig vorbereiteten Erfrischungen
angeboten hatte. -
»O, ich einfältige Person!« jam
merte sie entrüstet und wies nnt fle
henden Geberden aus die gefüllte
Krystallschaale hin. »Sie haben ja
gar nichts genossen!«
»Gar nichts genossen!« wehtlegte
nun auch das hochrothe Nudelchen.
Die Damen ließen sich erbitten.
Die alten Fräulein strahlten befrie
digt. Der Abschied war überaus
herzlich von beiden Seiten. s
»Welch’ liebe, prächtige Menschenl«
sagte Nudelchen mit einem tiefen
Seufzer der Befriedigung »Wie im
Leben hätte ich geglaubt dass eine so
roße Künstlerin, dazu eine Griifin,
Po eelengut sein tönnet"
Heudelchen schwieg in einiger Ver
legenheit.
...... —..
»Nudelchen«, begann sie endlich zag
haft— »ich weis; nicht recht, was Du
Idazu sagen wirst —- die Gräsin —
)ja gewiß war sie überaus liebenswür
ldig — aber ob sie eine große Seele
!ist«....hier stockte Trndelchen und
swurde abwechselnd roth und blaß.
; »Du zweifelst doch nicht daran?"
Hrief Nudelchen befremdet.
»Sie hat mich um fünstausend
Mark aebeten!««
Nudelchen war aufaesvrungen
»Und Du?« schnappte sie.
; »Ich . . . . hab’ sie ihr fest ver
»sprochen«, sagte Trudelchen weinerlich
"— »ich mußte einen Wechsel unter
schreiben — --— mit meiner neuen
lila Tinte! Wer hätte das gedacht?"
sit-net em- share-.
s Der R.Fr. Pr.« wird geschrieben:
An der letzten Sonntagönuinmer
»J res Literaturbeiblattes wird in
dem Artikel »Bismarct und Schiller«
von Adolf Kohut unter anderem mit
getheilt, dasz Bismarck einer Aeußes
rung Moritz Busch’ zufolge sich uber
den Charakter des Wilhelm Zell in
Schiller’s Drama wie folgt geaußerr
habe: »Natürlichek und nobler ware
es nach meinem Begriffe gewesen,
wenn er, statt auf den Jungen abzuk
drücken — den doch der beste Schutze
statt des Apfels treffen konnte-—
wenn er da lieber gleich den Land
vogt erschaffen hättet Das wäre ge
rechter Zorn über eine grausame Zu
muthung gewesen. Das Vorsteclen
und Austauern paßt inir nicht; das
paßt nicht fiir lden." Jnterefsant
ist es nun, wie ich in diesem Punkte
Bismarcks Auffassung mit der Lud
wig Börnes berührt. Jn feinen Kri
tilen ȟber den Charakter des Wil
helm Tell« lvierter Band, Ges.
Schriften, S.186) heißt es nämlich:
»Es thut inir leid um den guten Tell,
aber er ist ein großer Philister. Er
isi muihig mit dem Arm, aber furcht
fcm mit der Zunge; er hateines nelle
Hand und einen langsamen opf
und so bringt ihn endlich seine gut
iixiithige Bedenllichkeit dahin, sich
hinter den Busch zu stellen und einen
schnöden Meuchelmord Zu begehen.
Der Apfelschuß war mir immer ein
NäthseL ja mehr ein Wunder. Ein
Vater kann alles wagen um das
Leben seines Kindes-, doch nicht dieses
Leben selbst. Tell hätte nicht schießen
dürfen, und wäre darüber aus der
ganzen schwei erischen Freiheit nichts
geworden. Bärir Geßlers Gebot fo
ungeheuer, daß es einen Vater anz
aus der Natur werfn tonnie un er
nicht mehr bedachte, wag er that, so
hätte auch Tell ohne Bsrdacht dein Be
fehle nicht gehorchen oder den Tyran
nen erlegen sollen-"
Give neue Imineusiadh
Nach einer Meldung aus der indi
schen Grenzstadt Beschawar sind auf
afghanischein Gebiete einige Bauern
bei der Bestellung ihrer Felder aus
Trümmer gestoßen, die sich bei näherer
Prüfung als Mauer-raste einer verfal
lenen Stadt erwiesen haben. Der
Gouverneur des Bezirks besichtigte
den Platz und fand die Nuinen einer
sioszen Stadt. Eg- ivurden einige
Goldmünzen zu Tage gefördert, des
ren Jnschriften bisher noch Niemand
zu entziffern vermochte. Leute der
Umgebung berichteten, das; nach der
Ueberlieferung in der Nähe eine große
Stadt von Kafiren (Ungläubien)
’bestanden habe, die schon vor ehr
lanaer Zeit zerstört sei· Der Sage
nach wäre in den Ruincn der Schatz
der Lafirentdiiige vergraben. Die ge
fundenen Goldmünzen befinden sich
im Besitz des Einirs von Asghanistaid
In der Verwirrung
Ein Pofamentier, der im Gedränge
seinen Sohn verloren, seht in’s An
zeigeblatt folgende Annonce: »Gestern
verlief sich ein Knabe, der auf den
Ruf Hans geht -——- der einzige Trost
seiner Eltern. Der Kleine ist von ho
hem Wuchs und träat ein Gewand
vhn brauner Farbe mit gleichen bet
nernen Knöpsem Wer mir über das
Kind Bericht zu geben weiß, dem
würde ich 50 Prozent Diseonto bei
Abnahme von solchen Knöpfen ge
währen.«
’ »So mirs eb esminent«
schimpfte der Reisende, da fchrieb er
in’s Befchwerdebuch eine Klage wegen
tsugverspätung vervaßte dabei aber
den Zug, der mittlerweile getommev
iund abgefahren war.
mais-reiban
Gast Cum Picwicz der eine geschwollene Wange hat): »so-wen Sie Zahn
! schmerzen, Mantos-«
Picco1o:«»Nein; aber zu unserm Hekkn Oberkqu Hab- ich eben »EM«
Stegs-«