Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, March 30, 1906, Sweiter Theil., Image 9

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    Yebraska
Staats-JEAN nnd Yerold
l
!
J. P. Windolph, Herausgehen Grund Island Nebr» 230 Mier 1906 (Zweiter Theil.) Jahrgang 26 No.31. ;
Mein Bus.
Mein Bub hat.hlaue Augen
Und-sollst Lockenhaak,
Zwei Fäu e, die auch tat-gen
Betstand und Willen llar.
Mein Bub ist ganz der Alte
Ja Wesen und Manier;
Und wag ich von Ihm malte,
Das hat et ganz von mir. ———
Mein Bub, der hat ein Mündchen,
«Das steht des Nachts nur still,
Am Tage ist kein Stündchen,
Wo dieses rasten will.
Das ist kein Vateretbe,
Ich weiß es ganz genau;
. ch sag es etwas hexhe —---:
Das hat er von meiner Frau.
»·:«-purcn im Schnee.«
Novellette von Josephine Siebe.
Frau Ellen trat aus ihrem Hause
und schwer fiel mit dumpfem Schall
die Thür hinter ihr ins Schloß. Lang
sam schritt sie die breite Kastanienal
lee entlang, die bis zur Landstraße
führte, auf den kahlen Zweigen der
Bäume saßen Kriihen, die, ausge
schreclt, durch die nahenden Schritte,
trächzend ich emporhoben, und sekun
de lang rchhallte ihr mißtoniges
Ge chrei die Stille. wie schwarze
-s-Hchatten flatterten sie über die ver
schneiten Felder und verschwanden
dann in der grauenden Ferne.
Die junge Frau hatte bald die
Landstraße erreicht und weiß und still
lag das Land vor ihren Blicken, be
grenzt von der blauschtvarzen Wand
des fernen Waldes. Die Häuser des
nahen Dorer versanten bereits in
Dunst und Nebel und das targe Licht
des trüben Wintertages begann schon
zu verhlassen, denn tief hingen vom
Himmel die schneeschweren Wollen
herab.
Rüstiaer schritt die Frau vorwärts,
um noch vor Eintritt der Dunkelheit
ihr Ziel zu erreichen, nicht einmal ah
sie sich nach dem Hause um, das sie
verlassen hatte — verlassen siir im
mer.
Nicht rückwärts eilten ihre Gedan
ten, ziehenden Wollen gleich flogen-sie
vor ihr ber, ihre aus dem enge Bann
der Pflicht befreiten sehn richtigen
Glitrtsgedankem hinter ihr lag die
Einsamteit, die stille, eintönige Ver
gangenheit ihrer Ebe, und vor ihr lag
lockend. wie ein von rosigschirnmern
l
dem Hoffnungsschleiern verhiilltesz
Bild, die Zukunft
Frau Ellen ging aus dem Hause
ihres Mannes, weil sie zu ersticken
meinte in der Einsamkeit. Als sie vor «
vier Jahren sein Weib geworden war,
da war sie ihm willig aus der Stadt
auf sein Gut aesolat, auch damals
hatte Schnee die Bäume bedeckt, aber
es war der Bliithenschnee des Früh
lings gewesen, in dessen Schmuck der
jungen Frau die neue Heimath wun
— derbär reizvoll erschien. Kaum wert
bar verrann die Zeit: eines Tages sah
der Winter mit ernsten Auan in das
stille Haus, da beaaun Frau Ellen die
Einsamkeit zu siihlen. Der Winter,
den sie bisher gekannt hatte, war so
rauschend, lärmend nnd alanzerfiillt
aetresen, und eine leise Sehnsucht tam
in ihr Herz. Doch im Frühling tam
die Sehnsucht wieder zum Schweigen,
da blühte in dem einsamen Haus eine
tleine Menschenblume aus, mit großen,
erstaunten Augen sah ein Bübchen sich
in der fremden Welt um. Glückselia
lächelte die iunae Mutter. als man ihr
das Kind in die Arme legte, doch in
der Gluth des Sommers verweilte die
lleine Frühlingsblume und ein win
ziges Grab unter den Bäumen des
Pages umschloß-das junge Mutter
alii . ·
Tfrau Miean Schiner-. war wild
und leidenschaftlich sie haderte mit
dem grausamen Schicksal, und ivenn
ihr Mann, der still sein Leid truq,
ein warmes, heiteres Wort zu ihr
sagte, dann grollte sie ihm im Herzen
um seiner Gelassenheit willen.
Als aber der Winter karn, wurde
der Schmerz des jungen Weibes mit-»
der. und die Sehnsucht nach der lau
ten Welt erwachte von Neuem in ihrem
Herzen. Sie begann über ihr Leben
nachzudenken, so jung war sie noch
und mußte doch so in der Stille leben. ;
Sie dachte an ihre heiteren, glänzen-«
den Mädchentage, an ihre hellen, lusti
gen Träume, alles hatte sie den-«
Manne geopfert, der so gelassen neben
ihr ging; ahnte er gar nicht die Größe T
des Opfer-L das ihren grübelnden-»
Sinnen sich zu offenbaren schien? Und i
einmal. in einer Stunde, da sie meinte, i
die Stille des Hauses müsse sie ers-;
drücken. sprach Frau Ellen zu ihrem!
Manne von ihren Gedanken, von ih-i
rem Re t an das Lesen. daß sie hin- ;
aus mii e aus der Einsamkeit, siej
sprach heiß und erreat, ihre Stimmei
zitterte vor Sehnsucht und verhalte-J
nen Thriinem »
Der Mann larelte nachsschtig undi
sprach aiitig zu ihr, wie man zu einem «
Rinde svrickt, nnd in dieser StundeE
verhärtete sisx ihr Herz gegen ihn.;
Ihre schnaufende Unllarheit verlangte j
nach Ernst und Verständnisz,.die nach- ;
sichtige Milde machte sie trotzia s
Jn dem alten Hause, mit den fest
uefiigten Mauern, das so schlicht unds
ehrenhast aussah, beaann ein heim-;
lieber aufreibender Kampf, mehr und;
mehr löste sich die Frau von ihrem!
Manne und ging ihre eigenen Werg-J
Hans Heide glaubte, Schweinen wär J
die Sehnsucht in dem Herzen keines
Weibes einschlmmnern lassen un da- (
rum schwieg er, aber immer wilder
wurde die Sehnsucht der Frau. immer
heißer ihr Verlangen nach dein ab
wechslungävollen Leben von einst,
und zuletzt, als nach Tagensp voll
ahnender Frühlingswonne plötzlich
ein herber, harter Nachwinter sein
weißes Gewand aus der Erde ausbrei
tete; trieb es sie hinaus. .
Nun schritt sie den weißen Weg
zntlang, der zur Stadt führte, dann
noch eine kurze Eisenbahnfahrt und sie
war am Ziel, war frei. Scheu und still
war sie aus dem Hause ge angen, sie
hatte es nicht gewagt, den agen an
pannen zuz lassen, unbemerkt wollte
sie gehen; »und ihr Mann würde sie
nicht vermissen,« dachte sie bitter. Am
Morgen hatte es geschneit und der
frische Schnee hatte glättend alle Spu
ren ans dem- Wege vermischt, nur hie
und da unterbrach ein Baum oder
Strauch mit dem fahlen Braun seines
dürren Gelistes, die weite weiße Fläche.
Seltsam empjand die Frau diese wei
Stille, es war ihr, als schritte re
durch eine Wüste, etrennt von allem
Leben, und ein leises Grauen durch
schauerte sie. Aus einmal tauchten
Spuren vor ihren Blicken auf, von
einein Seitenpsad tamen sie, frischgei
tretene Spuren waren eg, vor kurzer
Zeit erst mochten Menschen hier ge
gangen sein und ganz unwillkürlich
ging Frau Ellen den Spuren nach,
den geraden Weg schienen sie ihr zu
zeigen. Sinnend schaute sie aus den
fad nieder, eine breite große plumpe
«· pur war da« fest eingegraben« inc
Schnee und-daneben eine kleine zier
lichere, die Spur eines Irauensußes.
Ein Mann und ein Weib waren da
nor ihr den Weg gegangen, dicht ne
beneinander Schritt um Schritt, viel:
leicht hatte der Mann seinen Arm um
das Weib gelegt, und sie hatte den
Kopf an seine Brust geschmiegt, so
wie sie einst mit Hans Heide gegangen
war. in den Tagen ihrer jungen Liebe.
Plötzlich blieb die einsamel Wanderin
stehen, ihr war es als habe sie von
irgend woher einen Laut vernommen»
sie lauschte. (
Alles blieb stin. Sucheud schaut-l
sie um sich, das Haus, das sie verlas- «
sen hatte, war nicht mehr sichtbar, esi
war ver unten in der nebelgrauen;
Ferne. is begann zu schneien, große;
Flocken wirbelten durch die Lust, die
von den hängenden Schneemassen
flimmerte und leise sank die Dämme
rung herab. Mit geneigtem Haupt, den
Blick fest auf die Spuren im Wege ge
richtet. so ging , rau Ellen mit schwe
rer werdenden --chritten weiter, mith
scm gegen das dichter sallende Schnees
gestöher antiimpsend Wieder stockte
ihr Fus-« da vor ihr liefen nicht mehr
zwei Spuren den Weg entlang, nur
eine war es noch, die breite feste Spur
des Mannes-.
Wie eine Vision stieg es vor dein
jungen Weibe auf, sie sah sich Seite
an Seite mit dem Gatten im Vor
friihlinaswehen über ein frisch ge
bfliigteg Feld schreiten. Sie hatte ce
tlagt, daß ihr das Gehen schwer wirdj
in dem lockeren Erdboden, da hatte er»
lachend und spottend über ihre ver
tröhnten Städterfüße sie plötzlich ein
porgehoben und sie mit kräftigen Ar
men über das Feld getragen. Wie weit ;
lag doch jene Zeit hinterihr, wie lange
trar sie nicht mehr in frohem Schrei-— »
ten an der Seite des Mannes über
das Feld gewandert. Und ec- lain
ihr in den Sinn, wie oft er sie gebe
ten hatte, mit ihm zu gehen und im
mer hatte sie »Nein« gesagt, bis zu
letzt sein Bitten verstummt war.
Dichter, immer dichter fiel der
Schnee, wagend umwallte er die eins-s
same Wunder-im eine weiße flockige
Schicht legte sich. ihr auf das duntle
Kleid. die weißen Sterne zerschmolzen
auf ihren heißen Wangen und hingen
sich wie glihernder Schmuck in ihr
lslondes Haar. So müde wurde sie,
immer langsamer ihr Gehen.
Da endlich ein Meilenltein am
Wege, ermattet setzte sich das junge
Weib, nicht lange wollte sie ruhen«
nur wenige Minuten, weit konnte sa
ihr We nicht sein, bald würden die
ersten ichter der Stadt auftauchen,
dann war sie geborgen
Geborgen?i «Eine große Angst vor
der Zukunft, die ihr auf einmal in
so weiter grauender Ferne zu liegen
ehiem übertam sie.s Sie starrte in
das Spiel der wei en Sternchen. wie
Schleierwogen wa te es auf und nie
der und seltsame Bilder formten sich
ihr. Ganz hell- wurde es aug einmal,
alles war in rothe flammen e Gluth
getaucht und durch die Glutlf führte
eine feste gerade Spur aber o weit«
so unerreichbar weit war der Weg zu
dieser Spur.
Klang va nicht ein Ruf durch die
Stille? Sie versuchte sich aufzurichten,
dcch müde ianl sie zurück, ich will heim
gehen, murmelte sie leise, und aus dem
ilimmernden Gewoge stieg- ihr das
Bild des einsamen Hauses auf. sie sah
sich in dem erleuchteten Zimmer sitzen,
die Thilr öffnete sich und eine warme
vertraute Stimme klang an ihr Ohr:
,,Ellen, mein Liebling.«
Da stöhnte sie auf, »Hane", rief sie
angstvoll, »san« »Sei ruhig, ich bin
bei dir,« klang wieder seine Stimme,
da riß der Bann, der ihre Gedanken
verwirrt hatte, aufschauend sah sie
in das Gesicht ihres Mannes-: »Du
hier?« stammelte sie und dann ihre
Arme um ihn schlingend, kam es wie
erlöst von ihren Lippen: ,,oh du, daß
du kamst!«
,,Ellen, wo wolltest du hin?«,sragte
cr, die Frau fesser umschlingend, und
als er ah, daß sie schwankte, hob er
sie empor und trug sie durch den
Schnee Und während er so mit ihr
ging, da sliisterie sie ihm leise zu wo
hin sie hatte gehen wollen und warum,
erzählte ihm von ihrer Se nsucht,
ihrer Einsamkeit und er laus te und
erkannte, daß er auch eine Schuld
trug und in diesen kurzen Minuten
wurde tlar zwischen ihnen, was so
lange vom Nebel des Nichtverstehens
Verhüllt gewesen war Nach kurzem
Weg strebte sie sich aus seinen Armen
zu lösen. »Ich bin zu schwer « bat
sie, »der Weg ist Ia noch so weit, wir
waren so dicht an der Stadt!«
»Sieh doch, wo wir sind « ries er
und ein leises Frohlocken war in sei
ner Stimme- Verwirrt aufschauend,
sah sie vor sich die erleuchteten Fenster
des einsamen Hauses.
»Du hattest dich verirrt « sagte er
weich, »du bist im Kreis herumgegan
gen, deiner Spur solgend sah ich es!«
»Oh, nicht verirrt, es war der rechte
Weg,« jubelte sie aus, ,,er führte mich
wieder der Heirath zu!«
Und Hand in Hand traten sie in
ihr Haus, dessen helle Fenster wie
strahlende, glückliche Augen in der
Dunkelheit leuchteten.
-
Das Fanal
Humoregte von —Alhert Gras von
Schlippenbach
Jn dem etwas abgelegenen Städt
chen — nennen wir es Hileba —— stand
vor ungefähr zwanzig Jahren ein Ba
taillon Jnfanterie. Von der nächsten
Station einer Sekundärbahn war der
taum sechstausend Einwohner zäh
lende Ort zehn Kilometer entfernt.
Um nach der Provinzialhauptstadt zu
gelangen, brauchte man wenigstens
sechs Stunden, vorausgesetzt, daß der
Zug mit der altersschwachen Lokomo
tibe auf der Nebenbahn den Anschluß
an die große Linie erreichte. Das war
aber immer recht zweifelhaft. Die
» jungen, unverheiratheten Offiziere wa »i«
ren daher darauf angewiesen, ihre.
Vergnügungen und Zerstreuungen ini
stleba sselbst und in seiner Umgebung
zu suchen; denn eine Reise nach der
nächsten größeren Stadt oder gar nach
der Residenz erforderte immerhin pe
luniäre Opfer. Glücklicherweise stand
das Offiziergtorps mit der Bürger
schaft und den benachbarten Gutsbe
sitzern vorzüglich Eine rege Gesel
ligteit mußte daher manches ersetzen,
wag nur eine große Stadt bieten lann.
Aber man antiisirte sich trotzdem gan;
gut. Schon der Leutnant von Watte
rode und sein Jntimug, der jüngst
zum Bataillonsadiutanten ernannte
Leutnant Keller, sorgten mit ihrem
frischen Humor reichlich für Unterhal
tung. Vor ungefähr Monatsfrist
hatte das Bataillon einen neuen Rom
mandeur bekommen Major. Griin
feld war eine stattliche, militäriscbe
Erscheinung Doch die Natur ist nicht
immer nach allen Seiten hin ver-—
schwenderisch. Körperlich hatte sie ihn
zwar durch Größe, Breite und durch
die Länge eines blonden Schnurrbarts
überreich bedacht, geistig gehörte er je
doch gerade nicht zu den Heroen Na
tiirlich blieb das seinen Untergebenen
nicht lange ein Geheimniß. Schon die
Art, mit der er bei den Uebungen, an
statt lurze, klare Befehle zu geben, sich
in längerer Besprechung mit den Of
fsizieren über die nöthigen Anordnun
gen einliesz, verrieth neben tattischer
Unsicherheit geringr..Fähigteiten. Dazu
tam seine unglückliche Liebe für
Fremdwörter. Da nun seine wissen
schaftliche Bildung etwas vernachläs
sigt war, so passirten ihm leicht un
liebsame Bertvechelungem oder seine
Ausspriiche blieben oralelhaft unklar.
Schon bei der ersten Felddienstiibuna
unser feiner Leitung erregte er durch
eine, seitdem zum geflügelten Wort
im Offizierstorpö gewordene Kritik
über die fehlethaften Maßnahmen ei
nes Kompagniechefs allgemeine Sen
fation.
»Als- ich Jhün Angriff auf jene
Dorflisiere fab. mein Herr Haupt
mann,« meinte er nämlich tiefsinnig,
»wer meine moralische Ueberzeugung
zu Ende.«
Wenige Tage später sprach er dann
sein Mißfallen über eine verfehlte Ue
bung einem anderen Offizier in nicht
minder teltfamer Weise aus: »An
Stelle der Umgebung hätten Sie den
Ochsen vielmehr gleich bei den Hörnern
fassen müssen. Natürlich lans com
pariment, Herr Leutnani« setzte er
mit einer verbindlichen Handbewegung
zu dem Gegner des Getadelten hinzu,
der in Folge der doppelten Entglei
tung feines Vorgesetzten kaum ernst
haft bleiben tonnte Natürlich boten
diese kleinen Schwächen und Mängel
des Herrn Majors den Leutnants
Wallerode und Keller stets einen neuen
Stoff zu allerhand gewagten Scher
zen.
Es war ein herrlicher Frühlingstag.
als der Major mit seinem Adjutanten
durch den schönen Klebaer Stadtforst
ritt. Die Kompagnien sollten zuerst
einzeln auf dem, etwa eine Stunde
von der Garnison entfernten ,,.aroßen
(Lxerzierplatz« üben und dann unter
der Führung des Bataillonskommaw
deurs zusammen gegen einen markir
ten Feind operiren, den Grünfeld so
eben mit Hilfe des Adjutanten auf ei
ner Hügeltette aufgestellt hatte. »Sa
gen Sie mal, lieber Keller, was be
deuten nur die schwarzen Kreise dort
an den Kiefern und Fichten?« unter
brach der Major ein minutenlanges
Schweigen und deutete auf die zum
Schutz gegen Raupen um die einzelnen
Stämme mit Theer gezogenen Ringe.
Dem Gesragten saß wieder einmal
der Schall im Nacken. »Die Ringe,
Herr Major,« erklärte er mit todtern
ster Miene, ,,sagen dasselbe wie der
Flor am Arm eines Menschen. Die
Bäume trauern nämlich.«
»Die Bäume trauern?« Grünfeld
machte ein höchst eritauntös Gesicht.
»Um wen denn?«
»Ach, der Herr Major wissen wohl
noch gar nicht, der Oberförster ist neu
lich gestorben, und da werden zum
Zeichen der Trauer alle Bäume
schwarz angepinselt. Es ist dies eine
ebenso schöne wie althergebrachte forst
liche Sitte.«
,,Wirllich, sehr sinnig,« meinte -
Grünfeld. »Aber wie ist denn das so :
schnell gekommen? Vor acht Tagen
habe ich ja noch mit dem Oberförster
im goldenen Roß einen Slat gespielt.
« Armer Kerl, thut mir wirklich herz
lich leid. —- Schien ein netter, anstän
diger Mensch zu sein. —— Wann soll
er denn begraben werden?«
steuer org sich auf die Lippen, um
nicht laut auszulachen. Zu seinem
Glück war man inzwischen auf dem,
den Forst begrenzenden Exerzierplatz
angekommen. Die Hauptleute spreng
ten heran, um ihre Truppen zu mel
den. So wurde Keller der Antwort
auf die heitle Frage enthoben.
Nachdem der Bataillonskomman
deur sodann noch einige Zeit dem
Exerzieren der einzelnen Lompagnien
zugesehen hatte, rief er die Herren
Offiziere, um ihnen die Jdee für die
Schlußübung zu entwickeln. »Dort
hinten aus der Hügeltette steht der
markirte Feind,« begann er seine Aug
einandersetzung »Die Angriffsrichi
tung ist durch das weithin sichtbare
trignometrische Fanal gegeben —«
»Verzeihung, Herr Major,« unter-—
brach ihn der Adiutant, »ich glaube,
es heißt Signal.«
Auf den Gesichtern der Offiziere
zuckte es verdächtig. Griinfeld bemerkte
es wohl und wurde etwas verlegen.
»Hm! ---— Wissen Sie das ganz ge
nau? Wie denken Sie darüber, Herr
Hauptmann Rother«, wandte er sich
unsicher geworden an den ältesten Ka
pitdn «
Der Angeredete besah sich eben mit
großem Interesse feine Stiefelspitzen.
Es dauerte einige Selunden,«bis er im
Stande war zu antworten.
»Ich glaube — Leutnant Keller «
hat recht,« stotterte er endlich, mühsam
gefaßt.
»Sind Sie alle der gleichen Ansicht, ;
meine Herren?« fragte Grünfeld etwas s
mißtrauifch und eröffnete dadurch eine !
Diskussion über den richtigen Namen s
des trigonometrischen Punktes. Es s
entspann sich infolgedessen ein reger
Meinunasaustausch Die einen schlos
sen sich der Ansicht des Adjutanten an,
dte anderen scheinbar der des Majors.
Nur der Leutnant von Wallerode hatte
bisher geschwiegen. Nun drängte er
sich plötzlich vor, warf feinem Freund
Keller einen raschen Blick zu und ver
kündete dann mit heller, weitschallen
der Stimme: -
»Meine Herren, der Herr Major
haben wie immer recht. Es heißt das
trigonometrische Fanah denn wenn es
ein Signal wäre, könnte es geblasen
werden!«
Die berittenen Osfiziere bekamen t
nach diesem tiefsinnigen Ausspruch wie
auf Kommando einen heftigen Schnu
pfenansall, wenigstens bargen sie die
Gesichter plötzlich in die eilig hervor
gezogenen Taschentücher und wackelten !
dabei seltsam mit den Köpfen hin und »
her. Die Leutnants zu Fuß aber muß- j
ten ebenfalls alle gleichzeitig aus ein- I
mal höchst aufsallende Entdeckungen
hinter ihrem Rücken machen, denn sie
drehten sich urplötzlich mit sonderbar:
verzogenen Mienen um, wobei einige
ganz merkwürdige, Ineckernde Töne»
von sich gaben. Nur Leutnant Keller
und sein Freund Walterode blieben’
ernst. Und das war aut, denn so ent
ging dem Herrn Maior das eigenar- »
ttge Gebahren der anderen Ofsiziere.;
Völlig überrascht über die Erklärung
starrte nämlich Grünseld zunächst den !
kühnen Sprecher an. Dann schaute erj
fragend zu seinem Adjutanten hin.
»Ich vermuthe, Herr Major, Leutnant
von Walterode hat das Richstige ge
troffen,« beeilte sich Keller zu sagen,
um den Vorgesetzten zu verhindern,
die ander-en, meist noch mit einem Hei
terkeitsausbruch kämpfenden Offiziere
um ihre Meinung anzugehen.
»Hm!-« Grünfeld überlegte einen
Augenblick. ,,Wirklichi — ich glaube
selbst,« entschied er endlich. —- ,,Also
meine Uherren die Richtung ist aus das
triaonometrische Fan al ——
Eine Stunde später ritten der Ma
ior und sein Adjutant wieder durch
den Wald der Garnison zu.
»Der Waltenrode ist doch wirklich
ein sehr kluger Mensch,« meinte erste
rer plötzlich im Tone höchster Anerken
nung. »Wie ist er nur auf diese unge- l
mein klare Erklärung so schnell ge
kommen? Possen Sie auf, Keller, der
macht noch einmal eine famose Kar
riere. Jch werde es ihm jedenfalls
naheleqen, doch auf Kriegsakademie
zu gehen. Urlaub zur Vorbereitung
soll er bekommen, dafür will ich beim
Herrn Obersten schon sorgen.«
»Herr Major haben auch hierin, wie
immer recht, « Pflichtete ihm Leutnant »
Keller bei und beugte sich tief aus den
Hals seines Pferdes herab.
Skizze von H.vonMiihlenfels.
Ein silbernes Mondlicht, das auf
der spiegelglatten Fläche einesWeihers
gaulelt und auf dem Wasser ein Kahn,
der leis da in gleitet oder halb im
Schilf verborgen stillsteht, und im
Kahn zwei junge, junge Menschen, ein
»Er« und eine »Sie« und beide schön
lind beide verträumt und versunken
——erdentriickt —
Wer hätte nie den Zauber solcher
Mondnacht empfunden und wer hätte
nie iider den armen, jugendlichen Poe
ten gelächelt, der solch ein uraltes Mo
tiv in neue Form zu kleiden versucht?
Das ist ein altes Lied, so oft befangen
wie die Liebe selbst; aber dem, der ins
solcher Nacht zum ersten Mal hört und
fiåhlh dem ist’g doch so neu, so ung!
a nt.
Die beiden Menschlein im Kahn
blickten sich an. Der ..Er«, kaum dem
; Schulzwang entwachsen, hatte die Ru
der aug den Händen gleiten lassen und I
«Sie«, ein blondes Fräulein, stützte
den Kopf in die Hand. Sie wollten
sterben! Ja — todternst war es ihnen »
mit dem Sterbenwollen. i
Der Kahn, der sie trug, würde nun
sobald schon einsam aus dem Wasser
schaukeln und seine Jnsassen, ver
lniipft auch äußerlich durch einen mit-:
gebrachten Strick, würden ein feuchtes
Grab da unten im tiefen Weiher fin
den.
Ach, wie so trügerisch.
i
i
Und nun gautelte dieser Mond so
silbern, so hell, so leuchtend, als wolle
er sie äffen, denn ihr Sinn stand doch
nach Dunkelheit und Sturm und
Grausen,« nach einem Todtenlied, das
die Natur ihnen sang.
Seit einer Stunde schon rudern sie
aus und nieder — auf und nieder,
schweigend —— finster und angstvoll
schweicend nur die Blicke in einander
tauchend, und in den Augen des »Er«
lag oftmals die stumme Frage:
»Jetzt?« Aber sie schüttelte jedesmal
leise ihr blondes Köpfchen und dann
flehte sie:
»Noch eine Minute-ja nur noch
eine Minute!«
Es ist wohl hart zusterben, wenn
man noch so jung, so blutjung ist,
wenn das Leben eigentlich noch so
schön sein könnte, so himmlisch schön.
»O Gott! O Gott!«
Der junge Mann stieß diesen Seuf
zer aus und er kam ihm aus tiefster
Seele, denn in seinen Augen schim
merte es feucht und seine Stimme
klang wie eine zerbrochene Saite.
Und sie erwiderte seinen Seufzer
mit einem ebenso tiefen, qualvollen
Ausstöhnen, und wieder lag in feinen-.
Blick die bange Frage: ,,Jetzt?« Doch
wieder schüttelte sie ihr blondes Köpf
chen und hauchte kaum hörbar und
doch so seltsam dringlich:
Noch eine Minute!«
Wunderliche Gedanken mögen es
sein, die zwei iunae Menschenkinder
in der letzten Stunde ihres Daseins
quälen und bewegen. Man saat, daß
an Schwerkranken in der Stunde
ihres Todes das Leben noch einmal
vorbeiziehe, daß Freude und Schmerz,
Glück und Leid noch einmal vor ihnen
erscheine und sie lönnen es nicht fassen,
daßsiees sind, die all dies erduldet
und getragen haben, die da eejubelt
und gelacht, geliebt und getrauert
haben. »
Aber es liegt doch ein stiller Friede
über ihnen und sie geben sich gern dem
Schlaf hin, den wir den »ewigen«
trennen und der in ein besseres, so fer
nes, so unbekanntes Jenseits führt.
Vor den Augen unseres jungen Hel
den begannen auch die Erinnerunaen
greifbare Gestalt anzunehmen. Sein»
kurzes Leben wollte noch einmal in»
bunten, schillernden Farben an ihmi
vorüber gaukeln.
Es war so vieles schön gewesen und
«lustig und kindisch und teil. Aber
do bei weitem nicht alles. Es hatte .
au ernste Stunden gegeben« s e I
orahre, angegillt mit lateinischen und
griechischen egeln und Werber-, mit.
Alaebra und schwierigen deutchen
Auffsätzen und der arme Kon ,tte
ost treiken wollen.
Dann aber hatte des Vaters Wille
eingesetzt und der war so stark, daß
der junge, rebellische Kopf das·Träu
men und Dichten vergaß und schließ
lich das Chaos von Wissenschaften
wohlgeordnet in sich barg.
Das war nun schon ein halbes
Jahr her-; man hatte ihm die Hände
gedrückt, als er sein Examen mit
Glanz bestanden hatte; der Vater hatte
warme Segensworte zu ihm gespro
chen und sein Herz war so groß und
weit gewesen, Und ein Muth so stolz
und stark hatte ihn beseelt, daß er
glaubte, von nun an allem Erdenleid
lfnkd aller Last für immer enthoben zu
mi.
Dann war dies blonde, 15jährige
Fräulein in sein Leben gekommen und
dies Fräulein war das Töchterchen
eines strengen, harten Vaters, eines
Vaters, der so klug, so voller List war,
daß er das- entlegene Winkelchen, in
dem sie seit Tagen ihre ersten, glühen
den Küsse tauschten, entdeckt hatte.
Und so tückisch, so wenig vornehm
war er, daß er den jungen Mann
nicht, wie sich’s ziemte, zu einer Un
tmdung unter vier Augen einlud
und fiel- mit ihm auseinandersetzte —
nein——seine Bosheit ging so weit, daß
er dem Vater des un lüctlich Lieben
den einen groben Brie schrieb.
Der junge Selbstmordlandidat
faßte wieder an seine Wange. .
O diese Schmach! Diese elende, un
verzeihliche Schmach!
Und warum war der Vater so maß
los heftig geworden, trotzdem er, der
10jährige, ihm versichert hatte, daß er
ges-wen sei, unt des Fräuleins Hand
zu «oerlsen?- Warum? O, natürlich ——
m r deshalb, weil der Vater der blon
den Hertha sein Vorgesetzter war, sein
bärbeißiger, grob-er, ungeschlachter
Vorgesetzten «
Wie verstört war er in sein Zimmer
gerarr-.t, hatte die Thitr verriegelt und
einen Brief an die blonde Hertha ge
schrieben, einen Brief voll verzweifel
ter Klagen — einen Brief, der das
arme Fräuein Hertha in einer so
trostlosen Stimmung traf, daß sie lei
denfchastlich in den Vorschlag einwil
ligte, diesem entwertheten, harten und
grausamen Leben ein Ende zu machen.
Der Zunge Mann schaute ins Was
ser, das ganz leise, feine Kreise zog;
er beriihrte es mit seinen heißen Hän
den und zog sie erschrocken zurück. Ein
Schauer lief durch seinen Körper. Er
direkte zu Hertha hinüber-. Die hatte
sie Hände vors Gesicht geschlagen und
;oei::te, ras; ihre Schultern zuckten
und das Mondlicht flocht einen silber
nen Kranz um ihre goldenen Haare.
Wie eine Heilige sah sie aus.
.,««,)er:!:a!« sagte er leise und trau
rig.
Da blickte sie auf.
»Es ist so hell, Hertha!'«
,,Sr furchtbar hell!« seufzte sie und
dann schwiegen sie wieder
Er ergriff die Ruder, um ein Stück
sein weiter vom Ufer fortzusegeln.
Tof, feine Hände waren kraftlos: die
Ruder fielen ins Wasser. Das spritzte
hoch auf und näszte Herthcks Gesicht
und ihr blaues Tuchkleid mit dem hel
len Spitzenkragen Da wurde sie ärger
lich, begann sich sorgfältig zu trocknen
und sagte vorwurssvoll:
s »Wie kann man so ungeschickt
ein-«
Er schwieg; er fühlte sich verletzt.
Wie konnte sie an dergleichen denken?
Jetzt? Jn dieser Stunde? —
Sie aber dachte darüber nach, wie
ärgerlich eg wäre, wenn man in dem
schönen, neuen Tuchtleid die Wasser
flecte sähe und wie Mama schelten
würde, und dann über-kam sie eine
jähe Angst. O Gott-wenn sie zu
Hause schon vermißt wiirde, wenn man
sie suchte, wenn der Vater es schon er
fahren hätte! O Gott —- o Gott! Jhr
Herz schlug bis zum Hals.
»Wie viel Uhr? Sag schnell-wie
viel Uhr, Ernst·c-’« bat sie.
Er sah sie mit einem Blick an, der
grenzenloses Staunen ausdrückte.
»lWa«5 tiimmert’5 uns?" sagte er
rau i.
Da ciber fuhr sie aus.
»Was lüminert’s uns? sagst Du?
Ja, wenn Papa es aber schon erfah
ren hat? Und Mama weint vielleicht
und sie werden wieder so bös und Du
hast die Schuld an allem! oea, an
allem! Auch wenn mein schönes
Tuchtleid Verdorben ist. O, ich hasse
Dich —— sabr ans Land! Sosort! Jch
will e5.«
»Hertl)a, hast Du denn vergessen,
wag nan hierbei siilirte?«
Er fragte es traurig-sehr trau
rig.
Sie aber hatte nlötzlicb alle Senti-:
mentakität al«gestreift, wie man ein
liistiaez Kleidunasstiick abwirft.
,,.5tinderei!« rief sie. «Duminheiten!
Ein itbcrspannter Mensch bist Du. Jch
will fort Von Dir; ich will Dich nie
nie irieder sehen!«
Leise und eintönig klangen die Ru
derschläge. Jn zwei Minuten waren
sie am Land. Ohne ein Wort des
Abschiede eilte sie fort —nur von dem
einen Gedanken beseelt:
,,-Ob sie’s schon wissen? Ob sie mich
schon suchen?« «
Und er sah ihr nach, schüttelte den
Kon und griff an seine Ssm
,,Narr!« sagte er leise und dann
pfiff er das Liedchen aus einer O er,
die er unlängst bei seinem Ausent alt
in Berlin gehört hatte Und das ihm
so besonders gefallen hatte: ·
»Ach wie so trüaerisch —- sind Wei
i berherzen!·«