Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, March 23, 1906, Sweiter Theil., Image 9

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    Yeömska —
StaatI-3nzeiger nnd Yrrolji
J. P. Wistdolph, Herausgehen-. Grund Island Nebr. - U. Mmz 1906 (chiter Theil.) Jahrgang 26. No. :-.30
Frühling mitten im winter.
- Wenn leis im Herbst ziiFErde stillt
Das Laub still,« ohne Klage, ,
Dentt manches Herz wehmüthig-still
Der künft'gen tritben Tage.
Doch ich bin dann so wohlgetnuth,
Möcht’ nicht vom Fenster weichen:
Der Liebsten Haus, das sonst versteckt,
Kann jetzt der Blick erreichen.
Es lag wie einst DornrögchensSchloß,
Verborgen ties im Grünen:
Doch durch des Herbstes Zauberhand
Jst’s wieder nun erschienen.
Mosis türmen jetzt nnd später dann
Auch sch eien und frieren dahinter:
Seh’ ich die Liebste vor ver Thür
Ists Frühling mitten im Winter.
Der kleine D,oitor.
Nobellettc von Julia Poeten
- Ha n.
»Geh du hin«... sagte die Frau
,,Nein,- du. Du tannft besser re
" l
n.
Und dann war sie plötzlich, ohne ein
Wort zu erwidern, aus dem Zimmer
gestürzt.
Dreißig Schritte durch den duntlen
Korridor, sechs- Stufen hinunter. und
re befand sich vor den Mansarden:
tiibchen, die nach vorn herauelagen
und richtige Fenster hatten. «
Vor der Thiir blieb sie siegen, die
Hand au das wildpochende erz ges
drückt. ««-ie hatte Angst.
Aber sie hörte das heisere Husten
ihres Kindes, sah wie die kleinen Fin
ger sich vor Herzensangst trümmten,
und sie tlopfte hastig zweimal. .
Ohne auch nur eine Antwort abzu
.varten, lrats sie in dass Zimmer, in
welchem sich ihr ein seltsamer Anblick
bot.
Auf einem Stuhle mitten im Rim
mer stand ein schlanter, iungerMann
und gab sich die größte Mühe, sich cn
einem Spiegel, der sehr hoch hing, zu
spiegeln. Der Stuhl wackelte bedenk
lich, und es gehörte eine gute Dosis
Geschicklichkeit dazu, das Gleichgewicht
,u halten. Trotzdem er sich auf die
äußspitzen stellte, tonnte er nur im
mer einen Theil seine-s werthen »Jchs«
sehen.
Ohne aus das Geräusch der Thiir
zu achten, balancirte er weiter auf
dem Stuhle, bis es ihm schließlich ge
lang, sein lachendes, ftrahlendes Ge
sicht im Spiegel zu sehen, aber er sah
zweiAugen hinter sich, zwei bren
nende, weitgeössnete Augen, die all’
seinen Bewegungen folgten mit einem
Blick so abwesend und doch so hart
näckig, daß Philipp sich ·nerb«og um
drehte.
Aber die stau, die vor ihm stand,
war lein Gei t: die Schiichternheit, die
aus ihrem zu ihm emporgehobenen
Gesicht sprach, strafte ihre Augen
Lügen.
Einen Augenblick sah er sie an, noch
immer auf seinem Stuhl stehend:
dann sprang er leichtfiifzie herunter
und fragte: »Sie wünschen?«
Sie konnte nur stammeln
»Es ist des Kleinen warens . .
Zwischen der zitternden Stimme der
Frau, die mit Mühe die Worte her
vorbrachte, und der·des jungen Man
nes war ein erschütternder Unterschied.
Und sie wurde wieder von ihrer
Muthlosigteit befallen und schwieg
ängstlich. Es war ihr. als- habe sie
einen Huften in der Kehle. Unmöglich,
die Krankheit des Kindes zu schildern,
die sich seit einigen Tagen so ver
schlimmert und heute so hohes Fieber
und solche Erftictungganficille zur Folge
gehabt hatte. Und sie konnten nicht
helfen, sie wußten eS wohl. Bei allen
Aerzten in der Umgegend waren sie
schon gewesen, aber vergebens-. Die
einen vertrösteten sie auf morgen, spra
chen vom Krantenhaus. Und wenn sie
wieder am Bettchen des Linde-«- saßen
und ihren Liebling so leiden sahen,
Mne helfen zu können, stürmte der
ann wieder fort zu einem anderen
Arzt. Die Qualen dieses Abends wa:
ren entsetzlich gewesen; sie hatten leine
Hoffnung mehr. Bis ein leichter
Schirnmer von Hoffnung die Frau in
die Hohe fahren ließ. Der »kleine
Dotior«, der im Hause wohnte, zu dem
wollte sie gehen, der tsnnte helfen, das
Kind retten! . . ·
Es sprach to met Verzensangn au
ihren Augen, als sie den jungen Mann
ansah. daß es jeden hätte erbarmen
müssen. s
Und doch sanl ihre Hoffnung zu
sehends. Der »kleine Dottor", wie die
Leute im Hause ihn nannten, stand inr
Gesellschastöanzug da. Der erste Fraels
--Eine dicke, weiße Rette im Knopf
lcch. Cylinder, Paleiot und Hand
ichuhe lagen zum Anziehen bereit auf
dem Bett
Es war sein erster Ball und sein
erster " rack vor allern, den er sib nur
durch ntbehrungen jeatifer Art hatte
anschaffen können. Und die angenehm
Aufreguna, die ihn erfüllte! —Die
Pläne. die er siir diesen Abend ge
schmiedet hatte. Vielleickt begann von
heute an ein neues Leben fiirs ihn! · ..
Und solchen Moment wählte die Fran,
um ihn zu stören!... Wenn er rnit
cina, wiirden alle Leute aus der Nach
barschaft tornmen und ihn mii ihren
wirklichen und eingebildeien Krani
heiten quälen, bevor er überhaupt mit
seinem Studium sertig war.
Da sahen ihn die Augen wieder so
stehend an. Eine unbeschreibliche Wuth
befiel den junan Mann.
War es vielleicht ihre Absicht, die
ganze Nacht da stehen zu- bleiben?
Aber bevor er nur den Mund aus
machen konnte, the die Frau seinen
Arm umllamniert nnd murmelte rnits
vor Verzweiflung erstickter Stimme:
»Bitte, sehen Sie ihn sich doch anl«
—- Der Widerstand des jungen
Mannes war gebrochen, und als er
vor seiner Thür stand, wiederholte die
Frau mit etwas lauterer Stimme:
»Nu: ansehen« . .
Dann war er ihr in den dunklen
Korridor gefolgt, ohne zu wollen, wit
thend auf sich und die Frau, die ihn
zwang, ihr zu Willen zu sein«
An die Fenster schlug es leise und
unaufhörlich. Es mußte schneien. Wie
lam er jetzt auf den Ball? Hatte er
denn noch so Viel Geld, sich einen Wa
gen zu leisten? Und wenn er bei die
sem Wetter keine bekam? Was dann
. . . Er konnte doch unmöglich mit
fchniutzigen Lackftiefeln in Gesellschaft
gehen! —
Was ging ihn schließlich die Frau
und ihr lranles Kind an?
Er wolkte fort, sich amiisiren 'an
dem Ball, auf den er sich schon taar
lang gefreut hatte . . . Und nun laer
diese Person, ihn zu holen, ihn deg
Vergnügens zu berauben. Er bebte
vor Wuth, wie jemand, der sich be—
freien möchte und nicht kamt.
Dann ließ ihn die Hand, die ihn
umtlammert hielt, los. Eine Thiir
wurde geöffnet. Die Frau trat zuerst
in den kleinen, von einer Lampe matt
erhellten Raum. Als Philipp ihr
folgte und in das- Zimmer trat, fühlte
er. wie ihm plötzlich alles Blut nach
dem Herzen floß. Es war ihm, als
erhalte er einen Stoß in die Brust.
Der Blick des Vaters, der bittend auf
ihm ruhte, die Mutter, die ihm das
kleine Wesen, das heiser hustend in
föinem Bettchen lag, zeigte, ergriff
i n.
- . --«- .---«
ur sagte um« dass er oie Hoffnung
dieser armen Leute war, daß sie ihm
vertrauten, ihn für fähig hielten, die
Leiden des-Kindes zu mildern, und
er schämte sich, daß er nur einen Au
genbliet gezägert hatte. Dasselbe Dach
beschirmte sie alle. Sie waren Nachs
barn, und es war seine Pflicht, zu
helfen, so viel er tonnte.
Schnell schloß er die Thür hinter
sich und trat an das Bett des Kleis
nen, um ihn zu untersuchen. Die
Lampe zitterte in der Hand des Mani
ne5, der ihm leuchtete.
Philipp begann den Knaben zu un
tersuchen; er war erschrocken, während
die arme Mutter ihn dankbar ansah,
ganz erstaunt über diese Güte und
den Zauber, den der junge Mann aus
das Kind augiibte. Sie hoffte schon
wieder.
Der »Meine ächzte und stöhnte, lief-,
aber alles ruhia mit sich geschehen.
Als ein neuer Erstickungsanfall tam,
össnete er die Augen ganz weit mit
einein fleljenden Blick, der um Hilfe
bittet und tranten Kindern eigen ist.
Der junge Mann sah jedesmal nach
der Seite, wenn das Kind ihn mit
den großen Augen anblirkte. Jeman
den leiden sehen nnd nicht helfen tön—
nen, ist bitter! . .
Die Untersuchung deH Halseg war
besonders schwer und schmerzhaft
Mit Mühe hatte Philipp feine Diag
nose gestellt.
Nicht sein bischen Weisheit, das er
sich in den paar Jahren seines Stu
diums angeeignet, hatte den Ausschlag
gegeben, sondern die Erinnerung an
feine kleine Schwester, die diesem sel
ben Leiden unterlegen. Und er zit
terte bei dem Gedanken, daß es auch
hier zu spät sein könne.
Er war jetzt verantwortlich fiir das
Kind. Sollte er es einpacken, sich mit
ihm in einen Wagen setzen und in ein
Krankenhaus bringen?
Aber die Kälte, der Schneesturm
. . . Es könnte sich noch mehr ertälten.
Selbst gehen und das Nöthige be
schaffen, war auch nicht rathsam, denn
während seiner Abwesenheit könnte
wieder ein Huftenanfall tomnren. «
Nein, er mußte hier« bleiben. Er
würde den Vater schicken. Sobald er
einen Entschluß gefaßt hatte, wurde
er ruhig und sachlich und ergriff auch
Maßregesm die in feinen Kräften
standen
Einiae Minuten später verließ der
Vater, die nmgere Börse des jungen
Mannes in der Tasche, das Haus.
Von einer kleinen Flasche und ei
nem Instrument in einem Etui, davon
hing jetzt das Leben seines Kindes ab
hatte der kleine Doktor gesagt.
Während der Vater im Schneesturm
dahineilte. um seinem Jungen die
Hilfe zu holen, saß die Mutter neben
Philipp am Bettchen des Kleinen.
Mit einem Arm hielt er den Jun
qen sest an seine Schulter gepreßt, mit
der anderen Hand hielt er einen an
der Spitze mit einem Wattetups um
wickelten Bleistist, mit dem er den
Kehltops auspinselte.
So ermöglichte er dem Kinde we
nigstens das Athmen. Mehr konnte
er im Auaenblick nicht thun.
Und Minute aus Minute verrann.
Mit Banaigteit hörte Philipp aus das
schwere Athnten des Kindes-. Würde
der fZIater noch zur rechten Zeit kom
Men
s Endlich unterbrach ein Geräusch im
JKorridor die erdriiclende Stille des
Zimmerg
I Ja, es war die Rettung, die
; nahte!
i Mit Umsicht nnd unter Beistand
s der Mutter wagte Philipp die Opera
« tion. Seine Hand zitterte nicht; als
.er aber damit fertig war und das
»Wind wieder gebettet hatte, da über
. kam ihn ein Zittern, so das-, er nmae
sunten wäre, wenn man ihm nicht bei
sprang
Ermattet von den achabten Aufre
gunan sank er auf den Stuhl am
Bettchen.
Am anderen Moran erwachte er
schauernd vor Kälte. Er mußte sich
erst besinnen, wo er war Er war
aus dem Stuhl eingeschlaer und
fühlte sich an allen Gliedern zerschla
gen. Was für eine Nacht war das
gewesen! —- Und wieviel Sorgfalt
thatte man anwenden müssen, bis der
sKleine eingeschlafen war.
Die Eltern saßen Hand in Hand
an der anderen Seite des Bettchen5.
Sie wagten nicht zu sprechen, aus
sAnash ihn zu werten.
, Philipp neigte sich iiber dass Bett
nnd fiihlte den Puls-. Die Temperatur
war bedeutend gefallen, die Haut bes:
ser«und elastischer.
r-«
Lcccll cllchclll Illglc Ucll Sklccll gr
nug. Das Kind war gerettet! Wei
nend vor Freude umarmten sie sich
nnd auch dem jungen Mann stiegen
die Thriien heisz in die Augen, und
er schämte sich ihrer nicht«
Der Beruf, den er sich gewählt, war
schwer; das hatte ihm die vergangene
Nacht gezeigt! Wieviel Leid und
Thränen würde er noch sehen, aber
anch wieviel Schmerzen würde er lin
dern, wieviel Augen in Glück und
Dankbarkeit aufleuchten sehen! -—-—
War das nicht Dank genug? . . .
War dar- nicht überhaupt werth, zu
leben?...
Und ein Glückgaesiihl war in ihm,
wie er es noch nie empsundent... Er
hatte ein junges Menschenleben geret-:
:et.».. Er mit seinen schwachen stritt
en. . . . .
Und er beugte sich nochmalsz über
das Bettchen und zwei warme Timä
nen, aber Thränen der Freude fielen
aus die mageren, kleinen Hündchen des
Kindes . . .
——·--——-—
Herr Fliegenbem
Die Geschichte eines Lehrerlebens von
Reinhotd Ortmann.
Sein ehrlicher bürgerlicher Name
war Strause — - tiwald Ferdinand
strause Aber Kinder sind boghast.
So tausten die Schiller Krause’s5 ihn
Fliegenbein Man begriff eg, wenn
man ihn sah: ein kleiner runder Schli.
del, etwas in die Breite gehend, ein
kurzer dicker Oberkörver mit eng an
liegender blauer Jacke —— und dann die
Beine, die langen, merkwürdigenBeinc
mit den stets zu kurzen Hosen, die sich
oberhalb der Kniee nach hinten aus
buchteten, während die schmalen, lan
gen Füße sich wie tastend nach vorn
streckten.
Seine Wangen waren blaß, sest und
rund. Kleine Ohren, eine kurze, ge
drungene Nase, aus der eine Brille
ruhte, in der steten Gefahr, hinabzu
gleiten. Hinter der Brille zwei hell
blaue Punkte: kleine, kurzsichtige Au
gen. Ueber den Augen zwei Hügel mit
einem Thal in der Mitte: die Stirn,
und über der Stirn blondes, geschei
telteg Haar, das zur älste die Ohren
bedeckte. Das war « liegenbein« in
seinem Aeußeren. So steht er vor
mir, trotzdem es mehr als zwanzig
Jahre sind, in denen ich ihn nicht mehr
gesehen
m lachen muoe, aues oegreneno.
alles verzeihend. Tro dein tnm Flie
genbein in dir ersten ;eit seiner Lehr
thätigleit nn unserer Schule in den
Verdacht eines Prügelpädagogen Nie
mand von seinen Collegen verbrauchte
so viele Rohrstöcke wie er. Der Reltor
stand mehr alg einmal auf dem
Sprunge, ihm eine diplomatische
Paule zu halten, daß er die Schule
nicht in Verrus bringe. Bis man da
hinter lam, daß er äußerst selten
schlug. Und dann hatte er den grös;
ten Schmerz davon.
Wußte er mit einem straswiirdigen
Schüler nichts anderes anzufangen,
dann sagte er voll Zorn: »Marsch,
zum Schuldiener! Hof einen Stock!«
Der Delinquent schlich davon, beeilte
sich aber nicht mit der Rückkunft
,,Biicl’ Dich!« Gehorsam beugte der
Schüler die Nase zur Erde. Dann
psiss’"s über ihm: Fliegenbetn ließ dag
Rohr einige Male durch die Lust sau
sen, ohne zu schlagen. Dann gad’s:«
em Knaclem der Stock flo zerbrochen
in eine Ecke. «Mach’, daß Zu ausDeis
nen Pla tommstl Jch schäme mich
fiir Dich.« Wirllich legte sich ein röth
licher lAnslug aus die blassen Wangen.
Zuweilen quch wickelte er den Stock
in Papier, übergab ihn dem zu Stra
senden und sagte: ,,Eine Empfehlung
an Deinen Vater. Das hier wäre die
Prämie, die Du verdient haft. Morgen
will ich eine Quittung mit der Unter
schrift Deineg Vaters sehen «
Er fah selten eine, fragte auch nicht
danach. Der Stock wurde von uns
auf dem Nachhaufewege in fingerlange
Stücke gefchnitten und verrauchtDaS
ioar auch eine Strafe.
Dann kam der Tag Wes war ein
verksängnißvoller für Fliegenbein —
da machte er Hochzeit Wir fangen
in der Kirche auf dem Chor. Als Flie
genbein neben feiner kleinen, runden,
ganz in Weiß gekleideten Zukiinftigen
I:iederkniete, fiel es mir unwillkürlich
in die Augen, daß auch an feinem
schwarzen Hochzeitgbeinkleid ein Stück
fehlte. Seiner jungen Frau fehlte an
Fiorpergröße ein Stück: fie reichte
ihrem Gatten gerade big zu denSchul
tern, erfetzte diesen Mangel aber durch
ein reichliches Maß von Energie Ar
mer Fliegenbein! Wenn wir alles
nüßtent Aber wir wissen nur eine
kleine ganz kleine Begebenheit alltäg
äickxfainiliäreli Charakters —--— und
o
Kurz nach seiner Berheirathung
suchte Fliegenbein Privatschiiler —
pro Stunde fünfzig Pfennige. Jch
wurde auch hingeschickt, trotzdem ich
neinen Eltern Diese Verschwendung
auszureden suchte. Es hals nichts.
Zweimal in der Woche mußte ich hin,
Nachmittags wenn die Gescheiteren
Räuber spielten oder Drachen steigen
ließen oder Aepsel mausten. Wir wa-«
ten unserer sünf Unglückliche, denen
Fliegenhein mit mehr Eifer als Er-:
folg geographische und geschichtliche
(Js·xtr -Fienntnisse einzutrichtern sich
bemiihte Viel ist nicht hängen geblie
Len, aber e i ne Stunde hab’ ich noch
so in der Erinnerung, als hätte ich sie
gestern erlebt.
Fliegenbein hatte uns von den Hel
denkiimpsen einst und jetzt gesprochen.
Nicht sehr methodisch; die Begeisterung
riß ihn hin. Hermann, der Cheruster,
irar eine Lieblingsgestalt Fliegen
hein’g. Deshalb begann er mit der
Schlacht im Teutoburger Walde, ging
mit Varus nach Rom, verirrte sieh
nach Sparta und kam iiber Tell’5
Schweiz nach Sedan.
»Was fiir eine Lehre müssen wir
aus all« diesen Kämpfen entnehmen?
»Welche Moral springt neben der selbst
verständlichen Vaterlandgliebe aus«
diesen geschichtlichen Greignissen in die
Augen? Was ist ihnen allen gemein
sain?« Hier machte Fliegenbein eine
Pause, während ein heißes Noth der
Begeisterung in seine Wangen stieg
und seine Brille sich der Reihe nach
aus uns richtete. »Der persönliche
Heldenmuth ist es, den wir überall de
wundern müssen. Wie das Leben ge
ring geachtet wurde, wenn eH die Ehre
galt! Nicht im seigen Zurückweichen
vor den jeweiligen Hindernissen -— in
Schwachheit und bangem Erdulden
liegt unser Heil, sondern iin Wider
? stand und niuthvollen Eroberer. Wie es
»auch sei! Was es auch sei! Kühnheit,
»llnerschroctenheit, Stärke zieren den
Mann in allen Lebenslagen Hel
denherzen können auch unter dein
schlichtesten Rock schlagen. Dazu de
»darf’5 keiner Generalgunisorin, meine
lieben Kinder. Denken wir nur an ----- «
,,Ewald Ferdinand!« Frau Fliegen
bein steckte den rothen runden Kopf
durch die geösante Thür.
Unser Lehrer eilte hinaus. Die Thür
blieb angelehnt und wir hörten das
Fol«ende:
»Ein ist ein Bote, Ewald Judi
i:and. Mit Cigarren. Es ist doch wohl
kaum möglich, daß Du schon wie
et ——«
,,Doch, Amalie Nimm sie, bitte, ab
und bezahle.«
»Ich werde mich hüten! Das ist
eine Verschwendung ——- unerhört! Mit
vollen Händen wirsst Du das Geld
hinaus sür Sachen, die ganz liber
stüssig sind.«
»Du ilberireibst, Amalle·«
»So? Jch übertreibe? Jsst eg nicht
meine Pflicht als Mutter, an meine
Kinder zu deuten? Oder sollen sie in
zerrissenen Schuhen umherlaufen?«
»Aber sie sind ja noch gar nicht
» geboren.«
»Ganz erleich! Ein braver Familien
vater sorijt bei sieitein Du mußt es
ausgeben, das Rauchein Du inuszil
verlange eS von Dir! Oder
! kannst Du mir irgend einen vernünfti-v
en Grund sür die Pasferei anaeben?
Za? Kannst Dus«
Eine Pause Ein Seufzer.
—,,Scbicl’ den Boten fort, Arnalie.
Sag’, ich s— ich würde mir eine ans
dere Sorte ----- «
Eine Thiir llappte scharf
Fliegenbein trat zu uns herein.
seine lurzsichtigen Augen Prüfend über
uns hinweggeben lassend. Dann
wischte er sich den Schweiß von der
Stirn und puyte nachentlich die Brille.
Lange, in sich versunken. Plötzlich
erinnerte er sieh unser: . ,,Wo blieben
wir stehen?«
,,Beim Heldenberz!« schrie Alwin,
der Gastivirthssohn.
Fliegenbein fuhr zusammen. Dann
zog er die Uhr: »Gleich vier. Geht
inach Hause, Kinder Mir ist nicht gam
Iwohl Ein ander Mal mehr davon.«
Wir gingen. Jch war der Letzte
, und wandte mich in derThiir noch ein
mal um: Fliegenbein war aufgestan
den, putzte nosch immer an seiner Brille,
die Augen sinnend vor sich hin gerich
tei. Dabei wackelte der kleine runde
Schädel mit den blassen Wangen.
W
Gekrönte Schachte-toten
Das »königliche Spiel« hat einen
neuen Anhänger unter den getrönten
Häuptern gewonnen: pon König
Eduard dem Siebenten wird berichtet,
daß er neuerdings eine große Begeiste
rung fiir das Schachspiel an den Tag
lege. Damit folgt er nur dem Bei
spiel vieler seiner Vorfahren. So war
besonders Eduard der Erste ein lei
denschaftlicher Schachspieler, der sich
namentlich sehr gut auf das Operiren
mit Thürmen und Bauern verstand.
Seine Gemahlin war nicht minder
tüchtig in dem edlen Spiel und sie
schlug ihn gelegentlich auch; einmal
schenkte er ihr für ihren Sieg ein Brett
nnd Figuren aus JaspiJ und Kristall.
Minder erlauchten Gegnern mag es;
nicht immer ein ungetheiltes Vergnii
gen gewesen sein, mit einem König
Schach zu spielen, war es fiir sie doch
oft sehr gefährlich —-— zu siegen! Ob
die cpieler früherer Zeiten jähzorni
aer waren, als sie es heute sind, wo
ung gerade dag Schach alg das fried
sertigste aller Spiele erscheint, ist nicht
leicht zu sagen; Thatsache ist jeden
falls, daß manches in aller Freund
schaft beaonnene Spiel mit zerbroche
nen Köpfen endete.
Als Prinz Heinrich, der spätere
Heinrich der Erste, einst zum Besuch
am französischen Hofe weilte, gewann
»er, wie eine alte Chronik erzählt, beim
Schachfpiel mit Ludwig, dem ältesten
Sohn des König-Z, so oft, daß dieser
in Wuth gerieth, ihm ein Schimpf
wort zurief und das Schachbrett inUZ
Gesicht warf. Heinrich nahm das
Schachbrett auf und schlug Ludwig
damit so kräftig, daß Blut floß; er
zbätte ihn getödtet, wenn nicht sein
Bruder Robert gekommen wäre undz
sich dazwischen geworfen hatte, was
rauf beide schleunigst ihre Pferde be
stiegen und sich davonmachien. König
Johann hatte in seiner Jugend ein
ähnliches Erlebniß7 ein Schachspiel,
tei dem ein gewisser Full Warine sein
Gegner war, endete mit einer könie
lichen Briigelei bei der Fult dem
Prinzen ,,einen so siirchterlicbenSchlag
gab daß er ihn fast auf der Stelle er i
schlagen hätte« zohann vergaß den
Schlag nie und pergab auch feinem
jähzornigen Gegner nicht; algersdii
ter auf den Thron tam, bestrafte er
ihn dadurch, daß er ihin sein Erbe,
lWhittington l5astle, Vorenthielt.
Wilhelm der Eroberer wurde mehr
als einmal beim Schachspiel "cihzor
nig; einmal hatte das ernste Folgen.
Er spielte mit dem Sohne des Köning
von Frankreich, eg kam zu einem hitzi—
gen Wortstreit, und schließlich schlug
Wilhelm mit dem Brett so heftig auf
den Kopf seines Gegner-J, daß dieser
bewußtlos hinfiel. Innerhalb einer
Stunde hatte Wilhelms Pferd seinen
Reiter ein paar Meilen vom französi
schen Hof entfernt. Philipp dethveite
von Spanien war beim Schachspiel so
lange liebenswürdig, wie er gewann;
aber wehe dem Spieler-, der ihn schach
und matt setzte; Verbannung vom
Hofe war die mildeste Strafe, die ihn
erwartete. Einer der inächtigsten spa
nischen Granden kehrte eines Tages-,
nachdem er mit dem König Schach ge
spielt hatte, heim und begrüßte seine
Familie mit den Worten: »Liebe Rin
der, wir haben nichts mehr am Hofe
zu suchen. Wir können keine Gunst
mehr von dort erwarten; der König ist
beleidigt, ich habe jedes Spiel Schach
aewonnen.« Auch Napoleon der Erste
war ein höchst unduldsamer Spieler.
Einmal saß er mit Eugene Beauhar
nais am Schachbrett: als er plötzlich
sah, daß er schachmatt war, wars er
tn seiner Wuth das Schachbrett, die
Figuren und alleg vom Tisch, schlug
seinem Gegner in’S Gesicht und ver
ließ das Zimmer. Jn einem Fall hat
das Schachspiel auch sogar ein fiirst
liches Ehepaar entzweit, und dies kam
schließli dem Manne sehr theuerzn
stehen. z- ertand, Gras von Flandem
spielte immer mit seiner Gemahlin; er l
war aber so nngalant, fast jedes Spiel
zu gewinnen. Die ständigen Nieder
lagen ärger-ten die Gräfin so sehr,
daß sie schließlich ihren Mann l)aßte,
nnd als er im Jahre 1214 in der
Schlacht bei Bouvineg geschlagen
wurde, weigerte sie sich aeradezu, et
was für seine Befreiung zu thun.
Ludwia der Dreizehnte von Franl
reich spielte so leidenschaftlich Schach,
daß sein Schachbrett und die Figuren
ihn stets begleiteten; auch wenn er
ai.ssnl)r, spielte er in seinem Wagen.
Ebenso war Karl der Erste so saszis
nirt von dem Spiel, da; er sast bis
zum Fuß des Schaffotg chach spielte,
und als einst sein Spiel durch die
Nachricht unterbrochen wurde, die
Schotten hätten beschlossen, ihn an’z
Parlament zu verkaufen, machte er
ruhig seinen Zug weiter.
W
Øtu merkwürdige- Gutme
wsj
Den Stammtisch eines Gasthauses "
leuchte re elmäßig in alter gemiith--«
klirher Herr? dem di?f Geselligkeit über
falles ging. Auch- liebte er es, htnund
wieder einen Scherz zu machen. So
sprach er auchieinmal davon, daß er
raij vorher ein kleines Abendessen ver
sanstaltet habe, welchem außer i
tfelbst beigewohnt hätten: seines a
ters Schwager, seines Bruders-Schwie
gervater, seines Schwiegervater-s
Schwuger und seines Schloagers
Schwiegervater »Wie viei Gäste wa
ren Nil-« sraate er und lachte dabei
in der Bart. Natürlich lautete die
Antwort, das- werden 5 Personen ge
wesen sein. Er aber erklärte, daß nach
ctsiger Angabe nur er allein gespeist
hate nnd kein einziger Gast zugegen
aewesen sei. lssrst viel später gav der
Mann sein Tsjeheimniß zum besten nnd
scatte: Jet) bin Wittwer und habe eine
l;(-iratbr4fähige Tochter, sowie eine
Cäiestoclfstuz ferner eine heiraths
sahiae Schwester und einen Bruder.
Mein Vater ist ebenfalls Wittwer.
Jch sowohl wie auch mein Vater hei
ratheten 2 Schwestern; damit wurde
ich der Schwur-er meines Vaters.
Mein Bruder heirathete darauf meine
Stieftorhter, damit wurde ich. meines
Bruders Schwiegervater. Mein
Schwiegervater heirathete nun meine
Schwester, damit wurde ich meines
Schmiegervaterg Schweigen Mein
Schlvager, ein Bruder meiner Frau,
heirathete endlich meine Tochter, und
damit wurde ich zum Schwiegervater
meine-J Schwarzeer
Eine Todtemrhn
- Einer grausigen Liebhaberei huldigt
ein indischer Fürst. Er besitzt eine so
genannte Todtenuhr. Dicht am Zif
fernblatte der Uhr ist eine Glocke an
gebracht, die aus vier kleinen Metall
fi.ifxen steht, Darunter ein Wirrwarr
von menschlichen Gebeinen. Diese Ge
beine stellen ein Dutzend menschlicher
Stelette dar. Sowie nun der Stun
denzeiger ein-H anzeigt, bildet sich ans
den Gebeinen ein Skelett, das-, infolge
eines geistreichen Mechanismus, sich
aufrichtet, einen Hammer ergreift und
einmal auf die Glocke schlägt. Um
zwei Uhr richten sich zwei Knochen
ecrijste auf und machen zusammen
zlrsei Schläge. Und so geht es fort bis
um die mitternächtige Stunde, wo alle
zwölf Stelette in aufrechter Stellung
die Glocke schlagen, im Ganzen zwölf
mal. Sobald aber der letzte Schlag
verklungen ist, wenden sich die Ste
letie unt nnd zerfallen alle auf einmal
wieder in einzelne Knochen und
Schädel. -
————-O.-.
St- ateu und Hackctu
Auf Veranlassung des technischen
Jnfanteriesiomites hat der französi
sche Ziriegsminister am 11. Januar
1906 einen jetzt bekannt werdenden
sehr wichtigen Entschluß gefaßt, den
man als das Ergebniß der Erfahrun
gen dei- russisch-japanischen Krieges
betrachten kann. Er ist um so bemer
tengtoerthen als man sonst bestrebt ist,
den Jnsanteristen möglichst zu ent
lcssten. Statt der 534 tragbaren Werk
zeuge, die die französische Jnsanterie
Kompagnie bis jetzt mitführt, um
lkrdarbeiten auszuführen und Hinder
nisse zu zerstören, wird sie in Zukunft
iiber Jst also fast das Sechgfache.
verfügen. Die Werkzeuge fiir Erd
arbeiten steigen aus144, fast das
Zwölsfaitte nämlich 112 kleine Spa
ten, 522 kurzstielige Harten. Man ist
also in der Lage, selbst wenn die
ganze Kompagnie ausgeschtoärmt ist,
stets von Z Leuten einen an dem Aus
lseben einer Deckung arbeiten zu las
sen, während der andere seuert. Bei
den Werkzeugen zum Zerstören von
Hindernissen ist die Vermehrung der
Drabtscbeeren von großer Bedeutung,
da man mit den Drahthindernissen
stbr viel rechnen muß.
Spiürhe mit Einwendungen-.
»Die Frauen hdben ihre Vorrechte,«
sagte Karlchem da hatte er zu Weih
nachten die Psefferluchenfrau zuerst
verspeist.
»Ich bin ganz enttäuscht,« gestand
die tnoderne Schriftstellerin, --— da
hatte sie geheirathet und war merktviir
Tigerweise ganz glücklich geworden.
»Es sind jetzt schlechte Zeiten!« —
iies Student Schaum aug, da erzählte
ihm Pump, daß jetzt sogar die Lust
sliissig gemacht wird.
»O käme der Frühling und brächte
mir Veilctent« s-— ries der Gauner
aug, da stand er am Gitter seine-J Zel
lcnsensterg und hätte gern ein paar
,,««5eilchen« gehabt.
»Die hängt mir schon zum Halse
heraust« -— sagte ein Gast, da srug
inh der stellner. ob er Rindgzunge zu
speisen wünsche.
»Das sind gewonnene Schlachten,«
-—- sagte der General, da hatte er in
einer Ausstellnng zwei Schlachtenge
tnälde gewonnen.
Ein moderner Dichter-.
»Lieber Freund, wollen Sie mein
Liebesgedicht aus Fräulein Rosa
Meier hören? . . . Jch habe es gedich
tet, nachdem ich mich über sie im Aus
kunstgbureau erkundigt hatte . . . .!«
Wen das Leben zerbrach, der sagt:
ich habe es genossen.
Georg Lorner.