Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, February 02, 1906, Sweiter Theil., Image 9

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    Yeörasåa
taats Inzriger nnd Yerold
, J. P. Wiudolph, Herausgehen Grund Island Neht.. 2 weint-at 1906 (ZwetterTbetl.) Jahrgang 26 No. 23
Va-« Menschenherz
Jnhaltsschwere Tasse liegen
Jn der Zukunft Schooß verborgen.
Aus dem unbeticht'ten »Heute«
Stumm entwickelt sich der ,,Motgeu«.
Aus dem unscheinbatften Samen
Wachsen stämm’ge alte Eichen;
Vor des Wasser-S Trefqu Tropfen
Muß der Fels «;11 Sand erweichen
So aus Lachen, Singen. Wirken
Aus dem Kleinen, aus dem Schmerze
Wächst in Zeit durch Lieb’ und Treue
Leis’ und still ein Menschenherze.
-
Der Hausfkeund.
Novellette von Paul Herinann
Hartioig.
An der Vorplatittiiir wurde getlin
gelt. erst zaghaft, aber gleich darauf
heftig, fordernd.
Frau Therese, die aus einem Holz
stuhle am Fenster saß und apathisch
in den regenfchweren Tag starrte,
zuate ängstlich zusammen. Sie er
schrak immer, wenn drauf-en so nach
driicklich Einlaß begehrt wurde, das
hatten sie die l ten Wochen gelehrt.
Tante Marie mu te stets dreimal an
tlopfen, trenn sie zum Besuch lam.
Was mochte es nun wieder sein!
Frau Therese Preßte mit qualvol
lem Ausdruck die Schlafen, als sie
mühsam auf den Vorplatz ging, um
zu öffnen. Es toar ein Kommis des
Schnittwaaren - Geschäfte-, der eine
Rechnung von 60 Mart für einherbst
tleid präsentirte. -
»Mein Mann ist im Auaenblick
nicht zu Hause. tommen Sie in eini- -
aen Tagen wieder. Sie Herden dann
Bezahlung erhalten«
Sie sprach die Lüae mechanisch ans,
die ihr so geläufig geworden war.
»Aber es muß auch aeusisi seinEserr «
Waaner rechnet daraus.« »
Der Kommiz sab sie listig unver- ;
sckämt an. »
»Es-Eben Sie, Ihr Herr wird be
zahlt werden«
Der Mahner ging. ;
Frau Therese hatte dem Geschiistj
früher Tausende zu verdienen geaeben, »
aber trotzdem empfand sie die Belei- ;
diauua nicht mehr, die in der drin-;
arnd aeftellten Forderung taa. Sirt
witterten eben alle, daß das Schiffs
zum Wrack »eworden war. !
»Mir nicht denken nicht an die«
fchiine Veraanaenl)eit. nicht an dies
Zukunft! Die Zukunft gab es denn .
ein? Sie hatte ihren alten Platz noch !
nicht wieder eingenommen, als- aus-T
einem Nebenzimmer leiser Gefana er
füllte. (
»Mein Feind-« cis-. ixuck Scheint
flog über ihr müdes junges Gesicht, in (
das dir letzten Woxlien unzerstörbarr
Linien gegeer nimm Sie öffnet-i
die Tbür zu dem Reieniimmen wo«
das Rindermiidchen welches nach dem
Litusammenbruch mit riihrender Hin-(
bänglichteit bei ihr aiistsgelialten hatte, »
den tleinen Holln in den Schlaf i
wiegte. i
»Schläft Reinbold?« !
»Ja, gnädiae Frau, er bat gut ges i
trunken und ist gleich eingeschlafen.«
Um seinetwillen, der da so friedlich i
seinen ersten stindertraum träumte,»
wollten sie die aanze Last des Da
seins, die erbärmliche Miiere ertra-»
gen. Sie standen dem Neuen so bils- l
los gegenüber, er der frühere Osfi·3ier,
der in Folge unbedachter Worte sei- !
nen Abschied hatte nehmen müssen,
sie, die Tochter aus vornehmem Beam: !
tenbause. der man die »iibereilte Lie
besheiratb« nicht ver·iieh. Und nach
der Pensioniruna das Vabanaue- E
Spielen und Verlieren Sie selbst
hatte dem Gatten daiu aerathen und
fühlte sich nnn mitschuldig an dem
Zusainmenbruch des Hauses. Sie
wollten ja auch nicht llein werden.
Klaalos hatten sie die Einrichtng
in die Auttionsballe wandern sehen,
sie war mit 7000 Mart bewerthet ac
wesen und brachte tanm 150(.I. Die
theure Wohnung hatten sie noch behal
ten miifsen. Frau Therese fror in den
leeren öden Stuben, die soviel Glück
einaefchlofsen hatten, abr das Glück
wohnte noch darin, das war doch
nicht abhängig von Aeuszerlichteiten
Nehmen konnte man ihnen bald
nichts mehr, gleich in der Frühe war
wieder kein Gerichtgvollzieher dagewe
sen und hatte die Rubinen von den
Familienbildern gesieaelt. Sein su
chendes Auge war auch auf Wald
mann gefallen. »Woh! ein Rasse
hund?« hatte er gemeint und nach dem
Hals-band greifen wollen.
Aber Waldmann hatte nach der
lurzen rothen Hand geschnaubt und
Fersengeld gegeben.
»Er gehört meiner Tantekfrau von
Vollenius,« hatte Frau Therese rasch
gelogen.
Nein, den lieb-en Sterl, den Zeus-en
ihrer schönsten Tage konnte sie nicht
auch noch hergeben.
Jetzt hatte ihr Gotte den Hund auf
einen Geschäftsgang mitqenommen.
Diefe »Grsck:«cift13qänae«, welche die
Möalichteit zur Fortführung einer
Existenz brinan sollten, waren bis
fest alle refultatlos verlaufen.
Gute Beksprechunaen für die Ru
hean wenn man davon leben könnte!
Auch heute würde es wieder nichts
werden« Sie fürchtete schon den mü
den boffnunqsiosen Rua in dem Ge
sicht ihres Mannes. Nein, hoffnunas
los» durften fie, nicht werden, ihre
Ptuiunaszeit hatte ja erst begonnen.
»Die Domain schlug. Frau Therese
zahlte die Schläge, denn eine Uhr
besahen sie nickt mehr. Schot- zwölf,
da kannte Herbert jeden Augenblick
kommen
Sie deckte den rothen Kiichentifcb,
der nebst einigen rothen Stuhlen ·d1e
Stelle der geschmackvollen Eint-tre
Einrichtung einnehm. Die Reste, die
sie auftrug, bildeten taum noch eine
anständige Mahlzeit, aber sie gewöhn
ten sich, im Kleinen zu sparen. Sie
thaten dann, als merkten sie die Ver
änderungen im Haushalt nicht. Er
richtete sich immer wieder an ihrem
scheinbar unzerstörbar-en Gleichinuth
auf und sie ftiirtte sich an feiner zur
Schau getragenen Zuversicht Im
;Grunde aber waren sie jämmerlich
miirbe.
Auf der Treppe bellte Wald’l, fein
Herr rief ihm etwas zu, nein. nicht
ihm, einem anderen Menschen. Nun
wurde die Thiir mit einem Drücker
geöffnet, und Frau Therefe konnte
hören. Herbert sprach ungeduldig und
heftig, — also wieder etwas Wange
nehmes.
»Den Hund tann ich anen nicht
geben« was nützt«er Ihn-en auch, er
bleibt ja bei keinem Anderen, Hielt
Wald’l?«
»Es thut mir leid, aber Jhr Gläu
biger hat nrich extra aus den Hund
aufmerksam gemacht, es ist ’n Luxus
aegenftand. Jch must ihn nehmen.
Und wie wollten Sie auch die Steuer
zahlen fiir den Köter?«’
Er betonte das »Sie« und es klang
so geringschätzig daß dem anderen
das Blut duntel in die Wangen stieg.
»Werden Sie nicht uncrtig.«
Frau Therese stürzte heraus, der
mächtige Dackl sorana tm ihr em
por, als ahne er Gefahr.
»Ja. Wald"l, was ist jetzt der-Z«Dich
wollen-Z haben. deeg aiebt’s ja net,
gelt, mei braves Hundert Nein, mein
Herr, wir haben alles hinaeaebem
selbst unsere Traurinae, aber den
Hund ———- nein, den dtirfen Sie uns
nicht nehmen«
»Das geht schon nicht anders. Heut
Nachmittag ist Versteigeruna, vielleicht
daß keiner aus ibn bietet. und Sie
können ibn billig wiederlrieaen oder
jemand Verwandte-z lauft ihn.«
Es half also nichts. bBJ-ald’l raste
zwar wie ein Unsinniaer in dem Cin
tree umher, aber am Ende wurde er
doch von der band des Erecutors er
wischt und abgefiihrt.
Frau Therese weinte fasjritiaslos,
sie war so lange start gewesen, nun
brachen aus einmal die' liinstlich er
richteten Dämme· Sie tonnte sich gar
nicht beruhiaen.
»Mir ist, als hätten wir unser
Glück hingegeben. Bei unserer Ver
lobung war er dabei, und wie wir
uns den ersten Kuß gegeben haben,
das hat er auch gesehen, der liebe,
brave schwarze Kerl.«
Herbert versuchte nach Kräften, sein
betriibtcs Weib zu beruhigen, aber
iljne selber war’5 ganz weich unse
Hetz, als der Gefährte seiner sröbs
lichen Zeit, der Liebling seiner The
rese, auf solche Weise Abschied nehmen
mußte. Aus «seinem spiegelt-lauten
schwarzen Fell waren sich die Hände
zuerst begegnet, und der Blick, mit
welchem Therese ihn ansah, aab ihm
die schönste Verheißung.
Wie hina der Himmel damals vol-—
ler Geigen und nun --— Ach, wie
schwer war doch das Leben . . . .
Frau Therese gab sich einen Ruck
und trocknete ihre Augen. (
»Magst nichts essen, Herberis Du
mußt doch sehr hungrig sein.«
Sie setzten sich beide, aber es schmeck
te teinem so recht; sie mochten auch
: nicht sprechen.
Einmal sagte Herberh
. »Du Resi, die Koteletieluochen
Hier-'s aber dann unterbrach er sich,
l Therese sah ihn tummervoll an.
Die Stunden schlichen mit bleierner
Langsamleit dahin, es regnete noch
unaufhörlich Bindfaden und das un
freundlich-: Wetter drückte die Stim
mung der Gatten noch mehr. Man
hatte Herbert auch seine kleine Biblio
tbek genommen: gelangweilt durchmasz
er die leeren Zimmer, schließlich wars
er sich aufs Bett, um zu schlafen.
Frau Therese badete den kleinen
Dolch der lustig trähte und mit blan
ten Augen in die unwirthliche Welt
Gegen 4 Uhr konnte sie es nicht mehr
ertragen.
«Herbett, möchtest Du Dies-) nicht
anziehen nnd in die Auttionshalle
gehen. Wir müssen doch wissen wo
unser braver Hausfrennd bleibt Oder
-mit einem raschen Entschlus- nahm
sie aus ihrem Poetemonnnie eine
Summe —- vielleicht. « -·- -
. »Ein Thalet«, meinte er mitleidig,
»was Du dir dentst, hundertzwanzig
Mark bot man mir damals.«
»Die Menschen wissen den Werth
des hundes vielleicht nicht zu beuriheik
len.« Derbekt ging mit geringen Hoff
nungen. Das Anttions - Lokal war
mäßig gefälli, meistens mit alten-Tröd
--.Z « - . -...
lerinnen und Handelsjudem Diesen
galt die Sorge Herberts nicht, eher
dem weißlöpfigen alten Herrn, der
bereits eine Sammlung Rehgehörne
erstanden hatte. Der sah so erwerbs- ’
lustig aus, aber gut würde der treueJ
Kerl es bei ..,m haben, besser wie beii
ihm.
Da erspähte Wald’l seinen Herrn,l
wie jämmerlich der arme Bursche um
Befreiung aus feiner unwiirdigen Lage (
bat; unruhig riß er an feiner Leine
und die traurigsten Augen« machte er,
die nur ein Dackel machen kann. Die
Trödler wurden durch das nnruhige
Gebohren des Hundes aufmerksam.
»Das Vieh, am Krepiren ist’s,
grad naus auf’n Schindanger müßt’5
g’fabren wer’n."
Herberi fah den Sprecher ordentlich
dankbar an; diese Aeußeruna wiirde
der Kauflusi noch mehr schaden. Und
richtig, als der Auktionator anfing,
auszubietem »Ein schwarzer, großer
Dachshund ohne Abzeichem ein Rasse
hund«, verlxarrten alle in Stillschwei
gen.
Wald’l machte ein Gesicht, als ob’s
Matthäi am letzten sei. »Vielleicht
lönnt’ mern schlachten-"
Entsetzt blickte sichWald’ls Herr nach
der Urbeberin dieser Ansicht, einer be
haglich dreinschauenden, wohlgenähr
ten Person um. Da bot der alte Herr-,
wohl nur um den Anfang zu machen,
eine Mark, als aber Herbert das Gebot
sofort auf zweiMarlerhöhte. brach der
erste Bieter ab. Sein mitleidiger Blick
traf den langen Herrn, der mit so viel
Unruhe und Verlegenheit dem Handel
splgte
»Zum dritten —
Der Hammer fiel, das Unwahr
scheinliche war geschehen. Herbert hatte
seinen Hausfreund wieder.
Wald’l«5 Freude war schier närrisch,
immer wieder sprang er an seinem
Herrn empor, als hätte er ihn jahre
lang unter den schrecklichsten Buckel
drangfalen entbehren müssen.
»Sie sclzeinen den Hund sehr lieb zu
haben.«
Es war der alle Herr, der sich beim
Ausgang »aus dem Anttionsloial zu
dem freudig erregten Herbert wandte.
s,,«-’freilsich ——— ob, und meine Frau
er t.«
»Sie können von Glück sagen, daß
Sie das werthvolle Thier so billig er
standen haben, wenn Liebhaber da
gewesen wär-en«
Herbert dachte an die wohlgenährte
Person und schauderte. Dann fiel es
ihm mit einem Male schwer aus’g Ge
miith-, daß das heutige Ereigniß der
Anfang von vielen ähnlichen sein
miisse und daß er seinen Liebling nicht
simmer so leicht zuriickerobern könne
IZUtn Beispiel, wenn das Geld für
Brod und Milch nöthig sei.
Ein schneller Entschluß reiste in
ihm, noch wußte Therese ja nichts
,,Mein Herr, Sie machen einen so
hundefreundlichen Eindruct, möchten
Sie meinen Waldmann vielleicht doch
nehmen?«
»Sie wollen sich bon ihm trennen
und jetzt, ich habe doch gesehen, wie
Sie sich um ihn bangten.«
»Es muß sein«
Ein glücklicher Augenblick löste ihm
die Zunge, und der alte Herr mit den
gütigen, vornehmen Gesicht5·;iiaeri war
ein aufmerlsamer Hörer.
Manch scharfer Blict priifte den
Erzählen dessen Wangen sich bei der
.Riickerinnerung an erlittene Unbill
iröthetew Als er geendet, fragte der
Alte kurz:
»Und der Maior will Ihnen wohl,
bei ihm kann ich mich nach Allem er
lundigen?"
»Gewiß, natürlich, wie nieinonSie
das?« «
»Mein Schwiegersohn hat bis jetzt
mein Gestiit in Georgsweiler «eleitet.
Er hat ein Gut geerbt und gie t seine
Stellung auf· Jch isuclxe nun eine tüch
tige Kraft mit Lut zur Sache, schar
sem Auge und rafchern Zugreifen. —
Vielleicht ersparen Sie mir die Mühe
des Suchen-W
Ueber Herbert sluthete eine Freu
«
Ventrete ,
»Mein Herr, ich bin ein Mann von
raschem Zugreifen ----« -
»Kommet! Sie morgen in mein
Ootclx wenn Sie der sind, fiir den ich
Sie halte, so werben wir einig·«
Wald’l, der sonst ein gesitteter
Hund war, vergaß in einem jähen,
unniotivirten Freudenausbruch alle
Wohlerzogenlyeit Er sprang an dem
Fremden empor und gab seinemWohl
gefallen durch lautes Gebell Ausdruck.
»Den schwarzen Teufel halten Sie
fein werth.«
»Das will ich"
Mit Pseifcn und Singen, wie
früher wohl, sprang er die Stufen
der Treppe hinauf.
Wald’l raste und tobte, bis Frau
Therese die Thiir öffnete. Da wurde
er still, er ließ sich auf den Arm neh
men und drückte seinen schwatzen Kopf
zärtlich an die Wange seiner Herrin.
»Das is sei gut, deeö is fei gut, daß
d’ wieder da bist, mei hetzige Kerl.«
Dann fiel sie dem Uebetbsringer der
utlen gefegneten Nachricht um den
a s.
»Und ich war schon verzagt.«
»Und ich!« «
»Komm zu unserm Jungen, mir ist
schon, als möchst’ ich grad« beten.«
Wald’l, der Haus-freund, trottete gra
vitätisch mit an die Wiege, und wer
Fallte sagen, daß hier seinPlatz nicht
et.
Der Regen hatte aufgehört, auf der
Wiegendecke des lleinen Holly lag der
helle Schein der Nachmittaqssonne.
Nos
Die alte Wanduhr.
l
Stizze von Emil Marriot. l
Fünfzig Jahr-et — Sein Geburtss
tag war heute. —Er saß einsam in
seinem Zimmer und blickte zurück auf
ein halbes Jahrhundert. —- Tiefe
Stille ringsum —- nur-die alteWand
uhr ihm geqeniiber tönte ihr einför
miges Vol-Tuch s-— Er sah zu ihr
hinüber mit liebendem Blick, feuchte
Wehmuth füllte sein Auge —»-— tick-tack,
tict-tact! —-—
Es war eine unscheinbare, alt
modische Wanduhr mit Ketten und
Gewichten zum Aufziehen-——die Uhr
seiner Mutter. —— Seiner Mutter-!
Sechg Jahre war er alt gewesen, da
hatte man Blumen auf den Weg se
streut und sie hinausgetragen zur
ewigen Ruhe, den Vater hatte er schon
früher verloren.
Nur wenig Erinnerung haftete ans
jener Zeit, doch dieser Tag war ihm
lebendig geblieben. Er wußtees noch,
wie zwei betannte kleine Mädchen in
weißen Kleidern, Körbchen mit Blu
men in der Hand, vorangingsen nnd
diese ausstreuten Alle waren festlich
gekleidet, es gab Kuchen, und das
alle-s war ihm so schön, so feierlich
erschienen Thränenlog war er
danach mit der Tante abgereist in
eine neue Heimath, wo er alles fand,
nur keine Liebe.
Zwar war ihm dies nie richtig zum
Bewußtsein getommen, aber ein un
nennbareg Etwas hatte sich wieder
holt in seinem Innern gesammelt, das
sich von Zeit zu Zeit entladen mußte
mit elementarer Gewalt, das siehl
Bahn brach, wenn er allein war, in
herzzerreißendem Schluchzen und
Würgen und laut heulendem Jam
mer. Doch wenn es vorüber war,
war er wieder der fidele und wilde
Junge. Zum Nachdenken kam er
nicht, so ging es- fort, bis wieder eine
neue Ausladung erfolgte. Aber auch
dies verlor sich.
Liebeleer war seine Jugend dahin
geflossen, wohl hatte er oft, o so oft,
eine furchtbare Oede und Leere in
seinem Leben gefühlt und düsterer
Weltschmerz hatte sein Jnnereg zer
wiihlt -— doch die Liebe selbst hatte
er nicht vermißt, hatte er sie doch nie
lennen gelernt. So war er zum
Jüngling gereift.
Da zog sie ein mit jubelnden th
torden und schmetternden Fanfaren
in sein zitterndes Herz, hielt ihn um
fangen in seligeni Wahnsinn, eine Of
fenbarung aus einer anderen. nie ge
tannten Welt. Das große Geheim
nisz des Lebens enthüllte sich seinen
tkuntenen Blicken, der Vergangenheit
Räthfet lösten sich in der heiligen
Macht der Liebe, er ertannte, was
ihm vordem gefehlt.
Als er in den Ebestand getreten
und einen eigenen Herd geiriinden
ward ihm eine Ueberraschung die sei
nes Lebens Tiefen aufwiihlte, die
Vergangenheit augsöhnte und seiner
Zutunst Briicte Ord. Verwandte
hatten ihm der Mutter Uhr gebracht,
die sie ihm pietätvoll aufbewahrt,
ohne daß er eine Ahnung davon hatte.
Das war ihm das kostbarste, das hei
ligste Geschenk — der Mutter Gegens
gruß aus fernen, fernkqbeitenl
Unb sonderbar als sie dann an
der Wand hing nnd zum ersten Male
wieder in seinem eiacnen Heini ihr
Ziel-Takt seinem Ohr erklaan — da
war's ihm, als kosten sich die Schleieri
der Vergangenheit, er sah und hörte,i
was vor mehr als zwanzig Jahren
geschehen und damals seine Sinne sol
sehr erregt und in Anspruch genomss
men hatte: er lag in seinem Bestehens
die Mutter nähte bei LampenlichL Al
les war ruhig und still, nur derPendel
der Uhr bewegte sich gleichmäßig, titl
tack, tick-tack. Unruhig warf er sich
hin und her. »Schläfst Du denn
noch nicht?« »Ich kann ja nicht
schlafen, Miitterchen, ich muß immer
denken.« »Aber Du mußt aar nicht
denken, mein Junge, nur schlafen!«
s-- Tick-tack, tickitacU Da lag er
dann still und dachte nach, wie tna
es wohl machi, gar nicht zu denke ,
-—-—- tief-weh iick-tack. Und er lauscht-e
dem Pendelschlasq nnd der entfliehen
den Zeit, nnd sie nahm seinen kind
fliehen Geist mit sich und führte ihn
»in das Traumland zu selig-km Ver
’gessen. So schlief er ein. —- O du«
selige Zeit! Du verlorenes Para
dies! —--—
Nun war die Uhr sein Heiligthum.
Eine Lücke in seines Herzens Raum,
ein leeres, ödes Plätzchen war ausge
fiillt, was er langst nicht mehr zu
hoffen gewagt; wonach seine Kindheit
und Jugend so ost unbewußt hun
gernd geschrieen und dem zu entsagen
das rauhe Leben längst dem Manne
gelehrt, das grüßte freundlich win
kend aus der Mutter Uhr, aus ihr
wehte ihm der ersten Kindheit duftiger
Hauch entgegen, in ihrem Anschauen
wurde er wieder seiner Mutter Kind.
Ost hatte er nun so bei ihr ge
sessen, hatte ihrem Schlage aelauscht
und sich erzählen lassen von alter Zeit,
tick-tacl, tick-tack. Es waren Stunden
der Weihe und Andacht und der in
neren Sammlung gewesen. Sie ward
seine Vertraute in Freud und Leid.
Wenn er sich keinem Menschen offen
baren mochte, so ging er zu ihr, sah
sie an und -— dachte. Und ihm
war"5, als ob sie seinen Gedanken
folgte, aus ihrem Tut-met vernahm
er der Mutter Stimme hell, freund
lich und liebreich, oder ernst, tröstend
und Inahnend. -
Wenn des Lebens Stürme ihn ge
schüttelt und wilde Wogen ihn um
brandet, das Blut in den—Schläfen
hämmerte und die Gedanken sich im
tollen Wirbel kreisten, dann war er
zu ihr gefliichtet, wie an das Mutter
herz. Ein geheimnißvoller Zwang
wirkte dann aus dem Pendelschlag
auf sein erregte-s Gemüth, der ihn be
sänftigte und beruhigte, und dazwi
schen ertönte ihm der Mutter Stim
me: »Du mußt gar nicht denken,
mein Junge!« O du wunderbares
Geheimnis; heiliger Sympathie, die
du die Fäden spinnst, die uns durch’s
Leben leiten, die du leuchtest als
Stern in des Daseins Nacht! —
So saß er auch heute wieder vor
der lieben, alten Uhr. Alles schlief
bereits, und feierlich tönte ihr Titl
Tack durch die stille Nacht-Er hielt
einen Rückblick auf die Vergangenheit
nnd iiberschaute seinen Lebens-weg
durch fünfzig Jahre. Es war ein
sieiniger Pfad durch Berg und Thal
gewesen, und des Lebens Stürme hat
ten ihn gejagt. Doch er hatte Stand
gehalten und sich zwar eine bescheidene,
aber doch geachtete Stellung erkämpft
und auch zu erhalten verstanden.
Lange schon hatte das Schicksal ihm
seine Lebensgefiihrtin entrissen und
sie hatte ihm drei liebe Kinder hinter
lassen. Vor der Mutter Uhr hatte er
sich damals gelobt, ihnen so viel als
möglich das so früh Verlorene zuer
ietzen, eingedenl der eigenen, liebe
leeren Kindheit, und feierlich war ihr
TictsTael getlungen in sein stilles Ge
löbnifz. Ja, er hatte Liebe gesäet und
auch geerntet. Süße Wehmuth senkte
sich auf ihn herab.
Er nahm das Licht und ging auf
leiseu Sohlen in das Schlafzinnner
seiner Lieben. Lange und innig be
trachtete er die blühenden Gesichter,
rosig angehaucht von des Schlafes
Pius-» Hier war sein Reichthum, feine
Welt, seines Daseins Zweck! Er
beugte sich nieder und küßte segnend
die reinen Stirnen. Dann ging er
zurück in sein Schlafgeniach Fra
gend blickte er auf die alte, liebe Uhr:
Hab’ ichs recht gemacht? Und seg
nend tönte es zurück: Tief-Takt, ticts
tact, tick-iact!
—
Der WutsdItdocktor.
Es war einmal ein Geizhals,
Der glaubte, er«sei lranl,
Und lag die ganze Woche
Auf seiner Ofenbank.
Jlnn schmeckte keine Speise,
Ertranl nur Medizin
Und wälzt« auf seinem Bette
Sich schlaflos her und hin.
Die Aerzte thaten Alles,
Wie es erheischt die Pflicht,
Doch was ihm wirklich fehlte,
Das wnßt’ er selber nicht. —
Einst kam ein Wunderdoktor
Aus einem fernen Land,
Der bald der Krankheit Wesen
Und auch das Mittel fand.
Er gab itnn einen Schlastrnnt
Gleich in der ersten Nacht
Und bat mit seinem Geldsael
Sich aus dem Staub gemacht.
Der Kranke aber fühlte
Sich leichter von der Stund’:
J e tzt wußt er was ihm fehlte —
iUnd wurde bald gesund.
s
s Pistol-te nnd Bestimmt-h
Heute, wo so viele Tischreden gehal
ten und so viele Trintsprüche beim
sperlenden Champagner . ausgebracht
! werden, dürfte es vielleicht nicht unan
gebracht sein, daran zu erinnern, was
Jvor Jahren ein weiser Greis iiber die
Redner gesagt hat« Jn seiner glän
zenden Rektoratsrede, der ersten und
letzten,·die Thomas Carlyle vor den
Studenten der Universität Edinburg
gehalten hat, giebt, er seinen jungen
Zuhörern folgenden Rath:
»Wahrlich, es thut Noth, daß wir
alle schweigsamer werden, als wir es
jetzt sind. Es däucht mir, als ob die
besten Völker der Welt inlWind und
Geschwätz aufgehen. (Beisall und Ge
lächter). Das scheint Ihnen komisch!
Warten Sie nur, lange, wenn ich hier
nicht mehr sein werde, wird alles dies
einen tragi chen Charakter annehmen.
Vergessen Sie nicht, daß alles seine
Zeit hat:"das Reden sowohl als das
Schweigen! Doch im allgemeinen ist
das Schweigen die ständige Pflicht des
Menschen. Denn wer nicht fchweigsarn
ist, wird nie zur wirklichen Erlenntniß
desjenigen gelangen, was einigerma
ßen schwierig oder wahr ist nnd am
meisten sein Interesse berührt. »Hüte
deine Zunge!« Das ist ein alter, aber
bewährter Rath. Jch will Jhnen nicht
Jhre Illustration in Bezug aufDe
mosthenes und gzhre Beschäftigungen
ntit den Schönheiten der Sprache rau
ben, denn glauben Sie mir: Dies al
les schätze ich ebenso sehr, wie jeder von
Jhnen. Allein warum soll ich behaup
ten, daß irgend ein Mensch ein guter
Redner ist, wenn der Gegenstand sei
ner Rede nicht mit der Wahrheit im
Einklang steht? Phocion, der in den
meisten Fällen gar nichts sagte, traf
viel öfter ins Schwarze als Demosthe
ries. Letzterer sagte einstens zu ihm:
»Phocion, einmal wirst Du noch die
Athener zur Verzweiflung bringen
und sie werden dich tödten.« ,,Ja«,
antwortete Phocion, ,,Inich werden fie
tödten. wenn si- toll sind, dich aber,
sobald sie zu Verstande kömmen.«
Anker-wer II. und feine Ofstziere.
Die Lockerung der Disziplin im
russischen Heere bis weit in die Reihe
der Offiziere herein, die jetzt auch die
letzte Säule des russischen Staatswe
sens zum Wanken bringt, ist eine schon
von den Vorgängern des jetzigen Za
ren gesiirchtete Erscheinung. Ein be
zeichnendes Beispiel dafür erzählt
Fürst Peter Krapotkin (in seinen Me
moiren) aus dem Sommer 1868, als
in Polen die Revolution ausbrach und
er selbst sein Offizierspatent erhielt.
Kaiser Alexander Il. hatte die aus
dem Pagentorps hervorgegangenen
jungen Leute, die zu Offizieren beför
dert werden sollten, selbst geprüft und
ihnen keine leichten Aufgaben zur Lö
sung gegeben. Als nach Schluß der
Prüfung der Kaiser die Ernennung
der jungen Ofsiziere laut verkündete,
befahl er ihnen zugleich, vorzutreten
und einen Kreis um ihn zu bilden.
Hier erschien er dem Fürsten in einem
anderen Lichte als bisher. Der men
schenfreundliche Zar, der eben erst
durch die Aufhebung der Leibeigen-: ,
O
schaft Stürme der Liebe und BegeiJ
sternng erregt hatte, trat ihm jetzt af
jener ,,blntdiirstige und rachsüchtige
Unterdriicker des polnischen Ausstan
des« entgegen, als den er sich im fol
genden Jahre zeigte. Es waren zus
näehst ruhige väterliche Worte, mit de
nen er seine Rede begann — er hatte
die jungen Offiziere, die jetzt um ihn
standen, ja heranwachsen sehen, jahre
lang waren sie im Hofdienst verwendet
worden und wenn er zu ihnen von
Soldatenpflicht nnd loyalerGesinnuna
sprach, so mochten sie solche Worte oft
von ihm gehört haben. Plötzlich aber
änderte er seinen Ton.
»Sollte einer von Jhnen«, so fuhr
er heftig fort, wobei er jede Silbe
scharf betonte und sein Gesicht sich
plötzlich vor Zorn verzerrte —-—- »sollte
einer von Ihnen, was Gott verhüten
möge —sich ilslo-hnl gegen den Zaren,
gegen Thron und Vaterland zeigen,
merken Sie wohl, was ieh sage, so
wird ihn die volle Strenge desGesetzes
treffen-ohne das gesringste dir-bar
Inen!«
Die Stimme versagte thn und dem
Fürsten Krapotkin lehrte bei diesem
Anblick die Erinnerung wieder an den
Ausdruck blinder Wuth in den Ge
sichtern der Grundherren, wenn sie
ihren Leibeigenen drohten, sie bis
aufs Blut peitschen zu lassen Am
nächsten Morgen wurden in Polen
drei Ossiziere erschossen. Die jungen
Leute, zu denen er sprach, waren Alt
russen, aber auch bei ihnen schienen dem
Zaren schon die schärfsten Warnungen
geboten zu sein.
,-——
Durch die Blume«
»Sage Sie doch, GoldwurzeL wo
steckt eigentlich Ihr früherer Jntimus,
der Herr Kneifer. Seit bald drei Mo
naten habe ich ihn nicht mehr gesehen!«
»Hm, weiß es auch nicht: vor einiger
Zeit mußte er zur Kur nach Marien
bad.«
»Ah ich verstehe, er hat sich
,,diinn gemacht!«
« »Was ist ein -Optimist, Vater»?«
»Ein Optimist, mein Sohn, ist ein
Mann. der glaubt. daß in einem oder
zwei Monaten die Kohlen billig sein
werden.«