Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 26, 1906, Sweiter Theil., Image 9

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    Yebraska
Staats-Zuzeigrr und Ycrold
J.P.Wiu mo,dtph Hm Wh. qu Wut-Ni- ges-. kais-km 190 Hwet Theit.) "« Ihg qug26 N; 22
Eine-n Kinde, » .
An— des Daseins Blumenlhoren
Siehst du lächelnd-, froh erstaunt.
hat ein Engleln in die Ohren
Holde Märchen dir gekannt? -
Und verkünden wohl die Mär-en
Mit dem süßen Zauberbann,
Was das Leben dir gewähren,
Wie cg selig machen kann?
Tausend Wunder dich umgeben,
Herrlich winkt ver Erde Glück
Doch am schönsten strahlt dac- Leben
Dir im Winteer zurück.
Mutterblicl —- o Freudenschimmer.
Mutterwort —— o Jubelllang!
Möchte dieses Glück doch immer
Treu dir sein dein Lebenlang.
Das Brittermilchskind.
Von Adolf Rissen
»Sieh mal nach, Gaste, was der
Postbote gebracht hat«
Die Frau war beim Klößeeinsehem
sonst wäre sie sicher selber hinausgegan
gen. Das Wochenblatt lam heute nicht,
es mußte also wohl ein Brief sein.
»Aber woher konnte der lommen«,
dachte sie, und selbst in diesem Augen
blick ließen Erwartung und Neugierde
die milden Augen nicht heller blicken.
Sie hatte am Morgen eine große
Spinne gesehen, fiel Frau Dornlaat
jeyt ein« und Nachts von Fledermäufen
geträumt, das bedeutete nichts Gutes!
»Ach Gott«, seufzte sie, ,,toenn’s nur
nichts Schlimmes ist!« Seit Langem"
war sie gewöhnt, vom Schicksal Trü
bes und Schweres entgegenzunehmen,
sodaß Zuversicht und Frohsinn nicht.
mehr in ihr auflamen.
»Ein Brief fiir den Herrn!« rief
Guste die Treppe hinunter, dann ging
sie, den Tisch zu decken. »
Nach einer Weile näherten sich dies
Schritte des Mannes von oben her.
An seinen Stiefeln haftete noch gekber
Lehm, er hatte den ganzen Morgen im
Draingraben gestanden. Leute waren -
lnapp, und zu hohen Löhnen reichte»
das Geld nie; da hieß es, selber zu-: -
greifen. «
Nun hielt er einen geöffneten Brief
in der schwieligen Faust, den altmodi
sche, triintliche Schriftziige bedeckten.
»Von Tante Amelie!« rief die Frau
ihm entgegen, »was schreibt sie?"
Der Mann zögerte einen Augenblick,
dann sagte er gepreßt:
»Sie schreibt, daß- sie nach Flenss
burg fährt zu einer plötzlich aufge
tauchten Jugendfreltndin, und auf ei
nige Tage vortommt.«
Der Frau entsanl der Kloßlöffeb
»Tante Amelie lommt hierher
d--, die nie über die Elbe wolltet O
Gott, was stellen wir aust«
Der Mann sah vor sich hin. Die
Frau sant auf einen Stuhl und be
deckte das Gesicht mit beiden Händen:
»Nun lommt Alles an den Tag!
Ach Gott, ach- Gottt Und das arme
Wurm lann doch nichts dafür!«
’ Die Rüalehr des Mädchens gab ihr
ihre Haltung wieder- Die Uhr schlug
Zwölf, in wenigen Minuten kamen die
Leute zum Essen, da mußte sie sich
sputen. Der Mann ging mit dem
Briefe nach oben in’s Wahn-immer j
hinauf. »
Tante Amelie war die einzige ;
Schwester von Herrn Dornlaats Va- I
ter· Seit «langen Jahren Wittwe, i
lebte sie in guten Verhältnissen drüben !
im Hannoverschem woher auch Dorn- »
laats ftammten. l
Als Dornlaat vor sechszehn Jahren ;
sich einen eigenen Herd gründen wollte, !
hatte sie, die linderlose Wittwe, ihmf
ein tleines Kapital geliehen. Damit;
laufte er den Hof oben im Holfteinp i
schen, der ihm billig und passend er
schien.
Aber wenn sie duheiin vorn gesegne
ten Holstein erzählten, so meinten sie
diesen Fleck Erde am Mittelriicken
sicher nicht. Der Boden war schlecht
und nicht löhnig, und ungünstige Jah- 4
re thaten das ihre, die jungen Leutel
mehr und mehr zurückzubringen «
Dazu lam ein reicher Kindersegem der «
der Frau Kraft und Frische nahm und «
sich bald in gesteigerten Ausgaben be
merilich machte. . « ’
Anfangs hatte Ianle Anteile ein
Paarinal geholfen, wenn die Zinsen
nicht zusanimenlcnnem auch dreimal
Gevatier gestanden und Spariöpse mit
klingenden Goldsiichsen geschenkt.
Dann wurden ihre Briese ernster, ihre
Vermahnungen dringlicher und deuis
licher. Sie selbst war nie gekommen,
sie scheute die Unruhe des Reisens.
Als dann vor vier Jahren das
achte Kind zur Welt lam, geirauten
die Eltern sich nicht, es der Tanie zu
schreiben, und so trafen auch in der
Folge nur siir sieben die Christen
lchenle ein, und vom siebenfachen Ju
bel berichieien nur die regelmäßigen
Dankesbrlese, die im Uebrigen das
Wohlergehen der Familie bekundeten.
Nun wollte Tanie Amelie kommen,
die nie an’s Reisen dachte!
Ali die Kinder Abends zur Ruhe
waren. saßen die Eltern noch lange
nnd-Ihren ien. «
Abschrei konnten sie nicht« das
war tlar. «Das Ganze gestehen, hieße
sden Besuch zwar verhindern, aber
sicher auch die Gunst der Tante aus
immer verscherzen Und gerade in
diesem Jahre waren die Ernteaussiche
ten besonders schlecht. Der Wicht-dis
termin winkte schon wieder, und noch
wußten Dornkaats nicht, wie sie die
Zinsen zusammenbringen sollten. Die
Weiden schimmerten kahl und roth,
und das Korn stand sperrig und dünn,
die große Troctenheit hatte es nicht
auslaufen lassen.
So wußten die Schwergeplagten sich
.ieinen anderen Rath, ·als schweren
Herzens die Verheirnlichung weiter zu
führen und das Dasein des kleinen
Friedrich nach wie vor zu verleugnen.
Tante Amelie tras zur festgesetzten
Zeit ein« Sie war munter und guter
Dinge und fand das Reisen gar nicht
so furchtbar. Das Wiedersehen gestal
tete sich sehr herzlich und wortreieh.
Die Tante verstand die schwere Schrift
zu lesen, die Sorge und Arbeit aus die «
Stirn der einst Jugendfrische-n einge-;
graben; sie erkannte bald die Mühent
des Haushalts,« das rastiose Streben-I
der Beiden. Die Wohlerzogenheit der
Kinder beriihrte sie wohlthuend, und;
mit innerlicher Freude gewahrte sie die
Dankbarteit, die ihre kleinen Mit
bringsel hervorriesen.
Der kleine Friedrich war schon acht
Tage vorher mit seinem Kindermiid
chen in ein Kämmerchen übergesiedelt,
das hinter der Mädchenlammer im
Erdgeschoß lag. Die Geschwister-, bis
zum achtjöhriaen Dorchen herab, hat
ten sich gewöhnt, nicht nach ihm zu
fragen. Auch gingen sie taggiiber in
die Schule, nnd wenn sie Mittags und
Abends mit der Tante zusammen
kamen. waren stets Vater oder Mut-— l
tek zugegen, und fing doch eines der
Kleinen mal von Friedrich an, so
wußten sie rechtzeitig dag- Gespriich in
minder Jerfänaliche Bahnen zu lenken. (
Einmal, als die Mutter nicht zuge- »
gen war. srng das Dorchen:
»Wann willst Du wieder weg,
Tante?«
»Wie meinst Du dag, mein Kind?« !
»Ach, wir möchten so gern mal wie
der mit Friedrich spielen.« i
Zum Glück hörte Frau Dornlaats
sie-im Neben-Zimmer und antwortete»
mit erzivungener Fassung: s
»Das könnt ihr sa auch, Kinder!.
Kommt, geht man hinan-, es ist sa«
schönes Wetter...« nnd unter heim
lichen Piissen vesörderte sie die armen,
unschuldigen Göhren nach draußen.
Das Herz wollte ihr schier dabei blu
ten.
Ein adermal lam der zehnjährige
Amor hereingestürzt.
,,Friedrich ist so ungezogen, Trina
kann garnicht-Z mit ihm anfangen. Er
stößt mit den Füßen gegen die Thiir
...« Weiter kam er nicht, der Vater,
der hinaus ging, nach dem Rechten zu
sehen, nahm ihn mit am Arm, nnd
die Mutter murmelte etwas von nn
zuverliissigen Dienstjungen, von denen
man nichts wie Aerger und Verdruß
habe. Dabei schlug das Herz ihr bis
an den hals.
»Nimm Dir das doch nicht so zu
hergen, Kind«, tröstete die Tante gut
müthig, »Du bist ja ganz blaß gewor
den.« ’ «
Frau Dorntaat stand Höllenqualen
aus. Am liebsten hiitte sie der Tante
alles gestanden, die bei ihrer derben,
poltrigen Art im Grunde doch so gut
und weichherzig war. Es schien ihr
ost unmöglich, sie länger zu hinterge
hen, der Besuch ward eine stete Qual
siir sie. Die Arbeit vermehrte er, da
zu lam die Sorge um die Unterhal
tung und als Damoklesschwert die
ständige Furcht vor der Entdeckung,
die Frau Dornkaat Nachts in ihren
Träumen aufschreien machte. Abends
schlich sie-sich heimlich zu ihrem Kinde
und bedeckte es mit Küssen und Thra
nen·
Tanie Amelie sah wohl das be
drückte Wesen der Frau, schob es je
doch auf ihre wirthschafttiche Nothlage
und merkte im übrigen nichts. Sie
zog die Schwcrgeplagte liebevoll zu
sich heran, sprach ihr Trost und Hoff
nung ein und gab ihr manchen Wink
und Rathfchlag. So traten die
Frauen sich täglich näher, und mehr
und mehr erkannte Frau Dorntaat,
tvie unrecht sie aethan hatte, wenn sie
die Tante früher hart und lieblos«
»fcha1t. l
! Fünf Tage währte der Besuch(
schon, fiir den nächsten Mittag hattet
lTctnte Anielie ihre Reife festgesetzt.
Frau Dorntaat begann anfzuathmem
sund bedauerte doch wieder, daß sie
sdie Gute nicht zum Bleiben nöthigeni
Monate. Zu lange hatte sie solctH
Jvertrauliche Aussprache unter Fraueni
Fentbehrti - I
s Während die Hausfrau am Vormit- s
tag die Küche besorgte, ging Tantex
Umelie nochmals-durch Hans und Hof,
alles mit tundigen Augen musternd.
Sie war selbst vom Lande und hattes
dem Vater einige Jahre die Wirth
schast geführt, aber das mußte sie ge
stehen: Jn der Wirthschast sah alles
sauber und ordentlich aus! Nichts
soerrieth die zeitweilige Nothlage des
Besitzers-, Ordnung und Fleiß traten
ausgleichend ein, wo die nöthigen
Mittel für Neuanichaffun fehlten
Auf dem hose trieb kein Geschirr um
her, die Dächer waren ausgebessert,
die Ställe geweiht. Die Schweine las
gen auf reinlicher Streu, und auf dem
Hinterhas blitzten die blanlgescheuer
ten Bänder der Milcheirner im Son
nenschein.
Jn der Meiereithiir trat ihr ein
Kleinmädchen in den ng das sie·
sonst noch nicht gesehen:
»Die Hausfrau ist im Garten«,
sagte das Mädchen unausgefordert un
ter verlegenem Grinsen
Das paßt sich gut«, dachte die
Tante und ging an ihr vorüber-. »Da
kann ich gleich die Mein-ei gründlich
durch"sehen.«
Aus langen Schragen lagen in dop
Pelter Reihe die Blechteller der Milch
schleuder neben einander, der Quirl
des Buttersasses lehnte knochenweiß
daneben, und die Buttertiicher hinhen
sorglich iiber Siäbe zum Trocknen ge- «
breitet. Der Fußboden erglänzte vors
Sauberkeit, und nirgends machte sich
säuerlicher Geruch bemerkbar. :
»Ich bindoch neugierig, ob das«
Buttersaß wohl riecht", dachte dies
Tantr. Sie wußte, wie leicht diesj
vorlain, und wie nachtheilig es der
Butter war.
Rasch trat sie an das große Faß
heran, das mit blihenden Ringen in?
seinem Rahmen schwebte. Da rührteI
es sich im Faß, und als die Tante ge
spannt hineinsah, saß ein kleiner
Junge drin mit Mützchen und Jäck
chen und Pserdchen im Arm. Erst
guckte er die Fremde verwundert an,
dann trat ein verständniszvolles Leuch
ten in seine Augen, nnd mit feinem
Stimmchen fragte er: i
»Bis’ Du die aische Tante, die zu
Besuch is, Tran sag’, Tieie dans' till ;
sitten, aische Tante tomt.« Die gross
ßen Augen sahen sie vorwnrssvoll an,
und da Tante Ainelie noch immer its-Ha
Wort fand, fuhr der Kraustops fort:
Miete is immer dans’ süß dewesen,
das sag’ Mutte auch. Mutte sitt
Abend bei Fiete sein Bett und weint,
weil aische Tante Fiete darnich leiden
niag.« -
Die Frau wandte sich betreten zu
rück. »Mein gehört das Kind«, fragte
sie das Kieinmiidchem das zögernd
näher trat.
»Das is’ unser kleiner Friederich«,
gab diese verlegen lächelnd zurück.
»Der is’ nu« schon die ganze Zeit bei
mich, daß Sie hiek sind.« -
Einen Augenblick tämpfte es in der
Frau. Dann wandte sie sich dein
Kinde zu, während das Mädchen un
glücklich zur Hausfrau stürzte.
»Willst Du Tante lieb haben und
inittoininen nach Mutter?«
Da reckten sich ihr die kleinen Arme
entgegeiixund wie halbiinterdriiates,
Weinen tlang es:
»Ja, nach Mutte, nach Mutte, Fiete
will Tante auch dans' lieb haben!«
Sie nahm das Kind auf den Arm
und ging init ihm hinaus zu der jäh
erblaßten Frau.
»Emilie, hattet Ihr- sowenig Ver
trauen zu mir?!«
Den Vorwurf übertönte das Mit
einpfinden, und dann überhod der
Jubel des Kindes die Mutter der
Antwort. Sie riß es an sich und be
deckte das tleine Gesicht mit Küssen,
und dann weinten die Frauen zusam
men und liebtosten abwechselnd das
Kind und wallten es eine der andern
nicht gönnen.
l
Was dann noch zwischen den
Frauen verhandelt ward, in inniaein
Gedankenaugtauscl), entzieht sich un
serer Beobachtung Als Tante Amelie
aber am nächsten Mittag weiterreiste,
wintten ihr acht Paar kleine Händ
chen ein ioehniiithiaes Kehrivieder nach,
und am Michaelistermin entrollten
dem Werthpacket, das der Postbote
brachte, dreihundert blanke Tyaler,
und dazu schrieb die Tante:
»Das denke ich, wird Euch erstnial
wieder den Rücken störten. Und nun
immer Kopf hoch, der alte Herrgott
lebt noch, und Tante Amelie läßt Euch
auch noch nicht im Stich!
Fünszig Mart stecken noch in dein
kleinen Buttersasz, das ich Eurem klei
nen Buttermilchstinde nachträglich als :
Sparbijchse schenke.
« Damit Gott Mahle-if
Eure alte bruminige
Tante Amelie.«
WH
Ost platzt ein Napf vor Dünkel
Und Uebermuth,
Bloß weil in ihn zu spnelen
Der Zur geruht.
Der Spion.
Dem Französischen nacherzähit von
Milly Siefart.
Es dunkeln lind und weich war die
Luft. Die Damen hatten sich in den
Solon der Billa zurückgezogen; die
Herren saßen draußen um einen run
. den Tisch, auf dem Tassen und Gläser
standen. Und in der zunehmenden
HDunfelheit leuchteten ihre Cigarren
swie kleine, rothe Punkte .
- Man besprach das Ereigniß des
Tages. Am Morgen war in dem klei
nen Flüßchen vor den Augen der Vil
lenbewohner eine Gesellschaft von siinf
Personen, deren Boot kenterte, erstun
ken. Es war unmöglich gewesen, Hilfe
und Rettung zu bringen.
»Schrecklich«, sagte einer.
»Jatvohl, schrecklich«, nahm General
G. das Wort, »folche Erlebnisse sind
entsetzlich, aber sie sind nicht grauen
erregend. Sie ergreifen uns, regen
unser Mitgesiihl an, bringen uns aus
der Fassung, aber sie erregen kein
Grausen. Grauen ist weit mehr als
Schreck, Entsetzen. Dazu bedarf es
mehr-. als einer «Gemüihgbewegung,
mehr als eines plötzlichen Unglücks
falles. Ein geheimnißvoller Schauer-,
ein anormaler Sinneneindrucl, etwas
Widernatiirliches, Airßergewöhnliches,
das alles- niuß zusammenwirlen, um
ung Grausen empfindenzu lassen. Ich
möchte Ihnen, meine Herren, das. was
ich meine, durch ein Persönliche-I Er
lebniß erläutern.
Es war während des Krieges 187().
Wir zogen ung aus Pont-Audenier
zurück, nachdem wir Rouen passirt
hatten. Die Armee, 2t"),(«)0() Mann
ungefähr, auf der Flucht, in Unord
nung. ttruthlo5, erschöpft, eiltenach
Havre, utn sich dort neu zu for-miten.
Den Boden deckte Schnee, eg dunkelte.
Seit dem Morgen hatte keiner etwas
gegessen, man floh; schnell, schnell,
denn die Preußen waren nahe.
Die weite normannische Ebene brei
tete sich öde und leer unter einem
schwarzen Himmel aug, der schwer
und drohend herabhing. Hier und da
lag ein Bäuernhof von Bäumen um
standen. Nichts war zu hören, als ein
oerworrenes Geräusch, dumpf, unauf
hörlich: die durch den Schnee ge
dämpften Fußtritte der Marschiren
den; darin mischte sich das leise Filir
ten der Kochgeschirre und Säbel. Ges
beugt, schmutzig, fast in Lumpen, so«
schleppten sie sich durch den Schnee mit «
langen, todtmüden Schritten. Die
Haut der Hände schien an dem Me
tallbeschlag der Gewehrlolben festzu
srieren,·denn eg toar bittertalt. Hie
und da zog einer oder der andere seine
Stiefel aus, um barfuß zu laufen, so
litt er durch die mangelhaste Fußbes
kleidung. Und jeder Tritt der schmer
zenden Füße lies-, eine blutige Spur:
zurück. Schon kurze Zeit daraus setzte
Tkch der Erschöpfte an den Wegrain,
um nur einige Augenblicke zu ruhen.
Aber er stand nie wieder aus« jeder,
der sich setzte, war ein Kind des To
des. -
ben wir da hinter uns gelassen! Sie
alle wollten ja nur ein wenig ihre stei
chßidßgu ENJATS RDGOVC UM
sen Beine ruhen! Aber kaum hörten
sie aus, sich zu bewegen, so zwang sie
eine unwiderstehliche Müdigkeit zu
Boden, schloß ihnen die Augen,
hemmte in einem Augenblick diese
überanstrenate menschliche Llltaschiine
Schlass fiel der Körper zusammen, die
Stirn sank auf die Knie: so hackten
sie still und steis im Schnee, unfähig,
sich zu ermannen, bis lzum Ende, -——
Wie viel solcher armen Teufel ha-l
Wir andern aber, die wir wider
standssäbiaer waren, wir eilten trei
ter, bis ins Mart srierend, durch die
straft der Verziiseifluna vorwärts ·ae
trieketr durch Nacht und Schnee in
diesem öden, nnwirthlichen Landstriit),
verzweifelt iilxcr unsere Niederlage
niedergedrückt durch das trostlose Ein
Pfinden aänzlicher Verlassenheit.
Da bemerkte ich plötzlich zwei
Grenzfoldatem die einen kleinen. at
ten, sonderbar aus-schauenden Mann
ohne Bart am Arm festhielten. Sie
suchten einen Liisizier, da sie meinten,
ein-en Spion acsangen zu haben. Wie
ein Laufseuer verbreitete sich das Wort
,,Spion«' in der fliehenden Truvpe,
und einige Nachzüqler umringten den
Gefangenen. »Nieder mit il)m«.« schrie
einer. Und diese vor Ermattunq sast
umsallenden Soldaten, die sich nur
aufrecht hielten weil sie sich ans ihre
Gewehre stiitzten, wurden plötzlich von
einem Wuthtaumel erfaßt, der die
Bestie in ihnen entfesselte.
Ich führte das Bataillon, ich wollte
sprechen. Einspruch erheben. Man
hörte nicht auf mich: sie hätten mich
auch getödtet.
» Einer der Geenzsoldaten trat an
l mich heran: »Seit drei Tagen folgt er
«
M
uns,« sagte er. »Jeden fragt er über
die Artillersie aus.« Jch trat rasch
näher und versuchte dieses seltsame
Geschöpf auszusorschen
»Was. wollt Ihr? Was- treibt Jhr,
warum folgt Ihr der Armee?«
Er Inurmelte einige Worte in einem
mir unverständlichen Dialekt. Eine
sonderbare Erscheinung mit breiten
Schultern und tückischen Augen.
Seine Angst war mir so sichtbar, daß
ich nicht mehr zweifelte, es mit einem
Spion zu thun zu..haben. Er schien
sehr alt Und schwach zu sein und blickte
zmich scheu von der Seite an, halb
» stumpf, halb listig.
»Nieder mit ihm, schießt ihn nie
der!« schrien die Tsobenden.
»Sie haften für den Gefangenean
damit wendete ich mich an die Grenz- :
soldaten. Jn demselben Augenblick(
ertönte jedoch ein marlerschiitternder
Schrei. Jch blickte mich um und sah, !
wie die Winde-wen den unglücklichens
erarissen, zerrt:n, stießen und ihn end- l
lich am Wegrand gegen einen Baum l
warfen, wo er schon halb todt in den
Schnee fiel.
Gleich daraus knatterte Schuß aus
Schuß; aufs neue luden sie und schos
sen abermals und wieder, und wieder,
blutdürstiq wie wilde Thiere. Sie
schlugen sich untereinander, um noch
mals an die Reihe zu kommen, nnd
dann ainaen sie einzeln an dem Leich
nam vorüber nnd gaben jeder einen
letzten Schuß daraus ab. Da rief ei- (
ner:«die Preußen, die Preußen,'· und
bald hörte man das in der Ferne ver
llinaende Geräusch der erschreckten, l
flieheyrden Armee.
Die Schüsse auf jenen armselian«
Vaaabunden betten diese Panit her
ausbeschtvoren und sie bethörte auch
die Vollstrecker. elber so, daß sie Fer
senaeld aaben nnd bald im Dunkel
ebenfalls verschwunden waren.
Ich war mit den beiden Grenzsolda
ten vor dein Le chnam zurückaebliebem
alles hatte sich so rasch abgespielt, fast
binnen weniger Minuten
Wir müssen ihn durchsuctwen ich
zog eine Wichssireichholzdose aus mei
ner Tasche und reichte sie einem der
Leute. Er entzündete eins der Licht
chen, mähr der andere den bluti
gen, zsers uen Leichnam empor
richtete un untersuchen begann.
»Eiue Blase, ein weißes
Hemd, Bei k» sder und Schuhe,« he
richtete der Mann eintönig. Dann
erlosch das erste Streichholz. Ein
zweites flammte auf, und der Sol
dat fuhr fort: »Jn der Tasche ein
Messer mit Hernschale, ein buntge
witrfeltes Taf kehentuch eine Tabaks
dose, ein Endchen Bindfaden, ein
Stückchen Brod.« Das zweite Streich
holz erlosch, das dritte wurde anaeg
zündet; dann saate der Soldat, nach-:
dem er sorgfältig die Taschen durch
sucht hatte: »Das ist alles.«
»Ziehen Sie ihn aus, vielleicht fin
den wir etwas unter seiner Kleidung
verborgen,« befahl ich.
Jch iibernahni es zu leuchten, da
mit beide Soldaten sich an diesem
nicht angenehmen Wert betheiligen
konnten. Und während ich Licht um
Licht entzündete, entkleideten sie die
ses blutige, todte Fleisch, das noch
warm war.
»Herr des Himmels, Kapitiim das
ist ein Weib!«
Ein wahres Schmerzgefühl durchs
zuckte mich; ich wollte es nicht glau
ben und kniete nieder in den Schnee,
um mich zu überzeugen daß jener
durchtöcherte siörper der eines Weibes
war. Die beiden Soldaten schwiegen
bestürzt und sahen erwartungsvoll
uud scheu aus mich. Aber ich konnte
nichts sagen, nichts vermuthen und
deuten
Da begann einer der Leute: »Viel
leicht hat sie ihren Sohn bei der Ar
tillerie gesucht —-— vielleicht wollte sie
Nachricht von ihm haben -----«
»«-a ---- vielleicht - ---« murmelte auch
der andere.
»Ich habe viel Trauriges, viel
Schreckliches eriebt Und gesehen; aber
damals hiesen mir die Thränen über
die Backen Und auf der weiten, öden
’Schneesl«ciche, vor dieser unbekannten
s Ermordeten, vor diesem traurigen Ge
heimniß inmitten der eisigen Winter
nacht empfand ich recht enipfindlich die
Schauer jenes Wortes ,,(-ttrauen'.'. s-—
Superlatlw
Drei lviirdige Matronen Profes
sorsgattinnen -- unterhalten fich über
die Eigenart ihrer Männer, die selbst
verständlich ----- wie wäre das bei einem
Professor auch anders möglich? —— in
einer geradezu unglaublichen Zerstreut
heit besteht.
»Denten Sie sich, meine Datnen«,
ment die erste, »ich gehe neulich mit
meinem Manne den Fluß entlang. Da
erblickt mein Alter einen Frosch und
hebt ihn auf. Er zieht seine Uhr, be
obachtet den Puls-schlag des Thieres
und stellt dessen Zahl in der Minute
fest. Dann schleudert er die Uhr in den
Fluß, steckt den Frosch schmunzelnd in
die Westentasche und geht ruhig vor
wärts. Sie können sich das erstaunte
Gesicht vorstellen, als er bald daer
nach der Uhr sehen will und statt dies
ser einen Frosch in seiner Tasche fin
det.« —
»O, meine Liebe«, fällt ihr da die
zweite Dame i·n’s Wort, »das ist noch
gar nichts gegen die Zerstreutheii mei
nes Gatten. Auf einer Reisel kommt er
jüngst etwas später in sein Hatt-L ent
kleidet sich und —- denken Sie — legt
die Kleider behutsam in das Bett und
sich selbst auf einen Stuhl. Nicht wahr,
das ist doch wirklich nicht mehr ver
ständ-lichte «
Die dritte Dame lächelt: »Gewiß ilsi
das verständlich; ist doch meinem Ge
strengen noch Schlimmeres passirt.
Bielfach hatte ich ihm in diesem Som
mer an’e- Herz gelegt, aus der Reise
doch nicht immer das Hinausstellen der
Schuhe zu vergessen; er lief nämlich
s immer mit unigeputztem Schuhzeug
sumhen Mein Mann gelobte reuig
Besserung Und was meinen Sie, was
geschah am nächsten Abend: Mein
Mann legt die Stiefel unter die Bett
decke, stellt sich vor die Thür und war
tet geduldig, bis am frühen Morgen
des Hausknecht erscheint ..... Ta
blec111!!’«
HG—
Der Strtckftmmpf in ver Unl
ver-Müh
Jn der Universität Rostock in Mec
lenburg halten- Professoren nnd Do
zenten im Winter volkstshümliche Vor
lesungen, an denen die Brtheiligung
"jedermann, ob alt oder jung, Mann
oder Weib, gegen eine geringe Gebühr
freisteht. Diese akademischen Bor
triige werden von den Roftockern stark
besucht. Jn einem Vortrag, der vor
kurzer Zeit gehalten wurde, ereignete
sich nun etwas, das bisher in den hei
ligen Hallen einer Universität wohl
noch nicht vorgekommen ist. Dieer
Ereigniß, für das selbst Ben Akiba
gewiß kein Gegenstiick gewußt hätte,
wäre sicher der Gegenwart verborgen
geblieben, wenn es nicht ein Besucher
in einer Rostocker Zeitung riiclsi·chts
los ausgeplaudert hätte. Da stand zu
lesen:
Raum hatte der Herr Professor
unter der Spannung der Zuhörer sei
nen Vortrag begonnen, da geschah es,
man sollte es nicht fiir möglich halten,
daß eine der anwesenden Damen ei
nen wollenen Strickstrumpf von an
sehnlichen Abmessungen hervorzog und
anfing, in wiithender Gangart darauf
los, zu stricken. Diese edle Thätigkeit
hielt ununterbrochen bis zum Schluß
des Vortrages an. Man kann ein der
artiges Benehmen ja schließlich nur
eine thaioetät nennen und darüber la
chen, Yidenn nicht, wie sich denken läßt,
für die Umsitzenden dies Geknütt-3"»
einer wahren Tortur gewesen wäre,
unter der Einem Manches vom Bor
getraaenen verloren ging. Hoffentlich
wird sich dieser »Unng nicht wiederho
len. Wer Strümpfe stricken will, möge
zu Hause bleiben und nicht in die Uni
vers-tät gehen. Dazu ist die Universi
tiit nicht da. « «
Eine sterbende Sprache
lleber das Erlöschen der livischen
Sprache, die zur finnisch - ugrischen
Gruppe gehört, berichtet O. Kallas in
Dorpat im letzten Hefte der »Finnisch
ugrifcheu Forschungen«. Kallas hat
durch eine Anfrage bei verschiedenen
Fliennern Livlands festgestellt, daß das
Erlöschen der livischen Sprache eine
Thatsache sei. Ein Herr Silin in
Riga berichtete ihm, daß in der Ge
gend von Lemsal vor zehn Jahren noch
Leute vorhanden waren, die sich der
lioischen Sprache bedienten; gegen
wärtig aber seien höchstens noch Reste
davon zu sammeln, da sich die Liven
vor den Letten ihrer Sprache schämten,
und die wenigen Reste infolge der
Mischehen rasch verschwänden Silirv
hatte auf seiner Reise nach Lemsal
noch mit einem angesehentn Bauern
gesprochen, der sich als Live betrachtete
sund sogar livifche Bücher besessen hat
te, bis ihm diese eines Tages sein Pa
stor wegnahm nnd nicht wiedergab;
seitdem war er des Glaubens, daß
das Livische eine verbotene Sprache
sei und wurde in diesem Glauben
durch ein Abenteuer des Herrn Silin
selbst bestärkt. Silin wurde nämlich,
weil sein Besuch und feine Fragen
aufgefallen waren, vor die Polizei ges-.
laden; er wurde alsdann wieder frei- '
gelassen, aber der Bauer war seitdem
zu Gesprächen über die lioische Sprache
nicht mehr zu haben.
Der Bächen-nisten
Jean Paul fuhr einst auf einer
Reise in das Thor einer kleinenStadt.
Der Korporal der Thnrwache tritt
heraus-, eine Schreibtafel in verhand- ·"
,,Jhren Namen, mein Herri« ————— »Ich
heiße Richter.« »Ihr Stank-«-m —
!,,Jch bin Autor.« —---- ,,Autor?« frakä
Jder Fiorporal verblüfft, »was he
;dag"c’ Was verstehe ich dummeer
t,,Nun, das heißt, ich mache Bücher.
»Ja, so,« schmunzelte der Koth-·
kal, »das ist mir verständlich-; heut
zutage giebt man sich allerlei frem·
unbekannte Titel. Hierzutande sp
man einen Mann, der Bücher met
einen —-— Buchbinder.« (
—
Die Ereignisse lehren Uns oft,
wir nichts von» ihnen lernen.