Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 15, 1905, Sweiter Theil., Image 14

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    Esenta Wolksburg.
Roman von Elsbetb Borcbarc
(1— Forschung-)
Im Wf angelangt befahl er,
eiudfttd fattelm und ritt kurze
zum Thore hinaus. Als
n nach mehreren Stunden heimkehrte,
noch m erfüllt von den neuen Plä
nen und Inaba-cum da war vie
Orm- Mq die auf hohekSæ dkt
- keimt dein-old zuftrht und alsbald in
einen Mittels tat-m sollte, längst
cui seinen Gedanken nnd aus seinem
krank-esse verbannt
Qsiapiteb
Es Isct Ende Marz, drei Wochen
nach dem Gespräch des Majoratsherrn
Don Wolf-barg mit seiner Schwester.
Conf- Litste weh-ten von Süden
und titndeten die Antunft des
s. Die Sonn-e schien hell und
l· verheißend, sie küßte die schwel
Kmspen wach- daß sie »auf
prsngen und sich su frischen, grunen
Rittern entsclteten Schneeglöckchen
ihre Abscheu und die ersten
chen Its-ten verstohlen unter ihren
siiittern bevor.
Ver Frühling war eingezogen und
hatte Mit-er und Blüthen gebracht
Der Wolsshurg brachte er diesmal
eine time Minder-e Blüthe: die kleine,
eertvatste Wolfngekin. den einzigen
önmltng des alten, seit Jahr
derten erhmgesessenen Geschlechtes
und deckt-ein die mit Maximilian
Kleid-.
Mel III-r sur Ankunft dieses Kin
des der-bereitet, sen-et helle, lustige
imm. außer dem daneben liegen
Ztsck hatte Gräsin Karla gegen
die cian, die Wärderin m so
unmittelbarer Nähe des Kindes einzu
lssimn Protest erhoben. Sie meinte,
We Person, die in der Fa
lie Viethelnrt eine Art Vertrauen-S
lluns entnenounnen hatte. würde sich
M auf das Mädchen zu viel
ausrechnen et verwöhnen und ver
rteltu Doch der Bruder hatte diese
nie-I let-gewiesen- Wenn eg such
sittlich verhalten sollte, wie Karla
httte, konnt-e man später noch »
mer eine Umderung vor-nehmen«
UND-fix leis sich das Kind an seine
neue Umgebung und Verhältnisse ge
sichtet hatte, sollte es jedenfalls bei
seiner Bestin bleiben.
Die Erzieherin und hauödame, die
Itiifin Karla engagirt hatte, war
Sestern eingetroffen und hatte sich dem
rasen dargestellt Fräulein von
Unpert stand am Ausgang der Drei
Iiger und sah sehr stattlich und impo
nirend aus. Jhr ernsteö, vornehrn
erückhaltendes Wesen machte auf
raf Maximilian einen durchaus gu
ten Eindruck; sie schien ihm wie zur
Vertretung seines Hauses geschaffen,
und ihre bereitwillige, anerkennende
stimmung zu seinen Plänen und
verdung ließ ihn zu dieser Wahl
Iegliicktviinschem Sie auf ihren in
neren Werth näher zu prüfen, nahm
er sich nicht erst die Mühe. Was er
bis fest von der Dame gesehen und
gehört hatte, genügte ihm vollkommen,
unt sich die Last und Sorge getrost auf
Ihre Schultern absuwälzern Nach sei
ner Ansicht hatte er schon genug Zeit
und Mühe für das Kind des Bruders
verwendet
Fräulein von Rupert hatte rnit«
klugem Verständniß sofort die Art!
ihrer Stellung hier ertannt und ver-;
standen, was man von ihr hegehrteH
und sie bemühte sich, dem Rechnungf
eintragen Sie frohlockte innerlich,s
ihre durch Gräfin Karla ge-t
sähe-ten Erwartungen schienen ihr(
noch unt vieles übertroffen zu sein.
Ihre Stellung hier trug anscheinend
einen noch viel selbstständigeren Cha
rakter als die heim Grafen Harten
ein, auch war das Honorar bedeu
d höher. Jhrern herrschsüchtigen,
ehrgeizigen Charakter erwuchs hier
siso das richtige Feld. Sie verstand
nicht allein, was in hohen häusern
gefordert wurde, sondern war auch
senkt allen Schwächen und Fehlern der
Vornehmen vertraut und wußte sie ge
Jchickt zu ihrem Bortheil auszunu
sen. Die Erziehungsmaßregeln und
Crundsätg die der Graf ihr in einem
lurzen, ernsten Gespräch auseinander
sesetzt hatte, hieß sie darum sämmtlich
ut und zweckmäßig. Wie weit sie
feinen Wünschen Rechnung tragen
wollte, mußte sich bei ihr erst ins den
näheren Verhältnissen, in die sie am
ersten Tage noch nicht eingedrungen
war, ergeben. auch mußte sie zuerst
den Charakter des ihr anvertrauten
Kindes kennen lernen. Gräsin Karla
hatte ihr das Wissenswertheste bereits
stitgetheilt Das kleine «Komödiani
tennriidchen«, wie die Grösin sich aus
Iedeiickt hatte, sollte zu einer Gtäfin
skn und der schädlichen Einwir
kan ver Musik so viel wie möglich
gehalten werden. Die Ausgabe
Iomm unter Umständen leicht oder
schwer sein, je nachdem. Das sie ihr
»Auf irgend eine Mr ihre eigene Per
Isn mtheilhafte Weis-e gerecht wer
»Hu enges-. daran zweifelte sie keinen
im käute ums m Mädchen eis
M Matt-tun woute selbst zur
sBahn fahren, um das Kind abzuha
len, spät-end Fräulein von Rupett es
an der« Schwelle der Wolfsburg in
Empfang nehmen sollte.
» Ehe der Graf zur Abholung nach
:det Bahn subt, ging er noch einmal
musternd durch die für das, Kind be-"
stimmten Räume. Es Mr alles in
Ordnung. Auf einem Stuhle saßs
gravitätisch die schöne, große Puppe«
die er von seiner Schwester hatte be-!
sorgen lassen. Dieses Spielzeug
sollte das Kind über das etsie hellem
mende Gefühl des Neuen, Ungewohn
ten hinweattösten.
Eine Viertelstunde später — est
war am Spätnachrnittage — trug
ihn der Wagen nach der eine halbe1
Stunde entfernten Bahnstation.
»Jetzt fährt der gnädige Herr Graf
das Kind holen«, sagten die Mägde
und Diener des Schlosses, die der Ab
fahrt ihres Herrn verstohlen aus den
Fenstern des Souterrains« darin die
Wirthschaftsräume lagen, nachsahen.
Alle befanden sich in begreiflicher Auf
regung und tauschten lebhaft ihre
Gedanken über den neuen Zuwachs
und die bevorstehende Veränderung
aus. »Os wohl das alten lustige Trei
ben, wie es zu Zeiten der verstorbenen
Gnädigen geherrscht hatte, wieder in
die seit den letzten zwei Jahren so
stillen Räume der Wolssburg einzie
hen würdet Ob das Kind Leben
und Freude oder Sorge und Unruhe
idringen würde? Wer lonnte es wis
ent-m
Diese Frage, die seine Dienerschaft
eingehend erörterte, beschäftigten auch
den Grrafen während seiner Fahrt.
Er hatte sie sich bis ietzt noch nie ein
gehend vorgelegt, er hatte weder ge
fragt, ob das Kind hübsch oder häß
lich, gut oder böse, wohl oder schlecht
erzogen wäre. Jetzt, so kurz vor der
Ankunft der Kleinen drängten sie sich
ihm förmlich aus« und der sonst so
ruhig und tiihl empfindende Mann
konnte sich einer gewissen Nerven
spannung nicht erwehren. Was wür
de er finden? Doch gleichviel, wag,
er wollte stets seiner Aufgabe und
seines Versprechens eingedenk bleiben,
dem Kinde ein gewissenhafter Vor
mund und Beschüher zu sein.
Das Bahnhofsgebäude war er
reicht. Graf Wolfåburg betrat, von
seinem Diener gefolgt, den Bahnsieig,
und wenige Minuten später fuhr der
Zug ein.
Musternd ließ er die Wagen an sich
vorübersahren. An keinem der Fen
ster zeigte sich ein Kindergesicht. Jeht
hielt der Zug. Die Thüren wurden
geöffnet, und eine Anzahl von Fahr
gäsien stieg aus. Es waren nur Er
wachsene. tein Kind darunter·
Sollte es mit diesem Zuge nicht
mitgetornmen sein? Das wäre sehr
ärgerlich, denn der nächste Zug traf
erst in der Nacht um zwölf Uhr ein·
Oder sollte etwas dazwischen getreten
sein. das die Abreise von Berlin ver
zögert hattet Der Freund Diet
heims, jener Rodenbach, hatte ihm
doch genau Tag und Stunde ange
geben und hinzugefügt, daß er selbst
bisllzur Hälfte des Weges mitfuhren
wo e.
Schon wollte Maximilian sich ent
täuscht und ärgerlich dem Ausgang
zuwenden, als der Stationgvorsteher
ihm in den Weg trat.
»Verzeihung, Herr Gras, eine Dame
wünscht Sie zu sprechen.«
Er wandte sich erstaunt urn und
sah vor sich ein schlantes, junges
Mädchen in Trauertleidung, dem
eine ältere, gleichfalls schwarz, aber
einfacher gekleidete Frau folgte, ste
hen. Eine Sekunde tauchten beider
Blicke ineinander.
»Mein Himmel, i es möglich!«
rief er plötzlich von einer Ahnung ge
packt, und: »Sie muß es sein das
sind ja Diethelms Augen!« fügte er
feine Ahnung bestätigend, bei sich sel
ber zu.
Währenddessen war er näher auf
das junge Mädchen zugeschritten und
wielt ihr die hand hin.
»Bist Du es denn wirklich — das
Kind Diethelins?«
Ein Blick aus den großen, dunklen
Augen des Mädchens tras ihn, zuerst
scheu, dann frei und affen
»Ja ich bins —- ich hin Senta
Wolssdutg.«
«Senta Walfsburg«, wiederholte
er langsam und rückte leicht die feine,
schmale, ihm nur zögernd gereichte
Hand. »So sei willkommen, mein
Kind.«
Er hielt es siir nöthig, irgend et
was zu sagen, das seine Enttäus
gis verbergen sollte. hrmd er
ließ er seine Dli voll aus
printttelgtoßem jugendlich schlan
Ieu Gestalt, die noch etwas unsertiz
aber durchaus nicht iiniisch wirkte,
ruhen Ein fehl-Ums FUMW
fah teil aus krauses-, standen saurem
die tin Itiielen in einem langen, vi
gnug-M Kisten-end soff hist-M
CI DMI
saadeudie groben, dunklen M
tnit den schwitzen Brauen darin-et
in feltfarnem Gegenleis. Die Nase
war schmal und leicht, kaum merklich
edogen, der Mund klein und rosig;
se gehörten beide nicht in die Fami
lie der Aufsan Nur die Augen
und das runde, eigenwillige Kinn ver
rieihen die Abstammung
Diefe Musterung vollzog fich in
einer Selunde.- Dann sprach der
Graf weiter:
»Ich erwartete ein Kind und finde
zu meiner Ueberraschung, daß Du be
reits erwachsen bist. Du wundeefi
Dich über meine Annahme? — Wie
konnte jener Herr, der Dich von Ame
rila hierher brachte, mich auch in dem
Jerthurn lassen?«
Senta fah ihn mit eigenthümlichem
Blick an.
»Schriebst Du ihm denn jemals,
daß Du in mir ein Kind vermuthe
tesii Jch las Deine —— kurzen An
ordnungen, und soviel ich mich er
innere, nannteft Du mich darin nie
anders als die Tochter oder das Kind
Deines Bruders. Das »Ki11d« fiel
weder Onkel Rodenbach noch mir anf,
da wir glaubten, daß Du über mein
Alter — ungefähr unterrichtet wä
reft."
Sie hatte es langsam, ohne Erre
gung gesprochen. Maximilian aber
empfand ein inftinltives Unbehagem
ohne sich den Grund im ersten Augen
blick kalt zu machen.
Zunächst berührte es ihn unange
nehm, daß Senta jenen Freund Piet
helrns «Ontel" genannt hatte.
Absie alt bist Du eigentlich?« lenkte
ck a .
»Ich werde im Juni siebzehn
Jahre.«
»Also bist Du schon sechzehn Jahre
alt. Das hatte ich allerdings nicht
erwartet. Jch schätzte das Kind mei
nes Bruders auf höchstens zehn bis
zwölf Jahre.« ·
»Hast Du denn nicht die Papiere
meines Vaters?«
»Doch — ich habe sie«, erwiderte
er, und seine Brauen zogen sich bei
dieser zweiten Frage, die wieder wie
ein Vorwurf klang, zusammen. »Ich
habe sie bisher nicht eingehend ge
prüft. Doch gleichviel —- rechnen
wir mit der Thatsache. Du bist und
bleibst Diethelms Tochter. und das
genügt."
Obgleich Maximilian seine Ent
täuschung vor dem jungen Mädchen
zu verbergen suchte, so war fein Ton
doch Iiihler und fremder, als er wohl
beabsichtigt hatte. Senta freilich hatte
keinen anderen Empfang erwartet,
nach dem, was sie aus der Geschichte
ihres Vaters wußte; aber des Oheims
gänzliche Untenntniß ihres Alters
hatte sie immerhin verletzt; denn sie
zeigte ihr, wie wenig Jnterefse er ihr
entgegenbrachte, da er sich nicht ein
mal die Mühe genommen hatte, die.
Papiere zu prüfen. die Onkel Roderi- ’
bach ihm gesandt hatte. Seine Be-;
reitwilligieit, ihr aus der Wolfsburg
einen Zufluchtsort zu bieten, war da- ;
turn auch nichts weiter als Pflichtge- »
fühl einem Todten gegenüber. Dis
Wolssburger nahmen es ja so genaui
mit der Erfüllung starrer Formen. — ·
Und in der Nähe dieses ernsten, lith
len Mannes sollte sie nun leben, sich
ihm wohl gar fiigen und ihm gehor
chen müssen! Das Blut stieg ihr heiß
zum Versen bei dieser Vorstellung.
Am liebsten wäre sie sogleich wieder
umgekehrt und zu ihren Freunden
Rodenbach nach Berlin zurückgegan
gen. Die waren die einzigen, die sie
verstanden« ihr Herzlichteit und iLebe
entgegenbrachten und ihre Absichten
und Pläne theilten. Doch vorläu
fig gab es tein Zurück fiir sie, das sah
sie wohl ein. Sie war trotz ihrer sech
zehn Jahre, wohl durch den steten, in
nigen Verkehr mit dem Vater, gereif
tet, als es sonst in ihrem Alter der
Fall zu sein pflegt. Darum ließ sie
sich nicht entmuthigen und durch erste
Eindrücke niederdrllcken. Sie besaß
ja noch ihre alte, treue Kindheitwiirs
terin, die, solange sie lebte, im hause
ihrer Eltern gewesen war und nach
dein Tode der Mutter dem haushalt
vorgestanden hatte. Sie blieb also1
nicht aanz verlassen und oeretniamt.
Sie wandte sich nach der einfachen
Frau, die hinter ihr stand und schon
wiederholt respektvoll vor dem »Hei-m
Grafen« getnickst hatte, ohne jedoch
beachtet worden zu sein, um.
»Brigitte.«
Jeyt schien sie endlich auch der
Graf zu bemerken.
»Sie sind die Begleiterin und ehe
malige Wäterin der Komtesse?«
fragte er.
»Ja dienen, here Graf-Hin aber
maliges Knicksen — »mein Name ist
Brigitte« —
,,Schön —- habm Sie den Gepiich
schein bei sichs«
»Nein, den verwahrt Sentachen —
wollte sagen« —
WKomtesse von jetzt an, bitte«,
schaltete der Graf kurz ein und wandte
sich wieder seiner Nichte zu.
Diese war flammend-roth gewor
den, aberfie unterdrückte eine Ent
gegnwglundtM zog den verlangten Ge
psckf
Graf Maximilian winkte feinem
Dienen befa l ihm, das Geväck zuj
besorgen, un forderte Senta aufJ
ihm zus- Mmeus zu folg-I H
WH, dich U
speist-see Meinung folgen wollte,
M ims
»Man BrigitteP J« «
Ohne weiteres faßte sie nach ihrer
Hand und hielt die Wiedeeftrebende
mit Gewalt an ihrer Seite fesi.
Maxirnilian runzelte die Stirn,
doch monirte er diese oftentattve Ber
troulichteit seiner Nichte mit der Die
nerin nicht. Dafür blieb noch Zeit
genug. Bis zum Wagen waren ohne
hin »nur wenige Schritte. Hier nahm
er mit Senia den Fond ein, während
Brigitte sich fcheu und ängstlich auf
den Rücksiß schic, und fort rollte der
Wagen nach der Wolfsbnrg zu.
Die Fahrt wurde ziemlich schweig
sam zurückgelegt Der Gras fragte
hin und wieder nach irgend einer Ne
bensächlichteit, da er aber von dein
jungen Mädchen, das angelegentlich
die Gegend zu betrachten schien, nur
kurze, einsilbige Antworten erhielt,·
schwieg er und dachte iiber die soeben
gehabte seltsame Ueberraschung nach.
Sie war ihm durchaus nicht ange
nehm, denn alle seine Pläne und Er
ziehungsmaszregeln wurden dadurch
über den hausen geworfen. Die ju
gendlich lriiftige Gestalt neben ihm
war, ihrem ganzen, sicheren Auftreten
nach zu urtheilen, bereits fertig und
sah nicht aus, als ob sie sich jetzt noch
andere Ansichten nnd Gewohnheiten
einimpfen lassen werde. — Er sah
Mißhelligteiten und Unannehmlich
teiten aller Art voraus und tadelte
sich. daß er die Papiere seines Bru
ders nicht einer eingehenden Prüfung
unterzogen hatte. Dann wäre ihm
die Ueberraschung erspart geblieben,
und er hätte ganz andere Vorberei
tungen getroffen und sich vielleicht
doch entschlossen, dem Ansuchen seiner
Schwester nachzugehen und das Mäd
chen vorläufig in Pension zu geben.
Das würde freilich nicht dem Wun
sche feines Bruders, seinem Kinde aus
der Wolfsburg eine Heimath zu geben,
entsprochen haben, und darum war es I
das beste, es blieb bei seiner Bestim-?
mang« mochten nun daraus Konse
quenzen erwachsen oder nicht·
! Jedenfalls begriff er nicht, wie er,
jder stets gründlich und genau alles
Hprijfih Diethelms Trauschein hatte
Iachtlos sortlegen können. Er hatte
wohl damals von Diethelms Vermah
Tlung gehört, aber das mußte. seiner
Berechnung nach, mehrere Jahre nach
Tderselben zu seinen Ohren gelommen
lsein. Diethelms Briefe, die wahr
Hscheinlich dessen nähere Familienha
Thältnisse enthielten, waren stets uner
brochen zurückgegangen, und was man
Jersahren hatte, war auf Umwegen ge
schehen. Sow uszte er. daß dem Bru
der mehrere Kinder gestorben waren.
;ob dieses letzte übriggebliebene das äl
teste oder jüngste war, konnte er nicht
wissen. Er ärgerte sich, daß er Senta
gegenüber seine gänzliche Interesse
losigkeit an ihres Vaters skiiherem Ge
schick verrathen hatte. Jhre harmless
voll erstaunten Fragen zeigten ihm ge
nugsam, was sie dabei empfunden
hatte. Auch ihr jetziges hartnäckiges
Schweigen schien ein Ausfluß dieser
Stimmung zu sein. Er wollte sie aus
ihren Betrachtungen wecken.
»Sieh, dort liegt die Wolssburg
Senta.«
Senta fuhr ein wenig zusammen
und blickte aus.
»Die Wolssburg«, wiederholte sie
leise, und ihre Blicke hingen an· dem
Bilde, dai so urplötzlich durch die
Biegung des Weges vor ihren Augen
ausgetaucht war. Sie waren bisher
immer durch dichten Tannenwald, der
die Aussicht versperrte, gefahren. Jeht
erst wurde Senta gewahr, welche
mächtige höhe sie erklommen hatten;
denn zu beiden Seiten des Weges
siel der Berg steil bis ins Thal ab.
Und das Schloß lag in seiner ganzen
stolzen Ausdehnung vor ihr, würdig,
seudal und alterthümlich der Ge
sammteindruck und adch der Neuzeit
entsprechend wohnlich anzusehen rntt
den hohen Fenstern in der Front, in
welchen die Spiegelscheiben glänzten
Es war schon etwas Dämmerung,
darum erschienen tht die alten,
grauen» verwitterten Mauern düster,
und ein betlennnendes Gefühl, legte
sich um ihr herz. Das also war die
Wolssdurg dort war ihr Vater ge
boren worden, dort .hatte er als
Knabe gespielt, dort hatte er gelebt
und gelitten und war schließlich aus
ihren Mauern verbannt und versto
ßen worden. "
»Mir noch wenige Minuten, nnd
wir sind da«, sagte der Gras, nachdem
er seine Nichte eine Wiele schweigend
beobachtet hatte
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Senta holte tief Athem.
»Ja«, sagte sie kurz, und es klang
wie ein Seufzen.
Der Wagen fuhr in den Schloß
hof ein und hielt vor dem Portai.
Noch ehe der Diener cis-gesprungen
war, hatte Graf Maximilian den
Schlag geöffnet, stieg aus und reichte
Senta die Hand.
Leichtfüßig sprang sie herb.
Er nhm ihre Hand und führte sie
hinein.
«Willtornmen auf der Wolfsbnrg,
mein Mad; sie sei Dir fortan het
math«
Sentas band zuckte ein wenig tn
der feinen, aber er hielt sie fest und
führte sie einer Dame zu, die soeben
ans dem obersten Abian der Treppe
erschien nnd sich anfchtckte. ihnen ent
Cosenzas-named
; Senta glaubte tm ersten Angen
itts Lunte Karten ihres Vaters
W
sechmney m vek dies-: ihr ersehn
hatte, zu sehen, doch wurde sie bald
eines anderm belehrt
«,Frlinlein von Rupert«, rief Graf
«"-Maximilian der Dame zu, «hier
bringe ich Ihnen eine Ueberraschung
auf die Sie sowohl wie ich nicht vor
bereitet waren. Komiesse Wolfsdurg
ist eine erwachsene junge Dame und
kein Kind mehr. Aber ich empfehle
sie trohdem vder vielmehr gerade des
halb besonders Jbrer Obhut.«
Aus den steifen Zügen des Fräu
leins, das sich in ihrer vornehtn stol
zenArt genährt hatte, spiegelte sich
allerdings selundenlang eine Ueber
raschung, die auch Enttäuschung sein
konnte. Doch sie war an Selbstbe
herrschuna gewöhnt und zwang ein
verbindliches Lächeln auf ihre schma
len Lippen, während sie die Hand
nach der des jungen Mädchen aus
streckte.
»Das ist in der That eine Ueber
raschung, die Sie uns bereiten, liebe
Komteß, aber eine angenehme, denn
ich hoffe, daß wir recht gute Freunde
werden«
So freundlich diese Worte klan
gen, so war ec- Senta, als wenn da
bei ein Eisessckauer durch ihre Glie
der ränne. Der mochte vielleicht von
sdek schmalen, kalten Hand der Dame
sausgeaangen sein. Oder beeinträch
Itigie das hochmiithig lalte Gesicht die
isrenndlichen Worten? Senta fand
;leine Erwidernng, auch hatte sie noch
teine Ahnung, wer die fremde Dante
war, und wag sie wollte.
- »Das ist Fräulein von Rupert, die
Repräsentantin meines Schlosses
Dir zur Erzieherin und Gesellschaf
terin bestimmt, Senta«, stellte der
Gras vor. »Ich hasse, daß Du Dir
die Zufriedenheit und das Wohlwol
len der aDmer erwerben wirst.«
Jetzt wurde Senta ein wenig blaß.
Sie verneigte sieh leicht, ohne ein Wort
zu sprechen.
»Du bist miide von der Reise und
möchtest Dich ausruhem nicht wahr,
mein Kind?« sagte der Gras freund
licher als bisher. Das hartnäckige
Schweigen des Kindes sing an, ihn zu
bei-rücken und er wollte der Szene
schnell ein Ende machen.
»Ja —- wenn ich in mein Zimmer
gehen dürfte«, antwortete sie.
Es waren die ersten Worte, die
Senta iiber ihre Lippen brachte, seit
sie ihren Fuß über die Schwelle der
Woissdurg gesetzt hatte.
,,Gewiß«, erwiderte der Gras
schnell. »Friiulein von Rupert wird
die Gewogenheit haben, Dich in Deine
Zimmer zu führen. Dort magst Du
heute Abend ungestört bleiben. Mor
gen besprechen wir das Nähere. Und
nun —- gute Nacht, mein Kind. Gott
segne Deinen Einzug aus der Wolfs
butg.«
«Gute Macht«
Seiundenlang ruhte ihre Hand in
der seinen, und ihr Blick slog zum er
stenmal zu ihm aus« Sie mußte hoch
sehen; denn er überragte sie um ein
Bedeutendes.
Die Aehnlichteit ihres Oheims mit
ihrem ther, die ihr jetzt erst aussiel,
wirkte einen Moment verblüssend aus
sie. Das waren des Vaters Augen,
das seine edel gebogene Nase — sein?
Kinn und doch —- aus des Vaters
ganzem Gesicht hatte Weichheit und
Güte gestrahlt —- hier meinte sie nur
Gleichgültigteii, Stolz und Strenge»
zu sehen. ;
Jetzt ließ er ihre Hand Los undH
entfernte sich mit kurzem Gruß. s
Ein Gefahr des Betten-nichts
kam über Senta. Sie wandte sichs
nach Brigitte um, der niemand wäh
rend dieser kurzen Unterredung BeH
achtung geschenkt hatte, und die ihr
doch das Liebste und Theuerste war,
Eos sie nach ihres Vaters Tode be-;
a .
Sie schlang, ungeachtet des spötti
schen Lächelns der anwesenden Da
me, die Arme um die Schuttern der
Alten und driiette sie an sich.
«Korntesse. ich bitte Sie, mir jest
zu solgen.«
Wieder war es ihr, als oh man sie
mit Eiswasser til-ergösse. Der Klang
der harten Stimme that ihrem mu
sikalischern Ohr weh, und es war eine
Eigenthümiichieit von ihr, ihre Sym
pathien und Antipathien nach dem
Klang der Stimme zu verschenken.
Ohne Brigitte ioszulasiem ging sie
der voranschreitenden Dame nach,
durch mehrere ihr schier endlos er
scheinende Gänge, bis endlich vor einer
Thür halt gemesht wurde. Die Da
me öffnete, trat ein und hieß das
Mädchen, ihr zu folgen.
»Hier sind Jhre Zimmer, Kom
tesse, machen Sie es sich darin be
quem, und hier nebenan liegt das
Zimmer Ihrer Dienerin.«
«Dienerin? Sie irren. Brigitte
isit meine liebe Vertraue tund Freun
d n.«
Sentas Blick flammte förmlich.
Fräulein von Rupert guckte leicht
die Achseln mit jenem nachsichtigen
Lächeln, das man zuweilen der Unart
eines Kindes gegenüber aufsteckL
»Das-über zu entscheiden, überlasse
ich dem Herrn Grasen, liebe Komleß.«
«Darübet giebt es leine andere
Entscheidung als die meine«, ent
fuht es ihr unbedacht und schroff;
denn die ganze Art der Dame brachte
ihr Blut in Wallung; sie wußte selbst
nicht, warum.
Fräulein von Nupert zog die Au
gendrauen ein wenis Erfr- lies
sich nicht merken, ’ crnp nduni
gen sie bei der Hist ein wenig friert-se
lig klingenden ri des junge-»W
rheng beherrschten, eden oweni wie
sie vorhin ihre herbe ttsu Gang
verrathen hatte. hier hieß es gute
Miene zum bösen-Spiel machen- Das
Zepter würde sie sich von einer .her
gelaufenen Betteldirne« nicht entwin
den lassen, sie hötie sen nicht Wallh
von Rupert heißen mtl en. Daß sie
einen schweren Stand haben würde.
hatte sie auf den ersten Blick gesehen
doch mit einem Streiche fällt man
keine Eiche. Und Fräulein von Ru
pert war außerordentlich klug.
»Sie sind müde«, sagte sie ablen
tend und ohne die Erwiederung zu
beachten. »Ich will Sie darum allein
lassen. Schlafen Sie wohl, und seien
Sie morgen recht gesund und frisch.
Gute Nachts«
Die Worte klangen so freundlich
nnd liebenswürdig, sie veriethen nicht
das bgeringste Geiränttsein noch den
leisesten llnwillen, daß Senta im er
sten Augenblick gang verdth die dar
gebotene Hand ergr ss.
Als sie zur Besinnung lam, hatte
sich die Dame bereits mit aalglaiter
Geschwindigkeit durch die Thür zu
rückgezogen.
Senta sah Brigitte sprachlos und
ipofschiittrlnd an. Diese aber rana
die Hände:
,,Sentachen, —- Sentachen, wie
konntest Du nür so zu der feinen Da
me, die der gnäidge Herr Graf Dir
doch zur Repräsentante —«
»Zu —- zu —- was siir eine Tan
te? ——— Hahaba -—— Brigitte, Du bist
gui.«
I Senta brach in ein helles. melodi
, sches Lachen aus, faßte die alte, rund
J liche Brigitte um die Taille und drehte
! sie mit sich herum, daß ihr hören und
’ Sehen verging.
»Sentachen —- Liebling halt ein
.-«- ich ——- ich werde ja — ganz —
schtvin —-—-«-delig« —
(Forisetzung folgt.)
—
Dad Jndikaum der Gabel.
Die Gabel, dieses nützliche Instru
ment, dessen sich bei uns Arm und
Reich, Hoch und Niedrig bedient und
das uns alken zum Essen unentbehrlich
erscheint, könnte in diesem Jahremit
Fug und Recht auch ihren Theil an
den vielen Jubiläen beanspruchen, die
unsere Zeit sich zu feiern gewöhnt hat.
Denn trenn sich hier auch naturgemäß
ein ganz bestimmtes Datum auf Tag
und Stunde nicht angeben laßt, so
darf man doch sagen, daß jetzt ziemlich
genau zweihundert Jahre vergangen
sind, seitdem die Gabel, d. h- die Eß
»gabel, in Europa allgemein zur Ein
führung gelangte. Als Werkzeug zum
Aufspießen und Vorlegen der Speisen
war die Gabel freilich wohl den mei
sten Kulturvöltern schon im Alter
thume bekannt. Aber zum Essen be
dienten sich unsere Vorfahren bis and
Ende des Mittelalters fafi ausschließ
lich jener fünfzinkigen Naturgabeh rnii
der jeder Mensch doppelt begabt ist« —
weniger bildlich gesprochen: sre aßen
mit den Fingern. Eine vornehme
Griechin, die Gemahlin des venetiants
schen Dogen Domenico Silvio soll im
11. Jahrhundert als erste, wie die
Chronisten berichten, die Speisen nicht
mit der Hand, sondern mit kleinen
zweizinkigen goldenen Gabeln zum
Munde geführt haben, aber zur Strafe
fiir dieses ungeheuerliche und wider
natiirkiche Raffinement ward sie, tvie
man versichert, von einer schrecklichen
Krankheit befallen, die ihren Körper
langsam zerstörte. hier und da begeg
net man später in Jnventaren, so 1379
in dem Karls V. von Frankreich, der
Aufzählung von gobelähnlichen Ge
genständen, aber diese wurden entwe
der zum Vorlegen oder doch nur fiir
wenige bestimmte Gerichte, so z. B.
heiße geröstete Käseschnitte —- Vorläu
fer der heutigen «Welsh Rarebits« —
gebraucht, bei denen man sich sonst die
Finger verbrannt hätte. Erst 1518
hörte man wieder von der Eßgabeh
und zwar abermals von Venedig aus.
Damals erzählte ein französischer Ret
sender, Jaraues Le Saige, der an ei
nem Male beim Degen theilgenom
men hatte, als eine Merkwürdigkeit.
daß die vornehmen Venetianer das
Fleisch mit silbernen Gabeln ausspieß
ten, um ed zu essen. Und man ver
stand daher unter «venetianischer Eß
weise« das« Essen mit Gabeln. n
Venedig machte dann Heinrich l l.
von Frankreich 41574A auf der »Rück
reyr von Polen oie Bekanntschaft vie
ser neuen Mode und verpflanzte sie
an seinen Hos. Vielen galt sie hier
noch als eine stembländiscbe Extrabe
ganz, ja direlt als ein Syrntorn der
Entartung und Verweichlichung, und
ein Zeitgenosse beschreibt voll Spott,
wie ungeschickt die edlen herren und
Damen des Hofes sich anfangs anstell
ten, namentlich wenn sie so schwierige
Speisen, wie Schoten oder Arlischos
den, mit der ungewohnten Gabel mel
stern wollten. Lange dauerte eg, bit
die Gabel, die zuerst ein Prioileg der
Vornehmen bleiben zu sollen schlen,
sich auch in den niederen Ständen ein
bürgerte. Aber es sind Zeugnisse vor
handen, daß dies um das Jahr 1605
zu geschehen begann. Von Frankreich
aus unternahm die Gabel dann
demselben Zeitpunlte ihren Sieneszss
nach England und Deutschland
hascnbruch