Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 08, 1905, Sweiter Theil., Image 10

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Senta Wolksbm«g.
Roman von Hlsbetb Bokcbart
LKapiteL 1
»Du willst das Kind also wirklich
zu Dir aus die Wolfsburg nehmen,
Maximiliaw?« .
»Ja liebe Kinnla, Du weißt, daß es
unseres Bruders letter Wunsch vor
seinem Tode war.'«
«Hm.« machte Gräsin Armberg und
blickte nachdenklich vor sich hin, »Du
hast Diethelm versprochen, für sein
Kind zu sorgen; ich meine, damit wä
reftDu nicht verpflichtet, es aus die
Wolfsburg zu nehmen-«
«Du irrst. Jch versprach nichts wei
ter. als dem Kinde auf der Wolssburg
eine Heimoth zu geben; es wäre sonst
heimathlos."
«Durch die Schuld des eigenen Va
ters.'« Jn dem aristolratifchen Gesicht
der Gräsin guckte es verächtlich auf.
»Er sagte sich von seiner Familie los,
um Kdmädiant zu werden. Damit hat
er jedes Band zerrissen. jedes Recht an
seine Familie MAX
»Er hat es nie gefordert« —- Gras
Mxismkilicm seufzte —- «er hat nur ge
beten. Wir aber wiesen ihn kalt ab,
nachdem wir vorher alles aufgeboten
hatten,v ihn fiir die Familie zu retten.
Seine Liede zusr Musik war stärker als
die Bande des Blutes, seine Kunst
stand ihm höher als sein stolzekName.«
,«Er want seines Namens niemals
würd-ta;« schaltete die Gräsin mit her
der Stimme ein. »Das hat er genug
smn bewiesen, vor allem durch seine
heirath mit der plebejischen Sängerin.
Sekn Kin isi das Kind dieser Sän
ger-rn. Das Blut der Mutter wird in
fernen Adern fließen. Ich gebe Dir
das zu jeden-few Maximilian
wirst nicht viel lFreude mit Deiner
Muth ernten-I
Großmth?« fragte Maxi imilian
nnd sah feine Schwester, deren stolzes,
kaltes Gesicht wohl niemals eine wär
mere Empfindung ausdrücken konnte,
prüfend an. »Ich erfülle nichts weiter
als eine Pflicht einem Todten gegen
Ziele-ig« nnd Pflichten gegen Todte sind
»Er weiß nichts von Deinem Ber
sprechen, das Du ihm gabst, « erwiderte
Gräfin Karla leise.
»Mein —- warnm erinnerft Du
mich gerade darun, was mir so
schmerzlich ist: daß Dsiethelm meinen
Brief,wot worin ich ihin das Versprechen
gab, sein Kind zu mir zu nehmen, nicht
mehr erhielt daß der Tod ihn vorher !
abgerufen hatte? —- Wber glaubst Du
daß mir mein Versprechen darum we
niger heilig sein wijrdh weil er es
nicht mehr vernahm? Nein —- ich halte
es. Ich habe meinen jüngeren und
einzigen Bruder Diethelm geliebt und ;
schwer unter dem Schlage gelitten, den i
er gegen uns geführt hatte. Jch habe ;
alle Bande brüderlicher Liebe zers
schnitten, jeden Annäherungsversuch
stolz imd kalt abgewiesen —- Dem Le
benden konnte ich diese Härte zeigen
—dem Todten gegenüber vermag ich
es nicht«
Gräfin Karla hatte während der
Worte ihres Bruders angelegentlich
ihre fein geschnittenen Fingernägel be
trachtet. Jent hob sie den Blick.
»Wie denkst Du Dir eigentlich die
Erziehung dieses Kindes? Du stehst
allein. bist Witwen kinderlos, hast
Dich nie um Kinder gelümmert.«
»Diese Frage ist berechtigt: ich stellte
sie mir anfangs selbst.«
»Nun —«und ieht?«
«Mt« habe ich einen Ausweg ge- «
»Und der wäre?«
·Ztenöchst werde ich eine altere er- »
fahrene Dame zur Erzieherin derKlei- !
neu nnd Fugleich zur Repräsentation i
meines Schlosses engagikenk
»Mit Dn bereits eine solche im
Amts«
»Nein —- ich hoffte, Da würdest
mir in der Wahl beistehen Eine Frau
irisst darin viel eher und besser das
Richti».«
»An meinem Beistand sowie an mei
ner Erfahrung in dieser Beziehung
soll es Dir gewiß nicht fehlen, wenn
Du wirklich bei der energischen Abwei
sirng meines Rathschbaaes, das Mäd
chen in Pension zu schicken, beharrst.«
»Ich beharre dabei und nannte Dir
bereits meine Gründe. Im übrigen
traust Du mir hinsichtlich der Erzieh
ung doch vielleicht zu wenig zu. Denke
an hans Joachim.«
»Du meinst Deinen Neffen, den
Majoratserbeni Lieder Bruder, Du
hast allerdings bei der Erziehung
Gans Joachims mitgeholfenz er war
same-Ihr bei Dir auf der Wolfsburg
ais daheim bei seinen Eli-ern Und
anch das gebe ich zu, daß er des Majo
raiis würdigisi. Ader Du weißt, daß
in seinen Adern rein-es Aristokratem
- blui fließt, daß ihm die Traditionen
« ; feines Standes im Blut lagen«
«.-. » »Bei einem Kinde macht die Erzieh
: nna alles. Mag sie bei diesem Kinde,
T M mit dem Erbe seiner Eltern aus
iifiet i,fi immerhin eine schwierigere
so hoffe ich doch, alle schädlichen
rieb-e in ihm entfernen in können,
» M Standesbewußtsein in ihm groß
ziehen nnd ei zu lehren» nach nn
Fee-Im Mist-MS «val«ksse Wie-«
stimmt-U
» - —- mdie Musik fragte die
zlaef Zwei-ich m nebenher
detrieben. wenn nicht ganz fortgelassen
werden« »
»Hm-ja, das ist in der Theorie
ja so weit ganz annehmbar-«
«N«un — und in der Praxis meinst
Du nicht? Selbstverständlich rechne ich
dabei auf denBeistand einer Dame,
die mich in meinen Plänen unterstüßh
genau nach meinen Jnftruitionen ver
fährt.«
»Maximilisan, mir kommt da plötz
lich ein Gedanke. Merkwürdig, daß ich ’
nicht schon früher darauf verfiel « rief
Karls-, während der Bruder sie fras
arnd ansah. »Ich glaube, ich kann Dir j
schon heute eine passende Dame in l
Aussicht stellen-.«
»Ah, das wäre mir in der That sehr
angenehm Laß hören« »
»Sie ist mir seit langen Jahren be
kannt. Erinnerst Du Dich der Haus- »
dame des Grafen Hartenstein auf Ru
dinitz?«
»Nein. — Graf Hartenftein ist mir
eben-falls nur oberfliichlich bekanni.«
»Nun, diese Dame vertritt die Stelle
der Hausfrau auf Dudinitz seit unge
fiiha fünfzehn Jahren und hat des
Grafen Kinder zur höchst-en Zufrie
denheit des Vaters erzogen. Jetzt, da
die Kinder erwachsen, zum Theil ver
heirathet send, fühlt sie sich dort etwas
überflüssig und sehnt sich nach um
fnaareicherer Thiitigkeii. Hier wäre
das rechte-Feld fiitsr sie. Sie ist aus
gutem, adliaem Hause und gilt fiir
sehr ertlusiv und gewissenhaft. Wenn
Du willst, werde ich ihr den Vorschlag
unterbreiten«
« »Ja, bitte, these das, liebe Karls-,
ich werde Dir sehr dankbar sein, denn
Du enthebft mich damit einer großen
Sorge. Doch -—Du bift aufgestan
den, willst Du schon soffs-«
»Is. mein Mann und meine Kinder
erwarten mich früh zurück. Jch kam
auch nur hierher, um die Angelegen
heit noch eian mit Dir zu bespre
chen. Apropos -— wann wird die
Kleine eintreffen?«
YJn einsam Wochen denke ich; sie
besskndet sich bereits auf der Heim
reie.«
«Rrist sie allein?«
»Nein, ihre Meterin bealeitet sie;
zudem befindet sie fich im Schuhe eines
Ehepaares, das mit Dietbelrn befrei-n
det war und wie er eine Gastspielreise
nach Amerika unternommen hatte-.
Dem Bruder brachte diese Reise den
Tod. Durch eine heftiae Eriiiltuna
zoa er sich eine Lunaenentziinduna zu
und starb daran in der Blüthe seiner
Kraft und Jahre. Er war erst 39
Jahre alt.«
«Dsieses Ehepaar gehört also auch
dem Schauspieierstande an?« fragte
die Gräfin, ohne von ihres Bruders
letzten Worten Notiz zu nehmen·
»Sie sind Opernsiinaer, wie Piet
helm es war.«
»Und in dieser Gesellschaft ließest
Du das Kind noch volle sechs Mo
miet«
»Was blieb mir denn anderes übrig?
Diethelin hatte es so vor seinem Tode
bestimmt. Er wollte seine Tochter be
areiflichermeise nicht allein sdie weite
Rise iiber den Ozean machen lassen
und ftllte sie daher in den Schuß fei
ner Freunde. Da diese bis jetzt in
Amerika verpflichtet waren, so mußte
sie so lanae in der Familie bleiben.
heute erhielt ich von Rodenbach —- so
beißt der Freund —- die Nachricht, daß
sie sich in drei Wochen in New York
ein-schifer wollten, und daß er die
Tochter Dietbelms sicher nach der
Wolfsbura befördern würde. Nach dem
Poststrnwel des Briefes zu urtheilen,
müßten sie sich demnach unterwegs be
finden, und ich denke, wir können sie
in ungefähr drei Wochen erwarten.«
»Bis der-Un werde ich die Sache mit
Fräulein Rudert —ich vergaß vor
hin, Dir ihrenRamen zu nennen —
erkediat baben.«
Das Geschwisterpaar war während
des letzten Gesprächs die Freitreppe
hinunter gestiegen und ftand nun an
dem vor dem Portal haltenden Wagen
der Arenbera Der Diener hielt mit
aezogenem hat den Schlag offen. Ein
iurzes Abschiedswort an den Bruder,
nnd Gräfin Arenberg stieg ein-. Der
Diener sprang auf den Bock, und der
Wagen rollte davon.
Graf vaimilian begab sich in sein
Zimmer zurück. Er setzte sich an seinen
Schreibtisch und stützte den Kon in
die Hand. So saß er geraume Zeit
in tieer Nachdenken versunken. Er
war sonst nicht grüblerisch veranlagt; H
feine Natur neigte vielmehr zu frischer s
That, doch die Umwälzung, die seinem
Hause bevorstand, der neue Zuwachs
für die Familie, die damit verbunde
nen Aufgaben und Pflichten beschäf
tigten seine Gedanken, boten ihm zu
mancher Sorge, zu manchem Bedenken
Anlaß. Heute hatte das Gespräch mit
seiner Schwester Katla Erinnerunan
an- liinait vergangene Zeiten in ihm l
wachgerufen, nnd er ging ihnen fasij
wider Willen nach· l
Er sah sich als Knabe mit seinem«
um ein Jahr itingeren Bruder Dieb i
beim zusammen ihre kindlichen Spiele J
ausführen er fah sich später mit ihm
im Kadetteniorps und darauf als
frisch gebadene Monats in ein und
Ring-lösen Beginnend So verschieden
die der auch geartet waren, hatte
sie eine herzliche beideer Zutri
sung verbunden« die aber bald eirsen
unheilbaren Riß erhielt. .
Schon von trübesterjtmdheit an
zeig-te der weichderzige Dutbelm einen
schwör-tierischen Hang zur Musik. Er
konnte über der Ausübung derselben
seine Schulaufgaben, ja die Unter
richtssiunden vergessen und zog sieh
deshalb manche Strafe oder Rüge fes
nes Vaters und seiner Lehrer zu. Spa
tser wurde die Musik zur Leidenschaft
bei ihm. Man sagte, daß sie den
Wolfsburgern im Blute läge; sie hat
ten ihr fast alle mehr oder minder ge
buldiat. Ein Mitglied sollte foaat die
Absicht aedabt haben, sich der Bühnen
laufbahn zu wsidmen, was von den
Verwanan aber noch rechtzeitig der
hindert worden war. Vielleicht mochte
die Kenntniß dieser— T.wt«ik1M-soyie
-«ore verrenenoe Person« die noch Ieore.
auf ihn einaetvirkt haben, kurz und
gut, er trug sich mit ähnlichen Plänen
und traf in aller Heimlichleit seine
Vorbereitungen. Berlin. darin die
Brüder in einem Gardereaiment stan
den, bot ja in dieser Beziehung An
regung und Versuchung genug; dazu
kam noch, daß ihm nach seiner Ansicht
als zweitgeborener Sohn ein sehr
zweckloses Leben bevorstand. Verdi
sizrieskstand mit seiner strengen Diszi
plin war ohnehin nicht nach seinem
Geschmack, und ersehnte sich nach
einem freien Beruf, der ihn ganz und
gar erfüllte.
Natürlich stieß er bei seiner Familie
aus den heftiqsten Widerstand Man
liess kein Mittel unversucht, ihn von
seiner Idee abzulenken. Er wurde in
:eine kleine Garnison versetzt, tvo er
keine Nahrung an Ober und Konzer
Tien finden konnte. Aber aerade diese
FEntziehung jeglicher Musik trieb ihn.
fallen Vorstellungen und Warnung-n
I seines Bruders zum Trotz, ohne Wis
sen und Willen des Vaters den Ab
schied zu fordern. Er kehrte in die
bauvtstadt zurück, setzte seine Gesang
fiudien fort, und da er mit einer
herrlichen Tenosrstimme benabt war.
erhielt er bald ein Enaaaement als
Opernsänger an der Königlichen Oper
in Berlin.
Diese Extravaganzen seines zweiten
Sohnes empörten und erziirnten den
adelsiolzen Vater bis aus das Maßre
sie. Diethrlm war soeben majorenn ge
worden, und er konnte ihn nicht zur
Umkehr zwingen, aber er enterbte den
ungerathenen Sohn und sagte ich
gänzlich von ihm los. Desgleichent t
dr Bruder, dessen Stolz wie der des
Vaters aus das empfindlichste verleßt
war. Marimilian sorderte ebenfalls
seinen Abschied aus dem Garderegi
nsent, da er es nicht ertrug. den Na
men seines Bruders als Opernsiinger
an den Anschlaasiiulen derselben
Stadt, darin er als Ossizier stand,
zu lesn. und er seinen Kameraden ge
aeniiber den Bruder nicht verleugnen
konnte. Dieihelm von Wolssburg, der
ehemalige Kamerad, bildete ohnedies
vorläufig das Tagesqespräch unter den
Offizieren.
H Maximilian kehrte aus die Wokss
) burg zurück —— die Mutter lebte längst
jnicht mehr — und widmete sich der
Landwirthschast und dem Studium
seiner Lieblngswissenschasten Ter
Ofsizierstand war ihm bekleidet wor
den, zumal ihm durch Diethelm, der
in Berlin blieb, das Garderegimeni
verschlossen blieb. Doch zweiundiwaw
zia Jahre sind bei einem jungenManne
kein Alter, um schon an der Schalle
festzutleben Es trieb ihn wieder sort
aus Reisen. Er studirte in Jena und
in Heidelberg und kehrte erst nach
zwei Jahren auf die Wolssbura zu
rück, ums bald daraus in den Hasen ,
i der Ehe einzulausen
! Von Diethelin drana ab und zu eine
J Kunde zu den beiden Männern. Zwar
.ginqen alle Briefe uneröffnet zurück,
) aber gegen Rad-richten die die Zeitung
snach der Woligbura trua. lonnten
: Vater und Bruder sich nicht verschlie
ȧen. So erfuhr man, dasz Dietbelm
jsich einen bedeutenden Namen durch
; seine Kunst gemacht hatte, daß er vom
;Vublitum wie von den Msajestäten
« ausgezeichnet wurde. Diese Kunde
Estimmte sie jedoch nickst versönblicher,
denn der Umstand, dasz er sich mit
Einer bürgerlichen Sängerin vertobt
« hatte und selbst ein einfacher Bürger,
der sich Diethelm Wolssburg nannte,
geworden mar, trennte ibn für immer
von der in ihrem Stolze schwer ge
trosfenen und verwundeten Familie.
So hatt und unbeugsam sich Maxi
milian dem entarteten Bruder gegen
über gezeigt, so konsequent er jeden
Annäbernnasversuch abgelehnt hatte,
so war doch noch ein Rest von Zunä
auna geblieben, der sich weder durch
Stolz noch Vorurtbeile übertünchen
ließ. Freilich, den Opernsänger und
dessen Familie als Verwandte zu be
trachten und anzuerterrnem das ließ
sein Stolz nicht zu. Darum mußte
der Bruch bestehen bleiben, und es
schien teine Brücke über den trennen
den Abgrund zu geben.
Der alte Gras Wolssburg war un
terdes im Groll genen seinen· Sohn
Dietbelm gestorben, und Maxtmilian
wurde Maioratöherr von Wolssburg.
Er war bereits vermählt und lebte mit
seiner Gattin, einer geboren-en Griisin
Jauche-in in tinderloser,·wemg gleic
licher Ebe. Nicht die Liebe, sondern
äußere Bortbette hatten sie zusammen
gew. und demgemaß geitaltete sich
ihre Ebe. Jeder Fing seinen eigenen
Neigungen nach.- nnd ob diese sich guch
dirett zuwiderliesem so Jegte temkk
dem anderen ein Hindernis entgegen.
Das war das einzige Erteazltche die
Bunde-. Ein indem rbe «tte
wcatten vieiieicht einander n bee
gebracht, aber schon mich DOMAIN
sen mä einer schweren Vom ist-.
eintrete- vte umt- tede Dein-m mit
.
ein Kind siir autgeschlo en. Ob die
Msin unter dieser Gewi beit litt und
ob ihre Sucht nach Geselliateii nur
eine Uebertäubuna ihrer Gefühle war,
vermochte niemand zu ergründen Sie
war immer strahlend uatd voll über
sprubeinben Geistes in Gesellschaft
anderer und lehrte ihre iible Laune
nur zuweilen dem Gatten gegenüber
braus. Doch Gras Maximilian ver
schanzte sich hinter seine Arbeit und
vergaß bieOede nnd Leere seiner Ehe !
über seinen Büchern und der Bewirtlp »
schastung seines Gutes-. Kein Zu ?
seines ernsten Gesichies verrieth, o ?
und daß er litt, ja, als er den rechten ;
Erben für das Maiorat gesunden
hatte, schien er sich mit der Thaisacht, -
keinen leibliche-i Erben zu besitzen, ab- .
gesunden zu Well, Uns hemman
seine Sorgfalt und seine Gedanken .
aus die Erziehung dieses Erden.
Hans Joachim von Wolssbutg, deri
Sohn eines Vetters, war als letzter
seines Stammes zum Majoratsherrn
ausersehen worden. Er war ein sti- s
scher, lustiger und kräftiger Junge, den »
Gras Maxiinilian mit der Zeit immer «
lieber gewann. Hans Joachim ver
brachte seine Kindheit und Jünglinas- r
zeit zum arösiten Theil aus dest Wolfs- ;
burg. Maximilian wünschte. daß der »
Knabe schon srtih sein einstiaes Erbe
tennen und lieben lernen sollte, und
vielleicht leitete ihn auch der Wunsch.
seinem öden Leben in der Ehe durch;
die Anweinbeit eines frischen Kindes;
einen Ableiter zu geben. Die Eltern
Hans Joachims ließen es willia qu
dasi derSohn mehr aus der Wolfs-;
bura als daheim bei ihnen war. Der :
Vater wasr ein lriintlicher, nöraelnders
Mann und wußte mit dem wilden
Knaben ohnedies nichts anzufangen, !
und die Mutter brachte aern das-Dosen !
da ihrem Kinde so bedeutende Vor- i
theile daraus erwuchseir. »
So wurde Hans Joachim auf der l
Wolisburq erzogen, und später, als er
im Kadettentorvs und im Reaiment
stand, verbrachte er seine Ferien und
seinen Urlaub stets auf der Wolfs
burn. In Gras Maximiliam den er
Onkel nannte, sah er bald seinen
zweiten Vater und gewohnte sich über
raschend schnell an den Gedanken, einst
selbst der herr über das reiche Majo
rat zu werden. Niemand tonnte es
ihm streitig machen. Maximilians jün
gerer Bruder Diethelm und dessen
Nachkommen tamen für die Erbsolqe
nicht in Betracht, einmal, weil Piet
helm einen Stand gewählt hatte, der
für denMaioratsbesitz unzulässig war,
und zweitens, weil er den Adel, wenn
auch nicht urkundlich, so doch injder
Führung abgelegt hatte.
Wenn Gras Maxtmilian jedoch ge- »
hofft hatte, Hans Joachim würde ein ’
bindendes Glied zwischen sich und der
Gattin werden, so hatte et sich ge
täuscht. Die Gräsin brachte dein Kna
ben taum mehr als die nöthige An
theilnahme entgegen und tiinimerte sich
garnicht um ihn. Nach wie var ging
fie»ihrer Geselliateit und ihren Ver-»
anuaunaen nach und schien stir nichts
anderes Interesse zu haben. So blieb
das Leben in der alten Weise bestehen. »
Da, eines Tages ——vor zwei Jah
ren war es —- trua man ihm seine
Gattin todt ins Haus«-. Ihr Pferd-—
sie ritt«strts die wildesten Thiere —
war mit ihr durchaeaanaen. hatte sich
uberschlaaen und die Reiterin abge
worfen. Diese war so unglücklich ge
stutzt, daß insolae eines Schädel
bruchs der sofortige Tod eingetreten
Mk.
Marimilian war achtunddreißig
Jahre alt, als das aeschah Er sind
im besten Mannesalter, in der Blüthe
seiner Kraft. Sei es aber, daß seine
Erfahrungen in seiner vierzehn Jahre
währendenEhe ihm eine Wiederholung
nicht erwünscht erscheinen ließen, oder
wollte er Hans Joachim, den er herz
lich lieb gewonnen und der sich bereits
in die Rolle des tiinstiaen Maiorats
herrn einglebt hatte, nicht enttäuschen,
ihm nicht die Zukunft rauhen, turzum,
er heirathete nicht zum zweiten Male.
Von seinen Freunden und Bekannten
scherzlfaft hinaeworsene Bemerkungen
und Anspieiunaerr lehnte er damit ab,
daß er jetzt mit seinen vierzig Jahren
zu alt zum Heirathen sei. Keiner he
stiirtte ihn mehr in dieser Ansicht als
seine Schwester Karla. Sie ,die es
als maßlose Unaerechtiateit ansah, daß
die Töchter eines MaioratSherrn nur
mit einer geringfügigen Summe aus
dem Privatvermögen abgefunden wur
den, während aller Reichthurn allein
dein ältesten Sohn zufiel, hatte bereits
ihre Pläne gemacht,
auch indirelt, zum Majoratshesitz zu
gelangen. Und zwar hatte sie den zu
künftigen Maioratsherrn Joachim als
Gatten siir ihre ietzt siebzebniiihrige
Tochter Asta ausersehen. Mit stau
nenswerther Energie aina sie diesem
Ziele nach und scheute teine hindr
dennoch, wenn »
niss. Boten sich welche. so wurden sie J
mit kalter Hand aus dem Wege ge
räumt. Sie wußte, das; Maximilian
seinem Neffen sehr zugethan war. und
sie hoffte,
dann auch stät-er auf ihre Tochter
übertragen und das; aderhand Vor
theile fiir sie daraus erwachsen wür
den. Bis jetzt waren außer Hans Joa
chim sie und ihre Familie die einzigen,
die ihm nahe standen. Da mit einem
Male drängte sich etwas dazwischen,
an das sie nicht gedacht hatte. .
Ihr Bruder Diethelm war schon
von der Stunde an todt site sie gewe
sen, als er den gewaaten Schritt, zur
Bühne zu gehen, unternahm Als die
Nachricht von seinem wirllichen Tode
sie erreichte, war sie darum auch nur
wenig davon berührt« worden: der
weiche, warmherzige Dicethelni unddie
kalte. Witthiae Karla hatten sich nie
verstanden Crit alt sie erfuhr. daß
Martmilian einst me« Met
dasr sich diese Zuneigung I
httms Kind zu sich aus die Wolfgburg
zu nehmen, gerieth sie in Aufregung
und versuchte alles, ihren Bruder du
von abzubringem Sie witterte in
stinktiv darin eine Gefahr fiir sich, und
sei es auch nur die, daß ihres Bru
Mznteresse dadurch getheilt werden
e.
Maximilian begegnete ihren Vor
stellungen mit ruhiger, energischer Ab
wehr-. Wie hart er selbst mit sich ge
tcimpft, ehe er diesen Entschluß gefaßt
hatte, davon erfuhr Karls nichts. Es
schien ihm ebenfalls gewagt, das Kind
n seine unmittelbare Nähe zu bringen.
Er wußte von Diethelms Ehe und Fa
milienverhältnissen so gut wie gar
nichts. Nur, daß er sich im— Alter von
zweiundzwanzig Jahren verwbt hatte
und noch einige Jahre mit der Heirath
hatte warten wollen, war zu seinen
Ohren gekomm. Ob und wann die
Ehe aeschlossen und ob ihr Kinder ent
sprossen waren, hatte er nicht gewußt,
bis er eines Tages einen Brief erhielt,
der ihn von dein Vorhandenan einer
Tochter Dietheims unterrichtete.
Er hatte diesen Brief, der aus Ame
riia bam und dessen Absender er nicht
ahnte, erbrochen
Er lautete also:
»Ich liege im Sterben und beane
meine letzten Kräfte, um an Dich zu
schreiben. Wenn Dich meine Zeilen er
reichen, weile ich wohl schon unter den
Todten. Denn es steht schlimm mit
mir, ich fühle mein Ende herannahen.
Die Hitze steigt mir zum Herzen —
der hustenansallckommt wieder —
ich habe keinen Athem mehr ———- lebe
wo l, mein Bruder.«
« diesen Zeilen laa ein längerer
Brief, der schon srüher einmal ge
schrieben sein mußte. Er war ebenfale
von Diethelm, aber noch in seiner schö
nen, klaren Handschrift. Die Hand
hatte noch nicht gezittert vor Fieber
frost, die Sätze waren nicht abgerissen
die Worte deutlich und nicht wie im
ersten Schreiben halb unleserlich.
Maximilian las auch diesen Brief«
«Geliebter, theurer Bruder!
Ehe ich weine Gastspielreise nach
Nordamerika antrete, treibt es mich,
Dir zu schreiben aus ganz seltsamen,
duntlen Ahnungen heraus. Du weißt,
daß ich stets eine sehr senstble Natur
hatü und manche-, das noch in weiter
Zukunft lag« vorausempsand So er
geht es mir auch ietzt. Obgleich ich mich
gesund und trästia fühle, ist es mir
zuweilen, als sollte ich nicht lebend
nach Deutschland zurückkehren Für
den Fall. daß diese meine Ahnung sich
erfüllt. schreibe ich heute. Wer weiß,
ob mir im entscheidenden Moment noch
Kraft und Besinnung dafür bliebe.
Und meine erste Bie: ist: hast Diu dem
Lebenden nie verae n können, so ver
aieb dem Todten. Die Bahn, die ich
ainq, war mir voraezeichnet, ich mußte
sie aehen auch um den theuren Preis,
J Euch zu verlieren. Fiir meine Person
begehre ich nichts, nur sür mein ein
ziges Kind, meine Tochter. Wenn ich
nich-i mehr bin, steht sie allein und ver
lassen in der Welt. Jhre Mutter so
wie deren Verwandten sind todt, der
Vater raubte ihr die seinigen. -——
Marimilian, ich appellire an Deine
Bruderliebe: nimm Dich meines ver
waisten Kindes an, laß es nicht ohne
Schuß draußen in der Welt, gieb ihm
aus der Wolssbura eine Heimath
Ein kleines Vermöaen, das ich mir in
meinem Berus ersparte, sichert meiner
Tochter ein in dieser Hinsicht sorgen
sreies Leben, aber das Beste sehlt ihr:
die Heimath Jch lege darum mein
Wind in den Schoß meiner Familie
zurück in herzlichem Vertrauen« aus
Dich und Deine Zustimmung.
In nie erloschener Liebe
Dein Bruder Diethelm.«
Diesem Brief waren von sremder
Band wenige Zeilen zugefügt:
’ »Diethelni lieat an einer schweren
Lunaenentziinduna darnieder. Die Ge
nesuna ist nach Ausspruch der Aerzte
ausaeichloisem das Schlimmste steht
zu befürchten Rodenbach.«
Tief erichiittert ieate Maximilian
das Schreiben aus der Hand.
Armee Bruder! So jung, erftneun
unddreiszia Jahre alt, in der Vollirafi
Deines Lebens sterben und ein Kind
ohne Schutz- Heimatb und Familie
Zurücklassen zu müssen! Das ift ein
derbes Geschick. Aller Groll gegen den
Bruder schwand.
Nach darinn, aber kurzem Kampfe
schrieb er zurück: »Es ift alles ver
ziehen, Diethelrn, Dein Kind soll auf
der Wolfsbura eine Heimath, in mir
einen Beschützer finden.«
I Umaebend ging dieses Schreiben ab,
doch die Reife ist lang. Diethelm las
nicht mehr die veriöhnenden Worte des
Bruders, er konnte das Bewußtsein,
lein Kind aeboraen zu wissen, nicht
mehr mit inübernehmenx denn der
Tod rief i n in der Zwischenzeit ab
Die Todesnachricht traf zu gleicher
Zeit, da Maximilians Schreiben in
Amerika antanr., auf der Wolisburg
ein« Mit Schmerz erfuhr Max-inu
lian, daß iein Brief zu spät gekommen
war. Ein Freund und Kollege Piet
beim3, derselbe, der die Nachricht von
seiner Eritaniuna an Diethelmö Brief
gefügt und auch die Todesnachricht
gesandt, hatte den Brief jedoch erbro
chen und aelesen. Er befand sich mit
feiner Gattin ebenfalls auf einer Gast
ivielreise und hatte sich des verwaisten
Kindes angenommen Der schrieb nun,
daß er das Mädchen sicher nach der
Wolföbura geleiten würde, allerdings
erii in sechs Monaten, da er so lanae
in Amerika verpflichtet iet. Er habe
ei seinem Freunde Dietbelm verspro
chen, sein Kind aus der Rückreiie nach
Europa in seinen Schuh zu nehmen,
und er hoffe, daß der Herr Graf rnit
der Verwertung einverstanden ein
würde. Gleichzeitig schickte er die -
viere des Verimbenen ioioie das su
rückaeiassene Testament Dieihelm be
stimmte darin feinen Bruder Max.imi- .
lian, Grafen von nnd zu Wolfsburg, ,
zum Vormund seines Kindes und zum
Verwalter ihres Verknöaens. «
Maximilian hatte die Papiere in
Empfang genommen und sie sorgfaltig -
in seinen Schreibiisch verschlossen, ebne
ste, mit Ausnahme des Tefiamess
einer genauere Prüfung zu unierziah
Die Berzöaeruna der Ankunft de
Kindes kam ihm in einer Hinsicht sehr
erwünscht. Er hatte sich an sein einias
mes, zurückaezoaenes Leben auf der
Wolfsbura zu sehr aewöhni, als daß
ihm eine Aenderuna in feiner Lebens
weise, die Unruhe, welche die Anwe
senheit eines Kindes mit sich brin en
mußte, besonders erwünscht ge en
wäre. Schon der Gedanke daran hatte
ihm Unbehaaen vernrfachi. Erfi die
hertiae Aussprache mii feiner Schwe
ster, die ihm durch das Jnaussichisiel
len einer passenden Dame eine fchwkte
Sorge vom Herzen genommen hatte,
lies; ihn der Ankunft der Kleinen
aleichmiithiaen, ja mii einer gewissen
frohen Erwartuna entgegensehem
Wenn die einsamen Räume von frohem
Lachen und Kinderiubeln widerklin
gen, wenn kleine Füße über den Par
ieiifußboden oder den fammiweichen
Nasen des Bartes eilen wiirdeni
Ueber das bis dahin ernsieGe cht
des Grafen floa es bei solcher Vor l
luna wie ein warmer, ionniaer Schein,
der freilich nur zu bald wieder der
schwand.
Mit energischeni Ruck stand er aus«
schüttelte die Zulunstsbilder und die
alten Erinnerungen ab und lehrte in
die Gegenwart zurück. Für den Be
sitzer eines so weit ausgedehnt-en ret
ckien Maiorats giebt es mancherlei
Sorgen und Geschäfte. die einen gan
zen Mann erfordern. Gras Wolfsburg
erinnerte sich ietzt, daß er mit seinem
Obersörster iiber neue Forstanlagem
die isan sehr am Herzen lagen, hatte
beratben wollen« Darunt- nahm er
eilig Hut und Reitpeiiscbe und ging
mit sesten Schritten zur Tbiir keinen-L
Er war sehr groß und kräftig ge
baut, und die Bewegungen waren
lraftvoll und energisch· Der Sismun
bart über den Livven ließ ibn aufden
ersten Blick iiinaer erscheinen, als er
eigentlich war, doch seine Züge spru
cben von männlicker Reife, festem
Willen nnd Charakter. Das Kovsdaar,
das er lurz geschoren trug, liesin ei
ner sogenannten Lansdzunge in die
hohe Stirn aus« die von dunklen
Brauen besebateten Augen lagen tief
in ibren Höhlen und hatten eine un
erariindlickre tveckiselvolle.Farbe; sie
blickten meist streng und ernst. «
lFortsetzung solgi.) «
—.-—-- «
Uetkivttrdtge alte seltenen-n
Einige der ältesten und primitiv
sten Einrichtungen siir die Zeitin -
sung haben sich inertiviirdigertveie
noch bis in unsere Zeit erhalten. Jn
vielen Kirchen, Mönch-Dis und Nonnen
tlöstern werden noch heute die abge
tbeilten Lichter gebraucht, um die
Dauer der Gebete zu messen: ebenso
verwenden noch viele Köche und
Köchinnen des zwanzigsten Jahrhun
derts Sanduhren zum Eierlochen.
Von allen Erfindungen zur Zeitbe
stimmung ist wohl die Sonnenubr die
älteste. Sie war schon den Bewoh
nern Babylons belannt.
Alte Sanduhren, von denen einige
aus deni frühen Mittelalter stammen,
sind von dem Sniithsonian - Insti
tut in Washington gesammelt wor
den: bei einer Prüfung dieser Sand
gliiser haben die Gelehrten des Jn
stiiuls gefunden, daß sie sehr unge
nau sind, da einige eine Differenz bis
zu sieben oder acht Minuten in der
Stunde aufwiesen. Das läßt sich
nur so erlliirem dgß sie nach einer
Kerze geregelt wurden, da Uhren noch
nicht erfunden waren und inan keinen
besseren Maßstab hatte. Da nun
aver Kerzen anfangs langsamer bren
nen als später, ist dieser Mangel an
Zuverlässigkeit erllärlich. Kerzen die
ser Art wurden durch einen Schirm
von Horn geschützt vor dem Winde.
Noch heute kann man sie in Europa
laufen.
Die Wildrn des Stillen Ozeans
bedienen sich zu demselben Zweck einer
sehr ähnlichen Erfindung. Sie be
stebt nämlich aus einer Anzahl öligee
Nüsse, vom Gummilackbaum, die
dicht aus der Mittelrippe eines Palm
blattes aufgereibt werden. Dann
werden sie aufgehängt, und nun wird
die oberste Frucht angesteckt. die lang
sam nach unten brennt. Da fast alle
gleich grosz sind und jede etwa zehn
Minuten brennt, wobei sich eine an
der anderen entzündet, werden gerade
etwa sechs in einer Stunde aufge
zehrt. Wahrscheinlich ist diese pri
mitive Methode der Zeitbestimmung
ebenso genau wie die abgestuste Kerze
oder die mittelalterliche Sanduhr.
Die Zeitbestimmung ziemlich genau
regeln zu können, musz eines der ersten
Bedürfnisse der Menschen gewesen
sein. -Daraus erklärt es sich, dafz so
viele primitive Erfinder ibren Scharf
smn für diesen Zweck aufgeboten ba
ben. Die Nutzbarmachung des Schat
tens —- eine chec, die ihre endgültige
Entwicklung in der Sonnenubr fand
— war wahrscheinlich die erste. Die
erste Sonnenuhr mag ein Baum ge
wesen sein; stand er am Anfange des
Weges, den die Entwicklung von Ap
paraten zusr Zeitbestimmung nahm,
so bezeichnet der moderne Chiana
meter das andere Ende. die bisher -
volllommenste Form solcher Erfin
dannen
-Die Smithc haben heute Usend
ein Jubiläurn.« —- ,,Wai wäre dass« '
— «Der hundertste Tag, daß ihr
Dienstmädchen noch bei ihnen ist.« —