Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 01, 1905, Sweiter Theil., Image 14

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    Die Spielgefährten.
Roman von V. Wiesen.
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———I-—Io.-I.I-.-vss-s--.--s- v-, «
(13. Fortsedunw
Mehrere Stunden mochten vergan
gen sein« als die Schlummernde von
dem Geräusch der laut ins Schloß ge
worfenen Hausthük erwachte. Die
Mondsicheh die über den dunklen
Pattbsäumen gestanden, war ver
schwunden und hatte dem ersten schwa
M Dämmerschein des nahenden
Smmermongens Platz gern-acht. Jetzt
schlug die Uhr im Speisezimmer ne
benan vier helle Schläge
Alice richtete sich aus. So spät war
es schon? Ssie hatte fest geschlafen und
wunderschön geträumt Nun strich ste
hastig über die Augen und that ein
paar Schritte; die Glieder waren noch
bleischwer und steif vom langenScktzerk
- Da wurde die Thür geöffnet und
Wanst trat herein. Im Var-Donnrer des
Zimmers sah sein bleiches Gesicht asch
saht aus, nur die Augen glühten. Er
bemerkte seine Frau im erst-en Augen
blick nicht und ließ sich stöhnend auf
einen Sessel sinken.
Sie näherte sich leise, furchtsam.
»Wasil —«
Er subr zornig herum. »Was
thust Du hier-was willst Dut«
»Ich habaz aus Dich gewartet. «
pas« en ob der Ehernann
auchA pünktlich nach Haufe kommt? Hat
gerade gefehlt-nein, er thuts nicht,
thuks nicht; verstehst Du?«
Seine Stimme klang heiser er mnß
viel getrunken haben, war aber noch
vsllig herr seiner Sinne.
»Na also, warum bist Du noch
machi« forschte er hart.
Ich wußte Ia nicht« .i—ch dachte.
falls Du noch etwas zu essen verlang
test, oder eine Tasse KasseeA
»Nein, nichtsf Er reckte die Arme
hoch und schüttelte die geballtenFäustr.
»Berdannnte Bande, alle— zusam
men,« grollte er; »wir sie sich freuten,
als sie mich gerupst hatten.«
Zitternd hörte Alice die Worte.
»Wastl, um Gottes willen — Du
trarst nicht auf dem Vorwerh Du
warst in der Stadt —- und hast ge
spielt?«
« Er lachte hijkynisch »Richtig gera
then; ich habe gespielt und leider einen
Jag; rigen Batzen verloren Wastann
- sein;· kommt doch alles aus eins
Verm-M
Die junge Frau Preßte angstvoll die
hände zusammen.
« »Wie meinst Du das? Ach Gatt,
Wasil,chtwarum spirlst Du? Bedenkst
Drini
Sie verstummte jäh. Er hatte sich
hoch aufgerichtet, seine Augen funkel
ten wie die eines bösen Thieres.
»Willst Du mir Vorwürfe machen?«
rief er heftig. »Wer hat schule Ein
Hundeleben ist es, schlimmer alsda5.
Angeiettet aus Lebenszeit Und wa
zrkrnf k·-—»Urns nich-ist »-—— Ich war
Ieranatauvrg und ern vcarr uno ern
schlechter Rechnu, ich habe mich über
kunweln lassen, aber wer weiß, ob ich
aus den Leim geaanqen wäre, wenn
nicht Du —-—"
Alice hatte leise das Zimmer ver
lassen wollen, da sie sah, wie Wein
und Zorn ihn beherrschten, nun blieb
sie an der Tbür stehen. Jhr Gesicht war
todtenblak
»Ich verstehe Dich nicht ganz. Was
meinst Du mit dem »Wenn nicht ich?«
sil lachte kurz auf. Er wußte,
da er den Stachel in"ein zuckendes
her-z drückte, aber die Brutalität sei
ner innersten Natur war entfesselt, er
lantrte keine Schonung
»Seht einfach: wenn Du mir nicht
zuerst den Heirathsantrag gemacht
hattest-«
»Ist-N — Die junge Frau sah ihn
mit berstiindnißlosem Blick an.
»Nun. Dsu wirst Dich doch des
Briefchenö erinnern, in dem Du mich,
der ich absolut nichts ahnte, »sans
secon« Deinen Bräutigam nanntest,
Ind worin Du mir auch mittheiltest.
dass Du von Deinem Vater bereits
ein Jamrt erwirtt hättest, um das
Tit-Haar nicht eingefallen war zu bit
Aslice hielt sich am Thiirpfosten,
denn ihre Kniee matten Entsetzt
blicke sie aus ihren Gatten.
Es war Dir nicht eingefallen,
meinen Vater um sein Ja zu bitten,
und doch hattest Du mich geküßt und
mir gesagt, Du liebtest mich?«·
»Gewiß, mein Schatz, warum
IIin Du warst damals wirklich ein
Ehe-, frisches Ding, und wie Du
mich steundltchst sogar in meinem
eigenen Garten besuchtest —- der kleine
Musentemvel —- Du weißt doch?«
Ein Stöhnen rang sich aus der
Gequälten Brust. Das wagte er ihr
xvorzuwersem der sie mit Ueberre
dnngtltinsten gelockt, bis sie vor dem
UntUtter Schutz suchte. Als sreches
Entgegenlpntmen hatte er« ihre lind
Iiche. nettrauensbolle Unersahrenheit
gedeutet. O pfui, pfui!
Die junge Frau schlug die Hände
tot ihr W. antworten konnte sie
.
. -M war es ganz still im
M, dann stand Wastl aus. Seine
ansame Lanne hatte sich genug ge
, n. Vorn- Wern erhi t, vom Spiel-s l
Ins-« Ins-- W Ins-ex ji«-esse
»F « MU II s eu. Uns
Das-M sa- hst-M W t I
MHHI , Motiven-Zi- J
. . M sein«
— III-III III- fass-III
Er gähnie, reckte sich und ging,
einen halblauien Fluch über fein »ver
dammtes Pech« murmelnd, an der
ängstkich Zurückweichenden vorüber
zur Thiir hinaus
Mit angehaltenem Athetn horchte
Aiice auf die sich entfernenden unsiche
ten Schritte. Erst nachdem alles im
Haufe ftill war-, raffte sie sich auf und
schlich leife nach dem Kinderzimmer,
wo Gretchen schlief. Dort, am Bett
chen der Kleinen, verließen sie die
Kräfte; sie fank in die Knie und barg
das fchrnerzverzetrte Gesicht in den
Kissen.
Wie manche Eniiäufchung hatte sie
in den wenigen Jahren ihrer Ehe
schon erfahren, wie vieles geduldig
Ylllgcllctllllllclh Illullck Voll llcllclll aus
bessere Tage hoffend und die letzten
schwachen Fünkchen der einstigen Lie
besflamme sorgfältig im Herzen hü
tend, damit sie nicht verlöschten. Nun,
das fühlte sie, konnte sie es nicht mehr.
Es war zu viel der Qual, der Ernie
drigung, der Beschämung gewesen.
Nicht nur die Liebe zu ihrem Gatten,
auch Vertrauen und Achtung waren
vernichtet, an die sie sich hatte klam
mern wollen, als die Liebe verflog.
Alices Stolz bäumte sich auf und
schrie gebieterisch nach Lösung dieses
Ehebundes. Was war sie, seit die
Hoffnung auf das reiche Erbe fehl
schlug, ihrem Gatten gewesen, und was
war er ihr? Nichts, nichts! —
Wozu also dies sreudlose Neben
einandergehen, die täglichen Demü
tbigungen, welche Wasils Gleichgül
tigteit oder Jähzorn ihr bereiteten.
Jäh hob Alice das schmerzgebeugte
haupt. »Frei sein —- wieder frei!«-—
Die rasche Bewegung mochte das
Kleine im Schlafe gestört haben, es
streckte die dünnen Aermchen aus und
fing jämmerlich an zu weinen.
Das Kind! -—- Alice guckte erschreckt
zufammen, an das Kind hatte sie
nicht gedacht, sein Weinen schnitt ihr
ins Herz. Wollte es die felbftsiichtige
Mutter an ihre heiligste Pflicht mah
nen? —- Es hilft nichts; um des Kin
des willen muß sie bei dem Gatten
ausharren, um des Kindes willen Leid
und Kränkung schweigend tragen."
Für dies arme, zarte Geschöpfchen,
das sie mit aller Inbrunst mütterlicher
Zärtlichkeit liebt, darf ihr nichts zu
schwer sein.
Sie hebt die Kleine aus dem Bett
chen und trägt sie, leise ein Wiegenlied J
summend, im Zimmer auf und ab,!
bis das Weinen verstummt ist und die (
fchlaftruntenen Augen sich wieder?
schließen. Dann legt sie ihr Töchter
chen behutsam zurück in die weichen.
Kissen. J
Jm Osten ist der neue Tag herauf
gestiegen in wunderbarer, fommerii
eher Schönheit. Aus den Büschen
tönt das jubelnde Zwitfchern der Vö
gel. Gras und Blumen, vom Thau
gefeuchtet, glitzern im Sonnenschein
Es ift ein Morgen wie geschaffen zum
Freuen und Genießen.
Die junge Frau, die am Bett ihres
Lieblings sitzt, zieht fröftelnd das
Tuch fefter um die Schultern. Sie
weiß es jeht, daß sie auch ferner ge
duldig ausharren wird, aber ihr einst
so fröhliches Herz ist erstarrt, und aus J
den glanzlosen, übernächtigen Augen!
rinnt langsam Thräne um Thräne.
II II L
Jn feinem Pfarrgarten Alt - Tab-J
pelheim ging Pastor Friefe zwischen
den hochstämmigen Rosen auf und ab. j
Sie blühten diesen Sommer wieder
in Ueberfiille. Der alte Herr hattet
feine herzenöfreude an der herrlichen ’
Entfaltung und seltenen Farbenpracht
feiner Lieblinge. Nicht eifriger konnte
er bemüht sein, die bösen Gedanken
aus der Menschenseele auszurotten als »
das fchändliche Gewürm aus dein
Kelch der Blumen. Auch jetzt war er
damit beschäftigt, Raupen von den
Rosen abzulesen und hier und da ein
weites Blatt zu entfernen.
So sehr nahm ihn feine Arbeit ins
Anspruch, daß er das Knarren der
Gattenpforte überhörte und Frau
Johanna Sufebeit, die Wirthfchafte-s
rin, erft bemerkte, als sie dicht vor
ihm stand.
»Der-: Paftor vergessen wieder das
Frühstück,« sagte sie in leicht verwei-«
feudem Tanz »und hier bring’ ich auch
die Zeitung.«
»Was tausend, ist es schon so fpiiti
Da habe ich mich wahrhaftig bei den
Rosen zu lange verfäumt,« entschul
digte et sich. «Dunle schön, danke!"
Er nahm ba- Zeitungsblatt entge
gendem man es ansah daß es be
reiti auseinandergefaltet worden war.
»Nun, was steht denn Neues darin,
liebe Frau Sufebeitk
»Aber herr Pest-m wie soll ich das
wigis-w fchallhaftes Lachen des alten
Denn ließ fie verstum n. Paftor
tiefe besab sichs-trag Te tkitgth äu
U p u k -
stå ihn bereit stand. Während
et lich ein paar.sriitchen strich und
M
ydke lustigen Schivkeuscheisen NUM
tnachie Frau Susebeit sich an den
nahegelegenen Blumenrabatten zu
schaffen. Sie sah noch genau so aus
wie vor zehn Jahren: der rosibrqekne
Scheitel, welcher mitsammt der haube
allabendlich vorn Kopf genommen nnd
»in ein Kommodenfach gelegt wurde,
stichtete sich nicht und ergraute nicht.
Nur einmal war er nnd seine Träge
rin in heillose Verwirrung gerathen,
als nämlich nächtlicherweile eine kluge
Maus sich dieses warme Nest auser
sah, mu darin zwölf niedliche Junge
zur Welt zu bringen
Frau Susebeit rupste einige Spät
chen Unkraut zwischen- den Levloyen
»fori und sah zwischennein nach dem
sPastor bin, der sein Frühstück beendet
Ibatte und den Leitartiiel las. End
; lich dauerte es ihr doch zu lange, sie
trat in die Laube und sagte, während
sie die Teller zusammenränmtet
»Auf der ersten Seite steht gar
nichts Gescheites, Herr Pastet, auch
bei die Familiennachrichten ist kein Be
kannten aber lesen Sie man mal die
Stelle, wo der Kaiser, »Allerqnödigfi
geruht« hat: da werden Sie sich wun
er«n.«
»So. so," lächelte der Psarre gut
msiithig: »also ein wenig wissen Sie
doch schon Bescheid in der Zeitung?«
»Du meine Güte, man ist doch nicht
blind, nnd wenns einem grad’ in die
Augen fällt und man den Menschen
von klein auf tennt.«
»Nun also, was giebt es denn?«
forschte Friese, der die fragliche Stelle
nicht gleich finden konnte.
Kämmerer Brunl aus Tan
ninken sein Fritz» »der-r Pastor wis
sen doch, der noch bei uns in die Kin
derlehr’ aim. . . der ist Amtsrichter
geworden Herrjeh wird die Mutter
aber nu stolz werden.
schon immer so doll mit ihrem Jun
gen, wo er doch von Haus aus nichts
Besseres gewesen ist als alle anderen
Dorfbengels.«
Sie hatte sich »
Gerade darum ist es doppelt anzu- ?
erkennen, daß er ssch zu solcher Stel
lung empor-gearbeitet hat, und wir
wollen den braven Eltern die Freude,
die sie an ihrem Einzigen erleben, von
herzen gönnen, nicht wahr, liebe Jo
hann-ali« entgegnete der Pfarrer.
»Na gewiß. ich meinte doch blos so,"
murmelie diese verlegen. Sie mußte
sich bisweilen die Hindeutung gefallen
lassen, daß ihre christliche Vortrefflich
leit ihrer wirthschaftlichen lange nicht
gleichkam.
»Es war ohnehin meine Absicht, die
ser Tage nach Tanninien hinüber zu
fahren und wieder einmal nach Frau
Ditmer zu sehen: da will ich es heute
thun und auch bei den Brunks vor
svoechen und ihnen Glück wünschen,"
fuhr der Pfarrer fort, der ietzt die be
treffende Notiz in der Zeitung gefun
den und gelesen hatte. »Bitte, Frau
Susebeit, bestellen Sie doch dem Gott
fried, daß er um fiinf Uhr anspannt.
Ztmt Als-nd bin icki jedenfalls wieder
zurück.«
»Seht W, Herr Psarrer.«
Die Haushalt-rein ging: im stillen
aber murrte sie: »Er ist viel zu gut,
mein Pastor, viel zu gut. an eigener
Person beim Kämerer vorzufahrem
war gar nicht nötng fo’n Volk bild’t
sich gleich was drauf ein.« Und ins
haus tretend, ließ sie die ihr entge
genlommende Magd heftig an: »Was
rennst mir arade in den Weg, dumme
Margelli Kannst nicht bescheiden aus
die Seit’ gehen, wenn Du mich korn
men siehst?« —- Ia, Frau Susebeit
wußte ihre Würde zu wahren.
Am Nachmittag bestieg PaftorFriese
sein Korbwägelchen und fuhr nach
Tanninkem Es geschah ietzt viel sel
tener als zu Lebzeiten des früheren
Besitzers, und die Besuche dauerten
nicht lange. So wenig der alte Ditt
mer mit seiner Person in den Vorder
grund getreten, so entschieden war doch
gerade von ihm Heiterkeit und Beha
an tm Hause ausgegangen. Jetzt trieb
den Pfarrer nur das Wohlwollen wel
ches er fiir jedes Glied seiner Ge
meinde hegte, hin und wieder zu einem
Besuch
Frau Marie saß im Wohnzimmer,
mit dem Häleln eines Sofafchoners
beschäftigt, als Friese eintrat. Sie
liebte den Ausenthalt in dem Garten
nicht und hielt sich auch im Sommer
selten dort aus.
Der Paftor sehnte sich bequem in
den ilun gebotenen tiefen Sessel zuriick
und, die späte Tasse Kassee ablehnend,
welche die haussrau nicht allzu drin
gend anbot. fragte er freundlich theil
nehrnend mal-diesem und jenem.
Idatiit
Nun ließ Frau Marie dem Miß
mutb. der fse stets bei-errichte, freien
Lauf. Obgleich fchweiasarn von Natur,
wurde sie beredt, sobatd sie ihrer Un
zufriedenheit Ausdruck geben tonnte.
Und wo hätte dies unfrobe Gemütb
nicht Gruxnd zur Bitterteii gefunden?
Da war die Witterung wieder ganz
besonders unaünstig für Tanninten
gewesen, die Ernte brachte nicht den
erwarteten Ertrag, nebenbei der ewige
Aetaer mit dem Kammer-er und den
Leut-en. Es war zum Verzweifeln für
eine arme, einsame Frau. Keiner tum
merte sich tun sie, sogar die eigene
Tochter fragte nur selten nach ihr. z
»Aber meine beste Frau DittmerIfs
versuchte der Pfarrer zu beschwichti-:
gen, »in diesem fetten Punkt sind Sie ’
doch wohl ungerecht Ich kenne Ihre
Asttee auch vonKindheit an; ein wär
merez her-, ein liebevolleres Gemüth
atebt es taum.· »
»Man sein, aber sie ifi ganz einseitig
fest. Seit das Kind bauen wurde,
fiir nichts an es Zeit und
; Interesse. Ich habe es ihr oft genug
von-hatten Auch ihren Mann ver
« steht fie nicht richtig zu nehmen- Er ift
eine weltmännifche, anreaunasbediirf- »
—W
tiere statut. Mike mittie das sollt-di
aen. die Vorzüge ihres adeligen Ra
mens in der Gesellschaft zur Geltnn
bringen, indem sie ein elegantes Bang
;ausmacht, statt spießbiirgerlich die
stiindermubme zu spielen."
: »Nun, nun,« entschuldigte der
IVsarrey »ich habe immer gefunden,
daß Frau Alice eine sehr liebenswür
dige und ausmerlsame Wirtbin ist,
und überdies bedarf auch wohl die
Kleine ganz besonderer mütterlicher
Sorgfalt; wie ich höre, ist sie zart
und schwächlich.«
»Ach, Kinder in dem Alter trän
teln ja alle Augenblicke, das giebt sich
später von .selbst.«
»Mit Gottes Hülfe wollen wir ed
hoffen«, sagte der Pfarrer und er
hob sich. Die Stimmung hatte etwas
Bedrückendesz ihm wurde erst wieder
behaglich zumuthe, als er das herr
schastshaus verlassen hatte und sich
der Kämmererwohnung näherte.
Dort stand Frau Brunl gerade im
Vorgärtchen und breitete Wäsche aus
idem lleinenRasenslect aus. Als sie den
igeistlichen Herrn kommen sah, band
ssie schnell die blaue Arbeitsschiirze ab
nnd gina ibm entgegen.
. Jhr rundes Gesicht strahlte vor
;Freude.
« »Herr Pastor kommen zu uns? Ach
nein, aber solche Ehr’!«
Sie versuchte die Hand zu küssen,
die sich ihr giitig entgegenstreckte.
»Gewiß tomme ich zu früh, Brun
lin; wo ist denn Jhr Manns Jch
muß doch gratuliren zu Fritzens An
stellung. Es hat mich recht gesreut,
als ich es heute friih in der Zeitung
las.«
»Aber so was! Jn der Zeitung hat
es auch gestanden?« ries Frau Brunl
erstaunt, indem sie den Gast ins Zim
mer niithigte und den Stuhl, den sie
ihm bot, sorglich mit der Schürze ab
wischte. »Uns hat es der Fritz selber
geschrieben. Aber nun werd’ ich gleich
meinen Mann... Du, Brunt, wo
bist denn —- Brunt, hörst denn
nicht?« ries sie in den Hof hinaus,
und zum Pfarrer:
»Herr Pastor müssen schon verzei
hen ,er ist gewiß noch nicht vom Feld
zurück. Bei der Arbeit vergißt er al
lemal die Zeit und rackert sich, wenn's
auch längst Feierabend gellingelt hat«
Jch tann reden, soviel ich will, da ist
nichts dagegen zu machen.«
Dafür sollten Sie ihn loben und
nicht schelten«, entgegnete der Pfar
rer. »Ich bleibe ein halbes Stünd
chen, bis dahin tomrnt er schon heim.
Und nun erzählen Sie mir mal, was
schreibt denn der neue Herr Amtsrich
ter?«
»Ach. einen wunderschönen Brief;
ich tann den mit meinen Worten nicht
auseinandersehem aber wenn's dem
Herrn Pastor nicht unlieb wäre«
hre Hand suhr verstohlen in die
leidertasche, holte das arg zerlnit
terte Schreiben hervor und hielt es
ihm hin.
»Soll ich lesen?" fragte der geist
liche Herr.
Sie nickte lebhaft, saltete die Hän
de und sah andächtig, wie in der Kir
che, zu ihm auf
Er schlug das Blatt auseinander
und las
«Meine geliebten Eltern!
Heute habe ich Euch eine frohe
Nachricht mitzutheilen. Soeben er
hielt ich meine Ernennung zum
Amtsrichter beim Königlichen Amts
gericht zu D. — Damit steh ich nun
sest und gesichert in meinem erwähl
ten Beruf; zwar erst aus bescheidener
Stufe, doch ist mir sitt das Vor
wärtskommen nicht bange.
Wenn ich jetzt aus die Reihe meiner
Arbeits- und Studienjahre zurück
blicke, sage ich mir immer wieder, wie
viel ich Euch zu danken habe, liebste
Eltern. Ohne Eure und der guten
Jante Hälse wäre es mir nie mög
lich gewesen, den Lebensweg einzu
schlagen, aus dem zu schreiten meiner
Seele heißester Wunsch war. —
Glaubt deshalb nicht, liebe Eltern.
daß mir mein jetziger Stand besser
dünkt als der, in dem ich geboren bin.
Jeder tüchtige Arbeiter ist gleich zu
achten, mag er mit der Hand oder
mit dem Kot-se schaffen; und daß hr
es nur wißt: wie sich mir die -
tunst auch immer gestalten mag, die
Erinnerung an Tanninten und meine
Muderzeit wird mir stets das theuer
fte bleiben
Da ich unverzüglich nach meinem
neuen Bestimmungsort abteisen muß,
kann tch Euch nicht zuvor Lebewohl
sagen; doch hofse ich, später ab und
zu Euch besuchen zu können; es trifft
sich gut, daß D. in wenigen Stunden
zu erreichen ist. So seid denn für
heute nur herzlichst gegrüßt, liebe El
tern. Jch bin sehr glücklich in dem
Bewußtsein, von nun an dankbar
Euch lohnen zu können, was Jhr mir
Gutes gethan habt.
Immer Euer gehorsamer Sohn
. . . Iris-«
»Ein guter Brief und ern guter
Sohn«, lobte der Pfarrer, das Blatt
»der Frau zurückgebend. Jhee hand
Hstrich zärtlich darüber hin, ehe sie es
wieder in die Tasche schob.
Jn diesem Augenblick öffnete sich
die Thür, der Kämmerer tarn nach
hause.
»Nun, da seid Ihr ja, Bruni«, rief
ihm der Pfarrer entgegen, der sich ge
rade verabschieden wollte. »Wir re
den von Eurem Fritz, und was Ihr
W
G Freude an ihm erlebt. Ich nehme
herzlichsten Antheil daran und
hvffe- wenn der Herr Amt-richtet das
nächste Mal zum Besuch kommt, daß
er auch tm Psarrhof versprechen wird.
Ich rechne sest darauf; schrein ihm
nur« er möchte mich nicht vergessen.«
»Aber wo wird er denn«, versicherte
die Mtutek eifrig, während Brunt,
der nicht so schnell mit der Rede zu
rechtlam, nur einen nngefchictten
Kratzsuß machte.
»Wenn der Herr Pastor erlauben,
wird er sich schon die Freiheit heraus
nehmen. Er geht auch immer in un
sere Dorslirche, Ivenn er hier ist.
Ueberhaupt an alles hängt er noch so
und weiß sich von seine früheste Jahre
zu besiinnen — nich, Vateri«
»Ja, das soll wahr sein«, bestätigte
Brunl, und die Frau fuhr fort:
»Wie er letzthin im Sommer hier
war und mal am Herrschaftsgarten
vorbeiging, hat er gesehen, daß auf
dem Jnselchen, wo er und das kleine
Fräulein immer als Kinder spielten,
die Brennesseln und Disteln hochge
schossen waren; da ließ es ihm doch
keine Ruh’, bis mein Mann das Un
raut hat avhauen und den Pius wie
der sauber machen lassen-«
Sie hätte wohl noch mancherlei
von ihrem Fritz zu erzählen gewußt,
wenn der Pfarrer Frau Susannes
strenger Piinttlichteit eingedenk, sich
nicht energisch verabschiedet hätte.
Als er in seinem Wägelchen saßY
und heimwärts fuhr, verglich er un
willkürlich die Eindrücke der letztens
Stunden. Jm Herrschaftshause Un-’
zufriedenbeit, verdrossenes Klagen —
zwischen den schlichten vier Wänden
der Lämmer - Wohnung sonniges
Glück in frohen, dankbaren Herzen
Ein klarer Septemberhimmel lachte
iiber dem Dobrawißer Schloß und
gab dem altersmorschen Steinbau ein
freundlicheres Gepräge. Vom Giebel
flatterte festlich eine Fahne, und in der
an der Gartenseite gelegenen,- von wil
dern Wein überwucherten Veranda
war einladend ein langer Kaffeetisch
gedeckt.
CFortsetzuna folgt-)
II Ves u vio.
Wer mit der Eisenbahn von Pa
lermo nach Neapel fährt, kommt durch
ein wahres Paradiesk Rechts und
links vom Bahndamm wogt in den
Schluchten das schwarz-grüne Meer
eben reisender Citronen. Ueber sie
hinaus wächst der Feigenbaum, das
Johannisbrod und mit feanenden
Händen die Fächerpalme An den
Dänaen bin kriecht, ost bis zu Stock
werlsböbe, die arause Unaestalt des
Feigenlaltus. Zwischendurch in wil
dem Durcheinander, umschlingen sich
Reben und Tomaten. die tletternde
Melone und der arauariine Wald des
Oelbaunies. Hinter diesem Meer von
Pflanzen lacht der blaue Spiegel des
Thvtenischen Meeres und darüber
weit in den azurnen Aether hinein
aebaut, thront Madonna del Monte.
Und noch einer ist da, der Bergesalte,
der schöne und doch so aefiirchtete il
Vesuoio.
Man sieht ihn zuerst bei dem Dorfe
Noicra, zweitöpfia binaelaaert in die
duftiae Ebene des Sarno. Welch ein
Anblick! Wie der Tbron der ewigen
Gottheit ist er aufgestellt, und seinen
Gipfel bütei strena und arbeimniskreich
ein wallender Wollenschleier. Das ist
ein Bera, von dem herunter könnte
Moses seine Geseßestafeln geholt ba
ben. Man sieht es. Er ist ein Theil
des Weltenschövfers, er lebt, kann
Leben geben, aber auch vernichten.
Was ist das? Die Wolle oben hebt
sich. löst sich vom Gipfel los und segelt
mit den rosa Abendwolken in blaue
Weiten. Nun erscheint der Berg todt.
Das eben war fein letter Atbemzug
und nun ist er gerade so leblos wie
die Schrosfen des neavolitanischen
Apennin-L die ibri respektvoll um
steberr. «Wiinschen Sie noch was,
herr Vesuvio, bevor wir Sie begra
ben und uns nicht mebr vor Ihnen
fürchten?« Aber nein, er erwacht
furchtbar von kurzem Schlummer.
Sein Atbem sticht als eine Riesen
slanrmenzunae in den Abendbiminel
hinein, verdickt sich oben und fällt als
feuriaer Sprinabrunnen zur Erde
zurück. Rings um den Aschentegel
aliliren in tausend Sternen die erkal
tenden Laoabroeben. Jetzt wieder
steiat aus dem Krater das hauchiget
Ungeheuer einer schwatzaelben Schwe
selwolkr. »Der Vesuv spuckt,« sagen
die Leute scheinbar respeltlos, aber
behenden herzens hängen doch aller
Blicke dort oben am Schlunde des All
aewaltiqm Was wird die nächste
Selunde bringen? Wird der Aschen
leael einsttirzem den Kamin verlegen,
und wird sich dann die Mutter Erde
in Schmerzen krummen so daß die
Häuser der Menschen verwehen wie
Treihsand im Winde? Wird eine der
Seitentviinde bersten und ein gelb
rother jäher Feuerstrom sich nieder
wälzem langsam, aber unaufhaltsam J
dem Sarno zu oder dem User des »
Golfesi Wehe dir Torre del Gurt-,
wehe Torre del Annunciatm ihr wer- s
det euere Kühnheit büßen, zu Staub
verbrannt unter dem Bauche des
glühenden Drachen Warum seid ihr i
dem beimtiickrschen so nahe gerückt?"
Indessen ist die Bahn in weitem
Bogen von der Slldseite des Berges
an dessen Westseite gekrochen Es ist
dunkel geworden, und in den terrassem
reichen säusern der menschenwim
melnden Botstödte entzünden sich die
Lichter. Was sieht man oben, da. wo
W
TM ei new-It dat. dem sorge ein
Paar Eifenbabnschienen aufznewins
aeni Letchte, kleine Wölkchen kr echen
dem Fuße des Aschenkeaels hinter
einander her wie eine Schaar weiden
der Lämmer. Jm Zuge hiingen alle
Köpfe iiber die niedergelassenen Schei
ben. Wer groß ist, steht hinter dem
Menschenclmnpen und sichert sich in
einer Ecke der Fensterrahmen einen
Durchblick. Die Bahn läßt stellen
weise den Häuserwirtwarr der Bor
stiidte hinter sich und gewinnt, sich
nordwärts wendend, das freie Feld
Nun mii einem Male entpupven sJ
die weidenden Lämmer und zeigen ihre
wahre Gestalt. Im Berge arbeitet
man allen Ernstes. Eine glühende
Lavamasse in der Breite des W
wälzt sich akan das Obfervatorium.
Kupferbraune Nebel überlagern die
sen Feuerstrom und verflilchti n sich
zu weißgeauen Wollballen, die. drang
bafi sich losreißen und nach dem
Gipfel des Berges hüpfen, wo zwei
Hbis dreimal in der Minute sich eine
IFeueriontäne bildet oder auch eine
durchsichtig ichillernde Feueriolonne,
die ihren Kelch dem Monde zei. t. der
ziemlich interesselos hineinschauh
Merkwürdig, wieviel Platz nun its
den vorher so übersüllten EisenbalFts
wagen ist! Die Menschen pressen tch
lautlos an den Wanensenstern der
rechten Seite in die Form von Ha
vannazigarrem Die Helle von da
oben zieht sie an wie die Flamme die
Motte. Das Gewimmel ihrer Mit
menschen da unter ihnen ist ihnen
aleichaiiltia geworden, und die auf
blittenden Reklameschilder der Schokos
ladefirmen finden keine Leser.
Dumpfer Ertönt dds Geräusch des
Zuges in der Bahnhosshallr. »Napoli,
Navoli«, rufen die Conduttori. Die
Menschen stiirzen mit Schachteln und
Kosfern aus den Wagen. Die Armen
tragen in breiten Tiichern ihre Habe
davon. Die Pferdebahn vorm Bahn
hof übernimmt es, die Menschen nach
den Stadttbeilen und Straßen zu ver
theilen. Elettriiche Blitze zucken über
den Kabelm und im Nu sind wir auf
der Piazza St.Fernando. Hier steige
ich aus, weil ich weiß, daß neben
Palazzo reale eine Rampe ist, von .
man hinübersteht nach dem Besuv.
Ich fühle wieder unter meinen Füßen
das Lavavflaster, das mir schon so
manche Sohle zerrissen hat, und treibe
mit der Menae westwärts. Unter dem
Standbilde Roger-Z des Normannen
in seiner Muschelnische sitzen meine
Freunde, die zerlumnten Straßenjuw
aen von St. Lucia und spielen mit
zerlumpten Karten um die paar
Soldi, die sie von Forestieri erbettelt
haben. Was tumtneri ste der tobende
Vesuvl
»Carrota, Sorte-th« ruft man mit
zu vorn Straßendamm aber ich will
ieine und schielte mich und meinen
Rucksack im Schatten des Palastes
weiter. Nun voriiber am Standbilde
Viktor Enianttels, der seinen Säbel
bebt, als ob er Gewalt hätte, den
Elementen zu gebieten. Aber er ist
machtlos. Jetzt habe ich die Ecke des
Palastes erreicht, der einst den Bom- ·
bonen qehörte und ihrenSiindem
Nun schweift der Blick über Ziegel
dächer hinüber, die da unten im Dun
keln stehen, über niedere Mastbämne
und Segel, die an ihnen unruhig im
Winde flattern, hinüber nach dem
Unwiderstehlichen. dem Monte Besu
vio, der die Blicke aller aus sich zu
lenken weiß. Da steht er, groß und
allaetvaltia, er allein... mit dem
Mantel der Nacht um seine Schultern,
um seine Stirn die"Feuertrone und
iiber sein Brustbein niederaleitend die
rothaliibende, funtelnde, unheimlic
Stola.
Vor der Maiestiit einer solchen
Größe versinkt mein Jch in nichts.
Zitternd stehe ich da, vor ihm, der mit
dem nächsten Hauch aus seiner Brust
tausend blühende Leben vernichten
kann. Mir ist es, als ob ich fest ge
bannt wäre, hier auf den Lavavlut
die seine-r Werkstätte entstammen, un
abwarten müsse, daß eine Katastrovhe
sich erfüllt, tvie sie vor 2000 Jahren
Pomveii verschlang, Stabiii und Deckt
culanum. Ich fürchte mich und s .
mich um nach Menschen. Dia laufen
ste hin, die Paare, und blicken einan
der in die Augen, heute wie alle T e.
sorglos-, als ob es für sie und he
Liebesleben ieine Gefahr gäbe. Bin
ich denn der einziae, auf den der Aus
bruch des Vesuv einen Eindruck machst
Doch ich könnte meiner einseian l
entfliehen, denn vertraulich slüsiserte
neben mir: »Sianore, catnera rnta e
vicina«. O leichtbeliaeö, o leicht
srnninei. o dolce Napolit
Adam Karrillom
Du mit dem stets düstern Blick,
Lern von dem fröhlichen herzem
Man kann, so qut wie das Glück.
Auch manches Unglück verscherzen!
Akt
Der Privat-Theaterverein in Wei
ßensee sündigte in No.236 der Wei
ßenseer Zeitung an: »162. Vorstel
lung. Zum ersien Male: Kean oder
Genie und Leidenschast. Lustspiel in
5 Ausziiqen srei nach dem Französi
schen des Alex. Dumas sVater von
Ludwig Barnav).« Jn seiner dick
biindigen Erinnernnqen riiizmi sich
Baruay aller möglichen Beziehungen
aber dosz er von Alexander Dumaö
abstammi, verschweigi er sonderbarer
weise. — L .
Von verschiedenen Seiten wird seht
der Wunsch ausgesprochen. an Sielle
del Adserö den Trutholm unseren
Dantsaaunasvvgeb als Wappenthiee
anzunehmen Und ian soll alsdann
nxii dem Adler geschehen? Soll er eiwu
die Stelle des Dantsaaungsvogels
iverieeiens